Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Aufgespiesste Köpfe

 

Wir wissen nicht, was Lukasz Borowicz dazu bewogen hat, im Rahmen des 22. Beethoven-Festivals 2018 in Warschau Rimsky-Korsakows zwölfte Oper, Der unsterbliche Kaschtschej  aufzuführen. Egal. Der Einakter ist nicht eben weit verbreitet, Aufführungen eine absolute Rarität. Nach Bizets Djamileh, Moniuszkos Paria und Cherubinis Faniska nun also Der unsterbliche Kaschtschej (Dux 1485). Borowicz hat sich dazu eine rein russischsprachige Besetzung gegönnt und zusätzlich Larisa Gergieva als Vocal Coach geholt, Schwester des umtriebigen Valery Gergiev, dessen St. Petersburger Aufnahme von 1995 mit ausgezeichneter Besetzung bislang als die gültige Aufnahme der Herbstparabel galt, wie Rimsky-Korsakow den Einakter im Gegensatz zum Frühlingsmärchen Sneguroschka untertitelte; Andrej Tschistiakows Moskauer Einspielung von 1991 fristete daneben ein Schattendasein, fast vergessen auch Samuil Samossuds Ende der 1940er Jahren in Moskau entstandene Aufnahme mit dem wunderbaren Pavel Lisitsian.

Wie für mehrere seiner Opern stützte sich Nikolai Rimsky-Korsakow bei Der unsterbliche Kaschtschej auf russische Legenden und Märchen. Den Anstoß gab der Kritiker Petrowski. Das Libretto zu dem aus drei Bildern bestehenden Einakter schrieb Rimsky-Korsakow selbst. Die Uraufführung erfolgte Ende 1902 in Moskau; der zweite Teil des Abends gehörte übrigens Tschaikowskys Iolanta. Der unsterbliche Kaschtschej ist ein unsympathischer Alter, vom Stimmtyp dem Mime ähnlich, was Savva Khastaev mit bleckendem Charaktertenor sehr gelungen unterstreicht. Kaschtschej bleibt so lange unsterblich, bis sein Tochter Kaschtschejewna keine Gefühle und Liebe empfindet und keine Träne vergießt. Derzeit hält Kaschtschej die Zarewna in seinem finsteren Herbst-, Winterreichreich gefangen, zu deren Rettung sich Prinz Iwan aufmacht. In ihrem Zaubergarten braut die Kaschtschejewna einen Zaubertrank und schärft ihr Zauberschwert – wieder ein Bezug zu Siegfried, aber auch Parsifal. Iwan erliegt ihrem Zauber und schläft ein. Als sie ihn töten will, wird sie vom Sturm-Ritter zurückgehalten, der den Prinzen zur Zarewna führt. Nachdem die Zarewna den Kaschtschej mit einem tückischen Liedchen in den Schlaf gesungen hat, sind Zarewna und der Prinz endlich vereint und wollen aus Kaschtschejs finsterem Reich fliehen. Umsonst bietet die Kaschtschejewna den beiden die Freiheit, wenn der Prinz bei ihr bleibt. Die Liebenden lassen sich nicht trennen. Die unglücklich liebende Mezzosopranistin vergießt eine Träne und verwandelt sich in eine Trauerweide. Kaschtschej verflucht das Paar und stirbt. Der Sturmwind entlässt alle in die Freiheit und den Frühling.

Das ist hochpoetisch ausgedacht. Aber die Szenerie wirkt auch finster und bedrohlich („Pfähle mit aufgespießten Schädeln“, heißt es in der Beschreibung zum ersten Bild!), man denke nur an Strawinskys auf den gleichen Motiven basierenden Feuervogel von 1910. Und der oftmals tosende Wind, der als Knecht Sturm, Recke Sturmwind oder Ritter Sturm bezeichnet wird, sorgt für eine übernatürliche, unheimliche und beklemmende Atmosphäre, die durch chromatisch kühne Orchesterfarben und harmonische Effekte klanglich erweitert und geradezu filmhaft aufgeladen wird; der Schneesturm ist kein liebliches Flockentreiben, sondern Aufruhr finsterer Mächte. Orchestrale Moderne und Spielkultur bringen die Spieler des Poznań Philharmonic Orchestra gut zusammen, ohne über die überlegende Wucht des Mariinsky-Orchesters zu verfügen; der Poznań Chamber Choir hat kaum etwas zu tun.

Die Aufnahme wirkt dicht und plastisch, Borowicz (Foto oben/ Justyna Mielniczuk qudrat _Rias Kammerchor). inszeniert für 63 ½ Minuten packendes Musiktheater, dem wir dennoch auf der Bühne nicht so rasch begegnen werden. Eine Mischung aus Kundry und Dalila bietet die große Arie der Kaschtschejewna zu Beginn des zweiten Bildes, in der Irina Shishkova ihren expansiven, in der Höhe mit der hier nicht unangenehmen Schärfe mancher russischen Stimmen aufwartenden Mezzosopran leidenschaftlich ausbreitet. Mit lyrischer Noblesse, die auch einem Jeletzki gut anstünde, und reichlich Fadesse gibt Yaroslav Petryanik den sanftmütigen Prinzen Iwan. Antonia Vesenina singt die Zarewna mit quecksilbrigem Koloratursopran, Mikhai Kolelishvhili macht mit schwarzem Bass deutlich, dass der Sturm eigentlich die Hauptfigur ist (weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/)..   Rolf Fath

Barocker Klassiker

 

Händels 1725 in London uraufgeführte Rodelinda, regina de’ Longobardi ist ein Standardwerk im Barockrepertoire und entsprechend auf dem Musikmarkt in mehreren maßstäblichen Einspielungen vorrätig. Jede Neuaufnahme muss sich dem Vergleich mit diesen stellen. Die Firma LINN hat es gewagt, das Werk im September des vergangenen Jahres in London mit einer rein britischen Besetzung neu einzuspielen und konnte sich dabei der Mitwirkung prominenter Musiker versichern (CKD 658, 3 CDs/ Note 1). Da ist zuerst das renommierte Barock-Ensemble The English Concert zu nennen, das seit 2007 von Harry Bicket geleitet wird. Nach vielen internatonalen Tourneen mit Händel-Opern steht er nun auch am Pult bei dieser Produktion und sorgt für ein agiles und elegantes Spiel mit vielfältigen Kontrasten und Akzenten, die schon in der Ouverture und dem nachfolgenden Menuet zu vernehmen sind.

Auch die Sängerbesetzung weist illustre Namen auf, allen voran Lucy Crowe in der Titelrolle. Die Partie ist eine von Händels schönsten und reich ausgestattet mit wunderbarer Musik. Die Sopranistin besitzt eine helle, klare Stimme, die vielleicht etwas leichtgewichtig ist für die Partie, aber ihr Vortrag ist stilistisch und technisch ohne Tadel, dazu von bezwingendem Ausdruck. Schon mit ihrem schmerzlichen Auftritt, „Ho perduto il caro sposo“, macht sie auf sich aufmerksam. Danach folgt mit „L’empio rigor del fato“ eine bewegte Nummer, in der sie ihre Virtuosität ausstellen kann. „Ombre, piante“ ist dann wieder ein Solo von tiefer Trauer, welches Crowe mit großer Delikatesse ausbreitet und mit feinen Trillern schmückt, „Morrai“ mit eingelegten Extremtönen das entschlossene Zeugnis ihrer Standhaftigkeit. Auch „Spietati“ im 2. Akt bezieht den Großteil seiner Wirkung durch ein Feuerwerk an exponierten Noten. Erfüllt von Zärtlichkeit und Hingabe ist ihr „Ritorna, o caro“, voller Trauer und Hoffnungslosigkeit „Se ‚l mio duo“. Als Titelheldin steht ihr auch das letzte Solo zu  – bei diesem „Mio caro, caro bene“ zieht sie mit brillanten staccati und leuchtenden Spitzentönen noch einmal alle Register.

Als Bertarido ist der seit geraumer Zeit erfolgreiche Countertenor Lestyn Davies zu hören. Der berühmte Auftritt, „Dove sei“, erklingt schwebend mirakulös und ist erfüllt von tiefer Wehmut ob des vermeintlichen Verlustes der geliebten Gattin. Den 1. Akt beendet er mit „Confusa si miri“ in großer emotionaler Verwirrung wegen ihrer angeblichen Untreue. Als sich der Verdacht nicht bestätigt, betört er mit dem wiegenden „Con rauco mormorio“, dem lieblichen „Scacciata dal suo nido“ und am Ende des 2, Aktes in dem wunderbar innigen Duett mit Rodelinda „Io t’abbraccio“. Im 3. Akt sind ihm mit „Se fiera belva“ und „Vivi, tiranno“ die Bravournummern des Werkes vorbehalten, in denen er mit stupenden Koloraturläufen und auftrumpfendem Ausdruck großen Effekt macht.

Ein zweiter Vertreter dieses Stimmfaches und international nicht weniger erfolgreich, Tim Mead, gibt die kleinere Partie des Unulfo. Mit „Sono i colpi“ hat er einen attraktiven Auftritt, den er mit seiner weichen, schmeichelnden Stimme und der kompetenten Bewältigung des Zierwerks glänzend ausfüllt. Zu Beginn des 3. Aktes hat er mit „Un zeffro spirò“ noch eine der gefälligsten Nummern der Oper, die er gebührend auskostet.

Überzeugend gibt der Tenor Joshua Ellicott den Grimoaldo, der Rodelinda begehrt und sich mit der energischen Arie„Io già t’amai“ einführt. Der Interpret gefällt gleichermaßen mit dem zwielichtig schillernden Ausdruck wie der achtbaren Bewältigung der Koloraturen. Stürmisch und mit martialischer Verve ertönt die Arie „Tuo drudo è mio rivale“, ähnlich erregt „Tra sospetti“ im 3. Akt, wo die Koloraturen etwas bemüht klingen. Aber dann sorgt er mit dem furios hingeworfenen Rezitativ „Fatto inferno“ und der sensibel geformten Arie „Pastorello“ noch für einen vorteilhaften finalen Eindruck.

Die Besetzung wird komplettiert von der Altistin Jess Dandy als Eduige mit schönem pastosem Ton und flexiblem Vortrag sowie dem Bassisten Brandon Cedel als Garibaldo mit sonorem Wohllaut, bei „Tirannia gli diede il rego“ im 2. Akt auch mit forschem, resolutem Auftritt.

Die neue Rodelinda wird sich behaupten und ist ein gutes Vorzeichen für den im nächsten Jahr angekündigten Tamerlano. Bernd Hoppe

Über-Ätherisch

 

Das Berliner Publikum durfte sie zwei Jahre lang an der Deutschen Oper erleben, ehe Hila Fahima, eine Israelin, deren Eltern jemenitische, marokkanische und portugiesische Wurzeln haben, nach Wien ging, wo sie jetzt ihre erste CD mit dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter Michele Camba eingespielt hat. Es handelt sich um allseits bekannte, aber auch um sonst kaum gespielte Werke von Donizetti und Verdi, von letzterem neben der Gilda die Amalia aus I Masnadieri.

