Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Massenet, Hahn, Debussy & Mahler

.

Songs with Orchestra überschreibtder Palazzetto  Bru Zane seine Ausgabe mit Orchesterliedern von Jules Massenet (BZ 2004). Warum eigentlich nicht „Mélodies avec Orchestre“? Egal. Bei den Recherchen zum Saint-Saens-Festival 2015, so Alexandre Dratwicki, künstlerischer Leiter von Palazzetto Bru Zane, „waren wir bald fasziniert von einer Reihe einzelner Stücke für Stimme und Orchester, von denen nach und nach offenbar wurde, dass sie eine vielfältige und reizvolle Gruppe von Orchesterliedern bilden, die in einer Linie mit den berühmten Nuits d‘ été von Berlioz stehen. Wie konnte es sein, dass dieses Liedreper-toire … so lange unveröffentlicht blieb….?“. Saint-Saens selbst hatte einer Kollegin geraten, „Wenn Sie Lust haben, das Orchester für ihre Lieder einzusetzen, scheuen Sie sich nicht, das Orchesterlied ist eine soziale Notwendigkeit; gäbe es mehr davon, würde man in den Konzerten nicht dauernd Opernarien singen, die dort oft einen jämmerlichen Eindruck erwecken.“ Die Recherchen förderten ungeahnte Mengen zu Tage – Dratwicki spricht von „wahrscheinlich mehr als tausend Titel“. Vermutlich stand die Aufführungs- praxis ihrer Verbreitung entgegen; mit Ausnahme von Berlioz Nuits d‘été und Chaussons Poème de l’amour de la mer. Nun also Massenet. Rund 300 Lieder hat er komponiert, 40 davon soll er orchestriert haben – die Aussagen im Beiheft sind hierzu widersprüchlich – , 22 finden sich auf dieser CD, allesamt Ersteinspielungen mit Ausnahme von drei Instrumentalnummern und „Le poète et le fantôme“.

In „Le poète et le fantôme“ spricht der anonyme Dichter ein Gefühl der Trauer und Wehmut aus – “Je suis l’ombre de tes amours“ – das häufig auch in weiteren Liedern wiederkehrt. Mit den weiten Linien der geborenen tragedienne gestaltet Véronique Gens diesen Klagegesang, der zu den umfangreichsten Liedern der Sammlung gehört. Auch das einzige Duett, „Les fleurs“, erzählt durch das Bild der verblühenden Blumen von Vergänglichkeit, Wehmut und Trauer, was die Sopranistin Nicole Car und der Bariton Étienne Dupuis im farbenreichen Wechselspiel einfangen. Dupuis hat auch merklich Freude an der heiter leichten „Hymne d’amour“. In stimmungsvoll gefälligen Naturbildern erzählt Massenet vom Entstehen der Liebe, so in „Pensée de printemps“ und „Aurore“, beide mit niedlich zärtlicher Beweglichkeit und Stilgefühl von Cyrille Dubois gesungen, der auch den Rausschmeißer, „La Chanson de Musette“ übernimmt, bis zu deren Verschwinden in „Pensée d’automne“ und „Crépuscule“. Schwärmerische Liebeserklärungen, „Hymne d’amour“, „Amoureuse“ und „Je t’aime“, wechseln mit Bildern einer idealisierten Pastorallandschaft und religiöser Inbrunst ab, etwa in dem von Gens wirkungsvoll ausgebreiteten „Souvenez-vous, Vierge Marie“,  Serenaden stehen neben einer kleinen Opernszene und provenzalischen Reminiszenzen, darunter der von Chantal Santon Jeffrey mit Verve vorgetragene „Chant provençal“, die auch das koloraturverzierte „Marquise“ übernimmt, und das von Jodie Devos flirrend gesungene „Pitchounette“. Die sechs sorgfältig ausgewählten Sänger sichern ebenso den besonderen Rang dieser Aufnahme wie das Orchestre de chambre de Paris unter Hervé Niquet.

.

Den umgekehrten Weg schlägt eine Veröffentlichung Debussy Hahn  von BR Klassik ein (900529). Claude Debussy hat seine Kantate Le demoiselle“ élue (Die Erwählte) nach einem Gedicht von Dante Gabriel Rossetti für zwei Solistinnen, Frauenchor und Orchester komponiert. In dieser Form wurde sie als sein erstes Werk mit Orchester 1893 uraufgeführt, wobei Debussy selbst daraus eine Fassung für Klavier und Stimme formte. Howard Arman, nach langjähriger Gasttätigkeit seit 2016 auch Künstlerischer Leiter des Chors des Bayerischen Rundfunks, stellte daraus auf der Basis des Klavierauszugs eine Fassung für zwei Klaviere her. Das rund 20minütige Stück steht im Mittelpunkt des Programms mit dem Chor, den Pianisten Gerold Huber und Max Hanft, der Sopranistin Christiane Karg sowie weiteren Gesangssolisten steht. Zeiter Höhepunkt stellten mit 23 Minuten Aufführungsdauer die zehn Études latines von Reynaldo Hahn für Sopran und Klavier mit weiteren Solo-Stimmen und Chor dar. Der 1874 in Caracas geborene Hahn wurde ab 1885 von Massenet ausgebildet und machte bereits 1890 durch seinen Liederzyklus Sept Chansons Grises (nach Texten von Paul Verlaine) auf sich aufmerksam. Durchaus reizvoll stellt das Münchner Programm das sechste dieser Chansons, „Paysage triste“, Debussys Vertonung in seinem Verlaine-Zyklus der Ariettes oubliées gegenüber – jeweils mit Christine Karg und Gerold Huber, wobei Kargs filigraner, fast zerbrechlicher und doch gut fokussierter Sopran dieser Musik gut entspricht. Unter Armans souveräner Leitung bleibt der Chor des Bayerischen Rundfunks weder Debussys expressiver Musik aus der Zeit von dessen Wagner-Bewunderung noch Hahns singdeklamierender Archaik etwas schuldig; neben Karg wirken in den Études latines in jeweils einem Lied Daniel Behle und Tareq Nazmi mit. Die Qualität des Frauenchors wird nochmals in Debussys Les angélus. Cloches chrétiennes pour les matines deutlich, das in einer A-Capella-Transkription des großen Chorleiters Clytus Gottwald erklingt.

.

Gut drei Zentimeter dick ist die Klappbox. Le Balcon, das Label des gleichnamigen 2008 gegründeten Kollektivs von Künstlern unterschiedlicher Sparten, macht zumindest mit der Verpackung auf sich aufmerksam. Darauf eine zart gelb-, orangen- und pinkfarbene Illustration von Raphaël Serres. Ich musste unwillkürlich an die dicke Philips-Classics -Box von Hänsel und Gretel samt inne liegendem Puzzle denken. Das Cover findet sich als vielfach gefaltetes Miniplakat in der Box, dazu ein umfangreiches Beiheft samt guten Beiträgen – und einer Bio des Covergestalters -, leider nur auf Englisch und Französisch, die CD in einer Papierhülle und schließlich sechs Faltblätter mit den dazugehörigen passenden Ausschnitten aus dem Großplakat und den Texten der sechs Lieder von Das Lied von der Erde. Letztere braucht man unbedingt, um Kévin Amiel zu folgen, der sich mit unruhigem Tenor und kläglicher Textdeutlichkeit durch „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ kämpft; dabei ist die Höhe nicht ungefällig, vermutlich ist das einfach das falsche Repertoire für den Tenor aus Toulouse, der bei den leichteren Partien des italienischen Fachs besser aufgehoben wäre. Der erste Eindruck verzerrt das Bild dieser sorgfältigen und musikalisch ausgefeilten Aufnahme, die im Juli 2020 bei Festival de Saint-Denis in der Kathedrale von Saint-Denis unter dem Kollektiv-Mitbegründer Maxime Pascal entstand. Mit seinem qualligen Ton gefällt mir Stéphane Degout anfangs auch nicht besonders, doch sehr schnell beeindruckt er bei ziemlich gutem Deutsch durch die feine Emission seines klangvollen Baritons, die Wärme des Ausdrucks, die Tiefe der Empfindung und gestische Sensibilität: man atmet den süßen „Duft der Blumen“ und gibt sich dem Abschiedsschmerz in der mit endlosem Atem gespannten „Schönheit dieses Abends“ hin.

Aufmerksam auf diese chinesischen Gedichte wurde Mahler durch einen Freund, Theobald Pollak, der ihm das 1907 erschiene Bändchen Die chinesische Flöte von Hans Bethge schenkte. Es versammelt freie Nachdichtungen von chinesischer Lyrik aus dem 8. Jahrhundert, vor allem von Li-Tai-Po (Li Bai), das auf deutschen Nachdichtungen der französischen Übersetzungen von Hervey de Saint-Denys und Judith Gautier basiert. Im Beiheft wird Das Lied von der Erde in eine Reihe von Werken gestellt, die nach der Pariser Weltausstellung alles Fernöstliche feierten, so in den Bildern der Maler Monet, van Gogh und der Künstlergruppe der Nabis, der Literatur von Gauthier und Pierre Loti und den Musikwerken, wie Saint-Saëns‘ Le princesse jaune, Debussys La mer und Hahns L‘ île de rěve. Der 1908 entstandene Sinfonische Liedzyklus gelangte im Herbst 1911, ein halbes Jahr nach Mahlers, Tod zur Uraufführung. Für die Konzerte des Vereins für musikalische Privataufführungen bereitete Arnold Schönberg, der bereits Strauß-Walzer sowie die Lieder eines fahrenden Gesellen für Kammerorchester eingerichtet hatte, 1920 ein Arrangement von Mahlers Lied von der Erde vor, das aufgrund der finanziellen Situation des Vereins nicht fertiggestellt wurde. Erst Anfang der achtziger Jahre stellte Rainer Riehn diese Bearbeitung fertig, deren Uraufführung im Juli 1983 stattfand. Pascal beeindruckte dabei vor allem die Verwendung des Harmoniums, dem Schönberg wesentliche Stimmen überließ. Nicht nur Sarah Kim am Harmonium, sondern alle 13 weiteren Instrumentalisten spielen farbenreich, mit großer Durchsichtigkeit, stellen Affekte und Effekte aus, ohne sie zu überzeichnen, und inszenieren mit den Solisten ein klangmalerisch intensives Wort-Tongeflecht. Rolf Fath

 

Ah, les petites rats

.

Opernballette fristen heute ein tristes Dasein. Gelegentlich tanzen sich die Polowetzer Tänze über die Bühne. Und auf den Tanz der Stunden Ponchiellis oder die Polonaise im Eugen Onegin kann keine Aufführung verzichten. Aber das ist es auch schon. Dabei sind vor allem bei Verdi die Ballette Handlungsträger, so sehr der Maestro auch unter der Obligation der Pariser Oper, La grande Boite, gemurrt haben mag. Man erinnert sich an den Tannhäuser-Skandal bei dem Divertissement im falschen Akt. Die Mädels kamen zu spät, und die Herren vom Jockey-Club randalierten. Tumult.

Das Ballett-Personal der heutigen Oper schwenkt nur mehr oder weniger stützend die Arme und füllt die Bühne als Komparsen. Und es wäre eine eigene Untersuchung wert, wie weit sich die alte Ballett-Tradition in Opern in die Werke der neueren Zeit, etwas zu Strauss oder Puccini zieht, während ein Blick auf ältere Kollegen wie Saint-Saens, Gounod, Masssenet, Meyerbeer, Goldmark, Moniuszko, Mussorsgsky, Schmidt, Thomas, Fibich und viele russische Komponisten einen unerhörten Reichtum an Opernballetten offenbart. Diese rudimentären Einlagen wie Elektras Tanz, Arabellas Ball oder der Auftrritt des Rosenkavaliers sind ja Rückwendungen zum alten Genre. Sogar Rodgers Sound of Music greift mit einem entr´act darauf zurück. Und dieser entr´act findet sich bei vielen, von Schubert, Bizet über Sibelius bis zu Mamma mia – eine tanzgeeignete Orchestereinlage.

Die Pariser Oper beim Besuch von „Robert le Diable“ mit dem Nonnenballett im 3. Akt/ Wikipedia

Eine der ärgerlichsten und häufigsten Kritik an einer heurigen Opernaufführung aus dem französischen Kanon (wie kürzlich die Vêpres siciliennes an der Deutschen Oper Berlin oder Don Carlos an der Opéra de Paris) ist das Fehlen der Ballett-Einlage. Weder die Regisseure noch die Dirigenten vertrauen dem Komponisten und den Umständen der Entstehung bzw des originalen Ortes. Sie vergessen – wie heutzutage wirklich immer – dass Oper in erster Linie ein grand divertissement, also großes Entertainment, war, zumindest bis zum Ersten Weltkrieg. Nicht nur in Paris, dem Mekka der Großen Oper im neunzehnten Jahrhundert, aber auch in anderen Städten Frankreichs wie Lyon oder Marseille, nimmt Oper das noch nicht erfundene Kino voraus, jagten sich die Stücke wie später die B-Movies einer Joan Crawford oder Victor Mature. Und die Ballette in den Opern (fast immer im 3. Akt, man erinnere sich an den Tannhäuser-Skandal) waren einfach de rigeur, unerläßlich. Wie im kürzlich bei uns vorgestellten Lancelot von Joncieres umfassten sie später fast einen ganzen (hier der Lac du Fées wieder als 3.) Akt. Dies finden wir in vielen französischen Opern wie Faust, Dimitri (Joncieres) oder Dom Sébastien (Donizetti).  (Und selbst Rimsky-Korsakoff, oft in Frankreich zu Gast, lässt seine tote Titelheldin Mlada ebenfalls den ganzen dritten Akt umhertanzen…) Auch andere Länder übernahmen, wenngleich seltener, Ballett-Einlagen in Opern, so die preußische Hof-Berlin in Berlin, das Königliche Theater in Stockholm und viele mehr.

Wagners „Tannhäuser“ 1861 an der Pariser Oper führte zum Skandal undf Misserfolg/ Zeitungsillustration BNF/ Gallica

Frankreichs Oper kam vom höfischen Ballett-Theater eines Lully oder Rameau, deren für Paris bzw Versailles geschriebene Opern entstanden aus dieser Tradition oder waren ihnen  verpflichtet. Spätere ausländische Komponisten wie Rossini oder Donizetti, natürlich auch Verdi und vorher Meyerbeer, machten aus dem Pflichtjob eine Kunst und bauten handlungstragend ihre Ballettmusiken in das Ganze ein. Meyerbeer erfand sogar eigene Bühnenkonstruktionen dafür (Les Patineurs auf Rollschuhen schlittschuh-gleich dahingleitend). Verdis Einlage im Don Carlos, La Pérègrina, ist ein Handlungsballett zudem, wenn der Königin mit der Assozation zur wunderbaren Perle gehuldigt wird, während Eboli den Zettel des Infanten  für die Königin in deren Mantel findet – ein wahrhaft idyllische Gegenstück zum grausigen Autodafé und nicht ohne Grund diesem brutalen Schauspiel gegenübergestellt.

.

Und natürlich spielte die Tänzerinnen selbst beim Opernbesuch eine immense Rolle, je weiter das 19. Jahrhundert voranschritt. Es wären die „filles„, „les petites rats“, die beineschwenkenden  „Mädels“, die „Ballettratten“, die nicht nur die Abonnés  vom Jockey-Club sehen wollten, auch der vierte und fünfte Rang hatte oft grölend seine Freude. In den langen Pausen nach dem 3. Akt der Opern tat sich in den Logen der Herrengesellschaften des ersten Ranges reges Treiben, zumal auch die verschiedenen Locations der Opéra de Paris mit ausreichenden Separées ausgestattet waren. Es ging also nicht so sehr um die Kunst – wie sehr sich auch Mess. Taglioni oder Petipa anstrengten – sondern ums Vergnügen, zumeist um´s fleischliche. Dieser Aspekt wird bei Opernberichten über die Zeit gerne unterdrückt.  An den kleinen Bühnen Offenbachs & Co., den Funambules auf den Boulevards, ging es noch drastischer zu. Ballett war oft ein Beiname für Prostitution. Sicher waren die Stars wie die Taglioni oder Fanny Elsler davon ausgenommen. Aber das weibliche (und nur das?) Corps de Ballet machte sich durchaus einen Namen mit Nebeneinnahmen.

.

Opernballette: „Dans les Scènes““, Jean Béraud 1889/ Utah University School of Dance Salt Lake City/ Wikipedia

Im 19. Jahrhundert wurde Paris von einer rasanten Industrialisierung und einem kulturellen Wandel beeinflusst. Obdachlosigkeit und Armut schossen in die Höhe, aber gleichzeitig hielt die Oberschicht von Paris an ihren vielen kulturellen Gewohnheiten fest. Darüber hinaus konzentrierte sich die Kunstwelt und ihre verschiedenen künstlerischen Formen auf die Weiblichkeit. Um Armut und Obdachlosigkeit zu entkommen, wandten sich viele junge Frauen dem Ballett zu: einer Kunstform, die für die Oberschicht geschaffen und von ihr konsumiert wurde.  Während das Pariser Opernballett jungen Tänzern Sicherheit bot, war dies nicht der Fall bei den Mädchen. Stattdessen schuf das Pariser Opernballett ein äußerst wettbewerbsorientiertes Geschäftsmodell, in dem Tänzerinnen einen schwer fassbaren Vertrag abschließen mussten – mit allen erforderlichen Mitteln.

Friedrich Hackleben: „Europäisches Sklavenleben“; Verlag von Adolph Krabbe, Stuttgart 1854; Das „Europäische Sklavenleben“ Clara Staiger versucht als Tänzerin ihre Unschuld zu bewahren. Sie opfert ihre Tugend der Familie. Dieser umfangreiche Roman  war ein riesiger Erfolg. Die vielen Auflagen und Übersetzungen zeugen noch heute davon.
„Digitale Bibliothek“ von DIRECTMEDIA

So wurden die Frauen im Foyer de la danse oft gewinnbringend eingesetzt. Das Foyer de la danse war ein großzügiger Raum in der Pariser Oper selbst, in dem wohlhabende Gönner gegen Bezahlung mit den Ballerinas in Kontakt treten konnten. Aufgrund vieler sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen hatte das Pariser Opernballett in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finanzielle Probleme. Es ist bekannt, dass der größte Teil der Einnahmen des Balletts im 19. Jahrhundert aus dem Foyer de la Danse stammte, da die Männer bereit waren, zu zahlen, um die Ballerinas kennenzulernen.

