Zum 300. Geburtstag

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Seit dem Jahre 1975 erfreut das nunmehr 48. Festival della Valle d’Itria Martina Franca im tiefen Apulien, mitbegründet und lange Jahre lang betreut vom Opernpapst Rodolfo Celletti,  das Publikum mit Ausgrabungen von Opernschätzen, so trotz Corona auch im Jahre 2021 mit Alessandro Scarlattis Oper La Griselda, opernhistorisch bemerkenswert durch den Verzicht auf zu des Komponisten Zeit übliches komisches Personal und durch das ungewohnt häufige Vorkommen von Duetten und Terzetten neben den allgemein üblichen Arien. Bisher zugänglich war dem Opernfreund eine Aufnahme des Werks mit René Jacobs, seltsam mutet heutzutage in Zeiten historischer Aufführungspraxis die in Starbesetzung unter anderem mit Mirella Freni und Veriano Lucchetti an.

Das Thema ist das der unbeirrbaren, alle Prüfungen mit Bravour bestehenden Gattinnenliebe, hier herausgefordert nicht durch den Ehepartner, sondern durch das Volk, dass es nicht hinnehmen will, dass sein König sich als Gefährtin eine einfache Hirtin wählte. Die Verbannung in die Wüstenei, die Bereitschaft, der eigenen Tochter, die die neue Gemahlin des Königs werden soll, demütig zu dienen, alles wird ertragen, erst als Griselda die Ehe brechen, sich anderweitig vermählen soll, wählt sie lieber den Tod und beweist damit auch dem Volk, dass sie würdig ist, Königin von Sizilien zu sein.

Die Aufführung fand im Hof des Palazzo Ducale der Barockstadt Martina Franca, statt, benachbart übrigens Alberobello, der Stadt der Trulli, und somit auch touristisch höchst attraktiv. Die Inszenierung von Rosetta Cucchi in den Bühnenbildern von Tiziano Santi ist moderat „modern“, stark stilisierend und trägt auf phantasievolle Weise der Tatsache Rechnung, dass man nur wenige technische Mittel zur Verfügung hat, auch stets damit rechnen muss, dass der Strom wegen Überlastung des Netzes ausfällt. So steht ein romantisches Segelschiff neben einem profanen Fluchtkoffer, trägt der König zum Businessanzug Krone (Kostüme Claudia Pernigotti) , wankt ein Priester genau so unmotiviert über die Bühne wie ein Fotograf. Echter Sand und echtes Wasser sprechen von Naturalismus, in Plastikfolie verpackte Mädchen von Stilisierung, ein Schuss Dekadenz lässt alles noch reizvoller erscheinen.

Immer wieder erstaunenswert ist, wie des dem Festival gelingt, für wenige Aufführungen unbekannte Opern außergewöhnlich gute Sänger zu verpflichten, worüber man sich auch bei dieser Aufnahme freuen kann. Raffaele Pe ist ein bemerkenswert guter Countertenor mit tragfähigem Piano, strahlender Höhe und dazu noch ein guter Schauspieler im Hin- und Hergerissensein des Königs Gualtiero zwischen Gattenliebe und den Verpflichtungen, die ihm sein Amt auferlegt. Prominent besetzt ist die Titelpartie mit Carmela Remigio, die hoch virtuos ihr „Di che sogno“ singt, sich schattierungsreich zwischen echtem Gefühl und Stilisierung in „Se il mio dolor“ bewegt und die sich dazu noch sehr gut zu bewegen weiß. Mit rundem, warmem Mezzosopran und koloraturgewandt singt Francesca Ascioti den von der Liebe zu Griselda besessenen Ottone und macht eine hochinteressante Figur aus ihm. Ein idealer Cherubino mit reichem Mezzosopran könnte Miriam Albano sein, die als Roberto auch mit ihrer leidenschaftlichen Darstellung bezaubert. Etwas weniger gefallen, weil manchmal sehr spitz und in der Höhe flach klingend, kann Mariam Battistelli als Costanza mit allerdings bezaubernder Optik. Zunächst nur Stichwortgeber, dann aber auch mit zwei Arien bedacht, ist Krystian Adam das dunkle Element in der Aufführung. In früheren Jahren waren Chöre und Orchester aus Osteuropa gern gesehene Teilnehmer am Festival. Nun sind sie wohl auch mittlerweile zu teuer geworden, so dass mit La Lira di Orfeo unter George Petrou und dem Coro Ghislieri unter Giulio Prandi einheimische Kräfte  zum Einsatz kommen und 300 Jahre nach seiner Erstaufführung einem bemerkenswerten Werk zum Erfolg verhelfen. Nicht verschwiegen werden soll, dass Raffaele Pe und La Lira di Orfeo durch viele Einspielungen von Barockmusik miteinander verbunden sind. (Blu-ray Dynamic 57935). Ingrid Wanja