Es beginnt mit der aus Chamonix stammenden Linda, die die Sängerin als zerbrechliches, wahnsinnsgefährdetes Wesen mit gläsern klingenden Tönen darstellt, die Stimme erweckt den Eindruck von Schwerelosigkeit, die reichen Verzierungen zeichnen sich durch viel Phantasie aus, es scheint sich eine überzarte Lucia anzukündigen. Die einzige französische Arie ist die der Marie aus Le Fille du régiment, für die sich die Sängerin ebenfalls für das Überzarte entschlossen hat, die Stimme wie ein Silberglöckchen klingen lässt, was zunächst einmal reizvoll ist, aber den Hörer doch schnell ermüden lässt, auch da die Figur etwas mehr Entschlossenheit vertragen könnte. Auch die Adina profitiert zwar von den virtuosen Koloraturen, ist selbst für „Prendi, per me sei libero“ vor allem um Zartheit bemüht und plätschert so dahin, wenn man doch etwas mehr Wärme und Engagiertheit erwarten dürfte. Bei der Emilia di Liverpool ist von unterschiedlichen Seelenzuständen wenig zu vernehmen, dafür viel Verhuschtes, das man nicht mit Ätherischem verwechseln sollte. Etwas entschiedener gibt sich die Norina aus Don Pasquale, zudem auch sie technisch perfekt, aber insgesamt noch zu unverbindlich. Die letzte Donizetti-Arie ist die Wahnsinnsarie der Lucia, in der das Orchester quasi zu mehr Entschlossenheit aufzufordern scheint. Der Sopran klingt schön und sanft, die Spitzentöne sind sicher, die Mittellage wenig ausgeprägt (il fantasma), insgesamt fehlt dem Track die notwendige innere Spannung.

Feine Triller zeichnen Gildas „Caro nome“ aus, die Seligkeit der frisch Verliebten ist hörbar, man wünscht sich aber doch hörbarere Unterschiede zu einer Donizettiarie, das ist eine Partie für eine leichtere Stimme, aber es ist halt doch auch eine Verdi-Partie, was noch mehr für die abschließende Arie der Amalia gilt (Orfeo C210201). Ingrid Wanja  

Feenzauber

 

Nicht weniger als 39 Opern hat Adolphe Adam (1803-1856) hinterlassen, von denen sich insbesondere Le Postillon de Lonjumeau (Der Postillon von Lonjumeau), La Poupée de Nuremberg (Die Nürnberger Puppe) und gerade auch Si j’étais roi (Wenn ich König wär‘) lange großer Beliebtheit erfreuten, mittlerweile indes das Schicksal allzu vieler Opéras-comiques teilen. Heutzutage hält sich Adam eher durch seine Ballette Giselle und (ab und an) Le Corsaire im Repertoire. Dass er daneben weitere Werke dieses Genres komponierte, ist selbst dem Kenner kaum geläufig. Mit La Filleule des fées (Das Patenkind der Feen) schuf der Komponist ein Ballet-féerie in drei Akten und sieben Bildern, welches am 8. Oktober 1849, also während der kurzlebigen Zweiten Französischen Republik (1848-1852), seine Uraufführung an der Pariser Oper erlebte. Naxos ließ das etwa zweistündige Werk bereits 1996 auf seinem Entdecker-Sublabel Marco Polo als Weltersteinspielung aufnehmen; die Doppel-CD erschien verspätet im Jahre 2002 (Marco Polo 8.223734-35). Knapp zwanzig Jahre später erfolgt die Neuauflage der inzwischen vergriffenen Aufnahme auf dem Hauptlabel (Naxos 8.574302-03).

Für die Einspielung, die also bereits ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, zeichnet das australische Queensland Symphony Orchestra unter dem britischen Dirigenten Andrew Mogrelia verantwortlich. Die Klangqualität der zwischen 5. und 12. Februar 1996 im ABC Studio in Brisbane, Queensland, entstandenen Produktion ist exzellent und verrät ihr Alter nicht. Anders als in der Erstveröffentlichung, fällt das Beiheft diesmal abgespeckt aus. So wurde die deutsche Fassung des Einführungstextes von Keith Anderson ärgerlicherweise gestrichen.

Ein expliziter Grund, wieso La Filleule des fées bald schon in Vergessenheit geriet, lässt sich nicht mit Gewissheit ausmachen. Das Ballett entstand jedenfalls laut Booklet in Zusammenarbeit mit einem gewissen Alfred, Comte de Saint-Julien – ohne dass der Text weiter darauf einginge. Wie groß der Anteil des Grafen an der Komposition ist, lässt sich daher nur erahnen. Die Uraufführungsbesetzung war mit Carolotta Grisi in der Rolle der Ysaure und ihrem Liebhaber Jules Joseph Perrot als Alain (der zudem wiederum als Choreograph agierte) jedenfalls genauso illuster besetzt wie zuvor bei Giselle. Die Geschichte erinnert an Dornröschen: Zwei gute Feen fungieren als Taufpatinnen der besagten Ysaure, während eine dritte bei der Taufe abgewiesen wird, da sie die dreizehnte Person an der Tafel gewesen wäre. Darüber verflucht die böse Fee Ysaure, indem sie sie so schön werden lässt, dass jeder Mann, der sie erblickt, den Verstand verliert. Tatsächlich gibt es zwei Bewerber, den Prinzen Hugues de Provence und den Bauernjungen Alain. Letzterer wird vom Fluch erfasst und zum Instrument der bösen Fee, während ersterer durch zeitweilige Blindheit (mit Hilfe der guten Feen) den Fluch unterlaufen kann und es schließlich zum Happy End zwischen Ysaure und dem Prinzen kommt, wo auch Alain seinen Verstand zurückerlangt.

Musikalisch erreicht La Filleule des fées nicht ganz die Klasse von Giselle und Le Corsaire, doch ist die Darbietung ohne Fehl und Tadel. Anders als bei den besagten Balletten, handelt es sich hier um kein Ballet-pantomime, was die weniger ausgeprägte Dramatik und das freudige Ende erklärt. Schon aufgrund der Entstehungszeit steht La Filleue des fées als Bindeglied genau zwischen Giselle (1841) und Le Corsaire (1856), vereint hie und da Charakteristika von beiden und fügt dem altbekannten Bild vom Ballettkomponisten Adolphe Adam eine weitere wichtige Facette hinzu. Daniel Hauser

Materialschlacht

 

Im Zentrum Bolognas ist der Verlag bzw. die Musikfirma Bongiovanni nicht nur seit 116 Jahren und durch drei Generationen hindurch das Musikaliengeschäft in dem man alles, was man sucht, auch bekommt, sondern ein Musikverlag, der sich besonders unbekannteren Opern und emporstrebenden Künstlern widmet. Zu den jungen Talenten, die sich der Förderung durch das Haus erfreuen können, gehört nun auch der Chinese Chuanyue Wang, Sieger vieler Concorsi, geadelt durch die Teilnahme an einem Seminar Carlo Bergonzis und viel in den Vereinigten Staaten unterwegs. Immer lohnt es sich auch, nicht nur die CD anzuhören, sondern das Booklet zu lesen, in dem festgestellt wird, dass wegen einer bedauerlichen Teilnahmslosigkeit der jungen italienischen Generation gegenüber der klassischen Musik die Asiaten, zuerst die Japaner, danach die Koreaner und nun auch die Chinesen den Markt erobern, nicht zuletzt wegen ihres immensen Fleißes und ihrer Opferbereitschaft bei Studium und zu Karrierebeginn. Bis dahin kann man dem Verfasser zustimmen, erste Vorbehalte regen sich jedoch bei seiner Behauptung, mit dem jungen Chinesen habe man den Pavarotti asiatico entdeckt, der wegen seiner technischen Sicherheit, seiner leichten Emission und seiner stupenden Höhe sich diesen Titel bereits verdient habe.

Nach so viel Vorschusslorbeeren begibt sich der Rezensent natürlich mit hohen Erwartungen an das Hören der CD, und sein erster Eindruck ist, und dieser wird vielfach bestätigt, ein durchaus gemischter.

Die Trackliste lässt einen lyrischen Tenor erwarten, sei es von den Partien her, aus denen Arien gesungen werden, wie die des Alfredo, des Duca, des Rodolfo, sei es von den Arien her, die bei der Wahl dramatischerer Partien wie die des Des Grieux oder des Don José, gewählt wurden. Es beginnt mit der Arie des Oronte aus Verdis Lombardi, und der Hörer ist überrascht von dem dunklen, ausgesprochen virilen Timbre, erfreut über die perfekte Registerverblendung und die sichere Höhe. Die Stimme hat einen hohen Wiedererkennungswert, allerdings auch dadurch, dass sie leicht gaumig klingt. Dem Nemorino, dessen Furtiva lagrima, scheint der Tenor schon  entwachsen, er klingt, was anderen Partien gut tun würde, melancholisch verhangen, dabei ausgesprochen männlich und leider die Konsonanten am Ende eines Wortes vernachlässigend. Auch für den Alfredo ist der Tenor recht schwer, was eher seiner Farbe, als seinem Volumen geschuldet zu sein scheint. Wenig elegant oder brillant, zu knallig das allerdings bedeutende Material ausstellend, äußert sich der Duca zu la donna. Verdis Lacrymosa bestätigt den Eindruck, dass es dem Sänger eher auf eine Zurschaustellung des Materials als auf ein Bemühen um Charakterisierung von Person oder Situation ankommt. Je länger man ihm zuhört, desto stärker wird aus der Bewunderung für die Stimme die Verärgerung über die Verweigerung eines Eindringens in den jeweiligen Charakter. Das Booklet lobt das Deutsch des Sängers, ein Lob, das man ihm für die Bildnisarie des Tamino verweigern muss, das man ihm für die Arie aus Das Land des Lächelns als exotische Verfremdung zugestehen kann. Auch hat man nicht den Eindruck, dass sich der Tenor viele Gedanken um Ausdrucksmöglichkeiten gemacht hat. Bizets Blumenarie wird kraftvoll, aber frei von einem Eingehen auf die Intentionen des Komponisten gesungen, auch hier tritt ein, was der Hörer bei vielen Tracks feststellt: er ist zunächst beeindruckt durch die dunkle Gewalt der Stimme und beginnt sich sehr schnell zu langweilen, weil es keinerlei Agogik gibt. Rodolfos Gelida Manina entbehrt der Zärtlichkeit, die Höhe bewundert man, aber man wird nicht berührt. Recondita Armonia dürfte Sant’Andrea delle Valle zum Einsturz bringen, das Fiorito asil die Blüten verschrecken, hier und auch bei den beiden Arien aus Turandot wundert man sich zudem darüber, wie wenig das Orchestra Classica Italiana unter Gianluca Martinenghi, sonst mit Rossini oder Händel befasst, zu sagen hat, wie sehr die Stimme alles dominiert. Material und Technik des noch jungen Sängers sind bemerkenswert, Interpretation ist noch nicht seine Stärke, Ernesto, José, Tamino sind all eins (Bongiovanni GB 2586 2). Ingrid Wanja     

Oper für alle

 

Im April 2020, im Alter von 73 Jahren, erlag Peter Jonas seinem Leiden. In den zwei Jahren vor seinem Tod führte er zahlreiche Gespräche mit der Autorin Julia Glesner. Aus ihnen ging die Biographie von Peter Jonas hervor, die jetzt Im Insel Verlag erschienen ist, mit einem persönlichen Vorwort der musikalischen, insbesondere der Barockoper zugetanen Krimiautorin Donna Leon und einem ebenfalls freundschaftlichen Nachwort von Daniel Barenboim.

