Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Drei und Sechs  und ein Fake

 

Wurde der Dirigent Hans Knappertsbusch (1888-1965) lange Jahre primär als großer Wagner-Interpret angesehen und galt insbesondere als der Experte für das Bühnenweihfestspiel Parsifal, so trat sein umfangreiches Wirken auch als Konzertdirigent demgegenüber beinahe schon ungebührlich in den Schatten. Vor allem im deutschen Repertoire war der Kna zu Hause, gewissermaßen bei den drei großen Komponisten mit dem „B“ im Nachnamen: Beethoven, Brahms und Bruckner. Die letzteren beiden berücksichtigt Profil Edition Günter Hänssler nun mit einer 10 CDs umfassenden Kollektion (PH18048). Darin versammelt sind die „kompletten“ Sinfonien von Johannes Brahms (worauf noch zurückzukommen sein wird) sowie die Sinfonien Nr. 3, 4, 5, 7, 8 und 9 von Anton Bruckner, also diejenigen, welche Knappertsbusch vom Meister von St. Florian dirigierte. Die Sechste sparte er aus, was allerdings seinerzeit nicht ungewöhnlich war, galt sie doch als die schwächste der späteren Werke. Dass die frühen Sinfonien fehlen, sollte keinen verwundern; sie waren zu Knappertsbuschs Lebzeiten alles andere als im Standardrepertoire etabliert und tun sich bekanntlich noch heute schwer, sich im Konzertleben zu behaupten.

 

Knappertsbusch-Sammlern sei bereits an dieser Stelle versichert, dass sie diese Box im Grunde genommen nicht benötigen, da alle darin enthaltenen Aufnahmen seit vielen Jahren in anderweitigen Erscheinungen zu haben sind. Gleichwohl ist es auf den ersten Blick sicherlich reizvoll, sie allesamt in einer handlichen und einheitlichen Kollektion vorliegen zu haben. Wer sich unter den Verehrern dieses Dirigenten aber erhofft hatte, Profil sei ein regelrechter Coup gelungen, der wird leider ernüchtert: Wenn der Titel der Box nämlich suggeriert, hier sei auch eine authentische Aufnahme der ersten Sinfonie von Brahms inkludiert worden, dann fiel das Label auf einen Hoax herein. Es hat sich nach heutigem Kenntnisstand nämlich bedauerlicherweise kein Tondokument dieses Werkes unter Knappertsbusch erhalten. Ja er scheint die heroische Erste, von Hans von Bülow als „Beethovens Zehnte“ gepriesen, gar nicht besonders geschätzt zu haben, da nur eine einzige Nachkriegsaufführung, 1947 in Wien, belegt ist. Zwar gastierte er, wie das Booklet weismachen will, 1956 tatsächlich in Dresden und dirigierte die dortige Sächsische Staatskapelle, doch stand dieses Werk mitnichten auf dem Programm. Nun muss man indes fairerweise hinzufügen, dass bereits auf dem Label Andromeda vor Jahren eben diese angebliche Knappertsbusch-Aufnahme vorgelegt wurde (ANDRCD 5066). Findige Bewunderer des Dirigenten konnten sogar herausfinden, dass es sich in Wahrheit um einen Mitschnitt Otto Klemperers mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester aus dem Jahre 1955 handelt. Wenn man genau hinhört, fällt diese geradlinige, gleichsam nüchtern-sachliche Lesart auch ohne dieses Wissen aus dem Rahmen. Man vergleiche nur einmal die Finalsätze dieser Ersten und der unzweifelhaft von Knappertsbusch dirigierten Zweiten mit den Münchner Philharmonikern von 1956. Wo letztere nicht an Pathos spart und durch eine fast schon wahnwitzige Agogik mit abenteuerlich anmutenden Tempowechseln aufwartet, die ein typisches Merkmal dieses Dirigenten sind, wirkt die Erste auffällig zurückhaltend und ohne jegliche Extravaganzen. Man muss beinahe sagen: Glücklicherweise ist diese eher durchschnittliche Darbietung nicht vom großen Kna. Die ungleich gelungenere Zweite wurde übrigens in der vor kurzem erschienen Jubiläumsbox 125 Jahre Münchner Philharmoniker ebenfalls bedacht und erfuhr somit (neben einer fulminanten Eroica von 1953) ihre späte offizielle Veröffentlichung.

 

Ein ganz besonders inniges Verhältnis verband Knappertsbusch mit Brahms‘ Dritter, seinem Parsifal unter den Sinfonien. Wohl keine andere Sinfonie hat er mehr geliebt und öfter dirigiert als diese. Daher rührt auch der Umstand, dass ungewöhnlich viele Mitschnitte überliefert sind, selbst noch aus seinen letzten Jahren. Profil entschied sich für eine etwas frühere Aufnahme von 1955 mit den Wiener Philharmonikern, welche die ganz späten extremen Tempovorstellungen noch nicht so ausgeprägt aufweist, freilich gleichwohl fast 39 Minuten dauert. Gleichsam in jedem Takt wird die absolute Begeisterung des Dirigenten für diese Sinfonie ersichtlich. Schade, dass keine einzige seiner Interpretationen davon für die Nachwelt in Stereo festgehalten wurde – sie würde sich wohl auch heute noch einer größeren Bekanntheit erfreuen. Es ist jedenfalls auffällig, dass ausgerechnet Knappertsbusch, der Augenzeugenberichten zufolge ein preußischer General hätte sein können, für diese vielleicht intimste Komposition der Spätromantik schwärmte. Auf den ersten Blick würde man ihn ja eher bei den dramatischeren Sinfonien Nr. 1 und 4 verorten. Die Vierte dirigierte er zumindest etwas häufiger als die Erste; es haben sich zwei Tonaufnahmen erhalten, von denen Profil auf diejenige von 1953 aus Köln zurückgriff (es gibt noch eine von 1952 mit dem Bremer Philharmonischen Staatsorchester, die orchestral etwas abfällt). Die Tempi sind nicht einmal unbedingt besonders langsam, wobei wir keine Interpretation aus seinen letzten Lebensjahren haben. Monumental und im besten Sinne deutsch die Coda des Kopfsatzes, sehr verinnerlicht der langsame Satz, wild herausfahrend das Scherzo und an Dramatik überbordend das Finale.

Bei den Bruckner-Aufnahmen dominieren die Berliner (Nr. 4, 8 und 9) und die Wiener Philharmoniker (Nr. 5 und 7). Lediglich bei der Dritten von 1954 wurde auf das Bayerische Staatsorchester, in einem gewissen Sinne eigentlich das Knappertsbusch-Orchester (er war ja langjähriger Bayerischer Generalmusikdirektor in München), zurückgegriffen. Bei diesem Komponisten bediente sich Knappertsbusch bis zuletzt der heute als „korrumpiert“ bezeichneten Fassungen von Loewe und Schalk; lediglich die in der Fassungsfrage wenig betroffene Siebente ist hiervor quasi ausgenommen. Diese Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern von den Salzburger Festspielen 1949 wurde zurecht schon vor langem offiziell herausgebracht (Orfeo C 655 061 B). Sie wird ihrem legendären Ruf gerecht. Einmal mehr gilt: Wäre nur der Klang ein wenig besser.

 

Tontechnisch am überzeugendsten ist in der gesamten Box fraglos die Einspielung der Fünften von Bruckner, handelt es sich hierbei doch um eine für Decca produzierte Studioaufnahme, ebenfalls mit den Wiener Philharmonikern, aus dem Jahre 1956. Allerdings ist der hier vorliegende Transfer hörbar nicht annähernd so ideal wie der von Decca selbst, zumal im glasklaren japanischen Remastering (Decca UCCD-9634). Die Einspielung gilt unter Kennern als berühmt-berüchtigt, fallen die Eingriffe der zugrunde gelegten Schalk-Edition doch ganz drastisch aus. Knappertsbusch setzte diese Fassung damals bei den Aufnahmesitzungen durch, obwohl schon Mitte der 50er Jahre eigentlich bekannt war, dass sie schwerlich Bruckners Grundintention entsprach. Die Striche sind makaber, die Instrumentierung megalomanisch anmutend mit verstärkten Blechbläsern und dem für Bruckner eigentlich untypischen und hier zumal im Finalsatz exzessiven Einsatz des Beckens. Trotz all dieser Einschränkungen müsste man lügen, behauptete man, die Coda ganz am Ende verfehlte ihre apotheotische Wirkung. In ihrer Theatralik beim Durchschreiten des Himmelstores mit den englischen Fanfaren erinnert es schon fast an einen Hollywood-Monumentalfilm der goldenen Ära. Auch wenn das Ergebnis mehr nach Wagner klingt: Allein diese Bruckner-Travestie ist die Box wert.

 

Die restlichen Sinfonien liegen allesamt aus Berlin vor. Bei der Romantischen handelt es sich um die einzige Kriegsaufnahme in der Box (September 1944). Klanglich fällt sie erstaunlicherweise nicht wirklich ab. Auch wenn nicht ganz die enorme Intensität von Celibidache erzielt wird (die aber auch ohne ihresgleichen geblieben ist), handelt es sich um eine noch heute konkurrenzfähige Interpretation, Fassung hin oder her. Zu den interessantesten Aufnahmen der Kollektion gehören aber besonders die Achte und die Neunte aus den Jahren 1951 bzw. 1950. Die Überlegenheit des Berliner Philharmonischen Orchesters demonstriert sich gerade in der Live-Situation dieser Konzertmitschnitte, ist es doch trotz der Proben-Aversion des Dirigenten im Stande, ihm weitestgehend tadellos zu folgen. Sinfonie Nr. 8 ist ein bisschen weniger titanenhaft als die ganz späte Studioeinspielung mit den Münchner Philharmonikern von 1963 (Westminster 471 211-2), wirkt dadurch insgesamt flexibler und passt sogar auf eine einzige CD. Vor allem im Finalsatz ist Knappertsbusch hier geschlagene dreieinhalb Minuten flotter unterwegs als in München. Wahrlich apokalyptisch dürfen die Blechbläser in der letzten Minute aufheulen, selbst wenn es die eingeschränkte Tontechnik eher erahnen lässt. Die Neunte schließlich beschließt das Ganze sehr adäquat und darf in derselben Liga ansiedelt werden wie Furtwänglers berühmte Kriegsaufnahme von 1944. Insbesondere das Scherzo kommt bei Knappertsbusch geradezu gruselig-gespenstisch herüber, wobei dies mutmaßlich auch ein wenig an der hier gespielten „verkehrten“ Fassung liegen mag.