Männliche Tänzer durften diesen Raum nicht betreten, doch das Pariser Opernballett „ermutigte“ junge Tänzerinnen, den Gästen zu gefallen – es verkuppelte sie geradezu, oft mit Wissen der Familien. Das Foyer de la danse war ein Mikrokosmos der Sexualität in der Pariser Gesellschaft. Eine Tänzerin des Opernballetts war eine Demi-Mondaine – das heißt: eine ehrgeizige Kurtisane, die in der Gesellschaft unbd Hilfe meist verheirateter Galane aufsteigen wollte. Die Realität war jedoch  düster. Die Frauen wurden oft von den Gönnern, ausgebeutet und von ihren eigenen Familien ermutigt, die Gönner zu verfolgen. Denn es waren oft verarmte  junge Frauen, die vom Ballett rekrutiert wurden.

Nach strengen Tests konnten manche Ballerinas schließlich mit einem guten Vertrag in das Unternehmen aufgenommen werden. Für viele kleinen Ratten kam nie ein guter Vertrag zustande, und sie wurden gezwungen, 10-12 Stunden am Tag, 6-7 Tage die Woche unter extremen Bedingungen zu arbeiten. Sie waren zudem oft notorisch unterernährt und überarbeitet. Wie viele andere kleine Ratten erhielt Marie Van Goethem, Degas Geliebte und sein häufigstes Modell, nie einen guten Vertrag und blieb bis zu ihrem unbekannten Tod in einem Leben in Armut.

Die Herren, die Abonnés, waren eine Gruppe wohlhabender Männer, die das Pariser Opernballett für besondere Privilegien abonnierten. Sie belästigten häufig die Balletttänzerinnen in ihren Umkleidekabinen, in den Flügeln der Oper und im Foyer de la danse. Sie konnten jederzeit sexuelle Gefälligkeiten von ihnen einfordern.

Opernballette – „Les Abonnés: Les Vieux Gagas de l’Opéra“ von  Eugène Oustric, Edouard Jouve & François Tier; Edouard Jouve (Paris, sd) und  illustriert von Faria/ Wikipedia

Wenn die Abonnés ein Mädchen beanspruchten, sponserten sie diese oft beim Ballett, damit sie vielleicht einen Vertrag bekamen. Im Gegenzug sollten sie sexuelle Wünsche erwieder und manchmal die Geliebte werden. Dieses Phänomen war so verbreitet, dass es zu einem literarischen Topus wurde (vergl. Dumas´ Kameliendame). 1859 schrieb die Zeitung Le Figaro: „Es gibt keinen Pariser Roman, der nicht einen Bankier oder reichen Mann vorstellt, der ein Ballettmädchen der Oper aushält.“  Während die Männer jedoch gesellschaftlich nicht verurteilt wurden, stellte  man die Frauen oft als soziale Aufsteiger dar, die ihrer Klasse entkommen wollten – trotz der Tatsache, dass diese Frauen sehr geringe Ressourcen oder Unterstützung hatten, um Nein zu den Abonnés zu sagen.  Vor allem aber reichte die erlebte sexuelle und Arbeitsausbeutung in der Regel nicht aus, um sie aus der Armut zu befreien. Die Beziehung zwischen den Abonnés und den Petit Rats war meiste eine der der Manipulation und Ausbeutung durch sie Oper selbst.

Die Bilder von Degas mit seinen Studien aus dem Ballettsaal der Pariser Oper zeigen diese jungen Dinger.  Robert Jungwirth schreibt in seiner Rezension einer Degas-Ausstellung: „Die Abonnenten in ihren Smokings, die teils als Beschützer auftreten und sich teils wie Raubtiere gebärden. Degas ist also nicht davor zurückgeschreckt, die Tänzerinnen auf seinen Bildern als Prostituierte darzustellen, die manchmal auch von ihren eigenen Müttern dazu gemacht wurden. Er zeigt uns, dass diese Mädchen zu Opfern eines Systems wurden, das nicht allein der Anmut und der Schönheit diente. Man konnte diese Welt auf unterschiedliche Weise erleben. Dégas hat hier etwas deutlich gemacht, vielleicht hat er sogar manches aufgedeckt. Natürlich nicht so, wie man heute etwas aufdeckt. Er war ja keine NGO oder eine Partei. Aber immerhin hat er etwas öffentlich gemacht, was bis dahin noch nie gezeigt worden war. Seine Bilder zeigen keine Nymphen oder Göttinnen, sondern junge Mädchen, die hart arbeiten und sich teilweise prostituieren mussten.“ (zur Ausstellung „Degas in der Oper“ im Pariser Musée d’Orsay, im Deutschlandfunk vom 09.12.2019). Toulouse-Lautrec zeigt die noch grausamere Seite der Pariser Tänzerinnen in seinen grellen Bildern aus dem Moulin-Rouge und anderen Vergnügungsstätten, für die Paris bei unseren Urgroßvätern berühmt war … Geerd Heinsen

.

(Zum Thema Ballett und Prostitution an der Pariser Oper im 19. Jahrhundert auch der Artikel von Sebrena Williamson in „The Collector“; bei Amazon gibt es den Nachdruck von Ernest Boyes`Buch „Les Abonnés de l´Opera de Paris“ von 1886)

Ponchiellis „Promessi sposi“

.

Durch Zufall grub ich in den Tiefen von youtube nach weiterer Musik von Smareglias Zeitgenossen, dessen Vasallo di Shigeth  wir kürzlich bei operaloung.de vorgestellt hatten. Und ich stieß auf Amilcare Ponchielli und seine Promessi sposi in einer mir bislang unbekannten Video-Aufzeichnung aus Mailand 2015 unter der Leitung des Dirigenten Marco Pace. Junge Sänger („Alle nicht von hier“, würden die Italiener im Publikum gesagt haben) kämpften sich couragiert und in Teilen sogar eindrucksvoll durch den szenischen Abend am Konservatorium Mailand (Baek-Min Ah, Kim Hyuksoo,  Tian Hao,  Victor Sporyshev, Olivia Antoshkina,  Caterina Pisa, Kim Chiyong, Pasquale Conticelli; Orchestra e Coro del Conservatorio „G. Verdi“ di Milano in der Regie von Sonia Grandis und wie erwähnt unter der Leitung von Marco Pace). Zumindest zwei Beteiligte halten die Ehre der Opernnation Italien hoch, wobei die beiden Damen wirklich anerkennenswert singen.

Der Komponist Amilcare Ponchielli/Wikipedia

Dies beiseite war ich ganz aufgeregt, nun endlich diese Oper, die ich schon lange en suite hören wollte, endlich in so gutem Sound und in mehr als passabler vokaler Wiedergabe erleben zu können. Denn die einzige kommerzielle (Live-)Aufnahme bei Bongiovanni war mir durch die Teilnahme des Protegés des Dirigenten Silvano Frontalini, Natalia Margarit, so verleidet, dass ich mich nach einem ersten erschreckten Eindruck nicht mehr zu weiterem Anhören traute. Der blutende Torso, den Magda Olivero und Giuseppe Campora nebst Partnern bei GOP/Bongiovanni bei einem Konzert in San Remo 1973 in Kombination mit Petrellas Ausflug zu Manzoni vorstellen hat eher flüchtige Bedeutung, zumal die Diva wohl nicht die ängstlich-keusche Lucia mit ihren Dauerglottis zum Leben erweckt: ein Kuriosum nur und eine Pioniertat gewiss. Die Verlobten Manzonis adé also? Bis zu meinem Fund bei youtube (ein Hoch auf diese Platform, wo man Ungeahntes findet).

.

Mit dem Booklet und dem Libretto der geschmähten Bongiovanni-Ausgabe in der Hand (die sich bemerkenswerter Weise auch online in der von mir so beschwärmten Naxos Music Library neben unendlich vielen klassischen Aufnahmen anderen findet) gab ich mich  ich mich also der erwähnten Videoaufnahme aus hin, die ich zuvor in palatables Audio-only umgewandelt hatte, die Lautsprecher voll aufgedreht.

.

Italiens legendärer Dichter Alessandro Mazzoni auf einem Gemälde von Francesco Hayes, der auch das oben abgebildete Bild malte/ Wikipedia

Gewiss, I promessi sposi sind kein rauschvoller Opern-Schinken wie die Gioconda. Und das Libretto scheint noch viel alberner als das des Trovatore und der meisten Opern aus der Zeit. Das Ganze ist eher ein Versuchslabor für Kommendes, aber die finali sind eine Wucht. Zwei große Soloszenen des Tenors und des Baritons beeindrucken zudem. Und diese später so wirksame Eigenart Ponchiellis, aus dem Stand zu machtvollen Chortableaus mit sich steigernder Dynamik zu finden (Finale Akt 1 der Gioconda zum Beispiel) bemerkt man bereits hier. Mir will scheinen, dass Marco Pace in seiner „Edizione originale” im Gegensatz zu der schrappigen und außerordentlich unfreundlichen BG-Einspielung aus der Ukraine gewinnende Änderungen vorgenommen hat. In toto überwiegen der Genuss und die Freude, dieses Frühwerk eines wichtigen Komponisten der Verdi-Zeit einmal richtig kennenzulernen. Daher im Folgenden ein Opernführer zu dieser (meiner) Wieder-Entdeckung.

.

Alessandro Manzoni zählt in Italien zu den großen Schriftstellern und wurde von seinen Zeitgenossen, darunter auch Verdi (der für dessen Begräbnis ein Requiem mit Beiträgen vieler berühmter Kollegen organisierte), wie ein Halbgott verehrt Heute beruht sein Ruhm fast ausschließlich auf seinem Roman I promessi sposi, dessen Erstausgabe 1827 erschien und der die Geschichte zweier Liebenden, Renzo und Lucia, angesichts von brutalen Übergriffen des mächtigen Don Rodrigo, von verfolgter Unschuld und der Pest in der Lombardei ausbreitet. Oft haben italienische Komponisten (und nicht nur diese) diese Vorlage in Musik umgesetzt. Vor Petrella und Ponchielli, den renommiertesten, hatte sich daran bereits im Entstehungsjahr ein anonymer Autor in Form eines Singspiels versucht, dann folgte 1830 Luigi Bordes (1815 – 1866) auf ein Libretto von Giuseppe Ceccherini, der auch Donizetti (Emilia di Liverpool), Luigi Mosca, Luigi Ricci, Pietro Raimondi und andere mit Texten belieferte. Danach gab es die Version von Piero Bresciani (1806 – ?) für den Karneval in Parma, und auch diese Fassung ist textlich mit ihren Freiheiten so absurd wie die erste. Der dritte wurde dann im Januar 1834 am römischen Teatro Valle Luigi Gervasi (1804 – ?) zum Libretto von Bidero und mit so bekannten Sängern wie Fanny Tacchinardi Persiani (Donizettis Lucie in Paris) oder Antonio Poggi gegeben – aber dennoch ohne Erfolg, Man muss auch zwei Ballette anmerken: I promessi sposi ossiano le nozze frastornate von Giacomo Piglia in Modena 1833 und das von Salvatore Taglioni (* 1789 in Palermo; † 1868 in Neapel; italienischer Ballett-Tänzer und Choreograf)1836. 1840 erfolgte die letzte Ausgabe der Manzoni-Vorlage, die in mehreren Opern-Umsetzungen resultierte. In Kopenhagen (!) gab man 1849 eine «Opern- Komödie“, Die Hochzeit am Corner See, von Franz Joseph Gläser zum Text von Hans Christian Andersen – diese Version hatte wie die bisherigen auch nur den ersten Teil des Romans als Vorlage.

Ponchiellis „I promessi sposi“: Handlungsort ist der Lago di Lecco in der oberitalienischen Lombardei/anonym

Von all diesen Versuchen unbeirrt (oder vielleicht auch derer ignorant) kam nun die Reihe an den 21jährigen Musiker aus Cremona, Amilcare Ponchielli, der als sein Erstlingswerk ausgerecht dieses schwierige Material wählte, dazu noch auf ein Libretto seiner (anonym gebliebenen) Freunde mit eigenen Zutaten. Und es waren in der Folge stets eben diese, das herbe Kritik auslöste. 1856 konnte er – von regionalem Mäzenatentum getragen – das Cremoneser Teatro Concordia zur Aufführung seiner Oper I promessi sposi überreden, aber die längerfristigen Auspizien standen schlecht, denn die Oper wurde als letzte der Saison im späten August gegeben. Mit einer sehr passablen Besetzung wurde das Werk aufgeführt, hatte immerhin 15 (oder 16) Vorstellungen und verschwand dann. Zwar hatte die Stadt aus verständlichen Gründen patriotisch gejubelt, aber in der Folge blieben die Noten in der Schublade. Dennoch – mindestens vier angesehene italienische Musikzeitschriften hatten wohlwollend darüber berichtet und die solide kompositorische Grundlage der Musik angemerkt – das Libretto aber wurde in den Boden vernichtet. Und die Oper nicht mehr aufgeführt.

Ponchiellis „I promessi sposi“: Der Dirigent Marco Pace erstellte die „Edizione originale“ für seine Aufführung in Mailand 2015/Walter Beloch Artists

Natürlich war Ponchielli über diesen mangelnden Erfolg nach einem ersten, lokalen Triumpf deprimiert, gab aber nicht auf und komponierte fleißig – und erfolglos – weiter: Bertrando 1858 (als Lina umgearbeitet 1877), Roderigo Re dei Goti 1863 und anderes. Angesichts seiner finanziellen Misere musste er sich eine Arbeit suchen und nahm den Posten eines Leiters der lokalen Blas-Kapelle in Cremona an. Ein weiterer Tiefschlag war das sicher auch politisch motivierte Übergehen seiner Bewerbung für einen Lehrposten am Mailänder Konservatorium zugunsten von Frano Facio, Komponisten-Kollege und Freund Arrigo Boitos, dem Drahtzieher in musikalischen Zirkeln und nach einer kurzen Laufbahn als Bariton späterer Komponist und Librettist für Verdi. In der Zwischenzeit hatten sich wieder einige an Manzonis Roman versucht, darunter Andrea Traventi (1825 – 1881)1858 am römischen Teatro Argentina. Elf Jahre später, 1869, aber konzentrierte sich das allgemeine Interesse auf die I promessi sposi des jungen Errico Petrella, dessen Libretto von Antonio Ghislanzoni die Handlung an ihrem Originalschauplatz und nun auch Aufführungsort Lecco spielen ließ. Erstmals folgt die Opernhandlung auch dem Roman Manzonis  akribisch. Die Oper Petrellas war ein ungeheurer Erfolg, vor allem wegen des bukolischen Hintergrunds des Bauernambientes, aber auch wegen einiger zugkräftige Nummern wie Lucias Abschieds-Romanze „O mia stanzetta“ und des nostalgisches Quartetts am Ende von Akt 2. Petrellas Oper wurde zum sensationellen Erfolg, namentlich in der Lombardei, und angeblich war der alte Manzoni selber zur Premiere gekommen.

Ponchellis „I promessu sposi“: Augusto Brogi war der Pater Cristoforo der revidierten Erstaufführung/ Sammlung Koller

Das war natürlich mehr als ein Stachel im Fleische des armen Ponchielli, der so lange auf Anerkennung und auf Wiederaufführung seiner eigenen Promessi sposi gewartet hatte. Er erkannte selber, dass etwas mit dem Libretto geschehen müsste und bat den Konservatoriums-Professor für Dichtkunst, Emilio Praga, um Überarbeitung. Praga war ein berühmter Mann in Mailand und einer der Protagonisten der Scapigliatura-Bewegung, jener Vereinigung progressiver Maler, Dichter und Musiker im Bemühen um realistischere Sujets der Gegenwart. Die Neufassung des {nominal anonym bleibenden) Librettos veränderte drastisch die Darbietung und nahm sich besonders der holperigen Reime an. Praga straffte die Handlung, fügte eine neue Arie für den Pater Cristoforo hinzu (»AI tuo trono, o sommo iddio“), fügte neue Personen ein (Mutter Agnese und einen Kardinal), dämpfte die allzu brutale Geilheit des Don Rodrigo, erweiterte den Part der ohnehin überflüssigen Signora di Monza. Die nun besonders wirkungsvolle Szene des Pest-Lazaretts im vierten Akt wurde wohl neu konzipiert. Seitens der Musik gab es ebenfalls völlig neue Instrumentierungen, die Zeugnis ablegen von der Entwicklung der Musikströmung der Zeit und von Ponchieliis wachsender Meisterschaft.

Ponchiellis „I promessi sposi“: Teresa Brambilla, später Ponchiellis Frau, war die  Lucia der revidierten Fassung 1872/Wikipedia

So überarbeitet gingen die Promessi sposi zum zweiten Mal über die Bretter, diesmal am renommierten Teatro Dal Verme in Mailand, neben der Scala das führende Haus in Italien. Und die Besetzung konnte sich hören lassen: Teresina Brambilla (die Ponchielli später heiratete) als Lucia, Eufemia Bariani Dini, Marcello Junca, der alleits gelobte Tenor Pietro Fabbri als Renzo sowie Augusto Brogi als Rodrigo und andere mehr sorgten unter Raffaele Kuon für einen grandiosen Erfolg am 4. Dezember 1872.

Natürlich merkten auch die Kritiker die Idosynkrasien des Werkes an, das unter dem Einfluss eines Donlzetti und Bellini begonnen und in der Folge eines mittleren Verdi und (eben auch dies!) eines Wagners vollendet worden war. Gelobt wurden die meisterhafte Instrumentierung, das Gespür für die Situationen, der sinfonische Ansatz in manchen Momenten, die organisch fließende Deklamation und die Unverstelltheit der Artikulation im Einklang mit der Handlung.

Das Libretto wurde nach wie vor kritisiert. Mit Recht, wenn man es heute nachliest. Und manches ist stilistisch so absurd altmodisch und rückwärts gewandt (vor allem die Kadenzen und Begleitungen von Arien), dass man meint, die falsche Oper zu hören. Dennoch – wie bei Verdis Überarbeitungen hatte das Werk sehr gewonnen und zeigt in seinen besten Momenten die musikalische Phantasie und Eigenständigkeit, wie man sie wenig später in der Gioconda (1876; eher noch als in den Lituani, 1874) findet.

