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Ein Wort vorweg: Als „erbitterter“ Fan des Palazetto Bru Zane und seiner vielen bemerkenswerten Initiativen und Veröffentlichungen – die wir bei operalounge.de vielfach gepriesen haben – mag es erlaubt sein, angesichts der glegentlich diskutablen Veröffentlichungspolitik des Palazzetto zu maulen. So wie nun bei der neuen Princesse jaune von Camille Saint-Saens, dessen 100. Todestag in diesem Jahr begangen wird und der bereits reichlich beim Palazzetto mit der zähen Proserpine und manchen anderen Aktivitäten geehrt wurde (Gottseidank nicht mit einem weiteren Samson). So sehr ich das Engagement des künstlerischen Palazzetto-Direktors Alexandre Dratwicki schätze, so verwirrend ist es doch, angesichts vieler anderer fehlender wichtiger Titel anderer Komponisten der Epoche nach unnötigen Doubletten diesmal nun sogar eine Triplette einer gut verfügbaren Oper zu bekommen, die bereits bei Chandos und in einer verdienstvollen alten Aufnahme des französischen Rundfunks vorliegt. Wenn man dann noch liest, dass auch eine neue Vestale Spontinis (auch nicht eben selten) auf uns zukommt und man gerade den Verdruss über eine weniger als mittelmäßig gesungene Perichole vergessen hat (mehr als reichlich verfügbar), dann ist nur die Aussicht auf eine neue Einspielung der Abencerages Cherubinis ein lustvolles Trostpflaster. Auch Saint-Saens´ Phryné soll folgen (die es ebenfalls bereits gibt). Das kürzliche Gespräch von Freund Kevin Clarke mit dem Firmenchef anlässlich des Operettensommers in Paris 2021 vermittelte zudem keine wirklichen Einsichten in die Veröffentlichungspolitik des Hauses.
Warum nun also ausgerechnet La Princesse jaune? Man liest, dass eigentlich La Carmelite von Saint-Saens geplant war, die – aus Corona-Gründen – flachfiel, was schade ist, denn diese Oper kennt ja wirklich niemand. Andererseits ist la Princesse jaune (aus dem Hut gezaubert?) nicht gerade unbekannt, denn zumindest die Ouvertüre – gekoppelt mit der sehr orientalischen Suite algérienne – wurde in der Vergangenheit oft im Konzert gespielt und von den Großen wie Cluytens auf Platten gebannt. Und ein nur oberflächlicher Blick zu google zeigt eine ganze Reihe an Aufführungen der Oper (1957 ORTF/MRF-LP, 2004 Paris konzertant, die Neuköllner Oper Berlin 2005 in hochverdienstvoller deutscher Erstaufführung, Siena 2010, Neuilly 2011 konzertant, Rennes 2012, Buxton 2013, Melbourne in politischer Korrektheit als The japanese Princess 2017, Leeds 2018, Buenos Aires 2018, Lugano und nachfolgend Chandos 1996/2000; Budapest 2021, Tour/Metz/Lille/Tourcoing 2021/22). Das sind ja nicht wenige. Und die Chandos-Einspielung in bestem Stereo (auch bei youtube hörbar und mit der Suite algérienne versehen) war auch nicht schlechter besetzt als nun die neue aus Toulouse vom Februar 2021 mit der Palazzetto-Hausbesetzung Judith van Wanroij, Mathias Vidal und Anais Constans; das Ganze unter Leo Husain am Pult des Orchestre National du Capitol de Toulouse in gewohnt zweisprachiger Englisch-Französisch-Ausgabe als CD-Buch mit den gewohnt gehaltvollen Artikeln zu Werk und Rezeption. Angkoppelt sind – nun wirklich selten – Saint-Saens „Mélodies persanes“ von 1870, gesungen von Philippe Estéphe, Jérôme Boutillier, Eléonore Pancrazti, Artavazd Sargsyan, Anais Constans und Axelle Fanyo), diese wirklich lohnend.
Also genug gemault, würdigen wir die Neuerscheinung (en) und warten wir auf die Abencerages Cherubinis im nächsten Jahr, die in dem würdigen RAI-Mitschnitt mit der bezaubernden Margherita Rinaldi und dem tapferen Jean Dupuy immer noch eine meiner Lieblingsaufnahmen sind. Im Folgenden übernehmen wir mal wieder mit Dank den Artikel zum Werk von Alexandre Dratwicki, dem künstlerischen Direktor des Palazzetto Bru Zane, nach einer kurzen Einführung von Hubert Dupuy. G. H.
