Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Tenoraler Höhenflieger

 

Auf dem Decca-Label ist der mexikanische Tenor Javier Camarena bereits seit dem Jahr 2011 vertreten. Er gehörte bei zwei Rossini-Produktionen des Opernhauses Zürich zur Besetzung, welche von der Plattenfirma als DVDs veröffentlicht wurden. Im Otello sang er die Partie des Rodrigo, dessen Arie im 2. Akt sich später als Zitat im Duetto buffo di due gatti wiederfinden sollte, im Comte Ory sogar die Titelrolle. Es war also an der Zeit, den auf vielen Bühnen erfolgreichen Sänger in einem Soloalbum zu präsentieren. Der Titel dieser attraktiven, sehr aufwändig ausgestatteten Ausgabe ist Contrabandista (28948339587). Dahinter verbirgt sich eine Hommage an den legendären spanischen Tenor Manuel García, der auch komponiert hat und von 1775 bis 1832 lebte. Einige Arien aus seinen Werken finden sich in dieser Anthologie, darunter natürlich die des Poeta, „Yo que soy contrabandista“, aus El poeta calculista, welche dem Album den Titel gab. Sie beginnt sehr reizvoll im Flamenco-Rhythmus, verlangt dem Sänger Temperament und virtuose Triller ab, am Ende sogar noch einen hohen Ton in der Counterlage. Daraus folgt später noch das muntere „Formaré mi plan con cuidado“ Und es gibt sogar drei Weltpremieren mit „Cara gitana“ aus El gitano por amor, „Vous dont l’image toujours chère“ aus La Mort du Tasse und „O ciel! De ma juste furie“ aus Florestan ou Le Conseil des dix. „Cara gitana“ ist der furiose Auftakt der CD mit erregten Streicherfiguren im Rezitativ. Die Arie selbst ist von kantablem Fluss; Camarena singt sie mit entsprechend lyrischer Kultur und stimmt hier schon sichere Töne in der Extremhöhe an. Ganz in der italienischen Tradition steht eine Cabaletta am Schluss der Nummer („Cuando mi padre“), in welcher er seine Virtuosität demonstrieren kann. „Vous dont l’image toujours chère“ beschreibt Torquato Tassos Tod im 3. Akt der Oper – ein entsprechend introvertiertes Stück, in welchem die Stimme des Tenors besonders weich klingt. „O ciel! De ma juste furie“ ist scheinbar eine Rachearie, die sich im Charakter allerdings eher buffonesk gibt und dem Interpreten plappernde Geläufigkeit und herzhaftes Gelächter abverlangt.

Natürlich darf Rossini nicht fehlen in einer Anthologie, die einem Großmeister des Gesanges gewidmet ist, der in mehreren Rossini-Rollen reüssierte und sogar in den Uraufführungen der Elisabetta, regina d’Inghilterra neben Isabella Colbran und des Barbiere di Siviglia als Almaviva mitwirkte. Dessen große Arie im 2. Akt, „Cessa di più resistere“, ist von immenser Schwierigkeit, so dass sie von den Interpreten in Aufführungen oft gestrichen wird. Das Motiv des letzten Teiles, „Ah il più lieto“, findet sich später im Schlussrondo der Angelina in La Cenerentola wieder. Camarena demonstriert hier seine Eloquenz in der Stimmführung und reiche Phantasie in den Verzierungen. Auch Ramiros Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ aus der  Cenerentola ist eine Bravournummer, in der Camarena stratosphärische Raketen abschießen, aber auch mit Passagen von schwärmerischer Lyrik überzeugen kann. Als Abschluss der Programmfolge hat Camarena eine Arie des männlichen Titelhelden aus dem seltenen Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide gewählt (welches in diesem Sommer das Rossini Opera Festival in Pesaro mit Juan Diego Flórez in dieser Partie eröffnete). Die Arie  verlangt in ihrem mit vertrackten Koloraturen gespickten Schlussteil („Qual sarà mai la gioia“) dem Interpreten allerhöchste Virtuosität ab und Camarena erweist sich hier als meisterhaft in der Beherrschung des vokalen Zierwerks. Schließlich gibt es in der Rossini-Abteilung noch eine Besonderheit, nämlich ein ausgedehntes Duett aus Armida zwischen der Titelheldin  und dem Ritter Rinaldo. Cecilia Bartoli ist seine Partnerin, nähert sich damit nicht nur erstmals dieser exponierten Sopranrolle, sondern hat den Tenor bei der Erarbeitung seiner CD auch künstlerisch beraten und damit eine neue Serie der Decca, Mentored by Bartoli, eröffnet. Nach den schwelgerischen Zwiegesängen „Amor… (Possente nome!)“ und „Vacilla a quegli accnti“ geht das Duett in einen jubelnden Schlussteil über („Cara, per te quest’anima“), in welchem sich die Stimmen ekstatisch verschlingen.

Ergänzt wird das Programm durch eine Arie aus der Feder von Niccolò Zingarelli. Sie stammt aus Giulietta e Romeo (das nahezu vergessene Werk kam vor zwei Jahren bei den Salzburger Pfingstfestspielen zur Aufführung) und wird gesungen von Giuliettas Vater Everardo im 1. Akt. In ihrem erregten, aufgewühlten Duktus widerspiegelt sie dessen Hassgefühle gegenüber Romeo als dem vermeintlichen Verführer seiner Tochter. Camarena erweist sich souverän sowohl in der Beherrschung des rasenden Tempos als auch der eingelegten effektvollen Spitzentöne.

Begleitet wird Javier Camarena vom Ensemble Les Musiciens du Prince – Monaco, das unter Gianluca Capuano auf historischen Instrumenten musiziert und dem Solisten ein inspirierender Partner ist. Bernd Hoppe

Feliks Nowowiejskis  „Baltische Legende“

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Vor kurzem stellten wir die Vertonung des Sienkiewicz-Romans Quo vadis durch Feliks Nowowiejski vor, die bemerkenswerter Weise gleich auf zwei neuen Aufnahmen zu erleben ist (cpo und Dux – die Dux-Einspielung sogar mit ihrem originalen deutschen Libretto). Nun gab es im Dezember 2017 eine weitere Oper Nowowiejskis, nämlich die Baltische Legende (Legenda Baltyku), der wesentlich weniger national-katholisch geprägt ist und sich wie Dvoráks Rusalka alter Mythen oder Märchen bedient, in diesem Falle sogar und wieder aus dem deutschen  Sagenschatz der Meereswesen. Damit auch – heute gewollt oder ungewollt – auf die Studienzeit Nowowiejskis in Berlin zurückführend. Berlin war damals nach dem Leipzig der Mendelssohn-Zeit das europäische Musikzentrum neben Paris. Viele der späteren Erfolgskomponisten namentlich des Ostens haben hier studiert, von Moniuszko bis Rubinstein. Und selbst Tschaikowski liebte beide Städte und war viel in Berlin.

Das deutsche (!) Libretto zur Baltischen Legende stammt von Wilhelm Szalay-Groele und wurde für die Aufführungen in Posen in der späten polnischen Übersetzung von  K. Jeżewska gegeben  – eine Aktion, die man als Deutscher bedauern mag, die aber namentlich in den grenznahen Gebieten immer noch für Überempfindlichkeit der Polen im Umgang mit ihrem deutschen Erbe spricht.

Feliks Nowowiejski/ Wiki

Die Oper von F. Nowowiejski wurde am 28. November 1924 in Posen uraufgeführt, dann in Lemberg (1927), Kattowitz (1928) und Warschau (1937), alle diese ganz sicher in Deutsch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie in einer Fassung von  4 Akten auf von K. Jeżewska erstelltes Libretto in Posen/ Poznań (1955 in Zeiten des sehr Kalten Krieges) und Breslau  (1960) wieder aufgenommen (ein deutsches Libretto war noch bis vor kurzem undenkbar und scheint es für eine Aufführung in Posen heute immer noch zu sein). Einige musikalische Einfälle der Musik dazu wurden vor dem Ersten Weltkrieg skizziert. Es gibt die Legende, die von den Söhnen des Komponisten bestritten wird, dass die Oper ursprünglich eine deutsche  sein sollte, mit dem Titel Der Kompass. Nowowiejski  skizzierte die Oper (in einer früheren Version mit dem Titel  Castelletto ) in Amalfi, und diese  Fragmente wurden in der  späteren Legende verwendet.

Nun hat das Teatre Wielki von Posen im Dezember 2017 diese Oper wiederbelebt. Tadeusz Kozłowski dirigierte, Robert Bondara hatte die Regie in der Ausstattung von Julia Skrzynecka und Martyna Kander. In den Hauptrollen sangen Pavlo Tolstoy/ Doman, Wioletta Chodowicz/ Bogna, Magdalena Wilczyńska-Goś/ Svatava, Robert Gierlach/ Lubor, Aleksander Teliga/ Mestvin, Karol Bochański/ Sambor und viele mehr. Bemerkenswerter und dankbarer Weise vermittelte der Video-Stream von der Premiere auf operavision einen guten Eindruck von der folkloristisch und sehr gegenständlich gehaltenen Produktion.

Da auch diese Oper eine Beziehung zu Deutschland hat und da die Oper ja ein deutsches Libretto besitzt) und damit von übernationalem Interesse ist, bringen wir im Folgenden einen Aufsatz des renommierten Musikwissenschaftlers Marcin Gmys aus dem Programmheft zur Aufführung, Ein Lob an das Opernhaus, ein zweisprachiges (polnisch-englisches) Programmheft anzubieten und Dank an den Autor sowie an das liebenswürdige Pressebüro des Teatre Wielki Posen; die Übersetzung besorgte wieder Daniel Hauser. G. H.

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Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“/ Szene/ Foto Bartek Barczyk Poznań Opera House

Entstehung: Feliks Nowowiejski (1877-1946) begann die Arbeit an Der Kompass, einem Vorläufer der Baltischen Legende, während oder kurz nach der Rückkehr von seinem ersten Stipendium in Europa, wo er beispielsweise Italien besuchte. In diesem Zusammenhang komponierte er Quo Vadis und entwarf die Partituren zweier großer sinfonischer Dichtungen – Beatrice (nach Dante) und Nina und Pergolesi. (Während seiner Studien erhielt er zweimal das Meyerbeer-Stipendium in Höhe von 4.500 Reichsmark, die höchste finanzielle Zuwendung für Studenten zur Zeit Kaiser Wilhelms II., mit deren Erhalt der Besuch der musikalischen Zentren Europas verpflichtend verbunden war.) Der Komponist präsentierte ein Fragment seiner Oper – die Szene des Urteils – während eines seiner 1906 stattfindenden Konzerte in Warschau und erhielt positiven Zuspruch. Das weitere Schicksal dieser Oper war für lange Zeit unbekannt, obwohl Nowowiejskis Familie und sogar der Komponist selbst darauf beharrten, dass das Werk nicht vollendet worden sei. Gleichwohl hat mittlerweile Iwona Fokt, die prominenteste Biographin Nowowiejskis, anhand neu entdeckter Quellen nachzuweisen versucht, dass die Partitur von Der Kompass spätestens am Ausklang des Ersten Weltkriegs komplettiert wurde. Den Krieg verbrachte der Komponist nach seinem Rückzug als Direktor der Krakauer Musikgesellschaft die meiste Zeit über in Berlin. Der Autor von Die Rota warb 1915 um die Aufführung seines Werkes, doch aus unbekannten Gründen kam es nicht dazu. Es ist ebenfalls bekannt, dass der Komponist in der Spielzeit 1921/22 eine Aufführung des deutschsprachigen Werkes in Posen plante, was indes ebenfalls fehlschlug. Die Idee, die zweiaktige deutsche Meeresoper einzubetten in die Realität der italienischen Renaissance als Ausgangspunkt für eine polnischsprachige Oper mit Meeresbezug, wurde dann verwirklicht – vermutlich, wie der Komponist betont, das erste Werk in der Geschichte des polnischen Musiktheaters, welches das Meer als zentrales Thema der gesamten Handlung hat.

Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“: der Autor Marcin Gmys/ Polski Radio

Der Dämon der Abänderungen: Obschon die derzeitige Premiere der Baltischen Legende von Feliks Nowowiejski in Posen stattfindet, werden wir nicht die Rekonstruktion der Posener Welterstaufführung von 1924 hören, sondern – wie es scheint – die final zusammengestellte Version von 1938. Sie wurde von Nowowiejski nach der vierten Premiere seines Werkes in Warschau geschaffen, vermutlich bereits mit Gedanken an die Spielzeit 1939/40, die mit einer neuen Produktion der Baltischen Legende am Opernhaus Posen eingeweiht werden sollte (trotz der bereits fortgeschrittenen Proben für dieses Ereignis im September 1939 kam es aus naheliegenden Gründen nicht dazu). Die Solisten, der Chor und das Orchester des Großen Theaters Posen werden die Baltische Legende basierend auf der 2017 vom Polnischen Musikverlagshaus herausgebrachten neuen Edition der Partitur aufführen. Unter dessen Schirmherrschaft wird seit April 2016 die Partitur der nächsten Version von Quo Vadis vom Verlagskommitee der Werke von Feliks Nowowiejski vorbereitet. In dieser Situation kann man sogar soweit gehen und sagen, dass am 10. Dezember 2017 im Großen Theater Posen die Weltpremiere der Finalversion der Baltischen Legende stattfinden wird.

An diesem Punkt könnte man sich fragen, wieso wir nicht die Fassung von 1924 rekonstruierten. Der Grund ist denkbar einfach: Obwohl eine solche Variante der Partitur anhand der Existenz einer detaillierten Diskussion des Werkes, reichhaltig erläutert mit Notenmaterial im Handbuch zur Legende von 1924, möglich wäre, müsste der ontologische Status dieser Partitur aufgrund des Umfangs moderner Kompositionseinflüsse doch zweifelhaft bleiben.

An dieser Stelle sollten wir ebenfalls die Frage beantworten, weshalb nicht die 1959 veröffentlichte, scheinbar elementare und endgültige Version benutzt wurde. Diese wurde auf Betreiben der beiden ältesten Söhne des Komponisten, Feliks Maria und Kazimierz Nowowiejski, vom Polnischen Musikverlagshaus veröffentlicht und beinhaltet eine exklusive Edition von neun nummerierten Kopien der Partitur der Baltischen Legende, welche als Basis der sehr populären Nachkriegsproduktion diente. Euphemistisch ausgedrückt, hat diese Publikation – trotz der unbestreitbar edlen Absichten der Söhne – wenig mit einer kritischen Quellenedition gemein. (…)

Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“/ Szene/ Foto Bartek Barczyk Poznań Opera House

Wieviel Legende ist in der Legende? Feliks Nowowiejski selbst schrieb, dass Die Baltische Legende „einige unwesentliche Bruchstücke“ der Proto-Legende, eben der Oper namens Der Kompass, enthalte. Diese These ist nur partiell wahr. Das Manuskript der beiden genannten Akte enthält ein paar Stellen, in denen älterer Text (manchmal ohne Zweifel auf Deutsch) entweder mit einer Rasierklinge zerkratzt oder mit Tinte vorsichtig überschrieben und mit neuem polnischen Text versehen wurde. Andererseits wäre die Behauptung, dass die gesamte Legende eine Adaption (Musikwissenschaftler würden sagen: Kontrafaktur) des deutschsprachigen Vorläufers sei, viel zu ungerechtfertigt gegenüber dem Komponisten. Aufgrund einer zurückhaltenden Annahme könnte man konstatieren, dass Nowowiejski in etwa fünfzig Prozent des existierenden musikalischen Materials des Kompasses in die Legende „kopierte“. Hierbei handelt es sich – und das ist hervorzuheben – um vorsichtige Schätzungen, weil es oftmals schwierig ist zu entscheiden, ob wir Blätter der Originalversion des Kompasses oder seiner nachträglichen Modifikationen vor uns haben. Deswegen können Streichungen oder Tintenwischer nicht immer automatisch als der Versuch gedeutet werden, das deutsche Original auszulöschen. Man sollte augenblicklich mit der oben zitierten Ansicht des Komponisten übereinstimmen, dass die Übertragung von Teilen eines älteren Werkes in ein neues nichts Außergewöhnliches oder gar Verwerfliches darstellt. Tatsächlich bedienten sich Komponisten wie Händel oder Rossini immer dann einer solcher Vorgehensweise, wenn die Notwendigkeit es verlangte. Manchmal geschah dies aus Zeitmangel, manchmal aus temporärem Mangel an kreativer Inspiration. Zuweilen lag gar die Absicht dahinter, mehrstufige semantische Palimpseste zu schaffen.

Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“- Szene aus der Produktion von 1955 am Teatri Wielki in Posen/ Scena z opery Feliksa Nowowiejskiego „Legenda Bałtyku“ wystawionej w Operze Poznańskiej (obecnie Teatr Wielki w Poznaniu)

Im Zirkel der Spätromantik: Aus der musikalischen Perspektive betrachtet, ist Die Baltische Legende ein Werk, das in der Gemütslage der typischen dichterischen Stimmung der Spätromantik zu verorten ist. Erzählte man jemandem, der bewandert ist in den musikalischen Trends des 19. Jahrhunderts, aber völlig unvertraut mit Opernmusik oder ihrer Geschichte, dass die Partitur von Nowowiejski an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert komponiert wurde, gäbe es vermutlich keinen Widerspruch. Auf eine Weise könnte man annehmen, dass die erste – und bis heute die einzige existierende, voll instrumentalisierte – Oper von Nowowiejski anachronistisch gewesen sei, um mindestens ein Vierteljahrhundert verspätet. Trotzdem hat dieser Fakt aus unserer gegenwärtigen Perspektive wenig Bedeutung und verdient das Werk unter den polnischen Opern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine sehr ausdrucksstarke Komposition sicherlich eine gründliche Erkundung (der große Erfolg von Nowowiejskis Legende wurde nur noch vom großen Hit Eros und Psyche von Ludomir Rozycki übertroffen).

