Zigeunerliebe

.

Ruggero Leoncavallos Pagliacci sind ein Repertoire-Hit, auch seine Bohème wird gelegentlich gespielt, kaum aber die Zingari. Im Rahmen ihrer Aktivitäten, unbekannte oder vergessene Opernwerke vorzustellen, hat die britische Firma Opera Rara dieses Dramma lirico Ende 2021 in Croydon aufgenommen und auf einer CD mit illustriertem Booklet veröffentlicht (ORC61). Das Stück in zwei Episoden, die durch ein Intermezzo verbunden sind, basiert auf einer Dichtung von Alexander Puschkin, die von Enrico Cavacchioli und Guglielmo Emanuel zum Libretto geformt wurde. 1912 fand die Uraufführung im Hippodrome von London statt, OR hat die Originalversion für die vorliegende Einspielung rekonstruiert.

Am Pult des Royal Philharmonic Orchestra steht der im italienischen Repertoire versierte Dirigent Carlo Rizzi, der in der kurzen Ouverture einen munteren, tänzerisch orientierten Ton anschlägt. Der Opera Rara Chorus (Eamonn Dougan) nimmt diese Stimmung mit lebhaftem Gesang auf. Dem Intermezzo gibt Rizzi zunächst eine elegische Tönung, lässt die Musik aber dann rauschhaft aufblühen. Die gespenstische Dramatik der Schlussszene mit der Brandstiftung malt er in grellen Farben aus.

Die Handlung bedient einen klassischen Dreieckskonflikt. Die junge Zigeunerin Fleana wird von dem Dichter Tamar geliebt, geht aber eine Beziehung mit einem Fremden, Radu, ein. Nach einem gemeinsamen Jahr ist ihre Liebe zu ihm abgekühlt, sie trifft sich mit Tamar in einer Hütte, die Radu in Brand steckt. Alle fordern seinen Tod, doch ein alter Zigeuner plädiert für dessen Freiheit angesichts seines verwirrten Geisteszustandes.

Die bulgarische Sopranistin Krassimira Stoyanova versucht sich mit der Fleana an einer Verismo-Partie – nach ihren Erfolgen im Belcanto-Repertoire sowie als Verdi- und Strauss-Interpretin ist das ein Schritt in ungewohntes Terrain. Im Liebesduett mit Radu in der ersten Episode weiß ihr Sopran mit visionären, blühenden Tönen zu betören und sich mit der schwelgerischen Stimme des Tenors zu rauschhaftem Gesang zu vereinen. Ihren Tanz vor dem Hochzeitsfest untermalt sie mit verführerischen Vokalisen. In der zweiten Episode quält sie Radu, zu dem die Liebe erloschen ist, mit höhnischem Gelächter und einem temperamentvollen Gesang, der ganz die Zigeunerin erkennen lässt. Insgesamt zeigt ihre Interpretation einen gelungenen Einstieg in dieses Genre.

Der armenische Tenor Arsen Soghomonyan machte in der letzten Saison in Baden-Baden als Herman in Pique Dame auf sich aufmerksam. Die heldische Stimme (vom Bariton zum Tenor gewechselt) von enormem Potential ist auch für den Radu eine stimmige Besetzung. Schon in der schwelgerischen Auftrittsarie „Principe! Radu io son“ prunkt er mit strömender Kantilene und glänzenden Spitzentönen. Seine Verzweiflung, Fleana verloren zu haben, äußert sich in erregtem, hektischem Gesang  und leidenschaftlichen Ausbrüchen, führt dann noch einmal in kantable Zonen. Der anschließende Monolog „Perduto! Tutto!“ erinnert in seiner Zerknirschtheit an den Otellos und der existentielle Schluss an die Tragik Canios.

Der amerikanische Bariton Stephen Gaertner ist ein viriler Tamar, der in seiner Auftrittsszene „Ah! taci! Non lo dir“ eine düstere Stimmung verbreitet, die an den Michele in Puccinis Il tabarro erinnert. Mit sehnsüchtiger Inbrunst besingt er in „Ah! Canto notturno“ seine Liebe zu Fleana. In der zweiten Episode hat sich diese erfüllt, wovon das schwärmerische Duett „Bella! Bella!“ kündet. Der polnische Bassbariton Lukasz Golinski komplettiert die Besetzung als Der alte Mann, der für einen starken Effekt in der dramatischen Schlussszene sorgt. Bernd Hoppe

.

.

PS.: Man kann sich allerdings fragen, ob die Ausflüge von Opera Rara in Nicht-Belcanto-Gefilde zu begrüßen sind. Opera Rara verlässt ihr Kernrepertoire. Es war stets das Markenzeichen des englischen Labels, Seltenes aus eben diesem Feld zu entdecken – namentlich Donizett, Rossini et al. Die Firma begibt sich in Gefahr, ihr Image für eben dieses Repertoire zu verlieren, denn diese Ausweitung zum Allgemeinen auch auf dem Gebiet der Mitwirkenden scheint planlos  (oder anderen Interessen verpflichtet), nachdem Belcanto-Opern bei Opera Rara mit so etwas wie einer „Hausbesetzung“ erfolgreich eingespielt wurden .Schade eigentlich. G. H.

  1. georg halper

    Leoncavallos „Gli Zingari“ habe ich erstmals vor sehr vielen Jahren am Sende RAI uno kennen gelernt. Sodann )1994?) habe ich mir eine Aufnahme dieser Oper in Wien bei „Da Caruso“ (Inhaber war Prof. Gottfried Crevenka – er hat in Ö 1 hervorragende Opernsendungen gestaltet) besorgt (Label: Italian Opera Rarities). Fleana (Sopran) war Gianna Galli, Radu Aldo Bottion (Tenor), Tamar Renzo Scorsoni (Bariton) , Il Vecchio Guido Guanara (Bariton), Dirigent war Elio Boncompagni – Orchestra e Coro di Torino della RAI – aus dem Jahr 1975.
    Vor nicht all zu langer Zeit kam dann bei „Bongiovanni“ eine weitere Einspielung aus dem Jahr 2019 mit Mazzola Gavazzeni (Fleana), Giuseppe Veneziano (Radu), Armando Likaj (Tamar) und Giorgio Valerio (Il Vecchio) unter der Leitung von Daniele Agiman (Orchestra Filarmonica Italiana, Voro Ab Harmoniae) heraus. Und nun eben jene von Opera Rara.
    Es ist interessant, diese drei Aufnahmen miteinander zu vergleichen.
    Immer wieder frage ich mich, warum es kein Opernhaus wagt, zwei „mörderische“ Opern von Leoncavallo an einem Abend zu bringen: „Zingari“ und I Pagliacci“!
    Ein zweiter ausverkaufter Abend wäre dann mit „Cavalleria Rusticana“ – von Mascagni und Monleone – garantiert.

    Antworten