Fazit: Trotz einer Fake-Aufnahme und nicht immer idealem Transfers eine summa summarum doch besitzenswerte Ansammlung bedeutender Interpretationen dieses legendären Dirigenten, die gerade für Einsteiger in Sachen Knappertsbusch von Interesse sein dürfte (Erscheinungsdatum 2018). Daniel Hauser

BEL RIPOSO

 

Die Vivaldi-Edition des französischen Labels Naïve ist vermutlich aktuell das ambitionierteste diskographische Vorhaben, über 400 Autographen sollen eingespielt werden, mit der Oper Il Giustino soll nun mit CD-Erscheinung Nr. 58 die 85. Werkeinspielung und die 18. Oper auf dem Markt sein. Uraufgeführt wurde die Oper in der Karnevalssaison 1724 in Rom, also in durchgängig männlicher Besetzung, die Aufnahme verzichtet allerdings auf Countertenöre. Das Libretto stammt ursprünglich von Nicolò Beregan und wurde 1683 von Legrenzi erstmals vertont; Händels gleichnamige Oper von 1737 beruht ebenfalls auf einer Überarbeitung von Beregans Textbuch. Es ist nicht die erste Einspielung dieser Vivaldi-Oper, und das aus gutem Grund: Giustino ist quasi eine Anthologie wirksamer Arien in effektvollen Szenen und komplett erhalten (und zwar als einzige der zwischen 1721 und 1726 komponierten Opern). Virgin brachte 2002 eine stark gekürzte Aufnahme mit Alan Curtis und Il complesso barocco auf zwei CDs heraus, Bongiovanni im selben Jahr eine umfängliche Version mit Esteban Velardi und dem Alessandro Stradella Consort auf vier CDs. Die historisch inspirierte Handlung der Oper dreht sich um den späteren byzantinischen Kaiser Justin I. (nicht zu verwechseln mit seinem Adoptivsohn Justinian I.), der es im 6. Jahrhundert als Bauersohn über eine militärische Laufbahn bis an die Spitze des Staates schaffte. Vivaldis Giustino zeigt eine erfundene Episode aus seiner Karriere. Das frisch verheiratete Kaiserpaar von Byzanz Anastasio und Arianna sind in Gefahr, die Stadt wird vom Tyrannen Vitaliano belagert, der Arianna als Witwe des verstorbenen Kaisers Zeno selber zur Frau will und sie gefangen nehmen kann. Arianna bleibt Anastasio treu und verweigert sich dem Usurpator, Vitaliano läßt sie an einem Felsen ketten, an dem ein Seeungeheuer sein Unwesen treibt, das sie töten soll. Durch einen Schiffbruch landen Anastasio und Giustino, der Anastasios Schwester Leocasta liebt, zufällig an genau diesem Felsen, töten das Monster, befreien die Kaiserin und können letztendlich Vitaliano besiegen – ein lieto fine für die beiden Paare. Bei Vivaldis Opern hört man heute den Instrumentalkomponisten heraus. Tendenziell sind die Arien flächig koloriert und tonmalerisch oder energiegeladen vibrierend. Vivaldi kopierte seine Musik gerne und verwertete sie in anderen Stücken. In Giustino sollen über 20 Nummern aus früheren Werken entlehnt sein, Vivaldi hat hier quasi eine eigene anthologische Zusammenstellung beliebter Nummern erstellt. Die Musik blieb, der Text wurde oft neu unterlegt – den szenischen Moment scheinen Vivaldis Arien deshalb auch mal zu verfehlen. In Giustino scheint Vivaldis Bemühen um dramatische Struktur allerdings spürbar, der 1. Akt endet mit der Konfrontation zwischen Arianna und Vitaliano, der 2. Akt mit der effektvollen Arie „Ho nel petto un cor si forte“. Unter den 38 Arien dieser Oper sind einige bemerkens- und hörenswerte Stücke und auch das heutige Barockpublikum hat mit mancher willkürlich wirkenden Wendung kaum noch Probleme – Giustino wirkt beim Anhören dieser Neuaufnahme wie ein Werk, dass man gerne live hören wollte.

Acht Sänger singen neun Figuren, auf Countertenöre wird verzichtet. In der Titelrolle hört man Delphine Galou (sie ist als stimmlich sicherer Contralto auch bei der aktuellen Aufnahme von Händels Serse bei DG beteiligt). Giustino verleiht sie in „Bel riposo de’mortali“ eine samtig angeraute Weichheit, „Ho nel petto“ benötigt als instrumentelle Besonderheit eine Ur-Zither – ein Psalterium – , mit dem Galou ausdrucksstark kontrastiert, „Su l’altar di questo nume“ ist heroisch gelungen – eine starke Besetzung. Als Anastasio fehlt der deutschen Mezzosopranistin Silke Gäng ein wenig die stimmliche Verführungskraft. Sieben Arien hat sie zu singen, darunter die bekannten und auch in Konzerten gerne aufgeführten „Vedrò con mio diletto“ sowie „Sento in seno“ – Gäng interpretiert diese von gezupften Streichinstrumenten begleitete Arie fast zu schlicht, ein wenig mehr plastische Ausschmückung hätte der Expressivität gut getan. Die Arianna von Emöke Barath hat vor allem Liebesbekundungen zu singen, ihre fünf Arien interpretiert sie höhen- und koloratursicher, „Mio dolce amato sposo“ beendet stark den 1. Akt, das Vogelgesang imitierende „Augelletti garruletti“ ist ein wirkungsvoll interpretiertes Arioso. Tenor Emiliano Gonzalez Toro singt gerne Bachs Evangelisten, die sechs Arien des tyrannischen Vitaliano gelingen mit flexibler Stimme, die bei höher gelegenen Koloraturen auch mal meckernd klingen kann, „Vanne sì, superba, va“ fehlen ein wenig der Hochmut und die Wut, „All’armi, o guerrieri“ mit Trompetensolo hat hingegen Emphase. Die Schweizer Sopranistin Ana Maria Labin hat als Leocasta fünf Arien, die sie mit warmer und strahlender Stimme und schönen Koloraturen gefühlvoll interpretiert, darunter auch das schöne Naturbild „Senti l’aura“, das Lamento „Senza ‚amato ben“ und das gut gelaunte „Sventurata navicella“. Die Arien des General Amantio singt Ariana Vendittelli mit schönem Sopran, in den beiden kleinen Nebenrollen als Andronico (Bruder des Vitaliano) und Polidarte (ein Militär im Dienste Vitalianos) ist Tenor Alessandro Giangrande zu hören. Rahel Maas hat als Fortuna genau eine (und wahrscheinlich den Fähigkeiten des damaligen Sängers entsprechend eine wenig bemerkenswerte) Arie, wenn sie Giustino im Traum erscheint, zuvor wird ihr Erscheinen allerdings orchestral eingeleitet vom Beginn des Frühlings aus den Vier Jahreszeiten.

Der italienische Cembalist und Dirigent Ottavio Dantone erweist sich als Interpret eines energiegeladenen und doch ausgeglichenen Vivaldi, der starke, aber keine überzogenen Akzente setzt. Das Barockensemble Accademia Bizantina umfasst neben dem bereits erwähnten Psalterium weiterhin Streicher, Fagott, Schlagzeug und Barockgitarre sowie doppelt besetzte Oboen, Trompeten, Hörnern und Cembalos. Die Instrumentierung ist abwechslungsreich, musiziert wird atmosphärisch dicht (auch sonst, denn den Sturm zu Beginn des 2. Akts lässt man bspw. 15 Sekunden als unterlegte Tonkonserve wirken), Cembalo und Gitarre sind präsent und schön heraushörbar. Die empfehlenswerte, wenn auch nicht restlos überzeugende Studioaufnahme erfolgte im April 2018 in Ravenna und beruht auf einer Edition des renommierten Reinhard Strohm. Das Beiheft ist mehrsprachig, das Libretto allerdings nicht in Deutsch (was den deutschsprachigen Sammler erbittert, sind doch die drei deutschsprachigen Länder der größte Absatzmarkt in Europa!/ G. H.) (3 CD, Naïve, 876368) Marcus Budwitius

Allan Evans

 

Der schwarze Bass-Bariton Allan Evans starb im Alter von 77 Jahren in Mannheim. Als langjähriges Mitglied der Opernhäuser in Mannheim, Düsseldorf und Basel war er seinen Anhängern ein beliebter Interpret, auch an der DOB Berlin hörte man ihn gern, namentlich als Don Giovanni . In Mannheim bleibt er als Arkel in Debussys Pelléas et Mélisande in Erinnerung. Neben seinen italienischen Partien war er ein gesuchter Wagnersänger. Nachstehend ein Auszug aus dem – wie stets unersetzlichen – Kutsch/Riemens. G. H.

 

Evans, Allan, Bariton (geb 1941 Macon/ Georgia  – gest. 7. November 2018 in Mannheim) entstammte einer farbigen Arbeiterfamilie, die acht Kinder hatte. Als Knabe sang er in einem Kirchenchor und wurde durch eine Lehrerin zuerst auf seine schöne Stimme aufmerksam gemacht. Er konnte dann das Studium am Musikinstitut der Universität St. Paul (Minnesota) aufnehmen und sang damals bereits kleinere Partien in Oratorien. 1962-66 setzte er seine Ausbildung an der Juilliard Music School New York fort (wo er 1965 in der amerikanischen Erstaufführung von H.W. Henzes »Elegie für junge Liebende« in der Partie des Dr. Reichmann mitwirkte), kam aber 1966 zur weiteren Ausbildung nach Deutschland. Er studierte an der Musikhochschule München, dann am Mozarteum in Salzburg und namentlich bei Hilde Zadek in Wien. Er begann seine eigentliche Bühnenkarriere 1968-72 am Stadttheater von Trier und wurde dann vor allem als Crown in »Porgy and Bess« von Gershwin bekannt, eine Rolle, die er u.a. in Bremen, Essen, Zürich und Graz vortrug. Er war als Gast 1968-70 der Wiener Kammeroper, 1973-76 dem Stadttheater Bremen und 1976-79 dem Opernhaus Zürich verbunden. In Graz sang er den Escamillo in »Carmen« und den Pizarro im »Fidelio«. In Köln, wo er seinen Wohnsitz nahm, trat er als Golo in »Pelléas et Mélisande« auf. In den Jahren 1977-87 gehörte er dem Ensemble des Stadttheaters von Basel an; seit 1987 wirkte er am Nationaltheater Mannheim. Aus seinem Bühnenrepertoire sind noch der Titelheld im »Don Giovanni« (Mannheim, Augsburg 1991), der Claggart in »Billy Budd« wie der Balstrode in »Peter Grimes« von Benjamin Britten, der Amonasro in »Aida« (Staatstheater Wiesbaden 1996), der Fliegende Holländer, der Wotan im Nibelungenring, der Amfortas im »Parsifal«, der Titelheld in »Jonny spielt auf« von E. Křenek (Theater an der Wien 1980), der Macbeth wie der Simon Boccanegra in den gleichnamigen Verdi-Opern, der Scarpia in »Tosca« (Mannheim 1994), der Boris in »Lady Macbeth von Mzensk« von Schostakowitsch, der Eugen Onegin, der Barak in der »Frau ohne Schatten« und der Orest in »Elektra« von R. Strauss zu erwähnen. 1996 wirkte er am Stadttheater von Bern in der Uraufführung der Oper »Der Sturm« von Daniel Schnyder als Caliban mit.

[Nachtrag] Evans, Allan; 1998 trat er am Nationaltheater Mannheim als Dr. Schön (und als Jack the Ripper) in »Lulu« von A. Berg auf, 1999 am Staatstheater Kiel als Wanderer im »Siegfried«. [Lexikon: Evans, Allan. Großes Sängerlexikon, S. 7092 (vgl. Sängerlex. Bd. 2, S. 1063; Sängerlex. Bd. 6, S. 302) (c) Verlag K.G. Saur]; Foto oben: Allan Evans/ Macon.com

Wann fährt die nächste U-Bahn?

 

„Hatte jemals jemand im Publikum eine U-Bahn gesehen?“, fragte Olive Moorfield zurecht nach der Deutschen Erstaufführung von Leonard Bernsteins Wonderful Town. Der furiose Erfolg von Kiss me Kate, mit dem Marcel Prawy das Wiener Publikum auf das neue Genre des Musicals einschworen hatte, war wenige Monate später im November 1956 mit Bernsteins Werk nicht zu wiederholen. „Diese Show“, so nochmals die Moorfield, „gehörte einfach nach York – das machte auch die Übersetzung viel schwieriger -, und wer die Stadt nicht kennt, der konnte auch mit Bernsteins Musical nichts anfangen!“ Das Wort Musical setzte Heinrich Kralik in der Presse damals übrigens noch in Anführungszeichen: „Musical“. Kralik, der einst für Mahler und Bruckner gekämpft hatte, war immer noch, wie den Pressestimmen dieser Werkmonographie zu entnehmen, noch der Aufgeschlossenste der Wiener Kritiker. Solches erfährt man, und vieles mehr, aus der Werkmonographie „…wie die Stadt schön wird“, welche die Staatsoperette Dresden ihrer Aufführung von Bernsteins Wonderful Town im Vorjahr beisteuerte (Herausgegeben von Heiko Cullmann und Michael Heinemann, Thelem Verlag, Dresden 2017, 160 Seiten, ISBN 9783945363638).