Ponchielli: „I promessi sposi“/Szene Mailand 2015/Konservatorium Mailand/ youtube

Erwähnen muss man da die beiden finali im zweiten und dritten Akt, die wirklich fabelhaft gestrickte Szene der Signora di Monza im zweiten im Duett mit Lucia und dem kontrapunktisch eingesetzten Chor der Bravi im Hintergrund, die ebenfalls gutgebauten Ouvertüre voller verschiedener Themen aus der Oper und natürlich die nachgeschriebene Lazarett-Szene im vierten Akt mit ihrer atmosphärischen Einleitung und dem großangelegten Ensemble vor dem erhebenden Finale,

Trotz des Erfolges lief die Oper nur für vier Vorstellungen im Dezember 1872, weil sie mit dem Ende der Opernsaison am Teatro Verme zusammenfiel. 1873 wurden die Promessi sposi wiederaufgenommen und liefen mit einer neuen Besetzung für weitere 20 Abende. Zwischen 1873; und 1897 gab es mehr als 70 Aufführungen, die späteren dann in England. Nur wenige andere ausländische Häuser spielten das Werk, darunter Bukarest und Barcelona. Die letzten gab es in Glasgow 1931 und in Sanremo, als dort zum 100. Todestag Manzonis 1973 Magda Olivero und Kollegen Auschnitte aus den Titeln von Petrella und Ponchielli vorstellten (was auf einer alten LP/CD von GOP/Bongiovanni vorliegt und überhaupt keinen Eindruck von den Werken vermittelt). 2015 nun die szenische Aufführung mit Studenten des Mailänder Konservatoriums (youtube). Wie stets muss man die Äpfel im Korb nehmen, wie sie kommen, mit Flecken und ohne. Einmal mehr können wir aber erleben, wie reich die Opernszene abseits der ausgetretenen Pfade ist. Geerd Heinsen

 

 

(Zum Vergleich: Die alte RAI-Aufnahme der Petrello-Version (1950) mit dem Debüt der entzückenden Marcella Pobbe ist von dem Opernliebhaber und Champion namentlich für istrische Komponisten, Roberto Job, technisch hervorragend aufgefrischt und nun endlich durchaus hörbar bei youtube ins Netz gestellt worden, immer noch die einzige Aufnahme dieser Manzoni-Version von Errico Petrella.  Weitere Informationen zu Ponchiellis Oper bieten Colombinis „L’Opera Italiana“ von 1900, der wie stets unersetzliche Grove und in diesem Fall der detaillierte Aufsatz von Franco Battaglia in der zweisprachigen, aber nicht deutschen, Beilage bei Bongiovanni, GB 2356/57.)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Endlich mal Händel ohne Counter

.

An Einspielungen von Händels Opera Seria Serse besteht kein Mangel auf dem Musikmarkt, doch die Neuveröffentlichung bei HDB-SONUS dürfte für alle Barockliebhaber, die eine Besetzung der Kastratenpartien mit Mezzosopranen bevorzugen, sehr willkommen sein – kommt sie doch ganz ohne Countertenöre aus. Es handelt sich um eine Live-Aufnahme aus dem Teatro Municipale Romolo Valli in Reggio Emilia vom 29. und 31. März 2019 (HDB-AB-OP-002, 2 CD). Es musiziert die renommierte Accademia Bizantina, die sich unter Ottavio Dantone zu einem der international herausragenden Barockorchester profiliert hat. Der italienische Dirigent steht auch hier am Pult und sorgt für ein farbenreiches Klangbild und eine Affekt-betonte Lesart.

In der Besetzung finden sich einige hierzulande weniger bekannte Namen, doch sind manche Interpreten dennoch auf hohem künstlerischem Niveau und der Entdeckung wert. Das betrifft besonders die Sopranistin Arianna Venditelli in der Titelpartie – eine überraschende Wahl für den persischen König, hat die Sängerin doch eher Partien wie die Figaro-Susanna, die Semele und die Rinaldo-Armida im Repertoire. Dem Helden fällt gleich zu Beginn die berühmteste Nummer des Werkes zu – das Largo genannte “Ombra mai fu“. Die Italienerin singt es sehr kultiviert, mit schlanker Stimme und feinen Verzierungen. Auch der Arie im 2. Akt, „Più che penso alle fiamme del dolore“, gibt sie prägnante Kontur. Eine Glanznummer der Partie ist die Arie„Se bramate d’amar“, bei welcher der beherzte Zugriff und die stilvolle Variation im Da capo imponieren. Und im 3. Akt gibt es die spektakuläre Furienarie („Crude furie“), in welcher Serse noch einmal dramatische Attacke und Bravour zeigen kann. Vom Orchester glänzend unterstützt und  befeuert, kann Venditelli hier brillieren und den virtuosen Schlusspunkt ihrer Interpretation setzen.

Serses Bruder Arsamene ist neben dem Titelhelden die Partie, welche oft mit einem Counter besetzt wird. Hier singt sie die Mezzosopranistin Marina De Liso mit recht anonymer, auch larmoyanter Stimme. In der schmerzlich getragenen Arie „Quella che tutta fè“ und der energisch auftrumpfenden „Sí, la voglio“ im 2. Akt hinterlässt sie den stärksten Eindruck. Ein prominenter Name in der Besetzungsliste ist Delphine Galou als Prinzessin Amastre, die in ihrer Auftrittsarie („Io le dirò“) mit energischem Impetus gefällt. Auch die Arie zu Beginn des 2. Aktes, „Se cangio spoglia“, empfängt ihre Wirkung aus der Vehemenz des Vortrags. Das schwungvolle Solo „Saprà delle mie offese“ beweist ihre Virtuosität in der Ausformung der anspruchsvollen Koloraturgirlanden. Der italienische Bass Luigi De Donato ist ebenfalls oft in den Besetzungen barocker Opern zu finden. Hier wirkt er mit Gewinn als Ariodate mit und überzeugt sogleich in seinem Auftritt, „Soggetti al mio dolore“, mit resonantem Wohllaut. Auch seine Arie im 3. Akt, „Del Ciel d’amore“, gibt er mit Aplomb.

Seine Töchter Romilda und Atalanta, die Sopranpartien des Werkes, nehmen die Italienerinnen Monica Piccinini und Francesca Aspromonte wahr. Erstere lässt in ihrer lebhaften Arie „Va godendo vezzoso e bello“ eine in der Höhe bohrende Stimme hören, der es im Timbre an Qualität fehlt. Dieser Umstand beeinträchtigt auch die lieblich wiegende Arie „Ne men con l’ombre“. Keifend klingt „Se l’idol mio rapir“ am Ende des 1. Aktes, wo man einen dramatischen Duktus erwarten würde. Nicht besser ist es um „È gelosia“ im 2. Akt bestellt. Versöhnlich gerät „Caro voi siete all’alma“, das letzte Solo des Werkes, in welchem die Sopranistin mit sanften Tönen aufwartet. Gute Figur macht Aspromonte in ihrer getragenen Arie „Sì, mio ben“. Den 1. Akt beendet sie kapriziös mit der reizvoll getupften Arie „Un cenno leggiadretto“.  Der junge Bariton Biagio Pizzuti komplettiert die Besetzung als Arsamenes Diener Elviro. Als Buffo-Figur des Werkes macht er viel Effekt mit lautmalerisch verstellter Stimme. Bernd Hoppe

Akustischer Nachklang

.

An prominent besetzten Aufnahmen von Händels Dramma per musica Rodelinda ist kein Mangel auf dem Plattenmarkt – jede Neueinspielung muss sich der Konkurrenz stellen und dagegen behaupten. Jetzt veröffentlicht ACCENT einen Live-Mitschnitt vom 9. September 2021 von den Internationalen Händel Festspielen Göttingen (ACC 26416, 3 CDs). Am Pult des FestspielOrchester Göttingen steht mit Laurence Cummings einer der renommierten Dirigenten der Alte Musik-Szene, der das Festival in Göttingen bis 2021 leitete und danach zum Musikdirektor der Academy of Ancient Music berufen wurde. In der einleitenden Ouverture setzt er energische Akzente und nimmt den Mittelteil in straffem Tempo. Den Sängern ist er ein zuverlässiger Begleiter und wartet auch immer wieder mit eigenen Nuancen auf.

Die im Barock-Repertoire erfahrene Besetzung wird angeführt von Anna Dennis in der Titelrolle. Die Sopranistin eröffnet das Werk mit ihrer klagenden Arie „Ho perduto il caro sposo“ und hat gleich danach ein zweites Solo, das erregte „L’empio rigor del fato“. Zu hören ist eine obertonreiche Stimme mit leuchtender Höhe und starker Empfindung im Vortrag. Berührend ist ihr an den vermeintlich toten Gatten gerichtetes „Ombre, piante“ mit innigem Klang und feinen Trillern. Bei den willensstark-mutigen Nummern besitzt die Stimme weniger Qualitäten, so bei „Spietati“ zu Beginn des 2. Aktes mit greller, heulender Höhe. Bei der flehentlichen Bitte Rodelindas, ihr Gatte möge zurückkehren („Ritorna, oh caro“), hört man dann wieder eine überzeugende Interpretation mit reichem Sopranklang, stilvoller Variation des Da capo und innigem Ausdruck. In ihren wunderbaren Duetten mit ihrem Gatten Bertarido am Ende des 2. („Io t’abbraccio“) und 3. Aktes („D’ogni crudel marti“) knüpft sie an diese Qualitäten an und der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey, der international zu den namhaftesten Händel-Interpreten gehört, vereint sich mit ihr in Harmonie und Wohllaut. Sein berühmter Auftritt, „Dove sei“, vom Orchester mit einer Sinfonia gewichtig eingeleitet, gehört zu den Standardnummern aller Countertenöre. Lowrey singt sie sehr sensibel und mit weichen schwebenden Tönen. Den 1. Akt beendet er mit dem resoluten „Confusa si miri“, wo sich eine Tendenz zur Larmoyanz bemerkbar macht. Im 2. Akt hat er mit „Con rauco mormorio“ ein melodisches Glanzstück der Komposition, das er mit zärtlicher Tongebung vorträgt, und mit „Scacciata dal suo nido“ eine Gleichnisarie von einer Schwalbe, die ihr Nest verloren hat. Letztere gelingt dem Sänger besonders überzeugend – sowohl im Klang als auch in der Ausformung der Koloraturen und Triller. Gegen Ende des letzten Aktes kommt dann sein cavallo di battaglia mit der Bravourarie „Vivi tiranno“. Hier hat er starke Konkurrenz, denn jeder renommierte Counter hat diese Nummer interpretiert. Lowrey behauptet sich achtbar, trotz eines gelegentlich heulenden Tones, und findet für das Da capo interessante Varianten.

Bertaridos Schwester Eduige ist mit der Mezzosopranistin Franziska Gottwald besetzt, die sich mit der Arie „Lo farò“ einführt und dafür eine strenge Stimme einsetzt. Das muntere „Quanto più fiera“ im 3. Akt klingt gefälliger. Eduiges Verlobter, der Herzog Grimoaldo, ist die Tenorrolle der Oper, hier mit dem Amerikaner Thomas Cooley besetzt, der seine Auftrittsarie, „Io già t’amai“, entschlossen und nachdrücklich vorträgt. Weniger gelingt ihm „Se per te giungo a godere“ mit bemüht klingenden Koloraturen. Das auftrumpfende „Tuo drudo è mio rivale“ ist dann wieder ein überzeugender Moment. Aufgewühlt-erregt ist der Duktus von „Tra sospetti“ im 3. Akt, wo auch Koloraturläufe gefordert sind. Diese gelingen dem Interpreten etwas besser. Am meisten überzeugt die sanft wiegende Arie „Pastorello d’un povero armento“ in ihrer zärtlichen Stimmgebung.

Als dessen Freund Garibaldo ist mit Julien Van Mellaerts ein weiterer Countertenor zu hören, der in seiner Karriere aber auch Baritonrollen interpretiert. Auch hier ist das zu hören. Das kantable „Di Cupido impiego i vanni“ im 1. Akt stattet er mit lyrischem Wohllaut aus. „Sì, sì, fellon“ im 2. klingt entschlossen und viril.

Die Besetzung komplettiert der Counter Owen Willetts als Grimoaldos Ratgeber Unulfo. Die Stimme ist im Klang nicht unangenehm, im Volumen allerdings recht schmal. Auch „Fra tempeste funeste“ im 2. Akt klingt zaghaft. Zu Beginn des 3. Aktes fällt ihm die zauberhafte Arie „Un zeffiro spirò“ zu, die ihm mit seiner sanften Stimme besonders liegt.

Insgesamt hinterlässt die Live-Aufnahme unterschiedliche Eindrücke und dürfte eher für jene Musikfreunde, die die Aufführung erlebt haben, eine willkommene Erinnerung sein (05. 06. 22). Bernd Hoppe

Bizarre Stratosphären

.

Als Paradiesvogel mit spektakulären Roben und Schuhen erscheint Samuel Mariño auf seiner aktuellen CD – nun bei der renommierten Decca (485 29453), nachdem die Debütplatte des Sängers noch bei Orfeo herausgekommen war. Sein extravagantes Outfit ist durchaus berechtigt, denn der Titel des Recitals lautet sopranista – eine seltene Stimmgattung von exotischem Reiz, die im Vergleich zu den weit verbreiteten Countertenören Ausnahmestatus besitzt. In Zusammenarbeit mit seiner Mentorin, der bekannten Sopranistin Barbara Bonney, hat der Solist mehrere Arien ausgewählt, die noch nie von einem männlichen Sopranisten eingespielt wurden. Dazu gehört Cherubinos populäre Arie „Voi che sapete“ aus Mozarts Le nozze di Figaro, welche die Programmfolge eröffnet. Es ist eine träumerische, geradezu zärtliche Interpretation, vom La Cetra Barockorchester Basel delikat begleitet. Der Dirigent Andrea Marcon ist eine bekannte Größe im Barockfach und beweist auch in diesem Repertoire seine Kompetenz. Mozart ist mehrfach vertreten auf der CD – nach eigenen Angaben hat dieser Komponist den Sänger sogar zu seinem Album inspiriert. Der Hirte Aminta in Il re pastore ist eine von den wenigen Kastratenrollen des Salzburger Meisters. Dessen Arien „Aer tranquillo e di sereni“ (1. Akt) und „L’amerò, sarò costante“ (2. Akt) sind in ihrem Charakter sehr verschieden – erstere beherzt und mit munteren Koloraturgirlanden, was dem Sänger Gelegenheit gibt, seine Virtuosität auszustellen und mit Noten in der Extremhöhe zu brillieren, die zweite von innigem Melos und schwärmerischem Ausdruck.

Auch die bekannte Arie des Sesto, „Deh per questo istante solo“, aus La clemenza di Tito wird hier erstmals von einem male soprano interpretiert und mit großer Innigkeit gesungen. Nicht fehlen darf der Sifare – auch dieser eine Kastratenpartie – aus dem Mitridate mit seiner Arie „Lungi date, mio bene“. In diesem Glanzstück Mozartscher Charakterisierungskunst setzt der Interpret einen Höhepunkt seiner Anthologie.

Neben Mozart hat Mariño Musik von Gluck, Cimarosa und Joseph Bologne ausgewählt – von ersterem die sattsam bekannte Arie des Orfeo „Che farò senza Euridice?“, doch hier in einer seltenen Version aus Le feste d’Apollo. Komponiert wurde sie anlässlich einer aristokratischen Hochzeit in Parma und uraufgeführt von dem Kastratensopran Giuseppe Millico. In dieser Fassung hat das Stück keine tragische Dimension, bezieht seinen Reiz eher aus der feinsinnigen Ausformung der musikalischen Linien.

Cimarosas über 80 Opern sind heutzutage nahezu vergessen, nur die Tragödie Gli Orazi e i Curiazi hat überlebt. Daraus singt Mariño die Arie des Curiazio „Resta in pace“ – ein melodisch reizvolles cantabile, welches er sanft ausbreitet. Oreste schrieb der Komponist für die Königin von Neapel. Mit der Arie des Titelhelden „Cara parte del mio core“, einer Weltpremiere, endet die Anthologie mit jener Aufsehen erregenden Bravour, die man mit diesem Sänger in Verbindung bringt. Vorher gab es noch Ausschnitte aus Bolognes L’Amant anonyme, ebenfalls in Weltersteinspielungen. Es ist eine von seinen sechs Opern, welche die Zeit überdauert haben, handelt von der schönen Witwe Léontine, die anonyme Liebesbriefe erhält. Deren Arien „Son amour“ und „Amour devient moi propice“ erklingen nach der lebhaften Ouverture. Beide sind von dramatisch-bravourösem Zuschnitt und stellen das virtuose Vermögen des Interpreten noch einmal ins beste Licht. Bernd Hoppe

Mit Star-Counter

.

Der römische Senator Cecilio in Lucio Silla ist eine von Mozarts berühmten Kastratenpartien. Bei der Uraufführung des Dramma per musica 1772 im Teatro Regio Ducale von Mailand hatte sie der gefeierte Venanzio Rauzzini gesungen. Wegen ihres extremen Stimmumfanges ist sie von besonders hohem Anspruch und wurde und wird daher fast immer nur von Mezzosopranen interpretiert. In der ERATO-Neuaufnahme gibt es den Glücksfall, dass der renommierte Countertenor Franco Fagioli in der Lage ist, die hohen Anforderungen der Rolle zu bewältigen. Die Einspielung entstand im Juni 2021 in Boulogne-Billancourt im Rahmen einer europäischen Aufführungsserie und wurde nun von ERATO auf zwei CDs veröffentlicht (0190296377341). Nach der Version unter Nikolaus Harnoncourt ist es erst die zweite in historischer Aufführungspraxis. Am Pult des Insula orchestra steht Laurence Equilbey, die das Werk des jungen Komponisten mit gebotener Frische und in farbiger Vielfalt auffächert. In der dreiteiligen Ouverture gelingt ihr die Balance zwischen graziösem Duktus und dramatischem Aplomb. Die Musiknummern begleitet sie umsichtig und stets die Belange der Sänger beachtend.

Fagioli als Cecilio ist das Ereignis der Aufnahme. Phrasierung und Technik sind makellos, sein unverwechselbares Timbre und die expressive Formung der Rezitative machen ihn zu einer starken Persönlichkeit. Stupend ist die Agilität in den horrend schwierigen Soli, beginnend mit dem Auftritt „Il tenero momento“. Hier gilt es, enorme Unterschiede zwischen baritonaler Tiefe und sopraniger Höhe zu überwinden, zudem virtuoses Zierwerk zu meistern. Die Arie zu Beginn des 2. Aktes, „Quest’improvviso tremito“, ist von Beginn an eine Herausforderung an dramatisches Gestaltungsvermögen und vehement herausgeschleuderte Töne als Zeugnisse von Raserei. „Pupille amate“ im 3. Akt als inniges Liebesbekenntnis lässt die Schönheit und Sinnlichkeit der Stimme zur Wirkung kommen. In diesen Nummern von unterschiedlichem Zuschnitt behauptet sich Fagioli eindrucksvoll als nach wie vor führender Interpret in diesem Genre.

Profilieren kann sich auch Alessandro Liberatore als Titelheld, der von Mozart etwas stiefmütterlich bedacht wurde und nur zwei Arien zu singen hat. In den meisten Einspielungen fällt die Interpretation dieser Figur etwas blass aus. Hier aber gefällt der Sänger mit seinem markanten, männlich timbrierten Tenor, der herrscherliche Autorität verströmt. Gleich in der Auftrittsarie, „Il desio di vendetta“, wird das in der Vehemenz der Stimmführung spürbar. Auch „D’ogni pietà“ im 2. Akt imponiert durch den erregten Duktus. Und er führt autoritär das pulsierende Terzett mit Giunia und Cecilo am Ende des 2. Aktes an.