Als großer Interpret und Komponist, der als einer der „Symphonisten“ galt, musste Saint-Saëns viele Hürden überwinden, um ins Opernhaus zu gelangen, wo er sich beweisen wollte. Klassische oder historische Sujets boten ihm einen passenden Rahmen, von dem man annahm, dass er dem Publikum bereits vertraut war. Dort konnte er sich die ganze Komplexität der menschlichen Natur zunutze machen, Menschenmassen begeistern und hochdramatische Situationen inszenieren. Aber er sah sich mit Kritik konfrontiert, die sich gegen die gewählten Themen seiner Libretti und den Klassizismus seines Stils richtete.
Vokalwerke machen die Hälfte seines gewaltigen Schaffens aus: Lieder, Chöre, Kantaten, Oden, Hymnen oder Oratorien umgeben 13 Opernwerke: La Princesse jaune (1872), Samson et Dalila (1877), Le Timbre d’argent (1877), Étienne Marcel (1879), Henry VIII (1883), Proserpine (1887), Ascanio (1890), Phryné (1893), Frédégonde (1895; unvollendet hinterlassen von Guiraud), Les Barbares (1901), Hélène (1904) und L’Ancêtre (1906), Déjanire (2. Fassung, 1911), sowie Déjanire (1. Fassung, 1898) und Parysatis (1902), komponiert für eine Freilichtaufführung in Béziers. Saint-Saëns hatte auch entschiedene Theorien über die Oper und wollte diese in die Praxis umsetzen. Er war oft mit den Opernhäusern in Konflikt geraten und seine Schriften spiegeln dies wider: „Und es gibt Leute, die mich stetig drängen, Opern zu schreiben. Ich habe, um Himmels willen, schon zu viele gemacht!!! […] Und wenn diese nicht aufgeführt werden, ist das schlimm; wenn sie aber aufgeführt werden, ist es noch schlimmer! Das Schlimmste aber ist es, mit Theaterdirektoren zu tun zu haben.“
Saint-Saens komponierte diese Oper 1871. Begierig darauf, seine erstes Drame lyrique, Le Timbre d’argent, an der Opéra-Comique zu sehen, hatte Saint-Saëns die Gelegenheit zu einem Einakter vom Theaterdirektor Camille du Locle (1832-1903) erhalten – nach dem [finanziell für Frankreich verheerenden Deutsch-Französischen] Krieg konnten kleine Formen kostengünstig zur Wiederbelebung des Pariser Kulturlebens beitragen. Du Locle brachte Saint-Saëns in Kontakt mit Louis Gallet, und aus dieser ersten Zusammenarbeit – sie wiederholten diese Erfahrung mehrmals – entstand La Princesse jaune. Diese am 12. Juni 1872 uraufgeführte opéra comique mit dezent japanischem Klang besteht aus einer Ouvertüre, gefolgt von sechs mit Dialogen durchsetzten Nummern. Die Handlung spielt in Holland. Der junge Kornélis (Tenor) projiziert all seine Sehnsucht nach Liebe und Exotik auf das Porträt einer Japanerin und ignoriert dabei die wahre Liebe, welche Léna, eine junge Niederländerin, für ihn empfindet. Mit jeweils zwei Soloarien vereinen sich die Hauptfiguren in den letzten beiden Nummern zu Duettpassagen, die Saint-Saëns zwanzig Jahre später als „eines der besten Dinge, die ich je im Theater gemacht habe“ bezeichnete. Einige Jahre zuvor gab er jedoch zu, dass „dieses unschuldige kleine Werk mit der heftigsten Feindseligkeit aufgenommen wurde“. Wenige Tage vor der Uraufführung wurde auch Bizets Djamileh uraufgeführt.
La Princesse jaune (Die gelbe Prinzessin), deren Uraufführung am 12. Juni 1872 an der Opéra Comique stattfand, ist eine Oper ganz unter dem für das 19. Jahrhundert typischen orientalischen Einfluss. Diese künstlerische Strömung, die diese Zeit dominierte, zeugt vom Interesse für orientalische Kulturen und eine Suche nach Exotismus, der die ganze Gesellschaft verändert. Die allgemeinen Ausstellungen verstärken diese Vorliebe für das koloniale Leben, während sich die Komponisten tatsächlich schon seit dem 16. Jahrhundert davon inspirieren ließen.
Camille Saint-Saëns hat 13 Opern geschrieben, La Princesse jaune ist seine dritte. Als der Aufstieg der Opéra Comique 1872 schon als vollendet galt, gab Camille Du Locle, der gerade der Leiter der Opéra Comique wurde, Camille Saint-Saëns, einen Auftrag für eine Oper, zusammen mit zwei anderen Werken, jeweils in einem Akt, die zusammen einen Abend konstituieren sollten. Do Locle stellte Camille Saint-Saëns Louis Gallet vor. Die beiden Männer, die denselben künstlerischen Geschmack haben, beschlossen, ein japanisches Werk zu schaffen, das den kulturellen Inspirationen der Zeit entsprach. Aber De Locle verlangte von den beiden Autoren, daraus ein halb holländisches, halb japanisches Werk zu machen.
