Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Aus Wiener Schatztruhen

 

Die Opern des österreichischen Barockkomponisten Johann Joseph Fux (1660 – 1741) sind heute nahezu vergessen. Einzig als Schöpfer sakraler und instrumentaler Werke ist der Musiker, der ab 1698 bis zu seinem Tod als Wiener Hofkomponist tätig war, noch bekannt. Umso verdienstvoller ist die Initiative von PAN CASSICS, mit einem Recital (aufgenommen im September 2020 im österreichischen Stift St. Florian) an das musikdramatische Schaffen des Tonsetzers zu erinnern. Am Wiener Hof dominierte er neben Bononcini, Ariosti und Caldara das Musikleben, seine Arien wurden von legendären Primadonnen (wie Maria Landini-Conti, Kunigunda Sutter, Regina Schoonians, Faustina Bordoni, Ursula Theresia Holzhauser) gesungen. Neun Sopranarien aus Opern und Oratorien sind auf dem neuen Album, das mit  Arias for the Emperor betitelt ist, versammelt (PC 10425). Interpretiert werden sie von Maria Ladurner, einer auf Alte Musik spezialisierten Sängerin. die das Biber Consort begleitet. Das neunköpfige Ensemble hat in der einleitenden Sinfonia aus Giunone placata (1725) Gelegenheit für differenziertes Musizieren zwischen Lyrismen und Affekten. In der Arie der Emilia, „Sì, vendetta io voglio far“, aus Julo Ascanio, der ersten erhaltenen Oper von Fux (1708), kann es mit dramatisch erregten Figuren aufwarten, welche die Gefühle der zwischen Hass und Liebe gespaltenen Heldin widerspiegeln. Und die Solistin der CD vermag mit expressiver Gestaltung und fast veristischen Einwürfen ein plastisches Profil der Figur zu umreißen. Die historische Interpretin dieser Partie, Kunigunda Sutter von Rosenfeldt, war 17 Jahre am Wiener Hof tätig und wirkte im Uraufführungsjahr von Julo Ascanio in sieben weiteren Fux-Produktionen mit, darunter in der Pastorale Eroico von 1710 La decima Fatica d’Ercole, aus dem die wehmütige Arie der Clori „Qual’ il sol in prato“ erklingt. Bemerkenswert ist, dass der Komponist dafür erstmals eine Besetzung für die Instrumente Chalumeau und Theorbe vorschrieb. In einem Primadonnenwettstreit traf die Sutter hier auf Maria Landini-Conti, die in allen Opern von Fux auftrat. Sie wiederum musste sich in Dafne in Lauro (1714) mit Regina Schoonians messen, die von 1717 bis 1740 am Wiener Hof angestellt war und in insgesamt zehn Bühnenwerken von Fux  mitwirkte. Daraus ist die Arie der Diana, „Il voler vincer Amore“, zu hören, die im französischen Stil komponiert ist und Dianas Botschaft an Apollo enthält, sich von seiner Liebe zu Dafne zu befreien. Mit klarer, obertonreicher Stimme vermittelt die Solistin eindringlich diese Botschaft. Eine von der Landini kreierte Partie ist die Titelheldin in Orfeo ed Euridice (1715), aus der „Rondinella, che tal volta“ ertönt – eine Gleichnisarie, die den flatternden Flug der Schwalben nachahmt. Die Sängerin kann hier mit brillanten Koloraturen ihr virtuoses Vermögen beweisen. Die legendäre, 1725 noch junge Faustina Bordoni brachte die Titelfigur in Giunone placata zum Leben. Deren Arie „Io non potea soffrir“ verzichtet gänzlich auf virtuose Koloraturen, setzt dagegen auf inniges Gefühl. Mit entsprechend starker Empfindung und reicher Farbigkeit singt Ladurner dieses Stück.

Drei Beispiele aus Oratorien ergänzen die Auswahl. Das früheste stammt aus dem Jahre 1716 und trägt den malerischen Titel Il Fonte della Salute aperto dalla Grazia nel Calvario. Die allegorische Figur in diesem Stück, La Grazia, war wiederum der Schoonians anvertraut. Zu hören ist die Arie „Vedi, che il Redentor“, mit Chalumeau und Altposaune erneut ungewöhnlich besetzt. Die expressiven Ausrufe sind an den Sünder gerichtet, der seine Schuld bereuen soll. Das späteste Werk (von 1728) nennt sich La Deposizione dalla Croce di Gesù Cristo Salvator Nostro und wird hier mit der Arie der Maria Maddalena, „Caro mio Dio“, vorgestellt. Deren Seufzerfiguren symbolisieren die impulsive Hinwendung zu Gott, die Begleitung der Stimme nur mit Oberstimmen ohne Bass verleiht ihr eine überirdische Leichtigkeit. Ladurner findet in ihrem Vortrag zu Keuschheit und Entsagung. Als letzter Titel erklingt eine Arie der Santissima Vergine („Sì tempra il mio martir“) aus Il Testamento di nostro Signor Gesù Cristo sul Calvario. Auch hier finden sich flehende Ausrufe, die Begleitung für Solovioline und Basso continuo ist von asketischer Strenge. Ladurners Stimme in berührender Innigkeit und mit leuchtenden Obertönen setzt damit einen stimmungsvollen Schlussakkord.

Die Musikauswahl bietet ein eindrucksvolles Zeugnis von der Pracht des Wiener Musiklebens am Hofe der Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. Letzterer wurde 1723 auch zum Kaiser von Böhmen gekrönt. Die aus diesem Anlass in Prag aufgeführte Festoper Costanza e Fortezza fehlt hier leider – sie wäre in ihrer Monumentalität ein interessanter Kontrast zu den vorgestellten Werken gewesen. Bernd Hoppe

 

Aktuell

 

Eher Kurze Geschichten von Opern als eine Kurze Geschichte der Oper in 35 BIldern sind die zweite Auflage von Hans-Klaus Jungheinrichs Opernführer, die der Autor nicht mehr selbst vollenden konnte. Vor zehn Jahren erschien das Werk unter dem Titel „Hohes C und tiefe Liebe“, hatte nicht den gewünschten und erhofften Erfolg und erscheint nun immerhin neu bearbeitet, mit zusätzlichen Kapiteln zu Henze und Rihm und einem aufschlussreichen Nachwort von Wolfgang Molkow.

Jeweils eine Oper wird in den einzelnen Kapiteln vorgestellt, wobei der Belcanto keine Rolle spielt, das 19.Jahrhundert  recht schnell verlasen wird mit nur einer Verdi- und einer Wagneroper, Slawisches mehr vertreten ist als Italienisches, Unbekanntes genauso häufig wie übermäßig Bekanntes.

Einleitend stellt der Verfasser fest, dass moderne Regie wie die von Neuenfels die Oper von dem Vorwurf befreit habe, sie beschäftige den Geist nicht angemessen, dass die Händelrenaissance erst im zweiten Anlauf glückte und durch Übertitel ein erheblicher Fortschritt erzielt worden sei.  Offensichtlich ist seine Position eine zwischen Profilneurotikern und Werktreue-Orthodoxen, er streift das Thema Homosexuelle als Opernpublikum oder die Optik als Hinwegtäuscher über stimmliche Mängel anhand von Felsensteininszenierungen und den vokalen Leistungen der Sopranistin Anja Silja. Seine 35 Lieblingsopern hat der Autor in das Buch aufgenommen, der sich in jeder Zeile seines Buchs als der Gattung leidenschaftlich zugetan erweist und der zu Recht betont, dass sein Buch keinen Opernführer ersetzen kann und nichts für unvorbereitete Leser ist. Und keinesfalls sollten diese darauf hoffen, sie könnten die Geschichte der Oper durch das Betrachten von Fotos erfahren. Davon gibt es kein einziges.

Über den einzelnen Kapiteln steht neben dem Titel der jeweiligen Oper entweder eine kurze Meinungsäußerung, ein Hinweis auf einen aktuellen Anlass oder ein bestimmtes Ereignis, das mit ihm zusammenhängt, als Einstimmung.

Nach dem Lesen der ersten Kapitel wird klar, dass im Mittelpunkt der Betrachtungen weniger die Musik als das Libretto, die Entstehungs- oder Rezeptionsgeschichte stehen, im Fall von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“  sogar die Entstehung der Gattung als solcher. Besetzungsfragen wie die Untersuchung der Formelemente, die Rolle der Götter in den frühen Werken werden anschaulich und unterhaltsam dargestellt.  Bei Glucks Orphée stehen generell der Orpheus-Mythos, der Begriff „Reformoper“ und Fragen der Tonartencharakterisierung im Vordergrund. Persönliche Kindheitserfahrungen fließen in die Ausführungen zur Zauberflöte ein, heutige Steine des Anstoßes wie Frauenfeindlichkeit- und das N-Wort war beim Erscheinen der Erstauflage wohl noch nicht der Verdammung anheimgefallen. Unterschiedliche Regieansätze  spielen eine Rolle und Hinweise wie der auf Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag. Wird das Kapitel über Fidelio zur Lobpreisung des schlichten Librettos, so das über die Meistersinger  zur Feststellung der Fatalität der C-Dur-Tonart.  Eher vage ist die Stellungnahme zum Schlussmonolog des Sachs, da versagt sich der Autor immerhin nicht dem allgemeinen Bedenkenäußern, ohne dass es heute mehr denn vor zehn Jahren nicht geht.

Kritisch wird es mit dem Übergang zu italienischen Opern, die der Verfasser nicht so gut kennt wie das sonstige Repertoire, denn sonst könnten folgende Irrtümer nicht Eingang in das Buch gefunden haben: Gilda im Rigoletto geht keinen „passiven Schmerzensweg“, sondern opfert sich sehr aktiv für den treulosen Duca, der Messner in Tosca wiegelt die Ministranten nicht gegen Cavaradossi auf, Musetta ist nicht damenhaft, Anna in Le Villi ist nicht Heilige und Hure, Liù lässt sich nicht abschlachten, sondern tötet sich selbst, Butterfly hat Pinkerton nicht viele „glühende Liebesbriefe“ geschrieben, Sharpless ist nicht „schwammig wie sein Name“, sondern nimmt mehrmals gegen Pinkerton Stellung, nicht die Ehe wurde für 99 Jahre geschlossen, sondern der Mietvertrag, Pinkerton hat durchaus Vornamen, nämlich Benjamin Franklin, das Kind tritt nicht nur einmal, sondern zweimal auf. Und dass Kate Pinkerton  unfruchtbar ist, dürfte nach so kurzer Ehe auch nicht erwiesen sein. Das alles mögen kleine Ungenauigkeiten sein, die aber doch das Vertrauen des Lesers in den Text, soweit er dessen Wahrheitsgehalt nicht überprüfen kann, etwas mindern.

Besonders im Kapitel über Carmen wird deutlich, dass der Autor durchaus zu Recht den Anspruch erheben kann, als Wissenschaftler ernst genommen zu werden, dass aber auch zum Vorteil des auf Unterhaltung bedachten Lesers starke essayistische Tendenzen in seinem Text enthalten sind. An Nietzsches Seite stellt er sich, wenn er in der französischen Oper einen Gegensatz zum Tristan und zu den Meistersingern, „mühevoll und handwerksfleißig“ entstanden, sieht. Und stammen Don José und Micaela aus dem Baskenland? Das wäre eine lange Reise für das junge Mädchen gewesen, dessen Tracht unmissverständlich im Libretto Navarra zugeordnet wird.

Interessant sind die Ausführungen zum Thema, warum gerade die Dialoge der Karmeliterinnen einen Platz im Repertoire gefunden haben, inwieweit Opern aus anderen Schreckenszeiten eine besondere Art der „Bewältigung des Ausschwitzsyndroms“ sein könnten, welche Vergleichsmöglichkeiten es zwischen Poulenc und Julien Green  geben könnte, beide katholisch und homosexuell. Auch in diesem Kapitel geht es weniger um die Musik als um die Werkstruktur.

Weit mehr Raum als auf den Spielplänen wird der zeitgenössischen Oper im Buch eingeräumt, was Henze betrifft nicht nur einem, sondern dem Gesamtwerk. Vom Jungen Lord bis zum L’Upupa reichen die Ausführungen, die in Henze einen Komponisten sehen, der „jungen Wein in alten Schläuchen“ hervorbrachte. Des Komponisten Dichterlibrettisten  stehen auch hier eher im Mittelpunkt als die Musik, die Spiegelung zeitgenössischer Probleme im Spiel von Verkleidung und Entlarvung.

„Hineingewachsen in das Altern der neuen Musik“ ist für den Autor der Komponist Lachmann, dem „Wiederholungsverbot der Moderne“ unterworden. In diesem Kapitel geht es sehr viel um die Musik, um das Andersen-Märchen als Metapher für Gudrun Ensslin, und der Verfasser meint, solange es „Theater gibt, die Werke wie diese sich und ihrem Publikum zum Prüfstein machen, ist die Opernkultur noch am Leben.“

Sehr interessant ist das Nachwort, auch weil es gleichermaßen zur Zustimmung (lieber Cornelius‘  Barbier  als zum 100.Mal der Rossinis) wie zum Zweifel (Lohengrin und Tannhäuser kitschverdächtig) anregt und weil der vielgescholtene Richard Strauss gegenüber Adorno in Schutz genommen wird. Im Buch ist er übrigens mit drei Werken vertreten (Wolke Verlag 2021, 295 Seiten, 2. erweiterte Auflage; ISBN 978 3 95593 254 1). Ingrid Wanja  

Verfluchtes Pack

 

„Ständig saufen, fressen, Karten kloppen. Ja, das können sie, während wir schuften.“ Mit der Klage der Köchin Bejlja gibt Ulrike Patows deutsche Übersetzung den Ton der Palastrevolution im Haus der reichen Madame vor. Wir da unten, die da oben. Schon Nestroy hatte in seiner Lokalposse Zu ebener Erde und erster Stock arme Schlucker und Millionär während der Vorbereitung zu einem Ball einander gegenübergestellt. Scholem Alejchems jiddischer Einakter Mazel Tov! von 1889, der Eingang in die Spielpläne jiddischer Theater in Moskau und Warschau fand, konzentriert sich auf die Dienstbotenperspektive, die Mieczyslaw Weinberg in seinem gleichnamigen, auf Deutsch mit Wir gratulieren! übersetzten Kurz-Zweiakter genüsslich und mit viel jiddischen Musikeinsprengseln und Klezmerklängen ausmalt. Im Gegensatz zu seinen bekanntesten Opern, der posthum uraufgeführten Die Passagierin und dem erst 2013 in Mannheim komplett gegebene Idiot, gelangte die 1975 entstandene Kammeroper Wir gratulieren! noch zu Lebzeiten Weinbergs 1983 an der Moskauer Kammeroper zur Uraufführung. Großzügig auf zwei CDs verteilt präsentiert Oehms Classics jetzt den 80minütigen Zweiakter als Mitschnitt der deutschen Erstaufführung in Henry Kochs Fassung für Kammerensemble aus dem Berliner Konzerthaus von 2012 (2 CDs OC 990).

Bejlja (die Altistin Olivia Saragosa) also klagt über die verflossenen Jahre und darüber, dass sie keinen Mann hat. Der Tonfall nobler Prosodie und die ausgepicht instrumental geschickte und kunstvolle Umkleidung sind bekannt. Dann erscheinen der arme Buchhändler Reb Alter (der Tenor Jeff Martin), anschließend treffen Chaim, der Diener aus dem Nachbarhaus (der Bariton Robert Elibay-Hartog), und Fradl, das von ihm angebetete Dienstmädchen der Madame (die Sopranistin Anna Gütter), ein. Die Verteilung der Paare ist klar: während die Madame das Personal an die Verlobung ihrer Tochter erinnert, inszenieren die Dienstboten ihre Doppelhochzeit, „Ob wir arm sind oder reich, Ehr‘ gebühret allen gleich!“ Die im liedhaften Konversationston und locker geflochtenen Parlando gehaltenen Gespräche um Essen und Wein, Reichtum und Literatur sind ein wenig betulich und im ersten Akt weitschweifend, dabei völlig undramatisch, und werden nur durch Weinbergs pointierte und immer wieder überraschende Instrumentation und die Walzer-, Polka- und Hüpftanzmosaike aufgefangen. Die Partitur hat er Schostakowitsch gewidmet. Den zugespitzten Witz und die grotesken Dimensionen seines Lehrers erreicht er, beispielsweise mit dem Zitat von Chatschaturjans Säbeltanz, erst im zweiten Akt, der mit dem pfiffigen Vaudeville „Geld regiert nicht mehr die Welt“ endet. Vladimir Stoupel und die Kammerakademie Potsdam halten das seiner Zeit musikalisch hinterherhinkende Stück in einem dursichtigen Schwebeton, der hohe Textdeutlichkeit sichert, und stellen die Soloinstrumente, die Flöte der Ouvertüre, das Reb Alter zugeordnete Fagott oder ein Violinsolo, vorteilhaft aus. Das Ensemble ist ausreichend gut aufgestellt, voran Jeff Martin, der mit trefflicher Diktion und geschliffenem Tenor im Grabgesang auf Scholem Alejchem oder dem Bänkelgesang „Zu Hause waren wir zehn Jungen“ ins Zentrum der Aufführung rückt; nur Katia Guedes besitzt als Madame nicht genügend Format, um durch deftige Ausfälle, „Die Pest über dich!“ oder „Verfluchtes Pack! Elende! Alles Unglück über euch!“, die Wendung der Handlung glaubhaft zu machen.  Rolf Fath.