Die drei Sopranpartien des Werkes dominiert Olga Pudova als Cecilios Braut Giunia, die dramatisches Potential erfordert. Die erste Arie, „Dalla sponda tenebrosa“, gerät in der Tongebung etwas larmoyant, im Schlussteil aber furios auffahrend. Ihr fällt das einzige Duett der Oper zu – mit Cecilio beendet sie den 1. Akt mit „D’Eliso in sen m’attendi“ in schönster stimmlicher Harmonie. Im 2. Akt hat sie mit „Ah se il crudel periglio“ ihr Bravourstück, das ihr schier endlose Koloraturgirlanden abverlangt. Hier wächst die Sängerin mit geradezu unwirklicher Virtuosität über sich hinaus. „Fra i pensier“ im letzten Akt ist nicht weniger anspruchsvoll, weil hier eine verschattete, tragische ombra-Stimmung verlangt wird.

Chiara Skerath nimmt die zweite Rolle en travestie wahr – Cecilios Freund Lucio Cinna. Die Stimme ist klar, aber nicht weiß, der Vortrag beherzt, doch immer kultiviert. Mühelos werden die Koloraturläufe absolviert. Mit leuchtenden Tönen und delikaten Verzierungen wartet sie bei „De’ più superti il core“ im letzten Akt auf.

Ilse Eerens komplettiert das Sopran-Trio als Sillas Schwester Celia. Das Timbre ist in seinem melancholischen Schimmer reizvoll getönt, brillant gelingen die aufsteigenden staccato-Skalen. Mit der munteren Cavatina „Strider sento la procella“ eröffnet sie den 3. Akt und kann hier mit feinen Koloraturen und Trillern brillieren. In drei Szenen kann sich Le jeune choeur de Paris (Einstudierung: Richard Wilberforce) mit engagiertem Gesang bewähren. Bernd Hoppe

Victorin Joncières'“Lancelot“

.

Dank der üppig bestückten Leibücherei in meinem kleinen Heimatort nahm die Artus-Sage in meiner jugendlichen Phantasie einen besonderen Platz ein, der durch die ersten amerikanischen Cinemascope-Filme im örtlichen Kino (Stuhlmachers Lichtspiele sonntags nachmittags mit strenger Alterskontrolle) einen zusätzlichen visuellen Glamour erhielt.

Abgesehen von meiner puerilen Begeisterung für Ritterspiele und Tafelrunde war es die Figur des Lancelot in seinem Zwiespalt zwischen Liebe zu Arthus und Liebe zu dessen Frau Guinever, die mich am meisten beschäftigte, vielleicht auch wegen des kleinen Quentchens an homosexueller Spannung zwischen den beiden „besten Freunden“. Was natürlich von Hollywoods Filmmaschienerie total negiert wurde. Dennoch – wenn (wie auf dem Filmplakat oben)  Robert Taylor seine Lippen in die von Ava Gardner tauchte und Mel Ferrer dem grämlich zusah konnte man sich schon Gedanken machen (ich jedenfalls). Erst modernere Verfilmungen zeigen die drei vereint, wenngleich ostentativ angetrunken, im breiten Königsbett, um der Erbfolge nachzuhelfen. 

 

Victorin Joncières/ Foto Nadar/BNF Gallica

Operalounge-Lesern wird meine Begeisterung für die französische Grand-Opéra nicht entgangen sein. Und sie können vielleicht nachvollziehen, dass die Ankündigung einer Lancelot-Oper von Victorin Joncières im fernen Saint-Etienne (gleich neben Lyon) im Mai 2022 mich aufschreckte, wenngleich ich den wenigen Aufführungen nicht beiwohnen konnte. Zumindest versorgten mich tüchtige Freunde mit einer klanglich ordentlichen Hosentaschenaufnahme, sah sich das Theater doch nicht in der Lage, eine Hausaufnahme herauszurücken. Oder für eine Radioübertragung zu sorgen. Oder den an diesen Opern sonst so interessierten Palazetto Bru Zane zu einer CD zu bewegen, nachdem ebendort bereits der hochinteressante Dimitri Joncieres erschienen war. Domage! Dafür lieber die x-te unnötige Saint-Saens-Oper oder Messager-Operette…

Das besonders dürftige Programmheft zur Aufführung in Saint-Etienne (nicht einmal mit Libretto!) sagt so gut wie nichts über die Oper selbst und dafür sehr viel über die Mitwirkenden. Und auch in den regionalen Kritiken finden sich nur die bekannten Daten zur Entstehung 1900 und das übliche Blumige (les Francais…).

Also packte mich mein Ehrgeiz als Opernfan eben diesen Genres, das Werk als eines in einer erstaunlich langen Kette von Lancelot-Opern vorzustellen. Erst jetzt lernte ich, dass es vor allem im späten 19. Jahrhundert recht viele Vertonungen des Stoffes gab und sich in unserer Zeit auch einige namhafte Komponisten wie Paul Dessau (1969), Tancred Dort (1985), Friedrich Burkhard (1962), Boris Vian (1998), Georges Delerue (1957), sogar Francesco Malipero oder Roger Sessions damit befasst hatten.

.

Jean Arriet-Bartet (* 13. Dezember 1862 in Gurs; † 1943) hier als Markhoël in Joncieres „Lancelot“1900/ Ipernity. 

Bis 1900 gibt es hingegen erstaunlich viele Lancelot-Opern: Lanzelot vom See von Adolf Emil Büchner, Uraufführung 1856 [nur Ouvertüre]; Lancelot du Lac „Drame musical en trois actes et cinq tableaux‘ von Augusta Mary Anne Holmes; Entstehung um 1870/75 [unveröffent­lichtes Manuskript]; Lancelot von Theodor Hentschel; Uraufführung 30.10.1878, Bremen. Guenever von Charles Hubert Hastings Parry; Entstehung 1884-1886. Eliane „Dichtung in drei Akten nach Tennyson’s Königs-Idyllen‘ von Ödön Peter Jözsef von Mihalovich Hans Herrig; Uraufführung 16.2.1908, Budapest. Guinevere, or Love Laughs at Law von Harry Thomas Pringuer. Lanzelot „Heroische Oper in drei Aufzügen“ von Reinhold Ludwig Herrran 1891, Braunschweig. Etaine „Opera-Legende en 4 actes et 6 tableaux“ von Herman Bemberg, Uraufführung 5.7.1892, London. Lancelot du Lac „Drame lyrique en quatre actes et six tableaux“ von Victorin de loncieres id. i. Felix- Ludger Rossignol] Uraufführung 7.2.1900, Paris. Lancelot von Francis Burdett Money-Coutts Entstehung 1889. Launcelot Oper in 3 Akten von Isaac Manuel Francisco Albeniz/ Fragment 1902-1903. (…)  (nach Michael Waltenberger/ Mittelalterrezeption im Musiktheater, s. nachstehend)

.

.

Der Germanist Michael Waltenberger hat den Topos des Lancelot in der Oper in einem Aufsatz (in Mittelalterrezeption im Musiktheater: Ein stoffgeschichtliches Handbuch, De Gryuter 2021) untersucht und schreibt dort: Die Lancelot-Opern des neunzehnten Jahrhunderts konzentrieren sich in der Mehrzahl auf eine ganz bestimmte Episode aus dem weiten Handlungskreis um Lancelot, nämlich auf die krisenhafte Komplikation seiner heimlichen Beziehung zu Ginover durch die Liebe der Jungfrau von Escalot, die von ihm abgewiesen wird und aus Kummer stirbt (…).

Der Germanist Michael Waltenberger/ Autor des nebenstehenden Artkels/ Professor für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilian-Universität München (hier Einzelheiten zur Person)

Noch vor dem mittelalterlichen Prosaroman wird der Lancelot-Stoff durch einen Versroman Chretiens de Troyes schriftliterarisch manifest: Der um 1170 entstan­dene Chevalier de la charrette exponiert bereits das dilemmatische Liebesdreieck zwischen dem Königspaar und dem besten Ritter der Tafelrunde. Nur wenige Jahr­zehnte später entsteht dann der französische Lancelot en prose, der nicht nur die Geschicke des Helden zu einer vollständigen Biographie erweitert, sondern diese auch noch in eine Gesamtchronik des Artusreichs einbettet und durch die Integra­tion des Gralsstoffs vor einen heilsgeschichtlichen Horizont rückt (… und) wird schon bald durch vorgeschaltete Teile (Estohe del Saint Graal – Estoire de Merlin) zum Lancelot-Gral-Zyklus erweitert. Dutzende von Manuskripten, dann auch eine Reihe von Drucken überliefern den Roman kontinuierlich vom dreizehn­ten bis zum beginnenden sechzehnten Jahrhundert; vielfältige Varianten entste­hen durch Bearbeitungen, Kompilationen und durch Kontamination mit anderen höfisch-ritterlichen Stoffen. Schon im Mittelalter weitet sich die Rezeption durch Ausläufer in mehrere europäische Literaturen aus.(…)

Die Konjunktur dieser Episode als Opernstoff ist ein Epiphänomen ihrer breiten zeitgenössischen Popularität und der reichen literarischen wie bildkünstlerischen Rezeption ihrer Bearbeitung durch Alfred Lord Tennyson (1809-1892/ 1833 und revidiert 1842 Ballade The Lady of Shalott nach einer italienischen Novellenversion des dreizehnten Jahrhunderts). Auf Tennysons Idylle basieren unter anderem die Libretti der Lancelot- Opern von Charles Parry (entstanden 1884-1886) oder auch Victorin de Joncieres (UA 1900 … u. a, ).

In vielen Fällen hat allerdings weniger Tennysons differenzierte romantische Psychologisierung (…) inspiriert, sondern eher das dra­maturgisch hochwirksame Plot-Gerüst. So reichern etwa Edouard Blau und Louis Gallet in ihrem Text für den überzeugten Wagnerianer Joncieres (1839-1903) das Geschehen mit Figuren und Handlungselementen aus anderen Prätexten an und rücken zugleich die Polarität zwischen den beiden Frauenfiguren behutsam der antithetischen Grundkonstellation des Tannhäuser (-> Dichter und Sänger) näher (Joncieres 1899). Musikalische, szenische und strukturelle Annäherungen an Richard Wagner sind selbstverständlich schon vor Joncieres zu finden. (…) (Übrigens gibt es im mittelalterlichen Lancelot en prose zwar keine erotische Spannung zwischen Lancelot und Artus, wohl aber eine enge homosoziale, mit homoerotischen Obertönen versehene Beziehung zwischen Lancelot und seinem besten Freund, dem König Galahot.). Soweit Michael Waltenberger

.

.

Victorin Joncieres „Lancelot“ in Saint-Etienne/ Szene/© Cyrille Cauvet

Seit ihrer Uraufführung am 7. Februar 1900 an der Pariser Oper geriet Victorien Joncieres Lancelot in Vergessenheit, ebenso wie alle seine Werke wie Le Sicilien (1859), Sardanapale (1867), Les derniers Jours de Poimpeji (1869), La Reine Berthe (1878) und Le Chevalier Jean (1885), ohne Dimitri (1876, s. operalounge) zu vergessen, der dank der 2014 erschienenen CDs ein breiteres Publikum gefunden hat, natürlich auf Initiative des Palazetto Bru Zane.

Wie andere Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Werke wie Sigurd von Ernest Reyer (1884) verbindet sich in Lancelots Musikstil ein ausgesprochen französisches Flair mit Wagner-Reminiszenzen, die sowohl in der Musik als auch in der Wahl der Handlung präsent sind. Wenn die Eleganz des Beginns von Akt II sie geschickt mit einer feinen verdischen Charakterzeichnung verbindet, bringt die Ballettpantomime von Akt III einen ohrwurm-artigen und farbigen Walzer mit einer spanischen Note, die seit Carmen (1875) als Modell in der französischen Musik präsent ist. Dieses Ballett, dessen brillante Abfolge von sechs kurzen Szenen – kaum mehr als zwanzig Minuten – Applaus garantiert, verleiht dem Geschehen Nachdruck (man denke an Verdis Don Carlos mit seinem unverzichtbaren Handlungsbalett La Peregrina), während sie die musikalische Üppigkeit unterstreicht, die in dieser Komposition noch vor Pelléas et Mélisande vorhanden ist, sowohl in den kraftvollen Chorpartien als auch in ausgiebigen Glockenschlägen (am Ende der beiden Szenen des ersten Akts), die wiederum die große romantische Orgel für ein Finale im Kloster auf eine religiöse Hymne im Gounod-Stil assoziieren (erste Szene des vierten Akts).

Victorin Joncieres „Lancelot“/ die Starsopranistin der Pariser Oper, Marie Delna (Paris, 3 April 1875 – Paris, 24 July 1932), sang die Guinèvre der Uraufführung/ Nadar/ BNF Gallica

Die Oper (wieder eine heroische in der Rückbesinnung auf glorreiches Mittelalter in der Folge des Deutsch-Französischen Krieges und der demütigenden Niederlage für Frankreich) erzählt von der fatalen Liebe der Königin Guinèvre, der Gattin von König Arthus, zu dessen Freund und Mitstreiter Lancelot. Zwischen Markhoël, dem hasserfüllten, heimtückischen Ritter, der dem König diese Untreue verrät, dem reinen jungen Mädchen, das auch in Lancelot verliebt ist (Elaine), dem Vater von Elaine (der Graf Alain de Dinan), einem weisen, edlen und treuen Diener des König Artus, den anderen Rittern der Tafelrunde und den ausladenden Zeremonien fehlt keine Zutat für eine gut konstruierte und effektvolle Handlung. Wie es Tradition war, füllt, während Lancelot schläft, eine große Ballettpantomime, „Der Feensee“, wie bei Rimskys Mlada fast den ganzen 3. Akt. Diese ist in neun Teile geteilt. Die Dame vom See (eine Art Oberfee und mythische Gottheit, aus den diversen Filmen bekannt durch ihre weiße Hand, die aus dem Wasser heraus Arthus das Schwert Excalibur übergibt und dieses nach dessen Tod nach einem spektakulären Sturz ins Wasser wieder an sich nimmt) befehligt die Elfen, die Irrlichter – ein bekannter Topos, oft auf die Bühne gebracht und von Petipa und der Taglioni betanzt (vergl. Le Lac du Fées Offenbachs und anderer).

Die Musik von Victorien Joncieres zeigt viele Einflüsse, zum Beispiel von Wagner, dessen glühender Verteidiger in Frankreich Joncières war. Es gibt ein ständiges Leitmotiv und die Verwendung von dunklen und kriegerischen Blechbläsern bei den Auf- und Abtritten von König Artus. Joncieres´ Musik bezaubert (allerdings ohne dass seine Melodien im Gedächtnis bleiben) durch ihre Leichtigkeit und ihre persönliche Harmonik. So bei der Arie der Guinèvre im 1. Akt „Amour, cruel amour“, die von einem schönen Duett mit Lancelot gefolgt wird. Dann ein Duett zwischen Guinèvre und Elaine, die sich im 4, Akt in ein Kloster zurückgezogen haben, wo sich die Geständnisse ihrer Liebe bald in einen schweren Konflikt verwandeln, als sie erkennen, dass sie beiden denselben Mann lieben. Die Orchestrierung ist reich und zeigt die fachliche Fähigkeit des Komponisten, der in einer Epoche und einem Ästhetizismus, die vielleicht schon überholt waren, verankert war.

Victorin Joncières „Lancelot“ in Saint-Etienne/ Szene/© Cyrille Cauvet

Lancelot erscheint vor allem als die Synthese eines halben (vergangenen) Jahrhunderts französischer Oper, weil sich hier die Klänge des Prophète von Meyerbeer und der durch den französischen Geschmack gedämpften Wagnerismus in einer Oper begegnen, die auf Arien verzichtet, die aber – spät aber doch – eine Ballett-Pantomime, würdig eines Ambroise Thomas (oder auch Verdi) enthält. Trotz desselben Sujets ähnelt die Musik von Lancelot kaum der des Roi Arthus von Chausson (1903), aber, ein mittelalterliches Sujet verpflichtet eben, man hört viele Trompetenstöße; und die schönsten Passagen sind zweifellos die verschiedenen Duette zwischen den Protagonisten.

Wäre Lancelot dreißig Jahre früher geschrieben worden, hätte er sicher einen größeren Erfolg bei Publikum und Kritik gehabt als nur die 7 Vorstellungen, die ihm im Februar 1900 im Palais Garnier zugestanden wurden (wobei die große Marie Delna damals als Guinèvre für Furore sorgte), übrigens in demselben Monat der Uraufführung von Louise von Gustave Charpentier an der Opéra-Comique, einem weitaus zeitgemäßeren Werk, das sofort überall bekannt wurde. Lancelot ist jedoch nicht weniger eine Oper, die eine Wiederentdeckung sehr verdient. Aber keine CD-Ausgabe ist für diese letzte Oper von Joncières ist in Sicht.

.

.

Victorin Joncières „Lancelot“ in Saint-Étienne/ Szene/© Cyrille Cauvet

Zum Komponisten Victorien Joncieres schreibt Alexandre Dratwicki, künstlerischer Direktor des Palazzetto Bru Zane, in der CD-Ausgabe zu Joncieres Oper Dimirtri:  Das Talent von M. Joncière hat eine bemerkenswerte und seltene dramatische Qualität. Im Gegensatz zu einigen der heutigen Komponisten hat er das Verdienst, Opern zu schreiben, die nicht so sehr malerisch sind – indem er Musik verwendet, um eine Szene zu setzen, ein Dekor zu schaffen –, sondern kraftvoll dramatisch. Er hat Meyerbeer und Verdi sehr bewundert und ihre Werke ausgiebig studiert, was für ihn von großem Wert war. Seine Rezitative sind immer gut vorgetragen, sein Orchester ausdrucksstark, seine Melodien immer auf die Bühnenbewegung abgestimmt. Die Absichten des Autors werden getreu und überzeugend wiedergegeben. Wenn ihm eine gute Handlung zur Verfügung gestellt wurde, hat M. Joncières es nie versäumt, sie gut zu verarbeiten, und wenn das Libretto starke Kontraste erfordert, wie zum Beispiel bei Dimitri, hat jeder der verschiedenen Akte seine eigene spezifische Färbung. Der erste ist malerisch, der zweite lebhaft und hell, der dritte und vierte dramatisch, und so vermeidet der Autor zu seinem großen Verdienst Monotonie; schließlich drückt der fünfte Akt Glück und Erfolg aus, die bald zerstört werden, wenn die Katastrophe eintritt. Diese Kunst, die Musik so umzuwandeln, dass sie mit den verschiedenen Tableaus und Szenen des Dramas in Einklang steht, fehlte Hálevy und Félicien David vollständig; sie fehlte bei Wagner, und unglücklicherweise hatte M. Joncières sie verloren, als er anfing, La Reine Berthe zu komponieren. Ich denke, es gibt sehr wenige Opern, in denen der Charakter und die Farbgebung der verschiedenen Tableaus so gut definiert sind (wie bei Dimitri). Dies ist eine der herausragenden Qualitäten von Meyerbeers Les Huguenots und L’Africaine, Berlioz‘ La Damnation de Faust, Gounods Faust (viel Abwechslung, aber sehr uneinheitlich), Reyers La Statue und Massenets Le Roi de Lahore.
(Georges Servières, „La musique française moderne: Victorin Joncières“, La Fantaisie artistique et littéraire, 2. Oktober 1880.)

