Händels 1725 in London uraufgeführte Rodelinda, regina de’ Longobardi ist ein Standardwerk im Barockrepertoire und entsprechend auf dem Musikmarkt in mehreren maßstäblichen Einspielungen vorrätig. Jede Neuaufnahme muss sich dem Vergleich mit diesen stellen. Die Firma LINN hat es gewagt, das Werk im September des vergangenen Jahres in London mit einer rein britischen Besetzung neu einzuspielen und konnte sich dabei der Mitwirkung prominenter Musiker versichern (CKD 658, 3 CDs/ Note 1). Da ist zuerst das renommierte Barock-Ensemble The English Concert zu nennen, das seit 2007 von Harry Bicket geleitet wird. Nach vielen internatonalen Tourneen mit Händel-Opern steht er nun auch am Pult bei dieser Produktion und sorgt für ein agiles und elegantes Spiel mit vielfältigen Kontrasten und Akzenten, die schon in der Ouverture und dem nachfolgenden Menuet zu vernehmen sind.
Auch die Sängerbesetzung weist illustre Namen auf, allen voran Lucy Crowe in der Titelrolle. Die Partie ist eine von Händels schönsten und reich ausgestattet mit wunderbarer Musik. Die Sopranistin besitzt eine helle, klare Stimme, die vielleicht etwas leichtgewichtig ist für die Partie, aber ihr Vortrag ist stilistisch und technisch ohne Tadel, dazu von bezwingendem Ausdruck. Schon mit ihrem schmerzlichen Auftritt, „Ho perduto il caro sposo“, macht sie auf sich aufmerksam. Danach folgt mit „L’empio rigor del fato“ eine bewegte Nummer, in der sie ihre Virtuosität ausstellen kann. „Ombre, piante“ ist dann wieder ein Solo von tiefer Trauer, welches Crowe mit großer Delikatesse ausbreitet und mit feinen Trillern schmückt, „Morrai“ mit eingelegten Extremtönen das entschlossene Zeugnis ihrer Standhaftigkeit. Auch „Spietati“ im 2. Akt bezieht den Großteil seiner Wirkung durch ein Feuerwerk an exponierten Noten. Erfüllt von Zärtlichkeit und Hingabe ist ihr „Ritorna, o caro“, voller Trauer und Hoffnungslosigkeit „Se ‚l mio duo“. Als Titelheldin steht ihr auch das letzte Solo zu – bei diesem „Mio caro, caro bene“ zieht sie mit brillanten staccati und leuchtenden Spitzentönen noch einmal alle Register.
Als Bertarido ist der seit geraumer Zeit erfolgreiche Countertenor Lestyn Davies zu hören. Der berühmte Auftritt, „Dove sei“, erklingt schwebend mirakulös und ist erfüllt von tiefer Wehmut ob des vermeintlichen Verlustes der geliebten Gattin. Den 1. Akt beendet er mit „Confusa si miri“ in großer emotionaler Verwirrung wegen ihrer angeblichen Untreue. Als sich der Verdacht nicht bestätigt, betört er mit dem wiegenden „Con rauco mormorio“, dem lieblichen „Scacciata dal suo nido“ und am Ende des 2, Aktes in dem wunderbar innigen Duett mit Rodelinda „Io t’abbraccio“. Im 3. Akt sind ihm mit „Se fiera belva“ und „Vivi, tiranno“ die Bravournummern des Werkes vorbehalten, in denen er mit stupenden Koloraturläufen und auftrumpfendem Ausdruck großen Effekt macht.
Ein zweiter Vertreter dieses Stimmfaches und international nicht weniger erfolgreich, Tim Mead, gibt die kleinere Partie des Unulfo. Mit „Sono i colpi“ hat er einen attraktiven Auftritt, den er mit seiner weichen, schmeichelnden Stimme und der kompetenten Bewältigung des Zierwerks glänzend ausfüllt. Zu Beginn des 3. Aktes hat er mit „Un zeffro spirò“ noch eine der gefälligsten Nummern der Oper, die er gebührend auskostet.
Überzeugend gibt der Tenor Joshua Ellicott den Grimoaldo, der Rodelinda begehrt und sich mit der energischen Arie„Io già t’amai“ einführt. Der Interpret gefällt gleichermaßen mit dem zwielichtig schillernden Ausdruck wie der achtbaren Bewältigung der Koloraturen. Stürmisch und mit martialischer Verve ertönt die Arie „Tuo drudo è mio rivale“, ähnlich erregt „Tra sospetti“ im 3. Akt, wo die Koloraturen etwas bemüht klingen. Aber dann sorgt er mit dem furios hingeworfenen Rezitativ „Fatto inferno“ und der sensibel geformten Arie „Pastorello“ noch für einen vorteilhaften finalen Eindruck.
Die Besetzung wird komplettiert von der Altistin Jess Dandy als Eduige mit schönem pastosem Ton und flexiblem Vortrag sowie dem Bassisten Brandon Cedel als Garibaldo mit sonorem Wohllaut, bei „Tirannia gli diede il rego“ im 2. Akt auch mit forschem, resolutem Auftritt.
Die neue Rodelinda wird sich behaupten und ist ein gutes Vorzeichen für den im nächsten Jahr angekündigten Tamerlano. Bernd Hoppe