Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Omaggio veronese

 

Das fünfzigjährige Wirken von Plácido Domingo in der Arena di Verona dokumentiert eine Veröffentlichung auf 2 DVDs bei C major classics/UNITEL mit dem Titel Plácido Domingo Opera Gala (755008). Mit 28 Jahren debütierte der 1941 in Madrid geborene Sänger im historischen Amphitheater als Calaf in Puccinis Turandot und Don Carlo in Verdis gleichnamiger Oper. Das beispiellose Jubiläum seiner Aktivitäten in Verona feierte er im Sommer 2019 im voll besetzten Arenarund mit einem Verdi-Programm – dem Komponisten, der in seiner Laufbahn eine zentrale Rolle einnahm. In drei Bariton-Partien, denn 2009 war er in dieses Fach gewechselt, demonstriert er seine reichen, auf den Bühnen in aller Welt gesammelten Erfahrungen. Stefano Trespidi hat die Szenen im Bühnenbild von Ezio Antonelli, mit dekorativen Video-Projektionen von Tiziano Mancini  und in prachtvollen Kostümen von Silvia Bonetti arrangiert. Jordi Bernàcer dirigiert das Orchester der Arena di Verona mit Verve und Italianità.

Den Auftakt bilden Ausschnitte aus Nabucco, beginnend mit der Sinfonia, die vom Choreografen Giuseppe Picone tänzerisch eher geschmäcklerisch illustriert wird, gefolgt vom berühmten „Va, pensiero“, das der Chor der Arena (einstudiert von Vito Lombardi) klangvoll ausbreitet und sich für ein Dacapo sogar in die Zuschauerreihen begibt. Als Zaccaria ist Marko Mimica von der Deutschen Oper Berlin engagiert im Einsatz. Domingo, mit Auftrittsapplaus begrüßt, ist in Szenen des Titelhelden aus dem 4, Akt zu hören – „Son pur queste mie membra?“, „Porta fatal/O prodi miei“ , „Ah, torna Israello“ und „Oh! Chi vegg’io?“. Der reifen Stimme mangelt es an baritonalem Kern, der Vortrag ist bemüht, doch nie gefährdet und wird mit Jubelstürmen quittiert. Darstellerisch gibt es nicht selten Momente am Rande der Lächerlichkeit. Géraldine Chauvet singt Fenenas Arie passioniert; Anna Pirozzi, die Sopranistin des Abends, ist als Abigaille nur in ihrer tragischen Schlussszene zu sehen.

Im Macbeth, dem Mittelteil des Programms, vom Chor mit der Klage der schottischen Flüchtlinge „Patria oppressa!“ eröffnet, kann sie in der Nachtwandelszene der Lady mit fahlen, verschatteten Tönen beeindrucken. Der Tenor der Gala, Arturo Chacón-Cruz, glänzt bei Macduffs ergreifender Arie „O figli“ mit strömender Fülle und leidenschaftlichem Ausdruck.  Domingo interpretiert wiederum Soli des Titelhelden aus dem letzten Akt – „Pietà, rispetto, amore“ und „Mal per me“. Die Baritonpartie gehört zu den von ihm am häufigsten interpretierten, was sich im souveränen Umgang mit der Musik und der Ausdrucksvielfalt widerspiegelt.

Zum Abschluss gibt es Szenen aus jenem Werk, das Domingos Beginn seiner Bariton-Karriere markierte: Simon Boccanegra. Zunächst kann Chacón-Cruz mit Gabrieles schwieriger Arie „O inferno!“ mit furiosem Einsatz imponieren und danach im Duett mit Amelia (Anna Pirozzi), „Parla, in tuo cor virgineo“, auch seine lyrischen Qualitäten zeigen. Simones Szene mit ihr, „Figlia?…Vecchio inerme il tuo braccio colpisce“ ist eine der längsten und berührendsten Nummern des Pogramms. Ähnlich gewichtig sind Simones Dialog mit Fiesco (Marko Mimica), „M’ ardon le tempia“ und das Finale der Oper „Gran Dio“. Domingo ist mit dieser Partie vertraut wie mit keiner anderen des Bariton-Repertoires und vermag das tragische Schicksal der Figur hoheitsvoll und ergreifend zu vermitteln. Am Ende leuchtet über der Bühne ein Schriftzug aus Fackeln auf: 50 DOMINGO, und beim Erscheinen des Tenors zum Schlussapplaus gibt es sogar noch ein opulentes Feuerwerk. Spektakulärer lässt sich ein Jubiläum nicht feiern. Bernd Hoppe

Zeffiretti lusinghieri

 

Nach Cleopatra und Mozart Arias I von 2016 legt die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann bei ihrer Stammfirma SONY nun das dritte Album vor (19439752372), welches im Februar dieses Jahres in der Schweiz aufgenommen wurde. Wie der Titel Mozart Arias II sagt, widmet es sich erneut Kompositionen des großen Salzburgers. Das Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti Michelangeli begleitet einfühlsam und dynamisch kontrastreich die Solistin, die in neun lyrischen Arien ihre anhaltend jugendlich frische Stimme und das feine Gespür für Farben, Schattierungen und Nuancen hören lässt. Die CD enthält Schönheiten aus Frühwerken des Komponisten, wie Ilias Arie„Zeffiretti lusinghieri“ aus Idomeneo, welche das Programm eröffnet. Schon das Rezitativ „Solitudini amiche“ gestaltet sie mit tiefer Empfindsamkeit und singt die Arie mit träumerischem Ausdruck. Auch Amintas „L’amerò, sarò sostante“ aus Il re pastore und Zaides „Ruhe sanft“ aus dem gleichnamigen Singspiel sind beliebte Nummern gleichermaßen bei Interpretinnen wie Opernfreunden. Erstere schrieb Mozart für den Soprankastraten Tommaso Consoli als zauberhaften Dialog mit der Solo-Violine. Bei Zaides Schlaflied dachte er wohl an seine große Liebe Aloysia Weber. Die eingängige Melodie mit einem herrlichen Oboen-Solo zählt zu den gelungensten Titeln der Platte. Weniger bekannt ist Rosinas „Amoretti“ aus La finta semplice. Die Bitte an die kleinen Liebesgötter ist eine zauberhafte Cavatina mit weiten Bögen von melancholischer Stimmung, von der Interpretin berührend vorgetragen.

Mit Susannas inniger Rosenarie, „Deh vieni non tardar“ aus Le nozze di Figaro erklingt das populärste Stück der Sammlung, aber Regula Mühlemann stellt auch eine wenig bekannte Einlage-Arie, „Un moto di gioia“, aus dieser Oper vor, die gelegentlich als Alternative für Susannas Solo im 2. Akt diente. Hier vernimmt man muntere Töne im Rhythmus eines Deutschen Tanzes. Ähnlich populär wie Susannas Arie ist die der Pamina, „Ach, ich fühl`s“, aus der Zauberflöte. In ihren Anfängen am Opernhaus Zürich war die Sängerin noch als Papagena besetzt. Nun beweist sie, dass sie auch die große lyrische Partie des Werkes mühelos bewältigt und sie darüber hinaus noch mit Herz zerreißenden Tönen auszustatten vermag. Mit Giunias „Parto, m’affretto“ aus Lucio Silla wagt sich die Sopranistin in die Gefilde des dramatischen Koloratursoprans. Mit zerklüfteten Figuren malt schon das Orchester den verzweifelten Zustand einer Frau in existentieller Situation aus, und auch die Stimme spiegelt diesen mit erregter Gesangslinie und hohen staccati wider. Mühlemann bewältigt die virtuosen Anforderungen des Stückes souverän, nur fehlt es dem Sopran dafür an Gewicht. Mit der Konzertarie „Ah se in ciel“, welche Mozart für Aloysia Weber, die inzwischen seine Schwägerin geworden war, komponierte und dabei deren hohes Virtuosentum mit überlangen Koloraturketten und exponierter Notierung bedachte, endet das Programm in stupender Bravour. Bernd Hoppe

Daniele Barioni

 

Mit Freude hörten wir vom 90. Geburtstag des italienischen Tenors Daniele Barioni, am 6. September 2020 Er gehörte zu der verdienstvollen Riege jener Sänger und Tenöre, die namentlich an der Met, aber auch in der italienischen Provinz unersetzlicher Bestandteil von Repertoire-Abenden waren. Er hatte das Pech, in einer Zeit von Di Stefano, Corelli oder Del Monaco zu singen und blieb wie seine Kolleginnen Antonietta Stella oder Leyla Gencer stets in der gewissen B-Kategorie stecken, wenngleich er mit den ganz Großen wie Renata Tebldi oder Maria Callas sang. Seine solide, nicht sonderlich markante, aber hoch zuverlässige Tenorstimme blieb weitgehend im mittleren, lyrischen Fach., wenngleich er auch als Dick Johnson in Puccinis Fanciulla hervortrat. Sammlern ist er von vielen Life-Aufnahmen bekannt, aber es gibt nur recht wenige offizielle Einspielungen von ihm, auf denen sich der Opern-Fan über die gut ausgebildete, gut tragende Tenorstimme freut. Nachstehend eine Würdigung aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens. G. H.

 

Barioni, Daniele, Tenor, * 6.9.1930 Copparo bei Ferrara. Nach einem fünfjährigen Studium bei Attilio Bordonali in Mailand debütierte er am dortigen Teatro Nuovo als Turiddu in »Cavalleria rusticana«. Er sang darauf an italienischen Opernhäusern. Hier hatte er große Erfolge, namentlich in Aufgaben aus dem lyrischen Stimmfach. 1956 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er als Antrittsrolle den Rodolfo in Puccinis »La Bohème« sang. Nach erfolgreichen Auftritten in mehreren Partien (u a. als Cavaradossi in »Tosca«, als Alfredo in »La Traviata« zusammen mit Maria Callas und als Pinkerton in »Madame Butterfly«) an diesem Opernhaus kam es 1958 zu einer skandalösen Mißfallenskundgebung des Publikums während einer Aufführung, so daß er seitdem nicht weiter an der Metropolitan Oper auftrat. Er setzte jedoch sein Wirken an Opernhäusern in seiner italienischen Heimat wie an europäischen und südamerikanischen Theatern als Gast fort und hatte hier in den sechziger Jahren erfolgreiche Auftritte. Er hat auch an der Oper von Philadelphia, in Kanada, in Mexiko und in Ägypten gesungen. Er war verheiratet mit der Pianistin Vera Franceschi († 1966); nach deren frühem Tod zog er sich mehr und mehr aus dem Musikleben zurück. Schallplatten: Auf Metropolitan Record Opera Club existiert ein Mitschnitt aus der New Yorker Metropolitan Oper von 1956, in dem er den Pinkerton in »Madame Butterfly« als Partner von Dorothy Kirsten singt; auf RCA singt er in Puccinis »La Rondine« den Ruggero zusammen mit Anna Moffo (1966), auf Gioielli della Lirica existiert ein Querschnitt durch Puccinis »La Fanciulla del West«. Auch Aufnahmen auf Jolly und auf RAI (hier Solo-Titel).  [Lexikon: Barioni, Daniele. Großes Sängerlexikon, S. 1279 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 187-188) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto Wikipedia)

Verlegerische Großtat

 

Gediegener geht es nicht: auf nachtblauem Grund eine Fülle von Namen in hellerem Blau, von denen einige durch etwas dickere Buchstaben dezent hervorstechen: Beethoven, Eötvös, Françaix, Humperdinck und auf der Rückseite Korngold, Kreisler, Nono, Penderecki  und schließlich Wagner. Sie künden von der Vielfalt der Komponisten, die die Dienste des Musikverlags in Anspruch nahmen, der, so der schlichte Untertitel, seit nunmehr 250 Jahren besteht und aus diesem Anlass eine Chronik mit dem Titel Die Schott Music Group, deren Logo eine halbe Note vor dem Firmennamen ist, herausgegeben hat.