Vermitteln, was wichtig ist

 

Der englische Bariton Benjamin Hewat-Craw, gerade mal 28 Jahre jung (er kam mit 22 nach Deutschland), machte nicht nur mit seiner jüngsten CD mit Schuberts Winterreise und deren ungewöhnlchem Cover bei ARS einen interessanten splash. Auch im Gespräch mit Ruth Wiedwald hat man es mit einem interessanten, denkenden Künstler und Menschen zu tun, der zudem gerade Deutschland als seinen festen Wohnsitz gewählt hat – ein willkommener Post-Brexit-Import.

 

Im vergangenen Herbst (2020) kam Ihre Debüt-CD heraus: Schuberts Winterreise im Duo mit dem Pianisten Yuhao Guo. Wie haben Sie nach diesem Kraftakt der Aufnahme (und während des Lockdowns) die vergangenen Monate verbracht? Wir haben in der letzten Woche vor dem ersten Lockdown aufgenommen. Es war eine knappe Sache, aber wir waren natürlich sehr froh, die Aufnahme damals schon fertig gemacht zu haben. Danach sind wir ins Gespräch mit unterschiedlichen Labels gekommen, und wir sind sehr glücklich, dass wir uns für ARS Produktion entschieden haben. Wir fühlen uns dort sehr unterstützt und planen schon unsere nächste CD mit dem Label. Yuhao und ich hatten Konzerte in der Zeit, als der Lockdown nicht so extrem war. Wir sind damals im Theater Mönchengladbach und im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst aufgetreten, was sehr besonders war, da wir die CD in eben jenem Kloster aufgenommen hatten. Wir haben uns auch auf Wettbewerbe vorbereitet – den Hugo Wolf Wettbewerb in Stuttgart und Das Lied in Heidelberg. Trotz des Lockdowns hatten wir also immer etwas zu tun!

Benjamin Hewat Craw und Begleiter Yuhao Guo/ Foto BHC

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie für Ihr Debüt ausgerechnet Schuberts Winterreise gewählt haben? Wir wollten unsere Ankunft in der internationalen Liedszene mit einem Knall ankündigen. Deshalb haben wir uns für die Winterreise entschieden. Einerseits glaube ich nicht, dass es einen ikonischeren Liederzyklus gibt als die Winterreise. Anderseits wollten wir unsere jugendliche Energie in die Interpretation des Stücks einbringen. Wir fanden es sehr spannend zu zeigen, wie anders unser Blickwinkel auf das Werk vielleicht ist.

Yuhao Guo und ich hatten schon seit drei Jahren zusammen als Lied-Duo musiziert und uns besonders intensiv mit der Winterreise beschäftigt. Wir haben uns schon relativ früh vorgenommen, davon eine Aufnahme zu machen.

Was bewegt Sie als jungen Menschen und Sänger an den Stücken besonders? Ich glaube, in ihrer Jugend sind Menschen eher extremer in allem was sie tun. Das Leben ist weniger bequem und man entdeckt die Grenzen vom Leben in diesen Lebenszeiten. In diesem Stück entdeckt der Protagonist seine psychischen und körperlichen Grenzen.

Sinn für Spass: Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo/ Foto BHC

Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich konnte mich mit diesem Zyklus immer stark identifizieren. Die musikalische Ergründung der dunkleren Seiten des Menschen haben mich fasziniert, seit ich die Winterreise vor zehn Jahren zum ersten Mal gehört habe.

Warum würden Sie heute jungen Leuten empfehlen die Winterreise zu hören? Ich empfehle jungen Leute den Zyklus zu hören, weil er sehr gut zu unserem Zeitalter mit seinen Herausforderungen passt. Wir leben in einer Zeit, in der wir sehr viel Zeit allein verbringen, nicht nur wegen der Coronakrise, sondern auch wegen der sozialen Medien. In dem Zyklus erleben wir, wie der Protagonist mit seiner Einsamkeit umgeht. Ich glaube, das kann sehr vielen jungen Menschen Mut geben und zeigen, dass sie eben nicht allein sind, sondern dass wir alle gemeinsam allein sind. Jeder, der sich auf das Werk einlässt, wird erleben: Es gibt den Menschen das, was sie wirklich brauchen. Diese Musik und diese Dichtkunst können etwas vermitteln, was wirklich wichtig ist. Das wollen wir ganz direkt zu den Menschen bringen.

Für das Cover Ihrer Debüt-CD haben Sie und Yuhao Guo sich in ein Fuchsfell gehüllt und außergewöhnlich gestyled. Eigentlich sehr entgegengesetzt dem romantischen Anspruch der Lieder. Lieben Sie das Unkonventionelle im Konventionellen? Wir möchten junge Leute in unserem Alter ansprechen, die Facebook und Instragram nutzen. Das gesamte Paket muss stimmen. Viele Leute kaufen nach Aussehen – um dann etwas Schönes darin zu entdecken! Wir denken, wir können etwas Neues und Interessantes dazu beitragen. Es ist so wichtig, den Reichtum der klassischen Musik an die nächsten Generationen zu vermitteln. Auch deswegen haben wir uns für ein etwas schrilles Cover-Design entschieden. Die Optik macht erst einmal neugierig – aber dann folgt die echte Überraschung: Hinter der hippen Verpackung steht absolut seriöse Kunst, die höchsten Ansprüchen gerecht wird, die emotional und intensiv ist.

Genauso ungewöhnlich ist es sicherlich, dass Sie im Alter von 22 Jahren entschieden haben, Ihre Heimat Großbritannien zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Was hat Sie dazu bewegt? Ich habe zu dieser Zeit von einem Bariton Unterricht bekommen, der in Deutschland gelebt hat. Ich kam nach Deutschland, um mehr von ihm zu lernen und intensiver mit ihm zu arbeiten. Im Nachhinein war es schon schwierig, hier ein neues Leben aufzubauen, aber ich war zu einem gewissen Punkt blauäugig und das hat interessanterweise geholfen. Es war leichter damals, mit so einem Umzug mehr zu riskieren.

Was schätzen Sie an Deutschland? Ich liebe allgemein die Wertschätzung der Kulturszene. Ich weiß, in diesen Coronazeiten hat die Regierung zurecht viel Kritik bekommen. Opernhäuser und Konzertsäle sind zu, und das ist sehr schade. Ich verstehe die Ernsthaftigkeit der Situation, aber immerhin werden die Arbeitnehmer in den Theatern weiter finanziell unterstützt und es gibt großzügige Zuschüsse für die freie Kulturszene von der Regierung. International gesehen ist Deutschland immerhin ein Paradies für die Kunst im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. Ich versuche das Gesamte hier positiv zu bewerten, weil allgemein die Situation hier vergleichsweise sehr gut ist.

Und nun mal seriös: Benjamin Hewat-Craw/ BHC

Wie sind Ihre weiteren Pläne? Geht es mit der Winterreise auf Tour (sofern es wieder möglich sein sollte) oder haben Sie bereits neue Projekte, über die Sie uns etwas verraten können?  Eine Winterreise-Tour haben wir auf jeden Fall vor. Auftritte in Berlin und Hamburg sind in der Planung. Unsere nächste CD wird eine mit englischen Liedern. Sie wird drei Zyklen von Vaughan Williams, Butterworth und Gurney enthalten, die alle in den zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurden. Der Titel der CD wird Never such innocence again sein, was auf Deutsch soviel heißt wie Niemals wieder eine solche Unschuld. Erscheinen wird sie im März 2022. Das Gespräch führte für operalounge.de Ruth Wiedwald  (alle Fotos @Benjamin Hewat-Craw; https://www.benjaminhewatcraw.com/).

Immer wieder Brahms

 

Nach Eins kommt bekanntlich Zwei. Zur höchst erfreulichen Einspielung der ersten Sinfonie von Johannes Brahms mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter seinem Ehrendirigenten Herbert Blomstedt gesellt sich nun die Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 (Pentatone PTC 5186 851). Geplant ist ein kompletter Zyklus.

Tatsächlich legte das Label Querstand bereits einen Mitschnitt dieses Werkes in derselben Kombination aus dem Jahre 2000 vor. 19 Jahre später (die Neuaufnahme entstand im Oktober 2019 im Gewandhaus zu Leipzig) wurden die Tempi des damals sage und schreibe bereits 92-jährigen Dirigenten gar noch ein klein wenig flotter, freilich nie übereilt (21:04 – 9:37 – 5:04 – 9:06). Die Klangqualität übertrifft die bereits sehr gut klingende Vorläuferin; störende Nebengeräusche gibt es trotz des explizit erwähnten Live-Charakters mitnichten.

Diese D-Dur-Sinfonie ging aufgrund ihrer lebensbejahenden Heiterkeit als „Brahmsens Pastorale“ in die Musikgeschichte ein. Anders als die Vorgängerin in c-Moll, von der sie sich insgesamt stark unterscheidet, entstand sie in einem kurzen Zeitraum im Jahre 1877. Ihre Uraufführung in Wien unter Hans Richter geriet zum Triumph für den Komponisten. Eduard Hanslick sah das Werk als Beweis dafür, „daß man (freilich nicht jedermann) nach Beethoven noch Symphonien schreiben kann“.

 Ungemein süffig und natürlich im besten Wortsinne gelingt Blomstedt der große Kopfsatz, sowohl in den lyrischen wie auch in den dramatischen Passagen schlechterdings idealtypisch. Eine Rückbesinnung auf die Grundstimmung „Zurück zur Natur“ der Beethoven’schen Pastorale lässt sich kaum leugnen. Das darauffolgende Adagio, eine Mischung aus Lied- und Sonatensatz, darf als einer der bezwingendsten langsamen Sätze im Schaffen von Brahms gelten. Man kann sich Jörg Peter Urbachs Auffassung im Beiheft anschließen, dass hier eine ungewohnt starke Nähe zum Antipoden Anton Bruckner nachweisbar ist. Schön rein von den Dimensionen her hat der tänzerische dritte Satz das geringste Gewicht. Ein wirkliches Scherzo hat Brahms hier jedenfalls nicht intendiert. Im Schlusssatz wird neuerlich das Hauptthema des ersten Satzes aufgegriffen. Dieses Finale mit all seinen kunstvollen Variationen kann als ein absoluter Höhepunkt in der spätromantischen Sinfonik gelten, Applaus gleichsam mit komponiert.

Abgerundet wird die Neuerscheinung durch eine feurige Darbietung der zehnminütigen Akademischen Festouvertüre c-Moll op. 80, die trotz ihrer nominellen Grundtonart zum Inbegriff einer feierlichen Jubelstimmung wurde und die zweite Sinfonie adäquat ergänzt. Anders als ihre Schwester, die Tragische Ouvertüre, genießt sie bis zum heutigen Tage hohe Wertschätzung beim Publikum. Besonders das populäre Studentenlied Gaudeamus igitur als theatralischer Maestoso-Abschluss trägt dazu sicherlich einen ganz erheblichen Teil bei. Entstanden ist sie im Sommer 1880, anderthalb Jahre nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Breslau an Brahms am 11. März 1879.

Eine hochwillkommene Fortsetzung dieses brandaktuellen Zyklus, der damit bereits die halbe Wegstrecke zurückgelegt hat. Künstlerisch und klanglich ausgezeichnet. Man freut sich auf die noch ausstehenden Sinfonien Nr. 3 und 4. Daniel Hauser

 

Herbert Blomstedt, der bescheidende Amerikaner mit schwedischen Wurzeln, der mittlerweile im sage und schreibe 94. Lebensjahr steht, ist ein Phänomen. Zurecht der Nestor unter den heutigen Dirigenten, erlebt er im hohen Alter, nicht ganz unähnlich weiland Otto Klemperer, seinen Indian Summer, obwohl er freilich seit den 1950er Jahren irgendwie immer präsent war, ohne jemals den Status eines „Stardirigenten“ anzustreben. Dazu ist Blomstedt zu honorig und seriös. Dass die Musik des Norddeutschen Johannes Brahms unter seiner Stabführung bestens aufgehoben ist, liegt insofern praktisch auf der Hand. Gleichwohl musste er die neunzig überschreiten, ehe er nun endlich eine offizielle Einspielung der großen ersten Sinfonie von Brahms auf dem dem stets für Überraschungen guten Label Pentatone vorlegen kann (PTC 5186 850).

Wie der Kenner weiß, ist es natürlich keine Erstbegegnung, hat sich Blomstedt doch schon vor Jahrzehnten mit Brahms‘ Werken auseinandergesetzt und bereits während seiner Zeit in San Francisco (1985-1995) das Deutsche Requiem, von der Kritik gefeiert, bei Decca vorgelegt. Noch vor seiner Berufung zum Gewandhauskapellmeister in Leipzig spielte er sodann 1996 die vierte Sinfonie ein, wiederum für Decca. Das Label Querstand veröffentlichte einen Mitschnitt der zweiten Sinfonie aus dem Jahre 2000 und in der nur als Online-Download erhältlichen Reihe Decca Concerts erschien eine Live-Aufnahme der dritten Sinfonie, 2007 aufgezeichnet. So schließt sich nun gewissermaßen der Kreis, indem jetzt endlich auch die Erste folgt, die zwar chronologisch am Anfang steht, aber in gewisser Weise doch den Höhepunkt des sinfonischen Schaffens Brahmsens darstellt.

Beinahe jeder Dirigent von Rang hat sich irgendwann im Laufe seiner Laufbahn mit der c-Moll-Sinfonie op. 68 auseinandergesetzt, die Hans von Bülow als Beethovens Zehnte adelte. Kaum eine Sinfonie dürfte einen langwierigeren Entstehungsprozess gehabt haben als dieses Werk. Sage und schreibe vierzehn Jahre mussten vergehen, ehe sie 1876 endlich zur Uraufführung bereit war. Es gibt eine interessante Parallele zum seinerzeit ebenfalls bereits 90-jährigen Leopold Stokowski, der die Erste von Brahms in seinem spektakulären Rückkehrkonzert in London 1972 noch einmal aufführte. Auch wenn der Dirigententypus, den Stokowski verkörperte, kaum unterschiedlicher sein könnte, so ist es doch gleichsam ein verbindendes Element zum greisen Blomstedt. Die erste Sinfonie von Brahms ist mitnichten ein Werk für Anfänger. Und der altersweise Zugriff, den Blomstedt diesem Opus magnum angedeihen lässt, spricht vollumfänglich für sich. Mit 50 Minuten Spielzeit wählt er die adäquaten Zeitmaße, bei denen sich Tempofragen gar nicht erst stellen. Vom ersten bis zum letzten Takt klingt es schlicht und ergreifend richtig. Der monumentale Kopfsatz, hier 17 Minuten lang, mit einem der einprägsamsten Auftakte in der gesamten Sinfonik weist bereits den Weg. Keine noch so kleine Phrasierung ist hier zufällig, alles durchdacht und in sich überzeugend. Obwohl der Interpretation eine norddeutsche Ernsthaftigkeit nicht abzusprechen ist, ist sie doch gleichwohl keineswegs von einer kühlen akademischen Strenge, die jedwedes Gefühl im Ansatz unterdrückt. Blomstedts Brahms ist ein zutiefst menschlicher, nahbarer, was gerade im träumerischen langsamen zweiten Satz hervorsticht. Die Leichtigkeit des kurzen dritten Satzes, der nicht wirklich ein Scherzo darstellt, bildet den idealtypischen Kontrast zum titanenhaften Finale. Dunkel timbriert, erzielt das exzellente Gewandhausorchester den für Brahms mustergültigen Tonfall. Blomstedt lässt sich nicht dazu verleiten, in der Adagio-Einleitung das Tempo anzuziehen. Erst nach ziemlich genau fünf Minuten erklingt der einprägsame Hymnus als Hauptmotiv und wiederum behält der brillante Dirigent die Zügel fest in der Hand. Die Coda gerät selbstredend zum Höhepunkt, wobei das Choralthema eindeutig protestantisch-asketische Züge hat. Großartig die Detailarbeit bis zum Schluss, wo die hier oft untergehenden Blechbläser noch einmal auftrumpfen können. Die zurecht gerühmte Akustik des Gewandhauses zu Leipzig unterstützt dies kongenial. Als Beigabe rundet die Tragische Ouvertüre d-Moll op. 81 die Compact Disc ab. Sie steht zu Unrecht im Schatten der berühmteren Akademischen Festouvertüre. In ihrem dunkel-festlichen Charakter ist dieses Stück sicherlich näher an der ersten Sinfonie denn an der zweiten, nach welcher sie im Jahre 1880 entstand, insofern ist die von Pentatone gewählte Kombination sinnig. In Blomstedts Interpretation verliert auch diese Ouvertüre etwas von ihrer Schwere und erklingt mustergültig. (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Daniel Hauser

 

Maria Kouba

 

Maria Kouba (geborene Strobl, gesch. Boshart, geb. 2. 2. 1922)  österreichische Sopranistin, verstarb an 15. Mai 2021 nach kurzer Krankheit im 100. Lebensjahr in Voitsberg. Aus ihrem umfassenden Repertoire bleibt sie vor allem mit ihrer Glanzpartie – der Salome von Richard Strauss in Erinnerung. Mit dieser Partie feierte sie ihr vielbeachtetes Bühnendebut 1957 an der Oper Graz sowie Erfolge an allen großen Bühnen von Wien bis New York. An die 400 Auftritte als Salome inklusive eigenem Schleiertanz sind selten in der Geschichte dieser Oper.