Peter Jonas, er ist 1999 von der Queen geadelt worden, war einer der führenden Theatermenschen seiner Zeit und eine der elegantesten, spleenig-stilvollen Persönlichkeiten des Opernlebens. 1946 wurde er in London geboren,  er wuchs in England auf, studierte in Sussex, Manchester und London. 1974 ging er zum Chicago Symphony Orchestra zu Sir Georg Solti, wo er zunächst sein Assistent, dann künstlerischer Betriebsdirektor wurde. 1984 wurde er General­direktor der English National Opera, 1993 Intendant der Bayerischen Staatsoper München, wo er mit seinem provokativen Musiktheaterkonzept Publikum und Presse polarisierte, aber für ein volles Haus sorgte.

Wie ein roter Faden durchzieht die Janusköpfigkeit der Persönlichkeit von Sir Peter diese Biographie. Er nannte sich selbst einen Traditionalisten und kämpfte doch gegen das Etablierte. „Er wollte Teil des Establishments sein, um zu bekämpfen, was ihm missfiel. Er schaffte den Spagat, zum Establishment zu gehören, ohne sich anzupassen. Dafür wurde er von vielen bewundert, damit provozierte er aber auch Feindschaft,“ so schreibt Daniel Barenboim zurecht.

Einerseits war Jonas ein intellektueller Opernfreak, anderseits liebte er Autos, Cricket und Fußball. Er war jüdisch-libanesischer Abstammung, war konservativer Brite und doch ein wagemutiger Kosmopolit, ein Theatermann, der Konventionen sprengte.

„Obwohl ich mich nach klassischer Schönheit auf der Bühne sehnte, bemerkte ich auch, dass ich mich doch mehr begeisterte, wenn etwas leicht verzerrt war, sich jenseits des Normalen bewegte. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren dominierte aber immer noch der Naturalismus auf der Bühne.“ Walter Felsenstein und Wieland Wagner waren für ihn die beiden Pole ästhetisch anderen, neuen Musiktheaters. Beide bewunderte er. Die durch Felsenstein begründete Operndramaturgie „Text, Musik, Szene und Darsteller einer Oper gleichberechtigt aufeinander zu beziehen und mit den Konventionen der Sängeroper zu brechen.“ Das habe es vielen überhaupt erst ermöglicht, die Oper als adäquate zeitgenössische Kunstform zu begreifen.Was Wieland Wagner angeht, gesteht Jonas: „Für uns Studenten aus dem Vereinigten Königreich, die wir Opern nur in Stoffbühnenbildern und dramaturgisch dürftigem Hyper-Realismus kannten, war die Idee einer derartigen Abstraktion eine Schocktherapie, die uns süchtig machte“ nach Richard Wagner .

Es war nicht zuletzt die Sängerin Lucia Popp (mit der er einige Jahre partnerschaftlich liiert war) durch die er diese Andersartigkeit des deutschen Musiktheaters kennenlernte, die „Idee, dass das Opernhaus ein Theater der Konfrontation, der Neuheit und der Herausforderung sein sollte“, wie er der Autorin sagte. Julia Glesner hat alles, was ihr Peter Jonas sagte, gewissenhaft wie Cosima Wagner aufgeschrieben, aber gelegentlich schweift sie doch gewaltig ab, beispielsweise wenn Sie den Inhalt des Buches Alice Millers „das Drama des begabten Kindes“ referiert, das die Sängerin Hildegard Behrens Sir Peter empfahl.  Auch über die psychoanalytischen Erfahrungen von Peter Jonas wird ausführlich berichtet. Ist das wichtige für die Beschreibung seiner Opernkarriere? Nun gut, das Buch wird dicker dadurch.

Vor allem aber blähen die vielen kleinen Biographien (erwähnter Künstler und Weggefährten) in der großen Biographie das Buch auf mehr als 600 Seiten auf. All diejenigen die die Karriere von Peter Jonas befeuerten und überhaupt erst ermöglichten, werden gewürdigt, Freunde wie Feinde.  Man könnte dieser Jonas-Biographie Namedropping vorwerfen, doch der Autorin geht es gewiss um bestmögliche Genauigkeit und Vollständigkeit der Darstellung einer künstlerischen Ausnahme-Vita, der Kindheit und Jugend in London, dem Studium in Sussex, Manchester und London sowie den beruflichen Stationen in Chicago, London und München. Krisen und Triumphe, Kulturpolitik und Geld sind Thema dieser Biographie, aber auch Sponsoring und Spielplanpolitik.

Mit großem Respekt und Betroffenheit berichtet Julia Glesner immer wieder und detaillierter als man es lesen möchte, von der Krebs-Erkrankung, die Peter Jonas als Schicksal annahm: „Die Krankheit selbst befreite mich, um mich zu entwickeln.“  Eine aus christlichem Denken hinlänglich bekannte, fragwürdige These.

Den Tod als steten Begleiter schien Jonas nie verdrängen zu können. Er wusste, wie „kurz unsere Pacht auf dieser Erde“ ist. Es war eine seiner typischen Formulierungen, einem Gedicht Shakespeares entsprungen.

Kranken- und Familiengeschichte, künstlerischer und persönliche Vita werden ineinander verwoben, auch Bekanntschaften und Zusammenkünfte mit den Großen der Musikwelt werden geschildert. Das individuelle Schicksal wird von Julia Glesner zum Panorama der Opernwelt seiner Zeit geweitet.

Sie beschreibt ein Leben, das von Wanderschaft geprägt ist. Das Theater wurde   Jonas zur Familie. An den drei großen Wirkungsstätten seines Berufslebens blieb er immer mindestens eine Dekade und versuchte, dort eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit zu schaffen. Die Bayerische Staatsoper war für ihn in besonderer Weise ein solches “Family House.“

Ausführlich beschreibt sie die Zusammenarbeit mit befreundeten Dirigenten und Regisseuren wie Claudio Abbado, Georg Solti, Marc Elder, Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Carlos Kleiber, James Levine, David Alden, Jürgen Rose oder David Pountney.

„Meine Zeit an der English National Opera war wirklich eine bemerkenswerte Zeit“, zieht Jonas Bilanz. „Plötzlich kam so etwas wie die Hoffnung auf, dass die Oper in London intellektuell und künstlerisch“ zu neuen Ufern aufbrechen würde.  Das Münchner Nationaltheater war ohne Frage der Gipfel der Karriere von Peter Jonas, weil er dort seine Auffassung von heutigem Musiktheater konsequent umsetzen konnte.

Wohl keine andere der von ihm als Opern-Manager verantworteten Inszenierungen war die spektakuläre, weil slapstickhaft poppige Produktion „Giulio Cesare in Egitto“ von 1994, sie wurde stürmisch diskutiert, spaltete das Publikum, aber mit ihr schrieb Jonas Theatergeschichte. „Das Bild des Dinosauriers stand für den Beginn von etwas Neuem, Unerhörtem, für eine geradezu revolutionäre Ästhetik des Musiktheaters, die das München bisher nicht gekannt hatte und an der sich das Für und Wider der Kritik und der Geschmack des Kulturbürgertums gleichermaßen abarbeitete.“  Das provozierte erbitterten Widerspruch wie zustimmende Begeisterung.

Der Dinosaurier wurde quasi zum Symbol der Amtszeit von Peter Jonas und der starke Auftakt der Händel-Renaissance in München. „In der Produktion von Richard Jones und Ausstatter Nigel Lowery stand der stürzende Dinosaurier für den Fall des Römischen Reiches und seiner obsolet gewordenen Ordnung. Im übertragenen Sinn aber konnte die Metapher für den Sturz der alten Ordnung an der Bayerischen Staatsoper München (BSO) gelesen werden,“ liest man.

In seiner letzten Spielzeit hatte Peter Jonas im Münchner Nationaltheater eine traumhafte Auslastung von 98,4 Prozent erreicht. Er „wollte die existentielle Bedeutung, die das Haus für seine Gäste hatte, auf eine neue Grundlage stellen. Seine Arbeit hat das Publikum extrem verändert, hat es aufnahmefähig, neugierig werden lassen. Intellektuell und künstlerisch, aber auch hinsichtlich der Anforderungen des Managements hat Peter Jonas sein Haus auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereite“, so das Resümee von Julia Glesner. Oper für alle (das dem Buch seinen Titel gab) war die Maxime seines Handelns. In München wurde es zum Programm. Peter Jonas widmete sein gesamtes Leben der Aufgabe, die Oper für alle Menschen zugänglich zu machen. Längst ist das antielitäre Konzept „Oper für alle,“ als Oper in Freiluft-und Videoübertragung, international kopiert worden, unter anderem in Hannover, Düsseldorf, Dresden, Zürich, Bayreuth und Berlin.

Übrigens entlehnte er das programmatische Schlagwort „Oper für alle“ dem englischen Vorbild „Opera for all“. Es war der Name einer britischen Wandertruppe, die Opern in den schwer erreichbaren, ländlichen Gegenden Großbritanniens aufführte (Insel Verlag Insel Verlag 2021, ISBN 978-3-458-17905-4, 652 S.): Dieter David Scholz.

 

Entdeckung aus Holland

 

Ein Zeitgenosse Puccinis, aber ein in der Nachfolge von Wagner wie Debussy komponierender Holländer war Alphons Diepenbrock, Autodidakt an Klavier, Viola, Dirigentenstab und selbst Sänger, von dem in den Neunzigern 3 CDs mit Liedern bei Brilliant eingespielt wurden, die jetzt veröffentlicht worden sind. Die längste, eine Stunde beanspruchende, ist deutschen Texten gewidmet, die zweite französischen, so Verlaine und Baudelaire, die zu einem großen Teil bereits vor ihm von französischen Komponisten vertont worden waren, die dritte, gerade einmal vierzig Minuten umfassende, lateinischen, italienischen und holländischen.

Bei allen fällt auf, dass dem Klavier geradezu orchestrale Aufgaben auferlegt werden, dass es nicht eine reine Begleiterfunktion ausübt, sondern oft ein höchst interessantes Eigenleben führt.  Daniel Esser begleitet die fünf Sänger vorzüglich, weiß aber auch die besondere Bedeutung seines Parts hervorzuheben. Für einige der Lieder hat der Komponist später, wohl im Bewusstsein davon, noch eine orchestrale Fassung verfertigt.

Nicht erstaunlich ist, dass die Anklänge an Wagner, so der Tristanakkord für Mignon oder Ring-Anklänge für den König von Thule, besonders bei den deutschen Liedern wahrzunehmen sind, die Erinnerungen an Debussy auf der zweiten CD wach werden.

Roberta Alexandra ist auf allen drei CDs vertreten. Für Novalis‘ Texte hat sie die schöne Intimität, eine flirrende Mädchenstimme, für der Spinnerin Lied viel Frische, für Claire de lune ein schönes Flirren und jubelnden Übermut für die Mandoline. Tapfer behauptet die Sängerin in Come raggio di sol sich neben dem dominanten Klavier, einen feinen Jubelklang hat sie für Ik ben eenzaamheid.