„Wonderful Town“: Der Broadway-Klassiker von Leonard Bernstein neu interpretiert von Matthias Davids in deutscher Sprache für die Staatsoperette Dresden mit Sarah Schütz, Olivia Delauré, Bryan Rothfuss, Marcus Günzel, Gerd Wiemer, Jannik Harneit, Thomas Bayer, Anne Schaab, Christopher Hemmans, Dietrich Seydlitz (Hitspan Records) – Direktverkauf bei der Staatsoperette Dresden

Volksopern-Dramaturg Christoph Wagner-Trenkwitz, der darin das Zustandekommen der deutschen Erstaufführung resümiert, verweist auch richtigerweise darauf, dass jedes amerikanische Musical eine „Prise New York“ enthalte. Das hatte Bernstein bereits 1944 mit On the Town bewiesen, dem 24stündigen Landurlaub dreier Matrosen, in dessen Verfilmung Frank Sinatra mit „New York, New York“ – allerdings nicht mit jenem „New York, New York“-Song mit der Musik von John Kander aus Martin Scorseses Film – der Stadt ein Denkmal setzte. Anders als das realistische On the Town von 1944 ist der Nachfolger Wonderful Town von 1953 ein nostalgisches Märchen.

Die Bedeutung New Yorks, von der Bernstein sagte, „Diese Stadt fesselt mich noch immer. Kein Wunder, dass ich dauernd Musik über sie schreibe“, für amerikanische Komponisten, Songwriter und Theatermacher von der Tin Pan Alley über die Gershwins und den Immigranten Weill bis zu Bernstein untersucht Gisela Maria Schubert in „Variationen über New York“: „Während On the Town in der unmittelbaren Gegenwart seiner Entstehungszeit spielt, versetzten die Autoren Wonderful Town, vorgegeben durch die literarische Vorlage … in die dreißiger Jahre zurück“. Die Entstehung des Stückes, dessen Grundlage die in The New Yorker veröffentlichten und für den Broadway 1940 dramatisierten My Sister Eileen Kurzgeschichten der Ruth McKenney bilden, worin sie schildert, wie sie Mitte der 30er Jahre mit ihrer Schwester Eileen von Ohio ins New Yorker Greenwich Village kam, ist so spannend zu lesen, wie die diversen verschlüsselten Anspielungen – die Schwestern landen in der Christopher Street – die im angespannten politischen Klima von den Besuchern durchaus verstanden wurden. So interessant die Lebensgeschichte der wirklichen Schwestern Ruth und Eileen ist auch die Tatsache, dass die Hollywood-Veteranin Rosalind Russell, die bereits im Film mitgewirkt hatte, und deren Karriere ihren Gipfel überschritten hatte nun auch für das Broadway-Musical zur Verfügung stand. Ihre Schwester spielte eine junge Sopranistin, die gerade die Juilliard School absolviert hatte. Man liest sich fest bei den Texten über das amerikanische Musiktheater an und für sich und das Musical insbesondere sowie den Einblicken in die Werkstatt Bernsteins und seiner Textdichter. Sehr lesenswert.

Das ist alles andere als ein 160seitiges Programmheft, wie ich erwartet hatte. Toll, dass sich das Gelesene in dem Mitschnitt eines Konzerts des London Symphony Orchestra unter Simon Rattle vom Dezember 2017 (LSO 0813) nachprüfen und erleben lässt. Rattle stürzt sich mit dem Feuereifer eines Michael Tilson Thomas in die Musik, die vom Orchester mehr als nur broadwaytaugliches Begleiten verlang. Das klingt so witzig und animierend, dass man es gerne ein zweites Mal hört. Schade, dass es keine Texte gibt und die Besetzung der 19 Nummern nicht angegeben ist. Klar die Erinnerung an „Ohio“ ist ein Duett der beiden Schwestern Ruth und Eileen (Alysha Umphress und Danielle de Niese) in allerbester Musical-Manier, etwas altmodisch doch nicht unraffiniert. So wie auch „One hundred easy ways to lose a Man“, das Bernstein für Russell maßschneiderte, die angeblich keine Melodie halten konnte. Alysha Umphress würde das fraglos gelingen; sie singt dazu mit einer ausdruckvollen, durchaus drastisch-lässigen Stimme, so auch in ihrer zweiten Solonummer „Swing!“, während de Niese das liebliche koloraturenzarte Gegenstück dazu bildet. Aus dem Ensemble sind Duncan Rock als Fußballspieler Wreck mit „Pass the Football“ zu nennen, dazu die Diner-Gäste Bob Baker (Nathan Gunn), Frank (Ashley Riches) und Chick (Stephen John Davis), welche die Schwestern in der Hoffnung auf einen Job zum Essen in ihre kleine Wohnung geladen haben. Nummer 10 nennt Bernstein „Conversation Piece“. Das könnte über nahezu allen Nummern stehen, denn stets handelt es sich um gesungene oder getanzte Konversation – etwa in der „Conga“ der brasilianischen Kadetten – dem naiven Duett „It’s Love“, in dem Eileen dem von beiden Schwestern geliebten Bob hilft, seine Gefühle für Ruth zu gestehen, oder in den letzten Nummern des zweiten Aktes, wo sich Blues, Ragtime und Foxtrott zu virtuosen Szenen mischen und sich Ruth eine glänzende Zukunft eröffnet. Bernstein ist mitten drin im brodelnden Greenwich Village. Kaum zu glauben, dass der junge Bernstein bei einem frühen Besuch von der Stadt angewidert war, von der „Verdorbenheit der Greenwich-Village-Bewohner“ und den „frenetischen Versuchen, die Atmosphäre der Nachkriegs-Bohème zu bewahren“.   Rolf Fath

SONGS FROM CHICAGO

 

Auf seiner neuesten Einspielung bei Cedille (CDR 90000180) stellt Thomas Hampson amerikanischen Liedgesang vor, speziell von Komponisten aus oder mit Wurzeln in Chicago. Dabei sind auf Songs from Chicago wahre Schätze zu finden, die sich durchaus mit  europäischen Kunstliedern messen können. Die Auswahl, die Hampson mit dem – Chicago ebenfalls sehr verbundenen – Begleiter Kuang-Hao Huang getroffen hat, umfasst Lieder von Ernst Bacon, Florence Price, Margaret Bonds, Louis Campbell-Tipton und John Alden Carpenter. Lieder und Auswahl der Dichtungen von Walt Whitman, Langston Hughes und Rabindranath Tagore weisen durchweg auf das Ziel, die Psyche und Lebensumstände aller Amerikaner zu durchdringen; unabhängige Ansichten und Empathie für die Menschen um uns sind Gemeinsamkeiten der drei vertonten Dichter.

Thomas Hampson beginnt mit sieben kürzeren der mehr als 250 Liedern von Ernst Bacon (1898-1990), der sich auch mit Sinfonien, Opern, Instrumentalkonzerten und Kammermusik einen Namen gemacht hat. Die Melodien sind sehr eingängig und bieten dem englischen Text weite Interpretationsmöglichkeiten. Der erfahrene Liedsänger kostet das so richtig aus, wenn er z.B. im Gebet „The Last Invocation“ mit fein nuanciertem „tenderly“ um einen „zarten“ Übergang (ins Jenseits) bittet. Da kann man die hohe Gesangskunst echt bewundern. Ganz anders kommt dann „The Divine Ship“ daher, wenn er mit kräftiger Stimme plakativ die Aussage in den Raum stellt, dass alle Völker der Welt in ihrer Bestimmung vereint sein sollten. Die einfühlsame Begleitung von Kuang-Hao Huang kommt am Besten zur Geltung bei den „Tropfen“ in „Lingering Last Drops“ und den eindringlichen „Footsteps“ in „On the Frontiers“.

Die Afro-Amerikanerin Florence Price (1888-1953) war die erste „black woman“, deren Sinfonie in e-Moll von dem Chicago Symphony Orchestra mit Frederick Stock 1932 aufgeführt wurde. Sie stammte aus Arkansas, kam erst Ende der 20er Jahre mit ihrer Familie nach Chicago und fand dort zu einem neueren Stil. Für ihre Lieder bevorzugte sie Texte von Langston Hughes, der zu der afroamerikanischen Künstlerbewegung „Harlem Renaissance“ gehörte. „Songs To The Dark Virgin“ über alles, was man der Schwarzen Madonna zu Füßen legen möchte, gelingt schlichtweg ergreifend; im tänzerischen „My Dream“ kommt neben der Naturbeschreibung die Sehnsucht der Farbigen zum Tragen mit den Worten zur Nacht „dark“ bzw. „black like me“.

Margaret Bonds (1913-1972) traf mit Florence Price in Chicago zusammen, studierte bei ihr Klavier und Komposition und spielte deren Klavierkonzert als erste Afro-Amerikanerin mit dem Chicago Symphony Orchestra zur Weltausstellung 1933/34. Als sie 1939 nach New York ging, lernte sie dort Langston Hughes kennen. Eine enge Freundschaft verband sie und führte zu vielen Liedkompositionen, u.a. zu „The Negro Speaks of Rivers“ und „Three Dream Portraits“. Ersteres ist der Vergleich der Seele mit den großen Flüssen, die Hampson behäbig fließend vorbeigleiten lässt; nur wenn er zum Mississippi kommt, werden die Erinnerungen an Abraham Lincoln in New Orleans lebendig, um dann wieder in ruhigem Fluss zu enden – toll komponiert und ausgeführt von den beiden Künstlern. Von den drei kurzen Traumliedern ist „Dream Variation“ besonders interessant, da es eine Vertonung desselben Textes des Liedes von Florence Price ist.

In „Four Negro Songs“ hat sich auch John Alden Carpenter (1876-1951) mit Hughes-Texten auseinandergesetzt, von denen drei auf dieser CD erklingen; besonders bei „The Cryin‘ Blues“ fallen die Jazz-Elemente aus der Harlem-Szene auf. Kernstück der Einspielung von Carpenters Liedern jedoch sind Vertonungen von sechs Gedichten Rabindranath Tagores aus der Sammlung „Gitanjali“, umrahmt von zwei von Hampson ausdrucksstark gesprochenen Texten, „Credo“ und „Epilogue“. Bei den Liedern gibt es das fröhlich wiegende „When I bring to you colour’d toys“, dem das Lied „On the day when death will knock at thy door“ mit ernster Frage und Antwort folgt, wie man dem anklopfenden Tod begegnet. In der Begleitung wird das Klopfen gut herausgearbeitet, während beim Gesang erste Einbußen verzeichnet werden müssen, d.h. im forte beginnt bei lang gehaltenen Tönen ein zwar gleichmäßiges, aber etwas zu starkes Vibrato. Das gilt auch besonders für „Light, My Light“, während der Bariton in „I am like a Remnant of a Cloud of Autumn“ wieder sein ganzes Können und Erfahrung im differenzierten p- und mezzavoce-Gesang auspackt. Auch die Gegenüberstellung von kindlicher Unwissenheit und stürmischen Wogen des Lebens in „On the Seashore of Endless Worlds“ gelingt ihm und seinem Pianisten Huang grandios.