Joncières „Lancelot“/ Mll.e Mante als Guinèvre/ Atelier Nadar/BNF Gallica

Ludger Rossignol, besser bekannt als Victorin (de) Joncières, wurde 1839 in Paris geboren, wo er 1903 starb. Er studierte zunächst Malerei im Atelier von François-Édouard Picot, wandte sich dann aber der Musik zu und gelangte ans Pariser Konservatorium, wo er an Elwarts Harmonieklasse teilnahm und an Lebornes Unterricht in Fuge und Kontrapunkt teilnahm. Aber er verließ diese Institution vorzeitig, anscheinend nachdem er sich mit letzterer über Richard Wagner zerstritten hatte, dessen Avantgarde-Theorien er viele Jahre lang verteidigen sollte. Ende der 1850er Jahre begann er eine Karriere als Komponist, insbesondere mit Schauspielmusik für Shakespeares Hamlet, dann eine erste Oper, Sardanapale, die 1867 uraufgeführt wurde. Eine weitere Oper, La Dernier jour de Pompéi, wurde 1869 im Théâtre-Lyrique aufgeführt, war aber trotz einiger schöner Momente, denen die Aufführungen nicht ganz gerecht geworden zu scheinen, weder ein Publikums- noch ein Kritikererfolg. Die Kritik empfand vor allem den Umgang des Komponisten mit dem Orchester als zu simpel. So begann Joncières ab 1870 in seiner Symphonie romantique mit neuen Instrumentalklängen zu experimentieren – Experimente, die in seiner Oper Dimitri, 1876 an Vizentinis Théâtre Lyrique National uraufgeführt, einen durchschlagenden Erfolg zeitigten, 1890 dann auch an der Opéra-Comique.

Der Musikwissenschaftlerund Prinzipal des Palazetto, Alexandre Dratwicki (Palazetto Bru Zane)

Das teilweise Scheitern sowohl von La Reine Berthe (Pariser Opéra, 1878) – wahrscheinlich erklärt durch ein zweitklassiges Libretto und eine unterdurchschnittliche Aufführung – als auch von Le Chevalier Jean (Opéra-Comique, 1885) trübte seinen Ruhm. Von dieser schwierigen Zeit erholte sich Joncières nicht. Nach Lancelot (Pariser Opéra, 1900) gab er das Komponieren offiziell auf. Letzteres Werk, das zehn Jahre zuvor komponiert worden war, erschien ihm verspätet, um angemessen gewürdigt zu werden, da es in den 1890er Jahren so viele Veränderungen in der Musikästhetik gegeben hatte. Zu Joncières‘ Werken gehören auch eine unvollendete Symphonie, eine dramatische Kantate mit dem Titel La Mer, mehrere Kunstlieder (mélodies) und einige anspruchslose Genrestücke. Er arbeitete zudem als Journalist: Von 1871 bis 1900 war er Musikkritiker von La Liberté, in dessen Kolumnen er seine Freunde unterstützte, darunter César Franck und Emmanuel Chabrier.

Victorin Joncières „Lancelot“/ zeitgenössische Zeitungsillustration zum Feen-Ballett/ BNF Gallica

Unter den Opernkomponisten ist Joncières insofern außergewöhnlich, als er sich sofort dieser komplexen und anspruchsvollen Gattung zuwandte, ohne zunächst Orchester- oder Kammermusikwerke zu komponieren. Er scheint schon sehr früh seine Berufung zu ernsthaften Werken mit monumentalen (insbesondere mittelalterlichen) Sujets gespürt zu haben. Er komponierte keine Opéras-comiques im eigentlichen Sinne, und alle seine Werke, selbst diejenigen, die nicht in den großen Theatern aufgeführt wurden, waren mit der gleichen Üppigkeit und Pracht konzipiert wie jene, die für die Pariser Opéra bestimmt waren. (…) Alexandre Dratwicki/ Übersetzung Daniel Hauser

.

.

Und schließlich noch eine repräsentative Kritik zur Uraufführung an der Pariser Oper vom 28. Februar 1900 in der Pariser Revue musicale der Revue des deux mondes: Nichts fehlt dem Lancelot von M. Joncières, was einmal eine Oper ausmachte, und sogar eine sehr schöne Oper. Diese sehr ordentliche Arbeit entspricht durchaus, wenn nicht sogar vollkommen, dem Geist und Genie zahlreicher früherer unvergänglicher Meisterwerke. Ich spreche nicht von den wagnerianischen Meisterwerken: Als einer der ersten, die Wagner verstanden und bewunderten, blieb Joncières einer der Letzten und Entschlossensten, die ihn absolut nicht imitierten. Darin hatte er übrigens zweimal recht, und das – vor allem in dieser Angelegenheit – war nicht jedem gegeben.

Victorin Joncieres „Lancelot“/ Starbesetzung der Urauffführung 1900 – extra ausgewiesen das große Ballett „Le Rêve de Lancelot“/BNF Gallica/ Dank an den Palazzetto Bru Zane

Abgesehen vom wagnerianischen Element ist alles Nötige für einen Erfolg im Lancelot vorhanden. Es gibt eine Fülle an Melodien und das Cantabile, ohne falsche Scham, blüht. Tenor, Mezzosopran und Bariton: „sie singen noch“ und einige ihrer Melodien sind nicht zu verachten. Die allgemeine Tonalität, wie die Melodik, hat nichts an sich, das missfällt. M. Joncières hat Sinn für „reiche Töne“. Er gefällt sich – gelegentlich ein wenig banal – in der Opulenz von G-, Des und gis-Moll.

„Es gilt zu singen, um zu singen“, sagte Grétry, „und zu singen, um zu sprechen.“ In keiner dieser beiden Bedingungen könnte man sagen, dass es bei M. Joncières schlecht singt. Eindrucksvoll bezüglich der Stimme, ist seine Musik es nicht weniger bezüglich des Wortes. Überall im Lancelot fällt die Betonung, wo und wie sie sein soll. Und das Orchester klingt ebenfalls nicht anders als es soll, und nach der üblichen Reihenfolge antworten einander Oboe und Klarinette. Die Rhythmen wechseln genauso erwartungsgemäß wie die Klangfarben, und bald folgen Staccato und Legato aufeinander, bald ist ein Violoncello-Solo gefolgt von einem Hornstoß.

Noch einmal, nichts ist hier falsch. Ritterliche und königliche Pracht, Umzüge und Chöre ohne Begleitung, Fanfaren auf der Bühne und Glockenspiele im Orchester. De profundis in der Kulisse und Feenballett mit Walzer, nichts wurde von dem sehr gewissenhaften Kompositeur an diesem vollständigen Werk vernachlässigt. So reproduziert Lancelot mit Genauigkeit das was früher eine „grand opéra“ war und was man heute noch so nennt.

Alles das müsste, wie es scheint, exzellent sein, und doch ist es nur passabel. Warum? Weil der Sinn und das Geheimnis des Genies in der musikalischen Formel fehlen, was sage ich, in der Form selbst. Es liegt nicht am Formalen, weil unterschiedliche, um nicht zu sagen, widersprüchliche Formen, die eines Orpheus und eines Lohengrin beide schön sein können. Weil einander äußerlich sich ähnelnde Werke im Grunde erstaunlich unähnlich sind. Weil ein einmaliges Ideal, zum Beispiel das der französischen Oper und des wagnerianischen Operndramas, Meyerbeer zu seinen Hugenotten oder zum Prophet inspiriert hat, und eben M. Joncières zu Lancelot, Wagner zu seiner Tetralogie oder zum Tristan, und M. d’Indy zu Fervaal.

Joncières „Lancelot“/ Albert Vaguet war der Titelsänger der Uraufführung/ Programnmheft/Libretto/ Dank an den Palazzetto Bru Zane

Die Motivation!  Das ist in der Musik vor allem die Tatsache, dass sie magisch, mysteriös, einmalig und in ihrer Wirkung auch dem Verstand unzugänglich ist. Unter den Äußerlichkeiten entzieht sie sich ständig; sie entflieht den armseligen Forschern, die wir sind, und ihre ewige Flucht, die den Reiz unserer Forschung macht, macht auch ihre Unsicherheit und vielleicht das Nichts.

Ein Schulwerk hat man Lancelot genannt, und das ist nicht schlecht gesagt, unter der Bedingung, dass die Oper nicht ein Werk ohne Erfahrung, noch weniger der Unkenntnis ist, sondern eines von Tradition und Respekt, ein Werk, das nicht im Gegensatz zur Vergangenheit steht, sondern ihr entspricht und das sich mit Weisheit den großen Vorbildern nähert, anstatt sich von ihnen gewaltsam zu entfernen. Lancelot wird den Namen seines Autors wohl nicht berühmt machen; aber gewürdigt. Ich befürchte sogar, wenn ich von dieser Partitur ehrlich und in gutem Glauben mehr sprechen werde als von vielen anderen. Ich befürchte, wenn schon nicht keinen zu großen Respekt, auch zu wenig Sympathie gezeigt zu haben. Camille Bellaigue/ Übersetzung Ingrid Englitsch

.

.

Wie bei vielen Artikeln über Unbekanntes hat auch dieser viele Eltern, und es gilt sich zu bedanken. Vor allem bei Michael Waltenberger, Professor für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilian-Universität München (hier Einzelheiten zur Person), und Autor des Beitrags zu Lancelot in: Mittelalterrezeption im Musiktheater: Ein stoffgeschichtliches Handbuch; herausgegeben von Christian Buhr, Michael Waltenberger. Bernd Zegowitz.; Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 06.04.2021 – 652 Seiten, S. 305 pp: Michael Waltenberger hat uns liebenswürdiger Weise die Übernahme seiner Textpassagen gestattet.

Die Anmerkungen von Alexandre Dratwicki zu Joncieres als entnahmen wir der CD-Buchausgabe zu dessen Oper Dimitri, die vom Palazzetto Bru Zane 2013 herausgegeben wurde, Daniel Hauser hat übersetzt. Ingrid Englitsch besorgte die Übertragung der Kritik von 1900 und gab Übersetzungshilfen bei der Recherche. Meinem französischen Tauschfreund G. danke ich für die Bereitstellung der Inhouse-Aufnahme. G. H.

Am 6. Mai 2022 gab es die letzte Oper von Victorin JoncièresLancelot (Lancelot/Thomas Bettinger; Arthus/Tomasz Kumiega; Alain de Dinam/ Frédéric Caton; Markhoël/Philippe Estèphe; Kadio/ Camille Tresmontant; Guinèvre/ Anaïk Morel; Elaine/ Olivia Doray; Orchestre Symphonique Saint-Étienne Loire, Chœur Lyrique Saint-Étienne Loire; Dirigent Hervé Niquet; Regie Jean-Romain Vesperini,  Ausstattung Bruno de Lavenère).

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

 

Stefan Soltesz

.

Mit Schock und Trauer hörten wir vom plötzlichen Tode des Dirigenten Stefan Soltesz. Der magere Beitrag eines seiner (und meiner) Stammhäuser, der Deutschen Oper Berlin, wird im nicht gerecht, denn er kann das aufbrausendes Temperament, die schiere Rasanz seiner Opernleitungen nicht vermitteln. Ich kannte Soltesz recht gut, wir haben einige Male was zusammengetrunken und viel geschwatzt. Manches dringt nun an Mäkeleien über seine weniger liebenswürdige Behandlung der Ensembles ans Ohr, das mag sein. Ich selber habe ihn nur fast privat erlebt, und da war er sehr charmant, sehr österreichisch-ungarisch-K.u.K eben, sehr souverän. Und witzig.

Soltesz war der erste Beste der zweiten Klasse, er selbst bezeichnete sich mal als „Orchester-Schupo“, und er liebte das Einspringen. So ganz ohne Vorbereitung – sagte er – wäre er am besten. Und das hörte man. Er fetzte durch die Musik, ließ den Sängern Luft zum Atmen und hielt „den Laden am Laufen“. Und wie der Laden lief. Ich verdanke ihm viele, viele tolle Abende, vielleicht nicht immer so ungemein subtile, aber immer hochspannende. Und dass er bei der Arbeit starb ist irgendwie doch der richtige Abgang für diesen Workaholik, dem ich für seine Auftritte – namentlich auch an der DOB – bleibend dankbar bin. Oper war bei ihm gut aufgehoben.  G. H.

.

.

Und nun die Deutsche Oper Berlin: Wenn große Künstler sterben, geht manchmal nicht nur ein Leben, sondern auch eine Ära unwiderruflich zu Ende. Der Tod von Stefan Soltesz während einer Aufführung von Richard Strauss’ DIE SCHWEIGSAME FRAU markiert einen solchen Punkt, denn der 1949 geborene Ungar war der wohl letzte Repräsentant der österreichisch-ungarischen Kapellmeistertradition, die den Dirigentenberuf im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat. Als Schüler des legendären Dirigierlehrers Hans Swarowsky wuchs Soltesz in Wien in diese Tradition hinein und sog ihren Geist auf – Zeit seines Lebens verkörperte er ein Kapellmeistertum „alter Schule“, das den Anspruch, jedes Werk auf höchstem Niveau dirigieren zu können, mit einem unbedingten Autoritätsanspruch verband. Kein Wunder, dass der Opernbetrieb sehr schnell auf diesen jungen Dirigenten aufmerksam wurde, der für alle Werke von DIE FLEDERMAUS über ELEKTRA bis zu Reimanns LEAR stilsicher den richtigen Ton fand, und es gehörte zu den Glücksgriffen von Götz Friedrich, sich Soltesz für Berlin zu sichern: Zwölf Jahre lang, von 1985 bis 1997, wirkte Stefan Soltesz hier als „Ständiger Dirigent“ und nahm diesen Titel wörtlich: Mehr als 350 Aufführungen leitete er an der Deutschen Oper Berlin in dieser Zeit. Von seinem Debüt am 5. März 1984 mit Verdis IL TROVATORE an zeigte er hier die  Bandbreite seines dirigentischen Könnens: Verdi, Puccini und Wagner, aber auch Mozart, Strawinsky, Henze und Offenbach – dazu auch Meyerbeers (auch auf DVD überlieferte) DIE HUGENOTTEN. Nach diesen zwölf ertragreichen Jahren war Soltesz nur noch sporadisch am Pult der Deutschen Oper Berlin zu erleben, vor allem, weil er sich mit Leib und Seele seiner neuen Aufgabe als Generalmusikdirektor und Intendant des Essener Aalto-Theaters verschrieb.

Die Deutsche Oper Berlin trauert um einen großen Künstler, dem sie Vieles zu verdanken hat, und wird ihm ein bleibendes Andenken bewahren.

 .

Mehr Details liefert Wikipedia: Stefan Soltész (* 6. Januar 1949 in Nyíregyháza, Ungarn; † 22. Juli 2022 in München), der  österreichischer Dirigent, war 1997 bis 2013 Intendant des Aalto-Musiktheaters sowie Generalmusikdirektor in Essen. Stefan Soltész wurde in Nyíregyháza im Nordosten Ungarns geboren. 1956 kam er nach Wien, wo er Mitglied der Wiener Sängerknaben wurde. An der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst studierte er Dirigieren bei Hans Swarowsky sowie Komposition und Klavier. 1971 begann er als Kapellmeister am Theater an der Wien seine Karriere. Es folgten Engagements als Korrepetitor und Dirigent an der Wiener Staatsoper (1973–1983) und als Gastdirigent am Grazer Opernhaus (1979–1981). Während der Salzburger Festspiele (1978, 1979 und 1983) arbeitete er als Musikalischer Assistent bei Karl Böhm, Christoph von Dohnányi und Herbert von Karajan.

Positionen als ständiger Dirigent hatte Soltész an der Hamburgischen Staatsoper (1983–1985) und an der Deutschen Oper Berlin (1985–1997) inne. Als Generalmusikdirektor wirkte er von 1988 bis 1993 am Staatstheater Braunschweig sowie als Chefdirigent von 1992 bis 1997 an der Flämischen Oper in Antwerpen und Gent.

Von 1997 bis zum Ende der Spielzeit 2012/13 war Soltész Intendant des Aalto-Theaters in Essen, das 2008 im Rahmen der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Opernwelt zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt wurde, und bis zum Ende der Spielzeit 2012/2013 Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker, das 2003 und 2008 „Orchester des Jahres“ war.

Gastdirigate führten Soltész regelmäßig an die Wiener Staatsoper sowie an die großen Opernhäuser Deutschlands (u. a. nach München, Hamburg, Berlin, Frankfurt, Köln). Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit waren das Teatro dell’ Opera di Roma, die Budapester Staatsoper, das Teatr Wielki in Warschau, das Bolschoi-Theater in Moskau und das Grand Théâtre de Genève. Darüber hinaus gastierte er an der Pariser und der Zürcher Oper, De Nederlandse Opera in Amsterdam, dem Teatro Massimo Bellini in Catania, der Oper Bilbao, dem Teatro Colón in Buenos Aires, in Japan, Taiwan, an der Washington und der San Francisco Opera, in Covent Garden, sowie bei den Festivals in Montpellier, Aix-en-Provence und Savonlinna, den Pfingstfestspielen Baden-Baden, anima mundi in Pisa, dem Tongyeong Festival (Korea) sowie dem Glyndebourne Festival.

Sinfoniekonzerte und Rundfunkaufnahmen dirigierte Soltész u. a. in München, Hamburg, Hannover, Dresden, Berlin, Saarbrücken, Bremen, Wiesbaden, Heidelberg, Wien, Rom, Catania, Turin, Mailand, Genua, Verona, Triest, Basel, Bern, Paris, Moskau, Taipei, Nagoya und Budapest.

Seine CD-Einspielungen umfassen u. a. Opern von Giacomo Puccini (La Bohème), Giuseppe Gazzaniga (Don Giovanni) und Alexander von Zemlinsky (Der Kreidekreis) sowie Arien und Lieder mit Grace Bumbry, Lucia Popp und Dietrich Fischer-Dieskau. Seine Aufnahme von Alban Bergs Lulu-Suite und Hans Werner Henzes Appassionatamente plus mit den Essener Philharmonikern wurde für den Grammy und den ICMA nominiert.

