Verquaste Optik

 

Gerade hat Regisseurin Amélie Niermeyer dem Münchner Publikum ihren Verdi-Otello als Drama von weiblicher Stärke und männlicher Schwäche offeriert, da kann man auch schon als DVD ihre aus dem selben Haus stammende Favorite von Donizetti aus dem Jahr 2016 als feministische Kampfansage an die „Liebe als Baustein männlicher Machtspiele“ genießen, wird schließlich im Booklet behauptet, die Königsmätresse Léonor sei den sie umgebenden Männern überlegen, „steht sie ( doch) gleichsam über ihnen“, womit sich die Produktion „genau im Sinne des Komponisten“ bewege. Nun kann man diesen nicht mehr nach seinem Willen fragen, aber dass ihm eine Optik gefallen haben könnte, die sich auf das Hantieren mit einer Unzahl ausgemusterter Stühle, einen Fernand und eine Ines mit Kassenbrille und auch sonst auf unattraktiv getrimmt, eine Hofgesellschaft, in der jeder jeden befummelt und zum Ballett, das hier unsichtbares Fernsehen ist, Oralverkehr erzwungen wird, weckt Zweifel. Deren gibt es in der Originalversion bereits genügend viele, so die plötzliche Begabung zum Feldherrn beim die Muselmanen bezwingenden Fernand, doch alles, was die Schwächen dieser ausmacht, wird mit dem Versetzen der Handlung in die Gegenwart potenziert und geradezu abstrus.

An sich ist die Bühne von Alexander Müller-Elmau, ganz in Stahlgrau, gar nicht übel, die Wände können je nach Bedarf verschoben, aber auch durchsichtig werden, so dass das jeweilige Milieu gekennzeichnet wird, allerdings feiern beim blutenden und sich am Kreuz windenden Jesus Kitsch und Blasphemie gleichermaßen Triumphe. Genauso zum Hals heraus wie die ewigen Stühle auf deutschen Opernbühnen hängen einem die Business-Anzüge für die Herren, die neben dem Hosenanzug für Léonor (Emanzipation!) Kirsten Dephoff zu verantworten hat. Ehrlich gesagt ist man der immer gleich trübseligen, spießigen, faden, lächerlichen, hässlichen und meist dazu noch brutalen Optik auf deutschen ( und leider nicht nur diesen) Bühnen zum Erbrechen überdrüssig. Wenn man nicht in der Lage ist, historisch Bedingtes wie die Ehrpusseligkeit oder das Heilsstreben vergangener Epochen zu verstehen, soll man die Finger davon lassen, statt dem Werk die historische Dimension vorzuenthalten und ihm tatsächliche oder eingebildete Probleme der eigenen Zeit oder Psyche aufzupfropfen.

Wie so oft ist es die Aufgabe der Sänger, den Abend erträglich zu gestalten. Elīna Garanča singt anbetungswürdig schön, insbesondere den Schluss des dritten und den vierten Akt. Der Mezzo ist von feinstem Ebenmaß, hat einen runden Glockenklang und leidet auch nicht darunter, dass sich die Sängerin zu O mon Fernand von einem Stuhl zum nächsten hangeln muss. Dass sie wie meistens kühl wirkt, passt hier, ihr „will ich auf Knien dienen“ allerdings nicht ganz zum vom Booklet bekundeten Emanzipationsstreben.  Ein guter tenore di grazia ist Matthew Polenzani, der durch eine sichere Höhe, feine Piani und ein agogikreiches Singen für sich einnehmen  und der, auch von den weiblichen Chormitgliedern gewaltsam halbnackt ausgezogen, noch überzeugend „meine Seele ist trunken vor Glück“ singen kann. Zum Affen machen muss sich der Alphonse von Mariusz Kwiecien, singt aber stilsicher und in allen Registern mit gleich gut ansprechendem Bariton. Mika Kares ist der in jeder Hinsicht unangefochtene Balthazar mit schlank-sonorem Bass. Wie Ross Anthony, nur mit dem Scheitel auf der anderen Seite, sieht der Gaspar von Joshua Owen Mills aus und trumpft gehörig in seiner Intrigantenrolle auf. Ela Benoit singt die Arie der Ines bezaubernd schön. Karel Mark Chichon begleitet zuverlässig. Eine CD wäre ein größerer Genuss, weil man nicht damit beschäftigt sein müsste, immer wieder die scheußlichen Bilder innerlich zu verdrängen. Muss das auf eine DVD (DG 00440 073 5358)? Ingrid Wanja     

  1. Peter

    Danke, Frau Wanja, Sie sprechen mir mit Ihrer Kritik am Regietheater aus dem Herzen!
    Man würde ja sehr gerne in die Oper gehen; doch leider vergällt einem die Inszenierung oft den Genuss, so dass man sich mitunter nicht einmal mehr auf die geliebte Musik konzentrieren kann!
    Vor Werktreue scheinen sich heute viele Regisseure zu fürchten bzw. erachten diese als nicht „intellektuell “ genug…Meiner Meinung nach ein grosser Irrtum!

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