Als Maria Sofie Strobl am 2.2.1922 in Altenmarkt/Steiermark geboren, früh vom Vater im Geigen-, Cello und Saxophonspielen unterrichtet, schlug sich Maria und die Familie als Musikanten in der Kriegs- und Nachkriegszeit durch. Ihre spätere Gesangsausbildung bei Maria Salmar in Graz finanzierte Maria mit Ihrem Gehalt als Sekretärin der Krankenkassa Voitsberg. 1946 heiratete sie den tschechischen Dirigenten Stefan Kouba und lebte danach 8 Jahre lang hinter dem Eisernen Vorhang in der damaligen Tschechoslowakei, wo das Ehepaar an den Opernhäusern von Ostrava und Bratislava als Kapellmeister bzw. als Choristin tätig war.

1956 gelang dem Ehepaar die Rückkehr nach Österreich. 1957 erfolgte das überraschende Bühnendebut als Salome  in einer Neuproduktion der Oper Graz. Maria Kouba sprang kurzfristig während der Proben ein und feierte einen Sensationserfolg. Sie erhielt einen Vertrag der Grazer Oper, wo sie rasch zu einem Publikumsliebling wurde. In den folgenden drei Saisons sang sie an 133 Abenden 16 verschiedene Hauptrollen in 11 Premieren – am häufigsten die Saffi im „Zigeunerbaron“, gefolgt von Puccinis Butterfly und Verdis „Troubadour-Leonore“ sowie viele andere Partien. 1960 folgte sie dem Ruf an die Städtischen Bühnen Frankfurt, wo sie 23 Jahre lang Ensemblemitglied war und ein breites Repertoire pflegen konnte. Sie kehrte aber auch immer wieder gerne für Gastspiele an die Grazer Oper zurück.

Maria Kouba trat zudem an vielen großen Opernhäusern der Welt – von Wien, München, Berlin, London, Paris bis Sydney und New York auf. Nach ihrem Aufsehen erregendem Debut an der Metropolitan Opera New York 1965 als Salome (unter Karl Böhm) wurde sie in den USA und Kanada fortan als „Sexbombe der Opernbühne“ gehandelt. Sie verkörperte beinahe alle Sopranpartien von Verdi und Puccini – von der Traviata bis zur Tosca, von Mozarts Donna Anna bis Wagners Eva, Senta, Sieglinde und Ortrud – aber auch die „Fidelio“-Leonore, die Belcanto-Partie der „Maria Stuarda“ und Partien in zeitgenössischen Werken wie die Frau in Schönbergs „Erwartung“ oder die Renata in Prokofievs „Der Feurige Engel“. Ihre alles überstrahlende Glanzpartie war aber bis Mitte der 1970er Jahre die Salome!  Heute noch geraten Opernfreunde darüber ins Schwärmen.

In Maria Kouba begegnete man einer ästhetischen Bühnenerscheinung und Singschauspielerin ersten Ranges. TV-Produktionen von „Salome“, „Jenufa“ und „Cavalleria Rusticana“ sowie zahlreiche Rundfunkaufnahmen dokumentieren die Glanzzeit der Künstlerin in den 1960er Jahren. Unverständlich ist hingegen, dass es keine offiziellen Plattenaufnahmen dieser vielseitigen Sängerin gibt.

Maria Kouba arbeitete mit Dirigenten wie Karl Böhm, Georg Solti, Carlos Kleiber, Lovro von Matacic, Josef Keilberth, Heinrich Hollreiser, Peter Schneider und Regisseuren wie Rudolf Hartmann, Günter Rennert, Wieland Wagner und Otto Schenk um nur einige zu nennen.

Sie galt als eine der zuverlässigsten Sängerinnen – stets perfekt vorbereitet ist sie unzählige Male für Kolleginnen eingesprungen – selbst hat sie nie abgesagt. Trotz vieler Auszeichnungen und Preise – etwa dem ersten Preis des Gesangswettbewerbs des Österreichischen Rundfunks und des „Belcanto-Wettbewerbs“ in Brüssel – beide 1957 – sowie dem „Grand Prix des Nations“ 1963 in Paris als beste Sängerin aus 22 Nationen blieb sie stets bescheiden. Nach allem Unbill des Kriegs und der schwierigen Anfangsjahre war Maria Kouba immer dankbar ihren Lebenstraum als Sängerin erfüllt zu haben.

Nach ihrem Bühnenabschied 1982 übersiedelte sie mit ihrem zweiten Ehemann nach Kanada, kehrte aber 10 Jahre später alleine wieder in die steirische Heimat zurück. Die Familie war immer ihr Rückhalt. Die letzten Jahre verbrachte sie im Seniorenheim in Voitsberg stets liebevoll umsorgt von ihrem Neffen Reinhold Haring und seiner Familie. Am 15.05.2021 trat sie von der Bühne des Lebens ab. (Quelle Otto Krcal; Weiterführende Informationen und Foto oben www.mariakouba.at)

Hörst du den Ton?

 

Die Probleme des Komponisten Fritz trieben Franz Schreker, der wenige Jahre nach der Uraufführung von Der ferne Klang als einziger legitimer Nachfahre Wagners gehandelt wurde, nicht um. Es scheint, als habe er diesen Klang, der ihm treu blieb, bis er aufgrund der Diffamierung seiner Werke durch die Nationalsozialisten und die Vertreibung aus seinen Ämtern 1933 in Vergessenheit geriet, schnell gefunden. Der Komponist Fritz reißt sich von seiner Geliebten Grete los, denn „Ein hohes, hehres Zeil schwebt mir vor Augen, doch frei muss ich sein“. Er wird nicht Ruhe finden, „Eh ich ihn nicht habe und halte, den rätselhafte weltfernen Klang“ und „Künstler von Gottes Gnaden“ bin. Dann will er zu Grete zurückkehren. Grete, die bezeichnenderweise Graumann heißt, entflieht, nachdem sie der trunksüchtige Vater im Spiel an den Wirt verlor, ebenfalls der Enge des Elternhauses hat und steigt, verführt von einer geheimnisvollen Alten, zur Edelkurtisane in einem venezianischen Bordell auf. Dort trifft zehn Jahre später der erfolglose Fritz neuerlich auf sie und stößt sie von sich. Nochmals fünf Jahre später: Greta ist zur gewöhnlichen Dirne verkommen und besucht die Premiere der neuesten Oper von Fritz Die Harfe, die sie wegen eines Schwächeanfalls vorzeitig verlässt. Die Oper fällt durch. Fritz erhält die Möglichkeit, den letzten Akt zu überarbeiten, fühlt sich aber zu schwach und begreift im Gedanken an Grete, die er im Zuschauerraum erkannt hat, dass er sie wegen seines Ehrgeizes verließ und warum, er „das Glück nicht besingen kann“. Er vernimmt den „fernen Klang“ und fühlt sich stark genug, seine Oper neu zu gestalten. Greta findet zu ihm und will bei ihm bleiben. Er stirbt in ihren Armen.

Franz Schrekers erster Bühnenerfolg, der in den 1910er und 20er Jahren prominent besetzt und viel gespielt wurde, kehrte im März 2019 an die Frankfurter Oper zurück (Oehms Classics 3 CDs OC 980/ Vertrieb NAXOS), wo er 1912 seine Uraufführung erlebt hatte. Im Zuge der in den 1970er Jahre einsetzenden Schreker-Renaissance trug 1984 eine faszinierende Inszenierung am Ort der Handlung, in Venedig, in der ich die schillernde Sylvia Sass als leuchtenden Stern der venezianischen Halbwelt erlebt habe, wesentlich zur Neuentdeckung des Fernen Klangs bei. Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, die andeuten, warum Dirigenten wie Bruno Walter, Fritz Reiner, Otto Klemperer, Erich Kleiber und Alexander Zemlinsky von dieser Musik angetan waren, umkreisen den fernen Klang, auf dessen Suche sich alle Komponisten des anbrechenden Jahrhunderts machten, in oszillierenden, sowohl impressionistisch durchlässigen wie spätromantisch gebremsten Klängen, die im Vogelkonzert-Zwischenspiel des dritten Aktes zum sinnlichen Stimmungsbild geraten. Die Faszination, welche die Oper einst ausstrahlte, stellt sich nicht ein. Die eigentliche Hauptfigur dieses Künstler- und Dirnendramas ist nicht, wie man meinen könnte, Fritz, sondern Greta. Im ersten Akt ist Jennifer Holloway eine patente Greta, ohne der Figur ein Gesicht zu geben. Daneben verschafft sich die Alte, trotz der Blessuren, die Nadine Secundes Sopran davongetragen hat, mehr Aufmerksamkeit. Bei seinem Europa-Debüt zeigt der Amerikaner Ian Koziara in der großen, mit fiebriger Intensität gesteigerten Szene im zweiten Akt „Schuldbeladen und reuig steh‘ ich vor dir“ einen strapazierfähigen, in der Höhe begrenzten Tenor und vermittelt vor allem in den introspektiven Momenten des dritten Aktes die Zerrissenheit des auf der Suche nach musikalischer Originalität scheiternden Fritz. Im Mittelakt gewinnt auch Holloways Sopran Wärme und Farbigkeit, souverän reizt sie die Dimensionen der Partie aus, singt im dritten Akt genau und auffallend textdeutlich. Die richtige Partie scheint die Greta dennoch nicht für sie zu sein. Zum Konkurrenten von Fritz wird der melancholische Graf, mit dem Greta aus Venedig aufbricht und dessen Ballade von der glühenden Krone Gordon Bintner mit aufrichtigem Gefühl singt, während das von Theo Lebow als Chevalier effektvoll vorgetragene Lied über das Blumenmädchen von Sorrent tenoraler Zierrat für das klanglich bunt montierte Freudenfest in der Casa di Maschere ist. Aus dem breit aufgestellten Ensemble ragt der prächtige Bariton von Jurii Samoilov als Schmierenschauspieler hervor, dazu die markanten Episoden von Dietrich Volle als Dr. Vigelius und Sebastian Geyer als Fritz‘ Freund Rudolf.     R.F.

Wer kennt Anton Schweitzer?

 

Als Weltpremieren bringt CAPRICCIO auf zwei CDs (C5425) geistliche Werke des unbekannten Komponisten Anton Schweitzer heraus, der 1735 in Coburg geboren wurde und 1787 in Gotha verstarb. Er wirkte als Musiker in der Hofkapelle des Herzogs Ernst Friedrich III, Carl von Sachsen-Hildburghausen und komponierte für dessen Operntheater. Später schrieb er für Theatertruppen in Weimar und Gotha. Die hier vorliegenden Kompositionen fanden sich in Thüringer Archiven und wurden im Juli 2020 in der Oberkirche Arnstadt aufgenommen. Es musiziert das Thüringer Bach Collegium unter seinem Künstlerischen Leiter Gernot Süßmuth. Der Geiger, Dirigent und Honorarprofessor an mehreren Musikhochschulen ist vor allem auf Kammermusik spezialisiert, was sich am transparenten Klangbild der Aufnahme widerspiegelt. Das Solistenquartett ist solide und homogen.

Zum Auftakt erklingt das Oratorium Die Auferstehung Christi, dessen Text Schweitzers Dienstherr von Sachsen-Hildburghausen selbst verfasste. Das Osteroratorium vermittelt neben dem zentralen Gedanken der Auferstehung auch Zeitbezüge – Kriegserlebnisse, Todesangst, Apokalypse – und mündet in die Zuversicht auf das Leben im Jenseits. Entsprechend schildert die Musik nach dem jauchzenden „Halleluja“ des Eingangschores Schreckensbilder, wie Tempesta-Szenen und dramatische Erdbeben bis zum Weltuntergang. Dem Sopran fällt mit dem Accompagnato „Nun hat der Held gesieget“ das erste Solo zu. Mirella Hagen singt es mit klarer Stimme und energischem Ausdruck. Später überzeugt sie besonders durch Innigkeit in der AriaWie ruhig wird’ ich einst entschlafen“. Die erste Aria des Werkes, „So wie des Donners ernste Stimme“, hat der Bass zu absolvieren. Tobias Berndt formt sie mit beherztem Zugriff. Der Tenor Stephan Scherpe, versiert in Koloratur und Deklamation, komplettiert das Solistenterzett mit der Aria „O Tag voll Schrecken“, später noch mit „O Heiland, lass’ mich nicht“. Alle Solisten, ergänzt um die Altistin Henriette Gödde, vereinen ihre Stimmen in den Chören und Chorälen, welche die Solonummern verbinden.

Im Programm folgt die kurze Kantate zum Erntedankfest für Bass solo, vierstimmigen Chor, Orchester und Orgel „Lobet, ihr Knechte des Herren“, welche mit dem gleichnamigen Chor festlich beginnt und mit „Erkennt und genießet“ ebenso endet. Der Solist Tobias Berndt hat ein Recitativo und die Aria „So rein nach einem sanften Regen“ zu singen und überzeugt erneut durch Wortdeutlichkeit und Wohllaut.

Den Abschluss bildet die neunteilige Missa brevis C-Dur für vierstimmigen Chor und Orchester, entstanden 1780. Stilistische Bezüge zu Haydn und Mozart sind hier erkennbar, auch die Vielfalt der Themen und Harmonien ist beeindruckend. Der Gesang des solistisch besetzten Chores ist durchsichtig und ausgewogen (weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Bernd Hoppe

Mal wieder ein Vermächtnis

 

Die drei Da-Ponte-Opern in sechs Wochen: noch einmal und mit seinem Concentus Musicus Wien wollte Nikolaus Harnoncourt die drei Mozart Opern im Theater an der Wien ganz nach seinen Vorstellungen aufführen und hatte dazu wieder das teilweise für alle Aufführungen, soweit es passte, identische Ensemble in sein Arbeitszimmer mit dem wunderschönen Kachelofen geladen. Hier vermittelte er den Sängern seine Sicht auf die Dinge, verhalf ihnen zu ganz neuen Erkenntnissen über ihre Partien und vergaß auch nicht zu erwähnen, wie mühsam Leben und Arbeiten jenseits der 80 Lebensjahre sein können.

Für die Aufführung bediente man sich derselben Szene wie für den Figaro: eine Rückwand mit den Portraits der Mitwirkenden, teils in Alltagskleidung, teils in Rollenkostümen, einiger weniger Requisiten, und für den Rollentausch von Don Giovanni und Leporello zum Schaden der armen Donna Elvira reichte der Wechsel der Krawatten (Kostüme Doris Maria Aigner). Wie beim Figaro fiel der Sinn fürs Herbe bei Christine Schäfer (der Donna Anna) und der fürs Elegante bei der eher aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Zerlina auf. Ein schöner Effekt war der der mit Taschenlampen beleuchteten Gesichter auf der ansonsten finsteren Bühne ( Szenische Arrangements Felix Breisach), wirkungsvoll die blutige Hand Giovannis nach der Ermordung des Commendatore, das von Rotwein durchtränkte Hemd als Zeichen der Höllenfahrt. Mit wenigen Mitteln erreicht man viel, und vor allem verdirbt man nichts. Ein so sparsamer wie wirkungsvoller Hinweis auf Distanzierung ist auch das Schlusssextett mit Klavierauszügen in den Händen der Sänger, während zuvor alle außer der Donna Elvira von Maite Beaumont auf dieselben verzichten konnten.

Bei der musikalischen Umsetzung fallen wieder die teilweise gesungenen, teilweise gesprochenen Rezitative auf und die manchmal sehr ungewohnten Tempi, so das sehr langsame „Vedrai carino“.

