Vokale Opulenz

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In Christof Loys erfolgreicher Inszenierung von Riccardo Zandonais Francesa da Rimini an der Deutschen Oper Berlin war Jonathan Tetelmans als Paolo ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Schon bei der ersten Begegnung war Francesca seiner Schönheit und sinnlichen Ausstrahlung verfallen. Zur Erscheinung korrespondierte der baritonal getönte, virile Tenor mit potenten Spitzentönen. Aus gutem Grund hat die DG den chilenischen Sänger exklusiv verpflichtet und mit ihm nun das erste Recital veröffentlicht (aufgenommen Ende 2021 in Las Palmas). Es trägt schlicht den Titel „Arias“ und offeriert bekannte Hits neben einigen Raritäten (002894862927). Erwartungsgemäß finden sich im Programm auch zwei Ausschnitte aus Zandonais Oper – die Szenen Francesca/Paolo aus dem 3. Akt „Paolo, datemi  pace“ und „Perchè volete voi“. Die Sopranistin Vida Mikneviciuté ist dem Tenor eine inspirierende Partnerin mit flirrender Stimme, die den Rausch des Schlussduettes mit ihm bis zur Neige auskostet. Tetelman kann den starken Eindruck seines Live-Auftrittes hier wiederholen und mit sinnlicher Pracht seiner Stimme prunken sowie mit spannender Gestaltung imponieren.

Eingeleitet wird die CD mit Enzos „Cielo e mar“ aus Ponchiellis La Gioconda – schon beim ersten Ton ist man gefangen von der puren Schönheit des Klanges von Tetelmans Stimme. Sie vereint maskuline Potenz mit lyrischer Empfindsamkeit, was weiche Bögen und träumerische piani bezeugen.

Das Verismo-Repertoire ist die Spezialität des Tenors, was auch der nächste Titel, Loris’ „Amor ti vieta“ aus Giordanas Fedora, bestätigt. Schwelgerisch vom Orchester eingeleitet, nimmt der Sänger diese Vorgabe auf und lässt die Stimme in breitem Fluss strömen. Später folgen noch Maurizios „La dolcissima effigie“ aus Cileas Adriana Lecouvreur, das er wunderbar schwärmerisch beginnt und mit betörender dolcezza beendet,„Come un bel dì di maggio“ aus Giordanos Andrea Chénier in visionärer Trunkenheit und Turiddus fiebrig bebendes „Mamma, quel vino è generoso“ aus Mascagnis Cavalleria rusticana.

Mit drei Titeln ist Verdi der am häufigsten vertretene Komponist. Aus seinem Frühwerk I due Foscari erklingt die Arie des Jacopo, „Non maledirmi“. Sie ist von erregtem Duktus, was der Sänger in seiner dramatischen Interpretation übernimmt. Die große Szene des Alvaro, „La vita è inferno“/“O tu che in seno agli angeli“, aus La forza del destino demonstriert Tetelmans dramatisches Potential auf dem Wege zu Otello, Manricos Arie „Ah! Sì ben mio“ und die Stretta „Di quella pira“ aus dem Trovatore seine belkantistischen Fähigkeiten. Die Verve der Stretta ist überwältigend, nicht weniger überrumpelnd sind die Spitzentöne, mit denen er seine Interpretation krönt. Wo Verdi ist, darf Puccini nicht fehlen, der hier mit Pinkertons „Addio, fiortito asil“ aus Madama Butterfly vertreten ist. Es ist eine Nummer, in welcher der Tenor seine Stimme generös strömen lassen kann. Zwei französische Beiträge ergänzen das Programm – Josés berühmte Blumenarie aus Bizets Carmen und Werthers „Pourquoi me réveiller“ aus Massenets gleichnamiger Oper. Beide stattet er mit reichen lyrischen Valeurs aus. Bleibt Lionellos (Lyonels) „M’apparì tutt’amor“ aus Flotows Martha, welches den Fremdkörper der Anthologie darstellt, denn dafür fehlen dem Sänger Schmelz und Süße. Offenbar wollte er die Nummer ins Programm aufnehmen, weil sie von den berühmtesten Tenören bis hin zu Caruso interpretiert wurde. In seiner Interpretation wirkt sie zu dramatisch und in der Schlussphase forciert. Aber das ist ein marginaler Einwand angesichts von Tetelmans überwältigendem Material und seines gestalterischen Vermögens. Schon jetzt ist man gespannt auf die nächsten Zeugnisse seiner Kunst.

Das Orquesta Filarmónica de Gran Canaria leitet Karel Mark Chichon, der die fiebrig-nervöse Musik Zandonais, aber auch das Schillern Puccinis und Schwelgen Verdis effektvoll ausbreitet. Bernd Hoppe