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Kenner erinnern natürlich, wenn sie den Namen Reynaldo Hahn hören, sofort die wunderbaren Aufnahmen seiner mélodies gesungen von Bidu Sayao oder Maggie Teyte. Vor allem erstere ist da unerreicht mit ihrem gleichsam in poesiegetränkter Luft schwebenden Lied „Si mes vers avaient des ailes“, den Flügelschlag der melancholischen Liebe wie einen Hauch der Ewigkeit festhaltend: eine meiner absoluten Lied-Aufnahmen. Mit Reynaldo Hahn (* 9. August 1874 in Caracas/ † 28. Januar 1947 in Paris) hat man das Ende einer Ära vor sich. Eine Ära zwischen der traumatischen, verlorenen Niederlage 70/71 und vor dem drohenden Weltkrieg 14/18: eben dieser Moment des wie vor einem Gewitter innehaltenden, in Verdrängung verharrenden Zeitgefühls.
Dazu passt Reynaldo Hahn mit seinen locker geschäumten Operetten wie Ciboulette, Mozart, Malvina oder Brummel, in Frankreich (und eigentlich nur da) vor dem Großen Vaterländischen Krieg und nach der schmerzlichen Niederlage bei Sedan bis in die heutigen Siebziger viel aufgeführt, ein Muss jeder Provinzbühne. Und mit reizenden Pathé-LPs dokumentiert, wo solche Größen wie Géori Boué oder Alain Vanzo die Ehre der französischen Opéra Lyrique hochhalten.
Man kann sagen, dass der Südamerikaner Reynaldo Hahn fast bespiellos die Stimmung jener Zwischenkriegsjahre in Frankreich eingefangen hat. Verdrängend gewiss und angesichts der schon durch Sedan/Versailles prekären finanziellen und sozialen Umstände natürlich Fluchtpunkte der Unterhaltung auf den Bühnen der Hauptstadt und nach dem Krieg in der Provinz. Eine „polynesische Idylle“! Boy meets girl on lonely island – Perlenfischer mit heiterem Ausgang, könnte man sagen (und das Sujet ist ja schon von Bizet und anderen Komponisten bedient worden, ebenso malerisch von Gauguin und Kollegen, man hielt in Frankreich die Kolonien präsent, zu lange). Gounods oder Saint-Saens Opernstoffe oder die der Zeitgenossen gruben tief in der französischen Geschichte, um Glorreiches auf die schmerzenden Wunden der Besiegten zu streichen. Hahn dagegen bietet aufschäumendes französisches Lebensgefühl, vive l´amour und o la la und all sowas. Jenes eben, weswegen deutsche oder britische Adels- und Fabrikanten-Familien ihre Jungs nach Paris schickten, um l´amour und weltläufige Lebensart kennen zu lernen. Bevor sie zu Hause ihre in Korsetts gezwängten Bräute von Stand heiraten mussten. Jahre zuvor hatte Offenbach mit seinem vie parisienne (1866) eine ähnlich hektische, die Realität verdrängende Lockung des französischen Amüsierbetriebes der Funambules geschildert.
Wie Alexandra Maria Dielitz in ihrem nachfolgenden Artikel (aus dem Programmheft des nun beim Palazetto Bru Zane vorliegenden Mitschnitt. der Hahn-Opera-Lyrique L´ile du rêve (1893) vom Münchner Rundfunkorchester im Januar 2020 mit einer ganz fabelhaften équipe vorliegenden Aufnahme) ausführt, ist diese „Polynesische Idylle“ von 1898 fast schon erheiternd exotisch im setting (und flott unterhaltsam, wie man auf der 1-CD-Aufnahme mit wie stets fabelhafter Ausstattung nachhören kann). Der nur rund 20 Jahre zurückliegende Krieg (70/71) scheint 1898 vergessen, die Reparationen schmerzen zwar noch, aber das Nachtleben der Boulevards mit seinen mehgr oder weniger eleganten Besuchern wird davon nicht berührt. Die politische Situation ist fatal, gewiss, und da zieht dunkles Gewölk auf, dto. gewiss. Aber warum sich nicht amüsieren und bei Champagner die eingeborenen Polynesier bei ihrem frivolen Treiben bestaunen? Wozu hat man die Kolonien? Das lenkt ab vom Alltag. Um die Ecke gibt´s die Mädels für die Herren mit Ausgang, und die fashionablen Damen sind entweder keine oder fahren diskret in der Caleche mit den Müttern nach Hause.