Aus dem Figaro von André Schuen ist nun ein Don Giovanni geworden, mit angemessen mehr Eleganz in der Stimmführung, eindrucksvollen Rezitativen, einer atemlosen Champagnerarie und einer Serenata in fein durchgehaltenem Piano. Viel adäquater als der Don Basilio ist der Don Ottavioa für den hübschen Tenor von Mauro Peter, der hier sehr edel und gar nicht wie heute üblich als blässlicher Schwachkopf gezeichnet ist, „Dalla sua pace“ empfindsam singt und für „Il mio tesoro“ saubere Koloraturen aufweisen kann. Etwas mehr silbriger Glanz könnte dem Timbre noch ein weiteres Quäntchen an Verführungskraft verleihen. Ebenfalls bereits im Figaro war Christine Schäfer, damals Contessa, nun Donna Anna, zu erleben. Zu Beginn fürchtet man, die Stimme sei zu zart, besonders im aufgeregten Beginn der Oper, aber  „Or sai che l’onore“ wird sehr schön gesungen, nur hin und wieder klingt der Sopran angestrengt, „crudele“ wird in zartem Erschrecken gesprochen, in den wunderbar gestalteten Rezitativen ist sie die überzeugendste Anwältin der Intentionen ihres Dirigenten.

Eine rundere, wärmere Mezzostimme hat die Spanierin Maite Beaumont, eine schöne Gesangslinie und selbst in größter Erregung die vokale Contenance wahrend. Auch sie gewinnt den Rezitativen, so vor „Mi tradi“ viel mehr ab als man gewohnt ist. Etwas mehr gesanglichen Pep haben könnte die Zerlina von Mari Eriksmoen, die Susanna im Figaro war. Sehr klotzig und als dröhnenden Polterkopf gestaltet Mika Kares den Leporello und kann mit diesem Stimmmaterial als Commendatore viel mehr Ehre einlegen. Dunkler, weniger nobel und damit rollendeckend singt Ruben Drole den Leporello und ist damit das angemessene Pendant zu seinem Herrn. Der Arnold Schoenberg Chor gibt die fröhliche spanische Hochzeitsgesellschaft. Das Orchester mit Originalinstrumenten in dem recht kleinen Theater an der Wien gestattet den Sängern einen schlanken, unangestrengten Klang, was sicherlich die Intention des Dirigenten gewesen ist. Nun fehlt noch Così fan tutte, aber sicherlich nicht mehr lange (2 DVD Unitel 803908). Ingrid Wanja    

 

Das Beste kommt zum Schluss der beiden DVDs mit Mozarts Le Nozze di Figaro, wenn Dirigent Nikolaus Harnoncourt teils in seinem Heim, teils bei der Bühnenprobe Sängern und Zuschauern seine Sicht der Dinge nahebringt. Innerhalb eines Monats wurden im Theater an der Wien alle drei Mozart-Da-Ponte-Opern aufgeführt, und die Aufnahmen davon dürfen als Vermächtnis des Meisters angesehen werden. Den Zuhörer berührt es, wenn der Dirigent bekennt, dass er sich zwar seit Jahrzehnten mit den Werken auseinandersetze, „aber es ist mir noch nicht gelungen, was ich am allermeisten will“. Zu diesem „Es“ gehören die Rezitative, bei denen es dem Dirigenten auf die Tonhöhe auch des gesprochenen Wortes, nicht auf den Rhythmus ankommt, nach Harnoncourt auch die Auffassung von den und die  Darstellung der Personen als durchweg anfechtbar gelten kann, abgesehen vom Antonio, der als Einziger im Figaro ohne Falsch ist, während in Cherubino schon der spätere Don Giovanni zu erahnen ist. Schön zu sehen ist die große Aufmerksamkeit, ja Andacht, mit der die Sänger, die sich im Rollenkostüm aus einem Bilderrahmen äußern dürfen,  den Worten des Meisters lauschen, ihm sogar abnehmen, dass Barberina nicht über die verlorene Nadel, sondern die ihrer Jungfräulichkeit trauert, wenn sie Ihre Arie in Moll singt.

Die Aufführung selbst gewinnt nicht dadurch, dass sie sich nicht auf zwei CDs beschränkt. Das Szenische Arrangement von Felix Breisach postiert die Sänger vor drei Stellwände, in deren Aussparungen teils Spiegel, teils Portraits, so das Mozarts, wie er auf den nach ihm benannten Süßigkeiten erscheint, oder der Sänger in unterschiedlichen Kostümen durchaus nicht nur derer des Stücks zu sehen sind. Seltsamerweise gibt es auch einen Costume Designer (Doris Maria Aigner), so dass man die seltsame Kostümierung der Sänger nicht ihrem persönlichen Geschmack anlasten kann. Es berührt schon seltsam, wenn die Contessa im langen, aber schlichten schwarzen Hemdblusenkleid erscheint, während Barberina  in kostbarer Robe mit reichlich Glitzer auftritt. Keine Einheitlichkeit konnte man auch erzielen, wenn der Conte sich spielend über die Bühne bewegt, während die Contessa sich bei jedem Auftritt den Klavierauszug vors Gesicht hält, ja selbst der Basilio für seinen kurzen Auftritt im ersten Akt nicht auf denselben verzichten mag. Befremdlich ist zudem, dass sich Partner, selbst wenn sie Adressat einer Arie sind, die Bühne verlassen. Auch die Kameraführung erweist sich dann nicht als die glücklichste, wenn sie ein Faible für Aufnahmen von ihr Instrument säubernden Bläsern bekundet.

Maestro Harnoncourt hat sich für sein Mozart-Testament Sänger ausgesucht,  die seinen Intentionen am stärksten entsprechen konnten und die darum zum großen Teil auch in den beiden anderen Da-Ponte-Opern auftreten. Das Orchester ist natürlich der von ihm gegründete Concentus Musicus Wien mit seinen Originalinstrumenten, die ihr Dirigent zu für den Hörer ungewohnten Tempi animiert. Perfekt erfüllt der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner seine Aufgaben.

André Schuen ist ein schmucker Figaro, der sich zunehmend frei singt und temperamentvoll das Geschehen dominiert, dazu auch noch einen angenehmen Bassbariton hören lässt. Susanna ist die hübsche Mari Eriksmoen mit feiner Zwitscherstimme leichter Höhe und noch ausbaufähiger Mittellage. Souverän trotz aller Bedeutungsbefrachtung der Aufnahme ist Bo Skovhus als viriler Conte, während Christine Schäfer ein makelloses „Dove sono“ singt, aber stellenweise auch säuselt und dem Vergnügen an extremem Ätherischsein manchmal die Verständlichkeit opfert. Mit köstlicher Mimik und die an sich recht farbige Stimme ins Kindliche zwingend ist Christina Gansch eine anmutige Barbarina. Ildiko Raimondi klingt recht hell für die Marzelline und weiß viel aus ihrer Partie zu machen. In ein extrem schnelles Tempo wird Elisabeth Kulman mit ihrer ersten Arie als Cherubino gezwungen, umso schöner und vollmundiger klingt dann „Voi che sapete“. Peter Kálmán ist ein polternder Baartolo, Mauro Peters Tenor ist für den Basilio fast zu schön.(Unitel 803708/ Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja

Maria Dragoni

Meine uneingeschränkte Bewunderung und Liebe zur Stimme von  Maria Dragoni  stammt von dem Mitschnitt einer Norma mit ihr in der Titelrolle, den mir Freunde zukommen ließen („Hör doch mal!“). Und ich machte mich danach mehrfach auf nach Italien, nach Jesi, nach Rom oder vor allem für eine Live-Norma nach Genua (als Dokument bei Kicco optisch), wo ich sie absolut sprachlos (ich) und furchtlos (sie) erlebte. Ich stehe nich an sie in die Nachfolge der Großen, wie die Cerquetti oder auch Callas zu stellen (so wie ich die Millo füär eine würdige Nachfolgerin der Tebaldi und Milanov halte). Ihre Norma hatte Würde und Pathos und ruhte in der Wirkung auf dem absolut unglaublich phrasierten Rezitativ. Diese gewisse Gaumigkeit (in fiasca, wie die Italiener sagen) ist ein Teil ihrer Stimm-Timbres und nichts hinzu Erfundenes, darin der Kollegin M.C. auch sehr ähnlich, was ihr ungerechter Weise angekreidet wird. Ich habe sie dann in Folge recht oft gehört, auch als Norma in Sizilien,  Semiramide in Strasbourg und in Jesi als Persianis Ines de Castro (die bei Bongiovanni erschienen ist), als Giulia Spontinis an der Scala, in Turin als Gulnara (Il Corsaro), zudem in Berlin zweimal im Konzert:  immer außerordentlich beeindruckend. Nach eben dieser fulminanten Gulnara am Abend zuvor trafen wir uns im antiken und nach Gebäck (köstlich) und exzellentem Caffé duftenden Ambiente in den Kolonaden der Piazza di Castallo. Elegant erschien sie sehr pünktlich. Baci baci. Dann gings los.

Maria Dragoni in Procida/ Foto Sergio Goglia

Wir sprechen über die Garcia-Technik, der sie sich verschrieben hat und die der berühmte Belcanto-Tenor Manuel Garcia, Vater der Malibran und Viardot, entwickelte. Diese Technik bestimmt auch die Breite ihres Repertoires, das sich von Donna Anna („Mozart ist nicht eigentlich für mich, auch wenn ich ihn liebe!“) bis Rossinis Semiramide über die Belcanto-Heroinen hin zu den Verdi- und Puccini-Figuren erstreckt, die sie in Italien und im internationalen Ausland mit namhaften und führenden Dirigenten (Muli, Kuhn, Maazel u. a.) gesungen hat. Unklugerweise nenne ich ihre Turandot und frage zweifelnd, ob sie sich damit einen Gefallen getan hatte. Das hat einen Schwall an Antworten zur Folge, und vor dem atemlos lauschenden, die Kaffeetassen in der Luft haltenden Publikum in unserem ehrwürdigen Café an der Piazza di Castello demonstriert sie mir akustische Kostproben der bereits erwähnten Garcia-Technik, während sie eindrucksvoll den Ton von ganz hinten aus der Kehle über die Maske hoch nach vorne in die Stirn schiebt – außer ihr kommt von niemandem ein Geräusch. Die Espressotassen schweben immer noch in der Luft. Ganz konzentriert, nicht auf ihre Umgebung achtend, versucht sie mir klarzumachen (der ich in meiner nordeuropäischen Skepsis auf einer gewissen Facheinteilung ruhe), dass die Breite des Repertoires und der Partien nicht abhängig sind von kleinlicher Einteilung, sondern von einer gesunden Technik und dem eben beherrschten Sitz ihrer Stimme, die sie durchaus (zu diesem Zeitpunkt)  in einer Santuzza, Gioconda, Butterfly oder Andrea Chenier-Maddalena sieht.

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Maria Dragoni, wie auch oben,  in „La Vestale“ an der Scala (Costumi e scene dei premi Oscar Dante Ferretti e Gabriella Pescucci Dirigent Muti; Maria Dragoni, Marianna Pentcheva, Antony Michaels-Moore, Luca Lombardo, G)/ Foto Lelli & Masotti/ Teatro alla Scala/ Mit Dank an das Archivio storico

Was uns zu ihren Schallplatten bringt, die ich „unglücklich“ nenne und die sie hasst! „Das bin ich nicht, meine Stimme ist dort weiß in der Höhe und einfach nicht meine!“ Schuld daran waren stets die mangelnde Zeit und die mangelnde Vorbereitung durch Dirigenten oder Produzenten. „Mein Recital bei Orfeo! Ich verehre und liebe Gustav Kuhn, und ich verdanke ihm viel. Aber ich hatte nur vier Tage für diese Arien von Rossini bis Puccini, alles Brocken. Und ich kann nicht eine Aida in so kurzer Zeit aufnehmen, wenn so wenig drumherum stimmt. Andere können das sicher, ich nicht. Ich mkich organisieren können, ich muss sicher sein, dass ich mich auf festem Terrain bewege, alle Komponenten kenne.“ Und in der Tat – im Falle ihrer Gulnara im Torineser Corsaro stimmte einfach alles, klang die Stimme durch den ganzen Körper, blieb stets gedeckt, immer geheimnisvoll-dunkel, überaus wortdeutlich und der Artikulation verpflichtet, trugen die Worte den Ton auf ganz unverwechselbare Weise.

Was mich besonders im Gespräch mit ihr überraschte, waren diese klaren, präzisen Ausführungen einer jungen Frau, die in Italien nicht gerade zu den Intellektuellen gerechnet wird. Der Schein trügt. Hinter einer eher kompakten, fast provinziellen Erscheinung verbergen sich eine schon betroffen machende Sensibilität, Wachsamkeit und Intelligenz, die sich ebenso in einer Diskussion der Gesangstechnik wie in Bemerkungen über ein politisches oder soziales Umfeld mit­ teilen. Diese gewisse Robustheit verbirgt zudem eine Empfindsamkeit und Verletzbarkeit, die man immer wieder nur ahnen kann, die sich aber auf der Bühne in sensiblen Momenten mitteilt, in fast schon zu privaten Bewegungen, in einer sehr persönlichen Art der Darstellung. Und in einer Zeit der Anonymität nimmt man eine so große, starke und gesunde Persönlichkeit dankbar wahr. An Maria Dragoni ist nichts gekünstelt, herrscht keine plakative Primadonnenhaftigkeit. Sie umgibt kein „Hype“ eines aufgepuschten Industrieglitters.

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Sie beherrscht ihr Handwerk, sie bringt sich in ihre Kunst ein, sie macht keine Trennung von Privatem und Beruflichem, und sie gibt alles, was sie hat, um eine glaubhafte Figur, eben eine lebendige Person, auf der Bühne darzustellen. Daneben ist sie eine lebenslustige junge Frau, die die Körpersprache liebt, ihr Gegenüber zur Bekräftigung ihrer Argumente anfasst, auch schüttelt, die ihre Umgebung vergisst. Und ihre großen braunen Augen auf ihren Gesprächspartner fixiert. Sie liebt Streitgespräche mit der ganzen Leidenschaft Mittelitaliens (Procida!). Und dass dieser Charakter-Zug in der Familie liegt, bestätigte sich, als ich mich mit ihrer ebenso formidablen Mutter vor der Garderobentür in einer Diskussion über die Unterschiede zwischen Katholizismus und Protestantismus sowie über den Schuldkomplex in der christlichen Religion verwickelt sehe – nicht eben übliches Pausengespräch, möchte man meinen .

Maria Dragoni als Aida/ TdC

Aida, Norma, auch Adalgisa (neben der Dimitrova),  Trovatore-Leonora, Don Carlo-Elisabetta, sogar Mimi und Sonnambula, lmogene und Gulnara, Semiramide und Butterfly – die Rollen-Reichweite der Dragoni ist bemerkenswert. Platten können den lmpakt, die dramatische Wucht und die belcantistische Agilität dieser Ausnahmestimme nicht einfangen, oder bislang nicht. Sie selber nennt sich – richtig – einen soprano d’agilita, wenngleich die Stimme nun in der Folge schwerer und vielleicht Mitte-lastiger wird und zu diesem Zeitpunkt eher auf das mittlere Verdi-Repertoire zusteuert (und sie, wie schon gesagt, ein festes Auge auf Maddalena und Santuzza hatte). Natürlich ist sie den Versuchungen des Marktes und der Agenturen ausgesetzt, und jeder hat ein Recht auf Irrtum (Tosca), denke ich. Aber in ihren besten Momenten kann man in dieser beinahe altmodischen Stimme baden und in seinem Geist die Assoziationen an illustre Vorgängerinnen anklingen lassen, ohne ihr ihre hochindividuelle Eigenständigkeit zu nehmen. Im dramatischen Belcanto jedenfalls hat sie keines gleichen, und von wem kann man das sagen?

Wir haben dann unsere Begegnungen aufgefrischt. In einem späteren Gespräch sagt sie, ebenso dezidiert wie zuvor: Die Oper ist eine antike, eine klassische Kunstgattung. So wie man die Mona Lisa von Leonardo in einem Museum hütet, so braucht die Oper ausübende Künstler, die gleichermaßen fleißig, seriös und gewissenhaft sind. Ich selber bin im Denken und der mich als Kind und Jugendliche umhüllenden Kultur meiner Mutter aufgewachsen. Um eine virtuose Stimme zu bekommen, muss man bereits früh beginnen, mit etwa 17 Jahren, Gesang zu studieren – und das in der richtigen Tradition, mit den hochbewährten alten Übungen des Musikpädagogen Manuel Garcia. Nach acht Jahren Studium ist man bereit, und dann hoffentlich bestens vorbereitet, zu debütieren. Ich war so jung wie die Callas am Beginn ihrer Karriere. Ich verblüffte die Simionato, die in der Jury saß, sang bereits die Arie n der lmogene/ Pirata und Norma und gewann den ersten von vielen weiteren Wettbewerbspreisen. An einem einzigen Abend wurde ich berühmt. Aber ich wollte nicht überschnappen, und auch wenn ich von Anfang an neben Pirata und Norma noch Poliuto, Sonnambula und Turandot sang, wollte ich mich nicht zu Partien hinreißen lassen, die für meine Stimme nicht geeignet waren –  denn ich war damals  ja am Anfang und eben noch kein voll gültiger dramatischer Sopran, sondern eher ein soprano d‘ agilità, was ein gewaltiger Unterschied ist. (…)

Norma ist der Gipfel des canto di bravura. Sie ist meine Lieblingsrolle. Ich habe sie hundert mal gesungen, begann damit mit  27 Jahren, und die bewegendste und schönste Regie war die des großen Werner Herzog. Norma braucht, wie Bellini selbst sagte, eine voce di carattere enciclopedico – es ist di e einzige wirklich dramatische Partie Bellini s. Sie hat ein Finale, das mich an Wagner erinnert, einfach herrlich! Aber Mein absoluter Wunschtraum ist die lsolde (lacht).