Stilistisch ist Die Baltische Legende zwischen den Musikdramen von Wagner und der Opernsprache von Puccini mit ihrer charakteristischen Verdoppelung der Gesangslinie durch Bögen zu verorten (für den letzteren Fall steht Domans Arie – einst im Repertoire von Jan Kiepura und gegenwärtig unter anderem gesungen von Piotr Beczala – „Liebst du mich, Mädchen“, das bekannteste Stück aus der Legende, manchmal gar als die schönste Tenorarie in der Geschichte der polnischen Oper bezeichnet). Wir werden dort gleichwohl unzählige weitere Anspielungen finden. Wir sollten d’accord gehen mit Swiniarski, der in Juratas Tanz im zweiten Akt einen Hinweis auf den berühmten Tanz der Anitra aus Peer Gynt von Grieg erkennen will. Das Hornthema zu Beginn des zweiten Ballettakts, das ein umgewandeltes Motiv der Legende ist, stellt eindeutige Assoziationen zum Marschthema beim Erwachen der Natur in der „dionysischen“ dritten Sinfonie von Mahler dar, die Nowowiejski in Krakau vor dem Ersten Weltkrieg dirigierte. (…)

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Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“/ Final-Szene/ Foto Bartek Barczyk Poznań Opera House

Der Schatten Wagners – Leitmotive: Die gesamte Erzählung basiert geschickt – hier kann den Kritiken der Legende nicht widersprochen werden – auf einem Netzwerk von neun Leitmotiven. Ihnen sind – wie bei Wagner – zuweilen bestimmte Ideen zugewiesen (so das lyrische „Legendenmotiv“ zu Beginn und Ende oder das „Motiv der versunkenen Veneta“, das einen metaphysischen Schauder erzeugt mit dem plötzlichen „dämonischen“ Fall der großen Septime aus der Zeit der „mephistophelischen“ Kompositionen von Franz Liszt), aber in der Regel begleiten sie individuelle Charaktere: Der Protagonist der Oper – Doman – wird mit zwei quasi-wagnerischen Motiven verbunden: Das eine, erkennbar nach der Einleitung des ersten Akts, definiert ihn als einen Fischer (und mag mit dem Fliegenden Holländer in Verbindung gebracht werden), das zweite beschreibt ihn als eine furchtlose Person (dieses Leitmotiv ist ähnlich dem Ring-Motiv in Nibelheim im Rheingold – was keine nichtssagende Analogie sein muss, steigt  Doman doch wie Wotan in die Tiefe, wenngleich in diesem Falle Unterwasser). Zudem lassen sich Doman zwei weitere Motive zuordnen, die einzig in den Akten II und III vorkommen. Es handelt sich um die Liebesmotive in Bezug auf Bogna, die sich von seiner berühmten Arie im ersten Akt ableiten.

Wagner gleich, verbindet Nowowiejski die Motive manchmal in sinnträchtiger und symbolischer Weise. Sowohl das Leitmotiv von Veneta als auch das archaischen Gott-Perun-Motiv verlaufen in parallelen Quinten (die „Gebetsszene“ zu Beginn des dritten Akts eröffnend). Perun war in der Hintergrundgeschichte der Oper der spiritus movens des großen Unglücks von Jurata, die dafür bestraft wurde, weil sie es gewagt hatte, einen einfachen und sterblichen Fischer zu lieben. Beide Motive, Veneta und Perun, basieren auf demselben Rhythmus, wo einzelne Viertelnoten mit zwei Achteln verflochten werden.

Das melodiöse Motiv der Bogna, manchmal in der Form eines Violinsolos, ist auffällig in der Partitur der Legende. Es beschreibt perfekt die lyrische Persönlichkeit dieser Heldin, die trotz aller Widrigkeiten bedingungslos loyal ist und fortwährend zitternd angesichts des Schicksals ihres Geliebten (es ist erwähnenswert, dass dieses Motiv ursprünglich die Basis der Orgel-Meditation von Nowowiejski war, für die er 1911 den Preis im Komponistenwettbewerb in Arras erhielt). (…)

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Feliks Nowowiejski: „Legenda Bałtyku“/ Szene/ Foto Bartek Barczyk Poznań Opera House

Auf dem Weg zur musikalischen Avantgarde: Gibt man eine heutige Einschätzung der Baltischen Legende ab – in einem breiteren Kontext des gesamten Werkes des Autors von Die Rota –, sollte man sich bewusst sein, dass dieses Werk zum ersten Mal vor 93 Jahren aufgeführt wurde und dass es augenscheinlich nicht zu den seinerzeitigen Trends der Avantgarde passte. Nowowiejski kümmerte sich indes nie darum, „trendig“ zu erscheinen. Die originale Baltische Legende von 1924, die – wenn es um das musikalische Material geht – eine gründliche überarbeitete Variation von Der Kompass darstellt, wurde nicht nachträglich – in den sukzessiven Stadien, markiert durch die Jahre 1927, 1928, 1937 und 1938 – stilistisch abgeändert.

Im Gegenteil. Nowowiejski vergewisserte sich, dass das Werk konsistent der Neoromantik (oder: dem Jungen Polen) verhaftet blieb. Deswegen hat die Oper natürliche Bezüge zu Wagner (am ausgeprägtesten), Puccini und Mahler (wichtig) und Grieg (marginal). Als er die Legende in den 1930er Jahren verbesserte, arbeitete Feliks Nowowiejski bereits unter anderem am Liederzyklus Rosen für Safo, am Cellokonzert sowie an zwei orchestralen Sinfonien (Nr. 2 Werk und Rhythmus und Nr. 3 Sieben Farben für Iris). Hier handelte es sich um Werke, die ihn – was die heutige Musikwissenschaft nach wie vor nicht offen zugeben will – zu einem der progressivsten polnischen Komponisten der letzten Jahre der Zwischenkriegszeit machen. Schon deswegen hatte es Nowowiejski nicht nötig, seine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen stilistischen Trends in einer Partitur zu offenbaren, deren erste Skizzen zurückgingen auf den Beginn des 20. Jahrhunderts. Marcin Gmys (Übersetzung Daniel Hauser)

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Marcin Gmys ist habilitierter Musikwissenschaftler, Professor für Musikwissenschaft an der Adam-Mickiewicz-Universität und Musikpublizist. Seine Interessen umfassen die Theorie und Geschichte des Operntheaters vom 19. bis 21. Jahrhundert, zeitgenössische Musik, Aufführung von Klaviermusik und die Werke von Komponisten des Jungen Polen. Seit 2011 ist er Chefredakteur des Magazins Res Facta Nova. Er arbeitet kontinuierlich mit dem Großen Theater – Nationaloper, dem Nationalen Fryderyk-Chopin-Institut und dem Zeszyty Literackie-Magazin zusammen.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Kein Weltniveau

 

Eine alles in allem schöne traditionelle Produktion von Madama Butterfly gibt es aus Covent Garden aus dem Jahre 2017 (2018 veröffentlicht) mit dem leicht stilisiertem Bühnenbild von Christian Fenouillat, den der gute Geschmack nur am Schluss verlässt, wenn er das Bäumchen vor Butterflys Haus alle Blüten abschütteln lässt oder wenn zum Blütenduett die Wände in Dauerbewegung sind. Die Kostüme von Agostino Cavalca sind abgesehen von dem für die Braut mit überdimensionalem Kopfputz hübsch anzusehen, bieten allerdings der Regie von Moshe Leiser auch die Möglichkeit, die Protagonistin zwar nicht den Sterbenden Schwan, aber mit weiten Ärmeln den sterbenden Schmetterling aufführen zu lassen. Schön ist die Idee, den zweiten Akt als den Ablauf eines Tages zu inszenieren, den Hintergrund der jeweiligen Situation anpassen zu lassen.

Natürlich dirigiert Antonio Pappano das italienische Repertoire in London, und er beginnt betont schnell und nervös, als wenn bereits die Eingangsszene mit der Hausbesichtigung tragisch umflort einher kommt. Im Verlauf der Vorstellung erweist er sich jedoch als der erfahrene Sängerbegleiter, als den man ihn kennt, und dass man die Lautstärke oft regulieren muss, liegt nicht an ihm, sondern an der Technik.

Die Titelpartie dürfte für Ermonela Jaho, die auch noch im Belcantofach tätig ist, eine Grenzpartie sein. Ihren Auftritt kann sie mit einem wunderschönen Spitzenton krönen, aber die für die Partie unverzichtbare präsente Mittellage ist weniger entwickelt. Im Liebesduett hat sie wunderbar zarte, lyrische Passagen, erweist sich als eine Meisterin des Piano. Die Optik der an sich attraktiven Sängerin leidet darunter, dass sie permanent beim Singen die Stirn in tiefe Falten legt, außerdem ist sie offensichtlich für das weit entfernt sitzende Publikum im Saal, nicht aber den mit Nahaufnahmen beglückten Zuschauer am Fernsehschirm geschminkt. Echte Tränen und ein kontrastreich gesungenes Un bel di vedremo, nach dem sie während des Publikumsbeifalls lächelnd aus der Rolle fällt, bleiben  außerdem im Gedächtnis des Zuschauers. Eine reife, mütterliche Suzuki mit zunächst angenehm rundem, warmem Mezzosopran mit sehr schöner Tiefe ist Elizabeth DeShong, deren Stimmer allerdings unter Druck überfordert klingt. Recht ansehnlich ist der Pinkerton von Marcelo Puente, sein Tenor allerdings enttäuscht, denn er ist zwar dunkel getönt und verfügt über eine sichere Höhe, klingt aber herb, hart und wenig geschmeidig. Das Fiorito asil erscheint wie ausgetrocknet, die Hohlheit der Gesten dazu könnte allerdings ein Regieeinfall zur Charakterisierung des leichtsinnigen Amerikaners sein. Sehr engagiert und anrührend gibt Scott Hendricks den Sharpless, singt dazu mit auch nicht gerade italienisch klingendem, aber in allen Lagen zuverlässigem, solidem Bariton. Die personifizierte Fiesheit ist rollengerecht und mit scharfem Charaktertenor Carlo Bosi. Yuriy Yurchuk ist ein ungewohnt dunkelstimmiger Yamadori, Jeremy White nur mäßig eindrucksvoll als Onkel Bonze. Der Summchor ist fein einstudiert vom Ex-Berliner William Spaulding. Das Publikum jubelt am Ende – Butterfly verfehlt auch bei nicht außergewöhnlicher Leistung der Mitwirkenden ihre Wirkung nicht (Opus arte BD7244D). Ingrid Wanja

Sakrales in Ersteinspielungen

 

Beim Durchforschen der Archive lassen sich immer noch Schätze heben, vor allem unter den Nebenwerken, der Recherche-Aufwand wird allerdings größer. Andrea Buccarella, seines Zeichens Organist, Cembalist und Dirigent, stand vor einem Rätsel, als er auf eine Sequenza de‘ Morti von Gennaro Manna (1715-1779) stieß, die sich erst als teilweise ähnlich und identisch mit einem Dies Irae des älteren Domenico Sarro (1679-1744) erwies, und dann ein Manuskript von Mannas Onkel Franceso Feo (1691-1761) fand, das eine andere Version dieses Dies Irae enthielt. Wer hier von wem kopierte, lässt sich bisher nicht nachvollziehen. Buccarella  war von der gefälligen Vielfalt der Partitur Mannas berechtigterweise so angetan, dass er sie nun als Ersteinspielung vorlegt. Das Abchordis Ensemble besteht aus drei Violinen, Cello, Kontrabass, Fagott, Laute, Orgel und zwei Hörnern, Dirigent Andrea Buccarella ist am Cembalo, das Ergebnis ist virtuos musiziert und mit sehr gutem Klang. Das zehnsätzige titelgebende Dies Irae ist für vier Stimmen komponiert, vor allem der Sopran von Marie Lys ist einnehmend, Maria Chiara Gallo (Mezzosopran), Luca Cervoni (Tenor) und Antonio Masotti (Bass) interpretieren das Werk ohne Manierismen mit schlichter Eindrücklichkeit und in homogener Qualität. Eine weitere Ersteinspielung ist die originelle Mottete O mundi infelix vita!, für die Gennaro Manna ein  obligates Fagott vorschreibt, das sich virtuos und effektvoll präsentieren kann und mit dem Gesangssolisten gleichberechtigt in Dialog tritt. Der Bassist Salvo Vitale hat Stimmumfang und Beweglichkeit, um mit Fagottist Giovanni Battista Graziado die gemeinsamen Passagen spannend zu gestalten. Als Ergänzung des Dies Irae fügte Buccarella zwei weitere Stücke neapolitanischer Komponisten hinzu. Das Trio op.1 Nr.6 von Aniello Santangelo (1710-1771) für zwei Violinen und Basso continuo, ein kurzes viersätziges Werk zwischen Allegro und Larghetto, ist ebenfalls eine Ersteinspielung. Das Concerto di Fagotto solo von Ferdinando Lizio (1728-1778) gibt erneut dem Fagottisten die Chance, seine Virtuosität unter Beweis zu stellen. Eine CD mit Raritäten und Nebenwerken, die hier allerdings so engagiert interpretiert werden, dass man gerne zuhört (1 CD, aufgenommen 2016, erschienen 2018, deutsche harmonia mundi, dhm 19075814543)

 

Bianca Maria Medea (ca. 1661-1733) war eine komponierende Nonne in lombardischen Pavia, im Jahr 1691 veröffentliche ein Verleger in Bologna die einzigen bekannten Werke von ihr: zwölf Motetten (für 1, 2, 3 und 4 Stimmen), begleitet von Basso Continuo und Orgel. Drei Motetten wurden bereits einzeln eingespielt, als Ersteinspielung sind nun die übrigen neun unter dem Titel Lacrimae Amare erschienen. Die geistlichen Motetten sind nicht liturgisch, die lateinischen Texte sind laut Beiheft in italienischer Betonung gesetzt, Latein war wohl nicht die Stärke der Nonne. Die Motetten sind als persönliche und oft direkte Ansprache an Maria bzw. Jesus gerichtet, es geht um Verzicht weltlicher Freuden, Fürbitten und Liebe zu Gott. Die Partien sind für Musiker und Sänger gleichermaßen anspruchsvoll, die ursprünglich für Frauen- und Männerstimmen gesetzten Motetten wurden hier als Klostermusik von einem Frauenchor eingespielt.  Die Cappella Artemisia unter der Leitung von Candace Smith interpretiert diese Musik mit acht Musikern und neun Sängerinnen, die sich die Stimmen aufteilen, man versuchte möglichst abwechslungsreich zu kombinieren, der Klang mag etwas hallig sein, ansonsten hat man hier ein schönes und sehr spezielles Beispiel für die Musik des italienischen Konvents um 1700, die mit einer gefälligen Mischung aus  Flehen, Sehnen und Innigkeit Trost und Zuversicht vermittelte. (aufgenommen 2017, erschienen 2018, Brilliant 95736)



Orazio Colombano (ca.1554-ca.1595) kam 1579 nach Vercelli in Piemont östlich von Turin, wo der junge Franziskaner in den kommenden zwei Jahren die musikalischen Geschicke der Kirche verantwortete. Ein erfolgreicher Karrierestart, der Colombano zu Anstellungen in prestigereichen Kirchenstandorten wie Mailand, Padua, Brescia, Urbino und Venedig verhalf. Colombano veröffentlichte von Vercelli aus seine liturgischen  Psalmen für sechs Stimmen Harmonia super vespertinos omnium solemnitatum psalmos sex vocibus decantanda, die er dem Bischof von Vercelli widmete. Die Psalmen der Vesper-Liturgie komponierte er als Wechselgesänge der vokalen Gruppen auf der Höhe der Zeit, quasi als eine Art Kompendium polyphonen Psalmgesangs. Die vorliegende Aufnahme ist lokalpatriotisch motiviert, die Cappella Musicale Della Cattedrale di Vercelli will das sakrale Erbe von Vercelli zu Gehör bringen, der musikalische Leiter Monsignore Denis Silano hat die Edition der Psalmen selber übernommen, die spezialisierten Sänger sind bei Gottesdiensten in Vercelli aktiv – das Resultat kann sich hören lassen, mit viel Engagement, schönen Stimmen und akustisch mit viel Hall – die Aufnahme erfolgte in einer Kirche in Vercelli- werden hier Colombanos liturgische Gesänge in Ersteinspielung abwechslungsreich zum Leben erweckt (aufgenommen und erschienen 2018, Brilliant 95839). Marcus Budwitius

 Walter Hagen-Groll

Es dürfte immer noch eine Ausnahme sein, dass der Name des Chordirektors genannt wird, wenn es darum geht, die Verantwortlichen für den Ruf eines großen Opernhauses auszumachen. Im Falle von Walter Hagen-Groll war es jedoch selbstverständlich, dass sein Name im gleichen Atemzug mit den Chefdirigenten und Intendanten genannt wurde, die der Deutschen Oper Berlin in der Zeit nach 1961 zu weltweitem Ansehen verhalfen. Denn fast ein Vierteljahrhundert lang leitete Hagen-Groll nicht nur diesen damals größten Opernchor Europas, sondern machte aus den 120 Sängern und Sängerinnen ein Kollektiv, das mit seinem Ausdrucksspektrum die Möglichkeiten eines Opernchores erweiterte und damit den Chor als gleichberechtigten Partner von Sängern und Orchester etablierte. Durch  das Wirken Hagen-Grolls wurde der Chor der Deutschen Oper Berlin nicht nur zum begehrten Partner für Auftritte und Aufnahmeprojekte unter Dirigenten wie Herbert von Karajan, Karl Böhm und Giuseppe Sinopoli, sondern er wurde auch zum Modellfall eines großen Opernchores, dessen Klangkultur bis heute Maßstäbe setzt.

