Was wird bleiben?

 

Erscheint ein würdigendes Buch über eine allseits bekannte Persönlichkeit bereits ein Jahr nach deren Hinscheiden, dann kann man sicher sein, dass fast durchweg Lobendes, zumindest Anerkennendes zu vernehmen sein wird. So seien denn gleich zu Beginn und an dieser Stelle zügig die beiden schüchternen Ansätze für Kritik in dem Buch Begegnungen mit Peter Schreier (im Sax-Verlag) das von Matthias Herrmann, ebenfalls Kruzianer,  herausgegeben wurde, vermerkt. Einmal ist vom kritischen Erstaunen von Orchestermitgliedern darüber die Rede, dass der viel beschäftigte Sänger auch noch das Dirigieren übernehme, zum anderen vom Schweigen zu den Ereignissen im Herbst 1989, als sich andere Kulturschaffende wie zum Beispiel Kurt Masur für die Demonstranten, die schließlich das Ende der DDR erzwangen, einsetzten, während der ebenfalls über große moralische  Autorität verfügende Peter Schreier sich nicht äußerte. Im Buch wird aber auch die „Entschuldigung“ mitgeliefert, die besagt, dass der Tenor sich gerade in einer Phase der Erholung befunden habe.

Das Buch gliedert sich in einen besonders umfangreichen Teil, der Zeugnisse von Zeit- und Weggenossen, vor allem natürlich von Musikern über das Wirken des Sängers, Dirigenten und Cembalisten enthält, es folgt ein schmalerer Abschnitt mit Reden anlässlich der Verleihung von Musikpreisen an Peter Schreier, „Aspekte des Wirkens“, durchweg aus dem Jahre 2020 stammend, würdigen des Sängers und Dirigenten Arbeit in Österreich und Japan, außerdem besonders den Bach-Interpreten, schließlich sind die Reden, die auf   der Trauerfeier im Januar 2020 in der Dresdner Kreuzkirche gehalten wurden, abgedruckt, während ein umfangreicher Bildteil und ein Anhang, bestehend aus Personenregister und Präsentation des Herausgebers, den Schluss bilden.

Anekdotisches wird durchaus nicht ausgespart, so im Geleitwort der Scherz Herbert Blomstedts über den gänzlich unpassenden Familiennamen, in der Einführung wird die enge Beziehung Schreiers zu Dresden, von der Geburt bis zur Beerdigungsstätte reichend, hervorgehoben. „Weil ich nun mal eine alte sächsische Provinznudel bin“, will sich der Tenor selbst charakterisiert haben. Die wichtigsten Daten zum Lebenslauf legen davon Zeugnis ab, die in Bezug auf Furtwängler oft erhobene Anklage, er habe den Nazis zu Renommee verholfen, klingt vorsichtig im Beitrag von Hansjörg Albrecht an, wenn er über die Aushängeschilder der DDR Schreier, Adam und Güttler berichtet. Vom Bewunderer zum Kollegen wurde Olaf Bär, der „Demut und Respekt“ gegenüber Bachs Werk mit ihm teilte, bereits 1948 hörte ihn der Hornist Peter Damm als Altus und ist dankbar dafür. Lang ist die Liste der Vorzüge, die der Liedbegleiter Helmut Deutsch mit erstklassiger Diktion, sicherer Intonation, technischer Souveränität aufzuzählen weiß, so dass gelegentliche Spannungslosigkeit daneben kaum ins Gewicht fällt, durch seltene Proben aufgehoben werden kann. Gewagt sind die Vermutungen Peter Gülkes, der in Schreiers Palestrina einen Protest gegen die DDR nicht ausschließen mag, auch wenn der Sänger „auf abgründige Weise“ in der DDR zuhause war. Ludwig Güttler erinnert sich gern an die Heiterkeit während der Arbeit, Hartmut Haenchen an die „musikalische Sensibilität“ beim Kollegen. Eckart Haupt, der zeitweise Untermieter bei den Schreiers war, erwähnt eine gewisse Unbarmherzigkeit des Dirigenten gegenüber Sängern, Robert Holl behauptet: „Er klingt in mir.“

Als „außergewöhnlichen Musiker“ erlebte ihn Marek Janowski bei den Aufnahmen zum Rheingold. Siegfried Matthus schätzte besonders den David in der Karajan-Aufnahme, Christian Thielemann den Schumann-Interpreten. Der Bariton Egbert Junghanns erlebte Schreier zwischen den Polen „Hier gibt‘s alles umsonst“ und „Was wird bleiben?“ Edda Moser sah in Schreier „dieses Begnadete“, Heinz Zednick schätzte die gemeinsamen Abende beim Heurigen.

Die Laudatio zur Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille hielt Brigitte Fassbaender und bekannte, Schreiers Die schöne Müllerin habe sie zu Tränen gerührt, weitere Reden stammen von Reimar Bluth anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik und von Hans John zur Überreichung des Sächsischen Mozartpreises. Günter Jena berichtet vom Neumeier-Projekt Matthäuspassion.

Viele Ausschnitte aus Kritiken finden sich in Markus Vorzellners Aufsatz, der besonders interessant wird durch die Schilderung einer Begegnung von Schreier mit Wunderlich. Fabian Enders vermittelt wohl am eindringlichsten in seinem Beitrag über den Bach-Interpreten die besonderen Vorzüge des Tenors Peter Schreier (S. 196). Alle Beiträge und ihre Verfasser durften zum Nachruhm des Sängers beitragen, der letztgenannte aber dürfte den Gepriesenen besonders freuen (256 Seiten, 2020 Sax-Verlag; ISBN 978 3 86729 263 4). Ingrid Wanja