Diesen Faust braucht es eigentlich nicht. David McVicars viel gerühmte Covent Garden-Inszenierung von 2004 wurde bereits von EMI auf DVD veröffentlicht. Allenfalls wegen Erwin Schrott, der in der fünften Wiederaufnahme dieser Inszenierung, die das Wall Street Journal auf die schlichte Formel gebracht hatte, „This is opera at its grandest and best“, 2019 in das Abendkleid des Méphistophélès schlüpft. Schrott fühlt sich in dieser Partie und auf der Bühne so spürbar wohl wie in seinem Badezimmer, beguckt sich in den Schwertern, die ihm Valentin im Kreuzzeichen entgegenhält, eitel wie in einem Spiegel, stolziert frech und pompös, kokett und ironisch durch den langen Abend und trägt Brigitte Reiffenstuels Kostüme mit sichtlicher Lust, das glänzende Torero-Kostüm ebenso wie das dunkle Abendkleid samt Tiara in der Walpurgisnacht, wo er auf der Bühne des Palais Garnier die Ballerinen und Figuren berühmter Kurtisanen und Verführerinnen dirigiert. Mit seinem weichen, charaktervoll gegerbten Bass streift er sich die Partie wie einen stramm sitzenden Handschuh über.
Der Mitschnitt stammt offenbar nicht von der Premiere dieser Reprisen-Serie. Die kurzfristig als Marguerite eingesprungene Mandy Fredrich hatte gegenüber der angesetzten Irina Lungu (die ihrerseits Damrau ersetzen sollte) das Nachsehen. Auf der Bluray (Opus Arte OABD7285D, mit einem englischen Text, der die Erfolgsgeschichte des Faust bis in die lange Reihe der Tintin-Romane des Hergé resümiert) gibt die russische Sopranistin ein Gretchen, das sich von den Juwelen nicht zu vokalem Glanz verleiten lässt und erst im Finale an Intensität gewinnt. An ihrer Seite Michael Fabiano als Titelheld: zitternd gibt er den alten Gelehrten, den es nach Jugend verlangt, intensiv spielt er den Liebhaber, ohne als pummeliges Theaterteufelchen oder im Frack aus dem Schatten des Méphistophélès treten zu können. Stimmlich liegt ihm die Partie; das Französisch ist gelegentlich nur passabel, die Übergangslage und die Höhe meistert er ziemlich gut („Salut, demeure“), allerdings wirkt sein Tenor auf die Dauer auch einfarbig und ausdruckslos. Schade, dass Stephane Degout, der als Valentin eine Lektion in französischen Schöngesang liefert, nicht mehr zu tun hat. Marta Fontanals-Simmons sieht aus wie die junge Ann Murray, und Carole Wilson ist eine wuselige Marthe. Im älteren Mitschnitt hatten Alagna, Gheorghiu, Keenlyside und Terfel gesungen.
Der Schotte McVicar, Jahrgang 1966, gehört nicht mehr zur Genration der zornigen jungen Männer an, die einst die britischen und bald auch europäischen Opernbühnen aufgewühlt hatten. Aus dem vorgeblich jungen Wilden ist ganz schnell ein routinierter Dekorateur geworfen, der an Covent Garden, nach Rigoletto und Zauberflöte, 2001 bzw. 2003, mit Faust die große Showbühne betrat. Charles Edwards hat ihm dazu die Bühne mit realistischen Häuserschluchten, dunklen Hinterhöfen und Durchgängen, gotischen Säulen, Orgelkanzel und Kruzifix zugebaut, an der Victor Hugo seine Freude gehabt hätte, alles vollgestopft bis zu Theaterlogen, von wo aus die Herren des Jockey Clubs auf die Tänzerinnen stieren. Im gruselig dunklen Paris arrangiert McVicar ein Spiel der Gaukler und Verführer, lässt bei der Kirmes im Cabaret d’ enfer die Can-Can-Grisetten und bei der Walpurgisnach im Palais Garnier die Giselles tanzen und gibt der Spannung zwischen Kirche und Theaterlust am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges theatralischen Zündstoff. Dan Ettinger, der zuerst durch seinen verwegen hochgegelten Blondschopfs auffällt, treibt die Show mit dem Gespür des erfahrenen Theaterpraktikers voran und bietet mit Chorus and Orchestra of the Royal Opera House den Solisten ein sehr verlässliches Polster. Rolf Fath