Und wir haben unsere incontri per mail (modi moderni in tempi extremi) nochmal erneuert. Sie schreibt:  Meine Karriere ist durchaus nicht zu Ende und wird nie zu Ende sein, solange meine Stimme existiert. Und meine Stimme habe ich zum Glück noch. Viele Dinge sind seit 1997 geschehen. Nach dem Corsaro, den ich 1996 in Turin gesungen habe und der eine wichtige Etappe war, sind wunderschöne Sachen passiert, so das Verdi-Requiem in Mondovision mit Carlo Maria Giulini und 1998 der Nabucco. Ich habe eine besonders glückliche, starke Natur, so dass ich trotz gesundheitlicher Probleme nie das Handtuch geworfen habe und in Form bin, so dass, falls Corona es erlaubt, noch viel von mir zu hören sein wird. Als nächstes steht die Vorstellung meiner Biographie auf dem Programm, die von einer jungen, sehr begabten Schriftstellerin geschrieben wurde. Es wundert mich, dass man in Deutschland so wenig über mich weiß, da ich doch in der ganzen Welt bekannt bin.

Maria Dragoni (Foto di Roberto Recanatesi che collabora con il ROF Rossini Opera Festival data 2010)

Ein Ass im Ärmel ist die Aufnahme von Ines de Castro des Komponisten Giuseppe Persiani, die nur ich in diesem Jahrhundert gesungen hat, weil die Partie so schwierig ist. Sie wurde für Maria Malibran geschrieben, und die hatte damit am San Carlo einen Riesenerfolg. Ich bin stolz darauf, diese Aufgabe bewältigt zu haben und den Hörern eine Partie vorzustellen, die sich über drei Oktaven erstreckt. Als ich die Rolle 1999 im Teatro Pergolesi in Jesi sang, kamen 60 Journalisten (ich auch und war frenetisierend/ G. H.) aus der ganzen Welt und bedankten sich bei mir dafür, weil ich ihnen eine Vorstellung davon gegeben hatte, was ein wirklicher soprano drammatico d’agilità  und ein canto di bravura sind. Diese Begriffe sind verbunden mit Maria Callas, aber erst nachdem sie sich in den Partien des soprano leggero und des soprano drammatico bewiesen hatte, übernahm sie 1949 von Margherita Carosio die Puritani und zeigte sich in ihrer ganzen Großartigkeit.

Ich bin die einzige Erbin von Maria Callas, weil nur ich die Diskussion darüber in Gang gebracht habe, dass man mit einer dramatischen Stimme das Fach des soprano leggero singen kann, indem ich als eklatantes Beispiel am Teatro San Carlo nach Edita Gruberova die Sonnambula sang, die zwar einen Triumph erlangte, während ich das Theater quasi zum Einsturz brachte, und der Grund dafür war, dass ich sang wie die Callas. Ein soprano d’agilità mit einem melancholischen Timbre, der alle Verzierungen singen kann und der quasi eine Kombination von Ghena Dimitrova und Mariella Devia ist. Diese Fähigkeit gab es im 19. Jahrhundert, dann verschwand sie und wurde erst wieder von der Callas entdeckt.

Maria Dragoni als Königin der Nacht in Werner Herzogs „Zauberflöte“, laut Maria Dragoni aber als Norma/ Foto TMP

Meine Biographie wird im Sommer erschienen, den Titel darf ich noch nicht nennen. Ich bin in Procida geboren, das 2022 Kulturhauptstadt sein wird, wofür ich viele Pläne hatte, die sich im Moment nicht verwirklichen lassen. Ich habe nach den beiden Konzerten in Deutschland viel gesungen und nie damit aufgehört. Ich habe danach als Violetta debütiert, viele Konzerte gegeben, die Abigaille gesungen und die Santuzza wieder ins Repertoire aufgenommen, für die ich den Premio Mascagni gewonnen habe, Norma, die ich dreihundertmal gesungen habe und die eines meiner cavalli di battaglia ist. 2013 habe ich sie in sieben sizilianischen Städten gesungen, und es war immer ein Triumph. Dann habe ich in Genua in einer wunderschönen modernen Oper mit dem Titel Che fine ha fatto la piccola Irene (Welches Ende hat die kleine Irene genommen) nach einem Roman des großen Andrea Cammileri debüttiert. Ich habe Tosca in Torre del Lago gesungen. 2005 war ich die Gulnara im Corsaro in New York, 2007 debüttierte ich mit der Santuzza, und in Frankreich die Turandot. Bis 2019 habe ich durchgehend gesungen. Wenn es wieder möglich ist, werde ich die Norma im Teatro del Antico von Taormina singen. Ein Regisseur von RAI will eine Dokumentation über mich machen. Karfreitag 2020 gab es die Übertragung des Verdi-Requiems unter Giulini erneut im Fernsehen. Ich bin also noch da! (Die Gespräche führte Geerd Heinsen; Übersetzungen Ingrid Wanja/ Foto oben Maria Dragoni als Giulia/La Vestale/ Lelli e Masotti © Teatro alla Scala)

 

Stella d’Oriente

 

Immer wieder überraschen die Opernwelt Stimmen aus dem slawischen Raum höchst angenehm, so die der Weißrussin Oksana Volkova, ein Mezzosopran, der sich mit Opernarien vorwiegend aus dem französischen und slawischen Repertoire unter dem Titel Poison d’Amour bei Delos vorstellt. Sie beginnt mit der Schlussarie der Sapho aus Gounods gleichnamiger Oper und lässt den Hörer über das Leuchten der Stimme, die sie durchgehend schlank halten kann, erfreut sein, ihre Herkunft durch leicht scharfe Höhen dabei nicht verleugnend. Parallel zum Orchester wird der Mezzo zunehmend tränenschwer, ehe die Stimme verstummt. Es folgen die beiden Arien der Dalila, denen sie sinnlich samtige Farben verleiht, die Tiefe erweist sich als gut angebunden an die Stimme, deren schöne Farben in großen Bögen eingesetzt werden, die stets schlank bleibt und trotz aller heraufbeschworenen Schwüle nie ordinär erscheint. Thomas‘ Mignon beschwört das Land, wo die Zitronen blühen mit einer leichten Emission der Stimme, vielleicht etwas zu auffahrend für das zarte, knabenhafte  Geschöpf. Tränenschwer und reichlich vollmundig beklagt Charlotte ihr Schicksal, die Carmen der Volkova gehört sicherlich nicht zu den dem Chanson zugeneigten Vertreterinnen der Partie.

Aus dem slawischen Repertoire sticht die Arie aus der im Westen vollkommen unbekannten weißrussischen Oper The Gray Legend von Dmitri Smolski hervor, 2012 uraufgeführt und vollkommen der Tonalität verpflichtet, eine blutrünstige Geschichte mit frommem Ende, spätromantisch und von der Sängerin mit slawischen Schärfen ausgestattet. Slawische Melancholie verbreitet sich mit Lyubavas Arie aus Sadko, hellere, mädchenhafte Töne lässt Tschaikowskis Jungfrau von Orléans vernehmen, eine Art Mezzo-Tatjana. Mit dräuender Bruststimme, phantastischen Intervallsprüngen nach unten, die im Fahlen enden, schafft die Sängerin einen scharfen Kontrast zu der mezzofarbigen Höhe, alles vereint in der Arie der Marfa aus Khovanshchina.

Zwei bekannte Arien aus dem italienischen Repertoire sind am Schluss der CD zu hören: Santuzzas Bekenntnis gegenüber Mamma Lucia und Adrianas Rivalin mit ihrem  „Acerba voluttà“. Bei beiden stört das verwaschen klingende Italienisch den Gesamteindruck, bei Santuzza das schwache „Io piango“, während die Principessa de Bouillon jeden noch so schlachterprobten Maurizio erzittern lassen könnte.

Ein zuverlässiger Begleiter ist das Kaunas City Orchestra unter Constantine Orbelian (Delos DE 3584). (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) Ingrid Wanja       

Pauline Tinsley

 

„Vil bastarda di Bolena“ – nie werde ich den Auftritt von Pauline Tinsley (27. März 1928 – 10. Mai 2021) als Elisabetta an der ENO London neben Janet Bakers Maria Stuarda  vergessen: ein zutiefst charaktervolles Gesicht, der Körper, die Spannung, die Gestik zu jeder Minute dem Ausdruck untertan. Die Stimme selbst nicht sonderlich schön und auch im oberen Bereich vielleicht etwas sehr scharf, aber was für ein Aplomb, welche Kraft, welche Flexibilität der Diktion und der Mitteilung. Das ist das Zeug, aus dem große Sänger gemacht sind. Die Tinsley war so eine, kein Zweifel, auch wenn sie in der öffentlichen kontinentalen Wahrnehmung vielleicht zu sehr auf die großen Charakterpartien wie Elektra oder Lady Macbeth festgelegt war. Gerade letztere an der ENO und an der Scottish Opera hatte mich tief beeindruckt, und mir fällt dazu nur das Attribut „furchtlos“ ein. Ähnlich wie die Scotto wucherte die Tinsley mit ihrem Pfund, und ähnlich wie die italienische Kollegin ist sie nicht in den Kategorien von Schön-Singen zu beurteilen. Eine Sing-Schauspielerin wie die Borkh, wie die Lippert vielleicht, dabei von einer enormen Fachbreite von Monteverdi zu Britten und Strauss. Und sie kam herum. Ost- wie West-Berliner werden sich an das Gastspiel der Amsterdamer Harry-Kupfer-Elektra (Premiere dort 1977) in der Komischen Oper mit ihr erinnern – wie die Kollegin Barstow in der Salome an der Staatsoper auch sie unvergessen und unverwischbar nachdrücklich. Nun starb sie am 10. Mai 2021.

Pauline Tinsley: „Maria Stuarda“ mit Beverly Sills/ NCO/ youtube

An offiziellen Aufnahmen gibt es kaum welche mit ihr – eine Hexe Purcells und die Idomeneo-Elettra bei Philips, eine Magd in Soltis Elektra bei Decca (neben den von mir ebenfalls verehrten Britinnen Maureen Lehane und Helen Watts). Dazu kommt als bleibender Eindruck auch ihre Maiella in Wolf-Ferraris Gioielli della Madonna bei Gala von der BBC.  youtube hat hingegen Reichliches von ihr, vor allem ihre gut dokumentierte Elektra, und ihre Biografie zeigt auf, wo und was sie alles gesungen hat. Sie war nie die erste Sängerin, und sie hatte das Pech, noch in der Ära der Callas angefangen zu haben, die Kolleginnen Nilsson und Jones erleben zu müssen und den zähen, aber unaufhaltsamen Aufstieg der britischen Sänger, die heute aus dem großen Geschäft nicht mehr fortzudenken sind, damals aber sich sehr behaupten mussten. Nachstehend gibt es einen zusammenfassenden Artikel von den Freunden von Isoldes Liebestod, die ihre Laufbahn schildern und mit mir diese große und nicht nur für mich bedeutende Sängerin schätzen. Was für eine intensive Künstlerin war sie doch. Und was bin ich froh, sie noch erlebt zu haben. G. H.

 

Pauline Tinsley: Elektra mit Marie Collier in Cardiff/ WNO

 Tinsley Pauline Cecilia, Sopran, * 27.3.1928 Wigan bei Manchester; Ausbildung an der Northern School of Music in Manchester durch Margaret Dillon und Ellis Keeler, dann in London durch Joan Cross, Roy Henderson und Eva Turner. Sie begann ihre Karriere zunächst als Konzertsängerin. Bühnendebüt 1961 bei den Philopera Company in London als Desdemona in Rossinis Belcanto-Oper »Otello«. Sie hatte seit 1962 bei der Welsh Opera Cardiff große Erfolge als Abigaille in Verdis »Nabucco«, als Lady Macbeth In »Macbeth« von Verdi und als Turandot von Puccini, dann auch als Aida und als Elektra in den gleichnamigen Opern von Verdi und R. Strauss. Sie sang 1962-72 und wieder 1975-81 bei der Welsh National Opera Cardiff u.a. auch die Elsa im »Lohengrin«, die Donna Elvira im »Don Giovanni« und die Susanna in »Figaros Hochzeit«, bei der English National Opera London 1963-74 die Gilda im »Rigoletto«, die Königin der Nacht in der »Zauberflöte« und die Leonore im »Fidelio«. Seit 1963 auch bei der English National Opera London engagiert, wo sie als Gräfin in »Nozze di Figaro«, als Fiordiligi in »Così fan tutte«, als Leonore im »Troubadour« wie in »La forza del destino« von Verdi und als Elisabetta in »Maria Stuarda« von Donizetti auftrat. Seit 1965 Mitglied der Covent Garden Oper London; hier 1971 sehr erfolgreich als Amelia in Verdis »Ballo in maschera«, 1976 als Santuzza, 1983 als Mère Marie in »Dialogues des Carmélites« von F. Poulenc, 1989 als Lady Billows in »Albert Herring« von B. Britten, die sie auch 1990 beim Glyndebourne Festival übernahm. 1966 wirkte sie am Londoner Camden Theatre in der englischen Erstaufführung von Verdis Oper »Il Corsaro« mit. Gastspiele an der New York City Centre Opera (1971-72, u.a. in der amerikanischen Bühnen- Erstaufführung von »Maria Stuarda« von Donizetti), an der Niederländischen Oper Amsterdam (1984 Titelrolle in »Elektra« von R. Strauss), an der Hamburger Staatsoper, bei den Festspielen von Verona (1982), an den Opernhäusern von Zürich und Genf (1988), Vancouver, Philadelphia, Houston (Texas), Santa Fé (1969 als Titelheldin in Donizettis »Anna Bolena«) und New Orleans (1985 als Ortrud im »Lohengrin«).

Pauline Tinsley: Lady Macbeth in Cardiff/ WNO

An der Scottish wie an der Welsh Opera hörte man sie als Küsterin in Janáceks »Jenufa«, 1989 an der English National Opera als Kabanicha in »Katja Kabanowa« von Janácek, an der Opera North Leeds als Fata Morgana in »L’Amour des trois oranges« von Prokofieff, beim Wexford Festival 1990 in »The Rising of the Moon« von N. Maw. Noch 1996 übernahm sie beim Garsington Festival die Partie der Lady Billows in B. Brittens »Albert Herring«. 1979 wirkte sie an der Oper von St. Louis in der Uraufführung der Oper »The Village Singer« von Stephen Paulus (als Candace) mit. An der Mailänder Scala wie am Teatro Liceo Barcelona (1986) war sie als Färberin in »Die Frau ohne Schatten« von R. Strauss zu hören. Die Elektra, eine ihrer großen Kreationen, sang sie u.a. in London, San Diego, Amsterdam, Basel, Düsseldorf und Mannheim. Gegen Ende ihrer Bühnenkarriere übernahm sie dramatische und Wagner-Partien (Isolde, Kundry, Brünnhilde, Kabanicha, Hexe in »Hänsel und Gretel« wie in »Die Königskinder« von Humperdinck). Noch 1997 trat sie am Opernhaus von Dublin als Marcellina in »Figaros Hochzeit« auf. Sie sang auf der Bühne ein universelles Repertoire, dessen Partien von der Koloraturrolle bis ins dramatische Fach reichten. Dazu galt sie als hervorragende Schauspielerin. Sie konnte eine gleich bedeutende Karriere im Konzertsaal entfalten. Schallplatten: Philips (Elettra in Mozarts »Idomeneo«), MRF/ Gala (»I Gioielli della Madonna« von Wolf- Ferrari). Lit: E. Forbes: Pauline Tinsley (in »Record Collector«, 1982). Quelle: Isdoldes Liebestod

Viktor Parmas „Zlatorog“

Es ist – denken wir bei operalounge.de – doch die Aufgabe eines anspruchsvollen Opernmagazins, nicht nur auf seltene Titel der Theatergeschichte hinzuweisen, sondern als Europäer vor allem europäische Opern bekannt zu machen (und damit das akute und sträfliche Versäumnis unserer Opernhäuser mit ihren einseitigen Spielplänen zu korrigieren), die – wie viele der von uns bislang vorgestellten – ursächlich oder begleitend zum nationalen Selbstverständnis der jeweiligen Entstehungsländer beitragen,  dort nationale Entwicklungen zur Eigenständigkeit nach längerer Fremddominanz befördern. Dass Oper eine sozialpolitische Funktion zeigt und gleichzeitig auch ein Seismograph des nationalen Bewusstseins ist ausübt steht ja außer Zweifel. Zwar schlagen sich zwar wichtige politische Ereignisse meist nur mit Verzögerung in den Opernplots nieder, aber auch aktuelle Bestrebungen nach nationaler Einheit und Identität ((und dem Verlust derselben) finden sich in vielen Werken ganz aktuell, oft in Form der Verwendung von Folklore und/oder nationalem Liedgut, oft auch durch Reaktivierung glorioser Siege in der ferneren Geschichte des jeweiligen Landes (so zum Beispiel bei Gounod oder Saint-Saens um die Schmach des deutsch-französischen Krieges vergessen zu machen, auch in Ivan Zajcs Nicola Subic Zrinski, in dem zwar die Türken niedergemacht werden aber die Österreicher gemeint sind; gleiches gilt für Pavlo Carrers Marcos Botsaris oder Naumanns Gustav Wasa und natürlich auch Verdis Nabucco).