Wer das reich und interessant bebilderte Buch durchblättert, dem wird schnell klar, dass es sich nicht um eine schlichte Firmengeschichte handelt, sondern , so auch das Vorwort, um Musik-, Sozial-, Geistes-, Wirtschaftsgeschichte und, möchte man hinzufügen, Kulturgeschichte. Der Band ist durchgehend chronologisch gegliedert, unterbrochen von Kapiteln über Sachgebiete wie zum Beispiel die Geschichte des Notenstechens oder des Schott-Archivs (heute vor allem in Berlin und München), außerdem werden den Chefs des Unternehmens besondere Abschnitte gewidmet. Zu jedem Kapitel gehört ein einführender Text, am Seitenrand ist Anekdotisches zu lesen, viele Quellen, ob Urkunden oder Briefe, so einer von Beethovens Hand, verleihen dem Werk viel Authentizität. Die einzelnen Kapitel sind von unterschiedlichen Autoren erstellt worden, die sich durchweg durch angenehme  Sachlichkeit und Kompetenz auszeichnen.

Es beginnt mit den Anfängen, den Jahren 1770 bis 1800, dem Gründer Bernhard Schott, dessen Vater Bäcker, aber auch bereits Notenstecher war. Der erste überlieferte Druck des jungen Unternehmens, das sein Gründer durch schwierige Zeiten mit wechselnder Herrschaft von Preußen und Franzosen über die Heimatstadt Mainz laviert, stammt aus dem Jahre 1779, von 1780 das Privileg zum Notenstechen, auf das man sich bald nicht mehr beschränkt, indem man auch mit Papier und Instrumenten handelt. Das alles geschieht dort, wo sich auch heute der Hauptsitz des Unternehmens befindet: in Mainz, Weihergarten 5. Zwei der drei Söhne Bernhards werden dessen Werk fortführen, es werden Filialen in Antwerpen, Paris, London und Sydney gegründet, mit wechselndem Schicksal, so wenn im 1. Weltkrieg deutsches Vermögen in England beschlagnahmet, deutsche Firmeninhaber interniert werden.

So spielgelt das Schicksal der Firma das deutsche wider und umgekehrt- und das wird überaus anschaulich und durch viel Bildmaterial vermittelt. Zeitströmungen, wie die wachsende Beliebtheit der Hausmusik auch in bürgerlichen Familien, bestimmen das Gedeihen der Firma, mit Konkurrenten wie Peters oder Breitkopf & Härtel muss man sich auseinandersetzen, Schott kauft viele andere Betriebe auf, verzichtet auf den Bau von Klavieren oder gibt Zeitschriften wie Cäcilia oder Der musikalische Hausfreund oder Lexika heraus.

Vielseitig ist das Buch, wenn es von der Kontaktaufnahme zu Richard Wagner wie auch von interessanten Fragen des Urheberrechts handelt.

Aus Schott wird B.Schotts Söhne, nämlich Andreas und Johannes Joseph, der dritte Sohn wird Militärmusiker in britischen Diensten und stirbt in Indien. Und nicht nur heutige Fernsehgrößen widmen sich dem Weinbau, das taten bereits die Schotts.

Der Ära Wagner ist ein eigenes Kapitel gewidmet, denn anders als Beethoven, der den Schotts zwar die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie überließ, aber in Wien blieb, quartiert sich Wagner bei seinen Verlegern ein, werden die Wesendonck-Lieder in ihrem Haus uraufgeführt. Aber auch vor Trivialem, so dem Gebet einer Jungfrau schreckt man nicht zurück, denn dies und Ähnliches bringen viel Geld in die Kasse.  Inzwischen ist bereits der Enkel des Gründers, Franz, der Chef des Hauses.

Im Jahre 1900 erscheint der Jahrhundertkatalog mit 847 Seiten, mit der preiswerten Edition Schott, eine Art Reclam-Heft, werden breite Schichten als Käufer geworben. Weitsichtig hat der letzte Schott-Chef ein Fünftel des Erbes einem jungen Mann namens Ludwig Strecker vermacht, der die Firma durch den 1. Weltkrieg und die nicht weniger gefahrvolle Zeit danach führt. Auch in dieser Epoche ist die Verlagsgeschichte ein Spiegelbild der allgemeinen Geschichte und gerade deswegen eine so wertvolle Lektüre. Hindemith, Orff, Strawinsky werden gewonnen, und wie im Jahrhundert zuvor gibt es nicht nur geschäftliche, sondern auch enge menschliche Beziehungen zwischen Verleger und Komponisten. Ein „großer Erfolg“ und ein „Tiefpunkt“ zugleich ist die finanziell erfolgreiche Herausgabe des Soldatenliederbuchs in der Nazizeit.

Ludwig Strecker jun. Ist nicht nur Verleger, sondern auch Librettist, so zu Egks Die Zaubergeige oder Wolf-Ferraris Der Kuckuck von Theben. Die Frauen der Verleger werden in dem Buch nicht vergessen, ob sie nun Herrin eines musikalischen Salons sind oder sich um die Rehabilitierung von von den Nazis verfemten Werken kümmern.

Nach dem Krieg werden neue Komponisten gewonnen, so Henze, Reimann, Penderecki, Ligeti. Ab 1974 leitet Peter Hanser-Strecker den Verlag, der bis 1955 in der französischen Zone ansässig war, ehe die Bundesrepublik  souverän wurde. Musikalische Zeitschriften wie Melos und Darmstädter Beiträge, Lehr-und Unterrichtswerke, schließlich auch Popmusik und moderne Instrumente gehören nun zum Sortiment. Über mehrere Seiten erstreckt sich das Verzeichnis von Unternehmen, die in den letzten Jahrzehnten in Schott aufgingen, über 100 000 Medien sind auf Webseiten verfügbar, 31 000 käufliche Titel, zu denen jährlich 500 neue kommen. Ein Interview mit Peter Hanser-Strecker bildet das letzte Kapitel, und schließlich wird darauf hingewiesen, dass für die Nachfolge bereits die Tochter Saskia bereit steht. Joy of music ist das Jubiläumsmotto, und es passt zu dem Unternehmen, auf das Deutschland stolz sein kann (145 Seiten, 2020 Schott Music). Ingrid Wanja

Miloslava Fidlerová-Sopirová

 

Die Opernsängerin und  langjährige Solistin des Prager Nationaltheaters Miloslava Fidlerová-Sopirová (geb. 28. April 1922 in Prag)) starb am 3. September 2020 ebendort. Sie war mehr als 36 Jahre Mitglied des Ensembles. Nachstehend eine Hommage an sie, die wir auf der website der DN Divadelni noviny fanden, die Übersetzung besorgte der google translator, daher Bitte um Nachsicht.

Bereits im September 1941 sang sie die Rolle des Knappen Tebald in Verdis Don Carlos,  kurz nach der Brautjungfer in Webers The Sorcerer,  und sang wiederholt die Rolle der Esmeralda in The Bartered Bride . Die Zusammenarbeit mit Václav Talich war äußerst wichtig für die Weiterentwicklung ihrer Gesangsfähigkeiten. Im Bereich der Bühnenperformance war es der Einfluss von Regisseur Ferdinand Pujman, der sie am Konservatorium unterrichtete. Der junge Sänger wurde gezielt geführt, um vor allem die lyrischen Sopranrollen des tschechischen klassischen Repertoires zu interpretieren, insbesondere die Werke von Bedřich Smetana. Zunächst wurden ihr Rollen eines weniger anspruchsvollen, eher subtilen Typs zugewiesen. Neben den bereits erwähnten Esmeralda und Baruška war es beispielsweise Lidka in Smetanas Zwei Witwen. Václav Talich besetzte sie in der Rolle der Barberinka (damals wurde die Figur Baruška genannt) bis zu seiner Premiere von Mozarts Figaro – Hochzeit im Frühjahr 1943. Ab dem 1. September desselben Jahres wurde sie Solistin an der Nationaltheateroper.

Sie spielte auch in einer Reihe kleinerer Rollen, wie zum Beispiel der Figur von Hostinská in Smetanas Secret , die normalerweise älteren Sängern zugewiesen wird. Sie trat in dieser Rolle auch unter der Leitung von Václav Talich am 31. August 1944 in der letzten Aufführung des Nationaltheaters auf, bevor die Theater von den Besatzern geschlossen wurden.

Und sie trat auch in der Uraufführung nach der Befreiung auf, die Smetanas The Bartered Bride am 13. Mai 1945 war , in der sie erneut die Rolle der Esmeralda spielte. Anfang September folgten kurz hintereinander drei Premieren. In Nováks Zvíkovský rarášek trat sie in der Rolle von Markéta auf, in Fibichs Šárka spielte sie die Rolle von Mlada, die sie später mit Svatava abwechselte, und vor allem hatte sie die Rolle von Vlčenka in Smetanas Brandenburg in Böhmen, die sie in mehreren anderen Produktionen spielte.

Es war klar, dass Talichs Einschätzung seiner Qualitäten richtig war. Unsere erste Opernbühne gewann einen hervorragenden Vertreter einer Vielzahl lyrischer Sopranrollen, insbesondere im tschechischen Repertoire. In ihnen konnte sie ihre saubere, klangvolle, technisch brillant gemeisterte, farbenfrohe Stimme, die Kunst der Cantilena und die Fähigkeit klarer und strahlender Höhen voll anwenden. Sie zeichnete sich immer durch perfekte Ausdrucksweise, Bühnencharme und Charme aus, dank derer sie eine hervorragende Vertreterin junger Mädchen und Naiven war.

Dank der Genauigkeit ihrer Gesangsdarbietung und ihres Bühnencharakters wurde sie zu einer der Hauptstützen des Ensembles und erhielt vom Repertoire des Nationaltheaters ernstere Aufgaben – Smetanas Vlčenka in Brandenburg in Böhmen , Mařenka in The Bartered Bride , Jitka in Dalibor , Anežka in Two Widows , Barče und Vendulka in Kiss , Blaženka in Secret , Kate und Hedwig in der Teufelsmauer , Dvorak Terinka, die Jakobiner und die zweite Waldnymphe in Rusalka , Beatrice in Fibichova Messina , Janaceks Jenufa in Jenufa und die Drei-Málinka Etherea in KunkaAusflüge des Herrn Broucek , Hanif Novak in Lucerna , Xenia in Mussorgskys Boris Godunow und Dvoraks Dimitri , Marcelina in Beethovens Fidelio , Frasquita und Micaela in Bizets Carmen , Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin , Eva in Wagners Meistersinger von Nürnberg , Desdemona in Verdis Otello .

Sie hat schnell Fuß gefasst, besonders in Smetanas Repertoire. Ihre schicksalhafte Oper wurde The Bartered Bride. Sie hat in insgesamt neun Produktionen mitgewirkt, zuerst in der Rolle von Esmeralda und dann in Performances, deren Zahl dreistellig war, in der Rolle von Marenka. Darin übte sie alle ihre Stärken in den Bereichen Gesang, Schauspiel und Persönlichkeit aus und wurde eine ihrer besten Vertreterinnen in der tschechischen Opernszene in ihrer gesamten Geschichte. Zu dieser Zeit galt sie als unsere beste Marenka. Sie sang diesen Charakter und spielte insgesamt neun Studien. In der letzten von ihnen, die das Werk des Dirigenten Jaroslav Krombholec und des Regisseurs Přemysl Kočí war und in der Marenka von Gabriela Beňačková übernommen wurde, war sie Ludmilas Vertreterin bei der Premiere und in Dutzenden anderer Wiederholungen (bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Theater).

In Dalibor spielte sie die Rolle der Jitka, in Hubička wurde sie durch Dutzende von Wiederholungen ersetzt, die fröhliche Barča in anderen zahlreichen Auftritten der ernsthaften Vendulka. Zu ihren Top-Rollen gehörten Blaženka in Tajemství und Katuška in Čertova stěna. In Two Widows tauschte sie schließlich Lidka gegen die dramatische Agnes aus. In vielen Wiederholungen konnten Besucher von Libuše ihre unterstützende Sopranistin in einem Quartett von Schnitter auf einem Bühnenbild hören.

