Italienische Hinterlassenschaften

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Bei Brilliant Classics gibt es eine neue CD mit vier relativ unbekannten Kantaten aus Händels früher Schaffenszeit in Italien. Die Thematik dieser sogenannten, auf italienische Libretti geschriebenen Rom-Kantaten ist zumeist feierlich, pastoral oder amourös; sie sind häufig für ein, zwei oder drei Stimmen mit Instrumentalbegleitung besetzt. Für die Einspielung dieser vier Kantaten stand das erfolgreiche, seit 2000 bestehende, auf italienische Musik des 17.und 18. Jahrunderts spezialisierte Gesangs- und Instrumental-Ensemble Fantazyas unter der stringenten Leitung seines Gründers Roberto Balconi zur Verfügung.

Den Auftakt bildet die recht kurze Jagd-Kantate Diana Cacciatrice (HWV 79) für Sopran, Echo-Sopran, Trompete, 2 Violinen und B.c.  Das Besondere dieses kleinen Werkes ist eine Arie mit Echo-Sopran und Trompetensolo. Mit letzterem geht es auch zu Beginn im Marsch frisch auf zur Jagd. Carlotta Colombo stellt die Kantate mit lockerem, klarem Sopran vor. In der ersten Arie Foriera la tromba wird nur die Solo-Trompete auch als Echo eingesetzt, wobei Gabriele Cassone mit eleganter Tongebung seiner Barock-Trompete und kaskadenartigen Läufen brilliert.  Erst bei der Arie Alla caccia, alla caccia gesellt sich klanglich passend Maria Dalia Albertini als Sopran-Echo dazu.

Die Kantate für Sopran, zwei Violinen und B.c. Alpestre Monte (HWV 81) dagegen ist eine grausame Geschichte von Verrat und Selbstmord. Da hat Carlotta Colombo Gelegenheit zu zeigen, dass sie auch dramatische Aufschwünge, verbunden mit melancholischem Schmelz, beherrscht. Große Intervallsprünge gelingen ihr ebenso leicht wie kleine Schnörkel und Verzierungen, die im Barock-Gesang unerlässlich sind.

Das wohl bekannteste Werk dieser Aufnahme ist Tu fedel? Tu costante? (HWV 171) für Sopran, zwei Violinen und B.c., in der die Treue wieder einmal zum Thema gemacht wird. Da kommen vor allem blitzsaubere, brillante Koloraturen Carlotta Colombos zum Tragen, die sie in eine Reihe mit Emma Kirkby stellen.

Die Serenade genannte Kantate für 2 Soprane, Alt, 2 Solo-Violinen und B.c. Olinto pastore arcade alle glorie del Tebro (HWV 143) ist das längste Werk dieser CD. Die drei Solosänger stellen eine allegorische Diskussion dar zwischen dem Hirten Olinto (Carlotta Colombo), dem Fluss Tiber (Marta Fumagalli) und der Verkörperung des Ruhmes (Maria Dalia Albertini); dabei geht es darum, dass der bescheidene Hirte (eine versteckte Anspielung auf Händels damaligen Gönner) Rom wieder zu alter Größe führen wird. Hier wechseln sich viele kurze Rezitative – einzeln oder im Zwiegespräch – mit ebenfalls kurzen Arien ab (die längste dauert 4’16 Min.), die den einzelnen Sängerinnen dennoch genügend Raum zur Entfaltung ihrer Stimmen geben. Da ist Carlotta Colombo besonders effektvoll in der kriegerischen, mit schwierigen Koloraturen gespickten Bravour-Arie Alle voci del bronzo guerriero, punktet aber auch mit weichen Bindungen in Oh! Come chiare e belle. Marta Fumagalli führt ihren fülligen Alt im piano besonders schlank und erfreut mit der koloraturreichen, vorwärtsdrängenden Wiedergabe von Io torno a sperare sowie mit entschiedener Dramatik in Piu non spero di lauro guerriero. Der etwas lyrischere Sopran von Maria Dalia Albertini fügt sich gut zu den beiden anderen Stimmen: Mit den ruhig und klangvoll ausgesungenen Verzierungen in Caro Tebro, amico fiume überzeugt sie ebenso wie mit der flotten Arie Tornami a vagheggiar. Alle drei verbinden sich in einem Art „statement“ als kurzes Fazit des Ganzen mit Viva un astro si bello.