Anders als in z. B. Carl Maria von Webers Freischütz, der nicht bekanntes Volksgut verwendet, sondern Eigenes in der Nähe des Volkstümlichen erfindet und es wie Langbekanntes klingen lässt, sind viele Opern aus vor allem Süd- und Osteuropa angefüllt mit direkten Zitaten aus der musikalischen Folklore. Jede osteuropäische ethnische Minderheit beherbergt mindestens eine Oper, die als Banner des Nationalstolzes dient.

Immer noch ist einer der aufregendsten Momente in meinem langen Musikleben die Entdeckung des Unbekannten. Durch Zufall las ich einen englischsprachigen Aufsatz der Uni Ljubljana über Viktor Parma und seine Oper Zlatorog, was soviel wie Goldenes Horn heißt und sich als das Gehörn eines Ziegenbock, hier einer Gämse im Gebirge Istriens, entpuppte. Nach Meyerbeer nun noch eine Oper über eine Ziege! Diese Ziege nun ist ein zaubernder Zoegenboch und Held n einer Oper von 1919 (erst 1921 in Ljubljana uraufgeführt), von eben diesem Herrn Parma. Parma? Veilchen, Schinken? Durchaus nicht. Italienischer Abstammung (Triest) zählt Viktor Parma zu den musikalischen Größen Sloweniens nach der Auflösung der Donaumonarchie und Schöpfer einer nationalen slowenischen Oper. Mit vielen west-europäischen und slawischen Einflüssen. Spannend.

Bei youtube gibt es einen Mitschnitt eben dieses Zlatorogs von 2009 aus Maribor, gut gesungen (namentlich der Tenor). Weitere Opern, wie die sehr ansprechende Ksenija im russischen Millieu, finden sich dort dankenswerter Weise auch. Musikalisch ist das eine interessante Sache zwischen spätem Belcanto und Verismo, Catalani und Mascagni näher als Puccini und Cilea.

Der slowenische Komponist Viktor Parma/ Kamra.si

Die Suche nach Material gestaltete sich dornenreich, aber dann halfen slowenische Freunde und vor allem der Dramaturg der Oper von Maribor außerordentlich liebenswürdig mit Hinweisen und konkreten Liebesgaben (sogar ein zweisprachiger Klavierauszug). Zudem gibt es ein – leider nur slowenisch-sprachiges – Buch über Viktor Parma, das der Autor uns als italienisches Maschinenskript zukommen ließ. Die originalen Yugoton-LPs von 1979 sind nicht mehr greifbar, trotz aller Suche.

Der folgende Artikel beruht auf vielerlei Hilfe und soll für nicht slowenisch-kundige Opernliebhaber einen ersten Eindruck dieses im Westen absolut unbekannten Komponisten und seiner Nationaloper Zlatorog vermitteln, Appetit machen, diesen kennenzulernen. Hoffe ich jedenfalls.

Viktor Parma (Triest, 20. Februar 1858 – Marburg an der Drau, 25. Dezember 1924) studierte Komposition als Jurastudent in Wien. Einer seiner Kompositionslehrer war dort Anton Bruckner. Um die Jahrhundertwende war Parma der beliebteste und produktivste Opernkomponist in Slowenien. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er zum künstlerischen Leiter des Nationaltheaters von Maribor ernannt. In der ersten Phase seiner kompositorischen Tätigkeit nahm Parma den kroatischen Kollegen Ivan Zajc als Vorbild, den Gründungskomponisten der kroatischen Nationalschule (der in Mailand studiert hatte). Parmas Absicht war es, eine slowenische Nationalschule zu gründen. Sein Stil wurde tiefgreifender sich in späteren Werken, als die Einflüsse von Smetana, Dvorak und Tschaikowsky es Parma ermöglichten, einen eigenen  slawischen Stil zu erlangen, der mit dem Einfluss des slowenischen Volksliedes verschmolz und zur Geburt der slowenischen Nationaloper führte.

Der Dichter Rudolf Baumbach schuf die Vorlage zum Libretto des „Zlaterog“ von Richard Brauer/ Wikipedia

Er entwickelte einen Kompositions-Stil, der auch in seinen Operetten zu finden ist, obwohl auch hier – wie bei Ivan Zajc – das Wiener Vorbild erkennbar ist. Parma schrieb die meisten seiner Werke auf slowenisch verfasste Texte und wurde so zum Musiker, der als Erster Werke für das Theater in dieser Sprache komponierte, wie Paolo Petronio in seinem Buch über Parma schreibt (das einzige zudem und auch „nur“ in slowenischer Sprache). Zur selben Zeit komponierte Parma auch Werke anderer Genres, darunter zwei Kantaten, viele Klavierstücke, Chöre, Lieder für Gesang und Klavier, Bühnenmusik und ein Quartett für Streicher.

Sein Meisterwerk ist seine späte, letzte Oper Zlatorog, die auf einer Volks-Legende der Julischen Alpen basiert und sich mit einer mythischen Gämse mit goldenen Hörnern befasst, zweifellos ein Einfluss der alpinen Oper La Wally von Alfredo Catalani (1892), aber auch Nähe zu Webers Feischütz. Parmas letzte Oper, Pavliha, zu einem beliebten slowenischen Komödien-Stoff, blieb aufgrund des Todes Parmas unvollendet.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtete das jugoslawische kommunistische Regime die Werke von Parma (die bereits seit vielen Jahren unaufgeführt blieben, nur Maribor kann auf beträchtliche eine Liste von Produktionen der Opern Parmas vor dem Krieg verweisen) als reaktionäre Musik, da eines seiner Werke während der nationalsozialistischen Besatzung in Ljubljana aufgeführt worden war, und verbot dessen Ausführung. Erst in den Jahren 1977 und 1983 versuchte das Theater von Maribor immer wieder, seine Opern zu exhumieren, aber bis auf eine Ksenija in Ljubljana blieb es doch bei diesen regionalen Darbietungen in Maribor (Zlatorog 1979 und 2009). 2002 wurde Parma an der Oper von Ljubljana wiederentdeckt, gefolgt von Aufführungen seiner Werke in Novo Mesto und Maribor.  Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass Parma aufgrund des langen Schweigens, das das jugoslawische Regime seiner Musik auferlegt hat, immer noch nicht die wirklichen Vorzüge der slowenischen öffentlichen Meinung genießt, die ihm als Initiator der nationalen Musikschule zugeschrieben werden sollten.

„Zlatorog“ an der Oper Maribor 2009/ OperaBallet Maribor

Die Musik von Parma fällt daher unter das Phänomen der „nationalen Schulen“, die im allgemeinen Komplex der musikalischen und politischen Evolution Europas keine Rolle (mehr) spielen, die aber im Heimatland vor allem „jüngerer“ Länder (i. e. Länder nach der Befreiung von außernationaler Dominanz) von Bedeutung sind. Die Qualität seiner Musik setzt Parma mit nationalbewussten Komponisten wie Smetana, Grieg, Berwald, Catalani oder Zajc gleich. Viktor Parma wurde aufgrund des Schweigens, das ihm das jugoslawische Regime auferlegt hatte, sowohl von der slowenischen als auch von der europäischen Musikwissenschaft lange Zeit ignoriert.

Das Problem der Annahme des Komponisten in seiner Heimatstadt Triest, wo Parma seit 1913 nicht mehr aufgeführt wurde, bleibt jedoch ungelöst. In Triest kennt man zwar Parma, aber nicht den Komponisten, sondern wegen des Orchesters, das seinen Namen trägt. Allerdings denken auch in Slowenien denken, dass Parma eine Stadt und nicht ihr wichtigster Komponist ist. Obwohl er nationale slowenische Musik komponieren wollte, hielt man ihn in Slowenien für einen Ausländer. Er ist ein Paradebeispiel für einen durch die politischen Umstände Heimatlosen, zwischen den Systemen und geopolitischen Verschiebungen Gefangenen. 1918 trennt sich Slowenien von Österreich-Ungarn, dem es seit 1456 – mit Unterbrechung durch die napoleonischen Kriege – angehörte. Parma ist bei Kriegsende in Wien. Erst 1920 kann er nach Slowenien zurückkehren, wird aber nun agressiv von der Presse kommentiert.

„Zlatorog“ an der Oper von Maribor 2009/ Szene/ OperaBallet Maribor

Das Theater von Maribor bietet ihm Intendanz an.  Nun will plötzlich auch Ljubljana den Zlatorog aufführen, und hier findet 1921 die späte Uraufführung des Zlaterog statt. Es gibt14 Aufführungen und eine feindselige Presse (weil Parma als konservativ und ex-österreichisch galt). Danach komponiert Parma Märsche, Kantaten, Streichquartette. In Maribor dirigiert er seine Werke. Urh du Zlatorog wird 1923 in Maribor aufgeführt. Weihnachten 1924 stirbt er während einer Krebsoperation in Maribor

 

Es  besteht kein Zweifel, dass Viktor Parma zu den produktivsten slowenischen Komponisten des Musiktheaters gehört, wie seine Opern (Urh, Der Graf von Celje, Ksenija, Stara Pesem, Zlatorog, die unvollende heitere Oper Pavliha), seine Operetten (Kaiserin der Amazonen, Der Neffe, Der Tempel der Venus) und seine Bühnenmusiken beweisen. Natürlich bleibt Parma nicht nur wegen seiner umfangreichen Theaterproduktion in Erinnerung, sondern auch als Schöpfer der ersteren durchkomponierten slowenische Oper, Zlatorog (1919), seine letzte Oper.  Zlatorog  nimmt einen besonderen Platz im Oeuvre des Komponisten sowie in der  Geschichte der slowenischen Oper ein. Parma wollte nach Jahren der österreichisch-italienischen Dominanz eine großartige slowenische Nationaloper schreiben und wählte dafür ein märchenhaftes Sujet und die Form eines Musikdramas, das zu dieser Zeit bei den europäischen Kollegen sehr üblich war, war aber im Slowenischen völlig neu. Parma mischt deshalb überkommene konservative und für Slowenien neue Strukturen. Daher gibt es im Zlatorog verschiedene Einflüsse aus dem Belcanto mit jenen des italienischen Verismo, dazu Einflüssen aus Operette, Volksmusik, großer Oper und Wagners Musikdrama.

100 Jahre Gesang in Maribor – Sonderausgabe des Theaters mit historischen Aufnahmen/ OperaBallet Maribor

Parma verzichtete auf die Form der Nummern-Oper zugunsten des durchkomponierten Musikdramas auf, aber man kann dennoch „Nummern“ wie Janez` Trinklied, zwei Liebesduette und die Choreinlagen sowie Jericas Lied als solche erkennen. Weiter entwickelt ist Jakas Monolog aus dem Prolog, aufgebaut aus verschiedenen Fragmenten und leitmotivischen Anspielungen. In seiner Verwendung jener Leitmotiven ist Parma nicht so streng wie Wagner, aber er baut ein starkes psychologisches Motivnetz an Wechselbeziehungen auf. Ein solcher Übergang zum Neuen bedeutete jedoch keine radikale Abkehr vom Bekannten, sondern eher eine Synthese von Alt und Neu.

Dies ehrgeizige Projekt hatte in dem neugefundenen Slowenien nach dem Ersten Weltkrieg kein nennenswertes Vorbild. Zur Zeit des slowenischen nationalen Erwachens wurden zwei Singspiele auf slowenischem Boden komponiert – Vilhar’s Jamska Ivanka (1850) und Tičnik von Benjamin Ipavec (1864).  Nationales Erwachen in Opern könnte bereits in Foersters Gorenjska/ Die Nachtigall gesehen werden, die ursprünglich als Operette (1872) entworfen war und erst gut zwei Jahrzehnte später in eine Oper umgewandelt wurde (1896). Auch in Risto Savins  zweiter Oper Lepa Vida (1907), die viel  slowenisches, folkloristisches Material enthält.

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„Zlatorog“ als ehemalige Yugoton-Aufnahme

Parma lebte während seines Jurastudiums in Wien (1876-1881) und nahm an Vorlesungen Anton Bruckners teil, besuchte auch die österreichische National-Bibliothek, in der er Opernpartituren studierte, die ihm wichtige Impulse gaben. In Wien traf er Richard Brauer, den Librettisten des Zlaterog (der Dichter Cvetko Golar übersetzte schließlich das Ganze ins Slowenische). Die Bauweise des Librettos erinnert in einigen Umrissen an Webers Freischütz, das heißt an eine frühe deutsche romantische Oper. Die Berührungspunkte findet man im Motiv des „gefallenen“ Jägers (Tondo), und auch im Motiv des Jägers, der Hilfe bei mythischen Wesen sucht, um das Glück seiner Liebe mittels übernatürlicher Kräfte zu erreichen. Parmas Oper Zlatorog versuchte wie Webers Freischütz, wenn man so will, die Idee der nationalen Oper mit der Technik des musikalischen Dramas und des mythologischen Materials zu verbinden. Dazu kommen Formen der veristischen Oper und sogar ein umfangreiches Ballett im Sinne des Dramas wie Verdis Handlungsballett im Don Carlos und nicht auf eigenständige Modelle eines Petipa an der Pariser Grand Opera.

Parma vertraut auf die melodiöse Gesangsmelodie, die ihn mit dem italienischen Belcanto verbindet. Das ist am deutlichsten im Duett von Jerica und Marco zu sehen, das in diese „italienische“ Richtung zeigt. Aber es gibt auch veristische Beispiele, trotz der mythologischen Verwurzelung der Protagonisten. Und man findet auch in der Oper auch immer wieder diese typischen Chöre, die die national orientierten Werke kolorieren und für eine vernakuläre Atmosphäre sorgen. Für die dramaturgische Entfaltung sind sie eher irrelevant, bleiben statisch. Die veristischen Anleihen zeigen sich in dem Konzept eines schnellen Finales: Janez wird von einer Lawine zu Tode gerissen, ein Chor kommentiert sein Ende. Da sind Assoziationen zu den italienischen Vorbildern nicht weit. Aber auch die Versöhnung mit dem Schicksal, der Abschied von der Welt, das Gleichgewicht von Gut und Böse und letztlich auch die Bestrafung der Hybris des Anti-Helden sind bekannte Strukturen aus dem west-europäischen Opernschaffen der Zeit.

Viktor Parmas „Zlatorog“ bei youtube: der Mitschnitt der Live-Aufnahme aus Maribor 2009 unter Simon Robinson mit Matjanez Stopinsek, Sabina Cvilak, Irena Petkova, Janko Volcansek u. a.; Orkester in zbor Opera in balata SNG Maribor/ Roberto Job

Ein ganz wichtiger Bestandteil des Komposition sind die Einschlüsse slowenischer Volkslied-Bestandteile, die man im Prolog besonders häufig findet. Parma als ehemaliger erfolgreicher Operettenkomponist, weiß genau, wie er diese einbaut und verwendet, ihre spezifischen Rhythmus-Impulse effektvollvorstellt und eine gewisse Farbigkeit und Verwurzelung im nationalen Klang-Image erzeugt. Eben diese Einschlüsse folkloristischer Elemente lassen den Zlatorog eine ganz eigene, nationale Oper sein. So wie bei den Kompositionen seiner Kollegen der anderen von der K. u. K.-Dominanz fortstrebenden Länder, man denke da an Ivan Zajc und seine große nationale Oper Nicola Zrinski (1876 Zagreb). Geerd Heinsen

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Zlatorog, Oper in einem Prolog und drei Akten, Libretto von Richard Brauer, inspiriert von der epischen Erzählung von Rudolf Baumbach, Übersetzung ins Slowenische von Cvetko Golar (Adaption des Librettos von Igor Order) Musik von Viktor Parma Komposition: 1917 – 1921 Uraufführung: Ljubljana, Opernhaus, 17. März 1921 Rollen: Janez, Jäger aus Trient (T) – Špela, junger Hirte (C) – Jaka, alter Hirte (B) – Katra, Gastgeberin (Frau) – Jerica, seine Tochter (S) – Tondo, angehender Jäger (B) – Marco, venezianischer Kaufmann (Br) – vier venezianische Kaufleute (2T, 2B) – die Sojenice, drei weiße Feen von Triglav (S, S, C) – zwei Kinder der Hütte, Schulkinder und Lehrer, Jäger und Jäger, Gäste der Taverne, Jungen und Mädchen (Chor und Statisten).