Im Folgenden also Reynaldo Hahns entzückende Idylle. Alexandra Maria Dielitz breitet das Panorama der Entstehungszeit vor uns aus. Vive l´exotism, vive la belle époque (Reynaldo Hahn: L’Ile du Reve mit Helene Guilmette, Cyrille Dubois, Anaik Morel, Artavazd Sargsyan, Ludivine Gombert, Choeur du Concert Spirituel, Münchner Rundfunkorchester, Herve Niquet; 1 CD Bru Zane, DDD, 2020). G. H.
Und nun Alexandra Maria Dielitz: Die Musen tragen keine Brille. Der Künstler, der die Pariser Salonkultur der Belle Époque wie kaum ein Zweiter verkörpern sollte, kam 1874 in Caracas zur Welt. Als jüngster Sohn einer baskischen Venezolanerin und eines jüdischen Kaufmanns aus Hamburg verbrachte Reynaldo Hahn die ersten drei Jahre seines Lebens mit einer großen Geschwisterschar auf dem elterlichen Landgut El Paraiso in Venezuela. Vater Karl Hahn hatte sich dort ein riesiges Vermögen erworben, war zum engen Berater des Staatspräsidenten aufgestiegen und hatte als leidenschaftlicher Musikliebhaber den Bau des Opernhauses in Caracas gefördert. Nach einem politischen Umsturz kehrte die Familie 1878 nach Europa zurück und ließ sich in Paris nieder – ein komfortabler Startpunkt für die erstaunliche Wunderkind-Karriere, die Nesthäkchen „Nano“ bald einschlagen sollte. Sechsjährig debütierte Reynaldo Hahn im Salon Prinzessin Mathildes, der Nichte Napoleons I., mit einigen Offenbach- Couplets, bei denen er sich selbst am Klavier begleitete. Mit acht Jahren komponierte er, mit zehn begann er sein Studium am Pariser Konservatorium und wurde Schüler der namhaftesten Komponisten seiner Zeit: Charles Gounod, Camille Saint-Saëns und Jules Massenet.
Der Schöpfer von Manon und Werther galt als unangefochtener Star der französischen Oper, doch auch Massenets heute weitgehend vergessene Liedkompositionen waren bei den Zeitgenossen überaus beliebt. Er schrieb nicht weniger als 233 „mélodies“ – jene schwerelosen Kunstlieder der Belle Époque, wie wir sie auch von Berlioz, Gounod, Fauré, Chausson, Duparc oder Debussy kennen. Im Gegensatz zum deutschen Lied der Romantik mit seinen schlichten Naturempfindungen von klaren Bächlein und Lindenbäumen hielt sich die „mélodie“ lieber in den „künstlichen Paradiesen“ des Symbolismus auf. Von Gautier, Verlaine, Rimbaud, Baudelaire und Mallarmé stammten die Verse über verbotene Sehnsüchte, morbide Amouren, charmante Mätressen, Opiumfantasien oder die „Blumen des Bösen“, die – in elegante Melodik und raffinierte Harmonik überführt – das Miniatur-Gesamtkunstwerk des Fin de Siècle darstellten. Nicht zuletzt ging es dabei um die Kultivierung einer spezifisch französischen Gattung, die sich von teutonischen Wagner-Dünsten genauso emanzipieren sollte wie von allzu sonnigem Belcanto italienischer Provenienz. Die 1871 gegründete Société Nationale de Musique ging sogar programmatisch gegen die Vorherrschaft der Oper im zeitgenössischen Musikleben vor und förderte die nationale Renaissance von Symphonik, Kammermusik und Lied. Als Teil dieser neuen Ars gallica gelangte die „mélodie“ vom halbprivaten Salonflügel auch in den öffentlichen Konzertsaal – meist, nachdem der Komponist ihr für diesen großen Auftritt nachträglich ein klangvolles Orchestergewand angepasst hatte.