Abgerundet wird die CD mit der einschmeichelnden „Eleggy“ aus „When Lilacs Last in the Dooryard Bloom’d“, ein Lied des aus Chicago stammenden, aber später in Paris lebenden Louis Campbell-Tipton (1877-1921), der für seine Musik in der Heimat keine Zukunft sah. Seine Lieder kamen auf einem Umweg doch nach Amerika, indem ausländische Sänger dort mit ihnen tourten.

Es hat sich gelohnt, diese Lieder zu veröffentlichen, die allen Sängern und Sängerinnen eine Erweiterung ihres eigenen Repertoires ermöglichen. Und authentischer als Thomas Hampson kann wohl keiner diese Lieder bislang präsentieren, wobei Kuang-Hao Huang sich als passend unterstützender Begleiter mit eigenen Impulsen erweist. Marion Eckels     

Vergnügliches aus Malmö

 

Fast immer ein Grund zur Freude sind die meistens weniger bekannten Opern in Aufführungen aus meistens weniger im Zentrum des Interesses stehenden Opernhäusern, die das Label Naxos in schöner Regelmäßigkeit auf den Markt bringt. So bestellt ist es auch um Rossinis heitere Oper Le Comte Ory von der Oper Malmö in einer hochamüsanten, liebenswerten und dabei nicht unkritischen Produktion aus dem Jahre 2015, als Regisseurin Linda Mallik mit offensichtlicher Achtung vor und Liebe zum Werk ein turbulentes, amüsant erotisches und am Ende mit einer unerwarteten Wendung verblüffendes Spektakel auf die Bretter brachte. Zwar erscheinen die aus dem Kreuzzug heimkehrenden Ritter tatsächlich auf der Bühne und kündigen sich nicht nur durch Siegesgesänge an, aber so schnell wie ihr Erscheinen ist ihr Hinscheiden, denn alle tragen sie lange weiße Bärte und ein Sarazenenschwert im Rücken. So können denn Countess Adèle und Page Isolier eine ungestörtere Liebesnacht feiern, als ihnen zuvor zu dritt auf einem Lager mit dem lüsternen Ory beschieden war. Einen Aha-Effekt hatte allerdings auch diese erzeugt, wenn aus dem Orchestergraben ein riesiges Bett vor einem Blütenbusch emporfährt. Karin Betz ist als Bühnenbildnerin für diesen Einfall und weitere ebenso köstliche verantwortlich, zauberte mit einfachen Mitteln, aber viel Farbeffekten und allerseits Kreuzen sowohl für den ersten Akt vor der Behausung des angeblichen Eremiten wie für das gräfliche Schloss eine angemessene Bühne. Ihre Kostüme sind allesamt so schön wie witzig charakterisierend und helfen den Sängern, plastische Figuren zu kreieren.

Der Cast besteht aus durchweg guten Schauspielern und zum überraschend großen Teil auch aus vorzüglichen Sängern. Einem berühmten peruanischen Sänger optisch zum Verwechseln ähnlich sieht der Tenor Leonardo Ferrando in der Titelpartie, dem zum akustischen Ebenbild lediglich mehr corpo und ein ausgeprägterer squillo in der Höhe fehlen, ansonsten ist er mit allen Attributen für einen guten Rossinisänger versehen und dazu mit einem beinahe unglaublichen Spieltalent. Eine wirkliche Schönheit ist die Adèle von Erika Miklosa, dazu mit einer reinen, geschmeidigen Sopranstimme von leichter Emission begabt. Beinahe schon ein Alt ist die ebenfalls vorzügliche Ragonde von Irina De Baghy, und der Isolier von Daniela Pini gefällt durch sein wendiges Spiel und den Mezzo von ebenmäßiger Farbe. Vokale Schwächen weist lediglich der Erzieher des Grafen auf, dem Lars Arvidson nur recht schütter klingende Töne in seinen doch recht umfangreichen Beiträgen verleihen kann. Besser ist es um die andere tiefe Stimme bestellt: Igor Bakan ist als Raimbaud selbst den irrwitzigsten Prestoteilen seiner Partie gewachsen. Herrlich sind die Chorszenen, insbesondere das Trinklied im zweiten Akt, amüsant sind bei den Solisten wie dem Herrenchor die ständigen Wechsel zwischen frommer Demut als angebliche Nonnen und derber Trinklust als rüde Gefolgsleute des Grafen. Am Dirigentenpult sorgt Tobias Ringborg für Spannung, Tempo und klugen Aufbau insbesondere der Finali. Ein vergnüglicher Abend ist jedem, der in den Genuss der DVD kommt, gewiss (Naxos 2.110388). Ingrid Wanja    

„Götterdämmerung“ aus Hong Kong

 

Exakt vier Jahre nachdem im Januar 2015 im Cultural Centre die Götter gen Walhall gezogen waren, ließ Brünnhilde am 18. und 21. Januar 2018 ihre Raben vom Süden der Halbinsel Kowloon Richtung Festland fliegen. Das zur Ertüchtigung des seit den 1970er Jahren als professionelles Orchester agierenden Hong Kong Philharmonic Orchestra angesetzte Ring-Projekt hat sich in den rasch auf die Konzertaufführungen folgenden Naxos-Veröffentlichungen als mehr als nur eine Fußnote erwiesen. Zwar nicht zwingend notwendig, hat auch die Götterdämmerung (4 CD 8.660428-31) Aufmerksamkeit verdient. Neu sind Brünnhilde und Siegfried. Gun-Brit Barkmin stellt gleich mit ihrem ersten Auftritt eine Figur aufs Konzertpodium, der sie im Lauf des Abends ein Gesicht verleiht. Jugendlich und schlank aufschwingend verfügt ihr heller Sopran über eine sympathische Farbe und kommunizierende, weil sehr textdeutliche Eindringlichkeit in der Mittellage und Tiefe. Die im Vorspiel noch angetippte Höhe legt an Festigkeit und Schlagkraft zu, nicht an Leuchtkraft, die Interpretation an Ruhe und Kraft, so dass das überraschende Rollendebüt – nach den vielen Salomes, auch Chrysothemis sowie der ersten Isolde 2016 in Graz – Sinn macht. Der Amerikaner Daniel Brenna fühlt sich daneben nicht immer wohl, wirkt eingeengt, sein Tenor klingt gespreizt und gestresst, manchmal fern und leicht wie aus einem Nebenraum, gewinnt aber bereits Ende des ersten Akts an Selbstbewusstsein und steigert sich („Helle Wehr“) später in „Brünnhilde! Heilige Braut“ vom scheuen Jüngling zum geschundenen Helden. Der Bassbariton Shenyang, Gewinner der Cardiff Singer of the World Competition von 2007, und Eric Halfvarson gleichen sich als Halbbrüder Gunther und Hagen in Farbe und Düsterheit, wobei sich Halfvarsons grobklotziger Hagen gelegentlich ein Beispiel an der Textbehandlung des chinesischen Kollegen nehmen könnte; recht unruhig und charaktervoll klingen sie beide. Amanda Majeski ist eine zurückhaltend spitze Gutrune. Michelle DeYoung gibt eine kraftvoll überzeugende Waltraute. Hagens Vater Alberich singt der Ungar Peter Kálmán mit geradezu edel gefasst hellem Bassbariton. Das japanisch, französisch-österreichische Rheintöchter-Trio Eri Nakamura, Aurhelia Varak und Hermine Haselböck ist gut, ausgezeichnet die vereinte Wucht der von Eberhard Friedrich instruierten Chöre aus Bamberg, Lettland und Hong Kong. An spieltechnischer und klanglicher Kompetenz hat Jaap van Zweden das Orchester bestens aufgestellt. Ihm gelingen eindrucksvolle Momente, brillant abgehorchte orchestrale Schilderungen und Übergänge in den Zwischenspielen, Siegfrieds Rheinfahrt und dem Trauermarsch. Bei durchgehend breiten, aber lebhaft akzentuierten Momenten gelingen van Zweden und Orchester nach der etwas unerheblichen Einführung durch die Nornen Sarah Castle, Stephanie Houtzel und Jenufa Gleich spannende, mit Streichereleganz entworfene Momente, die den erzählerischen Duktus betonen.    Rolf Fath

So in Love…

 

Als Roberto Alagna vor Jahren mit seiner damaligen Gattin Angela Gheorghiu Duett-CDs einspielte, passten beide Stimmen perfekt zusammen, befanden sich in einem ähnlichen Zustand der Reife. Inzwischen steht sein Debüt als Otello bevor, seine jetzige Frau Aleksandra Kurzak sang bis vor kurzem noch Lucias und Norinas, peilt inzwischen allerdings auch die Butterfly an (und verhob sich etwas an der Rachel vor kurzem in München). Auf der gemeinsamen CD mit dem Titel Puccini in Love ist auch das Liebesduett aus der „japanischen“ Oper und lässt beim Hörer den Eindruck entstehen, dass für sie die Partie zu früh kommt, für ihn der Pinkerton eigentlich bereits zu den Akten gelegt zu sein scheint. Zartheit und Verletzbarkeit des Schmetterlings sind wohl selten so eindrucksvoll zu hören wie hier, aber man denkt natürlich auch an den zweiten und dritten Akt und die Anforderungen, die er an die Mittellage des Soprans stellt, um die es bei der Sängerin noch nicht gut bestellt ist. Der Tenor überzeugt in diesem Track durch das zärtlich- leidenschaftliche Drängen in der dramatisch gewordenen Stimme.

Die CD beginnt mit dem Duett Tosca-Cavaradossi aus dem ersten Akt, in dem sich ebenfalls stärker zeigt, dass die Partie noch nicht die des Soprans ist, der mit zarten Mario-Rufen beginnt, angenehm in den Parlandoteilen klingt und sicher in der Höhe ist, der man allerdings in dieser ein üppigeres Aufblühen wünscht und die in den dramatischen Ausbrüchen, die des Tenors Stärken sind, fast keifend klingt.

Zweimal ist Manon Lescaut vertreten, die als schüchternes junges Mädchen des ersten Akts in der Kurzak eine gute Interpretin gefunden hat, in der des zweiten Akts jedoch verführerische Farben vermissen lässt, allein durch feine Piani nicht überzeugen kann. Da ist vieles zu sehr gesäuselt, die Höhe sicher, aber zu flach ausfallend. Des Grieux, der Otello Puccinis, ist natürlich ganz Alagnas Sache mit einer in allen Lagen gleich gefärbten und gleich präsenten Stimme und einem markanten Nell’occhio tuo io leggo il mio destin…

Auch Magda und Ruggero aus La Rondine begegnen uns in doppelter Ausführung, und es gilt Ähnliches. Im zweiten Akt, in dem sie das junge Mädchen spielt, kann die Sopranistin mit leichter Emission der Stimme überzeugen, als reife Verzichtübende ist sie weniger überzeugend. Dramatisch gestaltet hingegen Alagna die Verzweiflung des Verlassenen.

Aus La Bohéme ist der Schluss des ersten Akts zu hören, in dem Alagna galant auf das C verzichtet und so der Gattin die Möglichkeit für einen wunderschönen Acuto gibt. Davor allerdings ist sie neben ihm wenig zu hören, man denkt unwillkürlich an eine Musetta, weniger an eine Mimi.

Noch weniger als eine Mimi ist der Sopran bereits eine Minnie, während sich der Tenor in der Fanciulla del West ganz in seinem Element befindet. Besser harmonieren die Stimmen im ersten Teil von Il Tabarro in der Schilderung der schönen Tage in É ben altro il mio sogno.