Parmas „Zlatorog “ lieferte auch die Vorlagen zu Bearbeitungen für Tanz und Klavier/ Wiki

Prolog: Es ist später Abend. Der alte Hirte Jaka raucht eine Pfeife, während zwei Kinder Milch aus einer Schüssel trinken und die junge Špela die Hausarbeit erledigt. Es klopft an der Tür: Es ist Janez, ein junger Jäger. Nach einer guten Jagd bittet er um Gastfreundschaft für die Nacht. Er trägt eine Gämse und einen Luchs mit sich. Janez wird mit großer Gastfreundschaft begrüßt und zum Abendessen eingeladen und Jaka erzählt nun eine fast tausend Jahre alte Sage, die Sage vom Zlatorog (der zauberischen Gämse). Auf der Bergkette von Bogatin bis Triglav befindet sich das magische Königreich der Sojenice, die drei weißen Feen. Sehr selten kommen sie ins Tal und wachen über der Wiege eines Neugeborenen. Dieses Kind wird dann ein reiches Leben mit einem wunderbaren Schicksal führen. Aber im Allgemeinen bleiben die drei Feen in ihrem magischen Reich verborgen. Hier leben Herden weißer Gämsen. Deren Anführer ist Zlatorog, der ein goldenes Horn auf dem Kopf hat. Aus seinem Schweiß entsteht grünes Moos, aus jedem Tropfen seines Blutes eine Rose von Triglav. Wenn Zlatorog verletzt wird, heilt er auf wundersame Weise, indem er eine der Rosen isst. Die Feen stürzen sich dann in den Abgrund, wo bereits mehrere Tote liegen. Es sind diejenigen, die ihn verletzen. Es wird jedoch gesagt, dass eines Tages jemand kommt, der den Zlatorog besiegen wird. Dann öffnet sich vor dem Schützen die mysteriöse Höhle des Berges Bogatin voller Gold und Juwelen. Janez ist beeindruckt von der Geschichte, allein gelassen mit Špela, gibt ihr die Rosen, die er auf dem Triglav gesammelt hat, und versucht dann eine Werbung, aber das Mädchen entzieht sich. Er versucht sie zu küssen, aber Špela entkommt und lässt ihn allein. Janez schläft ein und die Wände der Hütte verschwinden lanmgsam: Das magische Königreich Zlatorogs und der Ziegenbock mit einer Herde weißer Gämsen erscheinbt. Die drei Feen ermahnen Janez, vorsichtig zu sein und das Abenteuer einer Jagd auf Zlatorog nicht zu wagen.

„Zlatorog“ am Theater von Maribor 2009/ OperaBallet Maribor

Akt 1: Die Brücke über den Isonzo bei Trient. Es ist ein Feiertag. Eine Gruppe von Schulkindern  singen für die Gastgeberin der Gastwirtschaft,  Katra. Dies dankt und bietet Süßigkeiten. Tondo, der Jägerlehrling ist sehr verärgert: Janez schlägt alle im Schießwettbewerb. Špela versucht ihn zu trösten, aber sie denkt viel an Janez. Janez singt ein Lied auf den slowenischen Wein und die Heimat. Die blonde Jerica, Tochter von Katra, betritt die Bühne. Sehr zu Špelas Verachtung verliebt sich Janez auf den ersten Blick in sie und bittet Katra um Erlaubnis, mit ihr tanzen zu dürfen. Jerica wirtft sich Janez an den Hals und sie tanzen leidenschaftlich..

Akt 2: Es ist früher Morgen, noch dunkel. Die Sonne gezt langsam auf.  Špela putzt. Janez erscheint mit einem Strauß Triglav-Rosen am Fenster und fragt nach Jerica. Das Mädchen reagiert ausweichend und verlässt den Raum, als Jerica erscheint. Janez reicht ihr die Blumen. Die beiden küssen und umarmen sich und erklären sich ihre Liebe.Allein gelassen träumt Jerica von Janez. Špela kehrt zurück, und Jerica erzählt ihr von ihrer Liebe und fragt sie, ob sie auch verliebt sei. Špela antwortet ausweichend … Sie war einmal in jemanden verliebt, der behauptete, von den Feen  auserwählt worden zu sein, aber das war eine Täuschung. Jerica sagt, dass Janez auch von dern Feen beobachtet würde, wie er selber behauptete. Und Špela weist darauf hin, dass das Jagen und Sammeln von Blumen auf dem Berg nicht den Segen der Feen hätte. Die beiden necken sich gegenseitig, aber darin kündigt Katra die Ankunft des Postwagens an. Marco, ein venezianischer Kaufmann tritt mit vier Reise- und Geschäftsbegleitern auf. Sie , trinken, singen und loben Bacchus. Marco sieht Jerica und beginnt sie zu umwerben, er gibt er ihr eine goldene Halskette. Jerica nimmt  das kostbare Geschenk gerne an. Darin tritt Janez ein, der Zeuge der Szene war und von ihr schockiert ist. Er fordert Jerica auf, die Kette abzulkegen, aber sie lehnt ab und sagt, dass Marco immerhin ihr eine goldene Halsketten gab un d nicht nur Blumen wie Janez. Unter den hämischen Kommentaren der Anwesenden verschwindet Janez wütend. Jerica nimmt ihre Halskette ab und fängt an zu weinen. Marco ist verärgert, während Katra versucht, Jerica zu trösten.

„Zlatorog“; Klavierbearbeitung der „Barcarole“/ Wikipedia

Akt 3: Bei geschlossenem Vorhang beschreibt ein symphonisches Zwischenspiel  den Aufstieg Janez´in das magische Königreich. Dann gibt es das wunderbare Ballett aus Blumen, Gämsen und Feen, während das Zeuiberreich Sojenice und Zlatorog erscheinen. (In den verfügbaren Aufnahmen fehlt dieses). Während die magischen Wesen verschwinden tritt Janez ein lauert auf Zlatarog. Eine Stimme ruft von ferne: Es ist Špela, die ihm gefolgt ist und versucht, ihn aufzuhalten. Es gäbe doch andere, wichtigere Dinge als das Geld: ein friedliches Leben und aufrichtige Liebe. Sie will ihn retten und fleht ihn an umzukehren und diesen Wahnsinnzu lassen. Aber Janez weist sie wütend ab. Zlatorog erscheint, Janez schießt und verwundet ihn. Die Szene verdunkelt sich plötzlich, und der Berg bricht zusammen, Janez wird mit Špela im Steinschlag in den Abgrund geschleudert. Unten zwischen den Felsen ist Janez Körper zu sehen. Spela ist unversehrt und wirft sich verzweifelt über ihn. Er stirbt voller Schuld. Die weißen Feen haben ihn geholt. Der Chor kündigt das Erscheinen deZlatorogs an: Er hat seine Rache bekommen. (G. H./ Google-Übersetzung)

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Der Artikel über Viktor Parma beruht auf verschiedenen Quellen, auf Paolo Petronios Biographie „Viktor Parma – Oče slovenske Opern“ („Viktor Parma – DerVater der slowenischen Oper“), leider nur auf Slowenisch; ein italienisch handgetipptes Manuskript lag uns bei operalounge.de vor und wurde von Ingrid Wanja für uns bewertet. Die slowenische Wikipedia bietet vieles an Informationen; zudem lohnt sich ein Blick auf den Artikel von Gregor Pompe von der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana 2009, „Viktor Parma’s Goldenhorn – between opera and music drama“.

Mein Dank gilt aber vor allem aber Alan Kavcic, dem Dramaturgen vom OperaBallet Maribor, der mir sehr geduldig mit vielen Hinweisen, konkreter Hilfestellung und unermüdlicher Vermittlung zur Seite stand. Maribor ist zudem das Theater mit den meisten Parma-Aufführungen vor dem II. Weltkrieg: allein Zlatorog gab es 1923, 1977 und 2009; sodann 1979 eben hier, der Soundtrack der Videoaufzeichnung 1977 bildete auch die Basis für die Yugoton-LP-Ausgabe der Oper, bislang die einzige offizielle Aufnahme; das Foto oben zeigt eine Reklame für einen gleichnamigen Ziegenkäse Sloweniens. Bei youtube gibt es dank Roberto Job den Zlaterog von 2009 Maribor wie auch  viele weitere Parma-Opern als Livemitschnitte in gutem Sound. Parmas hoichinteressante Oper Ksenija wurde in Ljubljana 2009 gegeben. Dank auch an Ivan Mirnik für seine Hilfe bei der Beschaffung des Videos der Oper aus Maribor 1979. Ebenso danke ich Karmen Salmic Kovacic von der Universität Maribor. Weiteres zur Geschichte und den politischen Wirren Sloweniens s. https://de.wikipedia.org/wiki/Slowenien. G. H.

Schulhoffs „Flammen“

„Liebe mich, versenge mich, verbrenne mich, saug mir das Blut aus! Verwunde mich, ah! Meine Lippen, Hüften und Brust, nimm mich, reiß mich in Stücke!“ Die Dame, schlicht als „Frau“ bezeichnet, befindet sich zweifellos in Ekstase. Könnte sie nicht stöhnend nach dreimaligem „Ah“ noch ein „Juan“ nachstoßen, würde der Zuschauer oder Zuhörer genauso im Dunklen tappen wie die Schatten, die sich aus der dunklen, angedeuteten Szenerie schälen, in der immer wieder von „schwarzen Sammetdraperien“ die Rede ist. Erwin Schulhoffs am 27. Januar 1932 in Brünn als großer Einakter uraufgeführte Oper Flammenes dirigierte Zdenek Chalabla – ist eine weitere Oper über die 1624 von Tirso de Molina in seinem Drama El burlador de Sevilla entworfene Gestalt des Don Juan. Und sie hat damit nichts zu tun mit Franz Schrekers 1902 vollendeter Kreuzfahrer-Oper Flammen, deren erste komplette Bühnenaufführung erst rund hundert Jahre später, 2001, in Kiel stattfand. Das Schicksal von Schulhoffs Flammen verlief aber ähnlich ungünstig. Eine Produktion unter Udo Zimmerman in Leipzig, dann eine weitere 2006 am Theater an der Wien, die Aufführungen am Pfalztheater Kaiserslautern 2008  sowie wenige Konzertaufführungen gehören zu der Handvoll Rettungsversuchen, wozu auch John Mauceris Berliner Einspielung in der (vergriffenen) Decca-Reihe Entartete Musik aus dem Oktober 1993 und April 1994 mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin zählt.

Das erstaunt ein wenig, denn die jetzt vorliegende Aufnahme unter Bertrand de Billy vom Theater an der Wien aus dem August 2006 (Capriccio 2 CD C5382) mit dem Arnold Schönberg Chor und dem ORF Radio Symphony Orchestra zeigt uns ein hochexplosives Werk, das auf anderen entdeckungsfreudigen Bühnen durchaus eine Chance haben sollte. Ekstase, Enthemmung, ein orgiastisches Spielen mit Orchesterfarben kennzeichnet Flammen, das in zehn Szenen und sechzehn ineinanderfließenden Musikabschnitten von dem anfänglichen „Notturno“ beispielsweise über Szenen wie das „Lied des Feuers“, „Sturm“, „Gespräch mit dem Meer“, „Karnevalsnacht“ bis „Bankett reicht, bevor es wieder mit einem „Notturno“ endet. Die Inhaltsangabe für die letzte Szene lautet bei Capriccio: „Don Juan ist dazu verdammt, den Zyklus seines Lebens immer wieder von vorne zu beginnen. Wie in der ersten Szene tritt er unter Flötenklängen in das dunkle Haus, um dort ein weiteres Opfer seiner Verführungskünste zu finden. In der Dunkelheit lauern La Morte und die Schatten, um erneut sein Treiben zu verfolgen“. Bei Decca heißt es entsprechend dazu: „Wie zu Beginn verfolgen La Morte und die Schatten den ruhelosen Don Juan. Leidenschaftliche Lustschreie eines neuen Liebesopfers. La Morte bleibt allein auf der Szene zurück und fragt erregt: Lebens- und Todesflammen, wann endlich zusammen…“ Juan ist zu ewigem Leben verdammt. In seinem hochsymbolistischen, von den Erkenntnissen der Psychoanalyse angestrahlten und leichtsinnigerweise „Eine musikalische Tragikomödie“ genannten Stück verbindet Karel Josef Beneš in einer pathetisch aufgeladenen, heute schwer erträglichen Sprache – in der deutschen Übersetzung von Max Brod – seinen Juan mit dem Ahasver-Mythos.

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„Flammen“: der Librettist der tschechischen Originalversion, Karel Josef Benes/ Wikipedia

Die Nebenfiguren sind Projektionen der Hauptfigur; die Frau, eine Nonne, Margarethe und Donna Anna werden demzufolge von einer Sängerin verkörpert. Als weitere Figur tritt neben den teilweise sehr individuell geführten Frauenschatten aus je drei Sopran- und Altstimmen und kleinen Nebenfiguren nur die Todesfee La Morte auf. Flammen lässt an Schönbergs Glückliche Hand denken, an die Farb-Ton-Experimente Scriabins, an expressionistischen Bühnenexperimente, phantastisches und surreales Theater, Orchesterexzesse à la Schreker, ohne Zugeständnisse an den Zeitgeschmack der 1920er Jahre. In der sinfonischen Anlage seines Zweistünders sah sich Schulhoff als Nachfolger Wagners, „Die Verbindung Wagner-Schönberg“, so schreibt Albrecht Dürnling im Beiheft der Decca-Aufnahme, „die sich in den Bühnenwerken Erwartung und Glückliche Hand besonders deutlich manifestiert, ist das Traditionsfeld, aus dem Schulhoffs Flammen hervorwuchsen. Die Parallele geht bis in di Licht- und Farbendramaturgie hinein, die der seit 1909 malerisch aktive Schönberg detailliert durchplante“. Flammen ist keine modische Zeitoper, dennoch benutzte Schulhoff Jazz-Elemente, also Foxtrott, One-Step und Ragtime, die er dem Opernorchester In den Szenen „Mitternachtsmesse“ und „Bankett“ mit zwei Jazzbands als erotisch triebhaftes Element entgegenhält. Das ist oftmals, etwa in der Chimären-Szene, von einer schmeichelnden Sinnlichkeit, oder einer fanfarengleißend entfesselten Klangmagie. Vor allem diese zarten, durchsichtigen Klänge kommen unter Bertrand De Billy mit dem ORF-Orchester bestens zur Geltung, die das hypertrophe Werk nicht als Vokalsinfonie begreifen, als welches es unter Mauceri mit den diffusen Jane Eaglen und Kurt Westi erscheint, sondern so virtuos und fast durchsichtig zergliedern und auffächern – etwa im impressionistischen Flötensolo des Beginn oder in der Schlussszene der Todesfee – dass der zuvor kaum erahnbare Text erstaunlicherweise manchmal zeilenlang verständlich wird.