Es gibt zwei Mezzosoprane, davon einen holländischen, Jard van Nes, die sich der Mignon und des Königs von Thule mit warmer, runder Stimme angenommen hat, die allerdings an Textverständlichkeit viel zu wünschen übrig lässt. Das ist besonders schade bei dem Lied nach einem Text von Karoline von Günderode, der deutschen Romantikerin, die mit 26 Jahren Selbstmord beging, nachdem ihr leidenschaftliches Aufbegehren gegen die Rolle, die Frauen zu ihrer Zeit zugewiesen wurde, auf wenig Resonanz gestoßen war. „Kann ich im Busen heiße Wünsche tragen?“ ist ein symptomatischer Titel. In Meinacht (holländisch!) kann die Stimme schön aufblühen, aber auch die Muttersprache klingt verwaschen.

Der zweite Mezzosopran stellt sich mit Christa Pfeiler vor, die mit deliziösem Timbre die Invitation au voyage singt, für Incantation auch dramatische Qualitäten hat, apart im Ave Maria klingt und in Bejaard noch einmal auf dramatische Qualitäten verweist.

Wo es Lieder gibt, da darf der Tenor Christoph Prégardien nicht fehlen, der gewohnt deutungsintensiv und einfühlsam zunächst drei Balladen interpretiert, dessen gute Diktion eine Labsal ist, selbst wenn sie zur Wortverliebtheit ausartet, und der nicht frei von Manierismen ist. Keine unangebrachten Gefühlsaufwallungen werden in Preghiera alla Madonna verschwendet, und ein Mondlicht kann bei dem Tenor auch auf Holländisch schimmern.

Eine ganz großartige Besetzung ist Robert Holl, dessen Bass so samtweich wie todtraurig, dazu mit exzellenter Diktion Der alte König singt, der das Humorvoll-Drastische der Goethischen Celebrität vollkommen darzustellen und der exakt die Stimmung des Recueillement zu treffen weiß. Französisch singt er mit gleich bewundernswerter Diktion wie Deutsch, und der große künstlerische Ernst des Interpreten zeigt sich auch hier einmal mehr.

Wer ist Alphons Diepenbrock, fragt sich, wer das Cover mit der nach einem „Signal“ ausschauenden jungen Frau sieht, und erhält beim Hören als Antwort: ein Komponist, dessen Liedvertonungen durchaus an der Seite von denen eines Richard Strauss oder Faure bestehen könnten- wenn man sie nur aufführte (Brilliant 3 CD 96103). Ingrid Wanja

Messagers „Passionement“

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Die Normandie während der Années folles. Romantische Begegnungen, Identitätswechsel und unerwartete komische Wendungen: André Messager verortet sich in Passionnément an der Schnittstelle von Café-Konzert, amerikanischer Popmusik und französischer Operette. Die Musik  wird von Véronique Gens, Étienne Dupuis, Nicole Car und weiteren enthusiastischen Solisten, begleitet vom Münchner Rundfunkorchesters unter Stefan Blunier, mit großem Esprit dargeboten. So witzig wie Messagers Musik, bietet das Libretto mit seinem Flair des Boulevardtheaters ein echtes Manifest des französischen Geistes in den 1920er Jahren. Dazu ein Artikel vom Operettenfachmann Kurt Gänzl mit Dank.

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1925 erklärte sich Messager bereit, Passionnément zu vertonen, ein dreiaktiges Libretto von Hervé Hennequin mit einem Text von Albert Willemetz, der das Projekt initiierte. Bei seiner Premiere am 15. Januar 1926 im Théâtre de la Michodière war das Werk ein triumphaler Erfolg, und das Walzerlied im zweiten Akt, das ihm seinen Titel verlieh, fand sofort Anklang. Hier wird Messagers unwiderstehlicher melodischer Charme in einer Moral- und Charakterstudie exerziert, in der Auftreten und Vorurteile entlarvt werden. Der amerikanische Millionär William Stevenson, ein Abstinenzler, erliegt schließlich den Freuden des Champagners und verwandelt sich von einem Schwindler in einen Mann der Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Er gibt den Versuch auf, den jungen Franzosen Robert Perceval zu betrügen, und lässt sich scheiden, nachdem er herausgefunden hat, dass dieser und seine eigene Frau Ketty (ein ehemaliger Star des Varieté) verliebt sind, und lässt sich scheiden, damit sie heiraten können. Er selbst setzt seine Lebensreise mit Kettys jungem kanadischen Dienstmädchen Julia fort, die davon träumt, ein angenehmes bürgerliches Leben zu führen. Die Rolle von Hélène (Roberts eifersüchtige Geliebte) trägt zusätzlich zur starken weiblichen Präsenz in einer Handlung voller Vitalität bei, in der die Lieder vor allem introspektive Momente sind. Henry Malherbe behauptete in Le Temps, dass Messager „in einer verzauberten Welt zu leben scheint, aus der Traurigkeit und Müdigkeit verbannt werden“; aber in Kettys „Ah! pourquoi les bons Momente passent-ils si vite“ und dem Trio „Dès que l’âge“ drücke das Werk auch Nostalgie und Bedauern über den raschen Lauf der Zeit aus.

André Messager (1853-1929)/ Wiki

Eines der erfolgreichsten Werke von Messager aus seiner Spätzeit, die comédie musicale Passionnément, wurde zu einem zeitgenössischen Libretto komponiert, an dem der eigentliche Erfinder der Musical-Komödie des Jazz-Zeitalters, Albert Willemetz, zur Hälfte Anteil hatte. Es erzählt, wie der machiavellistische amerikanische Millionär William Stevenson (René Koval) seinen Weg über den Atlantik findet, um den entschlossenen jungen Spieler Robert Perceval (Géo Bury) zu finden, um ihn davon zu überzeugen, von einem Land zu profitieren, das er in Colorado geerbt hat. Stevenson weiß, dass das Land voller Öl ist. Er bringt seine hübsche junge Frau Ketty (Jeanne Saint-Bonnet), eine ehemalige Schauspielerin, mit, besteht aber, misstrauisch gegenüber dem Ruf französischer Männer, darauf, dass sie sich mit einer dunklen Brille und einer grauen Perücke verkleidet. Sein Misstrauen ist angebracht, denn als Perceval Ketty ohne ihre Verkleidung ausspioniert, verliebt er sich in sie. Sie behält die Doppelrolle der betagten Ehefrau und ihrer eigenen jungen Nichte bei, bis sie ihrerseits umschwenkt und den jungen Mann vor den Absichten ihres Mannes warnt. Auf diese Weise erhält Perceval in bester Tradition sowohl das Geld als auch das Mädchen. Renée Duler war Hélène Le Barrois, Percevals ausgemusterte (zwischen Akt I und II) Geliebte, während Denise Gray als Julia, Kettys sexbesessenes Dienstmädchen, den Abend mit dem Kapitän der Yacht (Lucien Baroux) verbrachte, bevor sie mit dem letztendlichen Ex ihrer Arbeitgeberin endgültig zufrieden ist. Hélènes Ehemann (der sie zurückbekommt, einen Verzicht und drei Soli später) und zwei Diener vervollständigen die Besetzung.

Messagers 21-teilige Partitur wurde gekrönt von Solo-Nummern für Perceval (der Titelwalzer „Passionnement“), Hélène (das Versöhnungsrondeau „N’imaginez pas“, mit dem sie zu etwas wie verheirateter Glückseligkeit zurückkehrt), Julia (drei, einschließlich des komischen Gebets für einen Mann „Vous avez comblé ma patronne“) und Ketty, die in „Ah! pourquoi les bons moments“ wissen will, warum der Gipfel des Genusses so kurz sein muss.

Stevenson hatte ein komisches Stück, das den Erfolg in Amerika „le régime sec“ (Abstinenz) zuschreibt, aber nachdem er „le bon vin français“ und eine neue Persönlichkeit zwischen dem zweiten und dritten Akt entdeckte, hatte er ein viel amouröseres Solo für den letzten Akt.

Duette, Trios und Ensembles spielten ihre Rolle in einer modernen Partitur, die dem 73-jährigen Komponisten hervorragende Kritiken und einen großen Erfolg einbrachte. Die Originalproduktion der Show, die von Quinson eingefädelt und von Edmond Roze inszeniert wurde – dem erfahrensten Regisseur, den die Stadt zu bieten hatte –, war ein großer Erfolg.

Nach seiner ersten Pariser Saison ging es auf Tour, wobei Bury seine ursprüngliche Rolle spielte, und 1932 konnte man es in Paris im Trianon-Lyrique wiedersehen. In der Zwischenzeit hatte es einen kleinen Ausflug ins Ausland gemacht. In Ungarn, das der französischen Musikkomödie der 1920er Jahre gegenüber den größten Enthusiasmus zeigte, war Jenö Molnárs Version von Nászéhszaka (Hochzeitsnacht) ein großer Erfolg im Belvárosi Színház mit mehr als 100 Aufführungen in der ersten Produktion.

Eine andere Version, A legszebb éjszaká (die schönste Nacht), die neue Musik von Béla Csanak und eine von Andor Pünkösti überarbeitete Textfassung besaß, wurde 1943 im Márkus Park Színház gespielt. Das Stück reiste sonst wenig, obwohl es kurz in New York gesehen wurde, als es von einer französischen Repertoirekompanie gespielt wurde, in der Sonia Alny und Georges Foix vertreten waren. Ein Film von René Guissart mit Fernand Graavey als Hauptdarsteller und Koval, der seine Bühnenrolle wiederholte, wurde 1932 produziert, und Passionnement hat bis heute regelmäßig regionale Aufführungen in Frankreich. Kurt Gänzl

Wie der Titel schon ahnen lässt, handelt Messagers Operette von einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die nach einigen Irrungen und Wirrungen zu einem Happy End kommt: William Stevenson, ein skrupelloser Geschäftsmann und Abstinenzler, bessert sich schließlich – geläutert durch die Liebe – von einem Betrüger zu einem freundlichen Mann, entdeckt die Freuden des französischen Weins und der wahren Liebe. Die amüsante Handlung wird getragen von schwungvollen Melodien im Stil der Goldenen Zwanziger. Daneben finden sich aber auch anrührende nostalgische Momente, wenn Stevensons zukünftige Ex-Frau Ketty in „Ah! Pourquoi les bons moments passent-ils si vite den raschen Lauf der Zeit beklagt.

Es ist erfrischend, wieder die bewährten „Hauskräfte“ des Palazetto zu erleben, die den in dieser Serie Auftretenden Gesicht verleihen und die den nötigen SAtil des Vortrags garantieren. In der Rolle der Ketty ist die französische Sopranistin Véronique Gens zu erleben, die u.a. 2016 beim Münchner Rundfunkorchester zu Gast war und Saint-Saëns‘ Opernheldin Proserpine und die mancher anderer mit ihrer facettenreichen Stimme bei den Palazzetto-Einspielungen zum Leben erweckt hat. Ihr zur Seite steht der französische Bariton Etienne Dupuis als Robert Perceval. Für die Partie der kanadischen Magd Julia, Stevensons künftiger Frau, konnte die australische Sopranistin Nicole Car gewonnen werden. Kurt Gänzl

 

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.Passionnément – Musikalische Komödie in drei Akten (konzertant) von André Messager. Mitwirkende Véronique Gens, Nicole Car, Chantal Santon Jeffery, Etienne Dupuis, Éric Huchet, Armando Noguera, Katja Schild/ Münchner Rundfunkorchester, Stefan Blunier/1 CD mit englisch-französischen Artikeln u,nd Libretto in bewährter Buchform/ Palazetto Bru Zane/ Note 1.