Sie sang in allen Opern von Smetana, trat aber auch in den Werken von Antonín Dvořák, Zdeněk Fibich, Leoš Janáček, Vilém Blodek und Karel Kovařovice auf. Vítězslav Novák, Otakar Jeremiáš, Bohuslav Foerster und andere.

Sie begegnete der Arbeit von Antonín Dvořák zum ersten Mal in der ersten Nachkriegssaison in der Rolle der Sirene in Armida. In Rusalka war sie seit langer Zeit regelmäßig Vertreter von Druhá Zinka , in der Oper SELMA sedlák stellte sie sich zunächst als Comic – Berta und später als sanfte Bětuška, in Dimitrijov spielte sie die Rolle von Xenia und in Král a Uhlár der Charakter Liduška. Einer der Höhepunkte ihrer Arbeit war die Rolle der Terinka in Jakobín . Sie hat in vielen Dutzend Wiederholungen von vier verschiedenen Produktionen gespielt. Sie blieb unserer ersten Opernszene bis zu ihrer Pensionierung am 31. Dezember 1978 treu.

Ihre geschmeidige und sanfte Stimme war für die Interpretation slawischer Musik geeignet. Sie widmete sich aber auch dem Weltrepertoire. Die Aufführung in Konzertsälen zeichnete sich durch perfekte Vorbereitung, Sensibilität und Gesangsfähigkeit aus.

Ihre Gesangsfähigkeiten bleiben in den Filmen von Czechoslovak Radio und Supraphon ( hier ) erhalten. Sie war auch in der pädagogischen Arbeit beschäftigt. In den Jahren 1969–78 unterrichtete sie Solo-Gesang am Prager Konservatorium, von 1978 bis 1992 am Bratislavaer Konservatorium. Am 24. März 2007 wurde sie mit dem Thalia-Preis für ihr Lebenswerk in der Oper ausgezeichnet. 1974 heiratete sie und ließ sich in Bratislava nieder. (Foto oben: als Marenka in der Verkauften Braut, Nationaltheater Prag 1953. Foto von Jaromír Svoboda)

 

Potsdamer Festspieldokument

 

Im Sommer 2020 übernahm Dorothee Oberlinger die Intendanz der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, betitelte ihre erste Saison Musen und dirigierte die Opernproduktion in der Orangerie, Giovanni Battista Bononcinis Polifemo, auch selbst. Die deutsche harmonia mundi/SONY hat die Aufführung dieser Pastorale, uraufgeführt 1702 im Lustschloss von Königin Sophie Charlotte in Lietzenburg, im Juni mitgeschnitten und nun auf  2 CDs veröffentlicht (19439743802). Der Librettist Attilio Ariosti verwendete für seinen Text Mythen der Verserzählung Ovids um den Schäfer Acis, den Zyklopen Polifemo, die Nymphen Galatea und Silla, den Fischer Glauco und die Zauberin Circe. Die Musik enthält zwanzig Nummern, fast alle in Da-capo-Manier komponiert und von sehr virtuosem Anspruch. Am Beginn steht eine Ouvertüre in französischem Stil, welche das von Dorothee Oberlinger gegründete Ensemble 1700 galant und effektvoll musiziert. Die Dirigentin ist mit forschem, straffem Zugriff und einfühlsamer Begleitung der Solisten der Motor der Aufführung. Die Arien kommen Affekt betont und akzentuiert zu gebührender Wirkung, das Continuo mit Laute, Cembalo und Cello sichert einigen eine besonders aparte Stimmung.

Eine exquisite Besetzung garantiert ein hohes gesangliches Niveau, angeführt von Joao Fernandes als Titelheld mit resonantem, auftrumpfendem Bass. Die Überraschung ist der sensationelle Auftritt des jungen brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá als Aci. Die klare Stimme mit einer enormen Reichweite bis in die Extremhöhe von angenehmem, nie grellem Ton übertrifft im ersten Duett an Klangschönheit sogar die von Galatea. Seine Soli „Partir vorrei“  und „ Bella dea“ (mit einer Atem beraubenden Kadenz) markieren die vokalen Glanzlichter der Aufführung. Als Galatea ist die renommierte Barockspezialistin Roberta Invernizzi zu hören, die stilistisch zwar ihre reichen Erfahrungen einbringen kann, doch mit zu reifem, ältlichem Ton der Figur die jugendliche Frische schuldig bleibt. In den eindringlichen Klagen der Partie (wie „Dove sei“) wirkt sie am stärksten. Auch Roberta Mameli ist eine anerkannte Größe in diesem Repertoire. Ihre Silla überzeugt gleichermaßen mit keckem Ausdruck und munteren Koloraturen wie betörenden, flehentlichen Klängen („Soccorrete“). Die Zauberin Circe hatte sie aus Eifersucht in ein Monster verwandelt. Liliya Gaysina sorgte mit furiosem Auftritt und der fulminant hingeschleuderten Arie „Pensiero de vendetta“ für einen dramatischen Kontrapunkt im Gefüge der anderen lyrischen Arien. Glücklicherweise vermag die Liebesgöttin Venere, Silla ihr früheres Aussehen zurück zu geben. Maria Ladurner becirct mit feinem Sopran. Bedingung für Sillas Rückverwandlung war, dass die Nymphe die Zuneigung des Fischers Glauco annehme. Als dieser ist  Helena Rasker ein weiterer Trumpf der Besetzung. Der klangvolle Alt verströmt sich leidenschaftlich in den Gesängen der Zuneigung für Silla, doch steht ihm gleichermaßen auch die ausgewogene, edle Kantilene zu Gebote. Alle Solisten vereinen sich am Ende zum warnenden Schlusschor „Farfalletta che segue l’Amor“. Denn: Der wird den Schmerz finden, der die Lust sucht. Das Sinnbild meint den Schmetterling, der sich der Flamme nähert und verbrennt. Bernd Hoppe

Inès RIVADENEIRA

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode der spanischen Spopranistin Inès RIVADENEIRA (am 3. August 2020 in Madrid), geboren am 2. November 1928 in Lugo (Provinz Valladolid, Spanien); ihr Vater gehörte der Militärpolizei an. Sie sang als Kind im Chor de los Dominicos de San Pablo in Valladolid, dessen Dirigent Heraclio García Sanchez sie zuerst unterrichtete, und der dafür 03sorgte, dass sie mit einem Stipendium der Stadt Valladolid das Real Conservatorio Madrid besuchen konnte. Hier war sie Schülerin von so bedeutenden Sängerinnen und Pädagoginnen wie Lola Rodriguez de Aragón und Angeles Ottein. Nachdem sie mehrere Gesangwettbewerbe in Spanien gewonnen hatte, konnte sie ihr Studium an der Wiener Musikakademie, u.a. bei Erik Werba, vervollständigen. Sie heiratete den Violaspieler des Orquesta Nacionál de España Argimiro Pérez Cobas. 1951 trat sie, noch während ihrer Ausbildung, in einem Konzert in Valladolid erstmals öffentlich auf. Im gleichen Jahr sang sie in Paris in »Don Perlimplín« von V. Rieti, 1952 am Gran Teatre del Liceo in Barcelona in »Soledad« von Juan Manén. Sie hatte ihre großen Erfolge auf dem Gebiet der Zarzuela, trat aber auch in einer Vielzahl von Opernpartien auf. Sie sang in Madrid und Barcelona, in Lissabon, San Sebastian und Oviedo (Preziosilla in »La forza del destino«, Maddalena im »Rigoletto« und Ulrica in »Un Ballo in maschera« von Verdi), in Bilbao (Zita in Puccinis »Gianni Schicchi« und Marcellina in »Le nozze di Figaro«) und hatte 1966 einen ihrer größten Erfolge als Carmen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona. 1964 wirkte sie in der Uraufführung der Oper »El hijo pródigo« von Joaquín Rodrigo mit. Sie trat gastweise in Italien und England (u.a. in London in »El amor brujo« von de Falla unter der Leitung von E. Halffter), in Frankreich und in Marokko auf. 1980 gab sie ein letztes Konzert in der Londoner Albert Hall, zusammen mit Victoria de los Angeles. Seit 1979 nahm sie eine Professur an der Escuela Superior de Canto in Madrid wahr.

Schallplatten: Philips (»El amor brujo« unter Igor Markevitch), zahlreiche Zarzuela-Aufnahmen auf Columbia (»El ultimo romantico« von Soutullo mit Teresa Berganza, »Agua, azucarillos y aguardiente« von Chueca, »La verbena de la paloma« von T. Bretón, »La revoltosa« von R. Chapí) und Alhambra (»Luis Alonso« von Jiménez, »La chula de Pontevedra« von Jiménez, Luna und Brú, »El amigo Melquíades« von Serrano und Valverde). 

 

Sinfonisches, Vokales und Kammermusik

 

Parallel zur baldigen Präsentation des chef d´ouevre Joseph Martins Kraus´, seine Oper  Æneas i CartagoAeneas in Carthago, schauen wir auf den instrumentalen und vokalen „output“ des ebenso fleissigen wie genialen deutschen Komponisten am schwedischen Hofe Gustav III. Gerhard Eckels hat sich mit acht CDs bei Naxos (ein Label, das sich besonders für Kraus einsetzt und mit den Ballettmusiken wenigstens einen kleinen Vorgeschmack auf die große Oper gibt, die in den Achtzigern mal als Aufnahme geplant ware, wozu es allerdings nicht kam) hindurchgehört, chapeau. Lohnend, wie er findet. Nacstehend seine Eindrücke und unser Dank für soviel Durchhaltekraft. G. H.

 

In den Jahren 1996 bis 2007 und 2013 hat NAXOS einen großen Teil des beträchtlichen kompositorischen Schaffens des Deutsch-Schweden Joseph Martin Kraus (1756-1792) aufnehmen lassen.  Einen schönen Überblick über den späten Komponier-Stil des vielseitig begabten Mozart-Zeitgenossen bieten die Instrumentalstücke aus seiner letzten, erst sieben Jahre nach seinem Tod in Stockholm uraufgeführten, monumentalen Oper Aeneas in Carthago. Das  Sinfonieorchester der finnischen Stadt Jyväskylä unter der Leitung des französischen Flötisten und Dirigenten Patrick Gallois führt mit stets durchsichtiger Spielweise von den kontrastreichen Ouvertüren zu Prolog und 1.Akt über Ballette und Märsche bis zur großen Final-Chaconne der Oper. Kraus greift häufig zu tonmalerischen Mitteln, wenn man bereits in der Prolog-Ouvertüre von unberechenbaren Winden aufgewühlte Wellen oder im Ballett Sturm selbigen mächtig aufbrausen hört. Das Herzstück des zweiten Aktes ist die königliche Jagd; hier meint man, die Jäger nach dem kurzen Eröffnungsruf in alle Richtungen davon stürmen zu sehen. In den Märschen sieht man die Krieger geradezu marschieren und in den Tänzen der carthagischen Mädchen diese tanzen. Die Märsche im 3.Akt illustrieren mit  feierlichen Schreitfolgen Didos Gefolgsleute, während die Numidier mit exotischen Klängen, verursacht durch Schlagwerk, Piccolos und Trompeten charakterisiert werden. Ein weiteres gutes Beispiel für Kraus‘ Gestaltungskraft ist die Introduktion zum 5.Akt, wenn die sich zuspitzende Dramatik des Bühnengeschehens deutlich wird (NAXOS 8.570585).