Es verwundert nicht, dass der literaturbegeisterte Reynaldo Hahn auf den Spuren seines Lehrers Massenet zunächst das Lied als ideale Gattung für sich entdeckte. 13-jährig vertonte er mit Si mes vers avaient des ailes ein Gedicht von Victor Hugo und landete damit einen Schlüssel-Hit der Belle Époque. Ende 1896 wurde im Salon des berühmten Schriftstellers Alphonse Daudet sein Liedzyklus Les chansons grises nach Versen von Paul Verlaine uraufgeführt – in Anwesenheit des zu Tränen gerührten Dichters. Der Titel ist sehr bewusst dem Gedicht Art poétique (Dichtkunst) entlehnt, in dem Verlaine mit seiner Forderung nach „Musik vor allen Dingen“ („De la musique avant toute chose!“) eine Art poetologisches Manifest formuliert: Das „graue Lied“ steht für die schwebend feinen Nuancen des Ausdrucks, für die sinnliche Wahrnehmung der Sprache, für die Bedeutung des Wortklangs – just für jene musikalischen Schwingungen der Lyrik, die Reynaldo Hahn als „musicien littéraire“ (Marcel Proust) intuitiv erfasste. Der für gewöhnlich kaum musikinteressierte Autor Edmond de Goncourt lobte Hahns Lieder denn auch als „wahre Juwelen der Poesie“. Für den Journalisten Albert Flament waren sie nicht einfach eine „Melodie auf die Worte, sondern vielmehr die Seele der Worte selbst“. In der Tat entwickelt sich die vokale Linie bei Hahn stets mit größter Natürlichkeit aus einem intimen Konversationston zu emotionalen Aufschwüngen und biegsamer Melodik. „Die wahre Schönheit des Singens“ bestand für Reynaldo Hahn denn auch „im perfekten Zusammenklang von Sprech- und Singstimme, das heißt von Melodie und gesprochenem Wort, die miteinander verschmelzen und eine geheimnisvolle Verbindung eingehen“. Die transparente Klavierbegleitung drängt sich dabei nie in den Vordergrund, schafft aber schillernde harmonische Räume und überrascht bisweilen mit ungewöhnlichen Akkorden oder Bewegungsveränderungen, die sich eng an der Wortbedeutung orientieren.
Der im Sinne einer oberflächlich sentimentalen Ausdrucksform oft verwendete Begriff „Salonmusik“ zielt am Wesen der „mélodies“ genauso vorbei wie an der zeitgenössischen Institution der Salons. Wenn Gräfin Greffulhe, Prinzessin Polignac oder Madame Lemaire an bestimmten Wochentagen in ihren mondänen Stadtpalais Hof hielten, trafen sich dort Diplomaten, Mäzene und Wissenschaftler, Literaten, Maler, Theaterdirektoren, Komponisten und Interpreten zum geistigen Austausch. An solchen Orten der Eleganz und Extravaganz, der Konversation und Inspiration herrschte das perfekte Klima zur Entfaltung einer Künstlernatur wie der Reynaldo Hahns, die Eigenschaften des Dandys und des Denkers in sich vereinte. Das „Schwere und Langweilige“ suchte er zwar „um jeden Preis zu vermeiden“, denn „die Musen tragen keine Brille“; doch loten seine Vertonungen die anspruchsvollste zeitgenössische Lyrik mit einer Suggestivkraft aus, die sich auch auf heutige Hörer überträgt. Ohne im Mindesten den Unterhaltungswert von Kunst in Frage zu stellen, war Hahn in der Lage, sein Publikum zutiefst zu berühren – offenbar auch als Interpret: Mit einer Zigarette im Mundwinkel saß er lässig am Klavier und sang seine Lieder mit leichtem, beweglichen Bariton, von dem sogar einige Aufnahmen erhalten sind. Viele Zeitgenossen berichten von seinem charismatischen Auftreten, das jedes Getuschel im Raum sofort verstummen ließ. Marcel Proust formulierte die magische Wirkung von Hahns Kunst besonders poetisch: „Niemals seit Schumann drang