ERATOs neues Album Amici Rivali hat das Zeug, zur Gesangsplatte des Jahres gekürt zu werden, sind auf ihr doch zwei der derzeit führenden Rossini-Tenöre versammelt (0190295269470). Lawrence Brownlee und Michael Spyres sind seit Jahren bei den Festivals von Pesaro und Bad Wildbad, die sich dem Werk des Komponisten widmen, präsent. Nun messen sie ihre virtuosen Gesangkünste erstmals gemeinsam in einem Programm, das Ausschnitte aus sieben Opern des Schwans von Pesaro präsentiert. Die beiden Amerikaner werden vom Ensemble I Virtuosi Italiani unter Leitung von Corrado Rovaris begleitet. Der Dirigent feuert die beiden Tenöre gebührend an, sie beide scheinen sich gegenseitig an Bravour, Eloquenz und stratosphärischen Tönen zu übertreffen, ohne dass man einen Sieger benennen könnte. Die Platte ist ein Fest für die Liebhaber schöner Stimmen und akrobatischer Gesangskünste.
Der Auftakt bietet eine besondere Überraschung, denn im Duett Figaro/Almaviva aus dem Barbiere di Siviglia übernimmt Spyres den Bariton-Part des Titelhelden, und dieser Ausflug in fremde Gefilde gelingt ihm überraschend gut. Mühelos trifft er die Noten in der ihm ungewohnten Region und besticht darüber hinaus mit resonanter und sinnlicher Klangfülle. Auf seiner ersten Solo-CD von 2011, A Fool For Love bei DELOS, hatte er noch Alamavivas oft gestrichenes Bravourstück „Cessa di più resistere“ interpretiert – die stimmliche Entwicklung mit einem deutlichen Zuwachs an baritonalem Fundament innerhalb einer Dekade ist erstaunlich. Zwei Jahre später hatte auch Brownlee bei derselben Firma ein Rossini-Album eingespielt, in welchem sich ein Ausschnitt aus einem Werk findet, das ebenfalls in der ERATO-Anthologie vertreten ist: La donna del lago. Es zählt zu jenen Opern Rossinis, die in Neapel das Zusammentreffen der zwei Superstars Andrea Nozzari und Giovanni David ermöglichten. Ersterer mit seiner substanzreichen tiefen Lage personifizierte den Typ des baritonalen Tenors, während der andere für seine brillanten Spitzentöne und die stupende Geläufigkeit gerühmt wurde. Er war in der Donna-Premiere von 1819 der romantische Uberto, während Nozzari den jähzornigen Rodrigo verkörperte. Bei ERATO messen sich Brownlee als Uberto und Spyres als Rodrigo, werden im Duett Elena/Uberto und Terzett Elena/Uberto/Rodrigo noch von der Mezzosopranistin Tara Erraught unterstützt, die mit reizvoll dunklem Timbre und eloquentem Vortrag für sich einnimmt.
Auch Ricciardo e Zoraide stammt aus Rossinis Schaffensphase in Neapel (1818). David sang den christlichen Ritter Ricciardo, Nozzari seinen Rivalen um die Gunst Zoraides, den exotischen König Agorante. Im ersten Ausschnitt, einem Duett zwischen Ricciardo und dem Kreuzritter Ernesto aus dem 1. Akt, gesellt sich zu Brownlee, der mit schwärmerischem Ton betört, der spanische Tenor Xabier Anduaga, der selbst in dieser Nebenrolle mit seinem Material aufhorchen lässt. Die zweite Szene (aus dem 2. Akt) vereint dann die beiden Protagonisten, wobei wiederum Spyres mit dunklerer Stimme grundiert und Brownlee mit explodierenden Spitzentönen aufwartet.
Elisabetta, regina d’Inghilterra war die erste der für das San Carlo in Neapel komponierten Opern (1815). Im Duett „Deh! Scusa i trasporti“ aus dem 2. Akt zeigen Brownlee als heuchlerischer Norfolk und Spyres als unrechtmäßig inhaftierter Leicester ihre reiche Ausdrucksskala.
Ein Jahr danach kam Otello zur Premiere, welcher durch die geforderten sechs Tenöre in der Besetzung eine besondere Herausforderung an ein Opernhaus darstellt. Für Spyres ist die Titelrolle zweifellos die perfekte Wahl. Auch der Iago ist ein baritonaler Tenor, hier von Anduaga gegeben, der im fulminanten Racheduett mit Otello effektvoll auftrumpft. Liebesrivale des Mooren ist Rodrigo, den Brownlee mit bravouröser Attacke ausstattet. Erraught als Desdemona versucht den Streit der beiden Wütenden mit eindringlichen Einwürfen zu schlichten.
Neben dem Barbiere ist Le Siège de Corinthe das zweite Werk dieser Anthologie, welches nicht für Neapel geschrieben wurde. Die Uraufführung dieser Überarbeitung von Maometto secondo fand 1826 in Paris statt. Den griechischen Offizier Néoclès singt Brownlee, der in der verzweifelten Anrufung Gottes („Grand Dieu“) mit vehementer
Emphase aufwartet und danach mit Spyres als Cléomène und Erraught als Pamyra das eindringliche, sich leidenschaftlich steigernde Terzett „Céleste providence“ anstimmt.
Der letzte Beitrag stammt aus der 1817 zur Premiere gekommenen Armida, einem Vehikel für Rossinis Gattin Isabella Colbran in der Titelrolle der Zauberin, doch war das Stück, welches nicht weniger als sechs Tenorpartien aufweist, auch ein Fest für die Verehrer der Tenöre. Nozzari sang den Ritter Rinaldo, bei ERATO ist es Spyres, der die enorme Skala seiner Stimme von der Tiefe bis in die Extremhöhe mit stupender Sicherheit durchmisst. Im Terzett „In quale aspetto imbelle“ wetteifert er mit Brownlee als Ubaldo und Anduaga als Carlo. Nach diesem Rossini-Feuerwerk von fast 80 Minuten ist man fast erschöpft, doch gewillt, die Platte bald wieder aufzulegen. Bernd Hoppe