 

Joseph Martin Kraus/ OBA

Das Helsinki Baroque Orchestra hat unter seinem künstlerischen Leiter Aapo Häkkinen im Juni 2013 im finnischen Espoo vier Ouvertüren und sieben Konzertarien aufgenommen. Die Ouvertüren schlagen einen Bogen von Kraus‘ erstem richtigen Erfolg (1781) am Hof des schwedischen Königs Gustav III., der Oper Prosperin in deutlich erkennbarer Gluck-Nachfolge, über die Geburtstags-Ouvertüre (1782) und die Ouvertüre zur Oper Äfventyraren (Abenteurer) bis zur tieftraurigen Begräbnis-Kantate (1792). Das renommierte, auf Barockes spezialisierte Orchester musiziert die frühklassischen Ouvertüren mit akzentreichem Spiel. Dabei sorgt der versierte Dirigent dafür, dass die zahlreichen starken Kontraste zwischen sanftem Streicherklang und unvermittelt hereinfahrenden Trompeten- und Schlagzeug-Stößen effektvoll herausgestellt werden. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen, meist apart instrumentierten Arien, als Zwischenstücke zu Schauspielen und für den Gebrauch im Konzert komponiert, interpretiert die finnische Mezzosopranistin Monica Groop, ebenfalls eine Spezialistin für Alte Musik, mit flexibler, ausgesprochen kultivierter Führung ihrer in allen Lagen ausdrucksvollen Stimme (NAXOS 8.572865).

 

Eine weitere CD enthält die Ballettmusiken von J.M. Kraus. Da hört man zunächst die beiden so genannten Pantomimen, tänzerische Zwischenstückchen zu Lustspielen, die wahrscheinlich zwischen 1769 und 1772 in Kraus‘ Schul- und Studenten-Zeit in Mannheim entstanden sind, wo er das Jesuitengymnasium und das Musikseminar besuchte. Die jeweils kurzen, drei- und viersätzigen Stücke bieten gefällige Musik in passend tänzerischen Rhythmen. Außerdem enthält die CD zwei ganz kurze Einlagen zu Armida von Gluck, ein Schreittanz-ähnliches Menuett im 1.Akt und eine stürmisch anmutende Überleitung im 4.Akt. Im Zentrum der 2005 im schwedischen Örebro eingespielten Aufnahme steht das rund 50-minütige Ballett Fiskarena (Die Fischerin), uraufgeführt 1789 in der Königlichen Oper Stockholm. Das Stück in der Choreografie von Antoine Bournonville, der als der Begründer des Balletts in Skandinavien gilt, war außerordentlich erfolgreich und stand nach der Premiere nahezu 40 Jahre auf dem Spielplan des Opernhauses. Die harmlose Geschichte um ein schönes Fischermädchen, ihren Verlobten und einen um das schöne Mädchen werbenden, aber mit Hilfe von Jacks Freunden arg düpierten Kaufmann wird durch das Auftreten angelsächsischer und ungarischer Fremder angereichert, sodass Kraus die gute Möglichkeit hat, in zahlreichen, abwechslungsreichen Divertissements verschiedenste Folklore musikalisch darzustellen; vieles klingt übrigens wie eine Verbeugung vor dem Zeitgenossen Mozart. Durch besondere Klarheit des Musizierens gefällt das Schwedische Kammerorchester, das von Petter Sundquist souverän geleitet wird (NAXOS 8.557498).

 

Von den mehr als 60 Liedern in sechs verschiedenen Sprachen von J.M. Kraus gibt es 26 Vertonungen deutscher Gedichte, die 2004 sämtlich von NAXOS eingespielt worden sind. Davon stammen die Hälfte von Matthias Claudius, der dem Göttinger Hainbund nahestand, einer zum Sturm und Drang tendierenden literarischen Gruppe von Studenten und deren Freunden, die wesentlich von Friedrich Gottlieb Klopstock beeinflusst waren. Auch Kraus sympathisierte in seiner Göttinger Zeit (1776-78)  mit dem Hainbund und seinen Zielen. Neben Claudius sind bei den wohl 1783 bis 1788 komponierten Liedern deutscher Sprache u.a. auch das Hainbund-Mitglied Friedrich Leopold zu Stolberg, Johann Gaudenz von Salis und natürlich Klopstock vertreten. Kraus bevorzugt zumeist die einfache Strophenform in seinen Liedern, in denen bei schlichter Klavier-Begleitung neben den typisch lyrischen Elementen auch manche dramatischen Entwicklungen nicht fehlen. Besonderen Witz entfalten die Lieder Die Henne, Die Mutter bei der Wiege über die Ähnlichkeit der Nase des Vaters zum Kind (beide M. Claudius) und Die Welt nach Rousseau (mit schrillem Pfiff des Sängers). Aus dem Rahmen der einfach strukturierten Lieder fällt das ungewöhnlich ausgedehnte Lied Abschied, das in rezitativischer Form auf eigene Worte komponiert wie eine Solokantate wirkt. All dies setzen Birgid Steinberger, seit 1993 im Ensemble der Wiener Staats- und Volksoper und Martin Hummel, Professor an der Musikhochschule Würzburg, durchaus gekonnt um. Die Sopranistin gefällt mit klarer, blitzsauberer Stimme, während beim Bariton auffällt, wie unkompliziert und prägnant er die Inhalte der Lieder wiedergibt. Beide überzeugen mit guter Textverständlichkeit und stellen jeweils die Unterschiede der einzelnen Strophen deutlich heraus. Außerdem passen ihre Stimmen in den vier Duetten der Aufnahme bestens überein. Am historischen Hammerklavier begleitet partnerschaftlich mitgestaltend der versierte Pianist Glen Wilson (NAXOS 8.557452).

 

Von den bekannt gewordenen fünfzehn Sinfonien von J.M. Kraus sind zwölf erhalten geblieben, die das Schwedische Kammerorchester unter Petter Sundkvist mit zwei Ouvertüren und drei weiteren sinfonischen Einzelsätzen in den Jahren 1996 und 1998 bis 2000 eingespielt hat. Die erste CD beginnt mit der 1792 erstmalig aufgeführten Ouvertüre mit beträchtlichem dramatischem Impetus zu Voltaires Tragödie Olympie, zu der Kraus außerdem einen Marsch und mehrere Zwischenspiele komponiert hat. Von den drei Sinfonien in Es-Dur, C-Dur und c-Moll dürfte letztere von gewisser Bedeutung sein, ist sie doch Joseph Haydn gewidmet, unter dessen Leitung sie 1783 uraufgeführt wurde. Sie ist stark geprägt von den bei Kraus typischen, teilweise unerwarteten Kontrasten und Akzenten (NAXOS 8.553734).

 

Vol. 2 der Aufnahmen enthält vier Sinfonien in Dur-Tonarten, von denen die in A-Dur und die Sinfonie buffa, eine Art Miniatur-Pantomime, wahrscheinlich bereits in Kraus‘ Mannheimer Studienjahren (1768-1772)  entstanden sind. Bei beiden Werken kann man sich wie so oft bei der Sinfonik des Komponisten gut vorstellen, dass zumindest gedanklich ein dramatisches Geschehen im Hintergrund steht. Auch die Sinfonie in F-Dur – für kleines Orchester, besetzt nur mit Streichern und zwei Hörnern – stammt wohl bereits aus 1775, während die C-Dur-Sinfonie (mit Violin obligato) in seinen ersten Jahren in Stockholm entstanden sein dürfte (NAXOS 8.554472).

 

Auf der dritten CD sind mit einer Ouvertüre drei Sinfonien in Moll-Tonarten zusammengefasst. Die ausdrucksintensive d-Moll-Ouvertüre wurde für den Karfreitags-Gottesdienst 1790 komponiert; zwei Jahre später verwendete sie Kraus zum Auftakt der Begräbnis-Kantate für Gustav III. Die Ouvertüre passt gut zu der wegen des traurigen Anlasses, die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III., berühmt gewordenen Symphonie funèbre in c-Moll, die, beginnend und endend mit dumpfen Trommel-Schlägen, in vier langsamen Sätzen die Bestürzung des Komponisten über den Attentats-Tod des Monarchen ausdrückt. Die wie fast alle Werke dieser Art dreisätzige e-Moll-Sinfonie, 1782 entstanden, ist von zupackender Dramatik und lässt deutlich erkennen, dass Kraus von Antonio Rosetti und Joseph Haydn beeinflusst war. Die viersätzige cis-Moll-Sinfonie weist vor allem im einleitenden Andante di molto auf Christoph Willibald Gluck hin, dessen Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis Kraus ein Vorbild gewesen sein könnte (NAXOS 8-554777).

 

Vol. 4 beginnt und endet mit einer kurzen Reichstagssinfonie und einem Reichstagsmarsch, beide Teil einer zur Parlamentseröffnung im März 1789 zur Werbung für den gegen Dänemark und Russland geführten Krieg komponierten Musik. Für die Es-Dur-Sinfonie (vgl. Vol. 1) schrieb Kraus einen hier veröffentlichten, alternativen langsamen Satz, ein empfindungsreiches Larghetto. Bei den beiden weiteren Sinfonien in F-Dur und D-Dur ist die Autorschaft Kraus‘ zweifelhaft, obwohl in beiden Werken manches an seinen Komponierstil erinnert, wie die wieder starke Akzentuierung oder plötzliche Tremolo-Effekte (NAXOS 8.555305). Insgesamt ist zu den Sinfonien positiv herauszustellen, dass das Schwedische Kammerorchester mit ungemein durchsichtigem Spiel nicht nur die unverbrauchte Frische der akzentreichen Sinfonien mit ihren vielen auch dynamischen Überraschungen aufs Feinste herausgearbeitet hat, sondern auch die tief empfundenen Trauer-Passagen sehr glaubhaft zum Ausdruck bringt. Daran hat natürlich der Dirigent Petter Sundkvist, der für hörbar präzises Zusammenspiel gesorgt hat, wesentlichen Anteil.

 

