Auch zwei Regisseure, Moshe Leiser und Patrice Caurier, reichen nicht aus, um aus Verdis Giovanna d’Arco ein stimmiges, mitreißendes Operndrama zu machen, dazu ist das Libretto einfach zu dümmlich. Zwar ist es bereits Friedrich von Schiller anzulasten, dass er, obwohl Geschichtsprofessor, der es besser wusste, die historische Wahrheit, den zweifelsfrei überlieferten Schluss, nämlich das Ende Johannas auf dem Scheiterhaufen, in den Tod auf dem Schlachtfeld umwandelte, aber noch schlimmer ist die Reduzierung des Dramas auf einen Vater-Tochter-Konflikt und die Zusammenlegung der Schillerfiguren König und Lionel in eine Person. Die Regie rettet sich in den bereits zum Überdruss bekannten Ausweg, die Geschichte als das Delirium der todkranken Giovanna, an deren Bett der Vater oder auch Arzt wacht, zu gestalten. Dies aber geschieht, und so ist man versöhnt, in ästhetisch sehr ansprechender, phantasievoller Weise, wozu kommt, dass vorzügliche Sänger die drei Rollen ausfüllen.
Die beiden zeitlichen Ebenen, Verdi-Zeit für die Rahmenhandlung und Mittelalter für die Giovanna-Handlung, unterscheiden sich schon allein dadurch voneinander, dass erstere zur Sinfonia als Schwarzweißfilm gestaltet ist. Dieses Prinzip muss natürlich mit dem Aufgehen des Vorhangs aufgegeben werden, aber unschwer lassen sich beide Handlungsstränge dadurch leicht voneinander unterscheiden, dass die Jungfrauen-Geschichte äußerst phantasievoll wie ein Märchen gestaltet ist, mit einem ganz und gar goldenen König auf ebensolchem Ross, mit umwerfend gut gemachten Engels- und Teufelsfiguren, die Giovanna mit ihren Einflüsterungen plagen. Die Bühne von Christian Fenouillat und die Kostüme von Agostino Cavalca sind beste italienische Theaterkunst. Die Schrecken des Krieges werden zwar durch einige Liter Theaterbluts, vor allem was die Engländer angeht, dokumentiert, aber es gibt kein „modernes“ Schlachtfeld wie ein Jahr später beim Attila. Die Doppelbödigkeit der Inszenierung lässt das Stück durchaus gewinnen, es wirkt immerhin interessanter als vor Jahren die Aufführung in Bologna mit Dunn, La Scola und Bruson.
Anna Netrebko ist mit der Kurzhaarperücke sowohl in weißen Leggins wie in güldener Rüstung ganz das pausbäckige, von seiner Sendung überforderte Bauernmädchen, weiß die Figur sehr anrührend zu gestalten, hat wunderbar zarte Töne für die Fatidica Foresta, nur leichte Schwächen in der Intonation am Schluss des dritten Akts und weiß die Vision des vierten Akts kraftvoll und überzeugend zu vermitteln. Eine bedeutende Entwicklung hat Francesco Meli seit seiner Zeit als Rossini-Almaviva durchlaufen. Eine gut tragende mezza voce für Chi più felice amico, ein noch, was das kraftvolle Auftrumpfen angeht, ausbaufähiges Volumen in der Höhe und so viel Charakterisierung, wie sie bei einer Ganzkörpervergoldung möglich ist, machen seine Leistung zu einer sehr annehmbaren. Eine generöse Phrasierung, ein perfektes Legato und ein angenehmes Timbre lassen Carlos Alvarez zu einem würdigen Giacomo werden. Etwas schwergängig ist der Bass von Dmitry Beloselskiy für den englischen Heerführer Talbot, nur kurz ist der Auftritt von Michele Mauro als Delil.
Die größte Stärke dieser Oper sind die machtvollen Chöre des Leids oder Jubels, für die Bruno Casoni den Chor der Scala bestens vorbereitet hat. Das Orchester unter Riccardo Chailly beweist, dass es für die Musik Verdis geschaffen ist, spielt mit slancio, brio und grande passione (DECCA 074 3967). Ingrid Wanja