Durch die Kontinuität und Bedeutung seiner künstlerischen Arbeit wurde Walter Hagen-Groll zu einem prägenden Künstler nicht nur der Deutschen Oper Berlin, sondern auch zu einem international geschätzten kulturellen Repräsentanten Westberlins. Seinem Stammhaus blieb er fast seine ganze Laufbahn über treu: 1927 in Chemnitz geboren, trat er sein Amt als Chordirektor der Deutschen Oper Berlin bereits mit 34 Jahren an, wechselte erst 1984 für zwei weitere Jahre an die Wiener Staatsoper und gab sein Wissen ab 1986 auch als Leiter der Chordirigentenklasse am Salzburger Mozarte- um weiter. Er verstarb am 3. November 2018 in Salzburg. Die Deutsche Oper Berlin, deren Ehrenmitglied er war, trauert um einen großen Künstler, dem sie unendlich viel verdankt. Quelle Pressestelle Deutsche Oper Berlin (Foto oben: Walter Hagen-Groll/ Foto © Harry Croner/ DOB)

Walter Hagen-Groll war der Vater der langjährigen und viel vermissten DOB-Presseassistentin  Bettina Raeder. Unser Beileid auch an sie. G. H.

Eduard Wollitz

 

Wenn in meiner Hinterhofwohnung ferner Studententage in Berlin-Moabit (Ofenheizung und Außentoilette) die Plattenpakete aus den USA (Sam Goodies!) kamen, saßen wir Musik-Freunde (die sich Inhalt und Porto teilten)  aufgeregt um meinen einzigen festen Tisch und ergingen uns in ekstatischer Vorfreude an diesem spezifischen LP-Geruch, den nur noch wir Ältere kennen – es roch nach Lager und nach typisch amerikanischem Verpackungsmaterial. Eine der ersten Lieferungen waren zwei Vox-LP-Boxen mit Monteverdis Ritorno d´ Ulisse in Patria und L´Incoronazzione di Poppea unter Rudolf Ewerhart, der seine Münsteraner Kräfte zur ersten Gesamtaufnahme der jeweiligen Titel anführte. Und da sang Eduard Wollitz! Seine herrliche, kraftvolle und doch geschmeidige Bass-Stimme beeindruckte mich sehr, sowohl als Nettuno/Freier wie auch als Seneca – was für eine gut geführtes Organ, welche Farbe und was für ein sonorer Umfang. Später erlebte ich ihn oftmals in Wiesbaden, mit Gewinn bei Wagner, Strauss & Co. Und auf zahlreichen Rundfunk-, Studio- und Live-Aufnahmen ist er zu erleben:  eine der besten deutschen Bass-Stimmen, die ich kenne. Nun ist er am 28. Oktober 2018 bewundernswerte 90 Jahre geworden! Unser Glückwunsch und Dank für die vielen schönen Stunden, die er mir (und vielen anderen) bereitet hat. G. H.

 

Eduard Wollitz/ Bach-Cantatas

Nachfolgend wieder einmal ein Auszuig aus dem wie stets unersetzlichen Kutsch/Riemens: Wollitz, Eduard, Baß, * 28.10.1928 Hamburg; bereits mit neun Jahren erhielt er Geigen- und Klavierunterricht, dann Chorknabe an St. Michaelis in Hamburg. Seit 1946 Kapellmeisterstudium an der Hamburger Musikhochschule, seit 1948 Gesangsausbildung durch Frau Bertha Dammann in Hamburg. Er trat gelegentlich in Konzertveranstaltungen auf, betätigte sich aber zunächst als Chorleiter, Liedbegleiter und Repetitor. 1952 begann er seine Bühnenlaufbahn am Landestheater von Darmstadt. Über das Stadttheater von Heidelberg kam er an das Opernhaus von Wuppertal und wirkte dann 1963-65 am Opernhaus Zürich. Seit 1966 erster seriöser Baß am Staatstheater von Wiesbaden. Hier wie bei seinen zahlreichen Gastspielen sang er als Hauptpartien den Gurnemanz im »Parsifal«, den König Marke im »Tristan«, den Daland im »Fliegenden Holländer«, den Landgrafen im »Tannhäuser«, den Sarastro in der »Zauberflöte«, den Ochs im »Rosenkavalier«, den La Roche im »Capriccio« von R. Strauss und den Rocco im »Fidelio«. Neben seinem Wirken auf der Bühne stand eine zweite ebenso bedeutende Karriere als Konzert- und namentlich als Oratoriensänger. Gastspiele und Konzerte in den deutschen Großstädten, in Amsterdam, Paris, Bordeaux, Lyon, Straßburg, Genf, Wien, Warschau, Rom, Venedig, Neapel, Turin, Barcelona, Ko penhagen, Stockholm, Teheran, Portland (USA) und Los Angeles. Er wirkte bei den Festspielen von Wiesbaden, bei den Händel-Festspielen Göttingen, beim Maggio musicale Florenz, bei den Festwochen von Zürich und den Bach-Festwochen von Ansbach mit. Rundfunksendungen über viele deutsche und westeuropäische Sender, Auftritte im deutschen, französischen, Schweizer und dänischen Fernsehen. Seit 1974 neben seinem Engagement in Wiesbaden Professor für Gesang im Fachbereich Musikerziehung an der Universität Mainz.

Schallplatten: Vox (»L’Incoronazione di Poppea« und »Il ritorno d’Ulisse in patria« von Monteverdi, »Elias« von Mendelssohn, Requiemmessen von Verdi und Mozart), Cantate (Bach-Kantaten), Opus (Cäcilienmesse von Cherubini). [Lexikon: Wollitz, Eduard. Großes Sängerlexikon, S. 26170 (vgl. Sängerlex. Bd. 5, S. 3760) (c) Verlag K.G. Saur] (Fotos oben Bach-Cantatas)

Ausdruck des Leids

 

Der tschechische Komponist Josef Suk (1874-1935) steht auch heute noch im Schatten seines Schwiegervaters Antonín Dvorák. Suks wohl bekanntestes Werk ist gleichwohl untrennbar mit diesem verbunden, widmete Suk seine 1905/06 entstandene und Asrael betitelte Sinfonie c-Moll op. 27 doch ausdrücklich Dem Andenken Antonín Dvoráks und seiner Tochter, meiner Gattin Ottilie. Unglücklicherweise starb nämlich auch Suks Gemahlin, kurz nach dem Ableben ihres Vaters, während er noch über der Komposition des Werkes saß. Man kann sich den furchtbaren Schmerz Suks vorstellen. Dass er die Sinfonie nach dem unbarmherzigen alttestamentarischen Todesengel benannte, mutet insofern gleichsam folgerichtig an. Der Tod ist das Leitmotiv des Werkes.

Die Sinfonie ist fünfsätzig und ist trotz des Namens im Titel keine Programm-Sinfonie im engeren Sinne, haben die einzelnen Sätze doch keine programmatischen Überschreibungen. Trotz einiger (sicherlich beabsichtigter) Dvorák-Zitate kann doch von einer ganz eigenen Tonsprache Suks gesprochen werden. Der dritte, also der im Zentrum stehende Satz, ist ein unheimliches, ein wenig an Mahler gemahnendes Scherzo, eine Art Totentanz, der von den übrigen Sätzen eingerahmt wird. Gar zwei Adagios beenden die Komposition, was ziemlich einzigartig sein dürfte und den tieftraurigen Klagecharakter noch unterstreicht. Und doch klingt die Asrael-Sinfonie versöhnlich und ohne aufgesetzte Theatralik aus.

Die Diskographie des Werkes ist umfangreicher, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Bereits Václav Talich spielte es 1952 mit der Tschechischen Philharmonie erstmals ein. Es folgten ihm vor allen Dingen Dirigenten aus der damaligen Tschechoslowakei: Karel Ancerl (1967), Jiri Waldhans (1968), Rafael Kubelík (1981), Václav Neumann (1983), Libor Pesek (1990) und Jiri Belohlávek (1991 und nochmal 2008). Sogar Jewgeni Swetlanow legte eine Interpretation vor (1993). Erst seit diesem Jahrtausend erscheint Asrael auch häufiger bei Dirigenten außerhalb Tschechiens, darunter Kirill Petrenko (2002), Sir Charles Mackerras (2007) und Claus Peter Flor (2008). Tomás Netopils Einspielung von 2016 bildet derzeit den Abschluss (Erscheinungsdatum 2017).

Es ist nicht ganz einfach, sie im Vergleich zu vorhergehenden Aufnahmen zu bewerten, handelt es sich doch um ein letztlich doch eher sperriges Werk, das sich beim ersten Hören nicht unbedingt erschließt. Das orchestrale Niveau der international wenig bekannten Essener Philharmoniker ist jedenfalls tadellos, genauso die Akustik des Alfried-Krupp-Saales der Philharmonie Essen, welche nahe am Optimum ist. Gerade aus diesem Grunde ist die Neueinspielung auch demjenigen zu empfehlen, der bereits die eine oder andere ältere Aufnahme dieses Requiems ohne Vokalisten besitzt. Ob Netopil nun genauso herausragend interpretiert wie einst Talich und Kubelík, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Spielzeiten des etwa einstündigen Werkes unterscheiden sich nur unwesentlich von den früheren Lesarten: 15:20 – 7:33 – 11:57 – 10:57 – 14:04. Bereits Talich schlug weiland sehr ähnliche Zeitmaße an.

Hervorzuheben ist gerade die Transparenz, die Netopil erzielt, weit entfernt davon Gefahr zu laufen, von den Klangmassen erschlagen zu werden. Womöglich wird man den spezifischen böhmischen Klang, der in den genannten älteren Einspielungen vorhanden ist, hier nicht vorfinden, doch wer bereit ist, sich ein wenig abseits des Idioms zu bewegen, hat mit dieser Neuaufnahme eine vorzügliche Möglichkeit dazu (Oehms Classics OC1865). Daniel Hauser

Qual tenero diletto

 

Stopp. Da stimmt doch etwas nicht. „Die kritische Ausgabe seiner Werke durch die Fondazione Rossini in Pesaro“, schreibt der im Vorjahr verstorbene Rossini-Kenner und Liebhaber Philip Gossett im Vorwort der 50 CDs umfassenden Rossini-Edition von Warner (weitgehend aus den Beständen der EMI und Erato), „hat mittlerweile mehr als die Hälfte seiner Opern, besonders die ernsten, der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht“. Sind es nicht weit mehr? Gossett hatte das vor einem Vierteljahrhundert geschrieben. Eine kleine Aktualisierung hätte dem anspruchsvollen Unterfangen gut getan. Je umfangreicher die Edition, desto schmaler das Beiheft. Ein Opfer, das man bei der spottbilligen Edition bringen muss. Das Beiheft reiht die Besetzungen aneinander, bietet nach Gossetts Einführung (dt., engl. franz.), immerhin auf Englisch den Inhalt der Opern. Mehr nicht. Die Papphüllen der Einzel-CDs erinnern mit den Abbildungen der Originalcover an die unterschiedlichen Quellen der Warner Classics-Edition wie Erato, Fonit Cetra und EMI, auf der Rückseite komplette Tracklisten, Interpreten, Aufnahme-Informationen. Sehr sparsam, für eine Edition die Aufnahmen aus mehr als sechs Jahrzehnten von den 1950er Jahren (1953 La Cenerentola) bis 2015 (Marie-Nicole Lemieux auf CD 43) versammelt.

Wo anfangen? Auf CD 49 findet sich Sir Eugene Goossens’ hinreißende, aus Rossinis Klavierstücken kompilierte Ballettmusik La Boutique fantastique mit dem Royal Philharmonic Orchestra von 1957. Es hätte sich mühelos eine neuere Einspielung finden lassen, doch Goossens, der das Werk zwanzig Jahre zuvor schon einmal eingespielt hatte, hatte eng mit den Ballets Russes zusammengearbeitet, die das Ballett 1919 kreierten. Die Edition erweist sich als Boutique fantastique, als Zauberladen, die mehrere solcher Raritäten feilbietet. Darunter (auf CD 47) Georges bzw. György Cziffras Aufnahmen (ebenfalls aus 1957) seiner Paraphrasen und Transkriptionen von La danza und über die Ouvertüre zu Guillaume Tell. Aus der hinteren Ladenecke kommen wir zu den Neuheiten. 2010 und 2012 nahm Antonio Pappano in Rom das Stabat Mater und die Petite Messe solennelle auf (CD 45/46). Im Stabat Mater singt Lawrence Brownlee das Cujus animam gar nicht arienhaft auftrumpfend, auch wenn er es sicher könnte, sondern so behutsam, wie es dem Text zukommt, und auch Anna Netrebko und Joyce DiDonato nehmen bei der Frage Quis est homo ihre kostbaren Stimmen wie Klosterschülerinnen zurück, worauf auch Ildebrando D’ Arcangelo ihrem Beispiel folgt. Hoch besetzt mit Marina Rebeka, Sara Mingardo, Francesco Meli und Alex Esposito auch die Petite Messe solennelle. Zwanzig Jahre zuvor standen Salvatore Accardo für die Messa di Gloria immerhin die in den frühen Jahren ihre Karriere im Belcanto- und Rossini-Repertoire geschätzte Anna Caterina Antonacci zur Verfügung – dazu Bernadette Manca di Nissa, Francisco Araiza, Robert Gambill, Pietro Spagnoli. Erstaunlich, wie wenige Doubletten es bei der reichen Besetzung mit den im gleichen Repertoire rivalisierenden Horne, DiDonato, Larmore usw. bei den diversen Sänger-Aufnahmen gibt. Freilich, einige CDs sind aus diversen Recitals zusammengestückelt, so finden sich Horne, Cuberli, Serra, Schwarzkopf, de los Angeles und Ludwig friedlich vereint über die Jahrzehnte auf einer CD (42) oder Ramey, Cencic, Lemieux (43), Jennifer Larmore teilt sich auf CD 44 den Platz mit Carlo Maria Giulini, Sir Thomas Beecham , Claudio Scimone, aber auch Lamberto Gardelli, zu dessen Solisten in Dal tuo stellato soglio kurioserweise Pauline Tinsley gehören (Robert Lloyd ist der hagere Mosé), und Thomas Hampson, der ein steifes L’ ultimo ricordo hinterherschickt. Max Emanuel Cencic singt Rossinis einzige Kastratenpartie, den von Giovanni Battista Velluti 1813 an der Mailänder Scala kreierten Arsace aus Aureliano in Palmira (CD 43), Lemieux steuert den Pippo und die Clarice aus La gazza ladra und La pietra del paragone bei, Wolfgang Meyer schließt seine Klarinetten-Variationen an. Majestätisch, eine Klasse für sich, ist immer noch Marilyn Horne. Da läuft man Gefahr, sich „festzuhören“, immer wieder ihre Szenen und Arien aus Semiramide, Tancredi,  Zelmira usw. hören zu wollen, die sie Anfang der 80er Jahre mit Alberto Zedda aufnahm. Das sind immer noch Referenzaufnahmen. Welch immenser Ausdruck, welche runde, reiche und schöne Stimme, welch kluger und verschwenderischer Einsatz (CD 41/42). Da reicht nur Joyce DiDonato heran, die 2009 in Rom mit Edoardo Müller ins Studio ging und auf dem hier komplett integrierten Album Colbran, the Muse die Arien der Armida, Elena, Desdemona, Semiramide, Anna und Elisabetta sang. Gleich drei Alben von Rockwell Blake sind dabei, The Rossini Tenor (1987), Encore: Rosini (1989) und Rossini: Mélodies (1995, mit Pappano am Klavier), die seinerzeit ebenso Aufmerksamkeit fanden wie Hornes Rossini, auch wenn man ihn heute etwas eng und manchmal quäkig findet; wirklich schön war Blakes Tenor, der brillanter Touren fähig war, nie. Horne und Blake fassen sich nochmals bei der New Yorker Rossini Gala anlässlich seines 200. Geburtstag 1992 an den Händen. Dabei ist auch Chris Merritt, Blakes Mitstreiter der frühen Jahre des Rossinis Festivals in Pesaro, als glorioser Arnoldo; Fredrica von Stade ist das Aschenputtel, Hampson der Barbier, Samuel Ramey der Mahomet in La siege de Corinthe, und alle – dazu u.a. Doborah Voigt, Kathleen Kuhlmann – singen das 14stimmige Gran Pezzo concertato aus Il viaggio a Reims.