Eine weitere CD enthält in Erstveröffentlichungen das Violinkonzert C-Dur, die Musik zu der Tragödie Olympie des schwedischen Dichters der Aufklärung Johan Henrik Kellgren und das letzte Ballett-Divertissement aus Kraus’ erster Oper Azire. Bereits früh hat sich der Komponist mit Instrumentalkonzerten beschäftigt: Von den mehreren bis 1778 geschaffenen Werken dieser Art, dabei ein Quadrupel-Konzert für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, ist nur das Violinkonzert C-Dur erhalten. Das gefällige Werk orientiert sich mehr an den virtuosen Konzerten eines Viotti als an den strukturell noch einfacheren von Carl Stamitz oder Joseph Haydn. Die Solistin der vorliegenden Aufnahme ist die japanische Geigerin Takako Nishizaki, die das Konzert gemeinsam mit dem New Zealand Symphony Orchestra unter dem deutschen Dirigenten Uwe Grodd interpretiert. Dabei leidet das Miteinander von Solistin und Orchester darunter, dass die Tutti-Stellen nicht homogen genug sind, weil die Holzbläser teilweise zu sehr aus dem Gesamtklang herausstechen. Dazu kommt, dass die Geigerin die vielen lyrischen Passagen nicht genügend auskostet; im Übrigen bewältigt sie ihren Part auch in den virtuosen Passagen mit manchen Intonationstrübungen allzu routiniert. Die Kadenzen stammen übrigens von dem Kraus-Spezialisten Bertil van Boer, dessen klugen, sehr sorgfältigen Einführungen in den Beiheften fast aller hier besprochenen CDs ganz wesentlich zum Verständnis der eingespielten Werke beitragen.
Die Schauspielmusik zu Kellgrens Tragödie Olympie entstand 1791, als sich herausstellte, dass die für 1792 vorgesehene Uraufführung der monumentalen Oper Æneas i Cartago, deren Librettist Kellgren war, erneut verschoben werden musste. Deshalb erhielt Kraus den Auftrag, eine Schauspielmusik für die Tragödie zu schreiben, deren Premiere schließlich am 7. Januar 1792 stattfand. Für den düsteren Inhalt des Stücks, das im Massenselbstmord der Protagonisten endet, ist der Kompositionsstil von J. M. Kraus mit seinen zahlreichen dramatischen Elementen bestens geeignet.
Als Kraus 1778 nach Schweden kam, machte er sich sogleich an die Arbeit, um das Drama Azire seines Göttinger Kommilitonen Carl Stridsberg zu vertonen. Davon ist leider nur die kurze, fünfsätzige Ballettmusik erhalten, die die vorliegende Aufnahme abschließt. Vor allem zur Schauspielmusik mit seiner mächtigen, wild aufbrausenden Sturm und Drang-Ouvertüre und den wieder höchst akzentreichen Zwischenaktmusiken passt das etwas schroffe Klangbild des neuseeländischen Orchesters deutlich besser als bei der Ballettmusik und dem Violinkonzert (NAXOS 8.570334).
J.M. Kraus hat sich auch mit Kammermusik beschäftigt, überwiegend in seinen ersten Jahren in Schweden und auf der großen Studienreise. Von den über zwanzig Werken für verschiedene Kammermusik-Besetzungen ist etwa die Hälfte für Streichquartett komponiert. Von den übrigen, an denen das Klavier beteiligt ist, haben sich fünf Violinsonaten und ein Klaviertrio erhalten; weitere Trio-Sonaten sind verloren gegangen. Eine Doppel-CD enthält diese Violinsonaten und das Klaviertrio neben einem einfach gestrickten Allegro, wohl gedacht für Studierende der Stockholmer Musikakademie zur Übung des Zusammenspiels von Klavier und Violine. Die Interpreten dieser Werke sind der kanadische, an der Universität von Alberta lehrende Pianist und Cembalist Jacques Després und der in den USA wirkende Geiger Walter Schwede, zu denen im Trio der kanadische Cellist John Friesen hinzutritt. Beim Klaviertrio ist auffällig, dass die Streicher gegenüber dem Klavier keineswegs nur begleitende Funktionen haben, wie es meist in anderen frühklassischen Werken, wie z. B. von Joseph Haydn geschieht. Hier hört man partnerschaftlich ausgewogenes Musizieren, wobei im 3. Satz, einem Ghiribizzo Allegro (launisches Allegro), manches wie italienische Folklore klingt, was die Künstler der Aufnahme mit Elan ausspielen. Die schon 1877 komponierte, zweisätzige d-Moll-Sonate der Sammlung ist eine damals bereits aus der Mode gekommene Continuo-Sonate – bei der späteren Veröffentlichung als Sonata per Violine solo e Basso bezeichnet – , bei der das Cembalo die teilweise virtuos aufspielende Geige „nur“ begleitet. Die übrigen vier jeweils knapp 30-minütigen Sonaten für Klavier und Geige sind dreisätzig und lassen die Instrumente fast durchgehend gleichberechtigt erscheinen. Die Musiker der Einspielung überzeugen in ihrem erfolgreichen Bemühen um spielfreudiges, gefälliges Musizieren, ohne dass sich einer von ihnen unnötig in den Vordergrund drängt (NAXOS 8.570023-24).
Und schließlich gibt es da auch noch eine CD, die all das enthält, was J.M. Kraus für Klavier solo komponiert hat (NAXOS 8.555771). Anders als bei seinen Zeitgenossen ist eher wenig erhalten geblieben, zwei Klaviersonaten sowie fünf Einzelsätze, dabei der musikalische Spaß Zwei neue kuriose Minuetten, gewidmet J.S. Bachs Biograf Johann Nikolaus Forkel, den Kraus in Göttingen kennen gelernt hatte, und ein Schwedischer Tanz. Auch in der Klaviermusik gibt es zahlreiche überraschende stilistische und harmonische Wendungen, die deutlich ins nächste Jahrhundert weisen. Hier ist ebenfalls der kanadische Pianist Jacques Després am Werk, der die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des neben Mozart wohl begabtesten, leider allzu sehr in Vergessenheit geratenen Komponisten angemessen wiedergibt. Gerhard Eckels

 

(Weitere Information zu den CDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Mercadantes „Amleto“ von 1822

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Der hundertfünfzigste Todestag von Saverio Mercadante (getauft 17. September 1795 in Altamura bei Bari; † 17. Dezember 1870 in Neapel) wird von der Musikwissenschaft zum Anlass genommen, in einem groß angelegten Kongress in Neapel, Wien, Altamura und Mailand der musikhistorischen Bedeutung dieses Komponisten nachzuspüren und eine Bilanz der bisherige Forschung zu ziehen. (M. W.) Der renommierte Musikwissenschaftler Michael Wittmann war so liebenswürdig, uns zu diesem Anlass einen Artikel zu schreiben.

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Saverio Mercandate hat 2020 seinen 150. Todestag/ Gemälde von Cefaly/ Wikipedia

M. W.: Die Opernhäuser haben das Ereignis (fast möchte man sagen natürlich) verschlafen. Eine Ausnahme bilden das Theater für Niedersachsen in Hildesheim, das Mercadantes Schillervertonung I briganti (coronabedingt mit reduziertem Orchester, aber szenisch und ungekürzt) auf die Bühne bringt. Davon um die Premiere im September herum weiteres.

Da ist noch Die Oper im Knopfloch, Zürich, die eine  moderne Erstaufführung von Mercadantes Amleto, am 22. Dezember 1822 an der Mailänder Scala uraufgeführten melodrama tragico nach einem Libretto von Felice Romani, für 202angekündigt hat.

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Zum Amleto: Mercadante hatte 1821 mit Elisa e Claudio ebenfalls an der Scala seinen internationalen Durchbruch erlebt und in der Folgezeit für alle wichtigen Theater in Oberitalien geschrieben. Zudem hatte er bereits den Vertrag in der Tasche, der ihn ab 1823 zum Nachfolger Rossinis als Hauskomponist am San Carlo  in Neapel machen sollte. Vorher standen für den Herbst 1822 gleich zwei neue Opern für Mailand an: die recht erfolgreiche Opera semiseria Adele ed Emerico (21. September 1822) und eben der Amleto, am 26. Dezember 1822.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Isabella Fabrica war der erste Hamlet 1822 an der Mailänder Scala 1822/ Wikipedia

Der Theateralmanach der Scala stellt dazu kurz und bündig fest: Mercadante si presenta per la terza volta su queste scene; ma pare che egli vi sia venuto per dimettere quell’alloro che si era procacciato coll‘Elisa e Claudio, che sfrodò poi coll‚Adele ed Emerico e che cadde intieramente coll‘ Amleto, il quale dopo poche sere venne ridotta ad un solo atto, e supplito da una farsa, fintantochè altra Opera di ripiego poté esser posta sulle scene. (Mercadante präsentiert sich zum dritten Mal auf diesen Szenen, aber es scheint so, als sei er gekommen, um den Lorbeer zurückzugeben, den er sich mit Elisa und Claudio verschafft hatte, den er dann mit Adele ed Emerico gemindert hatte und der mit Amelto schließlich fiel, der nach wenigen Abenden auf einen einzigen Akt reduziert wurde und durch ene Farsa ersetzt wurde, bis schließlich eine andere Oper auf die Bühne gebracht werden konnte.)

Freilich kam dieses Fiasco für Mercadante nicht ganz unerwartet. Bereits am 4. Dezember schrieb er in einem Brief an Barbaja:: …Io sono ne’guai, i più grandi, mentre la Belloc non è contenta della sua parte e minacca di far cadere l’opera, ed io son già preparato al più gran fiasco. (Ich befinde mich in Schwierigkeiten, den allergößten, während La Belloc mit ihrer Rolle nicht zufrieden ist und droht, die Oper fallen zu lassen, und ich bin schon auf das größte Fiasko vorbereitet.) Dass sich hinter diesen dürren Worten ein handfester Konflikt verbirgt, ergibt sich schließlich aus einem Dokument vom 30. November 1822, aus dem hervorgeht, dass Teresa Belloc, der als Primadonna die Rolle von Hamlets Mutter Geltrude zugedacht war, offenbar versucht hatte, eine Änderung ihrer Rolle zu erzwingen, indem sie bei der Zensurbehörde angeblich mit ihrer Partie verbundene eccezioni dal lato politico angezeigt hatte. Diese Anzeige wurde durch die Polizeibehörden nicht nur zurückgewiesen, sondern die Sängerin eigens dazu aufgefordert, sich mit aller Kraft für den Erfolg der Oper einzusetzen. Der eigentliche Grund für diese Theater-Intrige dürfte indessen nicht in politischer Besorgnis seitens der Belloc zu suchen sein, sondern in dem Umstand, dass die für die Oper tragende Rolle des Amleto wiederum Isabella Fabbrica zugedacht war, die damit alle Chancen hatte, der Primadonna Belloc den Rang abzulaufen, so dass diese am Ende ihre Partie womöglich doch nur mit halber Kraft sang.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Teresa Belloc war der Superstar an der Mailänder Scala und sang Hamlets Mutter Geltrude/ Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna

Eine etwas andere Erklärung für den Misserfolg der Oper bietet eine handschriftliche Anmerkung, die sich auf dem in der Bibliotheca di Santa Cecilia in Rom aufbewahrten Libretto der Uraufführung findet. Der unbekannte Schreiber notiert: Tutti fanno bene la loro parte, ma la nessuna novità e le frequenti rimem¬branze della Musica già sentita dello stesso Maestro fa si che l’effetto è il più disgraziato, quindi Fiasco. (Alle  machen ihre Rolle gut, aber nichts Neues und die ständigen Erinnerungen an bereits gehörte Musik eben diesen Maestros führen dazu, dass der Effekt  ein sehr undankbarer ist, also ein Fiasko.) In jedem Falle reichte das spektakuläre Desaster aus, um jegliche Chance für eine Folgeinszenierung an einem anderen Theater zu verhindern und bezeichnenderweie gehört Amleto auch zu den ganz wenigen Opern, von denen keine Einzelnummern im Druck erschienen sind.

Trotz dieser Nicht-Rezeption ist Mercadantes Amleto natürlich von beachtlichem musikhistorischen Interesse. Und dies gerade weil er mit Shakespeares Vorlage nur sehr wenig zu tun hat, ja man kann sogar bezweifeln, ob Romani Shakespeares Theaterstück überhaupt gekannt hat. Tatsächlich stellt er in seinem weitschweifigen Vorwort fest: É questo soggetto del presente melodramma ordito sulle tracce di Sackespeare [sic!] e del suo imitatore Ducis. É noto abbastanza che Amleto é l’Oreste, Claudio l’Egisto e Geltrude la Clitennestra; egli e perciò che il poeta ha modellato i caratteri di questi tre personaggi su quelli dei Greci. Lui è sembrato in tal guisa di renderli, se non più interessanti, almeno più addattati alle nostre scene di quello che per avventura non sieno ne l’originale inglese un po‘ troppo fantastico, nella copia del Ducis, a creder suo, troppo fiacco e sbiadata. (Und dieser Gegenstand des jetzigen, auf den Spuren Shakespeares wandelnden Melodramas und seines Imitators Ducis. Es ist ziemlich bekannt, dass Hamlet Orest ist, Claudio Ägisth und Gertrude Klytämnestra ist, der Dichter hat die Personen nach dem griechischen Vorbild modelliert. Hält sie auch für italienische Bühne geeigneter, als es die englischen Charaktere sind. hält er für zu phantastisch, in der Kopie von Duciszu matt und zu blass.) Indem er nun aber in seinem Libretto vor allem den im Hamlet-Stoff angelegten Mutter-Sohn-Konflikt heranzieht, ergibt sich nicht nur eine Parallele zu Orest-Klytemnästra, sondern auch zum Semiramide-Stoff nach Voltaire, den Rossini/Rossi praktisch zeitgleich für das Teatro La Fenice (UA 3. Februar 1823) bearbeiteten.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“/Design von Alessandro SanQuirico für die Oper1822/Wikipedia