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Dank an Kurt Gänzl, dem bedeutenden Fachmann für Operette und historische Sänger, aus dessen Artikel wir Teile zitierten (https://kurtofgerolstein.blogspot.com/), ebenso an den Palazzetto Bru Zane, bei dem der Mitschnitt des Konzertes Dezember in München 2020 erschien. Übersetzung der englischen Originaltexte war wieder Daniel Hauser, Redaktion G. H

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Die Liste der Beiträge in dieser Serie finden sie hier.

Fragwürdiger Anspruch

 

„Bescheidenheit ist eine Zier“, doch singt man besser ohne ihr? Mit einigem Anspruch an die Sängerin scheint ein Recitaltitel wie „Assoluta“ verbunden zu sein, den man vielleicht einer Callas, einer Sutherland oder Caballé zubilligen wird, weniger einer Mezzosopranistin, nämlich Béatrice Uria-Monzon,  die als Carmen & Co. einen guten Ruf, aber nur wenige Jahre Sopranerfahrung hat und nun an Ohrwürmern von der „Umile ancella“ über „Vissi d’arte“ bis zum „Suicidio“, ja zur „Casta Diva“ alles, was den Assolute zusteht, aufgenommen hat, nur „Un bel di“ und die Wahnsinnsszene der Lucia fehlen noch. Zwar teilt uns das Booklet mit, dass den Titel Primadonna assoluta in der Geschichte der Oper die Sängerin der wichtigsten Partie tragen durfte, heute aber verbindet man damit einen weit höheren Anspruch, dem die vorliegende CD nicht gerecht werden kann.

Es beginnt mit der Adriana, deren erste Töne, dunkel und recht verrucht klingend, an die unselige Fürstin von Bouillon aus der Cilea-Oper denken lassen, die sich pathetisch wie jene vokal aufführt, die zwar die Attitüde einer Assoluta, aber keine Sopranstimme hat, denn in der Höhe verliert die in der Mittellage reiche Stimme an Qualität. Auch Tosca profitiert zwar in der Mittellage von der Mezzovergangenheit der Sängerin, die Stimme nimmt allerdings streckenweise einen weinerlichen Klang an und leidet im Acuto an Qualitätsverlust, kann nicht aufblühen, wie es sich für einen Sopran gehört. Santuzza schlägt sich da wesentlich besser, wenn auch mit mauscheliger Diktion, die Tessitura der Partie passt, der düstere Charakter wird hörbar, erst am Schluss mit einem schwachen „io piango“ lässt die Spannung nach. Auch für die Maddalena aus Andrea Chénier lässt sich feststellen, dass die Uria-Monzon punkten kann, wo Soprane oft Schwächen zeigen, die mezza voce ist farbig, wenn die Mittellage nicht verlassen wird, ansonsten klingt die Stimm zu flach. Die Schlussszene von Manon Lescaut ist eines der schwächsten Stücke auf der CD, die Stimme scheint einfach nicht jung genug zu sein, klingt wie unter einem Tuch hervor, gedämpft, dumpf und „Non voglio morir“ einfach zu dünn. Letzteres trifft auch für die Gioconda zu, die Interallsprünge nach oben wirken gefährdet, einen Lichtblick stell das schöne Piano in der Höhe der Suor-Angelica-Arie dar, einen Tiefpunkt die „Casta Diva“ mit schriller Höhe und insgesamt trübe klingend. Im abschließenden „Pace, pace“ stört einmal mehr, dass die Sängerin mit zwei Stimmen zu singen scheint, deren oberer Teil ältlich klingt und die mit Maledizione kaum jemanden beeindrucken kann.

Einen Sonderfall stellt die Lady Macbeth dar, über deren Stimmqualitäten nach Verdi sich nicht noch einmal geäußert werden soll.  Mit übertrieben hexenhafter  Stimme verliest diese Lady den Brief des Gatten, in der folgenden Arie wie der Wahnsinnsszene drängt sich wieder der Eindruck auf, dass hier eine Mezzostimme, die ihre spezifischen Farben nicht bis in die Höhe tragen kann, am Werk ist.

Das in diesem Repertoire erfahrene Orchestra della Fondazione Teatro Lirico Giuseppe Verdi di Trieste unter Fabrizio Maria Carminati begleitet zuverlässig (Aparté music 221). Ingrid Wanja    

Tosti ohne Ende

 

Wer kennt nicht Ideale, Marechiare, A Vucchella oder Malia und kann sich, gesungen von Giuseppe Di Stefano oder José Carreras oder einer anderen schönen Tenorstimme, ihrem Zauber entziehen?! Aber wer weiß schon, dass es daneben noch weitere 350 Canzonen von eben diesem Francesco Paolo Tosti gibt, nicht weniger den Ohren schmeichelnd, wenn nur von der richtigen Stimme dargeboten? Sie alle sind auf 18 (achtzehn!) CDs veröffentlicht, jetzt allesamt in einer Kassette zugänglich und zu einem großen Teil nicht in italienischer, sondern in englischer und französischer Sprache.Song of a Life nennt sich das Unternehmen, das alle Romanzen des Komponisten für Gesang und Pianoforte in chronologischer Reihenfolge und mit unterschiedlichen Interpreten vereint und sich davon verspricht,  Tosti zum ihm gebührenden Ansehen zu verhelfen, frei von einem gönnerhaften, es handle sich bei ihm zwar um angenehme, aber zu angenehme, zu „leichte“, allzu gefällige zwar Salonmusik, aber durchaus nicht ernst zu nehmende Kunst. Salonneapolitaner in Anlehnung an den Salontiroler nannte man ihn oft abwertend, als wenn das Gefallenkönnen eins sei mit dem zu gefällig sein. Das Istituto Nazionale Tostiano di Ottona  ist verantwortlich für die Wieder- und Neuentdeckung des Komponisten, der zu Lebzeiten eine bedeutende Rolle auf europäischer Ebene spielte, denn er war nicht nur in Italien hoch angesehen undFreund aller bedeutender Komponisten seiner Zeit, sondern auch in England, wo er Musikerzieher im Königshaus war, so wie er in Rom die Prinzessin Margherita di Savoia unterrichtet hatte.

Die Lieder wurden im Rahmen einer Konzertreihe von zwanzig Sitzungen in Foligno und Ortona in den Jahren 2014 bis 2018 aufgeführt,  die Interpreten sind Teilnehmer  eines internationalen Concorso  della Romanza da Salotto, einige von ihnen haben eine bedeutende Karriere als Opernsänger gemacht. Die Aufnahmen zu den CDs fanden im Teatro Clitunno in Trevi statt.

Die beiden ersten CDs zeigen wie in er Folge auch fast alle anderen junge, frische Stimmen, einmal die des Tenors Nunzio Frazzini, in der Höhe begrenzt, aber mit schöner Mittellage, und den Sopran Romina Casucci , zart und melancholieumflort und damit sehr passen für das Repertoire. Auf CD 3 erfreut Maura Menghini mit einer dunkel getönten, geschmeidigen Stimme, während der Tenor David Sorgiu weich bis verhuscht klingt. Auf CD 4 kann Valentina Mastrangelo spröde bis frisch neue Akzente setzen, Bariton Denver Martin-Smith ist empfindsam in „Non t’amo più“, kann aber auch dröge und dumpf in den französischen Liedern sein. Prominent wird es auf CD 5 mit Monica Bacelli und Mark Milhofer, deren Stimmen sich auch im Duett vereinen, sie süß flötend und er charmant, nicht umsonst mit einer bedeutenden Karriere als Rossinisänger alle spalle. Obwohl englischer Herkunft, klingt MIlhofer wie ein italienischer Tenor, sie verkörpert mädchenhafte Anmut aufs schönste. Dies alles gilt auch für CD 6, die beide gestalten. Auf dieser CD befindet sich auch Marechiare, gesungen mit extremer Leichtigkeit, wie dahingetupft.

Der Sopran Benedetta Torre und der Bariton Eugene Villanueva gestalten CD 7, sie dunkel getönt bis weinerlich, er  leider auch bei Malia dumpf und mit verwaschener Diktion. Dieses ist eine der schwächeren CDs der Reihe. Wie eine Opernarie singt der Sopran Ridonami la calma. Ein Star ist inzwischen Desirée Rancatore, die fast ausschließlich die CD 8 gestaltet, mit schöner Melancholie in der Stimme leichter Emission, manchmal nur angenehm dahinplätschernd, aber in Dimmi fanciulla sich an Empfindsamkeit mit dem Tenor David Sotgui überbietend. Weiter geht es mit CD 9 und damit zum ersten Mal mit einer Bassstimme, der von Piotr Lempa, ungewohnt, aber von schöner Farbe und angemessen schlank geführt. Gut ergänzt er sich mit dem sanften Mezzosopran von Jurgita Adamonyté. CD 10 vereint den Sopran von Valentina Coladonato mit dem Tenor von Aldo Di Toro, er mit feinem Falsettone, ihre Stimme leicht  und biegsam. An Farbigkeit der Stimme ist der Sopran überlegen, während der Tenor in seinen Ausdrucksmöglichkeiten doch recht beschränkt bleibt.  Delphine Da Pontello ist der Sopran auf CS 11, schmal und spitz in der Höhe, aus Strana ein einfühlsames Drama machend, während Bariton Marco Severin sich zu sanfter Klage fähig zeigt. Wer in Italien Operette besuchte, kam kaum an dem Triester Dauer-.Buffopaar Daniela Mazzucato und dem Tenor Max René Cossotto vorbei. Seine Stimme klingt grell und durchdringend, in der Höhe offen und sehr hell, sie hat ein feines Soubrettenstimmchen, das Munterkeit und Eleganz verkörpert. CD 13 schließlich vereint den Sopran Marika Spadafino mit dem Tenor Alessandro Luciano, sie besticht surch delikate Geschmeidigkeit, er durch hörbare Schulung an Belcantopartien.  Es wechselnde, aber stets hilfreiche Partner am Pianoforte. Die restlichen fünf CDs wurden bereits besprochen, was unter dem Stichwort Tosti zu finden ist (Brilliant CDs 95530). Ingrid Wanja

 

Und damit nicht genug! Dem strengen Opernfreund gilt er als zu verachtender Salon-Neapolitaner, und doch kann man sich dem Zauber einer seiner Romanzen oder Canzonen, sei es „‘A Vucchella“ oder „Ideale“,  gar gesungen von einem Giuseppe Di Stefano oder José Carreras, kaum entziehen. Die Rede ist von Francesco Paolo Tosti, zu dessen hundertstem Todestag ein riesiges Projekt, nämlich die Aufzeichnung seiner sämtlichen rund 4000 Werke für Stimme und Klavier gestartet wurde. Inzwischen liegt die vierte der jeweils fünf CDs umfassenden Ausgabe vor, jede von renommierten italienischen Sängern interpretiert, wie die früheren drei meistens chronologisch geordnet und  vor allem die Jahre 1903 bis 1917 umfassend. Dabei handelt es sich nicht nur um italienische, wenn Bearbeitung von Volksliedern neben neapolitanischen solche aus den Abruzzen betreffend, sondern auch um englische und französische Texte, denn Tosti war nicht nur Musiklehrer der italienischen Königin Margherita, sondern lebte auch lange Zeit in London und erfreute sich der Gunst des dortigen Königshofes unter Königin Victoria.