Zu den Opern. Vom Lachen der Schwestern Clorinda und Tisbe lässt man sich gerne anstecken. Vittorio Guis Glyndebourne-Produktion der Cenerentola versprüht auch noch in den berühmten Studios in der Abbey Road, wo sie im Herbst 1953 aufgenommen wurde, eine blitzende Bühnenpräsenz. Gui hat die Partitur bestens im Griff und verblendet die Stimmen in den Ensembles perfekt, ohne ihnen ihre Individualität zu nehmen. Die Cenerentola ist die älteste der 14 Opern auf den ersten 33 CDs. Sie besitzt aber Dichte und rhythmischen Elan, Farben und Ausgewogenheit, Oberfläche und Tiefe, wodurch sie auch angesichts späterer Aufnahmen unter Abbado, Ferro oder Chailly immer noch bestehen kann. Sesto Bruscantini und Juan Oncina als Dandini und Ramiro sind köstlich, Ian Wallace ist ein mehr sprechender als singender Komödiant alten Stils, die Spanierin Marina de Gabarain ist als mütterlich reife, technisch steife Cenerentola der Schwachpunkt der Aufführung (CD 13/14). In den gleichen Studios wiederholte Gui seinen Glyndebourne Erfolg mit Le comte Ory. Auch das ist eine gewitzte Aufführungen, wenngleich mit einigen Ausfällen in der Besetzung, wozu nicht nur der seltsame Michel Roux als Raimbaud gehört, aber der damals 35jährige Juan Oncina, einer der führenden tenore di grazia jener Zeit, ist, nachdem man sich an sein Timbre gewöhnt hat, ein witzig schelmischer und sinnlicher Ory. In vokaler Hinsicht teilweise fitter zeigt sich die junge Garde. Beispielweise 1996 auf Marc Minkowskis L’ inganno felice, mit der die Edition beginnt, mit dem  hinreißenden Raúl Giménez, der mit Bertrandos Arie „Qual tenero diletto“ quasi das Motto der Edition vorgibt, dazu Annick Massis, Lorenzo Regazzo, Pietro Spagnoli und Rodney Gilfry oder 1988 in Bologna in La scala di seta unter Gabriele Ferro (CD 2/3) mit den Damen Cecilia Bartoli und Serra und den Herren Matteuzzi, di Credico, de Carolis und Coviello. Bei den komischen Opern prallen der 1954 in der Mailänder Scala aufgenommene Turco in Italia unter Gavazzeni mit der Callas und Gedda (CD 9/10) beispielsweise auf Scimones L’ Italiana in Algeri von 1980 (CD 7/8), wo sich Horne und Ramey einen wunderbaren Schlagabtausch liefern, oder auf James Levines 1975 in London entstanden Barbiere di Siviglia, der von Anfang an im Abseits stand: für Gedda kam der Almaviva zu spät, Beverly Sills und Sherrill Milnes sind nicht nur Geschmacksache, Raimondi als Basilio, Capecchi als Bartolo und Barbieri als Berta sind schöne Besetzungsideen (CD 11/12), die ausführlichen Rezitative sind kein Gewinn. Im Jahr zuvor hatte Sills eine ihrer berühmtesten Partien ebenfalls in London aufgenommen, die Pamira in L’assedio di Corinto (CD 25-27), mehr oder weniger die italienische Rückübersetzung von Le siège de Corinthe, mit der sie sich 1969 an der Scala vorgestellt hatte. Die Aufnahme unter Thomas Schippers erhält ihre Hauptattraktion durch den Neocle der Shirley Verrett. Gedda ist 1972 (die CDs geben 1982 an) als Arnold in Guillaume Tell (CD 30-33) unter Lamberto Gardelli, der anders als Chailly bei Decca das französische Original einspielte, sehr überzeugend, wie auch die dramatisch schillernde Montserrat Caballé und der väterliche Bacquier. Die ernsten Opern sind neueren Datums. Ihre Zeit bricht in den 1970er Jahren an. Der erste Tancredi entstand 1978 überraschenderweise in Köln (bei der Firma Italia/ Cetra), später Warner), wo Gabriele Ferro die Cappella Coloniensis, das auf historischen Instrumenten spielende Orchester des WDR, dirigierte. Fiorenza Cossotto ist überraschend sicher in der Titelrolle, Lella Cuberli steht als Amenaide am Anfang ihrer Rossini-Karriere; wenige Jahre später nahm sie die Partei an der Seite von Marilyn Horne für CBS auf. Neben Katia Ricciarelli begegnen wir Horne neuerlich in Bianca e Falliero 1986 vom Rossini Opera Festival in Pesaro (CD 17-19) von wo auch Semiramide (CD 22-24) stammt, die Alberto Zedda 1992 (mit Iano Tamar, Gloria Scalchi, Gregory Kunde und Michele Pertusi) meisterhaft ausbreitete – später aber an der Vlaamse Opera noch besser wiederholte. Aus Vicenzas Teatro Olimpico stammt Rossinis letzte Oper für Neapel, Zelmira (CD 20/21), 1989 unter Claudio Scimone, mit der milden Cecilia Gasdia, der zupackenden Bernarda Fink, dem brillanten William Matteuzzi und dem adäquaten Chris Merritt. Ähnlich besetzt – Gasdia, Margarita Zimmermann, Ernesto Palacio, Merritt, Matteuzzi – war Scimones Ermione 1986 in Monte-Carlo (ex Erato CD 15/ 16). Jeder wird hier fündig (Warner Classics 0190295611156 ).   Rolf Fath

Edda Moser zum 80.

 

Auch an Edda Moser erinnere ich mich genau. Sie war ein überwältigendes Bühnenereignis – ich denke, man wird der unglaublichen Wucht ihrer Stimme, aber auch deren Zartheiten und Nuancen darin nur gerecht, wenn man sie auf der Bühne erlebt hat. Sie war ein „Theatertier“. Zudem hatte ich das Glück, sie noch in ihrer früheren Phase der Siebziger zu erleben, als unglaublich intensive Donna Anna an der Deutschen Oper Berlin, bei deren Ausbrüchen die Bühne wackelte und die eine Furie der der Gekränktheit abgab (der Loosey-Film hat diese Interpretation ja eingefangen). Zudem war sie optisch eine schöne, stolze Frau und eine sensationelle Schauspielerin. Als Idomeneo-Elettra werde ich sie nicht aus meinem Kopf los, einer Furie gleich ging sie Peter Seifert an, gekränkt, rachsüchtig, verbittert. Was für eine Besetzung damals an der DOB. Aber – und das war die andere Seite ihrer Kunst – als Gilda, als Cardillac-Tochter und vor allem als Violetta (in Hannover) überraschte sie mit unendlicher Zartheit, mit vielen kleinen Nuancen und vor allem – wie auf allen ihren Einspielungen – mit vorbildlicher Diktion. Ich habe kaum je eine andere Künstlerin mit einem solchen Gewicht auf Sprache erlebt, ob nun im Italienischen oder im Deutschen.

Edda Moser: Meisterklasse 2016 bei der Bertelsmann-Stiftung/ youtube

Was ihren vielen Liederaufnahmen zu Gute kam. Liederabende habe ich einige von ihr live erlebt und mich an ihrer Sprachdeutlichkeit erfreut. Ihren letzten Wagner-Abend in Berlin im reiferen Alter habe ich verdrängt. Das war kein Vergnügen. Aber sie ist unendlich klug,  zog sich auf das Unterrichten zurück und hat sich als ganz exzellente Pädagogin einen bedeutenden Namen gemacht.

So vital und beredt wie sie, ist mag man ihr ihre 80 (am 27. Oktober 2018) nicht glauben, zumal sie auf ihren unendlich vielen EMI-Electrola-Einspielungen ganzer Opern, vieler Querschnitte und vor allem Liedplatten zu einem Haushaltswort wie die Callas geworden ist.

Deshalb ist es uns eine Freude, im Anschluss das kurze Interview mit und von Thomas Voigt zu bringen, selber Musikjournalist von Rang und Lesern von operalounge.de nun wirklich kein Unbekannter, dessen Gesprächs-Buch mit Edda Moser „Ersungenes Glück“ gerade wieder neu im Henschel-Verlag aufgelegt worden ist.

2013 erschien eine CD-Box von Edda Moser bei der damaligen EMI/Electrola („Edda Moser – Electrola-Recitals/ Oper & Lied“), aus deren Beilagen wir das nachstehende Interview entnommen haben – mit Dank an Thomas Voigt. G. H.

 

Gerade wieder aufgelegt: „Ersungenes Glück“ – Edda Moser im Gespräch mit Thomas Voigt im Henschel Verlag/ ISBN ISBN 978-3-89487-671-5

Edda Moser im Gespräch mit Thomas Voigt: Edda Moser und EMI Electrola – das ist ein besonderes Kapitel Plattengeschichte. Den Beginn dieser Zusammenarbeit markieren zwei Mozart-Aufnahmen: Die komplette Zauberflöte unter Wolfgang Sawallisch und das RezitaI mit Opern- und Konzertarien unter Leopold Hager. Wäre es eine amerikanische Produktion gewesen, hätte die Soloplatte sicher den Titel „Coloratura spectacular“ gehabt. Stattdessen sieht man auf dem Cover eine Sängerin, die sich vor dem Genie Mozart verbeugt... Ich fühlte mich nicht als Primadonna, sondern als Dienerin des Komponisten, und mir war es wichtig, dass das auf dem Cover zum Ausdruck kommt.

Obwohl die Stücke ja zum großen Teil der Stoff sind, aus dem die Primadonnenroben gewirkt werden – Feuerwerke der Koloratur. Und dann dieser spektakuläre „stunt“ beim Aufstieg auf das dreigestrichene C in der Konzertarie „Popoli di Tessaglia“. Sicher, deshalb hieß das Album auch „Virtuose Arien von W. A. Mozart“. Dennoch ging es mir in erster Linie darum, den unterschiedlichsten Charakteren und den extremen gesanglichen Anforderungen gerecht zu werden. Das stand im Vordergrund – und nicht die Virtuosin. Übrigens zähle ich die Zusammenarbeit mit Leopold Hager zu den glücklichsten Erfahrungen meines Sängerlebens, im Studio wie auch im Konzertsaal. Es gab Momente, da sind wir ineinander versunken in der Seligkeit des Musizierens.

Sie sind die einzige Sopranistin, deren Stimme durch den Weltraum kreist. Ihre Aufnahme von „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ befindet sich an Bord der beiden inter­stellaren Raumsonden Voyager I und Voyager II, die 1977 in Cape Canaveral gestartet wurden. Die Arie ist auf „Voyager Golden Record“ gespeichert. Mir wurde erklärt, dass die Scheibe aussieht wie eine vergoldete LP. Und wenn man auf den Knopf drückt, fängt sie an zu spielen. Wie das konstruiert ist, weiß ich nicht. Geschätzte Lebensdauer: 500 Millionen Jahre. So viel zur Frage, die sich jeder Künstler stellt, nämlich: „Was bleibt?“ (lacht) Dass etwas bleibt, zeigt schon diese CD-Box, die ja mein Platten-Vermächtnis darstellt. „Der Hölle Rache“ entstand übrigens in einem Rutsch, morgens um zehn. „Wollen Sie einen Probelauf, oder nehmen wir gleich auf?„, fragte Wolfgang Sawallisch. „Von mir aus gleich Aufnahme!“ Dann legte ich los – und das war’s. Ein Take.

Edda Moser: als Königin der Nacht im ZDF-Konzert, wiederholt auf 3Sat/ youtube

Der Produzent dieser Aufnahmen war meist Helmut Storjohann, und zu ihm hatten Sie offenbar einen sehr guten Draht. Wir kamen wunderbar miteinander aus. Und er hat mir bei meinen Solo-LPs viel Freiheit gelassen. Zum Beispiel durfte ich mir für meine erste Liedplatte das Programm und den Begleiter aussuchen. Also habe ich mir als erstes Lieder von Strauss und Pfitzner gewünscht, mit Erik Werba als Partner am Klavier.

Warum gerade Pfitzner? Seine Lieder werden bis heute unterschätzt, zumal im Vergleich zu Strauss. Er gehört zu den Komponisten, bei denen sich alte Vorurteile hartnäckig gehalten haben. Als ich zum Beispiel den Managern der Mailänder Scala mein Programm für den Liederabend vorstellte, sagten sie sofort: Bloß keinen Pfitzner!“ Aber das hat mich nur darin bestärkt, seine Lieder zu singen. Außerdem war er ein Freund meines Vaters.

… des Musikwissenschafliers und Sängers Hans Joachim Moser. Vaters Gesang war mein Schlüsselerlebnis in Sachen Lied. Deshalb ist mein emotio­nales Verhältnis zum Lied auch viel älter als meine Beziehung zur Oper.

Wie war die Arbeit mit Erik Werba? Das war das Beste, was mir als Liedsängerin passieren konnte. Ich habe sehr viel von ihm gelernt; er hat ja alle großen Liedsänger begleitet und beraten, und wenn er einen begleitete, hatte er eine unglaubliche Ausstrahlung. Mit ihm hatte ich auch meinen ersten großen Liederabend im Wiener Musikverein. Danach habe ich oft und gern mit Christoph Eschenbach gesungen; auch Dalton Baldwin und Leonard Hokanson darf ich zu meinen Wegbegleitern zählen.

Edda Moser mit Nicolai Gedda in „Don Giovanni“ an der Met/ Met Opera Archive

Mit Hokanson haben Sie ein Schubert-Rezital aufgenommen, elf Jahre nach Ihrer ersten Liedplatte. Warum haben Sie so lange mit Schubert gewartet? Aus Respekt und aus Sorge, seiner Musik nicht gerecht werden zu können. Schubert hat in vielen seiner Lieder eine Tessitura, die für Soprane unbequem ist.

Sie haben einmal gesagt, dass die Kunst des Liedgesangs immer mehr verloren geht. Nicht bei Festivals, aber im täglichen Musikleben. Da droht das Lied immer mehr zu einem Nischenprodukt für Liebhaber und Experten zu werden. Als ich in Berlin stu­dierte, waren Liederabende selbstverständlicher Teil des musikalischen Alltags. Da verging keine Woche ohne einen Liederabend, und man hörte regelmäßig die Besten des Metiers: Fischer-Dieskau, Grümmer, Seefried, Prey, Schwarzkopf, Rothenberger, Streich und viele andere.

Fischer-Dieskau hat die Hörgewohnheiten ganzer Generationen geprägt, er war ein Freund Ihres Vaters – hat das irgendeinen Einfluss auf Ihre Liedinterpretationen gehabt? Sagen wir so: Wer sich ernsthaft mit dem Liedgesang beschäftigte, konnte ihn gar nicht umgehen. Er war eine solche Autorität und Größe auf diesem Gebiet, und wer wie wir in Berlin wohnte, war froh und dankbar, ihn regelmäßig mit Liederabenden zu hören. Sicher hat das unterschwellig auch Einfluss auf mich gehabt, zum Beispiel in der Artikulation.

Was kann man tun, damit Liederabende wieder zum musikalischen Alltag gehören und nicht Sonderveranstaltungen für Spezialisten bleiben? Tja … da müsste man fast schon in der Schule ansetzen und versuchen, die Lust an Musik und Poesie zu wecken. Natürlich ist das eine harte Arbeit: Welches Kind hat schon Lust, sich mit Gedichten zu befassen? Wir wären ja auch lieber spielen gegangen. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Es hat uns auch gezeigt, dass es noch etwas an­deres gibt als das Nützliche und Materielle, dass der Mensch nicht nur von Essen und Trinken lebt, dass es auch eine seelische und geistige Nahrung gibt. Wenn wir uns das bewusst machen, ist der erste Schritt getan. ©Thomas Voigt, 2013

 

Edda Moser als Violetta im bereits erwähnten ZDF-Konzert, das später von 3Sat wiederholt  wurde/ youtube

Als Erinnerungsstütze hier noch ein Auszug aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens  (Großes Sängerlexikon): Moser, Edda, Sopran, * 27.10.1938 Berlin; Tochter des Musikwissenschaftlers Hans Joachim Moser (1889-1967). Gesangstudium bei Hermann Weißenborn und bei Gerty König in Berlin. 1962 debütierte sie als Kate Pinkerton in »Madame Butterfly« am Deutschen Opernhaus Berlin. Sie sang ein Jahr lang als Choristin am Stadttheater von Würzburg und war seit 1964 nacheinander an den Stadttheatern von Hagen (Westfalen) und Bielefeld sowie am Theater des Westens in Berlin tätig. 1967 begegnete sie bei einem Gastspiel am Staatstheater von Braunschweig dem Komponisten Hans Werner Henze, der sie veranlasste, bei einem Konzert in London die Soli in zwei seiner Kantaten zu singen. 1971 wirkte sie in Wien in der Uraufführung des Oratoriums »Das Floß der Medusa« von H.W. Henze mit. 1968 wurde sie durch Herbert von Karajan für die Salzburger Osterfestspiele als Wellgunde im »Rheingold« verpflichtet. Die gleiche Partie sang sie bei einem Gastspiel des Salzburger Ensembles im November 1968 an der Metropolitan Oper New York. Es folgten Gastspiele an den Opernhäusern von Frankfurt a.M., Hamburg, Paris (1977 Königin der Nacht an der Grand Opéra) und am Grand Théâtre in Genf. Im Konzertsaal schätzte man sie vor allem als Bach-Sängerin und als Interpretin zeitgenössischer Meister. 1970 bewunderte man  sie an der Metropolitan Oper New York als Königin der Nacht in der »Zauberflöte«, ihrer besonderen Glanzrolle; sie sang an der Metropolitan Oper während einer Reihe von Jahren u.a. die Donna Anna im »Don Giovanni«, die Konstanze in der »Entführung aus dem Serail«, die Musetta in »La Bohème« die Liu in Puccinis »Turandot« und mit besonderem Erfolg 1984 die Armida in »Rinaldo« von Händel. 1978 gastierte sie in Moskau, Kiew, Odessa und Tallinn (Reval). Bei den Salzburger Festspielen sang sie 1971 die Aspasia in Mozarts »Mithridate«, 1978 die Donna Anna im »Don Giovanni«, 1979-82 die vier Frauenrollen in »Hoffmanns Erzählungen«, 1981-84 die 1. Dame in der »Zauberflöte« und trat 1970-89 dort immer wieder in Konzertveranstaltungen auf. Beim Festival von Aix-en-Provence hörte man sie als Donna Anna im »Don Giovanni«. 1971 feierte man sie an der Wiener Staatsoper als Konstanze in der »Entführung aus dem Serail«, als Königin der Nacht und in anderen Partien für Koloratursopran; sie blieb dann Mitglied dieses Opernhauses. Durch Gastspielverträge war sie den Staatsopern von München und Hamburg verbunden. In Hamburg hatte sie 1974 spektakuläre Erfolge als Lucia di Lammermoor. 1972 sang sie in London in einer konzertanten Aufführung von »Le Rossignol« von Strawinsky. 1974 gab sie Konzerte in der New Yorker Carnegie Hall. Sie wechselte dann vom lyrischen und vom Koloraturfach in den Bereich des dramatischen Soprans und sang an der Deutschen Oper Berlin und an weiteren Bühnen (u.a. in Bonn und Leipzig) Rollen wie die Senta im »Fliegenden Holländer«, die Leonore im »Fidelio«, die Titelpartie in »Salome« und die Marschallin im »Rosenkavalier« von Richard Strauss. 1988 Gastspiel in Rio de Janeiro als Ariadne in »Ariadne auf Naxos« von R. Strauss, 1989 am Teatro Valli in Reggio Emilia als Marie im »Wozzeck« von A. Berg. Tourneen, bei denen sie sich auch als große Liedersängerin präsentierte, führten sie nach Südamerika, Italien, Frankreich, Belgien und Dänemark. Sie war dazu pädagogisch tätig.