Das Instrumentalensemble mit allen Solo-Instrumentalisten unterstützte die Sängerinnen durchweg aufs Beste, so dass es eine Freude ist, diese CD zu hören, wobei die Leistung des alle inspirierenden Dirigenten Roberto Balconi dazu entscheidend beiträgt (BRILLIANT CLASSICS 96478). Marion Eckels

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Während seines Aufenthaltes in Italien (ca. 1706–1710) schrieb Georg Friedrich Händel (1685-1759) mehr als 80 Kantaten, zwei davon sind auf der vorliegenden CD zu hören. Trotz Händels Berühmtheit gibt es wenige Aufnahmen der Kantaten, die meisten davon sind schwer zu finden. Diese Einspielung macht die frühen Werke leicht zugänglich und ist somit eine Referenz, wenn auch nur standardmäßig.

Der dramatische Monolog, Armida abbandonata, (HWV 105; 1707), der Armidas Kummer darstellt, nachdem Rinaldo sie verlassen hat, ist ein interessanter Kontrast zu der Geschichte ihrer unmöglichen Liebe in Händels Oper Rinaldo (1711). Das Epos La Gerusalemme liberata (1575) von Torquato Tasso ist die Quelle dieses Themas, das häufig im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts von Komponisten wie Jean-Baptiste Lully und Christoph Willibald Gluck vertont wurde.

Händels Kantate für Solosopran schildert Armidas wechselnde Gefühle, als sie über ihren verlorenen Geliebten nachdenkt: Wut, Sehnsucht, Liebe und Verzweiflung. Armida wurde von Kathryn Lewek mit ausreichender Expressivität und technische Kompetenz gesungen. Ein größerer Kontrast zwischen Armidas emotionalen Zuständen würde diese Aufnahme überzeugender machen.

Der unbekannte Librettist erzählt die Geschichte Apollo e Dafne, HWV 122 (1709-1710), ursprünglich aus Ovids Metamorphosen (8 n. Chr.), auf ungewöhnliche Weise. Diese zweistimmige Kantate thematisiert die erbärmlichen Versuche des Gottes, die Nymphe zu verführen, während Amor, der Auslöser für Apollos leidenschaftliches Verlangen, von der Handlung ausgeschlossen ist. Apollos Enttäuschung steht im Mittelpunkt: Ein Gott kann von einer sterblichen Frau nicht bekommen, was er will, weil ihre Keuschheit durch die Verwandlung in einen Baum geschützt wird.

Durch ihre bewundernswerten Darstellungen verleihen John Chest (Apollo) und Kathryn Lewek (Daphne) ihren Figuren Lebendigkeit. Da diese Aufnahme im Januar 2020 in Lonigo (Italien) entstand wäre es wünschenswert gewesen, zwei Muttersprachler für diese Rollen zu engagieren, um den Text den zusätzlichen Hauch von Flüssigkeit zu verleihen.

Il pomo d’oro spielt tadellos mit Klarheit, Lebendigkeit und schnellen aber keineswegs gehetzten Tempi. Das kleine Ensemble vermittelt instrumentale Farbigkeit und Abwechslung, sodass weder Monotonie noch Trockenheit aufkommen. Francesco Corti dirigiert vom Cembalo mit Intelligenz und Urteilsvermögen für Tempi, Pausen und Dynamik, und es gelingt ihm eine dramatische Spannung zu erzeugen.

Die Verpackung ist adäquat: ein zweiteiliges Digipak mit einem 27-seitigen Begleitheft auf der rechten Innenseite eingeklebt sowie der CD auf der linken Seite. Das Heft umfasst das italienische Libretto mit englischer Übersetzung und einen ausführlichen Aufsatz von Suzanne Aspden ausschließlich auf Englisch. Der Einführungstext erklärt die thematischen Beziehungen zwischen der Ouvertüre B-Dur, HWV 336 und den Auszügen aus der Almira-Suite, HWV 1. Wäre die ganze Suite aufgenommen worden, dann gäbe es noch mehr Gründe, diese Veröffentlichung zu loben (Georg Friedrich Händel Armida abbandonata und Apollo e Dafne mit Kathryn Lewek, John Chest, Il pomo d’oro, Francesco Corti; Pentatone PTC 5186 965). Daniel Floyd