Seine hier bei Brilliant versammelten italienischen Lieder dieser Epoche fußen zu einem großen Teil auf Gedichten von Gabriele d’Annunzio, ganz gewiss politisch eine fragwürdige Figur der italienischen Geschichte mit seinem Flug über Wien, dem Abenteuer von Fiume, heute Rijeka, und der Hass-Liebe gegenüber Mussolini. Dass er in Italien heute als Dichter weitgehend unumstritten ist, hat er wohl auch seinem frühen Todesdatum, 1938, zu verdanken. Jedenfalls ist sein Anwesen Vittoriale mit riesigem Grabmal am westlichen Gardasee-Ufer in Gardone ein beliebtes Ausflugsziel.

Der Zusammenklang von hocherotischen bis schwülstigen, aber oft auch erstaunlich sensiblen Texten mit der gefälligen, eingängigen Musik passt besonders gut zur Stimme des Mezzosoprans Monica Bacelli, die die letzte der fünf CDs besungen hat. Zwischen zärtlicher Mütterlichkeit und vokaler Raffinesse schwankt ihr „Ninna nanna“, ein raffinierstes Farbenspiel wird für „A Tale oft he Twilight“ eingesetzt, durch Interpretationen wie die ihren werden die Stärken der Kompositionen betont, eventuelle Schwächen eliminiert. Raffinierte Rubati kennzeichnen die Interpretation von „Tormento“, viele einander widersprechende Gefühle werden in „Non basta più“ ausgedrückt. Zarte Melancholie ist die Stärke von „Parole del ricordo mio“, deliziös verhauchend. Jedem Titel wird seine ganz eigene Farbe verliehen, dabei bleibt die Stimme jedoch immer schön gerundet. Mit dem Poemetto „La Sera“, sehr männlich, da ebenfalls von d’Annunzio stammend, macht sie die Tragödie eines durch und durch weiblichen Wesens hörbar, als wolle sie der zeitweiligen Geliebten des Dichters, der Schauspielerin Eleonora Duse, eine Stimme verleihen. Die Begleitung durch Isabella Crisante ist der Kunst der Sängerin ebenbürtig.

Die erste CD lässt uns die frische, mädchenhafte Sopranstimme von Maria Bagalà hören, die durch ihre Leichtigkeit und die, wenn angemessen, elegische Zartheit erfreut. Die Sängerin kann aber auch dramatisch ausholen, wie ihr Einsatz in „Amate!“ beweist.

Der Bariton John Viscardi erfreut den Hörer durch eine perfekte Diktion, durch eine kernig-markante Stimme, die nicht zuletzt durch ihre Unmittelbarkeit, die Fähigkeit zur Kommunikation überzeugt. Dass sie auch geschmeidig und schmeichelnd wirken kann, beweist sie mit  „Si je ne t’aimais pas“, die populäre  „Ultima Canzone“ lässt mit einem beschwörenden „Nina, rammenta“ aufhorchen. Eine raffinierte Crescendo-Fermate ist bemerkenswert im „Voi dormite Signora“. Glenn Morton ist der Pianist dieser CD.

Donata D’Annunzio Lombardi bestreitet gemeinsam mit der Pianistin Isabella Crisante die zweite CD. Sie hat eine ausgesprochene Puccini-Stimme, singt die weitgehend auf Texte von Riccardo Mazzola komponierten Canzonen agogikreich, mit raffinierten Pianissimi, aber auch altmodischen Portamenti werkgerecht, würde nicht das Verschlucken der Konsonanten den Gesamteindruck stören. Das Prätenziöse des Vortrags passt zu vielem auf der CD, weniger zum populären „A Vucchella“. „Canta la serenata“ erfreut sich eines frischeren Klangs, einiges andere leidet unter der verhuschten Tongebung.

Fast ausschließlich aus dem Jahr 1911 stammen die Stücke, die vom Mezzosopran Giuseppina Piunti und dem Tenor Riccardo Della Sciucca vorgetragen werden. Eine reife, füllige, substanzreiche Stimme wie die ihre passt sehr gut zur Musik, auch das geschmeidige, raffinierte Spiel mit den Tönen, der tragische Unterton für „Non mentire“ oder „Se tu canti“. Eine sehr empfindsame Seite zeigt die Sängerin in den „Due piccoli notturni“, am Schluss der CD hört man ein zauberhaftes Duett mit „Passing Shadow“.

Eigentlich wie ein Bariton mit guter Höhe hört sich Riccardo Della Sciucca an, der eine gut tragende, mit einem warmen Timbre ausgestattete Stimme besitzt. Er singt auch in Französisch und Englisch perfekt idiomatisch, vermag in „Luna d’Estate“ Beschwingtheit und Lebensfreude zu vermitteln und zeigt in „Baciami“ auch tenorales Strahlen, ohne dass die Dunkelheit des Timbres verloren geht.  Hier nimmt die Stimme im letzten „Baciami“ auch mal opernhafte Ausmaße an.

Fest etabliert im Operngeschäft wie Monica Bacellii st auch Cinzia Forte. Sie teilt sich mit dem Bariton  Giovanni Meoni die vierte CD, begleitet von Marco Scolastra. Die Stücke wurden zwischen  1890 und 1916 komponiert, die chronologische Anordnung also durchbrochen. Der Sopran scheint in den letzten Jahren an Fülle und Süße gewonnen zu haben, hat einen schönen Glockenton und wird manchmal, so in „More and more“, recht vibratoreich eingesetzt. Anmutig leicht klingt hingegen  „Maggio è ritornato“, eine schöne Klage  ist „Charitas!“. Deliziös schließlich wird  „While we are young“ gesungen. Im Duett  „Napoli“ überbieten die beiden Sänger einander an der Verbreitung guter Laune.

Einen urgesunden Bariton setzt Giovanni Meoni für  „O dolce meraviglia!“ ein, klingt volkstümlich, entschlossen und temperamentvoll. Die sehr gute Diktion kommt beiden Sprachen zugute, echte Empfindung lässt sich im „piangi“ von  „Perdutamente!“ vernehmen.

Wer diese CDs hört, wird sich schnell von dem Vorurteil verabschieden, dass leicht gleich leichtgewichtig, einfach schön zwangsläufig kitschig sein muss. Eine Fortsetzung des Unternehmens „The Song of a Life“ kann man sich nur wünschen (Brilliant Classics 95499). Ingrid Wanja

Berühmt ja, aber legendär?

 

Legendary Conductors nennt sich die DVD-Reihe, mit der Arthaus berühmte Dirigenten vorstellt, jeweils mit einer Darstellung ihres Werdegangs und in einem zweiten Teil mit zumindest einem Teil eines Konzerts. Im Fall von Zubin Mehta (Good thoughts, good words, good deeds)sind das die Kindertotenlieder von Gustav Mahler mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und mit Thomas Quasthoff, dessen letztes Konzert mit klassischer Musik vor der Hinwendung zum Jazz dies war.

Die gesamten 120 Minuten lang ist man als Zuschauer berührt von der großen Menschlichkeit, die der indische Dirigent ausstrahlt und die neben seinem großen Können den Untertitel der DVD, Good Thoughts, good Words, good Deeds, glaubhaft werden lässt. Schauplätze sind natürlich das Heimatland Indien, sein Wirken in Israel, aber auch Wien oder die Berliner Philharmonie gehören zu den bevorzugten Schauplätzen. Unzählig viele Fotos und Filmausschnitte machen den Reichtum des Films aus, und auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn der Maestro im Frack inmitten einer großen Schar von Pinguinen posiert. Mehrfach sind Proben zum und die Aufführung vom berühmten Konzert der drei Tenöre in den Thermen des Caracalla in Rom während der Fußballweltmeisterschaft 1990 zu sehen, Filmausschnitte von einer einer Saalschlacht gleichkommenden Auseinandersetzung des israelischen Publikums über Für und Wider einer Aufführung des Vorspiels zu Tristan und Isolde. Auch ganz frühe Auftritte wie die in Gemeinschaft mit Daniel Barenboim und anderen jüdischen Musikern, eine Oberon-Ouvertüre oder das Mozartkonzert für Flöte und Harfe gewähren interessante Einblicke in das Wirken Mehtas. Fast immer wünscht man sich, die musikalischen Teile würden nicht so schnell wieder aufhören, aber das Erfüllen dieses Wunsches würde nicht der Zielsetzung des Films gerecht werden, mit dem vielseitigen Schaffen des Maestro bekannt zu machen. So gibt es schnelle Orts- und Themenwechsel, von der Bekümmernis über den israelisch-palästinensischen Konflikt und ein Konzert mit Gasmasken für das Publikum über den vergeblichen Versuch, als Friedensbote mit dem Orchester in Ägypten zu musizieren und das erste Gastspiel des Israelischen Nationalorchesters in Deutschland, dem sich nur zwei Musiker verweigerten. Eine Würdigung Wagners als Baum, dem die Früchte Mahler,Grieg, Schostakowitsch usw. zu verdanken sind, fehlt eben so wenig wie Berichte vom Rigoletto beim Maggio Fiorentino oder der ersten Aufführung von Turandot in Peking, wo ein Wettlauf mit dem Regen stattfand. Anteilnahme erweckend sind auch die Ausschnitte von einem Konzert in Sarajewo während des Jugoslawienkonflikts. Und immer wieder berührt es den Betrachter der DVD sympathisch, wie bescheiden, freundlich und ausgeglichen sich Zubin Mehta nicht nur gibt, sondern wie er zu sein scheint.

Sollten in Zukunft nicht nur viele Japaner in europäischen Konzertsälen zu finden sein, sondern auch zunehmend junge Inder, dann wird das ein Verdienst Mehtas sein, der sich um die musikalische Erziehung der Jugend seines Heimatlandes kümmert. Die Gefährten seiner Kindheit und Jugend kommen ausführlich zu Wort und vervollständigen das Bild eines nicht zuletzt wegen seiner Liebe zum Kricketspiel heimattreuen wie weltoffenen Dirigenten. Dank seiner Freundschaft mit Daniel Barenboim hat man in Berlin oft das Vergnügen, ihn zu erleben. Aus München ist ein Ausschnitt aus den Gurreliedern mit Klaus Maria Brandauer zu sehen und zu hören, bei der Wiedergabe der Kindertotenlieder aus Dresden interessierte die Kamera natürlich besonders der Sänger.