Ein Vergleich beider Opern (Amleto – Semiramide)zeigt denn auch, dass sich in beiden Werken eine ganze Reihe von dramaturgisch identischen Situationen finden, die – beinahe überflüssig zu sagen – allesamt von Rossini überzeugender bewältigt wurden und die somit vor allem erkennen lassen, welche Mittel Mercadante damals noch nicht zu Gebote standen. Als Beispiel sei auf das Finale des 1. Aktes verwiesen, der in beiden Opern durch die Geisterscheinung des ermordeten Vaters bestimmt wird. Während jedoch Rossini das szenische Moment als solches hervorkehrt (und damit auf seine Pariser Opern vorausweist) nutzt Mercadante die Situation vor allem zu einem fünfstimmigen Largo a capella, das als Stück von mustergültiger kompositorischer Arbeit doch nur ein typisch neapolitanischer Kunstgriff ist, der sich bis auf Niccolò Jommelli zurückführen läßt. Übrigens sind Adele und Amleto die ersten beiden Libretti, die Romani für Mercadante geschrieben hat. Der hatte sich den ausdrücklich gewünscht. Wenn man den Amleto mit der Semiramide vergleicht, wird aber deutlich, warum Rossi die modernere Librettist war. Romani gewinnt das große Finale des 1. Aktes aus der Geistererscheinung des Vaters. Rossi stellt dies gleich an den Anfang. Das ist innovativ und zeigt sehr schön, dass Rossi wirklich von der Bühne und dem Bühneneffekt her dachte. Romani hingegen war ein Literat, der sich nicht darum kümmerte, wie etwas auf der Bühne wirkt. Dasselbe findet man mit Blick auf die Verteilung der Rollen: bei Romani ist das genau abgezirkelt. S und MS erhalten dieselbe Anzahl von Solonummern, dazu zwei Duette, zwei Terzette und ein Quintett. In der Semiramide spielt diese Arithmetik keine Rolle und Rossi konzentriert sich auf wenige, dafür aber größere Nummern. (Die Idreno-Arien in der Semiramide werden  ja oft auch weggelassen). Aber Rossini hatte da eben schon das „Standing“, um so etwas gegen die Sänger durchsetzen zu können.

Das Finale aus Mercadantes Oper „Amleto“ findet sich auf der Opera Rara Folge „A Hundred Years of Italian Opera“, 1820 – 1830

Eine Einspielung dieses Amleto-Finales ist auf einer CD von Opera Rara zu hören und diese Einspielung verdeutlicht schlagartig das Problem des jungen Mercadante: Durch Nicolo Zingarelli am Konservatorium von Neapel ausgebildet, war er ganz auf die neapolitanische Tradition festgelegt worden, die er erneuern und gegen Rossini ins Feld führen sollte. Mit dem Fiasko des Amleto wurde die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens erstmals deutlich; noch mehr mit dem noch größeren Fiasko, das Mercadantes Dorlice 1824 in Wien machte. Es spricht für Mercadante, daß er sich nach diesen beiden negativen Erlebnissen einer Art kompositorischen Selbstkritik unterzog und ab 1825 sich dezidiert mit den Errungenschaften von Rossinis experimentellen neapolitanischen Opern auseinandersetzte. Michael Wittmann

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Und noch ein Postscript: Saverio Mercadantes frühe Opern sind sicherlich nicht die dringlichsten Desiderate einer modernen Wiederaufführung, auch wenn man diese, wie etwa die Teileinspielung von Maria Stuarda mit grossem Vergnüngen hören kann. Auch der Ausschnitt aus Amleto vermag die Neugier nach mehr zu wecken.

Das Zürcher Unternehmen Die Oper im Knopfloch wirbt für diese Aufführung als „Psycho-Kammerspiel nach Shakespeare“. Vorgesehen sind fünf (!!!) Sängerinnen (!!!) und eine instrumentale Begleitung aus Flöte, Klarinette, Horn und Violoncello. Wenn man das positiv sehen will, könnte  man den lateinischen Spruch zitieren: Ut desint vires …. Wenn man weniger gnädig ist, muss man die Frage stellen: Cui bono? Oder auch: Warum? Mercadante  jedenfalls dürfte man damit keinen Gefallen tun. Bei der Uraufführung in Mailand erlebte sie ein komplettes Fiasco. Sie gehört zu den wenigen Opern Mercadantes, von denen nicht eine einzige Nummer im Druck erschien. Und sie war verantwortlich dafür, dass Mercadante Zeit seines Lebens davon überzeugt blieb, dass eine Opernpremiere am 2. Weihnachtsfeiertag Unglück bringen müsse. Und dass, obwohl die Premiere in Mailand über die allerersten Sänger und das volle Instrumentarium der Möglichkeiten (inclusive Banda militare sul palco) dieses Hauses verfügte. Der Werbe-Gag eines „Psycho-Kammerspieles nach Shakespeare“ führt in die Irre, da die Handlung eben nicht auf Shakespeare zurückgeht und sie Romani explizit für die italienische Opernbühne als ungeeignet darstellt. Michael Wittmann

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Großen Dank an den renommierten Autor, der natürlich operalounge.de-Lesern wie auch der Musikwelt namentlich der Belcanto-Periode als hochgeschätzter Musikwissenschaftler und Fachmann gilt. Er fügte seinem Artikel – exklusiv für, uns – eine ausführliche Aufstellung der musikalischen Nummern der Oper Amleto von Mercadante bei, die den Rahmen unserer Berichterstattung sprengen würde, die wir aber auf Wunsch per mail an Interessenten verschicken. Dank auch an Ingrid Wanja, die wieder für uns die italienischen Zitate Michael Wittmanns übersetzte: Das wird viele Leser freuen. Wir stellen ja eh schon manche Geduld auf die Probe wenn wir vieles in den west-europäischen Kultursprachen bringen (Abbildung oben:“Hamlet“, Gemälde von Füssli/ Tate Gallery London/ Wikipedia). G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Weltersteinspielungen

 

Nach dem sehr vielversprechenden Auftakt der von Naxos verantworteten Reihe einer ersten Gesamteinspielung sämtlicher Ouvertüren von Daniel-François-Esprit Auber geht es nun in die nächste Runde, da Vol. 2 soeben erschienen ist (8.574006). Wiederum zeichnet das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter Dario Salvi verantwortlich, was aufs Neue zum positiven Gesamteindruck beiträgt. Dieses Mal stehen bewusst ganz wenig bekannte Beispiele der Musik Aubers im Mittelpunkt. Insgesamt sieben Opern zwischen 1805 und 1834 wurden berücksichtigt, wobei streng genommen lediglich vier Ouvertüren darunter sind (Le Concert à la cour, ou La Débutante; Fiorella; Julie, ou L’Erreur d’un moment; Léocadie). Ansonsten handelt es sich um Entr’actes und Einleitungen zu diversen Opernakten, also deutlich kürzere und weniger ambitionierte Orchesterstücke (Lestocq, ou L’Intrigue et l’Amour; Couvin, ou Jean de Chimay; La Fiancée). In einem Fall, bei der Oper Julie, wurde zudem das zweiminütige instrumentale Finale beigefügt. Tatsächlich wird diesmal der „leichte“ Auber präsentiert, da keines der enthaltenen Stücke das Gewicht hat, welches man teilweise in Vol. 1 präsentiert bekam. Bis auf zwei Ausnahmen, die Ouvertüren zu Lécadie und Fiorella, handelt es sich durchgehend um Weltersteinspielungen, was die Sache für Liebhaber der französischen Musik des 19. Jahrhunderts freilich umso spannender macht. Wie gesagt, die Gewichtigkeit der Ouvertüren zu La Muette de Portici, Fra Diavolo, Gustave III oder auch Leicester (letztere bekannt aus Vol. 1) darf man diesmal nicht erwarten. Dies gilt auch für das Violinkonzert D-Dur mit der tadellosen Solistin Markéta Čepická, ein sehr frühes, dreisätziges Werk von weniger als 20 Minuten, entstanden um 1805, dessen Schlichtheit in keinem größeren Kontrast zum fast zeitgleichen Violinkonzert Beethovens in derselben Tonart stehen könnte. Gleichwohl liefert dann doch eben dieses Konzert mit seinem Tarantella-artigen Finalsatz womöglich den Höhepunkt dieser CD. Die Aufnahmen entstanden zwischen 4. und 7. Februar 2019 im Haus der Musik in Pardubice und repräsentieren auch technisch den hohen heutigen Standard des Labels. Eine wenig spektakuläre, für den Sammler gleichwohl unerlässliche Neuerscheinung und wichtige Ergänzung der Auber-Diskographie. Daniel Hauser

 

30Viele Melomanen erinnern sich gerne an die Kompilationen von Ouvertures, die in den goldenen Jahren der Schallplatte ihre Herzen erfreuten. Ob von einem einzigen Komponisten wie Beethoven und Rossini oder von unterschiedlichen Tonsetzern, stets freute man sich über Musikstücke, die selten im Konzertsaal oder auf LP und später auf CD zu hören waren. Waren es Opernouvertüren, dann waren diese Zusammenstellungen eine willkommene Einführung zu Bühnenwerken, die auf keinem Spielplan standen. In gewisser Hinsicht überahmen solche Platten dieselbe Funktion wie Übertragungen für ein zwei- oder vierhändiges Klavier im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Seit einiger Zeit sind solche Platten aus der Mode gekommen, vielleicht auch weil viele Theater inzwischen regelmässig Raritäten bieten.

Das Label Naxos hält hingegen an der Tradition fest und hat u.a. eine Anthologie der Sinfonie von Domenico Cimarosa auf 4 CDs veröffentlicht. Jetzt wird ein Zyklus mit den Ouvertüren des Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) gestartet. Auch von diesem Protagonisten der Pariser Oper in der ersten Hälfte des 19. Jh. liegen inzwischen mehrere Bühnenstücke vor. Trotzdem bietet sein umfangreicher Werkkatalog immer noch genügend Ungespieltes, um das Unternehmen zu rechtfertigen. Man hätte sicherlich auch noch mehr in den Archiven gefunden, aber Naxos hat den Fehler begangen, neben einigen Seltenheiten wie den Ouverüren zur „Ciracassienne“ (1861), der „Fiancée“ (1829) oder dem „Enfant prodigue“ (1850) auch inzwischen gut bekannte Stücke („Fra Diavolo“, „Le domino noir“) aufnehmen zu lassen. Ein Fehler, war das, weil dadurch die Mängel der Aufführung noch mehr auffallen. Von einem französischen Orchester wie dem Orchestre de Cannes würde man mindestens einen idiomatischen Zugang zum urfranzösischen Opernkomponisten Auber erwarten, am besten aber Esprit und jene unnachahmliche Mischung aus Ironie und Melancholik, welche die Partituren auszeichnet. Das Orchestre de Cannes klingt indes wie ein Kurorchester am Ende eines überaus anstrengenden Arbeitstages, und das bleierne Dirigat des Österreicher Wolfgang Dörner zeichnet sich durch eine an Stellen schwer erträgliche Schwerfälligkeit aus. Liebhaber der Opéra-comique, die sich diese CD aus Neugier antun wollen, sei empfohlen, ältere Aufnahmen mit Albert Wolff oder Richard Bonynge in Reichweite zu halten, um zu hören, wie Auber tatsächlich klingt  (D.F.E. Auber, Overtures 1 (Circassienne, Cheval de bronze, Domino noir, Frau diavolo, Fiancée, Diamants de la couronne, Marco Spada, Enfant prodigue), Orchestre de Cannes, Wolfgang Dörner, CD Naxos 8573553). Michele Ferrari

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Nicht wesensverwandt

 

Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo  als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich  schon einmal auf CD in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.

Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Kalaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs , aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.

Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucean le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.

Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.

Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber  der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer  kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.

Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Fra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.

Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist  schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.

Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur  das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.

Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Kalaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften  Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger.  Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733). Ingrid Wanja

 

José van Dam …

 

Zu  meinen absoluten Lieblingssängern gehört der belgische Bass-Bariton José van Dam, der am 25. August 2020 seinen 80. Geburtstag beging. Als Westberliner hatte ich das ganz große Privileg ihn als jungen Mann (nur 5 Jahre älter als ich, wie ich gerade feststelle) in seinen Prachtrollen zu hören: Leporello, Masetto, Don Alfonso, vor allem auch Figaro beider Komponisten, Ferrando im Troubadour, Paolo im Boccanegra neben dem ebenfalls sattstimmigen  Ingvar Wixell, als Attila neben alternierend Gundula Janowitz (und den Problemen in der ersten Arie) oder der flamboyanten Lou-Ann Wyckhoff (dto. zweite Arie) und natürlich wieder Wixel sowie Fortune. Als Escamillo alternierter er mit George Fortune, als Doktor Mirakel/Hoffmanns Erzählungen prunkte er mit seiner balsamischen Stimme ebenso wie als Mönch im Don Carlo oder als  Elias im Konzert. Mir ist diese unvergesslich individuelle Stimme so gut im Ohr, dass ich manche Partien wie den Leporello (noch neben Siepi) oder Don Alfonso oder Mozarts Figaro  lange Zeit nicht von anderen hören konnte. Sein Orest war ebenso eine interessante Facette dieser Zeit.

Und zu den SFB-Rundfunkschätzen jener Jahre gehören seine Dokumente aus dem Hans Heiling (neben der DOB-Kollegin Agnes Baltsa als Mutter), Webers Lysiart (neben Els Bolkestein/Eglantine  von der Komischen nebenan), Fürst Igor, Bertram/Robert der Teufel, Tomski/ Pique Dame und den Königskindern -. sein Spielmannslied macht mich heute noch schlucken. Ach ja. Wir haben für ihn geschwärmt.

Natürlich blieb er nicht in Berlin und machte große Karriere mit den Partien seines Fachs, wenngleich vielleicht der Holländer (ein ganz wunderbares Dokument aus Paris unter Varviso), Filippo/Philippe von Verdi oder auch der Boris Godunov ihn an seine  Grenzen führten, aber vor allem als Verdis leidvoller König ist er mir aus Brüssel und London neben Roberto Alagna und in Covent Garden und der interessanten Martine Dupuy unvergesslich. Stets war es seine extraordinäre Diktion, die die Musik trug, in allen Sprachen, die ich von ihm gehört habe. Die mustergültige Verschmelzung von Sprache und Musik, von Singen eben auf der Sprache gab seinen Auftritten und Dokumenten etwas Einzigartiges, Unnachahmliches. Sonores vermählt mit Schönklang, Biss und unglaublicher, topsicherer Technik. Wann hat man das? José van Dam setzte für mich Maßstäbe der Qualität, der gesanglichen Schönheit und der engagiertren Interpretation. Bon anniversaire, Mâitre. G. H.

 

Seine außerordentliche Karriere, die ebenso so glanzvoll wie vielseitig war, dokumentiert der unersetzliche Kutsch-Riemens (Großes Sängerlexikon) mit nachstehendem Artikel. Dam, José van, Baß-Bariton, * 27.8.1940 Brüssel; eigentlich Joseph Van Damme. Ausbildung durch Frédéric Anspach am Konservatorium von Brüssel, wo er sein Diplom für Operngesang und als Gesangslehrer erhielt. Nachdem er mehrere Gesangwettbewerbe gewonnen hatte, debütierte er 1960 am Opernhaus (Opéra de Wallonie) von Lüttich als Basilio im »Barbier von Sevilla«. 1961 kam er an die Grand Opéra Paris (Antrittsrolle: Wagner im »Faust« von Gounod), an der er bis 1965 blieb, und u.a. in »Les Troyens« von Berlioz auftrat und den Escamillo in »Carmen«, aber auch kleinere Partien sang. 1965-67 sang er am Grand Théâtre Genf; hier wirkte er 1966 in der Uraufführung von »La Mère coupable« von Darius Milhaud mit. 1967 wurde er an das Deutsche Opernhaus Berlin berufen und begann nun eine große internationale Karriere. In Berlin sang er den Paolo in Verdis »Simon Boccanegra«, den Leporello im »Don Giovanni« und den Alfonso in »Così fan tutte«. Er gab Gastspiele in Brüssel, Stockholm, an der Covent Garden Oper London (Debüt 1973), in Lissabon und München, bei den Festspielen von Aix-en-Provence und an der Oper von Santa Fé (1967 als Escamillo, zugleich sein USA-Debüt). 1970 debütierte er an der Wiener Staatsoper als Leporello im »Don Giovanni« und leitete damit auch dort eine große Karriere ein.

1972 sang er an der Mailänder Scala den Escamillo in »Carmen«. 1973 gastierte er am Teatro Fenice Venedig als Kaspar im »Freischütz« von Weber, 1973-74 glanzvolle Gastspiele an der Grand Opéra Paris und am Opernhaus von Straßburg. Er gastierte an den Opernhäusern von Lüttich und Zürich, von San Francisco (1970) und Dallas, in Amsterdam und Monte Carlo. 1975 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er im November diesen Jahres als Escamillo debütierte und in einer langen Karriere u.a. den Golo in »Pelléas et Mélisande«, den Colline in »La Bohème«, den Figaro in »Nozze di Figaro«, den Jochanaan in »Salome« von R. Strauss und den Wozzeck von A. Berg sang. Bei den Festspielen von Salzburg trat er 1974-76 und 1979-80 als Titelheld in »Nozze di Figaro« auf, 1974 und 1980-81 als Sprecher in der »Zauberflöte«, 1977-78 als Jochanaan, 1975-77 als Mönch im »Don Carlos« von Verdi, 1980-82 in den vier dämonischen Partien in »Hoffmanns Erzählungen«, 1982 als Alfonso in »Così fan tutte«, 1985-86 als Escamillo, 1993 als Falstaff von Verdi. Seit 1970 wirkte er länger als zwanzig Jahre in den Konzertveranstaltungen der Salzbuger Festspiele mit, u.a. in Beethovens 9. Sinfonie (1976), der »Schöpfung« von J. Haydn (1977, 1982), der Hohen Messe von J.S. Bach (1985), dem »Elias« von Mendelssohn (1984), dem Deutschen Requiem von J. Brahms (1983) und der 8. Sinfonie von Gustav Mahler (1975). Er trat dort in Mozart-Konzerten auf und gab viel beachtete Liederabende. Bereits 1968-72 sang er in den Salzburger Aufführungen von Cavallis »Rappresentazione di Anima e di Corpo«. Bei den Osterfestspielen von Salzburg hörte man ihn als Amfortas im »Parsifal«, als Rocco wie als Minister im »Fidelio«, als Ferrando im »Troubadour« und 1992 als Fliegenden Holländer. Am 28.11.1983 sang er an der Grand Opéra Paris die Titelpartie in der Uraufführung des Opernwerks »Saint François d’Assise« von Olivier Messiaen und wiederholte diese bei Aufführungen im Rahmen der Salzburger Festspiele (1992) und an der Opéra Bastille Paris (1992). 1987 sang er an der Mailänder Scala den Don Giovanni zur 200-Jahrfeier der Uraufführung dieser Oper, 1986 in Brüssel den Boris Godunow von Mussorgsky, 1989 an der Grand Opéra Paris den Wilhelm Tell in der Rossini-Oper gleichen Namens, den er 1991 auch am Grand Théâtre Genf vortrug. Er trat auch als Gast am Opernhaus von Köln und am Nationaltheater Mannheim auf. Beim Festival von Orange sang er 1990 den Mephisto im »Faust« von Gounod, an der Opéra Bastille 1992 wieder die Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen«, am Teatro Colón Buenos Aires 1995 den Titelhelden in Verdis »Simon Boccanegra«, 1996 am Théâtre Châtelet Paris und an der Covent Garden Oper London den König Philipp in Verdis »Don Carlos«. Zu seinen Hauptrollen gehörten neben den Mozart-Partien seines Stimmfachs der Mephisto in »Faust« von Gounod, der Escamillo in »Carmen«, der Golo in »Pelléas et Mélisande« und der Alfonso in »Lucrezia Borgia« von Donizetti. Große Erfolge als Konzertsänger in Chicago, Boston, Los Angeles, Tokio und in den europäischen Musikmetropolen.

 

Schallplatten: HMV (vollständige Opern »Carmen«, »Fidelio«, Jochanaan in »Salome« von R. Strauss, »Pelléas et Mélisande«, »Zauberflöte«, »Ciboulette« von Reynaldo Hahn, »Così fan tutte«, »Aida« und »Simon Boccanegra« von Verdi, »Louise« von Charpentier, »Mireille« und »Roméo et Juliette« von Gounod, »La jolie fille de Perth« von Bizet, »Hoffmanns Erzählungen«, »Guercoeur« von A. Magnard, »Oedipe« von Enescu, Requiem von Gabriel Fauré), Decca (»Un Ballo in maschera« von Verdi, »Carmen«, »Damnation de Faust« von Berlioz, »Figaros Hochzeit«, »Frau ohne Schatten« von R. Strauss), RCA (Verdi-Requiem), DGG (»Parsifal«, »Zauberflöte«, »L’Heure espagnole« von Ravel, »Pelléas et Mélisande«, 9. Sinfonie und Missa solemnis von Beethoven, »Roméo et Juliette« von Berlioz, 8. Sinfonie von G. Mahler), CBS (»Don Giovanni«), Erato (»Pénélope« von Gabriel Fauré, »Dardanus« von Rameau, h-moll Messe von Bach, »L’Enfance du Christ« von [Nachtrag] Dam, José van; nachdem er während zwanzig Jahren dort nicht mehr aufgetreten war, sang er 1981 am Théâtre de la Monnaie Brüssel den König Philipp im »Don Carlos« von Verdi. 1997 gastierte er an der Oper von Rom als Fliegender Holländer, 1998 am Opernhaus von Toulouse als Boris Godunow. 1998 sang er bei den Salzburger Festspielen wieder die Titelrolle in O. Messiaens »Saint François d’Assise«, 1999 an der Oper von Monte Carlo den Escamillo in »Carmen«. – Lit: A. Clark: José van Dam (in »Opera«, 1993). – Schallplatten: Decca (Hans Sachs in den »Meistersingern«), EMI (Frère Laurent in »Roméo et Juliette« von Gounod, Nilakantha in »Lakmé« von Delibes, Titelrolle in Puccinis »Gianni Schicchi«). [Lexikon: Dam, José van. Großes Sängerlexikon, S. 5; (vgl. Sängerlex. Bd. 6, S. 284) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto © Deutsche Oper Berlin / kranichfoto.)

Askese und Sinnlichkeit

 

Eine Box mit 15 CDs und 9 Booklets für die Freunde barocker Vokalmusik gibt NAXOS heraus (8.501505). Es enthält die komplette Sammlung von Claudio Monteverdis Madrigalen (Libri 1 – 9), die zwischen 1587 und 1638 entstanden, ergänzt um die Scherzi musicali von 1632. Die Interpreten sind das 1992 gegründete italienische Vokal- und Instrumental-Ensemble Delitiae Musicae und sein Leiter Marco Longhini. Die Sammlung, exklusiv für NAXOS aufgenommen, nutzt die authentischsten und ungekürzten Editionen und ist – analog zur gängigen Praxis im 16./17. Jahrhundert – nur mit männlichen Stimmen besetzt. Das sichert den a capella-Gesängen einen klaren, keuschen Klang von puristischer Reinheit, der zu dieser asketischen Musik perfekt korrespondiert. Die phänomenale Intonationssicherheit des Klangkörpers soll besonders herausgestellt werden, ebenso die stilistische Reinheit sowie die sich mirakulös mischenden Stimmen.