 

Edda Mosers „Vermächtnis“, wie sie selbst im Gespräch hier sagt: Electrola/EMI-Recitals/ Oper & Lied

Zahlreiche Schallplatten der Marken Electrola/ EMI (»Idomeneo« von Mozart, »Die Zauberflöte«, »Paradies und die Peri« von Schumann, Leonore in der Ur-Fassung von Beethovens »Fidelio«, »Abu Hassan« von Weber, »Der häusliche Krieg« von Schubert, »Genoveva« von Schumann, »Die Abreise« von d’Albert, Mozart- Arien; Operetten- und vortreffliche Lied-Aufnahmen) und DGG (Ring-Zyklus aus Salzburg, »Orpheus« von Gluck, »Rappresentatione di Anima e di Corpo« von Cavalieri, »Das Floß der Medusa« von Henze), CBS (»Don Giovanni« als CD und Film), Calig-Verlag (1. Akt »Walküre«, Aufnahme einer konzertanten Aufführung vom Juni 1994 in Schwerin).

[Nachtrag] Moser, Edda; sie war 1968-71 am Opernhaus von Frankfurt a.M. engagiert. An der Metropolitan Oper New York sang sie seit 1968 acht Rollen in neun Spielzeiten (Debüt als Wellgunde im »Rheingold«), 1972, 1975, 1979-80, 1981-82 und 1983-84; man hörte sie dort als Königin der Nacht in der »Zauberflöte«, als Donna Anna im »Don Giovanni« (48mal), als Musetta in »La Bohème«, als Liu in Puccinis »Turandot«, als Nedda im »Bajazzo« und als Armida in »Rinaldo« von Händel. Bereits 1973 unternahm sie eine sehr erfolgreiche Rußland-Tournee mit Auftritten in Moskau, Leningrad und Riga. An der Oper von Marseille gastierte sie 1981 als Gräfin in »Figaros Hochzeit«, an der Staatsoper von Wien sang sie noch 1994 die Salome in der gleichnamigen Oper von R. Strauss. Ihr Vater Hans Joachim Moser (1889-1967) war auch als Konzertsänger tätig und nahm auf der Marke Parlophon-Schallplatten mit Musik des Mittelalters auf. Ihr Halbbruder Wolf-Hildebrand Moser (* 1943 Berlin) wurde ebenfalls als Sänger bekannt. [Lexikon: Moser, Edda. Großes Sängerlexikon, S. 17119 (vgl. Sängerlex. Bd. 4, S. 2442; Sängerlex. Bd. 6, S. 540) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto oben: Edda Moser: als Donna Anna in Joseph Looseys-Verfilmung von „Don Giovanni“ 1979/ kinozeit.de)

 

Leselust

 

Unaufgeregt, als handle es sich um eine gemütliche Plauderei beim Wiener Heurigen, liest sich das neue Buch des  nunmehr 88jährigen Otto Schenk, das er sicherlich zur Freude aller seiner vielen Anhänger zwei Jahre nach dem bereits nach Abschied klingenden „Ich kann‘s nicht lassen“ und vier Jahre nach dem ebenfalls sich nach Epilog anhörenden „Ich bleib noch ein bissl“ unter dem Titel Wer’s hört, wird selig“ geschrieben hat. Und natürlich erhofft man nach so häufigem im Geiste Abschiednehmen auch noch mindestens ein weiteres Buch zum Neunzigsten im Jahre 2020.

Was macht die Werke Otto Schenks zu einem so angenehmen Lesevergnügen, dass man seine Bücher meistens in einem Zug hintereinander weg liest? Zu ihren Tugenden gehören ganz sicherlich die Untertreibung, der Humor, die grenzenlose Gelassenheit. Da stutzt man, wenn man über das Jahr 38 liest, dass man von da an „nicht mehr in die Oper durfte“, sieht bei Wikipedia nach und stellt fest, dass der Verfasser Halbjude und deshalb den antisemitischen Schikanen der Hitlerzeit unterworfen war. Da möchte man nicht glauben, dass, wie es ein wiederholtes Bekenntnis glauben machen soll, Otto Schenk unmusikalisch sein soll, da staunt man über den Mut desjenigen, der Opern mit antiken Bauwerken gleichsetzt, die man ja auch nicht plötzlich farbig verrückt anstreicht, sondern so bewundert, wie sie der Nachwelt hinterlassen wurden. Er, dem das ganze moderne Regietheater ein Graus sein muss, ist die personifizierte Dezenz und enthält sich jeder negativen Kritik, lässt Kritisches nur im Lob für das, was dem Regietheater die Stirn bietet, anklingen. Das Lob für die „Glaubhaftigkeitsgierigen“ unter den Sängern und Sätze wie „Ich bin kein hypochondrischer Langprobierer“ lassen ihn durchaus Position beziehen, ihn, der  vom Publikum geliebt und vom Feuilleton eher belächelt wird für seine ewig lebendig bleibenden Inszenierungen. Von denen gibt es auch einige Eindrücke durch die zahlreichen Fotos.

Otto Schenk liebt die Sänger und das beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit und verwundert nicht. Eher schon, aber nur für einen Moment, dass Wieland Wagner ihm Anja Silja anvertraute für die Partien, die sie nicht mit ihm selbst einstudieren konnte. Keine ideologisch befrachteten Regiekonzepte sind seine Stärke, sondern das Bestreben, Sänger vor dem „Hausmeisterschmerz“, der falschen, auf tragisch machenden Pose zu bewahren, was sogar einen sonst gern Proben schwänzenden Corelli zum Probenfanatiker  machte. Lang ist die Liste der Sänger, mit Anekdoten gewürzt, die sich auf seine Hilfestellung als Regisseur verlassen konnten, und sei es die mit der Bratpfanne zuschlagende Norina Netrebko an der Met.

Auch über sinfonische Musik hat sich Schenk Gedanken gemacht, über die Eigenarten von Dirigenten, mit denen er zusammen gearbeitet hat oder von denen er bedauert, dass es nie zu einer Zusammenarbeit kam, so wie er es sich nach Thielemanns Götterdämmerung wegen dessen „überströmender Suggestionskraft“ gewünscht hätte. Zur künstlerischen Freundschaft, die ihn mit Levine verbindet, bekennt sich der Autor auch heute noch, wo viele Ex-Freunde um den Namen lieber einen Bogen machen.

Oft gibt es etwas zu lachen, wenn mit weanerischem Sprachduktus vom Leiden der Tänzer bei den übertriebenen Ritardandi von Robert Stolz oder von der Lust Karajans an den Dirigentenparodien des Verfassers berichtet wird.

Man kann nur hoffen, dass die von Otto Schenk als ungebrochene Schaffenskraft gepriesene Rüstigkeit zu weiteren Büchern und vielleicht sogar zu einer Inszenierung gemeinsam mit Thielemann führt (240 Seiten, Amalthea Verlag Wien 2018, ISBN 9783 99050 139 9). Ingrid Wanja

 

Sehens-, hörens- und bedenkenswert

 

Gleichermaßen zum Entzücken für Ohr, Gemüt und Intellekt sind die beiden DVDs mit den Titeln Richard Strauss Gala und My Richard Strauss, die ein Konzert mit ausschließlich Werken des bayerischen Komponisten und einen Essay über denselben, ausgehend vom Verhältnis des Berliner Dirigenten Christian Thielemann zu seinem zweiten Hausgott (Es gab bereits eine CD mit dem Titel Mein Wagner.) anbieten. Wer könnte berufener sein als die Dresdner Staatskapelle, die neun der Opern Strauss‘ uraufführte und in ihrem Archiv, wundersamer Weise durch den Krieg gerettet, die Partituren mit den Anmerkungen des Komponisten bewahrt.

2014 wurde das Konzert, in dem Konzertstücke und Arien einander abwechseln, aufgenommen, die DVD kam 2015 auf den Markt. Drei namhafte Strauss-Sängerinnen bestreiten die Solonummern. Christine Goerke singt den Beginn von Elektra und den Schluss von Salome, in rotschwarzem Kleid wohl Sünde und Tod gleichermaßen verdeutlichend, aber doch eher wie Carmen gewandet erscheinend. Ganz und gar Strauss aber ist ihr Gesang mit rundem, warmem Sopran, der auch an den exponiertesten Stellen nie schrill wird,  einer Stimme, die in der Höhe aufblüht, für die Salome ein anrührendes Erstaunen und für Elektra und ihre Rufe nach dem Vater einen gewollt hohlen Klang in der Stimme hat. Das Piano am Schluss kommt ohne jeden Farbverlust daher, ein feines Flirren im Sopran kennzeichnet das „Geheimnis der Liebe“ und für “was soll’s“ gibt es einen schönen Schwellton. Mit nur einem Stück ist Anja Harteros vertreten, die Arabellas „Mein Elemer!“ mit leuchtendem Sopran singt, so dass man wie bei ihren italienischen Partien meint, sie sei gerade und ganz besonders für dieses Repertoire geschaffen. Die Gefühlsschwankungen, in denen sich Arabella bewegt, werden wunderbar nachgezeichnet, die Stimme ist in allen Lagen gleich stark präsent. Der dritte Sopran, ebenso rollendeckend wie der ihrer beiden Vorgängerinnen eingesetzt, ist Camilla Nylund in der Zweiten Brautnacht der Ägyptischen Helena und im Schlussgesang der Daphne, deren Charakter der silbrig schimmernde Sopran ganz besonders gut entspricht. Die erfahrenere Helena wird passend im roten, die keusche Daphne im blauen Gewand vorgestellt.

Das Besondere dieses Konzertes ist es, dass auch weniger bekannte Musik vorgestellt wird, neben der Zweiten Brautnacht vor allem in den Orchesterstücken. Zwar darf der Rosenkavalier-Walzer nicht fehlen, aber auch Die schweigsame Frau, Feuersnot und Intermezzo werden vom Orchester und seinem Dirigenten mal in funkelnder Pracht, mal in feiner Innigkeit zu Gehör gebracht.

Nicht weniger interessant als das Konzert ist der Essay über Thielemann und seinen Lieblingskomponisten, der Originalaufnahmen mit Strauss, viel Wissenswertes auch aus dem Mund des britischen Musikwissenschaftlers Bryan Gilliam („Die Deutschen haben einen Erbsündekomplex und meinen deshalb Strauss hassen zu müssen.“) und natürlich viel mit Thielemann wie Probenausschnitte und Reflexionen über die Musik des Meisters bringt. Als zwischen Skatspiel und Dämonenbekämpfung lebend wird der Komponist charakterisiert, und es bleibt dem Zuschauer- und -hörer manch Nachdenkenswertes im Gedächtnis wie :“Das Schönste ist das Unausgesprochene.“ (C-Major728908/ Foto oben: Richard Strauss gemalt von Max Liebermann/ Foto Wikipedia. nl ). Ingrid Wanja

Seelenzustände

 

Den jungen polnischen Countertenor Jakub Józef Orlinski stellt Erato/Warner mit seinem ersten Soloalbum vor (0190295633745), für das der Sänger ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt hat. Musikalisch beraten wurde er dabei von Yannis François, der auch die kritischen Editionen der Stücke erstellte. „Anima sacra“ ist der Titel dieser Anthologie mit geistlichen Werken von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zur Vorklassik. Darunter finden sich acht Weltersteinspielungen, was Sammler stets zu schätzen wissen. Die künstlerische Bedeutung des Albums resultiert zudem aus der Mitwirkung des renommierten, auf Barockmusik spezialisierten Ensembles il pomo d’oro unter Leitung des in diesem Repertoire versierten Dirigenten Maxim Emel Yanchev.

Die älteste Komposition stammt aus der Feder von Nicola Fago (1677 – 1745) und dessen Oratorium Il Faraone sommerso (1709). Es ist die erste Arie des Aronne, „Alla gente a Dio diletta“, die eine große Feierlichkeit und Ruhe verströmt, welche Aarons unerschütterlichen Glauben widerspiegelt. Der Sänger lässt seine Stimme ausgeglichen und gerundet ertönen, sie klingt keusch, aber nicht anämisch. Es folgt ein sakrales Werk dieses Meisters als Weltpremiere, die Motette Confitebor tibi, Domine. Die sieben Sätze sind von starken Kontrasten und der Interpret hat hier Gelegenheit, die verschiedenen Stimmungen wach werden zu lassen. Später gibt es von Fago noch dessen geistliche Kantate „Tam non splendet sol creatus“, welche die Geburt Jesu preist und mit einem virtuosen „Alleluja“ endet.

Ein Dresdner Werk ist Johann David Heinichens Motette „Alma Redemptoris Mater“ von 1726, welche in drei Sätzen dem Marienkult huldigt. Der erste zeichnet sich durch liebliches Melos aus und  verlangt dem Interpreten schwebende Töne ab. Auch im zweiten kann er die Schönheit seiner Stimme ausstellen. Dagegen ist der Finalteil in seinem Duktus tänzerisch orientiert. Danach erklingt ein Ausschnitt („Donec ponam“) aus dem Dixit Dominus des katalanischen Komponisten Domènec Terradellas. Er studierte in Neapel bei Francesco Durante, dessen kurze, virtuose Arie „Domine Fili unigenite“ aus der Messa a 5 voci das Programm der CD beschließt.

Eine Größe der neapolitanischen Musik ist Domenico Sarro (1679 – 1744), der mit einem „Laudamus te“ aus seiner Messa a 5 voci vertreten ist. Mit seinem inbrünstigen Vortrag kann Orlinski ebenso überzeugen wie mit den virtuosen Verzierungen. Gleichfalls aus Neapel stammt Francesco Feo (1691 – 1761), der bei Fago Unterricht nahm und in seiner Hymne Dies irae die Schrecken des Jüngsten Gerichts schildert. Daraus hat der Countertenor die Arie „Juste Judex ultionis“ ausgewählt, in der Gott um Milde angefleht wird. Aus dem Jahre 1735 stammt Gaetano Maria Schiassis Oratorium Maria Vergine al Calvario, aus dem die Arie des Giovanni, „L’agnelletta timidetta“ ertönt, in welcher Johannes sich mit einem verschüchterten Lamm vergleicht, was der Sänger mit besonders zarter Tongebung ausdrückt.

Für den Dresdner Hof schrieb Jan Dismas Zelenka (1679 – 1761) Gesù al Calvario, das er selbst als componimento sacro bezeichnete. Daraus stellt Orlinski eine Arie mit Rezitativ vor: „Smanie di dolci affetti“/„S’una sol lagrima“. Sie ist von getragenem Duktus und feierlichem Ernst. Nach Dresden führt auch die „jüngste“ Komposition der Auswahl. Sie stammt aus Johann Adolf Hasses Oratorium Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena von 1758. In der Arie „Mea tormenta, properate!“ schildert Petrus seinen seelischen Aufruhr beim Anblick des gekreuzigten Christus. In seinem furiosen Rhythmus und Tempo ähnelt das Stück einer dramatischen  opera seria-Arie und Orlinski kann hier einen bravourösen Schlusspunkt setzen. Bernd Hoppe

 

SINGEN IN DER POST-UND POSTPOSTMODERNE

 

Singen in der Oper, als Therapie und in der Post- und Postpostmoderne: Die Farbe ungebändigter Zornesröte ergießt sich über das vom Autor des Buches Singen selbst gestaltete Cover, und Bernd Weikl hat allen Grund, wie immer und notorisch wütend zu sein, denn was sein Lebensinhalt während seiner Sängerlaufbahn und auch jetzt noch ist, die Oper und das Singen allgemein, haben in den letzten Jahrzehnten einen bedauerlichen Wandel vollzogen. Die Werke der Opernliteratur werden durch die Anhänger des Regietheaters bis manchmal zur Unkenntlichkeit entstellt, und das Singen, sieht man von Fußballstadiongebrülle und Happy birthday for you  einmal ab, ist fast ganz verschwunden, Volks-, Kirchen- oder Weihnachtsliedersingen gehören nicht mehr zum selbstverständlichen Zeitvertreib und damit allgemein verbreiteten Kulturgut in deutschen Landen.

Weikls Buch nähert sich nach einem Vorwort, einer Widmung und einem Geleitwort seinem eigentlichen Thema. Im Vorwort hebt ein befreundeter Akademiker die Vielseitigkeit des Autors und damit des vorliegenden Werks hervor, die Widmung durch den Autor gilt dessen langjährigem Freund Adolph Kurt Böhm, das Geleitwort bezieht sich auf eine Aufführung von Mendelssohn-Bartholdys Elias unter Mitwirkung des Baritons 1988 anlässlich des vierzigsten Jahrestags des Bestehens des Staates Israel. Der Prolog schließlich bietet eine Vorausschau auf die Themen, die den Autor beschäftigen: Ist er Künstler oder Entertainer, gilt im Opernhaus die Partitur oder der Regisseur als das A und O aller Dinge, worin besteht der Bildungsauftrag der staatlich bezuschussten Künste, und was kann Singen bei bewusster Atmung bei Patienten der Psychiatrie bewirken?

Letzteres wird als Ergebnis einer Untersuchung in einer Münchner Klinik umfangreich und mit vielen Graphiken zum besseren Verständnis beitragend, dargeboten. Das Fazit ist der Nachweis, dass das Singen und das „angewandte Atmen“ sich positiv auf Stimmung und Haltung der Patienten auswirken.

Etwas überraschend geht es dann mit einem knappen Blick auf den Ursprung der Oper weiter, um danach sich mit den unterschiedlichen Aufgaben von rechter und linker Gehirnhälfte zu befassen. Wie zu einer Art Refrain kehrt Weikl zu den Auswüchsen des Regietheaters, das sein Verdammungsurteil über „Wiedererkennung und Wohlfühlen“  als Teil des Operngenusses gesprochen hat, ja das Ende der Oper mit diesen verbindet, erneut zurück.

Man hat oft den Eindruck, den Verfasser übermanne der Zorn über die heutigen Verhältnisse und hindere ihn daran, kontinuierlich zu einem Thema Stellung zu beziehen, führe ihn immer wieder zu den bevorzugten Themen Regieuntaten, Verfall des musikalischen Lebens in Deutschland zurück, wobei manches wohl zu schwarz gesehen wird, so mit der Behauptung, es gebe keinen Musikunterricht in den Schulen mehr oder es habe ein Orchestersterben eingesetzt. So mag die Tatsache, dass zur Zeit der Wende  43 % der deutschen Orchester sich auf dem Gebiet der DDR befanden, auch bedeuten, dass es dort ein Überangebot gab. Fast leere Parsifalvorstellungen an der Berliner Staatsoper ließen bei der Rezensentin einst diesen Gedanken aufkommen.