Thomas Quasthoff fasst sie als einen Klagegesang ohne Anspruch auf Schöngesang auf, lässt seinen Bariton mal hohl, mal grell erklingen, einzelne Worte treten als Bedeutungsträger hervor, aber die Stimme kann auch strahlen wie auf „Sterne“. Ohnmacht und Zynismus werden ebenso zu Gehör gebracht wie das Tröstende des Schlusses, das nicht nur lange nachhallt, sondern sich auch im Gesicht des Sängers widerspiegelt. Kongenial zeigen sich die dunkel leuchtenden Farben des Orchesters. Die Aufnahme entstand 2010. Die nächste Folge der Reihe Legendary Conductors ist Daniel Barenboim gewidmet (Arthaus 109439). Ingrid Wanja

Hommagen

 

Passione war eine von Luciano Pavarottis erfolgreichsten Platten – nun bringt DECCA unter eben diesem Titel eine neue CD mit dem britisch-italienischen  Tenor Freddie De Tommaso heraus, die dem großen italienischen Sänger  Franco Corelli anlässlich seines 100. Geburtstages huldigt (485 1509). Aber der Sänger gedenkt mit dieser Veröffentlichung („A Franco“) auch seines Vaters Franco De Tommaso, der 2011 mit nur 56 Jahren starb. Das Programm umfasst vor allem die bekannten italienischen und neapolitanischen Kanzonen, die von allen großen italienischen Tenören (Mario Del Monaco, Giuseppe Di Stefano, Carlo Bergonzi, Franco Corelli, Luciano Pavarotti) interpretiert wurden. Auch Sänger anderer Nationen (Alfredo Kraus, Plácido Domingo, Marcelo Álvarez, Jonas Kaufmann) haben sich erfolgreich diesem Genre gewidmet. So ist die Konkurrenz auf dem Musikmarkt groß und Freddie De Tommaso muss sich dieser stellen. Er macht dabei durchaus gute Figur, wenn seine Stimme im Timbre auch nicht so einzigartig und unverwechselbar ist wie die seiner illustren Vorgänger. 2018 gewann der Tenor den renommierten Francisco Viñas Gesangswettbewerb in Barcelona und etablierte sich auf Anhieb als einer der vielversprechenden neuen Interpreten im lirico-spinto-Fach. Die Stimme ist baritonal timbriert, im Ausdruck emphatisch und passioniert, was sie für dieses Genre natürlich prädestiniert.

Als Auftakt erklingt ein weniger bekannter Titel von Carlo Innocenzi, „Addio, sogni di gloria!“, in einem rauschhaften Arrangement von Henry Mancini. Sogleich hier kann der Interpret mit seinem schwärmerischen Vortrag für sich einnehmen. Die zweite und dritte Nummer, Tostis „Marechiare“ und „L’alba separa dalle luce l’ombre“, sind dagegen allseits beliebter Schlager und werden mit virilem Schwung und generösen Spitzentönen serviert. Später folgt von diesem Komponisten noch „Ideale“ – ein gleichfalls sehr populäres Lied. In diese Kategorie fallen auch „Mattinata“ von Ruggero Leoncavallo,„Core ‚ngrato“ von Salvatore Cardillo und „Musica proibita“ von Stanislao Gastaldon, mit dem De Tommaso ein hinreißender Schlusstitel gelingt. Selten zu hören sind der Bolero „Lolita“ von Arturo Buzzi-Peccia, welcher mit spanischem Temperament erklingt, „Dicitencello vuje“ von Rodolfo Falvo und das schwelgerische „Fenesta che lucive“ von Guglielmo  Cottrau, das lange Zeit Bellini zugeschrieben wurde, aber nach einem traditionellen neapolitanischen Volkslied komponiert wurde. Renato Balsadonna, der diese Aufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra dirigiert (entstanden im November 2020 in Watford), hat dafür das Arrangement erstellt, das Anklänge an Norma hören lässt.

Ungewöhnliche Beiträge in einer solchen Anthologie sind zwei Lieder von Puccini, welche Domingo schon in seinem Album Unknown Puccini vorgestellt hatte („Sole e amore“, dessen Motiv der Komponist später im 3. Akt seiner Bohème verarbeitete, und „Mentia l’avviso“, in dem schon die Manon Lescaut anklingt) sowie das schmerzliche „Nebbie“ aus Respighis Tre liriche. De Tommaso beweist hier eindrucksvoll seine Kompetenz für die Gestaltung der großen italienischen Tenorpartien. Natürlich darf auch der Titel gebende Song nicht fehlen. „Passione“ stammt von den beiden neapolitanischen Komponisten Ernesto Tagliaferri und Nicola Valente. Der Tenor singt sie mit Verve und Eleganz. Bernd Hoppe

Am Originalschauplatz

 

Endlich sind die Geister nach Hause gekommen. Die Geister von Marie-Antoinette und Louis XIV. trafen sich im Dezember 2019 in der Opéra Royal im Château de Versailles, wo die Geschichte der Ghosts of Versailles, die John Corigliano und William M. Hoffmann in ihrer zweiaktigen Grand Opera Buffa erzählen, ihren Anfang nahm. Begleitet werden der französische König und seine Gattin vom Grafenpaar Almaviva, Figaro und seiner Susanna, samt den unehelichen Kindern der Almavivas, Florestine und Léon. Mit dabei auch Beaumarchais, der die Geschichte von Rosina und ihrem Grafen zwischen 1775 und 1797 genüsslich in seiner Figaro-Trilogie ausgebreitet hatte. Möglich machte dieses Stelldichein in Versailles eine gemeinsame Produktion der Opéra Royale mit dem Glimmerglass Festival, bei dem die von Joseph Colaneri dirigierte Produktion von Jay Lesenger im Juli 2019 am Vorabend des französischen Nationalfeiertags und 230 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille ihre Premiere hatte. Später reiste nahezu das gesamte Team über den Atlantik, wo es sich in Versailles mit dem Orchestre de l’ Opéra Royal zusammenschloss.

Das Ergebnis präsentiert das Château de Versailles in einer umfangreichen Ausgabe, die neben den beiden CDs, die Coriglianos zweieinhalbstündige Oper beansprucht, zusätzlich die gesamte Aufführung auf DVD und Blu-Ray bereithält (CVS036, dreisprachiges Beiheft, aber ohne Libretto), wobei DVD und Blu-Ray darüber hinaus eine 38minütige Dokumentation über Coriglianos auf dem Höhepunkt der Aida-Krise 1988 entstandene erste Sinfonie Of Rage and Remembrance (Von Zorn und Erinnerung) bieten. Wenige Jahre nach John Conlons ausgezeichneter Los Angeles-Aufnahme aus dem Frühjahr 2015 (bei Pentatone) steht bereits eine weitere Einspielung der 1991 unter James Levine an der Metropolitan Opera uraufgeführten und damit üppig dokumentierten zeitgenössischen amerikanischen Oper zur Verfügung, die zusätzlich mit dem Siegel des historischen Rahmens versehen ist.

Quasi historisch, wie altmodische Molière- oder Beaumarchais-Aufführungen einst an der Comédie Française, mutet Lesengers zurückhaltende Inszenierung an, die das vom Librettisten überkonstruierte und das Verständnis wenig befördernde Stück über eine Liebe zwischen Marie Antoinette und Beaumarchais mit der Halsbandaffaire, einer Theater-auf-dem-Theater-Aufführung von La mére coupable, dem letzten und am wenigsten bekannten Teil der Figaro-Trilogie, und dem Versuch verknüpft, das Schicksal der Königin umzulenken, in fassliche Bilder (Bühnenbild von James Noone und opulente Kostüme von Nancy Leary) quetscht. Ort der in der Gegenwart und im Herbst 1793 spielenden Handlung, die die Geister folgendermaßen kommentieren, „He’s in love, he’s in love, he’s in Love! Beaumarchais is in love with Marie Antoinette! The Queen is sad! She longs for death! She’s been dead fort two hundred years!“, ist das Theater im Petit Trianon.

An der Met sorgte 1979 die Einlage der vielseitigen Marilyn Horne für Stimmung in Coriglianos Oper, die auch als DVD bei DG herauskam/Met Opera Archive/ Operaonvideo/ Rolf Fath besprach zudem die frühere Aufnahme der Oper bei Pentatone für operalounge.de

Man muss sich erst an Coriglianos Musiksprache mit ihrem müden Geister-Gewisper und hurtigen Konversations-Plapperei und der Melange aus Zitat und Gefälligkeit gewöhnen. Bald aber nehmen die gekonnte Ausformung der Arien und Szenen gefangen, darunter die virtuose, orientalisch umkleidete Cabaletta der arabischen Diva Samira, die post-barbersche Süße der Duette, etwa das elegische „Look at the green here in the glade“ zwischen Cherubino und Rosina, welches Beaumarchais und Marie Antoinette zum Quartett erweitern, die nach dem Vorbild der Italiana gezauberten rossinischen Ensembles und die Ironie – „This is no opera!“ behauptet eine Dame im ersten Finale „Wagner is opera!“

Ein Star-Ensemble, wie es der Met mit Stratas, Fleming, Horne, Gino Quilico, Graham Clark und Hagegård oder Conlon in Los Angeles mit Patricia Racette, Lucy Schaufer, Lucas Meachem, Robert Brubaker, Christopher Maltman und Patti LuPone zu Gebote stand, darf in Versailles nicht erwartet werden. Corigliano hat aber so wirkungssicher für die Stimmen geschrieben, dass sich die meisten Sänger, nicht nur Gretchen Krupp, die als pralle Samira naturgemäß abräumt, recht gewinnend präsentieren: Teresa Perrotta singt die beiden großen Szenen der Marie Antoinette, vor allem ihren Abschied („Once there was a golden bird“), mit exquisiter Melancholie und fülligem Sopran, für den Beaumarchais setzte Jonathan Bryan seinen ansprechenden lyrischen Bariton vorteilhaft ein („I risk my soul for you, Antonia“). Ben Schaefer traut man nach seinem Corigliano-Figaro auch die Gegenstücke von Mozart und Rossini zu, Kayla Siembieda ist mit rundweichem Mezzosopran, der sich im Duett mit Rosina reich entfaltet („As summer brings a wistful breezel“) und sprühender Diktion als Susanna ein wahres Bühnentalent, Joanna Latini, deren Rosina im Duett mit Cherubino (Katherine Maysek) von zarter Eleganz ist, und der Tenor Brian Wallin verblassen als Grafenpaar daneben fast ein wenig; ebenso Peter Morgan als König. Als Bösewicht Bégearss setzt Christian Sanders seinen Charaktertenor in der Wurm-Arie „Long live the Worm“ und im Revolutionsgeschehen mit schleuderndem Effekt ein. Joseph Colaneri und das Orchestre de l’ Opéra Royale unterstützen die Sänger durch ein pointiertes, kammermusikalisches Spiel, das auch in den Revolutionsszenen durchsichtig bleibt. Nun soll den Geistern aber auch wieder für eine Weile Ruhe gegönnt sein. Rolf Fath

Vielvertont

 

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein gen. Wallenstein (1583-1634) war eine der letzten Heldengestalten der Weltgeschichte. Immer wieder stand er auch im Fokus des Interesses von Komponisten, denkt man Bedřich Smetanas Tondichtung Wallensteins Lager von 1859 oder auch Vincent d’Indys sinfonisches Triptychon Wallenstein von 1871, beides nach Friedrich von Schiller, auch die Oper von Jaromir Weinberger (die Aufnahme bei cpo unter Cornelius Meister wurde in operalounge.de besprochen). Ein weiterer Komponist, der sich des legendären Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) annahm, war Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901). Dieser wird aufgrund seiner langen Wirkungszeit in München, wo er ab 1851 lebte, heute häufig fälschlicherweise als deutscher Komponist angesehen, war jedoch tatsächlich ein in Vaduz gebürtiger Liechtensteiner. Zu Lebzeiten hochgeschätzt und dekoriert (Nobilitierung zum Ritter von Rheinberger 1895 durch den bayerischen Prinzregenten Luitpold), steht er mittlerweile im Schatten anderer. In praktisch allen musikalischen Genres tätig, erlangte er besonders auf dem Gebiet der geistlichen Musik Bedeutung (viele Messen, Kantaten und Motetten, drei Requiems und zahllose Orgelwerke), schrieb aber auch zwei Opern und drei Singspiele.