Das Primo Libro, veröffentlicht in Venedig 1587, komponierte Monteverdi mit 19 Jahren als das dritte Werk seines Schaffens. Bereits hier sind Liebe und Tod als die zentralen Themen der Monteverdischen Musik in Licht- und Schatten-Stimmungen angelegt. Weltersteinspielungen sind „Fuggi cor“ und „Se d’un angel“. Wunderbar schwebende Klänge und reizvolle Echo-Wirkungen vernimmt man im Secondo Libro, welches sich der Liebe und Natur widmet und das der Komponist im Alter von 22 Jahren veröffentlichte. 1592 erschien das Terzo Libro, gewidmet dem Duca di Mantova und der erste durchschlagende Erfolg des Schöpfers. Mit seinen deklamatorischen und auch dissonanten Passagen hebt es sich deutlich von seinen Vorgängern ab. Besonders in „Vattene pur, crudel“ und „Vivrò fra i miei tormenti“ wird das offenbar. Expressivität und Pathos prägen das Quarto Libro mit seinen erotischen Affekten und schmerzlichen Abschieden. Das Quinto Libro von 1605 führt den expressiven Stil des vorherigen weiter und stellt das unglückliche Paar Dorinda/Silvio in den Mittelpunkt. Erst neun Jahre später erschien der nächste Band, der als definitiver Beitrag des Komponisten zum stile antico galt. Er enthält zwei meisterhafte Werke – die „Sestina“, Monteverdis Würdigung für seine 1607 verstorbene Frau, und das „Lamento d’Arianna“ als polyphone Transkription seiner berühmten Opernszene. Das Settimo Libro von 1619 betitelte der Komponist Concerto, denn hier werden die Stimmen vom Basso continuo, welches bereits in der einleitenden Symphonia zu vernehmen ist, begleitet. Beispiele von Monteverdis größten Schöpfungen finden sich im Libro ottavo mit den Madrigali guerrieri et amorosi, welche in dieser Ausgabe erstmals in ihrem Original und ungekürzt präsentiert werden und gleichfalls mit instrumentaler Begleitung erklingen. Interpoliert sind Sinfonien und Tänze von Monteverdis Zeitgenossen Biagio Marini (1694 – 1663). Dessen Sinfonia prima á 3 leitet das posthum veröffentlichte Libro nono ein, welches eines der Meisterwerke des Komponisten enthält – „Zefiro torno“.

Die Scherzi musicali von 1632, welche noch einmal die Themen von Krieg und Liebe aufnehmen, sind ein würdiger Schlussakkord dieser bedeutenden Anthologie. Bernd Hoppe

 

Geheimnisvolle Kratzspur

 

Es könnten die Spuren eines Kampfkaters sein, der seine Krallen gewetzt und dabei große Fetzen Leinwand aus dem Portrait Richard Wagners gerissen hat, das als Cover für Szenen-Macher dient, denn für die zarteren Pfötchen von Laborratten oder die eines anschließend zum Verwesen verurteilten Hasen sind die Spuren einfach zu prägnant. Es handelt sich um den dritten Band als Ergebnis des seit 2017 stattfindenden Diskurs Bayreuth und er trägt den Titel Szenen-Macher, der die Gedanken in eine ganz andere Richtung drängt, in die auf die Regisseure, die in den vergangenen Jahren sich zwar nicht am Portrait, sondern am Werk des großen Komponisten zu schaffen machten, oft in ähnlicher Weise und mit ähnlichem Ergebnis wie die Verunstalter des Cover-Portraits.  Für das, was  schriftlich während des Symposiums festgehalten wurde, zeichnen Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie Luise Maintz als Herausgeber verantwortlich, haben auch gemeinsam ein Vorwort verfasst.

Stephan Mösch, Professor, Mitarbeiter an der Zeitschrift Opernwelt (und ehemaliger Chefredakteur des Magazins), befasst sich mit dem im doppelten Sinn als Jahrhundert-Ring bekannnten Regiewerk von Chereau/Boulez, berichtet auf höchst interessante Weise davon, wie zunächst ganz andere Regisseure im Gespräch waren, so Peter Stein, der die Erstellung eines Konzepts empört ablehnte, den Ring eher als Spielmaterial denn als zu respektierendes Kunstwerk ansah, über Chereau, der ihn als ästhetisches Gefüge betrachtete. Er stellt die Bedeutung von André Glucksmann für den Jahrhundert-Ring heraus und betont die faire Haltung von Wolfgang Wagner gegenüber dem zunächst auf große Ablehnung stoßenden französischen Regisseur, der nicht im Gold, sondern in der Macht, nicht in Alberich, sondern in Wotan Dreh- und Angelpunkt sah. Berührend ist der Brief, den Chereau an Wagner schrieb, und er hätte vielleicht manchen Buh-Rufer zum Schweigen gebracht.

Matthias Pasdzierny berichtet über die Ära Heinz Tietjen, klammert bewusst alles, was nicht streng an seine künstlerische Arbeit in Bayreuth gebunden ist, aus und vermittelt besonders anhand eines Regie-Klavierauszugs von Tristan über dessen Regiehandschrift, ergänzt durch Fotos von der Probenarbeit Erhellendes. Die Frage „Hat Tietjen je gelebt?“ wird eindrucksvoll, ausgewogen und unterhaltsam beantwortet.

Kai Köpp widmet sich der Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts unter dem Titel Die Partitur führt Regie und untersucht den Anteil an Wagners Regie, den die damals allgemein übliche Praxis hatte, und denjenigen, der auf Wagner selbst zurückgeht. Stummfilme und Gestik-Lehrwerke sowie ein Einblick in die Kompositionslehre dienen dabei als Quellen.

Rebecca Grotjahn untersucht, inwiefern für Wagner Wilhelmine Schröder-Devrient als Idealbild einer Mimin galt, in welchem Verhältnis Sprache und Gesang in ihrer Kunst standen, inwieweit das In-der-Rolle-Aufgehen zum Vorbild werden konnte.

Auch die Dramaturgin Kerstin Schüssler-Bach widmet sich Frauen, nämlich Cosima und Winfried Wagner, die sowohl als Frauen wie als Ausländerinnen verunglimpft wurden. Ihre Verdienste um Bayreuth werden gewürdigt, Winfried kommt trotz Hitler-Verehrung bis zum Ende außergewöhnlich gut weg, eher Wieland wird des Intrigantentums bezichtigt. Cosima wird zugestanden, für eine ästhetische Steigerung, reine Arrangements vermeidend, gesorgt , mit Isidora Duncan im Venusberg Neuerungen gewagt zu haben. Dem Meiningertum, dem Cosima anhing, ist eine Diskussionsrunde gewidmet.

Alexander Meier-Dörzenbach und Markus Kiesel befassten sich mit der Ära Siegfried Wagners, seiner heiklen Mission als „künstlerischem Gottessohn“, den Antipoden Wagnerfestspiele als „Befestigungsspiele unseres Glaubens an den deutschen Geist“ und dem Eintreten für Juden als Zuschauer und Mitwirkende. Als bedenklich wird angesehen, dass Bayreuth anders als andere Bühnen bekannte Maler wie Max Slevogt als Bühnenbildner zurückwies. Als „Spagat zwischen Tradition und Moderne“ wird Siegfrieds Bayreuther Zeit  von Meier-Dörzenbach angesehen, während sich Kiesel den baulichen Veränderungen und Erbfolgeproblemen zuwandte.

In einem Gespräch widmeten sich Tobias Kratzer, Regisseur des Tannhäuser 2019, und die Witwe von Joachim Herz, Kristel Pappel, u.a. der Frage, wie sich die Figuren von Venus und Elisabeth zueinander verhalten, dass nicht eine Utopie, sondern ein Nahtoderlebnis vermittelt werden sollte.

Eine Vorschau auf den aus bekannten Gründen noch nicht verwirklichten neuen Ring gibt es mit dem Regisseur Valentin Schwarz und mit Paul Esterhazy unter dem altbekannten Aufruf Wagners:“Kinder! Macht Neues!“. Worin das nun 2021 (hoffentlich) bestehen wird, bleibt noch weitgehend ein Geheimnis.

Zum „Paradigmenwechsel in der Wagner-Regie“ äußern sich Johannes Erath und Wolfgang Nägele, und bei ihnen ist von „fremdenfeindlichem Gedankengut“ und „Kollektivschuld“, von „mit welcher Last leben wir“ die Rede, dann recht unverhofft vom Geheimnis der Liebe, das größer ist als das Geheimnis des Todes sei.

Francis Hüsers und Michael Schulz fragen sich anschließend, ob es, es ist von  Wagner außerhalb Bayreuths die Rede, eine Rückkehr vom Regie- zum Bildertheater gebe, meinen, aus den Peripherien könnten neue Zentren der Wagnerregie werden. Abschließend macht Christoph  U. Maier den Leser mit Richards Wagners Stilbildungsschule bekannt.

Das anregende, vielseitige Buch verfügt über einen reichhaltigen Anhang von Anmerkungen, Informationen zum Diskurs Bayreuth, den Autorenkreis und ein Personenregister (240 Seiten, Bärenreiter Verlag 2020; ISBN 978 3 7618 2492 4). Ingrid Wanja

Kurt AZESBERGER

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode des Tenors Kurt AZESBERGER, am 10. August 2020, geboren am 8. April 1960 in Arnreit (Oberösterreich); er wurde im österreichischen Stift St. Florian erzogen und gehörte dem bekannten Knabenchor des Stiftes an; er war dessen Alt-Solist. Er studierte dann Musik und Gesang am Bruckner-Konservatorium von Linz/Donau und setzte seine Ausbildung an der Musikhochschule in Wien bei Hilde Rössl-Majdan und bei Kurt Equiluz fort. 1987 erwarb er dort das Diplom für Oratorien- und Liedgesang. Nachdem er den Bach-Gesang bei Peter Schreier studiert hatte, wurde ihm 1991 der Mozart-Interpretationspreis der Republik Österreich für junge Künstler verliehen. Er begann nunmehr eine internationale Konzertkarriere. Er sang bei den Salzburger Festspielen (1986 in Beethovens C-Dur-Messe, 1993 in Kodálys »Budavári Te Deum«, 1996 den Evangelisten in der Matthäus-Passion von J.S. Bach und den Klaus-Narr in A. Schönbergs »Gurrelieder«, 1998 in Mozarts C-Moll-Messe und einem weiteren Mozart-Konzert und 2002 den Mönch in Schönbergs »Jakobsleiter«), beim internationalen Brucknerfest in Linz und beim Carinthischen Sommer. Man hörte ihn als Oratorien- und Liedersänger in Amsterdam, in Den Haag und London, und vor allem natürlich in Wien. Es kam dann auch zu Bühnenauftritten, so 1993 am Landestheater von Linz/Donau als Titelheld in der Händel-Oper »Xerxes« (»Serse«). 1993 sang er in Birmingham und in London gemeinsam mit dem Ensemble des Glyndebourne Festivals den Cascada in konzertanten Aufführungen von Lehárs »Die lustige Witwe«. 1994 sang er am Landestheater von Linz/Donau, in der darauf folgenden Spielzeit an der Staatsoper Berlin, 1999 (konzertant) in Köln den Ägisth in »Elektra« von R. Strauss. 1997 gastierte er in der Titelpartie von Mozarts »La clemenza di Tito« an der Wiener Volksoper. Bei den Salzburger Festspielen sang er 1997 (ebenso wie zuvor schon bei den dortigen Osterfestspielen) den Narren im »Wozzeck« von A. Berg und 2000 den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. In Berlin trat er 2000 als Evangelist in der Johannes-Passion von J.S: Bach auf; im Festspielhaus von Baden-Baden sang er den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. 2011 gastierte er als Wirt im »Rosenkavalier« an der Mailänder Scala. In seinem sehr umfassenden Konzertrepertoire nahm auch die zeitgenössische Musik eine wichtige Stellung ein. Seit 2014 bekleidete er das Amt des Stiftskapellmeisters im Kloster Wilhering. Er war Universitätsdozent einer Masterklasse an der Linzer Anton Bruckner Privatuniversität. Er starb ganz unerwartet während eines Urlaubs in Südtirol. Schallplatten: Hänssler-Verlag (»Lazarus« von Fr. Schubert als Nathanael).