Schulhoffs „Flammen“ am Theater an der Wien 2006/Szene/ Foto Badel/ credits s. unten

Die Widergabe der Neuausgabe bei Capriccio ist derart übervoll von überraschenden Klang- und Stimmzaubereien, dass man der einzigen Oper des 1942 im Lager Wülzburg gestorbenen Schulhoff Flammen unbedingt neue Bühnenversuche wünscht. Der Juan, eine strapaziöse Tenorpartie, wie sie die Oper der Zeit so liebte, ist mit Raymond Very auf dem Weg vom lyrischen zum jugendlichen Heldentenor gut besetzt. Bei Stephanie Friede klingen die Frauengestalten noch irgendwie als Figuren fassbar und beseelt, wenngleich man da nicht viel Individualität erwarten darf; ein wirkliches großes Duett, „Dialog“ genannt, gibt es eigentlich nur in der sechsten Szene. Iris Vermillion ist, wie schon bei Mauceri, als La Morte sehr eindrucksvoll. Rolf Fath

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Dazu Christian Heindl: Ewiger Abschied und ewige Wiederkehr Erwin Schulhoff und seine Oper Flammen: „Schreibe an meiner Oper ,Juan‘ wobei ich Freude habe, ein Ziel zu erreichen, welches mir heute noch unbekannt ist – die vollkommene Überwindung, was mir ein bekannter, gewohnter Weg war und mir neu, gänzlich neu scheint.“ (Erwin Schulhoff, Tagebucheintrag vom 6. Juni 1927)

Mit der Biographie Erwin Schulhoffs (1894-1942) erhebt sich ein prominentes Einzelbeispiel der Musikgeschichte aus der Anonymität der Millionen Opfer, die das nationalsozialistische Unrechtsregime im Zuge der versuchten Auslöschung einzelner Minderheiten und insbesondere der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung in seinem Machtbereich forderte. In den 1920er- und 1930er-Jahren herrschte in der kulturell blühenden Tschechoslowakei eine vielfältige musikalische Szene, wobei sich nicht zuletzt im Umfeld des in Prag wirkenden Wiener Dirigenten und Komponisten Alexander Zemlinsky ein Kreis junger Komponisten fand, der seine ästhetischen Ansätze abseits der von Schönberg propagierten Zwölftontechnik in einer Fortsetzung tonaler Gestaltung mit Mitteln der Funktionstonalität, Chromatik und Modalität definierte. Betrachtet man etwa das CEuvre von Pavel Haas (1899-1944), Gideon Klein (1919-1945), Hans Krasa (1899-1944), Viktor Ullmann (1898­1944) oder eben Erwin Schulhoff, so lässt sich ein zueinander stilistisch teils sehr ähnlicher Weg wahrnehmen, der an eine vor dem gegebenen Hintergrund entstandene „Prager Schule“ (als Gegenbewegung zur „Wiener Schule“ um Schönberg, Berg und Webern) denken lässt. Die physische Auslöschung der Genannten und vieler weiterer, damals noch weniger namhafter Kollegen bewirkte einen musikalischen Aderlass, der mutmaßlich entscheidenden Einfluss auf die nachfolgende musikalische Entwicklung in Mitteleuropa hatte.am Pfalztheater

„Flammen“ am Pfaklztheater Kaiserslautern 2008/ Foto Doerfler/ volle credits s. unten

Sowohl Haas, Klein, Krasa als auch Ullmann wurden als Juden inhaftiert, zunächst nach Theresienstadt verfrachtet und schließlich in das Konzentrationslager Auschwitz (bzw. dessen Nebenlager) deportiert, wo man sie ermordete oder sie unter teils unklaren Umständen bald in Folge der menschenunwürdigen Verhältnisse ums Leben kamen. Schulhoff starb im bayerischen Internierungslager Wülzburg: das Ende eines kurzen Lebens, welches unter durchaus nicht alltäglichen Umständen verlief. Erwin (tschechisiert auch Ervrn) Schulhoff wurde am 8. Juni 1894 in eine deutsch­jüdische Prager Kaufmannsfamilie geboren. Überliefert ist, dass er im Alter von sieben Jahren Antonrn Dvorak vorgestellt wurde, der ihn für sein Können mit Schokolade belohnte und ausdrücklich für eine musikalische Ausbildung als Pianist empfahl. 1904 wurde er am Prager Konservatorium aufgenommen, 1906 wechselte er nach Wien und 1908 begann er schließlich am Leipziger Konservatorium Klavier bei Robert Teichmüller sowie Komposition bei Stephan Krehl und Max Reger zu studieren. Sein Abschluss erfolgte 1913 in Köln, wo u. a. Fritz Steinbach sein Lehrer war. Frühe Preise als Pianist und als Komponist bestätigten sein herausragendes Format.

Der Erste Weltkrieg, in dem er als österreichischer Soldat in Galizien und Norditalien diente, brachte eine Zäsur in die Künstlerlaufbahn, zugleich entwickelte er eine nachdrücklich pazifistische Neigung, die ihn in der Folge Orientierung an einer politisch linken Ideologie nehmen ließ. Die frühen 1920er-Jahre verbrachte Schulhoff in Dresden, Saarbrücken und Berlin, doch blieb ihm in all diesen Städten eine vollständige Integration in die jeweilige Musikszene versagt, sodass er schließlich im Herbst 1923 mit seiner Frau Alice und seinem Sohn Peter in seine Geburtsstadt Prag zurückkehrte, wo er als Pianist und Musikjournalist arbeitete. Als Komponist konnte er 1924 beim Prager IGNM-Fest mit der Uraufführung der elf Jahre zuvor entstandenen ersten Violinsonate reüssieren. Im selben Jahr kam in Donaueschingen unter Mitwirkung von Paul Hindemith sein Streichsextett zur Uraufführung. Von Beginn an hatte Schulhoff sich intensiv für die Musik seiner Zeitgenossen – darunter jene des Schönberg-Kreises und seines Landsmanns Alois Haba – eingesetzt, die er vielfach als Organisator und Pianist in Konzerten und im Rundfunk zur Aufführung brachte. Neben dem klassischen und modernen Repertoire galt er zudem als vorzüglicher Jazzinterpret, der über einige Zeit auch in der populären Band von Jaroslav Jezek spielte. Gestalteten sich die mittleren dreißiger Jahre aufgrund der mangelnden Auftrittsmöglichkeiten im nunmehr von den Nationalsozialisten beherrschten und somit jüdischen Künstlern verwehrten Deutschland beruflich äußerst problematisch, so folgte im März 1939 nach der Besetzung Tschechiens durch die deutsche Wehrmacht umgehend die Entlassung von seiner Stelle beim Rundfunk in Brünn.

„Flammen“ am Theater an der Wien 2006/ Szene/ Foto Badel/ credits s. unten

Dass die verheerende politische Entwicklung nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Freiheit und sein Leben bedrohen würde, erkannte Schulhoff zu spät. Noch während er seine Emigration in die Sowjetunion vorbereitete, deren Staatsbürgerschaft er wenige Wochen zuvor erhalten hatte, wurde er im Juni 1941 verhaftet. Infolge der Gefangenschaft an Unterernährung und Tuberkulose leidend, starb er am 18. August 1942 im Alter von nur 48 Jahren im Lager Wülzburg, wo er auch begraben wurde. Nach Schulhoffs Tod geriet sein zu diesem Zeitpunkt nur eingeschränkt international bekanntes Schaffen zunächst fast völlig in Vergessenheit. Lediglich in seiner ursprünglichen Heimat, der kommunistisch regierten CSSR als Nachfolgestaat der künstlerisch so liberalen und blühenden Tschechoslowakei der Jahre 1918-1939, fand eine gewisse Pflege seines Schaffens statt. Es gab vereinzelte Druckausgaben seiner Kammermusik und symphonischer Werke. Wahrgenommen wurde aus politisch nahe liegenden Gründen auch „Das Kommunistische Manifest“ eine Kantate für Soli, Kinderchor, zwei gemischte Chöre und Blasorchester (1932/33), die ein interessantes Zeugnis für Schulhoffs pazifistische und linke politische Haltung darstellt. Wie viele andere seiner Werke blieb auch sie trotz der Kriegsgeschehnisse und der Verfolgung erhalten, weil er seine Manuskripte rechtzeitig in die UdSSR geschiickt hatte.

(Der oft angeführte Titel Das Kommunistische Manifest. Nach Marx-Engels op. 82 ist nicht eindeutig verifiziert. Schulhoff hatte für den Transport seiner Werke in die Sowjetunion das ursprüng­liche, nicht erhaltene Titelblatt des Werks durch einen Umschlag mit der Aufschrift Das Manifest ersetzt, um die Partitur nach außen hin nicht als politisch brisant erscheinen zu lassen und sicher außer Landes bringen zu können.)

„Flammen“ am Pfalztheater Kaiserslautern 2008/ Szene/ Foto Doerfler/ credits s. unten

Wo seine russischen Freunde – darunter Dmitri Schostakowitsch – sie bei der Evakuierung der Bibliotheken des Komponisten­verbands in Leningrad und Moskau retten und so der Nachwelt übermitteln konnten. Zentrale Werke seines Katalogs sind u. a. die Oper „Plameny“ („Flammen“), das Ballett „Ogelala“, Lieder, Instrumentalkonzerte, Kammer- und Klaviermusik sowie insbesondere die acht Symphonien, deren beide letzte in der Gefangenschaft nur mehr als Klavierskizzen konzipiert werden konnten; die achte zudem nur als Fragment. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre setzte international eine großflächige Entdeckung des Schaffens der durch den Nationalsozialismus Verfemten und Ermordeten ein, darunter auch der Werke Schulhoffs, die sich nach und nach zu international fixen Repertoire­bestandteilen entwickelten. Merkmale in Schulhoffs Musik sind in den Frühwerken ein von Reger geprägter spätromantischer Ansatz, der sich später stark rhythmusbetont in Richtung Expressionismus und Neoklassizismus entwickelte und auch Elemente des Jazz einbezog. In der Verknüpfung reifte dies zu einem sehr persönlichen Stil, der auch durch die Vereinfachung der Mittel in den dreißiger Jahren im Sinn einer für breitere Hörerschichten verständ­licheren Klangsprache keineswegs verflachte.

Stele zum Gedenken an Erwin Schulhoff auf der Festung Wülzburg in Weißenburg in Bayern/ Wikipdia

Alle diese Mittel finden in geradezu organischer Verschmelzung Verwendung in der abendfüllenden Oper „Flammen“. Sie entstand 1923-29 (mit Revisionen 1932) nach einem Text von Karel Benes. Die kongeniale deutsche Übersetzung stammt von Max Brod, von dem Schulhoff auch auf den ursprünglichen Text aufmerksam gemacht worden war. Ausgangspunkt ist der „Don Juan“-Stoff, der vielfach in der Literatur- und Musikgeschichte Verarbeitung fand, wobei es besonders naheliegend ist, an Mozarts ungleich berühmteren „Don Giovanni“ zu denken. Schulhoff gelingt es meisterlich, in seiner Oper einerseits einen auch dramaturgisch anderen Zugang zu finden und doch zugleich eine Art verfremdeter Hommage an Mozarts Werk zu schaffen. Mag jeder Gedanke an dieses zu Beginn der Oper zunächst in den Hintergrund treten, so entsteht doch im Verlauf durch zunächst nur vermeintliche, schließlich aber entsprechend der inhaltlichen Geschehnisse vor allem im zweiten Akt deutliche Zitatmomente eine untrennbare Verbindung. Die Grundidee in Benes und Schulhoffs Werk ist nicht die Darstellung des schillernden Frauenverführers, sondern das Schicksal des von seinen Wünschen und Bedürfnissen Getriebenen, der nie auch nur annähernd sein Glück und seinen Frieden in der Beständigkeit zu finden vermag. Eine Schlüsselstelle findet sich in diesem Zusammenhang in Don Juans Gespräch mit dem Meer (7. Szene), als er in den Wellen eine Spiegelung seiner selbst erkennt: „Ewiges Abschiednehmen, ewige Wiederkehr.“ 

Übersetzer, Musiker, Dichter, Literaturwissenschaftler. Max Brod, 1941 (1886 – 1968)

Dieses Gegensatzpaar findet seine zentrale Entsprechung in der Gegenüberstellung von Leben und Tod, Mann und Frau. Don Juan steht für die „Flammen“ des Lebens, der Tod/die Frauenfigur La Morte für die „Flammen“ des Todes, die einander ewig anziehen, aber nie zu endgültiger Verschmelzung gelangen können. Erwin Schulhoff versprach sich viel von der Wirkung seiner Oper, wurde aber schon vorweg enttäuscht, als die Wiener Universal Edition eine Inverlagnahme des Werks ablehnte. Immerhin kam es am 27. Januar 1932 zur tschechischsprachigen Uraufführung von „Plameny“ am Veven-Theater (dem damaligen Tschechischen Nationaltheater) in Brünn, der Erfolg war jedoch enden wollend und die Produktion wurde bald wieder abgesetzt. In seinen noch verbleibenden Lebensjahren konnte der Komponist „Flammen“ auf keiner weiteren Bühne sehen. Eine von ihm gewünschte Präsentation in Deutschland als damals wichtigster Spielfläche neuer Musik fand erstmals am 16. April 1994 in konzertanter Form in Berlin statt, die szenische Deutschlandpremiere folgte am 17. März 1995 in einer Inszenierung von Uwe Wand an der Oper Leipzig. Christian Heindl (Den Artikel entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung dem Booklet zur Neuausgabe der Oper bei Capriccio, Dank an den Autor.)

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Fotos “Flammen” Theater an der Wien 2006  Foto 1: Raymond Very (Don Juan), Gabriela Bone (1. Frauenschatten), Nina Bernsteiner (2. Frauenschatten), Elisabeth Wolfbauer (6. Frauenschatten), Hermine Haselböck (5. Frauenschatten), Christa Ratzenböck (4. Frauenschatten) & Anna Peshes (3. Frauenschatten) sowie Foto 2 Raymond Very (Don Juan), Iris Vermillion (La Morte) & 5 Frauenschatten; Fotos: © Armin Bardel Fotos „Flammen“ Pfalztheater Kaiserslautern 2008 Pfalztheater Kaiserslautern 19.4.2008; ML.: Uwe Sandner; Regie: Urs Häberli; Bühne und Fotos: Thomas Doerfler/ Jürgen Brehm-Seufert; Kostüme: Ursula Beutler; www.frappante-bilder.de/ Foto oben: Erwin Schulhoff/ Wikipedia/ Dank an die Pressestelle vom Theater an der Wien und an Thomas Doerfler. (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Zweifelhafte Retro

 

Kaum eine andere Epoche hat so untrennbar im Gedächtnis des Publikums ihre Schlager mit deren Interpreten verbunden wie die Zwanziger und Dreißiger des vergangenen Jahrhunderts, und auch wenn es einem Max Raabe gelungen ist, mit einer Mischung aus ironischer Distanz und sichtbarer und hörbarer Verneigung vor der Vergangenheit neue und erfolgreiche Wege zu gehen, bleiben doch für die meisten Hörer die fesche Lola mit Marlene Dietrich und Das gabs nur einmal mit Lilian Harvey verbunden.

Die österreichische Sängerin Ethel Merhaut hat sich auf ihrer neuen CD bei Sony, Süß und bitter, einiger der bekanntesten Schlager teilweise sogar der Nazizeit angenommen und sich für deren Interpretation aller Errungenschaften einer Ausbildung zur Opernsängerin entledigt, als da Passaggiobewältigung oder gestützte hohe Töne sind.

Es beginnt mit Waldemar von Michael Jary, den einst Zarah Leander mit bestechend guter Diktion  besang und der eine doppelte Daseinsberechtigung auf der CD dadurch erlagt zu haben scheint, dass der Besungene sich in scharfem Kontrast zum Mannesbild der Nazis darstellt und sein Komponist mehrere jüdische Kollegen ins rettende Exil chauffierte. Ethel Merhaut nimmt sich des Herrn mit einer Stimme an, die eine Mischung von Lilian Harvey und Claire Waldoff zu sein scheint, halb kindlich, halb derb verrucht und mit wenig Potenz in der Mittellage. Friedrich Hollaender ist der Komponist von Die Kleptomanin, die die Sängerin in die Nähe einer entschärften Dreigroschenoper rückt. Verruchtes wird im Tango Alois hörbar, in der Höhe mit leicht gequetschten Tönen und hier wie auch bei den anderen Tracks trägt das kleine Orchester aus Klavier, Saxophon oder Klarinette, Kontrabass und Schlagzeug wesentlich dazu bei, dass zwar kein mit der Vergangenheit identischer, aber ein adäquater Sound gefunden wird. My little boy wurde einst von Rose Barsony besungen, Die ganze Welt ist himmelblau  von Robert Stolz komponiert, der, obwohl nicht jüdisch, emigrierte. Das Lied wird von der Interpretin  verfremdet, indem die Vokale leicht verfärbt, die Konsonanten weich gespült werden, in seinem und Richard Taubers Ich möchte einmal wieder verliebt sein hingegen werden nur die Konsonanten zum Interpretationsmittel. Sehr amüsant ist die Interpretation von Benjamin, ich hab nichts anzuziehn durch die Steigerung der Dringlichkeit, in der der Wunsch nach neuen Klamotten zum Ausdruck kommt. Etwas verruchter könnte Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben klingen, duftig ist die Kopfstimme in Abrahams Toujours l’amour, zu dessen Zauber besonders das Orchester beiträgt. Bei Ich weiß, es wird einmal fällt der überzarte Ton als Kontrast zum Original auf, Raymonds Mein Bruder zeigt, wie gut Stimme und Orchester einander ergänzen können. Hollaenders Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre bemüht sich um Verruchtheit und erreicht doch Marlene nicht, Richard Tauber sang einst Ich möchte einmal wieder verliebt sein, Ethel Merhaut versucht es mit kindlicher Stimmfarbe und Konsonantenverdoppelung, aber wer in die Zeit vor knapp 100 Jahren eintauchen will, wird zu den Originalen zurückkehren, wird sie immer in Ohr und Gedächtnis behalten. Süß &bitter nennt sich die CD, überaus pikant war, was man in den Zwanziger und Dreißigern hörte (Sony 19439753932). Ingrid Wanja