Zweigeteilt

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„Felsen in der Brandung nennt Autor Wolfgang Herles sein Buch über die Familien Hildebrand und Braunfels, die, so zeigt es der Stammbaum zu Beginn und am Ende des gut dreihundertseitigen Bandes, durch die  Ehe zwischen dem Komponisten Walter Braunfels und die Tochter des Architekten Adolf von Hildebrand namens Bertel zusammengeführt wurden, deren Mitglieder aber nicht nur auf ganz unterschiedlichen Gebieten des Geistes- und künstlerischen Lebens aktiv waren, sondern auch ihre Beharrlichkeit gegenüber sehr unterschiedlichen Zumutungen beweisen mussten. Widmet sich der Verfasser in Bezug auf die bereits verstorbenen Mitglieder der Familie in sehr ausgewogener Weise ihrem oft konfliktreichen Verhältnis zu ihrer Umgebung, so nehmen Auseinandersetzungen des 1950 geborenen Architekten Stephan Braunfels mit dem Auftrags- und Geldgeber Staat bzw. seinen Vertretern und mit den Kollegen, in allen Einzelheiten vor dem zunehmend auf Distanz gehenden Leser einen unverhältnismäßig breiten Raum ein, scheinen fast die Ausführungen über die Vorfahren zu verdunkeln, zu überdecken und in ihrem Wert zu mindern.

Als „unangepasste Traditionalisten“ bezeichnet der Autor die herausragenden Mitglieder der Familie, was seine Bestätigung in ihrem teilweise nicht der Zeitströmung entsprechenden intensiven Katholizismus ebenso findet wie in ihrer Orientierung , sei es Architektur oder Musik, an den bewährten Mustern, sei es die italienische Renaissance-Stadt oder die Tonalität, was die Musik betrifft.

Eigene Kapitel sind den im Stammbaum rot markierten Mitgliedern beider Familien gewidmet, als erstem dem noch als Juden geborenen Bruno Friedrich Hildebrand, weniger künstlerisch tätig, aber Jurist, Journalist, Unternehmer und Literat, von dem der Sohn meint, der Übertritt zum Christentum sei vor allem ein Bekenntnis zum Deutschtum gewesen.

Sein Sohn Adolf von Hildebrand, geadelt durch den bayerischen Kronprinzen Ruprecht von Bayern und kritisch gegenüber den Hohenzollern, ist Bildhauer und „der Schönheit verpflichtet“, Schöpfer des Wittelsbacher Brunnens in München und des einzigen Reiterstandbilds von Bismarck in Bremen, weist dem Relief eine besondere Bedeutung zu. Die Besucherliste, die vielleicht in einem seiner Häuser ausgelegen hat, vor allem im „Stammsitz“ der Familie in Florenz, liest sich wie ein Who is who der europäischen Geisteswelt, auch wenn Richard Wagner gehasst wird.

Bis hierhin und auch noch weiter kann der Leser einen zwischen Fiktionalem und vorwiegend Nichtfiktionalem angesiedelten Text genießen, fühlt sich manchmal direkt angesprochen und stellt mit Erleichterung fest, dass die Fülle von Frage- und Ausrufezeichen nur zu Beginn um Anteilnahme buhlt. Die wissenschaftliche Legitimation bezieht der Text nicht zuletzt aus den vielen Zitaten, seien es Bekenntnisse seiner „Helden“ oder Aussagen von Zeitgenossen, auch auf die im Anhang verzeichnete Sekundärliteratur, besonders auf das Buch von Isolde Kurz, wird gern und mit Gewinn Bezug genommen. In angenehm engen Grenzen hält sich der Hochmut des Spätgeborenen gegenüber dem Nationalsozialismus nach Meinung des Verfassers zu unkritisch Gebliebenen.

Des Bildhauers Tochter Bertel, mit 15 mit Furtwängler verlobt, wird mit neunzehn Jahren die Braut von Walter Braunfels, dessen Vater Ludwig Lazarus und dessen Halbbruder Jesaias Otto Braunfels ebenfalls in die Betrachtungen von Herles einbezogen wurden. Grotesk will es erscheinen, dass Hitler sich 1922 eine Hymne für seine aufstrebende Bewegung von dem Komponisten wünschte. In diesem Kapitel wird es natürlich für den Opernfreund äußerst interessant, wenn der Autor ihn nachvollziehen lässt, wie sich Braunfels aus Glaubensgründen von atonaler und amerikanischer Musik abwandte, von Wagner zu Verdi fand und nach ersten Erfolgen mit Opern wie Prinzessin Brambilla oder Ulenspiegel ein Te Deum und eine Große Messe komponierte. Dem Vergleich der Oper Die Vögel (nach Aristophanes) mit Meistersingern, Tristan und Zauberflöte mag man zustimmen oder nicht, zeitgenössische Kritiken werden, und das ist sehr hilfreich, reichlich zitiert. Interessant ist die Beschreibung des Wirkens in Köln (Adenauer hat seine Hand im Spiel), Lust auf das Hören einer der Opern, so gibt es auch einen Don Gil von den grünen Hosen oder eine Johanna-Oper, wird geweckt.

Dietrich von Hildebrand, dem Moralphilosophen,   Michael Braunfels, dem Pianisten, der sich um des Vaters Werk nach 1945 bemüht, sowie Wolfgang Braunfels, dem Kunsthistoriker sind weitere Kapitel gewidmet, auch des letzeren „Kleine italienische Kunstgeschichte“ wird gewürdigt. Und dann beginnt das Schlusskapitel,  in dem abgerechnet wird mit den bösen Politikern und Architektenkollegen, die verhinderten, dass  Stephan Braunfels alle seine wunderbaren Pläne, die ihm dann zum Teil sogar von Mitbewerbern bei Ausschreibungen indirekt entwendet wurden, verwirklichen konnte. So kann man zwar in München seine Pinakothek der Moderne und in Berlin die Parlamentsgebäude bewundern, aber Kulturforum, Flughafen Tempelhof  oder Dresdner Vorhaben blieben Pläne, die dank des Unverständnisses von Stoiber, Strauß, der jeweiligen Baudirektoren, da werden viele Namen genannt, nie verwirklicht wurden. Irgendwie wirkt dieses Kapitel wie ein Fremdkörper, besonders hier vermisst man zudem Fotos, da man sich keine Vorstellung davon machen kann, ob wirklich ein verkanntes Genie schnöde und schlecht behandelt wurde.

Der letzte, Das Schöne und der Trotz, betitelte Absatz scheint davon  zu sprechen, dass der Autor  selbst von dem Gedanken bewegt wurde, das letzte Kapitel seines Buches falle aus dem mit dem Titel „Felsen in der Brandung“  gespannten Rahmen. Literatur- und Personenverzeichnis sowie ein Bildnachweis befinden sich am Ende des Buches (2022 Benevento Verlag München Salzburg: ISBN 978 3 7109 0149 2). Ingrid Wanja