Es hatte ein paar Jahre gedauert, bis jenes Werk, das die Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal begründete, auf die Bühne des Festspielhauses gelangte. Beide, Strauss und Hofmannsthal, gehörten neben Max Reinhardt zu den Gründungsvätern der Salzburger Festspiele. Hinzu kamen noch Franz Schalk, mit dem sich Strauss 1919-24 die Direktion der Wiener Staatsoper teilte, und Alfred Roller. Am 22. August 1920 trat dann Alexander Moissi erstmals als Jedermann vor die weiße Fassade des Salzburger Domes, von wo die Nachdichtung des Jedermann von Hofmannsthal seither nicht mehr wegzudenken ist. Von Hofmannsthal stammte auch ein Entwurf für ein Salzburger Programm, „Oper und Schauspiel, und von beiden das Höchste…Salzburg will dem klassischen Besitz der Welt dienen. Der Glaube an Europa ist das Fundament unseres geistigen Daseins“. Bescheiden fing die Oper im Jahr darauf mit Bastien und Bastienne an, 1922 teilten sich Strauss und Schalk die Aufführungen der Da-Ponte-Opern, 1926 erlebte mit der Ariadne auf Naxos erstmals ein Werk von Strauss seine Festspiel-Premiere, 1934 wurde dann erstmals Elektra aufs Programm gesetzt; Clemens Krauss dirigierte, Rose Pauly, Viorica Ursuleac und Gertrud Rünger sangen. 1937 wurde die Inszenierung Lothar Wallersteins abermals gezeigt, diesmal unter Hans Knappertsbusch mit den Damen Pauly, Hilde Konetzni und Rosette Anday. Zwanzig Jahre später setzte mit der Mitropoulos-, 1964 mit der Karajan-Aufführung die neuere, auf CD dokumentierte Elektra–Rezeption der Festspiele ein.
Die im Jahrjahr gefeierte, jetzt auch auf 3Sat ausgestrahlte und in der Mediathek verfügbare Geburtstags-Elektra (DVD Unitel 804308) schließt sich würdig an und wird keineswegs als Corona-Experiment und erste große Oper nach dem Lockdown vor einem nach Schachbrett-Muster verteilten Publikum in Erinnerung bleiben. Bevor Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker aber in die Orchesterfluten eintauchen können und Schauerliches, Grelles und Wüstes lustvoll spätromantisch aufwühlen und dann wieder hochvirtuos kammermusikalisch abdämpfen, steht ein Monolog der Klytämnestra, in dem sie den Mord an Agamemnon bekennt. Auf der breiten Bühne der Felsenreitschule hat Malgorzata Szczęśniak eine ihrer vielfach gebrochenen Bühnenräume verteilt, die sie in schöner Regelmäßigkeit für Krzystof Warlikowski baut. In der oberen Hälfte bleibt Platz für Kamil Polaks Video- und Filmsequenzen, die den mittigen Swimmingpool-Bereich flankierenden Nebenräume geben Warlikowski hinreichend Gelegenheit, den von den plantschenden Kindern bis zu den durch das Wasser watenden Greisen alle Generationen einschließenden Fluch der Rache auszumalen und in einer kühlen Lobby- oder Sanatoriumsatmosphäre Gegenwärtiges und Vergangenes zu vermischen. Ein tiefenpsychologisch aufpoliertes, mit den von Warlikowski geliebten Verweisen und Assoziationen arbeitendes Kammerspiel. Sehr gekonnt, aber auch ein bisschen vorhersehbar routiniert. Auf dem Bildschirm lässt sich die Weite der Bühne vermutlich auch nur unzureichend erahnen. Warlikowski konzentriert sich auf die Hauptfiguren: voran die beiden litauischen Sängerinnen Aušrine Stundyte und Asmik Grigorian als Schwesterpaar Elektra und Chrysothemis. Letztere wird von Grigorian als an seinen Zigaretten nestelndes Girlie, das sich nicht von der Schwester vereinnahmen lässt, aber sich von dem Fluch befreit und als Mittäterin sein Leben in die Hand nimmt, virtuos aufmüpfig und selbstbewusst gespielt und leidenschaftlich, fast kämpferisch und mit schlank durchschlagkräftigem Sopran gesungen. Sie ist die stärkere der beiden. Schwester Elektra ist eine aus ihrem Jungmädchenkleid herausgewachsene reife Frau mit einem verständlichen Hass auf die Mutter, die sich, resignierend, letztlich mit Tabletten umbringt. Stundytes dunkler, raugeschmeidger Sopran ist höhenstark und gut konditioniert, stellt sich den Orchestermassen würdevoll entgegen; Tanja Ariane Baumgartner dominiert als nervlich zerrüttetes Muttertier mit Haltung. Baumgartner, die auch den Prolog mit Intensität wuchtet, singt mit schöner farbenreicher Tiefe, guter Textdeutlichkeit, die ansonsten in dieser Aufführung ein bisschen auf der Strecke bleibt, und böse wuchernden Vertraulichkeiten. Orest, im Bubenpullover, von Derek Welton ein wenig zögerlich gesungen, schreckt vor dem Mord zurück. Am Ende ist er ein Wrack. Interessant in Warlikowskis Deutung auch die Figur des smarten Ägisth (stimmlich etwas leichtgewichtig: Michael Laurenz). Rolf Fath