Den 300. Jahrestag der Gründung des Fürstentums Liechtenstein, das in dieser Form seit 1719 besteht, nahm das Label Ars zum Anlass, das Sinfonische Tongemälde d-Moll op. 10 Wallenstein erstmals einzuspielen (ARS38284). Es agiert das Sinfonieorchester Liechtenstein unter seinem ehemaligen Chefdirigenten Florian Krumpöck. Idiomatischer geht es nicht. Der erst 1988 ins Leben gerufene und einzige professionelle liechtensteinische Klangkörper braucht keine Vergleiche zu scheuen, was auch für die zwischen 28. und 30. Jänner 2019 im SAL (Saal am Lindaplatz) in Schaan entstandene Aufnahme gilt, die als hybride SACD im DSD-Verfahren vorgelegt wird und höchsten klanglichen Ansprüchen genügt.

Wie bei Smetana und d’Indy war es für Rheinberger weniger der historische Wallenstein als Schillers literarische Verarbeitung des Stoffes, die seiner Komposition von 1866 zugrunde lag. Dafür spricht bereits die Bezeichnung der vier Sätze, welche sich gliedern in Vorspiel (gut 14 Minuten), Thekla (gut 10 Minuten), Wallensteins Lager (10 Minuten) und Wallensteins Tod (15 Minuten), zusammen also ein etwa 50-minütiges Werk ergeben. Rheinberger gelang das Kunststück, sowohl die Verfechter der absoluten Musik als auch die Anhänger der seinerzeit in Mode gekommenen Tondichtungen für sich einzunehmen. So firmierte das Stück in seinen ersten Aufführungen als „eine Sinfonie in vier Sätzen“, um in der Druckausgabe doch noch als „Sinfonisches Tongemälde“ durchzugehen. Der Kopfsatz gibt ein farbiges Portrait der Titelfigur, während sich der langsame, sehr verinnerlichte zweite Satz Wallensteins Tochter Thekla (historisch: Maria Elisabeth) widmet. Der durchaus als Scherzo zu bezeichnende dritte Satz kommt marschartig-deftig daher und schildert in seiner lebensbejahenden Leichtigkeit das turbulente Lagerleben im Felde. Im düsteren Finale schließlich deutet sich das unausweichliche Schicksal des Helden bereits früh an, der alle Warnungen in den Wind schlägt und schließlich der berühmten Verschwörung zum Opfer fällt.

Eine wirklich hörenswerte Ausgrabung im weniger bekannten sinfonischen Repertoire der Romantik, die gerade auch aufgrund des historischen Hintergrundes für den Musikfreund von Interesse ist, selbst wenn der ganz große Aha-Effekt ausbleibt. Das beiliegende ausführliche deutsch-englische Booklet ist tadellos und macht Lust auf mehr. Es darf auf eine Fortsetzung aus Liechtenstein gehofft werden. Daniel Hauser

Ruggiero Orofino

 

Das Leben, die Laufbahn und die künstlerischen Verdienste des italienischen Tenors Ruggiero Orofino (28.09.1922 – 20.05.2021) waren in vielerlei Hinsicht außerordentlich: als erstes Mitglied des Chors der Mailänder Scala kehrte er in Hauptrollen an das bedeutendste Haus Italiens zurück – und dies für nicht weniger als 10 aufeinander folgende Spielzeiten. Vom Automechaniker, Elektriker und Marinesoldaten aus dem apulischen Barletta wurde er zu einem der ersten Tenöre weltweit und zum Star im Ensemble der Berliner Staatsoper Unter den Linden. 1976 wurde er zum Kammersänger ernannt, und als einziger Tenor sang er an allen drei Berliner Opernhäusern, als die Stadt durch die Mauer geteilt war. Sein Radamès, sein Pinkerton und sein Rodolfo, die er in allen großen Häusern der Welt gesungen hat, sind unvergessen und halten jeden Vergleich mit wesentlich prominenteren Kollegen aus.

Ungewöhnlich breit war auch Orofinos stilistisches Spektrum: sowohl in Berlin und Hamburg, in München und an der Scala war er ein hervorragender falscher Zarewitsch Dimitri in Boris Godunov. Mussorgskys Meisterwerk sang er zunächst in deutscher und italienischer Sprach, schließlich 1979 unter der Leitung von Claudio Abbado auch im russischen Original. Im Belcanto der italienischen Frühromantik war er als Pollione der Norma der Caballé ein ebenbürtiger Partner an der Scala. Und nicht hoch genug kann seine Interpretation der heiklen Titelpartie von Verdis Ernani geschätzt werden, mit dem er 1970 als Protagonist an der Scala debütierte. Anders als viele Sänger aus dem romanischen Sprachraum bewies Orofino zudem, dass das deutsche Repertoire auch in Originalsprache wie Belcanto gesungen werden kann. Zum einen ist hier sein Lohengrin zu nennen – eine Partie, die er erstmals 1971 innerhalb von wenigen Tagen sowohl in Dublin auf Deutsch wie beim Maggio Musicale Fiorentino auf Italienisch sang, später dann auch an der Berliner Staatsoper und in Madrid. Sensationell ist allerdings, dass er keinerlei Berührungsängste gegenüber der zweiten Wiener Schule hatte. An der Scala sang er den Jungen Mann in Schönbergs Moses und Aron und – wiederum unter der Leitung von Abbado – den Tambourmajor in Bergs Wozzeck, ebenfalls in Mailand und beim Gastspiel der Scala in Paris.

Eine solche stilistische Bandbreite setzt natürlich nicht nur eine außergewöhnliche Stimme sondern auch eine ebenso hervorragende Technik voraus. Der erste Beleg dafür ist zunächst Orfinos außergewöhnliche stimmliche Langlebigkeit. Mit über sechzig Jahren sang er manch jüngeren Cavaradossi oder Radamès an die Wand, und meisterte die Tessitura der kurzen aber extrem hoch liegenden Partie des italienischen Sängers mit Bravour – viele Kollegen verabschieden sich in diesem Alter von der Bühne oder sind zu regelmäßigen Transpositionen gezwungen. Seine Technik erarbeitete sich Orofino im intensiven Studium mit den Repetitoren und Dirigenten der Scala und vor allem bei der großen Mercedes Llopart. Selbst eine bedeutende Sopranistin, ging sie vor allem als Lehrerin von Alfredo Kraus, Renata Scotto, Elena Souliotis, Fiorenza Cossotto und eben Ruggiero Orofino in die Geschichte des Belcanto ein.

Diese technische Souveränität und ein Vortragsstil, der keinerlei veristische Exzesse kennt, machen Orofino zu einem herausragenden Sänger, selbst für das goldene Zeitalter, in dem er seine Karriere begann. Denn trotz seiner dunklen, genuinen lirico-spinto Stimme und seines feurigen Bühnentemperaments war er ein Klassizist unter den dramatischen Tenören seiner Generation. Auf seinen Aufnahmen hören wir eine substanzreiche und vibrante Stimme, die jederzeit perfekt fokussiert sitzt und sich souverän im Passaggio bewegt. Dies zeigen exemplarisch die – in dieser Hinsicht äußerst anspruchsvollen – Arien aus Mascagnis Cavalleria und Iris. Darüber entfaltet sich eine brillante, vollkommen mühelose Höhe bis zum C bzw. Des’’ (im Duett des Herzogs mit Gilda aus Rigoletto). Dramatische Attacken singt Orofino mit Verve, doch niemals wird die Gesangslinie deklamatorischen Akzenten oder veristischen Schluchzern geopfert. Immer bleibt sie klar, liegt die Stimme konsequent auf dem Atem, so dass jederzeit Diminuendi und Smorzandi in die Mezza voce möglich sind. All diese Qualitäten – zusammen mit einer glasklaren Diktion, die den Sinn jeder Phrase und des einzelnen Wortes herausarbeitet – sind auch in den Aufnahmen in deutscher Sprache zu bewundern.

Eine „voce parallela“ (Lauri-Volpi), die dem Gesang und der Stimme Orofinos vergleichbar wäre, wird man unter seinen Zeitgenossen schwer finden. Am ehesten kommt einer der größten Tenöre der Vorkriegszeit dafür in Frage: Giovanni Martinelli, der nach Carusos Tod an der Metropolitan Opera dessen dramatisches Repertoire übernahm. Denn wie Martinelli exzellierte Orofino in Partien wie Radamès, Manrico, Don Carlos, Cavaradossi, Chénier und Calaf. Anders als Martinelli aber erhielt er sich bis in die letzten Jahre seiner Karriere die Fähigkeit, zwischen seinem Spinto-Repertoire und lyrischen Partien wie Duca, Rodolfo oder Pinkerton zu alternieren.

Ganz offensichtlich sind die Parallelen zu Martinelli in den Arien des Calaf, die Orofino mit großzügiger Tongebung und Leidenschaft, dabei mit souveräner Linienbildung singt. Noch enger schließt er mit Verdis Ernani an seinen großen Vorgänger an. Sein Erfolg in der Partie beim Debüt an der Scala in der Eröffnungsserie der Spielzeit 1969/70 reichte an den von Domingo mühelos heran, von dem er die Partie im zweiten Teil der Vorstellungsserie übernahm. Nach Martinelli gehört Orofino zu den ganz wenigen Tenören, die souverän die hohe Tessitura der Auftrittsarie bewältigen, die gruppetti der Cavatina wirklich con eleganza phrasieren und in der Cabaletta Dramatik und Agilität vereinen. Zudem krönt Orofino nicht nur diese mit einem langen hohen B sondern interpoliert in der Kadenz der Cavatina ein stupendes hohes H, das das Publikum der Scala zu  Recht mit einem Beifallssturm beantwortet.

Zwei Jahrzehnte lang war Orofino der unumstrittene Star im italienischen Repertoire an der Berliner Staatsoper, und zahllose Fans in Europa und Übersee (wo er u.a. an der Met und am Teatro Colon mit seinem äußerst anspruchsvollen Publikum sang) erinnern sich noch heute mit Begeisterung an seinen Gesang und seine Interpretationen (wie auf vielen seiner Dokumente bei youtube nachzuerleben ist)/ Foto oben Archivio storico del Teatro alla Scala)Angelo Raciti