Fünf Vorstellung fanden so statt und wurden von der Kritik gemischt aufgenommen. Dennoch prägt La Princesse jaune die Geschichte der Oper aus zwei Gründen. Einerseits war das Schwanken zwischen Realität und Traum so noch nie zuvor in eine Partitur eingebracht worden, und andererseits ist es das erste Mal, dass eine künstlerische Kreation Japan in Frankreich und Frankreich in Japan hervorruft. Das Werk ist das Symbol eines realen Fortschritts in Richtung Orientalismus, während in der Kompositionstechnik die westlichen Traditionen gewahrt blieben.
Die Musik entwickelt sich lebhaft und leicht im Laufe des Stücks, entsprechend den fantastischen Momenten der Szenen. Wie er es schon in Stücken wie „Anat Wadô“ oder „Orient und Okzident“ gemacht hat, verwendet Saint-Saëns sparsam die pentatonische Tonleiter und spielt damit auf die japanischen Inspirationen von Kornélis an.
La Princesse jaune zeigt einen für diese Epoche unerhörten melodischen Erfindungsreichtum, vor allem durch den Gebrauch von Glocken. Das einaktige Stück zählt nur ein halbes Dutzend verbundener Teile, kurze Dialoge, die dem Genre der Opéra-comique entsprechen. Das Andantino der Ouvertüre führt sacht in die japanische Romanze ein. Der hinter der Bühne platzierte Chor, dadurch für das Publikum unsichtbar, gibt dem Stück eine breitere Dimension. (H. D.)
Und nun Alexandre Dratwicki: Im Schatten des Samson. „Japan war sehr in Mode; es war das, worüber alle sprachen, ein wirklicher Wahnsinn; also kam uns die Idee, ein japanisches Stück zu schaffen“, schrieb Saint-Saëns rund vierzig Jahre nach seiner Uraufführung über die Entstehungsgeschichte von La Princesse jaune. Die Uraufführung fand am 12. Juni 1872 statt. Die Partitur beinhaltet sechs Nummern, die sich mit gesprochenen Dialogen abwechseln. Mit jeweils zwei Soloarien vereinen sich die Hauptfiguren in den letzten beiden Nummern zu Duettpassagen, die Saint-Saëns als „eines der besten Dinge, die ich je im Theater gemacht habe“ bezeichnete. Allerdings gab er zu, dass „dieses unschuldige kleine Werk mit der heftigsten Feindseligkeit aufgenommen wurde“.
Mit dieser Aufnahme von La Princesse jaune setzt Palazzetto Bru Zane seine Wiederentdeckung französischer Musiktheaterstücke in einem Akt fort. Oft aus Unwissenheit beschuldigt, nur von anekdotischem Interesse zu sein, wurde dieses Repertoire seit jeher von den Werken der Musikgeschichte ausgeschlossen und leidet heute unter den Zwängen seiner Kürze: Die Spielzeit dieser Einakter macht es notwendig, Doppelrechnungen zu erdenken, eine Gegebenheit, die Publikum und Programmgestalter oftmals abschreckt und die Arbeit der Regisseure erschwert. Letztere halten die dramatische Substanz manchmal für nicht dicht genug, um eine künstlerische Projektion der gleichen Intensität wie in einem Werk in drei oder fünf Akten zu erreichen. Doch die größten Namen zögerten nicht, in diesem Format zu schreiben, das zwischen fünfundvierzig Minuten und etwas mehr als einer Stunde variiert. Saint-Saëns, Bizet, Massenet und Gounod, davor Méhul, Boieldieu, Halévy und viele andere. Und es muss hinzugefügt werden, dass einige dieser ‚Miniatur-Werke‘ weder Anfängerversuche sind noch Notbehelfe, die komponiert wurden, während man darauf wartete, dass ein ehrgeizigerer Auftrag aufscheint. Im Gegenteil: Massenets La Navarraise und Le Potrait de Manon etwa wurden auf dem Höhepunkt der kreativen Reife des Komponisten geschrieben, versehen mit der absoluten Beherrschung seiner technischen und künstlerischen Mittel. Auch wenn La Princesse jaune die erste Oper von Saint-Saëns war, die 1872 uraufgeführt wurde, näherte er sich dem Alter von vierzig Jahren und war alles andere als ein Anfänger. Allein im Gesangsbereich hatte er bereits mehrere Opern und Kantaten von beachtlicher Qualität komponiert: Ivanhoé, Le Retour de Virginie, Les Noces de Prométhée und vor allem Le Timbre d’argent, geschrieben 1864, die aber bis 1877 zur Uraufführung warten musste.