Riccardo Frizza ist ein erfahrener Dirigent im italienischen Fach, und auch an der Sinfonia Varsovia ist nichts auszusetzen, aber insgesamt ist wohl diese CD eher ein Liebesbeweis Alagnas für die noch nicht so berühmte Gattin als eine reife, künstlerisch hoch befriedigende Leistung (Sony 19075879232). Ingrid Wanja

 

Zu neuen Ufern

 

Von Anfang an wie ein nicht integrierbarer Fremdling wirkt der peruanische Tenor Juan Diego Flórez in der Zürcher Inszenierung von Massenets Werther, wenn er das Haus des Amtmanns in Wetzlar betritt. Bühnenbildner Klaus Grünberg hat ein Einheitsbühnenbild geschaffen: ein großer Raum ganz aus lichtem Holz mit  Wandschränken, Borden und vielen Türen, nicht unfreundlich, aber doch einengend und nicht immer dem Willen der Bewohner gehorchend, wenn diese das Haus verlassen wollen. Einmal versucht Werther der Enge und seinem Gefühlsüberschwang zu entkommen, indem er einige Dielen aus dem Boden reißt, Charlotte gelingt es nicht, die Tür zu öffnen, um zu dem sterbenden Werther zu eilen, er fällt ihr blutend, noch das Pistol in der Hand, durch dieselbe entgegen, und erst während der Sterbeszene heben sich die Wände und gegen den Blick auf Schneefall, Sternenhimmel und wohl auch einen dahinziehenden Erdball frei. Ein altes Ehepaar, wohl Charlotte und Werther bei einem möglichen glücklichen Ausgang der Geschichte, umtanzt die beiden mit dem Kopfputz, den sie auf dem Ball trugen, wobei fraglich ist, ob Werthers Charakter ihn fähig zum männlichen Teil eines Philemon- und- Baucis-Glücks machen würde. Die Inszenierung von Tatjana Gürbaca ist also einerseits hochsymbolisch, zum anderen werden einige Szenen ins Sarkastisch-Groteske, ja Abstoßende gewendet, wenn im zweiten Akt einer Alten von den beiden Junggesellen gewaltsam Alkohol eingeflößt wird oder den anderen armen Betagten die von Charlotte servierten Tortenstücke entrissen werden. Zur dem dem German trash zugeneigten Teil der Inszenierung gehören auf jeden Fall auch die ausgewählt hässlichen Kostüme von Silke Willrett. Zwar erwartet man nicht unbedingt das berühmte schlichte weiße Kleid mit rotem Gürtelband, aber das Ungetüm von rosafarbenem Rüschenkleid ist eine Beleidigung für den Geschmack von Charlotte, und auch Sophie hat die grässliche Kombination von Leopardenmantel mit grellgrüngestreiftem Pullover plus grell rot kariertem Rock nicht verdient. Verschont bleibt allerding Werther, der im weißem Hemd und schwarzer Hose auftritt, die in der Goethezeit zum Modehit avancierte gelbe Weste gibt es nicht, wohl aber dieses Gelb in allen Gewändern der Kinderschar. Ist dieser Teil der Optik ein erhebliches Manko der Produktion, so ist die Personenregie, insbesondere für die Titelfigur eine so feine wie ausgefeilte, und der Tenor zeigt bei seiner Repertoireerweiterung, die Aufnahme entstand im Frühjahr 2017, nach dem französischen Orpheus und dem Roméo, dass er anders als bei seinem Duca, auf dem richtigem Weg ist. Hoffmann und der Massenet-Des-Grieux sollen folgen. Die Stimme ist dunkler und tragfähiger geworden und kann sich auch gegenüber dem reichen Orchestersound durchsetzen.

Keine bekannten Sängerstars sind neben dem Startenor zu erleben, und doch fällt keiner der Mitwirkenden ihm gegenüber ab. Anna Stéphany ist eine schlanke, mädchenhafte Charlotte, die in dieser Produktion zur gleichberechtigtem Heldin neben der Titelfigur wird, mit einem leidenschaftlich ausgetragenen Kampf zwischen Neigung und Pflicht, dargeboten von einem hellen, leichten, gut tragfähigen und geschmeidigen Mezzosopran. Keine Soubrette, sondern eine beherzte Sophie mit schönen lyrischen Mitteln ist Mélissa Petit. Oft als bebrillter Langweiler dargestellt, wird Albert hier mit Audun Iversen zum durchaus attraktiven, auch menschlich ansprechenden, weil mitempfindenden und -leidenden Dritten im unglücklichen Bunde und ist zudem mit einem kernigen Bariton begabt. Auch Le Bailli hat in der Darstellung durch Cheyne Davidson sympathische Züge. Die Karikatur ist den allerdings dazu herausfordernden Nebenpersonen vorbehalten. Cornelius Meister weiß das Orchester des Zürcher Opernhauses sowohl im Ausmalen der Stimmungen in zarten Pastellfarben wie im schneidenden Aufbrausen des dramatischen Aplombs sicher und einfühlsam zu führen. Abgesehen von einigen optischen Auswüchsen, die aber die Hauptpersonen kaum tangieren, ist das eine sehens-, vor allem aber hörenswerte Aufnahme (Accentus Music ACC 10427). Ingrid Wanja    

Mehr als „Ombra mai fu“

 

Serse ist Georg Friedrich Händels drittletzte Oper und ein vielfältiges Werk, geprägt vom Wechsel zwischen Arien, Arietten und Ariosen, dazu gibt es drei kurze Duette und einen eigenständigen Chor. Von den über 30 Arien sind mehr als 20 einteilig und folgen nicht der Dacapo-Form. Die aus dieser Struktur folgenden schnellen und kontrastierenden Wechsel mit teilweisem Miniaturcharakter stammen aus der venezianischen Oper und bieten kurzweiliges Vergnügen. Das originale Libretto zu Serse von Nicolò Minato wurde in einer Vertonung Cavallis 1655 in der Lagunenstadt aufgeführt, ein „Ombra mai fu“ findet sich bereits hier. Eine stark überarbeitete Fassung des Textbuchs durch Silvio Stampiglia  vertonte Giovanni Battista Bononcini für Rom 1694, erneut mit einem „Ombra mai fu“, das eine grobe Ähnlichkeit mit Händels berühmter Vertonung hat. Dafür gibt es einen naheliegenden Grund: aus einer Abschrift von Bononcinis Partitur entlehnte sich Händel musikalische Anregungen für einige Werke, sein 1738 gespielter Serse beruht auf Bononcinis Motivfragmenten und dem historischen Vorläufer, den Text adaptierte und kürzte Händel vermutlich selber. Die verworrene Handlung lässt sich kaum nacherzählen, der persische König Xerxes (Serse) ist zwar verlobt mit Amastre, will aber plötzlich Romilda heiraten, die bereits mit Xerxes Bruder Arsamene verbunden ist, in den wiederum auch Romildas Schwester Atalanta verliebt ist. Es gibt die üblichen Irrungen und Wirrungen und ein lieto fine aus heiterem Himmel. Serse ist ein Dramma per musica mit humorvollen Szenen, musikalisch liebevollen Porträts, einem sprunghaften Tyrann und einem komischen Diener – der barocke Heroismus der Herrscherfigur kann ironisch gebrochen werden, Serse ist dann eine Tragibuffo.

Im Herbst 2017 soll es stehende Ovationen in der Opéra Royal zu Versailles für eine konzertante Aufführung von Serse gegeben haben. Die Deutsche Grammophon hatte eine glückliche Hand, als sie diese Besetzung im Januar 2018 zu einer Aufnahme in der Villa San Fermo im italienischen Lonigo bei Vicenza im Veneto versammelte. Es handelt sich um die erste Gesamteinspielung mit einem Countertenor in der Titelrolle. 1728 hatte Händel mit Caffarelli einen Starkastraten zur Verfügung und entsprechend groß und schwierig gestaltete er die Titelfigur, Franco Fagioli verleiht Serses Stimmungsschwankungen nun seine Stimme und das mit Bravour. „Ombra mai fu“ zu Beginn ist voller geschmeidiger Wärme und samtiger Klangfarbe (es bietet sich übrigens ein Vergleich an, Fagioli hat auf seiner Anfang 2018 erschienen CD mit Händel-Arien mit gleichem Orchester dieses Stück getragener interpretiert. Auch „Crude furie“ ist dort enthalten). Die drei großen Dacapo-Arien sind alle vorbildlich gelungen, ob nun in „Piu che penso alle fiamme“ oder „Bramate d’amar“, Fagioli präsentiert seine Kombination aus Technik und Ausdruck, virtuos und charakteristisch mit geerdetem Timbre und stets verführerisch. Das entfesselte „Crude furie“ ist für Fagioli ein Bravourstück, dessen Spannweite zwischen tiefen und hohen Tönen mit schwindelerregender Stimmakrobatik in rasantem Tempo aktuell kein anderer so überzeugend meistert. Als Romilda hat man mit Inga Kalna eine große, voluminöse Stimme gewählt, stimmig im Ausdruck, technisch tadellos, und doch zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn ihre Klangfarbe ist reif und erwachsen, kaum jugendlich und damit fast schon zu souverän für die gebeutelte Protagonistin. Die beiden Hosenrollen sind mit Vivica Genaux und Delphine Galou besetzt. Genaux ist technisch noch immer überzeugend und souverän in der Gestaltung, wie sie bspw. „Or che siete, speranze, tradite“ vor Erregung vibrieren läßt, hat Klasse. Delphine Galou hat sich über das letzte Jahrzehnt zu einer der gefragtesten Contralto-Stimmen im Barock-Repertoire entwickelt, ihre Stimme ist klar, geradeaus und gefühlvoll, souverän meistert sie die Koloraturen in „Saprà delle mie offese“. Und auch mit Francesca Aspromonte als Atalanta hat man eine attraktive Stimme, die man in einer größeren Rolle zu hören wünscht. Beachtenswert gut sind ebenfalls die beiden Bässe, Andrea Mastroni als profunder Ariodate und insbesondere Biagio Pizzuti in der Partie des Elviro besitzt eine wohlklingende Stimme mit Statur und Verwandlungsfähigkeit, die Buffo-Partie zu Beginn des zweiten Akts interpretiert er derb komisch. Die 12 Chorsänger (jede Stimmlage dreifach) der Cantica Symphonia passen sich tadellos ein. Neben Streichern und Continuo erfordert Serse Fagott, Trompete und doppelt besetzte Flöten, Oboen und Hörner. Dirigent Maxim Emelyanychev und das mit 25 Instrumenten besetzte Il Pomo d’Oro verleihen der Partitur nuancierte Dynamik, man musiziert expressiv und energisch vorwärtsdrängend, stets animiert und engagiert, oft mit Vehemenz und Entschiedenheit. Man schwelgt, ohne betulich zu werden, manch traurige und schmachtende Stelle kann man vielleicht noch größer betonen, aber im Gesamteindruck ergibt sich ein homogener Eindruck. Die Aufnahmetechnik überzeugt, der dichte Klang der Aufnahme ist sehr gut, die Ouvertüre springt ins Ohr, die Balance zwischen Gesang und Musik wirkt optimal. Die Deutsche Grammophon präsentiert eine herausragend gut gelungene und hochwertig homogene Neueinspielung, die Freude bereitet. Ein wenig mehr Mühe und Sorgfalt hätte man dennoch erwarten können. Für viele ist Serse eine Oper von Händel oder Haendel, für die DG handelt es sich um ein Werk von Handel. Wieso ein deutsches Label George Frideric statt Georg Friedrich schreiben muss, mag man vielleicht noch mit kommerziellen Gründen erklären. Das lediglich zweisprachige Beiheft ist neben Englisch auch in Deutsch, das Libretto neben dem Original allerdings nur in Englisch und nicht in Deutsch verfügbar. Als Aufnahmezeitpunkt wird  11/2018 angegeben, gemeint ist wahrscheinlich Januar 2018 (3 CD, Deutsche Grammophon, DG 483578). Marcus Budwitius

Eugen d’Alberts „Revolutionshochzeit“

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Eugen d’Albert ist heute nur noch – wenn überhaupt – durch seine Oper Tiefland bekannt, wenig gespielt, ein paar Mal aufgenommen und in Ausschnitten noch ab und zu im Radio gesendet. Das ist eine Ungerechtigkeit, denn d’Albert (Eugène Francis Charles d’Albert, kurz Eugen d’Albert (10. April 1864 in Glasgow –  3. März 1932 in Riga) zählte vor dem Kriege zu den am meisten gespielten Komponisten, schon wegen des Tieflands, das so gut wie alle großen Sänger im Repertoire hatten und das an jeder deutschsprachigen Bühne lief. Aber auch andere Opern von ihm, wie Die schwarze Orchidee oder Der Rubin/Der Stier von Toledo finden sich bis zum Krieg auf den Listen der beliebten Stücke. Und dann Schluss.