Am 22. Juli 2022 brach er während einer Vorstellung der Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss am Nationaltheater München zusammen und starb anschließend.

Sempey & friends

.

Florian Sempey ist ein international gefragter Interpret der Titelrolle von Thomas’ Hamlet oder des Posa in der französischen Urfassung von Verdis Don Carlos und des Valentin in Gounods Faust. Aber auch als Figaro in Rossinis Barbiere di Siviglia hat er in London und Paris Triumphe gefeiert. So ist die neue CD bei ALPHA überaus willkommen, denn sie ist ganz Rossini gewidmet (791). Es ist das erste Recital des Sängers, aufgenommen im Januar 2021 in der Opéra National de Bordeaux. Deren Orchestre National Bordeaux Aquitaine begleitet unter Leitung von Marc Minkowski, der neben seinem Einsatz für das Barock-Repertoire immer wieder gern auch die Musik Rossinis interpretiert. Der Titel der Platte Figaro? Sì! verweist auf die Erfolgspartie des Baritons, mit der das Programm auch beginnt. Das „Largo al factotum“ darf als Visitenkarte des Franzosen gelten. Er kann hier mit viriler Stimme übermütig auftrumpfen, demonstriert gebührende Flexibilität und findet auch individuelle Nuancen in der sattsam bekannten Nummer. Danach erklingt das Duett mit Rosina („Dunque io son“), in dem die Mezzosopranistin Karine Deshayes mitwirkt und eine wohllautende Stimme hören lässt, die nur in der exponierten Höhe recht streng klingt. Beide servieren das Duo mit Witz und Ironie, wobei Sempey in den Koloraturläufen etwas Mühe offenbart. Später spielt das Orchester noch die sprühende Overture und brilliert da mit meisterhafter Beherrschung des accelerando.

Im Programm wechseln unbekanntere und populäre Nummern. In erstere Kategorie gehören die Arie des Germano, „Amor dolcemente“, aus La Scala di Seta, welche eine perfekte Atemkontrolle verlangt und vom Solisten mit viel Gefühl, im Schlussteil aber auch mit gebührendem Plappern vorgetragen wird, und die des Don Parmenione, „Che sorte che accidente“, aus L’Occasione fa il ladro. Diese entwickelt sich nach hurtigem Beginn zu einem schönen cantabile und endet in atemlos überstürzter Konfusion.

Zu den Klassikern im Rossini-Repertoire zählt La Cenerentola, aus der Sempey das Duett Dandini/Don Magnifico „Un segreto d’importanza“ ausgewählt hat und in dem Bassisten Nahuel Di Pierro den denkbar besten Partner hat. Beide sind sich ebenbürtig in der Bewältigung von Rossinis vokalen Rouladen. Auch Taddeos Duo mit Isabella „Ai capricci della sorte“ aus der Italiana in Algeri ist ein Hit. Hier kommt noch einmal Karine Deshayes mit kapriziösem Flair zum Einsatz und evoziert gemeinsam mit dem Bariton ein Feuerwerk an musikantischer Lust. In der moussierenden Overture kann Minkowski mit dem Orchester erneut sein Gespür für Dynamik und Klangfarben zeigen und der Choeur de l’Opéra National de Bordeaux im Chor „Viva il grande Kaimakan“ vital auftrumpfen.

Zu erwarten war, dass der Sänger auch eine Arie aus dem französischen Repertoire Rossinis auswählen würde – in  diesem Fall die des Raimbaud, „Dans ce lieu solitaire“, aus Le Comte Ory, mit der die Auswahl endet. Sie ist ein Zungenbrecher, verlangt höchste stimmliche Kunstfertigkeit und gibt dem Sänger Gelegenheit, sein Album im Überschwang und in Fröhlichkeit zu beenden. Als Hörer ist man nun versucht, den Champagner zu öffnen (17. 07. 22). Bernd Hoppe

Metzgers Beste

.

„Entweder du bist Wagner-Fan oder du bist es nicht.“ Stimmt. „Um diese Musik zu schreiben, musst du schon ein bisschen irre im Kopf sein.“ Stimmt auch. Und wem haben wir diese Einsichten zu verdanken? Der Metzgersfrau Ulrike Rauch, die gemeinsam mit ihrem Mann Georg eine Fleischerei in Bayreuth betreibt. Würste gehen immer in Franken. Auch Wolfgang Wagner, der Enkel und langjährige Chef der Festspiele, gehörte zur Kundschaft. Der Hügel liebt es offenbar deftig. Katharina, Tochter, Urenkelin und alleinige Herrin hat zur fröhlichen Gartenpartie ins Elternhaus gleich um die Ecke des Tempels geladen. Auf den Bratrost geht es eng zu. Es liegt nahe, dass die Würste aus der Produktion der eingefleischten Fans stammen? Bayreuth und der Rest der Welt. So der Titel eines Films von Axel Brüggemann. Er lief schon im Kino. Jetzt ist er bei Naxos auch auf DVD erschienen (NBD 0146V). Es beginnt in Venedig, wo Wagner am 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin starb.  Die feine Adresse am Canale Grande beherbergt das Casino der Lagunenstadt.  Wagnerverbände treffen sich dort. Mit dabei Katharina, die wie an einem Kapitänstisch Hof hält und sich im Sterbezimmer des Urahnen, wo noch ein paar seiner Schuhspanner überlebt haben, ins Gästebuch einträgt. Die Tagung in historischen Räumen beginnt mit dem Gedenken an verstorbene Mitglieder. Auch die versammelten Damen und Herren sind nicht mehr die Jüngsten. Ein Teilnehmer sagt, dass man Wagners Werk als Religion bezeichnen müsse, weil es viele Fans auch so auslebten. Wieder ein anderer fühlt sich in einem Schaumbad, wenn er Wagner hört. Ein Wohlfühlelement sei das. Eine Art Selbsthilfegruppe nennt eine junge Frau die Gemeinde der Wagnerianer.

Es kommen auch ausgewiesene Fachleute zu Wort wie der der US-amerikanische Wagner Experte Alex Ross, der viel zu sagen hat über Wagner. Vorbereitungen zu Tristan und Isolde in der Inszenierung der Hausherrin, die aus ihrem künstlerischen Alltag plaudert und die nach wie vor gute Arbeitsatmosphäre lobt, führen in den sagenhaften Zuschauerraum. In Proberäumen stimmen sich Sänger ein. Catherine Foster übt mit einem Korrepetitor Brünnhilde. Placido Domingo, der als Dirigent für die Walküre engagiert ist, irrt durch einen Gang. Er ist auf der Suche nach jemandem, und man fürchtet schon, er würde durch die falsche Tür gehen. Es ist ein Film der scharfen Schnitte und der häufig wechselnden Szenen, die nicht alle erwähnt werden können. Es soll keine Langeweile aufkommen. Ein Teil des Publikums, der vor allem angesprochen werden soll, ist das so von anderen Medien so gewöhnt. Die bodenständigen Wurstproduzenten werden gleich mehrmals bemüht und dienen auch als Stichwortgeber. Als sie sich an die „erste schwarze Venus“ auf dem Grünen Hügel erinnern – es war Grace Bumbry – finden sich die Zuschauer ganz plötzlich in der Bethany Baptist Church in New Jersey wieder, wo die farbige Sängerin Manna Knjoi die Hallenarie der Elisabeth anstimmt und später die Brünnhilde in der Götterdämmerung. Dort organisierte der Bassist Kevin Maynor einen Open-Air-Ring mit „people of color“.

Wieder in Bayreuth schreitet Valeri Gergiev heran und wird herzlich umarmt. Er spricht davon, dass Wagner bei seinem Aufenthalt in St. Petersburg dem russischen Publikum die „goldene Tradition deutscher Musik“ nahebrachte, dirigierte Tannhäuser und flog in einem Flugzeug – seinem eigenen? – nach herzlicher Verabschiedung wieder davon. So schnell wird er wohl nicht wiederkommen dürfen. Und was für eine Ironie der Geschichte: Nach Gergiev Auftritt macht das Filmteam in Riga Station. wo der junge Wagner von 1837 bis 1839 als Kapellmeister wirkte. „Er mochte Riga nicht besonders, aber er war hier sehr aktiv“, weiß der ehemaligisch lettische Premierminister Maris Gailis. Es werden ehrgeizige Pläne für ein Theater im Stil der Wagnerzeit und ein Wagner-Museum vorgestellt.

Ein Film über Wagner und Bayreuth kommt auch siebenundsiebzig Jahre nach dem Ende des Hitlerfaschismus nicht ohne umfängliches Eingehehen auf dessen Antisemitismus aus. Anknüpfungspunkte ergeben sich von selbst. 2018 inszenierte der Regisseur Yuval Sharon, der mit Dreizehn mit Siegfried seine erste Oper gesehen hat, Lohengrin. Die Frage, die ihm am häufigsten gestellt würde, ist die, wie er sich in Bayreuth als Jude und Amerikaner fühle. Er habe das teilweise so erwartet, aber die Journalisten hätte wohl nicht erwartet, dass er sich an diesem Ort wohlfühle. Das sei gewiss eine große Überraschung für sie. Die Vergangenheit dürfe nicht vergessen werden, aber man könne versuchen, Neues aufzubauen. Seine Kollege Barrie Kosky ist auch auf der Bühne in seiner Meistersinger-Deutung hart mit Wagners Haltung zu Juden hart ins Gericht gegangen und hat dem Publikum nichts erspart. Rüdiger Winter

Bizarres Cross-over-Album

.

Valer Sabadus ist ein renommierter Countertenor unserer Zeit mit einer der schönsten Stimmen der Gattung. In vielen Produktionen mit Barockmusik hat er mitgewirkt und mehrere erfolgreiche Recitals herausgebracht. Sein neues Album bei BERLIN CLASSICS dürfte allerdings gespaltene Aufnahme finden (030176BC). Mit der klassischen Band SPARK hat er Ende 2020 im WDR Funkhaus Köln unter dem Titel „Closer to Paradise“ 15 Titel produziert. Die Spanne reicht vom Barock und Liedern der deutschen Romantik über Songs von Kurt Weill und italienischen Canzonen bis zu französischen mélodies und Chansons. Nicht nur die kühne Mischung des Programms, wo sich sogar ein Titel von Rammstein findet, dürfte für Irritationen sorgen, auch die Arrangements der Kompositionen und deren Interpretation durch die Band sind gewöhnungsbedürftig.

Über jede Kritik erhaben ist die Stimme, welche sich bis in die oberste Region betörend entfaltet, nie grell oder angestrengt wirkt. Die erste Nummer (von Daniel Koschitzki) gab der Platte den Titel. Sie ist melodisch und stimmungsvoll, lässt die Stimme sich aufschwingen in die exponierte Lage, was der Interpret glanzvoll bewältigt. Die folgende Komposition von Eric Satie, „Les Anges“, ist ein angenehmer Ruhepunkt mit nachsinnendem Narrativ. Aus dem Rahmen fällt der nächste Vokalbeitrag mit Anastasios Arie „Vedrò con mio diletto“ aus Vivaldis Giustino. Hier dürfte der Sänger sich in vertrauten Gefilden bewegen, allerdings ist das Arrangement des Stückes befremdlich. Mit seinem Vortrag erweist er sich freilich als versierter Barock-Interpret. Reizvoll ist der Song „One Caress“ von Martin Gore, in dem Sabadus Spitzentöne virtuos antippt, der folgende Titel, „Seemann“, von Oliver Riedel (Edition Rammstein) wirkt sehr eigenwillig durch den Wechsel der Falsett- und Baritonlage. Die Canzone „Caruso“ („Te voglio bene“) haben alle großen Tenöre gesungen, hier erklingt sie in einem angenehmen Arrangement für Klavier von Stefan Belazsovics und Christian Fritz. Auch Sabadus gefällt mit seiner geschmackvollen Interpretation, die immer zurückhaltend bleibt und nie prahlerisch wirkt. „Youkali“ aus Kurt Weills Marie Galante ist unvergessen in der Deutung von Teresa Stratas auf ihrer Weill-Platte. Dagegen ist Sabadus ohne Chance, wenn man ihm auch eine blendende Bewältigung der Tessitura bescheinigen kann. Sehr charmant gelingt dem Sänger Léo Ferrés „Écoutez la Chanson bien douce“, während Schumanns „In der Fremde“ aus dem Liederkreis ein fataler Missgriff ist mit heulender Stimme und ärgerlicher Artikulation. Glücklicherweise kann er mit Gabriel Faurés träumerischem „Au bord de l’eau“ den Eindruck revidieren und mit dem von Chopin inspirierten Schlusstitel „Could it be magic“ von Barry Manilow für einen stimmungsvollen Ausklang sorgen. Nach diesem bizarren Cross-over-Album wünscht man sich bald wieder ein Barockrecital des Sängers. Bernd Hoppe

Mehr als der „russische Brahms“

.

Sergej Tanejew (1856-1915) ist neben Alexander Glasunow die prominenteste Gestalt der russischen Komponistengeneration zwischen seinen Lehrern Peter Tschaikowski und Anton Rubinstein auf der einen Seite und seinen Schülern Sergej Rachmaninow und Alexander Skrjabin auf der anderen. Als Professor und zeitweiliger Direktor des Moskauer Konservatoriums hatte er einen maßgeblichen Einfluss auf letztere, neben anderen Schülern wie Reinhold Glière, Paul Juon und Nikolaj Medtner. Umfassend gebildet, interessierte er sich für Philosophie, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften und kannte Leo Tolstoj persönlich. Die Revolution von 1905 führte zu Tanejews selbstgewähltem Rückzug vom Konservatorium und zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Konzertpianist. Sein Werk umfasst neben vier Sinfonien vor allen Dingen die Operntrilogie Oresteia, die Kantate Johannes von Damaskus sowie einiges an Kammermusik. Nachdem er sich weitgehend von der Komposition zurückgezogen hatte, starb Sergej Tanejew mitten im Ersten Weltkrieg 68-jährig an einer Lungenentzündung, die er sich bei der Beerdigung Skrjabins zugezogen hatte.

Naxos bringt nun auf vier CDs eine Kollektion mit Orchesterwerken (Naxos 8.504060), sämtlich interpretiert von Thomas Sanderling und zwei russischen Klangkörpern, dem Akademischen Sinfonieorchester Nowosibirsk sowie dem Russischen Philharmonischen Orchester. Thomas Sanderling, der Sohn des berühmten Kurt Sanderling (1912-2011), ist genuin eng mit Russland verbunden, wurde 1942 in Nowosibirsk geboren und war dem dortigen Orchester zwischen 2017 und 2022 als Chefdirigent vorgestanden. Die Naxos-Aufnahmen erschienen zuvor bereits einzeln zwischen 2008 und 2010. Die nunmehrige Neuauflage als Box ist sehr zu begrüßen, handelt es sich doch um eine künstlerisch wie klanglich astreine Angelegenheit mit einer ansprechenden Idiomatik.

Die 1898 komponierte und Glasunow gewidmete vierte Sinfonie in c-Moll op. 12 ist fraglos das wichtigste Orchesterwerk Tanejews und ganz allgemein eine der wichtigsten russischen Sinfonien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Von der Kritik hochgelobt – Rimski-Korsakow sprach gar vom „besten zeitgenössischen Werk“ – unterstrich die Vierte den Ruf Tanejews als genialen Beherrscher des Kontrapunkts. Obschon man ihn den „russischen Brahms“ hieß – was er selbst scharf zurückwies –, gemahnt die dem viersätzigen, etwa 40-minütigen Werk innewohnende Dramatik gleichzeitig auch an Beethoven, ohne ihren russischen Charakter zu verleugnen. Bereits zwei Jahrzehnte zuvor animierte der erste Entwurf zu Tanejews zweite Sinfonie in B-Dur (1875-1878) seinen Kompositionslehrer Tschaikowski zur Aussage, dass dies nicht mehr länger das Werk eines bloßen Studenten sei. Trotz der Ermutigung beließ es Tanejew aber bei einem Fragment, vollendete einzig den Kopf- und Schlusssatz, beließ das Andante bruchstückhaft und das Scherzo gänzlich unvollendet. Erst 1977 ging der sowjetische Musikwissenschaftlicher Wladimir Blok daran, das Andante zu orchestrieren und eine erste Edition des nun dreisätzigen Werkes herauszugeben. Dies ist auch der Grund, wieso die Zweite keine Opuszahl trägt. Machtvoll, heroisch und zuweilen episch mutet sie an und ist wie eine Vorahnung auf die Vierte.

Weniger im Fokus des Interesses stehen die erste Sinfonie in e-Moll von 1874 und die dritte Sinfonie in d-Moll von 1884. Ist im Falle der Ersten der übermächtige Einfluss Tschaikowskis nicht zu leugnen (besonders die sogenannte Kleinrussische dürfte Pate gestanden haben), so bezeugt die Dritte doch einen ausgefeilteren eigenen Personalstil. Tanejews Perfektionismus führte indes dazu, dass weder die Erste noch die Dritte zu seinen Lebzeiten publiziert wurden, womit sie das Schicksal der Zweiten teilen. Die Partitur der Sinfonie Nr. 3 hat Tschaikowski auch kritischer beurteilt und seinem ehemaligen Schüler Ratschläge übermittelt, die sich dieser offenbar durchaus zu Herzen nahm. Die Uraufführung im Jahre 1885 des Anton Arenski gewidmeten Werkes blieb über Jahrzehnte hin die einzige; erst 1947 erschien eine Edition.

Bezeichnend ist es, dass in Sowjetzeiten für Melodia einzig die zweite und die vierte Sinfonie eingespielt wurden, wofür Wladimir Fedossejew (Nr. 2), Gennadi Roshdestwenski (Nr. 4) und Jewgeni Swetlanow (Nr. 4) verantwortlich zeichneten. Im direkten Vergleich mit diesen klassischen Aufnahmen unterliegen die für sich genommen sehr guten Lesarten Sanderlings dann doch um Nuancen, auch wenn er für die Sinfonien Nr. 1 und 3 die erste Empfehlung bleibt.