Mehr als alle bisherigen Opernwerke von Saint-Saëns pflegt La Princesse jaune den vorherrschenden Geschmack des romantischen Frankreich für Exotik und Reisen. Dies war im Übrigen eine ästhetische Dimension, in der er sich bestens zu Hause fühlte, denn er überwinterte meist in Oran, Algier, Kairo oder Las Palmas. Fasziniert von außereuropäischen Musikstilen, gelang es Saint-Saëns, deren Idiome so vollständig zu beherrschen, so dass er sie in seine eigene harmonische und rhythmische Sprache einfügte. So erzeugt La Princess jaune, deren Klangfarben nach Asien weisen, nicht nur Ganztonskalen und modale Akkorde, um eine scheinbare Exotik zu erzeugen, die genauso gut russisch wie japanisch oder algerisch sein könnte. Ab der Ouvertüre sind die charakteristischen Motive mit Pathos und Energie aufgeladen, die weit über den Rahmen der Folklore hinausgehen. Und während die beiden Arien des Kornélis eine besonders zarte asiatische Atmosphäre bieten, verschmelzen in den Duetten mit Léna gekonnt die leidenschaftlichen Wogen moderner westlicher Musik mit den Farben und Harmonien eines karikaturfreien Japonisme.
Die Kürze dieser Oper ermöglichte es uns, die stimmliche Ergänzung einer bisher nicht gehörten Fassung der sechs Mélodies persanes von Saint-Saëns anzubieten und damit den Leitfaden der Sehnsucht nach exotischen Horizonten in eine andere Richtung zu spannen. Diese Lieder waren ursprünglich als Zyklus für Gesangsstimme und Klavier konzipiert. Der Komponist war so zufrieden mit ihnen, dass er sich entschloss, La Splendeur vide aus der Sammlung zu extrahieren, um es mit einer schimmernden Orchestertextur zu schmücken. Dasselbe tat er dann auch mit den fünf verbliebenen Liedern, arrangierte sie dabei aber zu einer groß angelegten symphonischen Ode für Solisten, Chor und Orchester mit dem Titel Nuit persane. Saint-Saëns verknüpfte die Originalnummern mit Orchestervorspielen und Übergängen und fügte einen gesprochenen Erzähler mit melodramatischen Passagen hinzu. Anlässlich des 100. Todestages des Komponisten präsentiert Palazzetto Bru Zane eine Neufassung dieser mélodies mit dem Ziel, deren Verbreitung in ihrer Orchestergestalt zu fördern. La Splendeur vide und die fünf mélodies aus Nuit persane wurden daher der Eingriffe durch den Chor entkleidet, in der Reihenfolge des ersten Zyklus mit Klavier neu arrangiert und durch ein kurzes Vor- und Zwischenspiel für Orchester ergänzt, beide aus der Nuit persane. Die Orchestrierungen sind durchweg vom Komponisten selbst. Der so umformulierte Zyklus ist nun bereit, in das Konzertrepertoire aufgenommen zu werden und mit Berlioz‘ Nuits d’été oder Duparcs bekannten Orchesterliedern zu konkurrieren, ohne den Vergleich scheuen zu müssen. Die erste Aufnahme ordnet jede mélodie einem anderen Künstler zu, aber Transpositionen werden es in Zukunft auch einem einzelnen Interpreten ermöglichen, die Mélodies persanes aufzuführen.
Dieses Projekt, das im Februar 2021 inmitten der Coronavirus-Pandemie eingespielt wurde, konnte dank des unermüdlichen Engagements des Orchestre National du Capitole de Toulouse und insbesondere seines Direktors Thierry d’Argoubet ermöglicht werden. Ihnen allen sowie dem Dirigenten Leo Hussain und den engagierten Sängerinnen und Sängern danken wir für ihre Flexibilität angesichts einer komplexen und ungewissen Situation. Alexandre Dratwicki
Dank an Alexandre Dratwicki vom Palazzetto, dessen Text wir in der Übersetzung von Daniel Hauser (danke!) aus dem wie stets zweisprachigen und informativen Artikelkompendium der neuen Ausgabe der „Princesse jaune“ beim Palazzetto Bru Zane übernommen haben. Foto oben Buxton Festival/ Robert Workman. Dank auch an Clara Fandel von der Neuklöllner Oper Berlin für die Genehmigung zur Verwendung des Fotos zur Aufführung ebendort 2005/Matthias Heyde. Dank auch an Ingrid Englitsch für die Übersetzung aus dem Französischen.
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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge in dieser Serie hier.