„Revolutionshochzeit“: Eugen d’Albert, um 1900/ Wikipedia

Es war da schon eine Sensation, dass das Theater Eisenach (nicht gerade die Met) 1994 mit d´Alberts Revolutionshochzeit herauskam, die älteren Kinogängern vielleicht noch wegen der zahlreichen Verfilmungen der Story oder wegen des Theaterstücks in Erinnerung war. Kurz nach der Wende machte sich also halb Berlin – ich auch – auf die Reise nach der Stadt an der Wartburg. Und Produktion (der Uraufführung in Leipzig 1919 nachempfunden) wie Wiedergabe rissen den Besucher vom Sitz. Die aufregenden Farben im Orchester, der gelungene Wechsel zwischen Parlando und großem Singen, die geschickte Anlage des Librettos und der ganze mitreißende Fluss des Dramas ließen erstaunen. Warum also wird diese Oper nie aufgeführt? Statt der x-ten Tosca oder Butterfly? Man rätselt. Um so wichtiger scheint uns als operalounge.de-Anwälte für das Besondere deshalb ein Artikel zur Oper von dem Mann, der dieses Wagnis in Eisenach einging, der Dirigent Harke de Roos, dem wir für das Nachstehende danken. G. H.

 

Nun also Harke de Roos: Was für ein ewiges Thema sind Liebesbeziehungen unter dem Schatten der vielen Unruhen in Europa – ob nun in moderner oder historischer Zeit ein vielbearbeitetes Sujet. Und was für ein allumfassender Europäer war doch Eugen d’Albert! Der Vater wohnte zeitlebens in Großbritannien, war aber ein Franzose italienischer Abstammung, der Großvater – und dies ist nicht ohne Interesse in Bezug auf die „Revolutionshochzeit“ – Napoleons Adjutant!

Nur scheint die väterliche Erbanlage für Eugen d’Albert bei weitem nicht so wichtig gewesen zu sein wie die deutsche Abstammung der Mutter: Bereits als junger Mann zog der immens begabte Eugen nach Thüringen (daher die erfolgreichen Bestrebungen, die Revolutionshochzeit am Landestheater Eisenach 1994 aufzuführen), um von dort aus die Eroberung des deutschen Kulturraumes anzustreben. Nirgendwo taucht in d’AIberts Biographie der Vater oder das Geburtsland Schottland je wieder auf, lediglich die für die Schotten sprichwörtliche Beziehung zum Geld scheint er im Reisegepäck behalten zu haben. Die „Wahlväter“, die geistigen Vorbilder, waren Liszt und Wagner; Nachfolger von beiden wollte er in einem werden. Hätte er sich auf eine der beiden Ambitionen beschränkt, so wäre sein Erfolg gewiss dauerhafter geblieben. Immerhin galt er um die Jahrhundertwende als der weltbeste Konzertpianist und der legitime Nachfolger des legendären Liszt. Zwanzig Jahre später war dieser Führungsanspruch stark umstritten, aber zu diesem Zeitpunkt wurde er von mehreren Kritikern als der bedeutendste deutschsprachige Opernkomponist betrachtet. Damit trieben diese d’Albert förmlich in den Ring zum Zweikampf mit Richard Strauss, der für sich die Führungsrolle beanspruchte und keinen Rivalen neben sich duldete.

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„Revolutionshochzeit“: Szene aus der Aufführung in Eisenach 1994/ Foto Theater Eisenach

Rivalen: Es war von vornherein ein ungleicher Wettstreit. Zwar hat Strauss nicht mehr Opern als d’Albert komponiert, und ebenso wenig hatten diese, wie beim Kontrahenten, alle die gleiche Qualität. Jedoch war Strauss im Großen und Ganzen stilsicherer als d’Albert, er verfügte über die besseren Librettisten, und seine Orchestrationskunst konnte von niemandem übertroffen werden. Überdies war Strauss, der waschechte Deutsche, schottischer noch als die schottischsten Schotten, ein „Industrieritter“, wie Gustav Mahler zu sagen pflegte, denn er verstand sich bestens auf den Verkauf und Vertrieb seiner Kompositionen. Ein außerordentlich stabiles Eheleben unterstützte den Wirkungskreis seiner musikalischen Tätigkeiten. dagegen immer auf’s neue durch zwei gewaltige Kräfte in Frage gestellt, und zwar durch die eigene faszinierende Wirkung auf Frauen sowie die Anziehungskraft, welche die Frauen auf ihn ausübten. Zu jedem Zeitpunkt konnte es passieren, daß eine neue Liebe wie eine Naturkatastrophe in seinen Lebenslauf einbrach und sein bisheriges Dasein bis auf die Grundfesten zerrüttete. Langjährige Freundschaften, wertvolle Geschäftsverbindungen und das überaus geliebte Geld wurden bei Ausbruch dieser Naturgewalten ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie d’Alberts Ansehen in der Öffentlichkeit. An der Seite der achten Gefährtin starb er 68jährig in Riga an den Folgen der Aufregung über die misslungene Scheidung von hn der sechsten, ein unwürdiges Ende eines Lebens, das im Zeichen

„Revolutionshochzeit“: Szene aus der Uraufführung in Leipzig 1919/ Foto Sammlung HDR

der Musik gestanden hatte.

Vermächtnis: Kurz vor seinem Tod hatte d’Albert, der um sein Scheitern wusste und schwer darunter litt, seine Partituren der Berliner Akademie der Künste vermacht mit der dringenden Bitte, sich für seine vernachlässigten Geisteskinder einzusetzen. Bis heute sind sie dort nicht angekommen. Im erschütternden Testament erklärt er, dass er nur Richard Strauss für kompetent hält, den Wert seiner Opern richtig zu erkennen und deren Pflege fachgerecht zu übernehmen. Dennoch sollte man „den nicht bemühen“, was wohl als Kapitulationserklärung angesichts des Rivalen aufzufassen ist, vor dem Mann, der ihm einst, aus Anlass der Uraufführung von d’Alberts erster Oper (Der Rubin) geschrieben hatte: „Opern“ schreiben ist nicht schwer, sie aufzuführen dagegen sehr! “

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Verborgene Stärken: Die vergessenen Opern brauchen den Vergleich mit dem Opernschaffen des siegenden Rivalen keineswegs zu scheuen, und dabei wollen wir den Rang von Richard Strauss mitnichten abstreiten. Gerade in den vermeintlichen Schwächen d’Alberts stecken verborgene Stärken. Richtig ist, daß d’AIbert sich ungenierter als Strauss der Einfälle anderer Komponisten bediente, nur wäre es verfehlt anzunehmen, dies wäre die Folge mangelnder Persönlichkeit. Die Kraft und Eigenart d’AIberts liegen gerade in seiner Gabe, sich in die Haut anderer versetzen zu können, in seiner Bereitschaft, auf die Sprache der Mitmenschen einzugehen und überhaupt im Offensein für tausendundeinen Einfluss.

Kein zweiter deutscher Komponist fand auf solch leichte Art Zugang zur spanischen Folklore (Der Stier von Olivera zu den bretonischen Volksweisen Liebesketten, zum Jazz (Die schwarze Orchidee) oder zum französischen Impressionismus (wie zum Beispiel in der Hommage an Ravel, der Aschenputtel-Suite). Auch in der Revolutionshochzeit trifft man auf liebevolle Anklänge an das Oeuvre von Wagner, Puccini, Tschaikowsky und Humperdinck, welche eine entwaffnende Naivität verraten. Jedoch fehlt es nicht an der eigenen unverwechselbaren Handschrift, wie wir sie aus dem Tiefland kennen.

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„Revolutionshochzeit“: Fritz Kortner in der Verfilmung der Vorlage 1938/ OBA

Musikalische Malereien: Bei der Behandlung der Orchesterinstrumente steht ihm oft sein eigenes glänzendes pianistisches Können im Wege, nur ist dies eher ein spieltechnisches denn ein musikalisches Problem. Natürlich wird die vielfältige Palette des spätromantischen Orchesterapparates auch von ihm voll ausgeschöpft. Allerdings ist er in der Behandlung der Gesangsstimmen „italienischer“ als Strauss: Sorgfältiger als sein übermächtiger Rivale achtet er darauf, dass die Orchesterinstrumente die gesungenen Linien nicht überdecken. Wie im Schaffen von Strauss gibt es in der Revolutionshochzeit eine reichhaltige Abwechslung von äußerlich-theatralischen Effekten und verinnerlichten Passagen. Auf großartige Weise werden die Protagonisten in Tönen geschildert. Der in Etiketten erstarrte Adlige wird von einer Auslese an Menuetten charakterisiert, die ihresgleichen in der Opernliteratursucht. D’Albert zeigt Sympathie für den oberflächlichen Marquis, der gerade durch seine Oberflächlichkeit der tödlichen Gefahr entkommt, und schenkt ihm, als er seinen Abschiedsbrief an die Mutter schreibt, eine wunderbare, mitleidsvolle Musik. Aber auch Marc-Arron, der Revolutionär bäuerlicher Herkunft, bekommt eine eigene, außerordentlich warme Begleitung im Orchester. Unübertroffen das Tongemälde für die weibliche Hauptperson, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Liebe konfrontiert wird, was sie in die Katastrophe treibt. Hier wird der Frauenkenner zum Großmeister der musikalischen Charakterisierungskunst.

