Ut desint vires …

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Ob Denia Mazzola Gavazzeni wohl weiß, dass die Protagonistin aus ihrem letzten Debüt, das in Franco Alfanos Madonna Imperia, vor gar nicht langer Zeit einen wütenden Streit bei den Bürgern der Bodensee-Stadt Konstanz auslöste, als eine Statue der Edelkurtisane im Hafen aufgestellt wurde, sie selbst leicht bekleidet, ganz nackt, aber nicht ohne ihre Herrschaftsinsignien, Papst und Kaiser , die sie in ihren Händen hält. Viele fanden das lustig, einige aber auch schamlos und unangemessen, die Stadt Konstanz zu repräsentieren, die von 1414 bis 1418 Tagungsort eines Konzils war, auf dem unter anderem beschlossen wurde, Jan Hus freies Geleit zu gewähren. Daran hielt man sich, wie bekannt ist, nicht, es kam zu Aufständen in seiner Heimat Böhmen, aus der viele Glaubensflüchtlinge auch nach Berlin kamen, wo es noch heute im sonst gar nicht idyllischen Neukölln das böhmische Viertel gibt. 600 Geistliche waren damals am Bodensee versammelt, für ihr erotisches Wohl sorgte eine große Zahl von Prostituierten, von denen Imperia die schönste und kostspieligste gewesen sein soll.

Honorè Balzac hat ihr in seinen Tolldreisten Geschichten als „La belle Imperia“ ein Denkmal gesetzt, das die Vorlage für das Libretto von Arturo Rossato bildete. Es geht um die Liebe  einer Edelprostituierten zu einem armen Schlucker, der ihr Herz durch die Echtheit seiner Gefühle gewinnt, ein Thema , dessen sich bereits ein Vierteljahrhundert zuvor Mascagni mit seiner Oper Zanetto angenommen hatte und von dem es ebenfalls eine Aufnahme mit der Sopranistin gibt, die wie ihr verstorbener Gatte Gianandrea Gavazzeni dem Verismo besonders zugetan ist. Anders als in Zanetto, der schließlich seines Weges ziehen muss, wo Verzicht am Schluss steht, vergnügen sich Imperia und das arme Priesterlein Filippo sinnenfreudig im Alkoven, während die mächtigen und zahlungskräftigen Freier hinters Licht geführt werden.

Ausgesungen, aber glamourös und verdienstvoll: Denia Mazzola/ youtube

Die Aufnahme aus dem Hause Bongiovanni entstand im Januar 2022 im Konservatorium von Mailand und beginnt mit einem deliziösen Vorspiel in reizvoller Instrumentierung. Die Oper trägt zwar den Titel Madonna Imperia, die jedoch weit weniger zu singen hat als ihr Liebhaber. Die Besetzungsliste zeigt eine Reihe asiatischer Namen, so auch den des Tenors Shohei Ushiroda, der über eine solide Technik verfügt, über ein recht anonym klingendes Timbre, mit delikaten colpi di glottide frappiert und der  sich am besten in „Dama, se tanto siete pietosa“ zur Geltung bringt. Sonor klingt Fulvio Ottelli als Principe wie Vescovo, autoritär dunkel Giorgio Valerio als Cancelliere di Ragusa, angenehm leicht Zhu Junkun als Conte, während der Fante von Duan Linxu recht dunpfig erscheint.

Es gibt Sänger und Sängerinnen, die sich die Frische ihrer Stimme bis ins hohe Alter bewahren. Denia Mazzola Gavazzeni gehört leider nicht dazu, und so muss sich der Hörer abfinden mit einer konsonantenverachtenden Textunverständlichkeit, wenn die Stimme sich von einem Vokal zum nächsten    hangelt, mit teilweisem Verfallen in Sprechgesang. Und da Alfano seine Vorstellungen davon, wie die Partie gesungen werden soll, in das Libretto eingearbeitet hat, bemerkt der Hörer, was alles nicht beachtet, einfach unterschlagen wird. Das  kann man nicht damit entschuldigen, dass sich Imperia in einem Fast-Dauerzustand der Exaltiertheit und Hysterie befindet. Ein unbedingter Gestaltungswille kann halt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mittel zu einer adäquaten Umsetzung nicht mehr vorhanden sind. 

Sehr ordentlich sind der Coro del Conservatorio di Musica di Vicenza „Arrigo Pedrollo“ und das Orchestra Filarmonica Italiana unter Massimiliano Carraro (GB2601-2 mit informativer Beilage). Ingrid Wanja     

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PS: Das volle Zitat der Überschrift als Echo aus der Lateinstunde lautet „Ut desint vires tamen est laudanda voluntas“, auf Deutsch „Wenn auch die Kräfte fehlen, so ist das Bemühen doch zu loben„. Denn andererseits kämen Opern wie diese sonst vielleicht nicht zur Veröffentlichung. Darin nun  wieder liegt Denia Mazzolas Verdienst, weil sie diese Produktionen sponsort. Immerhin. G. H.