Praktisch für werdende Sänger könnte das Kapitel über den „menschlichen Körper als Instrument“ sein, über den Vokalausgleich und die optimale Atmung. Ein weiterer Aspekt, die Interessen und Vorhaben Bernd Weikls betreffend, sind dessen Versuch, Männer aus der Wirtschaft  zu einer erhöhten „kulturellen Kompetenz“ zu verhelfen, das schwedische Königshaus für sein Ideen zu begeistern oder Kritik und Publikum in Tokio für nazifreie Meistersinger. Ein gerichtliches Vorgehen gegen die Vergasung von Juden in einer Tannhäuser-Inszenierung endet ohne den erwünschten Erfolg, und die vom Autor für kommende Zeiten vorhergesehenen Scheußlichkeiten auf deutschen Opernbühnen kann man bereits jetzt besichtigen. Welch großer Unterschied besteht schließlich zwischen einem von Weikl in zukünftigen Zeiten angesiedelten Florestan, der am Ende erschossen wird, und einem , so bereits in Salzburg zu sehen gewesen, der als psychisches Wack am Boden kauert?!

Kleine Ungenauigkeiten wie „Staatspräsident“ anstelle von „Bundespräsident“ oder „Va pensiero sull’allo dorato“ hätten durch ein aufmerksames Lektorat vermieden werden können.

Kann man mit einem so vehementen, leidenschaftlichen Kampf gegen das moderne Regietheater etwas bewirken, oder wird man zu einer Art Don Quichotte im Kampf gegen übermächtige Windmühlenflügel? Man kann sich zum Kämpfer berufen fühlen und sich  das Leben damit selbst schwerer machen als notwendig, oder man erfreut sich an den wunderbaren Aufnahmen, die es zum Glück in großer Zahl gibt, zum Beispiel an einem Sachs oder Wolfram von Bernd Weikl (135 Seiten, Leipziger Universitätsverlag 2018; ISBN 978 3 96023 129 5). Ingrid Wanja

Saint-Saens: „ASCANIO“

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Opernfans werden aufjauchzen, dass die von Samuel Zinsli so hymnisch besprochene Aufführung des Ascanio von Camille Saint-Saens aus dem Grand Théâtre de Genève 2017 nun auch als CD erschienen ist, in einer etwas freudlos-schwarz-weißen, aber recht informativ ausgestatten Buch-CD-Edition bei der franzöischen Firma B Records (LBM 013/ 3 CDs mit französisch-englischem Libretto und vielen Aufsätzen in beiden Sprachen, wirklich vorbildlich). Der nachfolgende Bericht von Samuel Zinsli über die konzertante Aufführung in Genf im September 2017 (in diesem Zeitraum wurde auch die Einspielung vorgenommen) deckt sich auch mit dem Eindruck, den die drei CDs beim Hörer hinterlassen, also bringen wir seine Rezensionhier einleitend.

Der Komponist des „Ascanio“, Camille Saint-Saens/ Wiki

Im Anschluss kommt der Dirigent Giullaume Tourniaire selbst zu Wort, der viele Jahre an einer Realisierung dieser vergessenen Oper gearbeitet hat (man kannte nur eine Arie daraus, die Régine Crespin auf ihrem Decca-Album mit französischen Arien singt, dazu ein paar Schellack-Dokumente historischer französischer Sänger, als die Oper selbst noch in Frankreich gegeben wurde). Das große Werk nun mit so hervorragenden Interpreten aus Genf und vor allem unter der leidenschaftlichen Leitung von Guillaume Tourniare am Pult der Genfer Kräfte zu hören ist  für Freunde der französischen Oper ein Erlebnis der besonderen Art. G. H.

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Samuel Zinzli schreibt: Der Titel von Saint-Saëns‚ 1890 uraufgeführtem Ascanio könnte an eine Fortsetzung von Berlioz‘ Troyens denken lassen. Der Titelheld ist zwar tatsächlich auch in Berlioz‘ Œuvre zu finden, es handelt sich aber nicht um Aeneas‘ Sohn, sondern um den gleichnamigen historischen Schüler Benvenuto Cellinis, der ihm nicht nur in Rom (wie bei Berlioz) zur Hand geht, sondern ihn auch nach Frankreich begleitet. Einige Geschehnisse in Paris, die Cellini in seiner Autobiographie schilderte, inspirierten Dumas senior zu einem Roman, auf dem wiederum ein Theaterstück von Paul Meurice beruht, aus welchem Louis Gallet für Saint-Saëns das Libretto formte. Dass Ascanio im Titel figuriert, dürfte wohl darauf zurückgehen, dass direkte Konkurrenz mit Berlioz vermieden werden sollte – denn auch in Saint-Saëns‘ Oper ist Cellini die noch etwas zentralere Gestalt, und er beschließt die Oper auch mit seinem bitteren Fazit aus dem Geschehen.

„Ascanio“ von Saint-Saens/ zeitgenössische Illustration von Adrien-Marie Scozzaone/ Bibliotheque National de l´Opéra

Die Musik: Saint-Saëns‘ Musik ist überaus inspiriert und abwechslungsreich, anders als Samson et Dalila durchkomponiert. Wagners Einfluss ist da offensichtlich, denn Leitmotive spielen eine große Rolle und prägen einzelne Szenen oft stärker im Orchester als in der Gesangslinie, die über weite Strecken melodiös-expressives, Handlung und Stimmungen minutiös folgendes Rezitativ ist. Kleine Soli sind in großer Zahl eingelegt, eher Szenen und Monologe als Arien, kaum je in ABA-Form – was mich insgesamt musikdramaturgisch mehr an den Verismo etwa der sechs Jahre jüngeren Bohème erinnert als an Wagner. Manche Abschnitte sind stilistisch eine Art Neobarock avant la lettre – oder sogar eher Neorenaissance? Sagen wir: dans le style antique – alles, was innerhalb der Handlung auch tatsächlich Musik ist, die Ballettmusik etwa, Scozzones Lied nach einer echten Canzone aus dem 16. Jahrhundert oder Colombes A-cappella-Canzone (ausnahmsweise mit partieller Wiederholung des A-Teils), aber auch andere Momente wie das Auftrittssolo des Königs. Die polyphone, effektvolle Schreibweise der (insgesamt kurzen) Chorbeiträge verrät unschwer den Autor des Samson oder des Oratoriums Le Déluge; die Orchesterbehandlung vereint französische Delikatesse mit klanglicher Üppigkeit (ohne in die „orientalisierenden“ Extreme zu gehen wie im Bacchanal des Samson oder dem 5. Klavierkonzert). In Bacchus‘ Auftritt im Ballett hört man ikonographisch akkurat Tambourine und die Glöckchen des Thyrsosstabs und schon in der Ouvertüre das Hämmern  aus der Werkstatt Cellinis, was ebenso bewusste Hommage an Berlioz sein dürfte wie die fallende Eselsoktave (I-ah!), wenn d’Estourville und d’Orbec die Duchesse d’Étampes als ihre Schutzherrin beschwören. Auch die Ballettmusik (ein Panorama der griechischen Götterwelt) fällt musikalisch nicht ab, sondern setzt auf größtmögliche Kontraste und melodische Einfälle. Nur die Mythologie ist etwas seltsam, wenn man den Übertiteln trauen darf – Phoebus und Apollo sind ein und derselbe Gott, und die Hesperiden hüten mehr als einen goldenen Apfel in ihrem Garten, von denen aber keiner der Zankapfel beim Schönheitswettbewerb der Göttinnen war – und bedenkt man, dass dieser Wettbewerb dank dem Parisurteil den trojanischen Krieg ausgelöst hat, ist die Überreichung des Apfels an die Duchesse d’Étampes durch Amor ein beunruhigendes Omen… Saint-Saëns beweist mehrmals raffiniertes Geschick dafür, Personen mit ganz unterschiedlichen Gefühlszuständen in Duetten oder Ensembles musikalisch und im Ausdruck überzeugend zusammenzufügen – im Quartett zwischen den Verliebten Colombe und Ascanio und den sie belauschenden eifer- resp. rachsüchtigen Scozzone und Cellini zum Beispiel.

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Zum Inhalt: Und diese Musik geht einher mit einem qualitativ hochstehenden, spannenden Libretto, das keine simple Dreiecksgeschichte bietet, sondern (darin an Don Carlos gemahnend) mindestens sechs wichtige Figuren mit jeweils eigenen Agenden und Gefühlslagen zeigt, die sich verquicken und zu dramatischen Ereignissen führen: Benvenuto Cellini erfährt von der in ihn verliebten Scozzone, dass die Duchesse d’Étampes, die Maitresse François‘ I., ein Auge auf seinen Lieblingsschüler Ascanio geworfen hat – was gefährlich ist, weil der König mögliche Nebenbuhler kurzerhand beseitigen lässt. Cellini will Ascanio schützen und brüskiert zu diesem Zweck die verkleidet zu einem Rendez-vous erscheinende Duchesse, womit er sich deren Hass zuzieht. Einen weiteren Feind macht er sich im Prévôt der Stadt Paris, d’Estourville, als der König ihm dessen Stadtpalais Grand Nesle als Werkstatt fürs Gießen einer goldenen Jupiterstatue zuweist. Verkompliziert wird das zudem durch die Tochter d’Estourvilles, Colombe, in die sich sowohl Ascanio als auch Cellini verlieben.

„Ascanio“ von Saint-Saens/ Fondeur/ Figurine 1890/ Entwurf von Charles Bianchini/ Bibliotheque National de l´Opera

Als die Duchesse Cellini beim König anschwärzt und erwirkt, dass er zwar die Statue fertigstellen, aber dem Monarchen nicht mehr unter die Augen treten darf, schleicht der Bildhauer sich unter dem Schutz des auf Staatsbesuch weilenden spanischen Königs Karl V. in den Hof ein und erwirkt das königlich-französische Pardon, als er tollkühn verspricht, die Statue in drei Tagen zu gießen. Die Duchesse kontert, indem sie vom König die Erlaubnis erbittet, schon am nächsten Tag Colombe mit d’Estourvilles Protégé d’Orbec verheiraten zu dürfen.

Nun wird’s etwas kriminalistisch: Ascanio plant, Colombe in einem Reliquienschrein, der aus Cellinis Werkstatt an ein Nonnenkloster geliefert werden soll, dem Zugriff der Duchesse und d’Estourvilles zu entziehen. Pagolo, ein auf ihn neidischer anderer Cellinilehrling, bekommt davon zufällig Wind und rennt damit zur Duchesse und Scozzone. Die Drei vereinen ihre Rachegelüste: Die Duchesse wird das Reliquiar auf dem Weg ins Kloster abfangen und im Louvre aufstellen lassen, offiziell, um es dem König zu zeigen, tatsächlich, um Colombe darin ersticken zu lassen. Scozzone hinterbringt Cellini Ascanios Plan – so hofft sie den Bildhauer zurückzugewinnen. Die beiden belauschen das Liebespaar (in dem besagten Quartett). Von der tiefen Liebe der jungen Leute bewegt, verzichtet aber Cellini auf Colombe und bittet Scozzone um Verzeihung. Die wird nun von Gewissensbissen überwältigt und opfert sich im letzten Moment, indem sie an Colombes Stelle in das Reliquiar steigt, während Colombe den Schrein verkleidet zu den Nonnen begleitet. Im letzten Bild wird im Louvre die Jupiterstatue enthüllt, und als Belohnung fordert Cellini Colombe nun nicht mehr für sich selbst, sondern für Ascanio. Als die Braut erscheint, wird Scozzones Leichnam entdeckt, die Duchesse bricht zusammen, die Menge bejubelt den König, und Cellini nimmt verzweifelt Abschied von Scozzone, seinem Frohsinn und seiner Jugend.

Camille Saint-Saëns: „Ascanio“ – Guillaume Tourniaire, De La Haute École de Musique de Genève (2018) B Records LBM013

Und der Abend selbst: Das rein frankophone (!) Ensemble setzt sich aus renommierten Solistinnen und Solisten und ebenso handverlesenen Absolvent/-innen und Studierenden der Haute École de Musique de Genève zusammen. Bernard Richter ist perfekt für die Titelrolle. Sein heller, schmelzreicher lyrischer Tenor entspricht ganz dem jungen Künstler Ascanio; in den letzten Jahren hat die Stimme aber auch an Volumen und Metall gewonnen, was in manchen Momenten für diese Rolle auch von Nöten ist. Beglückt lauscht man auch der eleganten Phrasierung, klaren Diktion und intelligenten Textbehandlung. (Nebenbei vermerkt ist auch Saint-Saëns‘ Prosodie von einer Sorgfalt, die man nicht bei allen seinen frankophonen Kollegen findet – bis hin zu den bewahrten italienischen Wortakzenten in Eigennamen) Die Fähigkeit, Gesang und Text zu einer mühelos verständlichen Einheit zu verschmelzen, teilt Richter mit dem Cellini von Jean-François Lapointe. In den Konversationsszenen des Anfangs scheint der sich noch aufzuwärmen, klingt sogar noch etwas matt, aber wie er bald darauf in emphatischeren Kantilenen die Bögen spannt, nie um Atem verlegen, und in den Spitzentönen mit kernigem Klang immer noch etwas zulegen kann, so musikalisch wie präzise, ist höchst eindrücklich. Frappant der Kontrast: Lapointe bleibt in der konzertanten Situation ganz Sänger, ganz privat mit Lesebrille und die Gesangslinie mit den Händen modellierend – und bietet ein saftiges vokales Portrait Cellinis in all seiner ungebärdigen Vitalität. Aber auch Sensibilität. Einer der berückendsten Momente der Partitur ist Cellinis Entschluss zum Verzicht auf Colombe, nur mit leisem Pizzicato begleitet, was für die Koordination sehr schwierig sein muss – am 24.11. hatte da selbst Lapointe einen kleinen Hänger.

Karina Gauvin, die macchiavellistische Duchesse, ist ein Fall für sich. Mit fruchtigem und mächtigem Sopran gibt sie der Figur, einer Schwester im Geiste Abigailles und der Princesse de Bouillon, vom ersten Ton an Profil, kann den Sarkasmus der Figur verblüffend in den Gesang legen, wirft sich furcht- und schonungslos in die Partie. Immer wieder hört man aber, dass sie viel Barock singt: Wie in manchen „historischen“ Gesangsschulen üblich zieht sie leise (v.a. hohe) Töne nach hinten, was bei Saint-Saëns nun stilistisch meiner Meinung nach gar nicht passt – und prompt brechen ihr solche Hochtöne auch mehrfach weg. Wo sie mit voller Stimme und Rundung singt, passiert ihr das nie. Dennoch: Was für ein Rollenportrait, was für ein Biest, das man mit Vergnügen hasst und auf dessen ätzende, girrende und tobende Töne man sich schon im Voraus freut.

„Ascanio“: Illustrationen zur Oper von Gillot Charles/ BNO

Ève-Maud Hubeaux als Cellinis verhärmte, abgelegte Muse und Geliebte Scozzone ist sogar noch bei der Selbstopferung glaubwürdig. Stimmlich wurde ich (der Ordnung halber sei’s gesagt: im Unterschied zur Mehrheit des Publikums) mit ihr nicht so recht warm: Sie singt engagiert und akkurat, mit der notwendigen Attacke und Leichtigkeit (für die erwähnte Canzone); ihr sicher und wendig geführter Mezzo ist gradlinig, im Timbre eher gaumig (es rutschen auch gelegentlich Töne in den Hals) und besitzt eine für meinem Geschmack etwas säuerliche Schärfe, die den dramatischen Momenten zu Gute kommt – aber ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie meist an der oberen Grenze der für die momentane Stimmgröße möglichen Dramatik singt, keine Reserven übriglässt. Clémence Tilquin als liebenswürdige Colombe ließ einen leuchtenden lyrischen Sopran hören, samten in den ruhigen Momenten, intensiver ohne zu verhärten in den Ekstasen ihrer beiden Duette mit Ascanio – da bleibt kein Wunsch offen.

Jean Teitgen kann seinen ausnehmend schönen, dunklen Bass für François I. in Aggregats-Zuständen von Samt bis Marmor einsetzen und auch im hohen Register noch feine Töne produzieren. Mit raumgreifender Resonanz und natürlichem Fluss verbreitet er vokal wie szenisch Noblesse und erinnert nur hin und wieder mit einem schärferen Ton daran, dass der König auch eifersüchtig und gefährlich sein kann.

Nennen wir unter den jungen Solist/-innen aus der Region als ersten seinen königlich-spanischen Kollegen: Raphaël Hardmeyer kann als Charles-Quint mit ähnlich imposantem Volumen punkten; was für eine Begegnung auf ganz gleicher Augenhöhe noch fehlt, ist mehr Kern (und eine königlichere Stehhaltung, aber wir sind ja im Konzert) – aber die Süffisanz des Schlagabtauschs über Cellini servieren die beiden genüsslich. Joé Bertili als auf Ascanio neidischer Lehrling Pagolo besitzt ebenfalls einen sonoren Bassbariton, den er im oberen Register enger führt; auch er macht seine Figur lebendig und ist gut zu verstehen. Mohammed Haidar lässt als Mendiant (Bettler) einen angenehmen, im Moment noch nicht sehr kernigen Bariton hören, aber mit welcher expressiven Wärme segnet er Colombe und Ascanio… Maxence Billiemaz formt die undankbare Rolle des ungewollten Bräutigams d’Orbec stimmlich wie im szenischen Ausdruck markant; Olivia Doutney als Ursuline singt nur in einem großen Ensemble mit Chor im 5. Akt mit und entzieht sich daher der Beurteilung. Einzig Bastien Combe als d’Estourville ist seiner Partie sängerisch (noch) nicht gewachsen; er skizziert die Figur überzeugend, bei Linie und Intonation müssen aber Abstriche gemacht werden.