Von ganz besonderer Art ist das gewaltige Vorspiel zum dritten Akt. Die Liebesnacht erscheint hier nicht so sehr sinnlich-irdisch als eher sublimiert und mit einem Hauch von Mythologie. Auch die Form stimmt: Auf kluge Weise sind die Motive miteinander verbunden und tragen zur architektonischen Einheit des Ganzen bei. Die Harmonik der Oper setzt die Chromatik von den Strauss-0pern Salome und Elektra fort, vermeidet jedoch jede Atonalität. Die allergrößte Stärke des Werkes liegt zweifellos in der Schilderung des Seelendramas: Die Musik folgt den Stimmungen auf dem Fuß ist stürmisch, verklärt melancholisch, gewalttätig, leidenschaftlich liebend, erfasst all das, was große Musik auszudrücken hat: die wechselnden Geschicke der menschlichen Seele und die schlüssige Erzählung ihrer Leidensgeschichte. Harke de Roos

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„Revolutionshochzeit“: Hans Lissmann sang 1919 in der Uraufführung/ Foto Krugmann

Der Librettist Ferdinand Lion (11. August 1883 in Mülhausen/Elsass21. Januar 1965 in Kilchberg (bei Zürich): Lion studierte in Straßburg, München und Heidelberg Geschichte und Philosophie. In Paris, wo er sich mit Andre Gide befreundete, begann er seine schriftstellerische Laufbahn und war während des 1. Weltkrieges auch als Journalist tätig. 1917 lernte er in München Thomas Mann kennen und wurde ein Freund der Familie. Nach Kriegsende blieb er in Deutschland. In Frankreich hatte ihn der Verdacht, Leitartikler der deutschfreundlichen „Gazette des Ardennes“ gewesen zu sein, für kurze Zeit ins Gefängnis gebracht. Lion wurde Lektor im Berliner Verlagshaus  Ulllstein und lernte spätestens zu dieser Zeit Alfred Döblin kennen. Aus Deutschland wurde der Jude Lion 1933 vertrieben, worauf er in die Schweiz emigrierte, zunächst nach Zürich. Doch auch dort blieb er nicht lange. In einem Nachruf auf ihn heißt es: ,,Er besaß einen Koffer als einzigen Hausrat. Er reiste nicht ab, er verschwand, und er kam nicht an, er tauchte wieder auf“. Lion hat sich einem historischen Zugriff seiner Person gegenüber weitgehend zu entziehen vermocht und in seinem \Verk dafür ein geradezu universalistisches Spektrum an Veröffentlichungen hinterlassen. Er war sowohl Dichter als auch Literaturwissenschaftler, Historiker, Staatsdenker und Philosoph. Neben den Libretti für Eugen d’Alberts Opern Revolutionshochzeit und Der Golem stammt von ihm auch das Libretto für Paul Hindemiths Oper Cardillac. Darüber hinaus verfasste Lion in den zwanziger Jahren auch Lustspiele. Seine Komödie Zwischen Indien und Amerika war im Berliner Theater am Schiffbauerdamm angenommen und einstudiert, als einen Monat zuvor für dreißig Aufführungen das Stück eines jungen Augsburgers gezeigt wurde. Es hieß Die Dreigroschenoper, sein Autor Bertolt Brecht, und dessen Erfolg überrollte das angesetzte Lustspiel. Der Komödienschreiber trat darauf zugunsten des Essayisten Lion zurück. Letzterer schrieb unter anderem literaturwissenschaftliche und politische Abhandlungen und Biographien über seinen Freund Thomas Mann. Kathrin Singer

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„Revolutionshochzeit“: Gösta Ekman spielte 1928 in der schwedischen Verfilmung von „Revolutionsbröllup“/ Künstlerpostkarte/  Terra Film/ Sammlung HDR

Die Volage von Sophus Michaelis (14. Mai 1865 in Odense/Dänemark28. Januar 1932 in Kopenhagen). Sein Vater war deutsch, seine Mutter spanischer Abstammung. 1884 begann Michaelis ein Studium in Odense mit Französisch als Hauptfach. Der Musik- und Theaterbegeisterte hatte seine ersten Erfolge und künstlerisch eigenständigen Leistungen auf dem Gebiet der Lyrik; seinen Romanen, vor allem aber seinen wenigen Schauspielen, wird von der Literaturkritik daher gewöhnlich nicht ganz zu Recht nur un te rgeordn ete Bedeutung beigemessen. Seinen größten und weit über die Grenzen Dänemarks hinausreichenden Publikumserfolg verdankt der Autor dennoch letztlich einem Drama, nämlich der Revolutionshochzeit (Revolutionsbryllup, 1906). Es wurde im Verlauf von wenigen Jahren in sechs Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt (1909 dänisch, 1912 deutsch, 1915 dänischer Tonfilm, 1928 deutscher Tonfilm als Die große Liebe/A. W. Sandberg mit Gösta Ekberg, 1938 deutscher Tonfilm mit Brigitte Horney). Dazu kamen viele Aufführungen des Stückes auch in Deutschland, so am Berliner Komödienhaus. Die Uraufführung der Oper war am 26. Oktober 1919 am Neuen Stadttheater Leipzig.  Sophus Michaelis wirkte von 1896 bis 1898 als Redakteur und veröffentlichte Kritiken zu Literatur, Kunst, Musik und Theater. 1915 übernahm er die Leitung des dänischen Schriftstellerverbandes. Michaelis machte sich auch als Übersetzer einen Namen, so übertrug er vor allem Werke Goethes, Flauberts (Salammbo) und Eschenbachs (Parzival) ins Dänische. Seinen literarischen Durchbruch erreichte er mit seinem Gedichtband Sonnenblumen. Aufenthalte im Ausland, so in Ägypten, Amerika, Japan und China, beeinflussten sein lyrisches Schaffen. Außerdem vermochte er es, ,,in Wörter zu malen“ – Michaelis ließ sich von den Bildern berühmter Maler wie Rembrandt, Tizian, Verocchio und des dänischen Künstlers Vilhelm Hammershold zu Gedichten inspirieren. Kathrin Singer

 

Der Dirigent, Autor und Musikwissenschaftler Harke de Roos, Autor des Artikels/ Foto Harke de Roos

(Die obenstehenden Texte entnahmen wir mit Dank an Harke de Roos und an Kathrin Singer mit kleinen Änderungen dem Programmheft zur modernen und bislang einzigen (Erst-)Aufführung des Werkes am Theater Eisenach 1994, die damals von der Initiative des dortigen musikalischen Leiters, des Dirigenten Harke de Roos, getragen wurde, der seinen Artikel  ebendort veröffentlichte. Die Revolutionshochzeit wurde in Eisenach 1994 mit Ingeborg Zwitzsers, Kai Konrad, Thomas Enders, Günther Köbrich sowie Jeanette Ender/ Sonja Müller unter Harke de Roos‘ Leitung in der Produktion von Andreas Basler aufgeführt. In der Leipziger Uraufführung 1919 sangen unter der musikalischen Leitung von Otto Loose Aline Sanden, Hans Lißmann, Rudolf Jäger, Walter Soomer u. a.; musikalische Dokumente sind von dieser Oper m. W. nicht existent; Harke de Roos lebt heute in Graz und kann auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken. Zur Handlung und zum Komponisten gibt es Artikel bei Wikipedia, zu Harke de Roos s. seine website. Abbildung oben: „Französische Revolution“ von Jose Pimentel-Vazque. G. H.)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Bemerkenswertes  CD-Debüt

 

Ein noch  ganz am Beginn einer Karriere stehender möglicher künftiger Stern am Opernhimmel scheint die belgische Sopranistin Iris Hendrickx zu sein, von der es eine CD mit bekannten und weniger bekannten Arien aus französischen Opern zu bestaunen gibt, denn verwunderlich ist, dass eine solche Stimme noch nicht den Weg auf die Bühne gefunden hat, wenigstens gibt es keinerlei Eintrag in der doch sonst bestens informierten Internetseite Operabase. Auch das höchst knapp gehaltene Booklet weiß zwar von den Stücken, aus denen die Arien sind, zu berichten, nichts aber über die Interpretin. Google präsentiert immerhin einige Fotos einer sehr hübschen, empfindsam aussehenden Blondine, die auch optisch sehr gut in die Rollen passen könnte, die sie zumindest jeweils mit einer Arie auf ihrer CD verkörpert.

Die erste davon ist die Marguerite von Gounod, die sie nicht mit der Juwelenarie präsentiert, sondern mit Il ne revaint pas, wozu das von einem Hauch von Melancholie umflorte Timbre der Stimme, die trotzdem zu leuchten versteht, besonders gut passt. Die feinen Farben der Stimme korrespondieren mit denen des Orchesters, der Vortrag ist voll sanfter Trauer, die Emission der Stimme ist angenehm leicht und der Intervallsprung gelingt gut. Das Französisch, die Artikulation der jungen Künstlerin sind das/die denkbar beste. Auch für ihre Darstellung der Juliette wählt sie nicht die lebensfrohe erste Arie, sondern Amour, ranime mon courage, obwohl man ihr auch, so leichtgängig und hell leuchtend ist der Sopran, den jugendlichen Übermut zutrauen kann.  Zu den dem Opernbesucher vertrauten Arien gehört auch die der Micaela aus Bizets Carmen, die mit feinem Vibrato gesungen wird und die besonders mädchenhaft lyrisch klingt. Offenbachs Antonia singt Iris Hendrickx mit zärtlicher Innigkeit, die Zerbrechlichkeit der Figur in ihrem Gesang betonend.

Viel Gefühl für Rhythmus zeigt die Sängerin in der chansonhaften Arie der Amanda aus Poulenc Leocadia. Nicht einmal in guten Opernführern ist Saint-Saens Henri VIII. zu finden, aus dem der Abschied der Catherine Je ne te reverrai jamais…stammt, dem man einen höheren Bekanntheitsgrad zutraut, wenn er so einfühlsam mit schwebenden Piani gesungen wird, die wie ein Verlöschen bereits vor dem eigentlichen Ende klingen. Auch für Debussys Lia aus L’Enfant Prodigue hat der Sopran gut tragende Pianissimi. Aus Lalos Fiesque stammt die Arie Une femme viendra, die verträumt naiv klingt, und bei deren Hören nicht zum ersten Mal auffällt, dass Iris Hendrickx jeder Figur etwas Charakteristisches, Besonderes mitzugeben hat.

Sie kann sich glücklich schätzen, einen in diesem Fach so erfahrenen Begleiter wie Patrick Fournillier mit dem Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi, an dessen Sitz die CD 2017  auch entstand, zur Seite gehabt zu haben. Das Erscheinen der jungen Sängerin auf den Opernbühnen dürfte nur eine Frage der Zeit oder der Entdeckerfreude der Theater sein (Centaur 3670). Ingrid Wanja

Tolle Besetzung, aber was für eine Optik….

 

Die Me too-Bewegung kann Susanna in der Inszenierung von Mozarts Le Nozze di Figaro durch Jürgen Flimm von 2015 nicht für sich in Anspruch nehmen, dazu sind die Kostüme und Utensilien auf der Bühne des Schillertheaters, Ausweichquartier der Staatsoper Unter den Linden für sieben Jahre, zu modern. Noch viel weiter entfernt aber sind sie von der Ausübung des ius primae noctis. So befindet sich der Zuschauer einmal mehr in der unglücklichen Lage, die Figuren und ihre Probleme nicht ernst nehmen zu können, ist dem Stück der revolutionäre Atem, der es umwehte, ausgeblasen und stattdessen eine Farce à la Feydeau in Augenschein zu nehmen. Eine bunte Gesellschaft bricht für einen Tagesausflug in ein am Meer gelegenes, ziemlich ramponiertes Ferienhaus (Bühne Magdalena Gut) ein, vor dem für den letzten Akt eine Düne mit Umkleidekabine platziert ist, umrundet bereits zur Ouvertüre wie auch später immer wieder den Orchestergraben und hat sich offensichtlich atemlose Turbulenz zum Ziel gesetzt. Abenteuerlich und zum Teil die Personen der Lächerlichkeit preisgebend sind die Kostüme von Ursula Kudna, allein die Marcellina von Katharina Kammerloher kann sich über mondänes Weißes freuen, während die ohnehin mollige Contessa von Dorothea Röschmann den gesamten Abend in unvorteilhaften Pluderhosen bestreiten muss. Eine wüste Phantasie tobt sich ausgerechnet bei den Kostümen des Chors der Landmädchen aus. Die Produktion dürfte besonders dem Teil des Publikums gefallen, der sich wenig aus der Musik macht und durch action um jeden Preis unterhalten werden möchte.

Mit Knickerbocker, Fliege, Brille und akkuratem Haarscheitel wurde der Figaro von Lauri Vasar ausgestattet, der sich recht trottelig aufführt und eher zur lächerlichen als die Handlungsfäden souverän führenden Figur wird. Seine Stimme ist zwar angenehm dunkel gefärbt , klingt in der Tiefe allerdings eher matt als präsent. Eher eine Despina als eine Susanna ist Anna Prohaska, trotz der Unschuldskleidung von weißen Söckchen und Handschuhen eher lasziv als charmant und eher affektiert als romantisch in der Rosenarie. Zumindest zur Aufnahmezeit war der Sopran der einer Soubrette, klangen die Rezitative piepsig, erblühte die Rosenarie nicht, sondern blieb eher Knospe.