musikalischer Ausdruck […] zu einem solchen Grad menschlicher Wahrheit und absoluter Schönheit vor. Jede Note ist ein Wort – oder ein Schrei! Den Kopf leicht zurückgelehnt, während dem melancholischen, leicht verächtlichen Mund in rhythmischer Flut die schönste, traurigste und wärmste Stimme entströmt – so umarmt dieses,geniale Musikinstrument ‘namens Reynaldo Hahn die Herzen und lässt die Augen feucht werden in jenem Bewunderungsschauer, der uns erzittern lässt […] wie das leise und feierliche Wogen der Ähren im Wind.“
Am 23. März 1898 wurde mit L’île du rêve Hahns erstes Bühnenwerk an der Pariser Opéra- Comique uraufgeführt. Geschrieben hatte er seine „polynesische Idylle“ bereits während des Studiums bei Jules Massenet, dem die Partitur gewidmet ist. Exotische Stoffe waren damals en vogue, und besonderer Beliebtheit erfreuten sich die autobiografisch gefärbten Romane des französischen Marineoffiziers und Reiseschriftstellers Julien Viaud: Der 1888 veröffentlichte Bestseller Madame Chrysanthème lieferte die Vorlage für André Messagers gleichnamige Oper und für Puccinis Madama Butterfly; der acht Jahre ältere Roman Le mariage de Loti hatte bereits Léo Delibes zu seiner Indien-Oper Lakmé inspiriert, bevor Reynaldo Hahn ihn – diesmal am Originalschauplatz Tahiti – zur Grundlage seines Theaterdebüts erwählte. Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Imperialismus wird in all diesen Fällen eine Geschichte erzählt, die sich so oder so ähnlich etliche Male tatsächlich abgespielt haben mag. Koloniale Verhaltensmuster und europäische Überlegenheitsdünkel prägen die „Zeitehen“ westlicher Offiziere mit ihren „kleinen Bräuten“ in überseeischen Paradiesen; uneheliche Kinder, gebrochene Herzen, bisweilen auch Selbstmorde der Zurückgebliebenen sind die Nebeneffekte der patriotischen Mission.
Auch was sich auf Hahns „Trauminsel“ abspielt, ist vorhersehbar: Der französische Marineoffizier Georges de Kerven verfällt auf Tahiti dem Zauber der schönen Mahénu, die ihn in einer Blumenzeremonie auf den einheimischen Namen Loti tauft. Kennenlernen, Liebesglück und Abschied, das ist im Wesentlichen der Inhalt der drei kurzen Akte. Der lächerliche alte Chinese; die einst von Lotis Bruder verlassene und seither geistig umnachtete Téria; die kluge Prinzessin Oréna, die Mahénu dringend davon abrät, Loti auf sein Schiff zu folgen („Die Blumen unseres Landes welken auf dem Boden des Exils“) – sie sind nicht mehr als episodische Unterbrechungen eines einzigen, traurig verklingenden Liebesduetts. Und das gestaltete Hahn als träumerischen Gesang einer unstillbaren Sehnsucht, als unendliche Melodie eines scheinbar ewigen Sommers, als melancholisches Wiegen sinnlicher Harmonien. Bei den Uraufführungsrezensenten herrschte Uneinigkeit darüber, ob die meditative Grundhaltung und tendenzielle Monotonie dieser Musik auf die Einseitigkeit des kompositorischen Talents oder die Ereignislosigkeit der Handlung zurückzuführen seien. In der Tat gibt es nicht den Schatten eines dramaturgischen Gegenspielers – selbst Mahénus Adoptivvater zürnt dem fremden Verführer nicht, so beschäftigt ist er mit stiller Bibellektüre! Statt eines äußeren Bösewichts gibt es nur die innere Notwendigkeit der Trennung, um die alle Beteiligten vom ersten Takt an wissen, was jedoch dank des Zaubers der Verliebtheit nur allzu gerne verdrängt wird. Und dieses leise Zerrinnen einer Illusion konnte kaum einer treffender vertonen als Reynaldo Hahn.
