Anachronistic Hearts nennt sich eine neue Platte bei Muso, die im August 2020 in London aufgenommen wurde und Opernarien und Kantaten von Georg Friedrich Händel vorstellt (mu – 045). Interpretin ist die Mezzosopranistin Héloïse Mas, die vom London Handel Orchestra unter Laurence Cummings begleitet wird. Sie wechselt in ihrem Programm zwischen Sopran- und Mezzo-Arien. Gleich der Beginn, Poppeas „Bel piacere“ aus Agrippina, ist ein Stück für einen hohen Koloratursopran. Die Interpretin versucht, ihrer Stimme die nötige Leichtigkeit für diesen Titel zu verleihen, klingt aber insgesamt eher nach Agrippina. Es folgt Piaceres „Un pensiero nemico di pace“ aus Il Trionfo del Tempo e del Disinganno – dies ist gleichfalls häufiger vom Sopran zu hören. Bei der Solistin gefallen der forsche Zugriff und die mühelos bewältigten Koloraturläufe. Gewöhnungsbedürftig ist dagegen der bohrende, zuweilen auch heulende Klang in langsamen Passagen, wie hier beim Mittelteil der Da capo-Arie („Nacque un altro leggiadro pensiero“). Auch die Titelheldin in der Alcina ist eine Sopranpartie. Ihr ausgedehntes Solo „Ah! mio cor!“ ist ein Prüfstein für jede Interpretin. Héloïse Mas wird vom einfühlsamen Spiel des Orchesters getragen und überzeugt vor allem im Ausdruck durch den flehentlichen Klang ihrer Stimme. Auch hier geht die bohrende Intensität ihres Vortrages bis an die Schmerzgrenze.
Mit den anderen Partien bewegt sich die Sängerin in ihrem eigentlichen Fach, beginnend mit Dejaniras „Cease ruler of the day to rise“ aus Hercules, das mit ernster Würde ausgebreitet wird. Eine Seltenheit ist die Festa teatrale (komponiert 1734) Parnasso in festa, aus der Mas Orfeos „Ho perso il caro ben“ singt. Es schildert in Form einer Siciliana seinen Schmerz beim nochmaligen Verlust der geliebten Euridice. Auch Dardanos „Pena tiranna“ aus Amadigi di Gaula ist erfüllt von Liebespein, wie auch Ariodantes große Szene „Scherza infida“. Beide Titel sind in der Mittellage notiert, was der Stimme sehr entgegen kommt – sie klingt hier ausgeglichen und angenehm. Da auch das Orchester die Nummern sehr atmosphärisch begleitet, zählen sie zu den gelungensten der Anthologie.
Ein enormes Gefühlsspektrum wird in der Kantate La Lucrezia („O Numi eterni“) aufgefächert, welche die Qualen der vergewaltigten Lucrezia schildert, die die Gottheit anruft, sie zu rächen, und sterben will, um ihre Sünde zu büßen. In nicht weniger als vier Rezitativen und fünf Arien kann die Interpretin das Schicksal der Figur plastisch umreißen, was ihr vor allem mit der expressiven Gestaltung der Rezitative gelingt. Der schmerzend greinende Ton in manchen Arien (wie „Il suol che preme“ und „Alla salma infedel“) ist dagegen erneut eine Prüfung. Das Programm endet offiziell (und laut Trackliste) mit Medeas fulminanter Arie „Morirò ma vendicata“ aus Teseo, die von Rachegelüsten erfüllt ist. Von harschen Akkorden des Orchesters eingeleitet, folgen gleich danach Medeas erregte Koloraturpassagen und dem Wahnsinn nahe Ausbrüche. Héloïse Mas setzt damit einen beachtlichen Schlusspunkt in Sachen Händel, überrascht aber danach mit einem nicht benannten Bonus, den man als Saphos „O ma lyre immortelle“ aus Gounods gleichnamiger Oper erkennt und der hier in strenger Wiedergabe erklingt. Bernd Hoppe