„Ascanio“: Jean-Louis Lasalle sang den ersten Cellini/ Jean Lassalle, en costume de Henry VIII, photo publiée dans Paris-Artiste, n°18, mai 1884. Photographe benque et Cie/ ipernity

Die Chöre des Grand Théâtre de Genève und der Haute École de Musique unter Alan Woodbridge sind trotz langer Pausen stets hellwach und vielfarbig bei der Sache. Das Orchester ist ebenfalls jenes der Haute École de Musique de Genève. Bedenkt man, dass es sich da nicht um einen über Jahre zusammengewachsenen und geformten Klangkörper handelt, der mit einer Partitur ohne Aufnahmen oder Aufführungstradition konfrontiert ist, kann man nur den Hut ziehen. Natürlich gibt es hie und da kleine Unsicherheiten und zaghafte Einstiege, aber ist das bei den „Großen“ denn wirklich immer anders? Ja, in einem kleinen Marsch in der 2. Szene erklingen im Blech wohl kühnere Harmonien, als Saint-Saëns sie sich vorgestellt hatte. Aber das wird mehr als aufgewogen mit der zu Recht gefeierten hochvirtuosen Flötensolistin in der Variation d’Amour des Balletts (Joidy Blanco). Saint-Saëns‘ Orchestration bietet jedem Instrument dankbare Passagen, und das Orchester dankt ihm das mit Hingabe und höchster Konzentration.

Dank gebührt da dem Grand Théâtre – eine solche Zusammenarbeit mit einer Musikhochschule ist nicht selbstverständlich, doch das Ergebnis spricht für sich. Und hat zudem den Effekt, dass der Altersdurchschnitt im Foyer massiv sinkt.

Am Pult steht Guillaume Tourniaire, der Spiritus rector des ganzen Projekts, der 10 Jahre darauf hingearbeitet hat, Ascanio endlich erklingen zu lassen, und dafür allein gebühren ihm schon höchstes Lob und Dank. Er betont die lyrischen Farben des Stücks, packt aber auch beherzt zu, wenn’s unzweifelhaft dramatisch wird. Die Liebe zu Saint-Saëns‘ Oper und die Energie und Begeisterung, die er dem Ensemble einflößt, sieht man ihm auch am Rücken an. Samuel Zinsli

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„Ascanio“: der Dirigent Guillaume Tourniaire/ Grand Opéra de Geneve

Zur Oper und der Entstehungs-Geschichte schreibt der Dirigent Guillaume Tourniaire:  „Es wird berichtet, dass Haydn, als er einmal Mozart eine seiner eigenen Kompositionen spielen hörte, gesagt haben soll: „Dieser junge Mann ist der größte Musiker, den ich kenne!“ Ja, und was würde er heute sagen …? Schhh! Ich habe überhaupt nichts gesagt … (Charles Gounod: „Ascanio von Saint-Saens“.)

Die Komposition von Ascanio begann am 17. November 1887 in Algier und wurde am 28. September 1888 in Paris vollendet. Was das Ballett anbelangt, wurde dieses 1889 in Saint-German-en-Laye geschrieben, dem Jahr der Weltausstellung, in dem die Oper uraufgeführt werden sollte. Nach verschiedenen Vorfällen fand die Premiere schließlich am 21. März 1890 an der Pariser Oper statt, aber in Abwesenheit von Saint-Saëns, der wegen eines schweren Nervenzusammenbruches infolge des Todes seiner Mutter die Proben verlassen musste. Bevor er abreiste, rief er den Komponisten Ernest Guiraud, den Librettisten Louis Gallet und seinen Verleger Auguste Durand zur Zusammenarbeit auf und gab ihnen zahlreiche Anweisungen für die bevorstehenden Proben und die ausdrückliche Anweisung, die Partitur nicht zu verändern. Bei seiner Rückkehr jedoch erwarteten ihn einige Überraschungen. „Als ich im Frühjahr 1890 nach Paris zurückkam (1), spielte man Ascanio nach wie vor und ich besuchte daher das Opernhaus. Trotz der Vorsichtsmaßnahmen, die ich getroffen hatte, bevor ich Paris verließ, bemerkte ich Veränderungen, die mir nicht gefielen, und ich musste Berichtigungen vornehmen.“ Er bedauerte auch die Änderung der Besetzung: „Die bedeutende Rolle von Scozzone war für Mademoiselle Richard bestimmt gewesen. Als sie die Oper verlassen hatte, nutzte das Management meine Abwesenheit aus, um sich die Kosten für die Anstellung einer weiteren Altistin zu sparen und gab die Rolle Mademoiselle Bosman, die ziemlich reizend war; aber diese Änderung verdarb die Rolle, entfernte ihren Charakter und beeinträchtigte die Gesamtstruktur der Arbeit.“

Auf diese Weise war die Rolle des eifersüchtigen Liebhabers, für den sich Saint-Saëns die tiefgründigen, verzaubernden und sinnlichen Farben vorgestellt hatte, in denen er Dalila bereits geschmückt hatte, von Ernest Guiraud für eine Sopranistin übernommen worden. Das ergab überhaupt keinen Sinn, da die drei weiblichen Hauptrollen nun in derselben Gesangslage sangen. Als er eine mögliche Reprise in Betracht zog, schrieb der Komponist 1893 an seinen Verleger: „Wenn die Zeit gekommen ist, sollten Sie wissen, dass ich es zur absoluten Bedingung mache, dass die Rolle von Scozzone von einer Altistin gesungen wird. Ich weiß, dass Gailhard dieses Bedürfnis nicht hat, und deshalb bestehe ich darauf. Es gibt niemals mehr die Zustimmung zu dieser Umsetzung, die der Arbeit als Ganzes enorm abträglich ist.“(2)

„Ascanio“: Emile Cossira sang den ersten Ascanio, hier als Pylade von Gluck Paris 1930/ ipernity

Zu Beginn der Proben wurde ein erstes vollständig handgeschriebenes Orchestermaterial angefertigt. Es entsprach in jeder Hinsicht dem Autographen, und zu dieser Zeit bestand die Oper aus fünf Akten und sieben Tableaus. Im Laufe der Arbeit und dann bei den Aufführungen wurde das Stück jedoch erheblich überarbeitet (wie alle Änderungen an den Noten in der Museumsbibliothek der Pariser Oper bezeugen).

Wenn all diese Dokumente genau studiert werden, kann man sogar sehen, dass die Partitur mehr als zwanzig Schritte durchlaufen musste! Einige davon wurden nach der letzten Generalprobe als Reaktion auf die als frostig geltende Rezeption des Publikums als dringlich beschlossen. So konnte man in La Revue d’Art Dramatique lesen: „Das Stück erschien zu lang: Wir haben zwei Bilder zu einem zusammengefügt; drei ziemlich schwachen Szenen, die im Louvre spielen, herausgeschnitten; ein Duett vom Louvre nach Fontainebleau verlegt, das nach Streichung der Antwort der Herzogin zu einem einfachen Madrigal wird, welches von der Königin gesungen wird; schließlich wurde das Ballett verkürzt … Zusammenfassend ist das Ergebnis, das wir erhalten haben, überaus zufriedenstellend, und das ist schön.“(3)

Der Komponist teilte diese Meinung mitnichten, und einige Jahre später, als er noch einmal das Thema einer möglichen Wiederaufnahme der Oper aufgriff, schrieb er an Jacques Rouché (6): „Ich muss den letzten Akt mit Ihnen besprechen. Ich hatte ursprünglich eine ziemlich bedeutungsvolle vokale und chorale Entwicklung eingebaut, die etwas an den letzten Akt von Fidelio erinnert, in dem jeder zu singen beginnt, wenn das Stück fertig ist. Auf diese Weise gewann der letzte Akt mehr Gewicht und Interesse. Monsieur Gailhard fand den Aufzug zu lang – ganz sicher war er es nicht –, und da ich abwesend war und mein Verleger daran gewöhnt, mich zu widerlegen, wurde der letzte Akt nach dem Geschmack von Monsieur Gailhard arrangiert. Das Arrangement war verabscheuungswürdig; bei meiner Rückkehr nach Paris beeilte ich mich, den Originaltext, von dem Monsieur Gailhard (4) nichts wissen wollte, nicht wiederherzustellen, sondern ein anderes Arrangement, das zumindest vorzeigbar war. Der Aufzug ist jedoch zu kurz und von zu geringem musikalischen Interesse. Es ist nicht weniger als die Auflösung des Stückes. Mir ist aufgefallen, dass der Originaltext bei Monsieur Durand vollständig erhalten ist. Ich werde es Ihnen vorstellen und zweifle nicht daran, dass Sie der Notwendigkeit zustimmen werden, es wiederherzustellen.“ (7) Dieser erstaunliche Bericht könnte nicht erleuchtender sein! Die Originalfassung (in fünf Akten und sieben Tableaus) war zwar beim Verleger erhalten, aber mit Ausnahme einer 1890 veröffentlichten Klavierstimme wurden weder die Partitur des Dirigenten noch die Orchesterstimmen veröffentlicht. Es war jedoch eine modifizierte Version mit „vorzeigbaren“ Anpassungen, aber „von nicht genügend musikalischem Interesse“ (in fünf Akten und sechs Tableaus), für die sich Durand für den Druck der ersten vollständigen Edition des Ascanio von 1893 entschied. (5)

„Ascanio“: Rosa Bosman war die erste Scozzone/ Rosa Bosman as Rafaela Patrie Paladilhe ROSA BOSMAN (Bruxelles, 29 décembre 1857 – 1930). Belguim Soprano/ ipernity

Eine erschöpfende Darstellung aller Kürzungen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber es ist wichtig, einige zu kommentieren, einschließlich des Schnittes an den Tableaus, die „verschmolzen“ wurden, wie im oben zitierten Artikel erwähnt. In der Originalfassung schließt der zweite Akt mit einer der dramatischsten Szenen des Werkes: dem Trio, in dem sich Ascanio und Colombe gegenseitig ihre Liebe erklären zum Trotze der Herzogin von Étampes, die sich vor Eifersucht für Rache entscheidet (Akt II, Tableau II, Szene IV). Diese außerordentlich leidenschaftliche Szene (Ascanio: „Möge meine verzückte Seele in dir bleiben …“) beschließt den Akt in einem Spannungsbogen, der die Wut der Herzogin auslöst, die entschlossen ist, Colombe loszuwerden („Vergeltung! Liefere diese Frau eines Tages meinem triumphierenden Zorn aus!“). Dennoch wurde beschlossen, sowohl dieses Trio als auch einen guten Teil des vorherigen Duetts (Akt II, Tableau II, Szene III) zu streichen, was Ascanio die Gelegenheit gegeben hatte, der Herzogin das von ihr in Auftrag gegebene Schmuckstück zu bringen. Auf diese Weise verlor die Partitur nicht nur einen ihrer intensivsten Momente, auch das Libretto wurde unverständlich. Saint-Saëns war ebenfalls über diesen Schnitt traurig und schrieb: „Es ist jedoch absolut notwendig, die Szene zwischen der Herzogin und Ascanio – für das Stück unentbehrlich und wegen nicht adäquater Leistungen gestrichen – wiederherzustellen.“ Aber das ist nicht alles … Da die eingesparten Takte dieses Duetts das Tableau II (das selbst zu kurz geworden war) keinesfalls schließen konnten, waren sie unmittelbar mit dem Beginn von Akt III verbunden. Die monumentale Ouvertüre, welche die Ankunft von Kaiser Karl V. und König Franz I. in den Gärten von Fontainebleau ankündigt, ließ nun den gesamten französischen Hof mit all seinem Pomp unverhofft in den Gemächern der Herzogin erscheinen!

In dem zuvor zitierten Brief sprach Saint-Saëns von „weniger als ausreichenden Aufführungen“. Die Nachrichtenkolumne L’Événement äußerte sich deutlich zu diesem „großen Trio, das in letzter Minute geschnitten wurde und das einen der schönsten Teile des Ascanio beinhaltete, der aber geopfert werden musste, um die Kraft einer der überaus müden weiblichen Darstellerinnen zu bewahren.“ Es gab jedoch kein Problem mit dem Sänger des Benvenuto Cellini. Im Gegenteil, Jean Lassalle triumphierte in der Rolle, die zweifellos eine der besten (und längsten!) im Repertoire der französischen Romantik darstellt. Obwohl Benvenuto in der dreistündigen Partitur von Anfang bis Ende singt, hat er nur eine einzige Arie in der Szene, in der er die Statue von Hebe formt (Akt II, Tableau I, Szene III). Diese Arie, deren außergewöhnlicher Geist die Faszination des Bildhauers widerspiegelt, der von der Schönheit seines Modells fasziniert ist, erfüllte Saint-Saëns mit glücklichen Erinnerungen. Er schrieb darüber: „Ich habe dieses Werk in Algier geschrieben; diese Stadt, in die ich so oft gegangen bin, um die Sonne zu suchen, die ich brauchte. Ich hatte damals eine gute Stimme und erinnere mich, wie sehr ich es genossen habe, die Arie von Benvenuto zu singen, als er die Statue von Hebe malte! Ich ging mit ganzem Herzen daran, mit der ganzen Kraft meiner Stimme, die nicht mit jener von Monsieur Journet (8) vergleichbar war, mit der ich aber zurechtkam, da mir keine andere zur Verfügung stand …“ Was Charles Gounod angeht, hat er diese Arie auch mit Lob überschüttet: „Dieses Stück ist bewundernswert. Die Beredsamkeit des Enthusiasmus, die Leidenschaft des Bildhauers, das strahlende Fieber, das ihn ergreift, wenn er seinem Ideal begegnet: all dies wird mit einer seltenen Schönheit von Form und Farbe gefühlt und wiedergegeben. Die Instrumentierung ist warm, abwechselnd zärtlich und kraftvoll, und der letzte Satz: ‚Verbrenne mich, Flamme des Genies!‘ krönt dieses meisterhafte Zwischenspiel herrlich.“ (9) Es ist jedoch verblüffend zu bemerken, dass wir genau in diesem Moment, als Benvenuto „Verbrenne mich …“ singt und Saint-Saëns‘ Musik das Göttliche erreicht, lesen: „Gehen Sie in der Oper zu Seite 174“, gedruckt in der von Durand veröffentlichten Orchesterpartitur (d. h. ans Ende der Arie!). Dieser Ausschnitt muss zumindest denjenigen „Monsieur de l’Orchestre“ (jemanden im Orchester) erfreut haben, der sich über diese Szene in Le Figaro lustig machte: „Lassalle, der sich übrigens nicht des Wissens um die Skulptur rühmt, arbeitet an einer bereits modellierten Figur, aber mit einer solchen Natürlichkeit, oder sollte ich Naturalismus sagen, dass die Illusion vollständig ist. Er arbeitet und antwortet Scozzone, während er seine mit Lehm bedeckten Hände wäscht. Das ist die ‚Stoff‘-Szene. So etwas haben wir noch nie in der Oper gesehen – gegenüber einem Bariton zu spielen, der seine Waschung macht.“

„Ascanio“, opera en cinq actes et six tableaux, poeme de L. Gallet, musique de C. Saint-Saens Dessin de Parys/ BNO

Die Kantilene, gesungen im zweiten Akt von Ascanio (Akt II, Tableau I, Szene I), spielte auch eine prominente Rolle in diesen Kürzungen, die, um es milde auszudrücken, ungereimt waren. Camille Bellaigue (10) schrieb zu diesem Thema Folgendes: „Oh, das entzückende Liebeslied, von Ascanio geseufzt, als er von Colombe träumte, die er gesehen hatte! Ja, Liebeslied; der Begriff mag lächerlich sein, aber die Sache, auf die er sich bezieht, ist es sicherlich nicht. ‚À l’ombre des noires tours, dans le jardin plein de roses!‘ (Im Schatten der dunklen Türme, im Garten voller Rosen). Es scheint, dass dieses Lied von himmlischer Emotion und fester Form, wie auch immer es definiert wurde, nicht verstanden wurde. Es wurde kritisiert (also, lassen Sie es uns wahrheitsgemäß als Pedant verteidigen, da es auf diese Weise angegriffen wurde), da es auf einer Terz endet. (11) Der expressive und musikalische Wert dieses Endes ist jedoch genau auf diese Unsicherheit zurückzuführen. ‚Là bas passent mes amours!‘ („Dort drüben geht meine Liebe!“). Das sind die letzten Worte des jungen Mannes. Da geht meine Geliebte – muss Ascanio sie nicht mit einem anhaltenden Blick beobachten, der sich verflüchtigt?“ (12) Diese Arie, die Gounod als „bezaubernde Träumerei“ beschrieb, scheint den „Pedanten“ missfallen zu haben, so dass sie später entfernt wurde, zusammen mit ihrer großartigen Streichereinleitung.