Dass er durchaus in der Lage war, kontrastierende musikalische Akzente zu setzen, bewies Reynaldo Hahn in den folgenden Jahren zur Genüge: etwa durch seinen poetischen Klavierzyklus Le rossignol éperdu, sein brillantes Klavierkonzert, sein exotisches Ballett Le Dieu bleu für die legendären Ballets russes sowie seine fulminanten Operetten der Zwischenkriegsjahre. Sein Meisterwerk La Ciboulette wird in Frankreich noch heute gespielt. Bei der musikalischen Komödie Mozart konnte er sein neu entdecktes Talent für die leichte Muse mit seiner alten Leidenschaft für das Salzburger Genie verbinden: „Bach mag ich nicht, Palestrina finde ich langweilig, aber Mozart bete ich an als bewundernswerte Mischung aus Finesse, Tiefe und Naivität.“ Hahn, der sich übrigens auch als Mozart-Dirigent einen Namen machte, erblickte in dessen Œuvre das erstrebenswerte Ideal, tiefen Ausdruck mit einer gewissen Leichtigkeit und Eleganz der Form zu verbinden. Der Schauspieler und Dramatiker Sacha Guitry schrieb die Szenen über den Paris- Aufenthalt des jungen Mozart, den seine Gattin Yvonne Printemps als Hosenrolle darstellte. Er selbst gab den Grafen Grimm, der das von der französischen Damenwelt allzu abgelenkte Genie schließlich zum Komponieren nach Salzburg zurückschickt. Das Pasticcio aus Neukomposition und Mozart-Zitaten war so gelungen, dass Komponistenkollege André Messager in Le Figaro schrieb, man könne nur erahnen, „wo die Nahtstelle“ zwischen beiden liege.
Auf drer Suche nach der verlorenen Liebe: Reynaldo Hahn und Marcel Proust. Mai 1894: Bei einer musikalischen Soirée in Madame Lemaires Pariser Salon zieht Reynaldo Hahn am Klavier wie gewohnt die Bewunderung aller Gäste auf sich. Auch die eines Literaturstudenten der Sorbonne, dessen Name – Marcel Proust – noch gänzlich unbekannt ist. Die Hausdame bemerkt die Anziehungskraft zwischen den jungen Männern und lädt beide auf ihr Renaissance- Schlösschen in Réveillon ein. Hier entdecken Hahn und Proust nicht nur ihre gemeinsame Passion für Literatur, Musik und Malerei, sondern beginnen eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Sie reisen in die Bretagne und nach Venedig, genießen ihre Zweisamkeit fern vom Pariser Gesellschaftsleben und inspirieren sich gegenseitig: Hahn vertont Prousts Quatre portraits de peintres, Proust verewigt seinen Geliebten im Romanfragment Jean Santeuil. Nach zwei Jahren jedoch kommt es zum Zerwürfnis, Proust wendet sich einem neuen Liebhaber zu. Doch das Ende der Affäre ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die ein Vierteljahrhundert überdauern wird.
Ein umfangreicher Briefwechsel – teilweise in einer kindlich-zärtlichen Geheimsprache – zeugt vom innigen Interesse, das jeder für die künstlerische Entwicklung des anderen hegt. Proust fehlt bei keinem Konzert des Freundes, Hahn vermittelt Verlegerkontakte, liest Korrekturfahnen und gibt literarische Ratschläge. Als der Dichter aufgrund seines Asthmas sein Krankenzimmer in der Rue Hamelin nicht mehr verlassen kann, ist es neben der treuen Haushälterin Célèste vornehmlich Hahn, der ihn über die künstlerischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Paris auf dem Laufenden hält und somit nicht unwesentlich zur Entstehung des monumentalen Romans À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) beiträgt. Proust schreibt gegen den Tod an und erliegt schließlich einer Lungenentzündung – Hahn weicht nicht von seiner Seite und teilt der Zeitung Le Figaro am 18. November 1922 mit, „dass unser teurer Marcel Proust heute Abend um halb sechs Uhr verstorben ist“. Im selben Jahr veröffentlicht Hahn seine letzte Liedersammlung, dann wendet er sich vermehrt der Instrumentalmusik zu – als ob er mit Proust auch seine Liebe zur Poesie verloren hätte. Alexandra Maria Dielitz
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Wir danken der Autorin und Frau Doris Sennefelder vom Münchner Rundfunkorchester für die freundlioche Genehmigung zur Textübernahme. Abbildung oben: Palazzetto Bruzane. ( Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/)
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.