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Wie traurig, dass Marcello Viotti, mit nur 50 Jahren wenige Tage nach einem während der Proben zu Manon Lescaut in München erlittenem Schlaganfall verstorben, nicht mehr erleben konnte, dass seine vier Kinder allesamt die Musik zu ihrem Lebensinhalt erwählten und inzwischen bereits schöne Erfolge errungen haben. Lorenzo Viotti ist ein vielfach ausgezeichneter Dirigent, Milena Viotti eine Hornistin und Tochter Marina Viotti hat eine CD mit Arien aus den Opern eingespielt, die einst zum Repertoire der berühmten Nicht- nur- Sängerin Pauline Viardot gehörten und nennt sich A Tribute to Pauline Viardot..
Die Tochter des berühmten Tenors Manuel Garcia und Schwester von Maria Malibran war zudem Freundin fast aller berühmten Komponisten ihrer Zeit, aber auch der russische Dichter Iwan Turgenew war ihr eng verbunden, betrachtete sie als seine unverzichtbare Muse. Vielseitig war das Repertoire der Viardot, und das ist es auch die von Marina Viotti besungene CD: neben Rossini buffo wie serio finden sich auf der CD Arien der italienischen Romantik, so Bellini und Donizetti, virtuose Arien von Halévy und Meyerbeer sowie die Bearbeitung von Glucks Orphée und Saint-Saëns Dalila, Gounods Sappho und Berlioz‘ Didon.
Es beginnt mit Orpheus‘ „Amour, viens rendre“, in dem sich eine sehr weiblich klingende Mezzosopranstimme vernehmen lässt, die nach verhaltenem Beginn zusehends an corpo gewinnt, geschmeidig geführt wird und sich leider nur für die Endsilben wenig Zeit nimmt. Virtuos bewältigt die Sängerin die extra für die Viardot komponierte Coda. Für Bellinis Romeo hat Marina Viotti eine farbige tiefe Lage, eine großzügige Phrasierung und viel Empfindsamkeit. Von Massenet stammt die Arie aus Marie-Magdeleine, die für Viardot komponiert wurde und die hier die Ohren mit viel Süße verwöhnt. Die innere Zerrissenheit von Halevys Jüdin und eine zarte Seele spiegeln sich in der Arie „Il va venir“. Ungemein verzierungsreich wird Rosinas „Una voce poco fa“ gesungen, besonders schnippisch gelingt das „Ma“, die Koloraturen sind von bewundernswerter Leichtigkeit. Auch für den Rossini der Seria, hier mit der Arie der Semiramide „Bel raggio lusinghier“, hat die junge Stimme Virtuosität und vokale Präsenz. Donizettis französische Favorite ergeht sich in schönem canto elegiaco, dem eine Cabaletta mit dem dafür nötigen Aplomb folgt. Hier und auch für den Abschiedsgesang der Didon bietet der Mezzosopran eine kluge Gliederung des langen Rezitativs, hat danach den angemessen schmerzlichen Ton, für die Karthager-Königin eine fast kindhafte Weltabgewandtheit mit nur noch einem Abglanz der nuits d’ivresse. Mit einem schönen Schwellton auf „immortelle“ kann sich Gounods Sappho schmücken, ätherisch verlöschend, ehe es noch einmal dramatischer wird. Dalila ist, gesungen von Marina Viotti, eher sanften denn aggressiv verführerischen Charakters. Die CD bietet ein interessantes Panorama der Möglichkeiten der jungen Sängerin mit vielen Optionen für eine Karrieregestaltung.
Begleitet wird Marina Viotti von Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset, die für Durchsichtigkeit, Eleganz und Spritzigkeit jeweils da, wo es angebracht ist, sorgen. Das Booklet ist informationsreich und mit Bildern der „echten“ Viardot, von Marina Viotti und Christoph Rousset in Kostümen aus deren Zeit, aber auch modern gewandet illustriert (AP290/ 15. 10. 22). Ingrid Wanja