Tanejews einzige Oper Oresteia (Libretto: A. A. Wenkstern nach Aischylos) entstand zwischen 1887 und 1894 und wurde 1895 im Sankt Petersburger Mariinski-Theater uraufgeführt. Die ursprünglich intendierte Ouvertüre datiert bereits auf 1889 und entwickelte sich rasch zu einem eigenständigen Werk, das unabhängig von der Oper zur Aufführung gelangte. Es handelt sich um das einzige programmatische Orchesterwerk, das der Komponist je schuf, und umfasst beinahe sämtliche wichtigen Themen der Oper. Der Entr’acte Der Tempel des Apollon in Delphi ist wiederum das bekannteste Orchesterstück aus der eigentlichen Oper und steht als Zwischenspiel im dritten Akt derselben. In dieser Oresteia-Musik ist Tanejew Wagner so nahe wie nie. Weitere, womöglich nicht ganz so herausragende aber handwerklich ansprechende Orchesterwerke aus der Feder Tanejews umfassen das Adagio C-Dur (1875), die Ouvertüre d-Moll sowie die Ouvertüre über ein russisches Thema (1882). Sie wurden dankenswerterweise für diese Edition berücksichtigt. Mit der Canzona für Klarinette und Streicher (1883) wählte der Komponist ein im späten 19. Jahrhundert bereits aus der Mode gekommenes Genre. Als Solist fungiert Stanislav Jankovsky. Bei der spät entstandenen Suite de concert (1909) handelt es sich schließlich um ein ausgedehntes, dreiviertelstündiges Konzert für Violine und Orchester in fünf Sätzen, wobei der vierte Satz aus einem Thema und sechs Variationen besteht. Solistisch tritt Ilya Kaler in Erscheinung.

Hinsichtlich Tanejews Vokalmusik steht zuvörderst die berühmt gewordene dreisätzige Kantate Johannes von Damaskus (1884), gewidmet dem letzten der Kirchenväter Johannes dem Damaszener (um 675 bis um 750). Das einleitende, sinfonische geprägte Adagio macht mit 15 Minuten das Gros des Werkes aus, gefolgt von einem sehr knappen, kaum dreiminütigen Mittelsatz, der in das stellenweise monumentale Finale überleitet (8 Minuten). Es brilliert kongenial der Akademische Gnessin-Chor. Mit diesem opus 1 schuf Tanejew seine erste seriöse und zugleich vielbeachtete Komposition. Daneben hat Sanderling unter Beteiligung des Kammerchors der Nowosibirsker Staatsphilharmonie auch die vergleichweise unbekannte Kantate auf Puschkins Exegi monumentum (1880) eingespielt, ein außerordentlich kurzes, nicht einmal fünfminütiges Werk, welches auf zwei Versen des besagten Gedichts von Alexander Puschkin beruht, a capella beginnt und recht archaischen Charakters ist.

Der Klang dieser zwischen 2006 und 2008 im Studio des Westsibirischen Rundfunks in Nowosibirsk sowie im Studio 5 des Russischen Staatlichen Fernsehens und Rundfunks in Moskau entstandenen Produktionen ist glücklicherweise auf demselben hohen Niveau wie die künstlerische Darbietung durch alle Beteiligten. Die Textbeilage fällt labeltypisch gediegen und ausreichend aus und stellt angesichts des günstigen Preises keinen Grund zum Tadel dar. Daniel Hauser

„HENRY VIII“ VON SAINT-SAENS

.

Odyssey Opera New York ist operalounge.de-Lesern keine unbekannte Firma, haben wir doch von nicht allzu langer Zeit die Neueinspielung der Reine de Saba Gounods vorgestellt. Vor allem der großartige Sound der Einspielung (machtvoll dirigiert von Gil Rose)  wurde gelobt, wenngleich vielleicht die Neuerscheinung als solche wichtiger war als die sängerische Bewältigung, mangelte es doch von dieser Oper an einer seriösen Stereo-Aufnahme aus moderner Zeit und so spannend ist sie auch nicht, von zwei Arien abgesehen).

So ist es auch mit der gerade erschienenen Odyssey-Aufnahme von Henry VIII von Saint-Saens (von 1883 mit einem Libretto von Pierre-Léonce Détroyat und Paul-Armand Silvestre nach Pedro Calderón de la Barcas) unter dem – großartige orchestrale Klanggemälde der Düsternis und pulsierender Spannung zaubernden – Dirigenten Gil Rose am Pult des Odyssey-Orchesters und –Chores. Und es gibt das für das damalige Paris unerlässliche große Ballet, sehr schmissig. Dieser Aspekt der Aufnahme wird hervorragend bedient. Ich bin mir bei den Sängern nicht so sicher. Michael Chioldi, Ellie Dehn, Hilary Ginther, David Kranitz und andere singen tapfer, und man stellt anerkennend fest, wie exzellent junge Amerikaner das französische Idiom beherrschen (Yeghishe Manucharyan hingegen absolut unverständlich) . Und dennoch spürt man hier – im Vergleich zu vorhandenen nationalsprachigen Dokumenten – eher eine Gutgelerntheit als eine idiomatische Verwurzelung im Text, dessen Beherrschung und damit der Rollengestaltung.

.

Der tüchtige und exkavationsfreudige Leon Botstein hatte zuletzt  2012 in in einem Konzert in New York die rekonstruierte, originale  Fassung der Oper vorgestellt und mit einer amerikanischen Crew (Jason Howard, Ellie Dehn, Jennifer Holloway, Jeffrey Tucker und anderen) für einen soliden Eindruck gesorgt (youtube bringt´s mal wieder).

.

Aber es sind die beiden französischen Dokumente, zu denen man sich wenden muss, wenn man die Oper als eine französische Grand-Oper hören will. Da ist zum einen die frühere szenische Aufführung von 1991 aus dem ehemaligen Mecca der Grand-Opéra, das Théâtre Imperial von Compiegne, damals unter der fruchtbaren Leitung von Pierre Jourdan, wo Alain Guingal eine hochkarätiger nationalsprachige Besetzung dirigierte: Michele Command, Philippe Rouillon, Lucile Vernon und der schönstimmige Tenor Alain Gabriel (den wir in Aubers Königsdrama und anderen Aufnahmen aus diesem Hause wiederfinden). Das ist eine akustisch zwar etwas enge aber rundherum befriedigende Aufnahme des Werkes, nachzuerleben als DOM-Video und CD (allerdings vergriffen/ Amazon, aber bei youtube nachzuhören).

Noch luxuriöser besetzt und natürlich bei Sammlern zu Hause ist die Aufführung von 1999 unter John Pritchard vom französischen Rundfunk mit Francoise Pollet machtvoll als Anne Boleyn neben Magali Damonte (wunderbar) und Alain Fondary in Montpellier (konzertant) und Lyon (dort szenisch). Dazu kommen mit Christian Lara, Claude Meloni und Daniel Galvez-Gallejo weitere erste französische Sänger der Zeit. Also unbedingt bei youtube nachhören. Dies ist die wirklich ultimative Aufnahme einer der für mich wenigen spannenderen Opern von Saint-Saens, die allerdings wie der abgedudelte Samson ihre „gefährlichen Längen“ hat und sich gerne im Dickicht der mäandernden Rezitative verliert.

Auch haben andere diese Oper bestritten, so Sherrill Milnes und Cristina Deutekom in einer englischsprachigen Serie in San Diego 1983 (Legendary Recordings/vergriffen). Montserrat Caballé folgte neben Simon Estes, Nomeda Kazlaus und Charles Workman 2002 am Liceu in Barcelona (wo die Diva als Miteigentümerin des damalsnoch nicht abgebrannten Theaters ja wirklich alles singen durfte), nachzuerleben für die ganz hartgesottenen Fans bei youtube. Mais pas de tout francais …

Anders als beim Samson ist es bei Henry VIII eher schwierig, so etwas wie „Ohrwürmer“ festzumachen. Vielleicht der große Monolog des Königs im 1. Akt: „Qui donc commande, quand il aime?“ (dazu sehr empfehlenswert Michel Dens bei youtube, Bernard Krysen dto), das wirklich tolle Duett der beiden Damen im vierten („Je ne te reverrai jamais“), auch das Männerduett im 1. Akt: „Trop heureux, Don Gomez, de vous revoir ici!“ und der große Monolog/ eher Lamento der Anne Boleyn im letzten Bild. Aber irgendwie bleibt wenig Musik im Kopf hängen, andere Komponisten der Zeit wie Bizet oder Gounod waren da erfolgreicher (naja nicht immer, s. oben).

.

Der Bass Jean Lasalle sang Henry VIII in der Pariser Premiere 1883/ Ipernity

Aber angesichts der fehlenden verfügbaren offiziellen Aufnahmen wollen wir auf den hochinformativen Aufsatz des Berlioz- und Grand-Opéra-Kenners Hugh McDonald zurückgreifen, der der Odyssey-Aufnahme beiliegt, und damit die Oper selbst vorstellen, die hier zudem erstmals in der Kritischen Ausgabe von McDonald vorgestellt wird (die aber bizarrerweise nicht in Deutschland vertrieben wird, nicht einmal Amazon streamt sie – da fehlt´s am Vertrieb; dabei liegt mir ein physisches und dazu recht luxuriös ausgestattetes Exemplar vor, allerdings als Direktimport aus New York…immerhin zum stolzen Preis von 65.- $, nur online dann 35.- $) . Deutliche musikalische Unterschiede und zurückgenommene Kürzungen werden hier erklärt. Unser Dank gilt wieder einmal dem großzügigen britischen Autor, uns seinen Text überlassen zu haben. Wieder hat Daniel Hauser übersetzte Daniel Hauser aus dem originalen Englisch. G. H.

.

Die große Lucienne Bréval sang Catherine d´Aragon in der Pariser Premiere des „Henry VIII“ 1883 / Ipernity

Und nun Hugh McDonald: Nach Samson et Dalila, der zweiten Oper von Saint-Saëns, war seine fünfte Oper Henry VIII die am häufigsten aufgeführte der elfteiligen Serie. Sie erfreute sich in den vierzig Jahren nach ihrer Premiere im Jahre 1883, also ungefähr den verbleibenden Jahren im langen Lebens des Komponisten, großer Beliebtheit. Um 1900 war sie in ganz Europa zu hören und erlebte bis 1918 Wiederaufnahmen in Paris.

Darauf war Saint-Saëns sehr stolz. Das Werk wurde 1880 von der Pariser Opéra in Auftrag gegeben, und da er kein Glück gehabt hatte, sie davon zu überzeugen, entweder Samson et Dalila (die biblische Geschichte war der Knackpunkt) oder Étienne Marcel (er war nur in Lyon zu hören) aufzuführen, und da seine beiden anderen Opern, La Princesse jaune und Le Timbre d’argent, nur an den kleineren Pariser Theatern zu sehen waren, war es wichtig, einen starken Eindruck zu hinterlassen. Saint-Saëns hätte ein französisches historisches Thema vorgezogen, aber da er zu dieser Zeit mit Konzerten in London beschäftigt war, beschloss er, die Tudor-Dynastie zu erforschen, um der Musik eine authentische englische Note zu verleihen. Jede Woche ging er für zwei Stunden zum Buckingham Palace und erkundete die königliche Musiksammlung. In einem jungfräulichen jakobäischen Buch (ein Jahrhundert zu spät für Heinrich VIII.) fand er einige Melodien, die ihm gefielen, und diese wurden zur Grundlage für das Präludium der Oper und für einige spätere Szenen.

„Henry VIII“ von Saint-Saens: Francoise Pollet/ Catherine d´Aragon und Alain Fondary/Henry VIII  1989/ OBA

Seine Librettisten waren ein Journalist, Léonce Détroyat, der zuvor keine Libretti oder Theaterstücke geschrieben hatte, und ein Dichter, Armand Silvestre, dessen Aufgabe es war, die Verse zu liefern. Die Handlung wurde hauptsächlich von einem Theaterstück des spanischen Dramatikers Calderón aus dem 17. Jahrhundert mit dem Titel The Schisma in England abgeleitet, das die Geschichte der verworrenen Scheidung Heinrichs VIII. von seiner ersten Frau Katharina von Aragon aus spanischer Sicht erzählte. Der spanische Botschafter, Don Gomez de Féria, wird als Anne Boleyns Liebhaber vorgestellt, eine Tenorrolle, und da Katharina von der Vergangenheit ihrer Rivalin weiß und Heinrich unbedingt mehr darüber erfahren möchte, hat sie genau in dem Moment einen starken Trumpf, als Heinrich Anne vorzieht, der Bruch mit Rom droht und ihre eigene Gesundheit kritisch ist. Sie stirbt am Ende der Oper, ohne jemals preiszugeben, was sie weiß. Katharina ist die sympathischste Figur in der Oper, denn Anne setzt Heinrichs amourösen Avancen nichts entgegen, ist sie doch schnell von der Aussicht verführt, Königin zu werden.

Die Handlung stützt sich auf Shakespeares Henry VIII. Dies sorgt für das großartige Finale des ersten Akts, wo eine Prozession hinter der Bühne, die den Herzog von Buckingham zum Schafott führt (uns wird nicht gesagt, warum), auf der Bühne von Heinrichs schamloser Aufmerksamkeit gegenüber Anne kontrapunktiert wird, und dies in Gegenwart von Don Gomez, deren Geliebten, und Katharina, seiner Frau, die sich der bitteren Ironie süßer Worte auf den Lippen eines brutalen Tyrannen bewusst werden. Ebenfalls von Shakespeare stammen die Figuren Norfolk, Surrey, Cranmer und der päpstliche Legat.

„Henry VIII“ von Saint-Saens: 3. Akt, Bild 1, Bühnebild von Mols/Michelet/ BNF Gallica

Im Sommer 1882 war die großangelegte Partitur fertig und es ging an die Proben an der Opéra. Wie Verdi bereits bei Les Vêpres siciliennes und Don Carlos festgestellt hatte, war es nicht einfach, dort (oder in irgendeinem großen Opernhaus) zu arbeiten, wenn so viele willensstarke Menschen mit festen Meinungen beteiligt waren, die Änderungen, Kürzungen und zusätzliche Arien forderten. „Keine einzige Szene blieb unberührt“, sagte Saint-Saëns später. „Nie wieder werde ich mich solchen Belästigungen und Demütigungen aussetzen.“ Umfangreiche Ballette waren an der Opéra obligatorisch, also lieferte Saint-Saëns eine Reihe von Tänzen (ziemlich widernatürlich in den zweiten Akt eingefügt, genau in dem Moment, als der päpstliche Legat mit „ernsten Neuigkeiten“ eintrifft, für die er keine Zeit hat, sie zu überbringen). Der ursprüngliche Plan beinhaltete einen fünften Aufzug, der die Geschichte über Annes Sturz hinaus bis zur Ankunft der nächsten Frau, Jane Seymour, führen sollte, aber dieser wurde in einem frühen Stadium fallen gelassen. Die Synodenszene im dritten Akt, in der der päpstliche Legat die gegensätzlichen Behauptungen von Heinrich und Katharina anhört, bot eine hervorragende Gelegenheit für ein Spektakel und die Beteiligung der Menge, die Heinrichs abrupte Erklärung einer unabhängigen Kirche von England begeistert bejubelt. Im Allgemeinen dient der politische und religiöse Konflikt jedoch nur als Hintergrund für die persönlichen Spannungen, die durch Heinrichs impulsiven und rücksichtslosen Charakter entstehen.

„Henry VIII“ von Saint-Saens: Das Ballett/Méaulle Toussaint 1883/ BNF Gallica

Trotz aller Produktionsprobleme war die Oper ein Erfolg, als sie im März 1883 uraufgeführt wurde. Die Sänger waren die besten auf der Liste der Opéra und die Bühnenbilder und Kostüme wurden von Eugène Lacoste, der wie Saint-Saëns nach London ging, gewissenhaft an zeitgenössische Quellen angelehnt erstellt, um ein authentisches Design zu erzielen. Viele der Kritiker, die mit der Beurteilung des neuen Werks beauftragt waren, beschäftigten sich mit der Frage des Wagnerismus, der grob missverstanden wurde. Saint-Saëns hatte Mozart immer als das perfekte Modell für Präzision und Ausgeglichenheit angesehen, während er etablierte Traditionen der italienischen und französischen Oper akzeptierte, die eine Abfolge separater Szenen und Episoden präsentierten. Dennoch verband er die Hauptfiguren mit einem reichen Netz von Leitmotiven, die unter intensiven inneren Qualen leiden und sie in einer Musik zum Ausdruck bringen, die das ganze Geschick des Komponisten in harmonischer und struktureller Komplexität erforderte. Henry VIII wurde 1886, 1888, 1889, 1891, 1892 und zur großen Zufriedenheit von Saint-Saëns noch 1917 an der Opéra wiederaufgenommen, als der Komponist zweiundachtzig Jahre alt war.

Im Laufe des langen Daseins des Komponisten wurde Henry VIII in Prag, Frankfurt, Gent, Mailand, Moskau, Madrid, London, Den Haag, Antwerpen, Kairo, Barcelona, Algier, Monte Carlo und einem halben Dutzend französischer Städte aufgeführt. Seit seinem Tod 1921 verschwanden alle seine Opern bis auf Samson et Dalila fast vollständig von den europäischen Bühnen, ein bitterer Schicksalsschlag, der dadurch bedingt war, dass er bis in die Nachkriegszeit lebte, als sich Geschmack und Mode radikal änderten. Die Ära der Automobile und Aeroplane bot keinen Platz für Relikte des vorigen Jahrhunderts. Dieses Schicksal teilte Saint-Saëns‘ großer Rivale Massenet, aber während Massenets Opern schließlich die Anerkennung zurückerlangten, die sie verdienen, hatten Henry VIII und seine Gefährten noch nicht so viel Glück.

„Henry VIII“ von Saint-Saens: Montserrat Caballé/ Catherine d´Aragon und Simon Estes/ Henry VIII 2002 in Barcelona/ Liceu

Seit 1921 war Henry VIII nur 1935 in Brüssel, 1983 in San Diego (amerikanische Erstaufführung), 1991 in Compiègne und 2002 in Barcelona auf der Bühne zu sehen. Ein versprochenes Bühnen-Revival in Brüssel 2021 anlässlich des 100. Todestages des Komponisten wurde zwangsläufig verschoben. Darüber hinaus gab es konzertante Darbietungen der Oper in Montpellier im Jahre 1988 und beim Bard Festival im Jahre 2012. Die konzertante Aufführung der Oper durch die Bostoner Odyssey Opera im September 2019, auf diesen CDs aufgezeichnet, war von besonderer Bedeutung, da sie gewisse Passagen und Szenen enthielt, die seit 1883 nicht mehr und in manchen Fällen wahrscheinlich überhaupt noch nie gehört worden waren.

Der Überarbeitungsprozess betraf hauptsächlich den zweiten und dritten Akt, wobei die Akte I und IV mehr oder weniger unverändert blieben. Der erste Akt stellt den spanischen Botschafter Don Gomez vor, der in Anne Boleyn verliebt ist. Heinrich hat sie zur Hofdame von Königin Katharina ernannt, um sie ihm am Hofe näher zu bringen. Gomez hat einen Brief von Anne, der ihre Liebe bestätigt, und hat ihn seiner Landsfrau, der Königin, zur Aufbewahrung übergeben. Belastende Briefe, die aus anderen Opernhandlungen bekannt sind, sorgen für eine entscheidende Wendung am Ende dieser Oper.

