Ber der neuen Sony-CD Selige Stunde von Jonas Kaufmann freut man sich darüber, dass die Stimme das Grobkörnige, Preis für die letzten hochdramatischen Partien, anscheinend verloren hat, im Piano gut trägt und für die zarten Gebilde geschmeidig genug ist. Nicht home office, aber home singing und für seinen Begleiter Helmut Deutsch home playing waren das Gebot der Stunde, wollte man nicht gänzlich untätig bleiben. Die wundersamsten Gedichte in deutscher Sprache wie Goethes Wanderers Nachtlied und Eichendorffs Mondnacht sind in der bekanntesten Vertonung, der von Schumann und Schubert, auf der CD versammelt, aber auch sonst Lieder, die jedem Freund dieser Gattung vertraut sind, ja sogar Volksliedcharakter haben wie Ännchen von Tharau oder Das Veilchen.
Bei Schuberts Musensohn klingt die Stimme noch etwas fleischig verquollen, das Piano hauchig, als sei die Aufnahme zu einem ungünstigeren Zeitpunkt entstanden als der Rest der CD. Die beiden Beethoven-Lieder hingegen erfreuen mit einer innig-sanft gesungenen Adelaide und einer die Stimmung exakt treffenden Zärtlichen Liebe. Dabei wird deutlich, dass es dem Pianisten eher um das Durchhalten einer Grundstimmung geht, dem Tenor um den Wechsel der Farben je nach Stimmung, das Herausheben oft sogar einzelner Worte wie „flöten“ oder „rauschen“.
Der Volksliedton des Ännchen wird gut getroffen, schwebend schlank kann sich der Tenor durch Mendelssohns Auf Flügeln des Gesanges bewegen, auf „in seligem Traum“ schön aufblühend. In Griegs Ich liebe dich herrscht eine große Ernsthaftigkeit vor mit einer intensiven Steigerung zum Schluss, andächtig erklingt Liszts Es muss ein Wunderbares sein mit der Heraushebung des Wortes „Tod“. In Schuberts Der Jüngling an der Quelle klingt das „ach“ bewegend, sind die leisen Seufzer tatsächlich solche. Gänsehaut macht der dramatische Schluss von Bohms Still wie die Nacht, eine inbrünstige Beschwörung, agogikreich gestaltet. Endlich die Tenorfanfare strahlen lassen kann Kaufmann beim „heilig, heilig“ von Srauss‘ Zueignung, weniger bekannt ist Zemlinskys Selige Stunde, die der CD ihren Namen gab.
Ein raffiniertes An- und Abschwellen des Klangs ins Fast-Nichts erfreut bei Chopins In mir klingt ein Lied, in Wolfs Verschwiegene Liebe befreit sich die Stimme auf „frei“ von jeder Zurückhaltung, während „schön wie die Nacht“ noch dem „verschwiegen“ verpflichtet zu sein scheint. Sanfte Intervallsprünge kennzeichnen die Interpretation von Dvoraks Als die alte Mutter, Strauss‘ Allerseelen variiert sehr schön das „einst im Mai“, endet in einem Ton der Entsagung. Hier wie noch stärker in Tschaikowskis Nur wer die Sehnsucht kennt wird deutlich, wie weniger eine einheitliche Stimmung wiedergegeben werden soll, als dass auf jede einzelne Nuance eingegangen wird. Rokokohaft mit leichtem Schritt wird Mozarts Veilchen durchmessen, unbekümmert plaudernd, behänd vom Klavier begleitet, erklingt dessen Sehnsucht nach dem Frühling. Ein feiner Schatten der Betrübnis liegt über Schuberts Die Forelle, wenn am Schluss das muntere Fischlein der Verlierer ist. Vollkommene Stimmbeherrschung ist die Voraussetzung für eine gelungene Mondnacht, ehe weitgespannt auch die Stimme wirken darf. Von schöner zärtlicher Schlichtheit schließlich ist Brahms‘ Wiegenlied, berührend Wolfs Verborgenheit, bis hin zum Crescendo des „balde“ trifft das auch auf Wanderers Nachtlied zu. Mit Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen, unheimlich durch die Verzierungen auf „gestorben“, endet eine CD, die das Vermögen hat, ihrem Hörer selige Stunden zu bereiten, auch wenn es nicht durchweg Romantic songs sind, die sie auf sich vereint (Sony 19439783262). Ingrid Wanja