mitreißend und ohrwurmverdächtig

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Von London aus geht es zuerst nach Suez, anschließend nach Indien. Von dort aus über Borneo nach San Francisco und schließlich nach einer abenteuerlichen Reise durch den amerikanischen Kontinent schließlich zurück nach London. Genau. Die Reise um die Erde in 80 Tagen. Das in etwa sind die Stationen, die der englische Gentleman Phileas Fogg und sein französischer Diener Passepartout in Jules Vernes 1873 veröffentlichten Roman Le Tour du monde en quatre-vingts jours besuchten, um den Nachweis zu erbringen, dass es möglich sei, in 80 Tagen um die Welt zu reisen. Robert Ignatius Letellier, der mit seinem schönen Namen geradewegs aus dem Roman kommen könnte, aber aus der Naxos-Veröffentlichung (8.574396) von Franz von Suppès Bühnenmusik stammt, zu der er den Begleittext verfasste, erkennt im Vorspiel, das anschaulich die Atmosphäre im exzentrischen Londoner Club beschreibt, eine Anspielung auf Mozarts Le nozze di Figaro. Das ist so. Der getragene Promenadenduktus wird bei Foggs Abreise aufgenommen. Was nun aber folgt, ist ein musikalischer Bilderbogen, der die Club-Besucher aus ihren Sesseln gerissen hätte, ein exotischer Bilderbogen, in dem die Holzbläser als Trauermarsch den Scheiterhaufen der indischen Witwe umzüngeln, Posaunen Angst und Schrecken im Seesturm verbreiten, Klarinetten und Cello eine Prinzessin begleiten, ein wildes Scherzo wie auf dem Rücken der Pferde den amerikanischen Goldrausch beschreibt, an Bord eines Schiffes eine Barcarolle erklingt und schließlich beim Betreten der britischen Heimat „God save the Queen“ entrollt wird. Alles ist souverän entworfen und mit virtuoser Handwerkskunst dahingeworfen, marschtüchtig, brillant instrumentiert, abwechslungsreich, unterhaltsam, eingängig und nicht einfältig. Einst hatten Franz von Suppès Ouvertüren ganze Langspielplatten gefüllt, die zu Dichter und Bauer, Leichte Kavallerie, Ein Morgen, ein Mittag, ein Abend in Wien, Banditenstreiche sowie zu seiner populärsten Operette Boccaccio. Diese ist fast ebenso in Vergessenheit geraten wie der österreichische Komponist Franz von Suppé selbst, der 1819 im dalmatischen Spalato (heute dem kroatischen Split) geboren wurde, 1895 in Wien starb und neben Johann Strauss zu den Gründungsvätern der Goldenen Wiener Operette gehört. Neben Operetten und Singspielen schuf der Kapellmeister am Theater in der Josefstadt, am Theater an der Wien und anderen Bühnen unzählige Gelegenheitsstücke und umrahmte und lockerte Sprechstücke mit musikalischen Nummern auf. Eine dieser Schauspielmusiken, die 1874 entstandene Musik zu der im März 1875 in Carltheater aufgeführten Bühnen-Adaption von Vernes Erfolgsroman, hat die Janáček-Philharmonie Ostrava im Mai 2021 als World Premiere Recording aufgenommen. Die tschechischen Musiker und ihr schottisch-italienischer Gastdirigent, der für Naxos regelmäßig in Sachen Auber und Meyerbeer tätige Dario Salvi, spielen die 19 Nummern mit dem tiefen Streicher-Pathos, der Bläser-Emphase und der Tutti-Leidenschaft als sei sie bereits für die Leinwand entworfen: von Suppè als John Williams des 19. Jahrhunderts. Funkelnd, spritzig, mitreißend und ohrwurmverdächtig. Rolf Fath