Vokal reich beschenkt wird man dagegen vom „hohen“ Paar. Dorothea Röschmanns Contessa kann durch das wunderschöne Timbre, den stilsicheren Mozartgesang, den sie unbeirrt trotz des Gewimmels während ihrer ersten Arie darbietet, wahrlich betören, der Conte von Ildebrando D’Arcangelo bietet fast schon zu viel an stimmlicher Pracht, macht sein Già vinta la causa zu einem der Höhepunkte der Aufnahme. Darstellerisch scheint es ihm nichts auszumachen, dass ihn die Regie zur lächerlichen Figur deformiert, die von einem selbstverschuldeten Missgeschick ins nächste taumelt.

Die ganz große Entdeckung dieser Nozze war und ist allerdings der Cherubino von Marianne Crebassa, die seitdem gerade auch mit dieser Rolle bereits eine Weltkarriere gestartet hat. Ihre beiden Arien sind erfüllt von stürmischer Erotik durch eine farbige, geschmeidige Mezzostimme von schönem Leuchten und durch ein unbekümmert natürlich wirkendes Spiel.

Etwas Mühe, die musikalische Contenance zu wahren hat Katharina Kammerloher, der man ihre Arie gelassen hatte, während die des Basilio von Florian Hoffmann gestrichen worden war. Recht hohl und streckenweise verhuscht klingt das Vendetta des Bartolo von Otto Katzenmeier, Olaf Bär und Peter Maus (In bewundernswürdiger szenischer Langlebigkeit) von der Deutschen Oper zeigten viel Präsenz als Antonio und Don Curzio, Sónia Grané ist eine in jeder Hinsicht anmutig-aparte Barbarina.

Gustavo Dudamel atmet mit den Sängern, bietet viel mehr Mozart, als die Bühne wahrhaben will, und lässt durch sein Wirken manches in der Optik erträglicher erscheinen, als es ist (Blu-ray ACC 20366/ veröff. 2018): Ingrid Wanja

Schwelgerische Unverbindlichkeit

 

Wenigen Opern des frühen 20. Jahrhunderts ist es gelungen, ins Repertoire zurückzukehren, wenn sie nicht sofort zündeten. Doch ein Werk scheint gerade vom Geheimtipp zum dauerhaften Überraschungserfolg zu mausern: Erich Wolfgang Korngolds Wunder der Heliane. Erst vor wenigen Monaten hier in Berlin an der Deutschen Oper eine kleine Sensation, ist die Oper nun auch bei Naxos auf CD erschienen in einer Einspielung aus Freiburg.

Vielleicht ist  es die schwelgerische Unverbindlichkeit, die in ihrem extatischen Symbolismus an Straussens Frau ohne Schatten erinnert, Schuld am neuerlichen Erfolg – der Text ist absolut zahnlos und leicht verrückt – aber vielleicht war genau das eine gute Projektionsfläche für Korngolds über weite Strecken meditativ-opiatische Musik.

In den letzten Jahren begann ein erstaunlicher Aufstieg dieses Werks von 1927 – steigende Aufführungszahlen sind seit 2010 belegt, aber ab 2017 und 18 gab es einen regelrechten Boom – Antwerpen, Wien, Berlin und Freiburg. Die konzertante Serie in Freiburg ist jetzt mitgeschnitten worden und auf die CD gekommen – in einer durchaus soliden Einspielung.

Dies ist nicht die erste Gesamtaufnahme: Es gab bei der Decca in den Neunzigern schon eine Einspielung; damals zündete das Werk nicht besonders, vielleicht, weil auch da zwar die kleinen Rollen grandios besetzt waren, (etwa mit dem jungen René Pape und dem alten Nicolai Gedda) aber der Tenor sehr zu wünschen übrig ließ und Anna Tomowa Sintow schon bessere Tage gesehen hatte, als sie die Titelpartie einsang. Insofern war eine Neuaufnahme durchaus wünschenswert.

Unbefriedigende Sänger – glanzvolles Orchester: Auch diesmal bin ich mit den Sängern nicht glücklich –  man braucht nicht viele, genaugenommen drei, da es eine Dreiecksgeschichte ist, plus einen guten Mezzo für eine große Nebenrolle – aber die haben Aufgaben, die sich durchaus mit denen der großen Monumentalopern von Strauss und Schreker vergleichen lassen; das ist schon die Preislage von Frau ohne Schatten und  den Gezeichneten. Und da versagen die Stimmen, vor allem was die unbedingt erforderliche Schönheit und Klarheit in den Höhen angeht.

Physisch/rein akustisch sind Ian Storey als Fremder und Annemarie Kremer als Heliane durchaus in der Lage, das zu singen, aber diese seltsame Mischung aus Dekandenz und Kraft in Korngolds Stil muss man exakt und sinnlich zelebrieren. Hier klingt vieles verschwurbelt, grell in den Höhen und mulschig in der Deklamation, und das legt sich wie Mehltau auf das Werk. (Nicht dass es dem Werk schadet, wenn man den Text nicht versteht, aber ein wenig mehr Schärfe in den deutschen Konsonanten wäre der Komposition schon dienlich gewesen.)

Das ist umso bedauerlicher, da Fabrice Bollon der viel spannendere Dirigent ist als damals John Mauceri. Bollon hat es geschafft, aus Freiburg innerhalb weniger Jahre ein Zentrum für Opern der frühen Moderne zu machen, er hat mit einigen Werken Discographie-Geschichte geschrieben, sicher gibt es keine bessere (offizielle) Gesamtaufnahme der Königin von Saba von Goldmark, er führt ein großartiges Orchester in Freiburg, und fast immer ist er bisher auch von zufriedenstellenden Sängern umgeben gewesen. Diesmal nicht. Was am seidigen, irisierenden Klang der Instrumentierung nichts ändert – dank Bollon und den Freiburgern ist das Ganze dann letztendlich doch kein Fehlkauf (Erich Korngold: Das Wunder der Heliane; mit Annemarie Kremer, Aris Argigis, Ian Storey; Nuttaporn Thammathi, Frank van Hove, Opernchor des Theater Freiburg, Philharmonisches Orchester Freiburg, Fabrice Bollon; Naxos 2 CD 8.660410-12). Matthias Käther

Tenoraler Höhenflieger

 

Auf dem Decca-Label ist der mexikanische Tenor Javier Camarena bereits seit dem Jahr 2011 vertreten. Er gehörte bei zwei Rossini-Produktionen des Opernhauses Zürich zur Besetzung, welche von der Plattenfirma als DVDs veröffentlicht wurden. Im Otello sang er die Partie des Rodrigo, dessen Arie im 2. Akt sich später als Zitat im Duetto buffo di due gatti wiederfinden sollte, im Comte Ory sogar die Titelrolle. Es war also an der Zeit, den auf vielen Bühnen erfolgreichen Sänger in einem Soloalbum zu präsentieren. Der Titel dieser attraktiven, sehr aufwändig ausgestatteten Ausgabe ist Contrabandista (28948339587). Dahinter verbirgt sich eine Hommage an den legendären spanischen Tenor Manuel García, der auch komponiert hat und von 1775 bis 1832 lebte. Einige Arien aus seinen Werken finden sich in dieser Anthologie, darunter natürlich die des Poeta, „Yo que soy contrabandista“, aus El poeta calculista, welche dem Album den Titel gab. Sie beginnt sehr reizvoll im Flamenco-Rhythmus, verlangt dem Sänger Temperament und virtuose Triller ab, am Ende sogar noch einen hohen Ton in der Counterlage. Daraus folgt später noch das muntere „Formaré mi plan con cuidado“ Und es gibt sogar drei Weltpremieren mit „Cara gitana“ aus El gitano por amor, „Vous dont l’image toujours chère“ aus La Mort du Tasse und „O ciel! De ma juste furie“ aus Florestan ou Le Conseil des dix. „Cara gitana“ ist der furiose Auftakt der CD mit erregten Streicherfiguren im Rezitativ. Die Arie selbst ist von kantablem Fluss; Camarena singt sie mit entsprechend lyrischer Kultur und stimmt hier schon sichere Töne in der Extremhöhe an. Ganz in der italienischen Tradition steht eine Cabaletta am Schluss der Nummer („Cuando mi padre“), in welcher er seine Virtuosität demonstrieren kann. „Vous dont l’image toujours chère“ beschreibt Torquato Tassos Tod im 3. Akt der Oper – ein entsprechend introvertiertes Stück, in welchem die Stimme des Tenors besonders weich klingt. „O ciel! De ma juste furie“ ist scheinbar eine Rachearie, die sich im Charakter allerdings eher buffonesk gibt und dem Interpreten plappernde Geläufigkeit und herzhaftes Gelächter abverlangt.

Natürlich darf Rossini nicht fehlen in einer Anthologie, die einem Großmeister des Gesanges gewidmet ist, der in mehreren Rossini-Rollen reüssierte und sogar in den Uraufführungen der Elisabetta, regina d’Inghilterra neben Isabella Colbran und des Barbiere di Siviglia als Almaviva mitwirkte. Dessen große Arie im 2. Akt, „Cessa di più resistere“, ist von immenser Schwierigkeit, so dass sie von den Interpreten in Aufführungen oft gestrichen wird. Das Motiv des letzten Teiles, „Ah il più lieto“, findet sich später im Schlussrondo der Angelina in La Cenerentola wieder. Camarena demonstriert hier seine Eloquenz in der Stimmführung und reiche Phantasie in den Verzierungen. Auch Ramiros Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ aus der  Cenerentola ist eine Bravournummer, in der Camarena stratosphärische Raketen abschießen, aber auch mit Passagen von schwärmerischer Lyrik überzeugen kann. Als Abschluss der Programmfolge hat Camarena eine Arie des männlichen Titelhelden aus dem seltenen Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide gewählt (welches in diesem Sommer das Rossini Opera Festival in Pesaro mit Juan Diego Flórez in dieser Partie eröffnete). Die Arie  verlangt in ihrem mit vertrackten Koloraturen gespickten Schlussteil („Qual sarà mai la gioia“) dem Interpreten allerhöchste Virtuosität ab und Camarena erweist sich hier als meisterhaft in der Beherrschung des vokalen Zierwerks. Schließlich gibt es in der Rossini-Abteilung noch eine Besonderheit, nämlich ein ausgedehntes Duett aus Armida zwischen der Titelheldin  und dem Ritter Rinaldo. Cecilia Bartoli ist seine Partnerin, nähert sich damit nicht nur erstmals dieser exponierten Sopranrolle, sondern hat den Tenor bei der Erarbeitung seiner CD auch künstlerisch beraten und damit eine neue Serie der Decca, Mentored by Bartoli, eröffnet. Nach den schwelgerischen Zwiegesängen „Amor… (Possente nome!)“ und „Vacilla a quegli accnti“ geht das Duett in einen jubelnden Schlussteil über („Cara, per te quest’anima“), in welchem sich die Stimmen ekstatisch verschlingen.

Ergänzt wird das Programm durch eine Arie aus der Feder von Niccolò Zingarelli. Sie stammt aus Giulietta e Romeo (das nahezu vergessene Werk kam vor zwei Jahren bei den Salzburger Pfingstfestspielen zur Aufführung) und wird gesungen von Giuliettas Vater Everardo im 1. Akt. In ihrem erregten, aufgewühlten Duktus widerspiegelt sie dessen Hassgefühle gegenüber Romeo als dem vermeintlichen Verführer seiner Tochter. Camarena erweist sich souverän sowohl in der Beherrschung des rasenden Tempos als auch der eingelegten effektvollen Spitzentöne.

Begleitet wird Javier Camarena vom Ensemble Les Musiciens du Prince – Monaco, das unter Gianluca Capuano auf historischen Instrumenten musiziert und dem Solisten ein inspirierender Partner ist. Bernd Hoppe