Ihr Versagen, einen Sohn zu gebären, erlaubt es Heinrich, die Gültigkeit der Ehe in Frage zu stellen, da sie früher mit Heinrichs älterem Bruder Arthur verheiratet gewesen war, welcher jung starb. Die Königin, die Spanierin und gläubige Katholikin ist, kann sich nicht vorstellen, dass Heinrich eine Scheidung beabsichtigt, und da sie Beweise für Annes Liebe zu Gomez hat, ahnt sie noch nicht, dass Heinrich Pläne für eine neue Ehefrau hegt.

Magali Damont (hier bei einem Konzert als Carmen/youtube) singt die Anne Boleyn in „Henry VIII“ von Saint-Saens in Montpellier 1989

Der zweite Akt spielt im Richmond Park, etwas außerhalb von London. Die Chorszene für Soprane und Tenöre zu Beginn dieses Akts ist ein hervorragendes Beispiel für Saint-Saëns‘ Zartheit und Raffinesse. Anne und Gomez haben jetzt ein unbehagliches Verhältnis, und eine Szene für Heinrich und Anne offenbart seinen Wunsch, sie zur Frau zu nehmen. Die Aussicht auf den Thron bringt ihren zugrunde liegenden Ehrgeiz zum Vorschein, und eine Szene zwischen Anne und der Königin betont das moralische Recht der Königin und Annes unverhohlenen Eifer, sie zu ersetzen. Dieser Akt, der aus einer Reihe von Duetten besteht, benötigt ein Ensemble, um ihn abzuschließen, ein Bedarf, der von Saint-Saëns mit einem beeindruckenden Septett (tatsächlich sind es acht Stimmen, nicht sieben) besorgt wurde, das 1883 als Zugeständnis an den Soprangesang der Königin allerdings gestrichen und nie ersetzt wurde. Es war vor dieser Aufnahme noch niemals aufgeführt worden, obwohl das Publikum sicherlich zustimmen wird, dass es ein starker Kunstgriff ist, der den Akt nobel beschließt.

An dieser Stelle kommt das Ballett, das ein unverzichtbarer Bestandteil aller großen Opern in Paris war, mit sieben abwechslungsreichen Tanzsätzen. Saint-Saëns war besonders begabt auf dem Gebiet der Ballettmusik, die sein Können in verschiedenen Arten von Tanzbewegungen und in farbenfroher Orchestrierung zeigt.

Die erste Szene des dritten Akts, die in allen Aufführungen nach 1883 gekürzt, aber in dieser Aufnahme vollständig zu hören ist, spielt in den Gemächern des Königs. Durch die Wiederherstellung der vollen Rolle des Legaten wird die moralische Position der Königin nachhaltig gestärkt. Heinrich ist entschlossen, sich dem Papst zu widersetzen, indem er sich selbst zum Oberhaupt der englischen Kirche erklärt, was von vielen als undenkbares Schisma mit Gottes Kirche, als Bruch mit Roms Autorität oder unverkennbar als eine frühe Version des Brexit angesehen wird. Die Frage der Unabhängigkeit Englands von europäischer Kontrolle bleibt bis heute ein brennendes Thema.

Michele Command sang die Catherine d´Aragon 1991 in Compiegne/ DOM Video

Der zweite Teil des dritten Akts erforderte eine spektakuläre Inszenierung, da er in der Pracht der Westminster Hall (heute noch unverändert) mit einer großen Gruppe von Sängern, die Würdenträger von Kirche und Regierung sowie das einfache Volk repräsentieren, angelegt war. Der Begehr des Königs, also der Bruch mit Rom und die Scheidung von der Königin, wird von Cranmer, dem Erzbischof von Canterbury, unterstützt, obwohl die Königin sehr bewegend für ihre Sache eintritt. Gomez droht damit, dass Spanien den Krieg erklären würde, ein Schritt, der bei den englischen Lords Empörung hervorruft, da ein Ausländer ihnen dergestalt droht. Die Richter erklären Heinrichs Ehe für nichtig und illegitim, woraufhin der Protest und Bann des Legaten auf taube Ohren stößt. Geballte Stimmen bringen diese gewaltige Szene zum Abschluss.

Der vierte Akt spielt zunächst in Anne Boleyns Gemach. Sie ist jetzt Königin, während Catharine ´Aragon, die Ex-Königin, nach Kimbolton Castle geschickt wurde, sechzig Meilen nördlich von London. Wir erfahren, dass Anne nicht glücklich ist, während der König sich in wilder Eifersucht auf ihre Beziehung zu Gomez ergeht. Die zweite Szene ist in Kimbolton angesiedelt. Das Pathos von Chaterine Schicksal kommt in ihrer Soloszene wunderbar zum Ausdruck. Die Konfrontation zwischen der Königin und Anne in diesem Akt, obwohl historisch dürftig, gibt eine hervorragende Theatralik ab, und der Höhepunkt der Oper erfolgt in der letzten Szene, als Heinrich eintrifft, entschlossen, Catharine den Beweis zu entlocken, dass Anne und Gomez ein Liebespaar sind. Gomez ist auch dabei, also können die Stimmen ein Quartett bilden, das Saint-Saëns widerstrebend aber gekonnt geschrieben hat, um einen denkwürdigen Abschluss der Oper zu bieten. Dies ist zu viel für Catharine, die den schicksalhaften Brief ins Feuer wirft und dann ihr Leben aushaucht.

Der Autor: der Musikwissenschaftler Hugh McDonald/ Hector Berlioz website

Catherines Musik ist durchweg exemplarisch und gewinnt immer unsere Sympathie, während Heinrich, der wahrheitsgemäß als überlebensgroß bezeichnet werden kann, niemals den Qualen des Königtums ausgesetzt ist, die von Shakespeares Heinrich VI. oder Berlioz‘ Herodes beklagt werden. Obwohl Heinrich VIII. ein Mann von hoher Kultur und sogar ein Komponist mit moderatem Talent war, versucht Saint-Saëns, muss man sagen, nicht, ihn in diesen Farben zu zeichnen, uns am Ende mit seiner abschließenden Anrufung der Axt als sein bevorzugtes politisches und persönliches Instrument zurücklassend. Hugh McDonald/ Übersetzung Daniel Hauser

.

Camille Saint-Saëns (1835-1921): Henry VIII (Complete, original version, 1883); Henry: Michael Chioldi (baritone); Catherine d’Aragon: Ellie Dean (soprano); Anne Boleyn: Hilary Ginther (mezzo-soprano); Don Gomez de Feria: Yeghishe Manucharyan (tenor); Le duc de Norfolk: David Kravitz (baritone); Cardinal Campeggio, the Legate: Kevin Deas (bass-baritone); Odyssey Opera Orchestra & Chorus/Gil Rose; rec. live, 21 September 2019, Jordan Hall, Boston, USA; French libretto with English translation; First recording of this version; ODYSSEY OPERA 1005 [4 CDs: 224]; https://odysseyopera.bandcamp.com/album/camille-saint-sa-ns-henry-viii

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Frida Leiders Lebensgefährtin

.

Was ist eigentlich mit den Lebensgefährten berühmter Sänger und Musiker, die im  Schatten der Großen von der Öffentlichkeit unbekannt gern vernachlässigt werden und ein Dasein im Schatten führen? Wie oft sind besonders sie es, die den Illustren Halt und die Haftung an der Realität geben. Es ist ein schwieriges Leben für eben diese. Die Ehemänner werden gerne als „Kofferträger“ belächelt, und die Frauen bleiben zu oft (mit und ohne Kinder) zu Hause während der auswärtigen Auftritte oder verbringen zu viel Zeit in Hotels.

Und natürlich gibt es Beziehungen des Gebens und Nehmens, liebevolles Miteinander, enge Verbindungen der intimen Freundschaft bei Nichtverheirateten, Lebensgemeinschaften wie sie die berühmte Sängerin Frida Leider und Hilde Bahl gelebt haben. Ich hatte das ganz große Glück beide noch kennnengelernt zu haben, die Leider kurz vor ihrem Tod und Hilde Bahl in den Jahren danach hin und wieder besucht.

Hilde Bahl, Frida Leiders Lebensgefährtin/ Foto Sommeregger/ Frida-Leider-Gesellschaft

Anlass für meine Wiedererinnerung dieser Begegnungen ist der neue Symposiumsbericht Musik und Homosexualitäten im Testrem Verlag, das Dieter David Scholz für uns rezensierte und in dem Eva Rieger, bekennende lesbische Frauenforscherin und Professorin, sich zwar für die Rehabilitierung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen einsetzt, gleichzeitig aber eine intime Beziehung zwischen Leider und Bahl vehement und im Vorfeld auch legalistisch bedrohend abstreitet.  Das Kompendium von Eva Rieger über Frida Leider, das Rüdiger Winter bei operalounge.de besprach (Himmel, ist das Buch banal!), verärgerte neben einer Vielzahl von sachlichen Fehlern auch durch akute Auslassungen eines ganzen Lebens-Bereiches von Frida Leider. Diese betreffen ihre Lebens-Gefährtin Hildegard Bahl, die hier unter die Räder des Nicht-Wahrhabenwollens und Vergessenmachens geraten ist. Sie hat rund 30 Jahre mit der Leider engstens zusammengelebt. Nicht als „Haushälterin“ (wie Frau Rieger en passant erwähnt: in einer 3-Zimmer-Wohnung?). Kein Foto von Hilde im Rieger-Buch natürlich. Aber ein Stein mit dem Namen „Hilde“ steht auf dem Grab der Leider und Gatte Deman auf dem Friedhof am Berliner Olympiastadion! Eben!

Was ich miterlebte, war es eine liebe-volle Beziehung, wie sie sich mir bei meinen Besuchen bei Frida Leider und später bei Hilde Bahl in ihrer gemeinsamen 3-Zimmer-Wohnung in der Oldenburgallee im Berliner Westend offenbarte. Andere Zeitzeugen wurden von der Rieger offenbar ebenso wenig gehört wie ich: Schüler, Freundinnen, Hochschulkollegen oder besonders Liva Lagger, die Frau des Berliner Bassisten, die mit beiden Frauen eng befreundet war und die die Übersiedlung von Hilde Bahl ins Altersheim, die Beerdigung der Bahl und den ganzen Nachlass regelte. Auch sie hätte erhellende Details zum Leben der Leider und der Bahl beibringen können…. Dies aber war ganz offensichtlich nicht gewollt.

Hilde(gard) Bahl ist gemeinsam mit ihren Eltern und einer Schwester auf dem Friedhof in Berlin-Schmargendorf bestattet. Foto: Winter

Ich lernte Frida Leider durch meine Gesangslehrerin Elisabeth Grümmer kennen. Man nahm mich zu einer Geburtstagsfeier mit, wo ich auch Hilde Bahl traf – eine bezaubernde Frau, die wie eine alt gewordene Lillian Harvey aussah und sich auch so mädchenhaft bewegte –, die jugendlich-helle Stimme wie ein Vögelchen, ganz reizend. Ich wurde der Leider vorgestellt und kam mit ihr ins Gespräch,  aber da war Sympathie zwischen uns.

Sie lud mich jungen Musikjournalisten sehr liebenswürdig ein, ohne den Trubel wieder zu kommen. Was ich tat. Otto Gebühr frappierend ähnlich öffnete sie mit Stock und Hochfrisur die Tür (Musikfans erinnern sich an ihren TV-Auftritt beim Bayerischen Rundfunk mit dunkelbraunem Putz auf dem Haupt), sehr herzlich. Es gab Kaffee und Streuselkuchen („Hildchen, die Herren haben sicher Kaffeedurst“, sagte sie mit ihrer dunklen Sprechstimme). Wir saßen in dem kleinen Besuchszimmer vorne links mit den unbequemen 50er-Jahre-Möbeln um den dto. schrägbeinigen Couchtisch herum, die Leider mit tragendem, fabelhaft artikulierendem Alt von der Nachkriegszeit und deren Widernissen erzählend (kein gutes Wort über Konkurrentin Tiana Lemnitz), achselzuckend die Fehlschläge von eigenen Regiebemühungen kommentierend, ganz Generelles zum heutigen/damaligen Opernbetrieb (sie neigte zum Generellen, gab aber doch verschlüsselt Details preis). Sie hatte ein paar vielversprechende Schüler gehabt, wollte eine Stiftung für den Nachwuchs einrichten (die es dann ja auch wohl gab/gibt). Ich war beeindruckt von ihrer sehr starken Persönlichkeit, vor allem aber von der liebevollen und fast etwas amüsierten Nachsicht gegenüber der Bahl. Die zwischen Küche und Zimmer hin und her sauste („Hildchen, nun setz dich doch mal hin!“) und diente. Man spürte die intime, liebevolle Beziehung zwischen beiden. Das war eine gewachsene, enge Verbindung. Ich schied mit einem Kuchenpaket („Nehmen Sie nur, Sie können´s brauchen!“ sagte Otto Gebühr mütterlich, während die Bahl mit dem Staniol knisterte). „Kommen Sie doch wieder!“, was zu zwei weiteren Besuchen und zu einem schönen Interview führte.

Dann war die Leider gestorben (am 4. Juni 1975). Mitte der Achtziger wollte ich einen Artikel über diese große Sängerin schreiben (vielleicht kamen bei Preiser gerade die umgeschnittenen LPs als CDs heraus?), und ich kontaktierte Hilde Bahl. Die sich freute und erinnerte sich an mich. Sie lud mich wieder zu sich nach Hause in die Oldenburgallee ein. Die Wohnung war unverändert. Dasselbe kleine Zimmer, dieselben Fünfziger-Möbel. Fast derselbe Streuselkuchen. Nur der Kaffee diesmal dünner … An der Wand hing wie schon beim ersten Besuch ein Großfoto von Gundula Janowitz („Eine sehr gute Freundin! Brigitte Fassbaender auch“). Es war nicht schwierig, die Bahl zum Sprechen zu bringen – sie gehörte zwar der diskreten Generation an, aber sie sprach doch über manches Persönliche, das ich hier nicht wiedergeben möchte. Sie sprach über ihr langes Zusammenleben mit der Leider (stets „Frau Professor“ oder „Frau Kammersängerin“), dass sie mit ihr den kranken Leider-Ehemann Deman nach dem Krieg gepflegt hätte (Hilde Bahl erinnerte sich an die Hühnerbrühe zur Stärkung). Wie sie die Leider nach dem Tod der Mutter und später Demans gestützt hatte, auch als die Erfahrungen an der Staatsoper weniger nett wurden und die Opernklasse sowie die Regiearbeiten aufgegeben werden mussten. (Tiana Lemnitz hob wieder einmal ihr Haupt – parallel zur kleinen Vogelstimme der Bahl).

Hilde: Der Gedenkstein ist in das Ehrengabe von Frida Leider und Rudolf Deman auf dem Friedhof am Berliner Olympiastadion eingelassen. Foto: Winter

Hilde Bahl, die ich im Ganzen über die Jahre dreimal besuchte und von der es auf der Website der Frida-Leider-Gesellschaft ein schönes Altersfoto gibt, war eine wirklich entzückende alte Dame, deren funkelnde Augen bei schräggelegtem Kopf viel Humor verrieten, die ihrer Generation entsprechend zwar zurückhaltend blieb, aber doch auch über ihre Beziehung zur Leider sprach und durchscheinen ließ, wie eng sie beide verbunden gewesen waren. Da kamen viele Details des gemeinsamen Lebens zur Sprache…

Hildegard Bahl (1908 – 2013) kam aus gutem Hause. Der Vater Johannes Bahl war Ingenieur mit Professoren-Titel bei Siemens gewesen – wenn ich mich recht erinnere, die Familie lebte eine Zeitlang in Japan, wo Bahl-Vater für Siemens arbeitete. Sie wurde – höhere Tochter, die sie war – als Sekretärin ausgebildet (sie sprach Englisch und Französisch und war stolz auf ihre Steno) und arbeitete in einer Anwaltskanzlei, später als Gesellschafterin bei einer Sängerin (Altistin? ich kann mich nicht genau erinnern), bis sie das Ehepaar Leider-Deman kennenlernte und – ostentativ als Sekretärin – 1948 nach dem Tod der Leider-Mutter deren Gesellschafterin wurde (Ehemann Deman starb erst 1960). „Hausdame“ las ich bei der Rieger, was absurd ist angesichts der kleinen Wohnung. Sie war die Freundin, gar kein Zweifel. Nach dem Tod der Leider 1975 blieb sie in der gemeinsamen Wohnung und bewahrte sozusagen das Leidersche Erbe. Es gab ja Dokumente, von der Leider gemalte Bilder, manches mehr, das sie mir zeigte und mit dem sie sich verbunden fühlte.

„Das war mein Teil“: Die Erinnerungen von Frida Leider erschienen erstmals 1959 im Westen bei Herbig. 

Und sie wies noch beim letzten Besuch auf die liebevolle Betreuung durch Liva Lagger hin, die für sie alles regelte, die das kleine Haus im Brandenburgischen Pausin verkauft hatte und die (als spätere Universalerbin nach der Bahl?) das Geld für sie zusammen hielt. Ihr hat sie einen relativ unbeschwerten Lebensabend und die letzten Monate im Altersheim zu verdanken (sie starb 2013 und liegt bei ihrer Familie auf dem Dorffriedhof in Berlin-Schmargendorf, während auf Frida Leiders Efeu-überwachsenem Grab auf dem Friedhof am Olympia-Stadion immer noch der Stein mit dem Namen „Hilde“ die Nähe der beiden auch nach dem Tode dokumentiert). Dass Hilde Bahl und Liva Lagger, die ja im Komplex Frida Leider eine so große Rolle gespielt haben, in Eva Riegers Buch nur ganz nebenbei vorkommen, ist mir unverständlich. Das hat Hilde Bahl auch nicht verdient. Weshalb es mir ein Bedürfnis ist, ihr hier einen Kranz zu winden. Danke für den Streuselkuchen, liebe Frau Bahl. Ich denke gerne und mit Rührung an Sie zurück. Geerd Heinsen

..

(Abbildung oben: „In den Dünen. Solkinsdaag paa Stranden“  im Historischen Museum Speyer, Postkartensammlung: Die Vorderseite der Postkarte zeigt den Druck eines Gemäldes von Paul Fischer mit dem Titel  aus der Reihe „Dänische Kunst“. Dargestellt sind zwei Frauen in einer Dünenlandschaft am Meer. Auf der Rückseite befindet sich eine handschriftlich verfasste Nachricht von einer gewissen Pauline, in Speyer (unleserlich), an Fräulein Liesel Leonhardt in Landau (Pfalz) vom 7.8.1917. Der Poststempel ist ebenfalls vom 7.8.1917. Verlag Arthur Schürer & Co., B.-Schöneberg)