Saint-Saëns war fasziniert von Geschichte und antiker Kultur. Er bemühte sich immer darum, jeder seiner Opern eine bestimmte musikalische Farbe zu verleihen. Ascanios Handlung spielt 1539 am französischen Hofe und ist voller Referenzen, die den musikalischen Bereich der französischen Renaissance widerspiegeln. „Es ist nützlich zu wissen, dass die Ballettmusik teilweise aus dem 16. Jahrhundert stammt, zahlreiche Stücke aus dieser Zeit, die ich in der Nationalbibliothek fand, die eine Fülle sehr umfangreicher Dokumente dieses Typus darstellen und von höchstem Interesse sind.“ (13)

„Ascanio“ von Saint-Saens/ Fondeur/ Figurine 1890/ Entwurf von Charles Bianchini/ Bibliotheque National de l´Opera

Wie bei den zwölf Ballettstücken ist das musikalische Thema, das mit Franz I. verbunden ist, von dieser Epoche genährt, und jede Erscheinung des Königs wird durch ein Menuett von außerordentlicher Anmut angekündigt. Das Madrigal, das er an die Herzogin von Étampes singt, „Adieu, beauté, ma mie, ma vie!“ (Auf Wiedersehen, Schönheit, mein Schatz, mein Leben!) – Akt II, Tableau II, Szene I – ist ein Wunder der Höflichkeit, alles murmelt und streichelt. Während der König ihre bevorstehende Abreise beklagt und die untreue Herzogin Traurigkeit vortäuscht, erinnert das Orchester so an die Zartheit des Augenblickes, dass es zu schweben scheint, bis seltsame melodische Anklänge in den Flöten die Zweideutigkeit dieses Abschieds beschließen. Aber, wie L’Événement sich freute, „hatten sie Recht, das letzte Duettino zu streichen, das zu ungeschickt gesungen wurde“, und in dem Moment, als die Herzogin den König ansprechen sollte, „L’instant qui nous séoare“ (Der Augenblick, der uns trennt …), ging es in der Oper direkt weiter mit der nächsten Szene …

Wie König Franz, so werden in Ascanio alle Protagonisten mit musikalischen Themen in Verbindung gebracht, die im Stile der wagnerischen Leitmotive behandelt werden: „Alle meine Opern sind nach der gleichen Methode geschrieben, die weitgehend aus wagnerischen Techniken besteht, die sich leicht integrieren lassen in meiner Disposition, wobei ich in vielerlei Hinsicht meine Anschauung und vor allem meinen eigenen Stil, soweit möglich, beibehalten habe.“ (14) Zu den Motiven, die Scozzone zugehörig sind, gehört die fieberhafte Melodie in Des-Dur, die die Leidenschaft für Cellini charakterisiert. Das ist dieselbe Tonart wie für Dalilas Arie („Mon coeur s’ouvre à ta voix“) – mein Herz öffnet sich deiner Stimme – im zweiten Akt von Samson oder im langsamen Satz der Orgelsinfonie. Einige von Saint-Saëns‘ erhabenster Musik ist in dieser Farbe drapiert; eine Art tonales Leitmotiv der Inbrunst oder des Gebetes … Scozzones Motiv, das schon mehrfach in der Oper gehört wurde, eröffnet Akt V. Die Herzogin ist allein in ihren Gemächern, entsetzt über das Verbrechen, das sie gerade begangen hat. Sie glaubt, dass Colombe erstickt ist und tot im Reliquiar liegt. Sie freut sich in einer entsetzlichen Szene des Wahnsinns. Bevor sie ihren Monolog beginnt („Drei Tage! … Es ist alles vorbei!“), beschwört eine erschütternde orchestrale Ouvertüre den lauernden Geist von Scozzone, der heimlich Colombes Platz einnimmt, und entfaltet eine Variation ihres Motivs in seiner emblematischen Tonart … Gleichwohl wird die Ouvertüre in der Oper nach sieben Akkorden des Orchesters geschnitten und springt direkt in den Monolog …

„Ascanio“ von Saint-Saens/ Fondeur/ Figurine 1890/ Entwurf von Charles Bianchini/ Christian Richet

Unter anderen gestrichenen Seiten sollte auch die Eliminierung mehrerer Chorszenen erwähnt werden, deren Lebendigkeit der Partitur ein paar brillante Momente von Energie und Leichtigkeit verlieh. Der Verlust eines Teils des Streits zwischen Cellini und der Herzogin, „Genug! Welches Recht habt Ihr, mein Leben zu kontrollieren?“ (Akt I, Tableau II, Szene VIII), verwässerte die erste dramatische Szene in der Oper und ihr allgemeines Gleichgewicht wurde dadurch verdorben. Das Orgelsolo, welches das Ende des Gottesdienstes ankündigt, zwei Ballettstücke und mehrere stimmungsvolle Kontrabasstakte trugen ebenso die Hauptlast dieser Schnitte …

Während der Proben, wie René de Récy in der Chronique Musicale feststellte, „sagte jeder, dass das Stück in jeder Hinsicht strahlend, vibrierend und exquisit sei. Dieser Eindruck bestätigte sich bei der Lektüre des Werkes.“ Dann fügte er hinzu: „In der Generalprobe gab es auf der ganzen Linie eine Veränderung: wegen zwei überlanger Intervalle, ein paar überschüssigen sauren Noten von Madame Adiny und zwei oder drei Fehlern, mehr oder weniger durch den Dirigenten, wurde gesagt, dass alles verloren sei, das Stück untauglich oder die Musik bedeutungslos.“ In seiner Notice sur Ascanio schrieb Charles Malherbe, Fétis zitierend, (15) über diese Veränderung der Sichtweise: „Die Vielfalt der Meinungen über ein gespieltes Werk ist keine Negation ihres wahren Wertes. Der Wert wird auf verschiedene Weise beobachtet, aber immer mit Hilfe der Zeit, die einerseits rücksichtslosen Enthusiasmus beseitigt und andererseits zu schroffe und absolute Kritik entfernt.“ Hinsichtlich der „Verschmelzung“ des vierten Tableaus hat er bereits begonnen, die Relevanz der Kürzungen in Frage zu stellen. „Aus Gründen, die ohne Diskussion unbekannt sind, wurde dieses Tableau vor der Premiere der Oper geschnitten. Ein paar Minuten einzusparen ist ein mittelmäßiger Gewinn, der den Verlust einer doppelt wichtigen Szene nicht ausgleicht … Die thematische Analyse kann sich einer solchen Streichung nicht anpassen, und die Pflicht eines Kritikers besteht darin, trotzdem weiterzumachen, als wäre dies nur temporär.“

Für den Rest seines Lebens hat Saint-Saëns nicht aufgehört zu hoffen, dass diese Kürzungen nur vorübergehend sein würden! Doch obwohl er damit getröstet wurde, Ascanio in seiner ursprünglich beabsichtigten Besetzung mit einer Altstimme zu hören, war es immer die sechs Tableaus umfassende Version, die gespielt wurde, so in Toulouse (1897), Rouen (1898), Bordeau (1911) oder, während der letzten Reprise, in Paris (1921). Und für die einzige Aufführung, die jemals für das Ausland vorgesehen war, schrieb Saint-Saëns: „Das New Yorker Grand Metropolitan Theatre beauftragte das gesamte Ensemble, Ascanio zu spielen, aber gerade als dies ein Erfolg zu werden schien, brannte das Theater ab und Ascanio wurde niemals in Amerika gespielt.“ (16)

„Ascanio“: Probe mit Guillaume Tourniare/ Foto Grand Opéra de Geneve/ B-Records

Nach der frostigen Rezeption der Generalprobe wurde die Premiere ein Triumph, der mit sieben Zugaben gekrönt wurde! Le Gaulois teilte den allgemeinen Enthusiasmus: „Es gab ekstatischen Applaus … Der Vorhang wurde am Ende jedes Tableaus aufgezogen. Monsieur Lassalle, Madame Bosman und Monsieur Plançon wurden alle für Zugaben herausgerufen …“ L’Écho de Paris war amüsiert über den Erfolg: „Es ist nicht so, dass Saint-Saëns‘ Stil irgendwie an Offenbach oder Lecocq erinnert, aber die Zahl an Zugaben, die an der Nationalen Musikakademie so selten sind, haben Ähnlichkeiten mit den Uraufführungen von La Vie Parisienne und Le Petit Duc, die in dieser Hinsicht berühmt geworden sind.“ Die Chronique Musicale lobte die neue Partitur in den Himmel, darin möglicherweise das „emanzipatorische Werk“ erblickend, auf das die französische Oper gewartet habe. Allerdings war L’Événement nicht dieser Meinung: „Nicht einmal der Schatten einer Emotion in den fünf massiven Akten. Nicht einmal ein Schatten! …“, bevor ergänzend hinzugefügt wird: „Mehr noch, es muss betont werden: Kein Schatten von Wagnerismus.“ La Gaoulois bezweifelte die Meinung, dass es „den Leitmotiven an Originalität fehle“. La Gironde zeigte eine objektive Darstellung: „Man spürt, dass man auf einen Erfolg zusteuert trotz des Widerstandes einiger Zoiluses, die Monsieur Saint-Saëns niemals verzeihen werden, einer der größten Meister dieser Ära zu sein.“

Der kürzliche Erfolg der Orgelsinfonie (1886) hatte gerade noch einmal gezeigt, dass Saint-Saëns einer der Meister der französischen Schule war. Dennoch, nach dem Krieg von 1870 litten seine Opern in Frankreich weiterhin als Folge seiner Bewunderung für Wagner. So schrieb er 1891 Folgendes: „Ich wurde beschuldigt, wagnerianisch zu sein, so wie ich heute kritisiert werden, dass ich nicht wagnerianisch genug sei, und dies alles führt mich zu dem, was ich sagen wollte: dass ich es bedauere, wenn ich sehe, dass die Kritik nunmehr soweit gekommen ist, dass sie Richard Wagner alles zuschreibt, ähnlich wie christliche Polemiker alles der Doktrin zuschreiben; eine Methode, die so praktisch wie ungenau ist, indem sie Studium und Analyse durch eine vorgefertigte Bewertung ersetzt, die den Tod der Kritik bedeutet, wenn sie nicht vorsichtig ist.“(17)

„Ascanio“: Emma Eames sang die erste Colombe d´Estourville/ hier als Aida/Victrola Book of Opera

Saint-Saëns war auf dem Höhepunkt seiner Kunst (seine Sonate für Violine und Klavier op. 75 und Der Karneval der Tiere stammen ebenfalls aus dieser Zeit), mit Ascanio lieferte er sein ambitioniertestes Werk. Dieser „Strom der Musik“ an der Kreuzung der französischen Grand opéra, der komischen Oper, des wagnerianischen Einflusses und der italienischen Lyrik öffnete auch die Türen zum Impressionismus und Musiktheater. In der Abwesenheit des Komponisten wurden die Menschen durch die Ausmaße des Werkes, seine große Originalität, die stimmlichen Schwierigkeiten einiger Sänger und den Sarkasmus der Polemiker eingeschüchtert.  Wie bei einem Schmuckstück von Cellini ist die Partitur jedoch von tausend Diamanten besetzt, die niemals so sehr oder besser glänzen werden, als wenn sie alle an ihrem Platze sind. Welche Verfeinerung von Klangfarben und Harmonien gibt es im Streichquartett der Herzogin, die Ascanio zu verführen sucht: „Seht Ihr, ob es mir gut passt?“ (Akt I, Tableau I, Szene IV)! Alles ist Gnade im Segen des Bettlers: „Ich sehe einen Priester in diesem alten Mann“ (Akt I, Tableau II, Szene II)! Welcher Rausch kommt aus dem Tamburin in „Bacchus und die Bacchantinnen“ (Ballett Nr. 4)! Was für eine Verzauberung ist die Pavane, in der „Phoebus, Apollo und die neun Musen“ auftreten (Ballett Nr. 5)! Alles ist Emotion im Quartett des vierten Aktes „Beuge dich über, meine Lilie!“ (Akt IV, Szene IV)! Was für ein Rausch der Energie weht aus dem Werk des Bildhauers: „Ehre sei dem triumphierenden Jupiter!“ (Akt IV, Szene V)! Was für ein Wunder ist der Chor, der vom Himmel herabsteigt, um die Düsternis des Monologes der Herzogin zu zerstreuen: „In seiner anhaltenden Pracht …“ (Akt V, Szene II)!

Saint-Saens: „Ascanio“/ B Records LBM 013/ 3 CD

Als die Wiederaufnahme von Ascanio 1911 in Bordeaux stattfand, sah La France de Bordeaux et du Sud-Ouest die Kontroversen, die durch die Premiere ausgelöst worden waren, bereits relativiert: „Zu dieser Zeit war die Meyerbeer’sche Opernformel als einziger Typus von unseren Landsleuten akzeptiert, denen der Wagnerismus als radikal inkompatibel mit ihren Gewohnheiten und Melodien erschien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Saint-Saëns‘ Arbeit je nach der jeweiligen Schule, mit der die Kritiker verbunden waren, sehr unterschiedlich beurteilt wurde. Einige rügen den Komponisten, weil er die vokale Deklamation geopfert hatte, und andere beklagen die Tatsache, dass sie zu viele exzessive Zugeständnisse an traditionelle Methoden fanden. Außerdem hatte jeder in diesem Streit einen Punkt, der von einem Werk aufgewühlt wurde, das niemand mit solcher Leidenschaft diskutiert hätte, wenn es nicht durch seine unbestreitbare Eigenwilligkeit des Stils hervorgetreten wäre.“ Doch obwohl L’Éclair bereits 1890 begriffen hatte, wie ursprünglich die Partitur war: „Wir stellen ihn [Ascanio] weit über Étienne Marcel, Le Timbre d’argent und sogar Samson et Dalila, das soeben als bisher wichtigstes Werk des Meisters aufgeführt wurde“, waren die Kontroversen um Saint-Saëns weit davon entfernt, ausgestorben zu sein, als Ascanio zum letzten Male 1921 an der Oper aufgeführt wurde.  In einem polemischen Traktat, das am 7. Dezember 1921 von Le Temps veröffentlicht wurde, konnte man Folgendes lesen: „Im gesamten dramatischen Schaffen von Monsieur Saint-Saëns, in welchem allein Samson lebendig und gut ist – und dies ist der unbedeutendste Teil seines Werkes –, ist nichts toter als Ascanio.“ Mit einer grausamen Ironie sollte Ascanio an diesem Abend aus der Erinnerung verblassen und Saint-Saëns wenige Tage später [16. Dezember 1921] sterben, ohne jemals seine Oper in ihrer Originalfassung gehört zu haben.

Es war, weil wir, genau wie Yves Gérard, „von der außergewöhnlichen Bedeutung der Partitur überzeugt waren, nicht nur als Teil von Saint-Saëns‘ lyrischem Werk, sondern auch als sinnbildliches Werk in der französischen dramatischen Kunst“, dass wir davon träumten, Ascanio wiederzubeleben. Wir haben die Neugier der Haute École de Musique und des Grand Théâtre de Genève geweckt und, nachdem wir ihre Unterstützung erhalten hatten, die fehlenden Passagen aus der Ausgabe von 1893 wiederhergestellt. So wurde Ascanio schließlich Realität und feierte am 24. November 2017 seine Uraufführung in der vollständigen Originalversion, die dem Autographen von Saint-Saëns entspricht.

Guillaume Tourniaire schreibt zudem: Wir möchten uns herzlich bedanken bei Messrs Luc Bourrousse, Rémy Campos, Quentin Gailhac und Aurélien Poidevin sowie bei den Mitgliedern und Freunden der Association Ascanio für ihre unschätzbare Hilfe. Die erwähnten Briefe und Texte von Saint-Saëns wurden in Büchern von Marie-Gabrielle Soret veröffentlicht, die den Schriften und der Korrespondenz des Komponisten gewidmet sind.

Matériel complémentaire réalisé par Guillaume Tourniaire pour reconstituer la version intégrale originale de 1888 en 5 Actes et 7 Tableaux, conforme au manuscrit autographe de Saint-Saëns

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(Abbildung oben: Zu „Ascanio“,/Dessin de Parys/ Iluustration zur Uraufführung/ Ausschnitt/ BNF. Wir bedanken uns bei Guillaume Tourniare für die Genehmigung zur Übernahme seines Artikels aus der Beilage zur neuen Aufnahme bei B-Records. Übersetzung Daniel Hauser.)

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Anmerkungen: 1. Ascanio was performed thirty-three times at the Paris Opera in 1890, three times in 1891, and six in 1921 before definitively disappearing from the billboard./ 2. Quelques Souvenirs de M. C. Saint-Saëns sur Ascanio. Text published in Excelsior, 1921./ 3. Letter to Gabriel Bender, published in Le Guide du concert, 1921./ 4. Pedro Gailhard (1848-1918): opera singer (bass), Director of the Paris Opera from 1884 to 1891and from 1893 to 1907. He staged Ascanio’s premiere performance./ 5. Letter to Auguste Durand, Algiers, 1893./ 6. Jacques Rouché (1862-1957): Patron and Director of the Paris Opera from 1914 to 1945./ 7. Letter to Jacques Rouché, 1918./ 8. Marcel Journet (1868-1933) played the role of Benvenuto in 1921 at the Opera./ 9. Charles Gounod – Ascanio de Saint-Saëns -1890./ 10. Camille Bellaigue (1858-1930) Musicologist and music critic./ 11. “Ascanio’s love song has grace and sensitivity but it/ ends on a third, in the middle of an unfinished phrase/ and the effect is lost.” Le Figaro, 1890./ 12. Ascanio de M. Saint-Saëns à l’Opéra – Camille Bellaigue – La Revue des Deux-Mondes, 1890./ 13. A systematic analysis of these driving motifs was carried out by musicologist Charles Malherbe (1835-1911) – Notice sur Ascanio 1890./14. Text published in La Tribune de Genève, 1892. 15. François-Joseph Fétis (1784-1871): composer and music critic, founder of La Revue Musicale./ 16. Avant la Reprise d’Ascanio, text published in Le Monde Illustré, 1921./ 17. Excerpt of a letter received on the 29th of November,/ 2017, from musicologist Yves Gérard.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Gertrude Grob-Prandl

 

Am 16. April 1995 verstarb Gertrude Grob­-Prandl, 1917 in Wien  geboren und trotz der nicht immer erwiderten Gegenliebe der Wiener Institutionen eine erz-österreichische Person. Mit ihr ging ein Zeitalter zu Ende, in dem die voluminösen, kraftvollen und vor allem schönen Stimmen wesentlich häufiger waren als heute. Anders als die von Birgit Nilsson war ihre riesige Stimme menschlich, warm und leuchtend. Menschlich vor allem.

Gertrude Grob, in erster Ehe verheiratete Prandl, in zweiter Ehe King, lebte die letzten Jahre ihres Lebens zurückgezogen  bei Wien – eine Frau von starkem Willen und liebenswert-starken Grundsätzen. Ihre nur im diskreten Gegenüber (Thomas Voigt) geäußerten Kommentare über  Sänger trafen stets den Punkt und zeugten von ihren hohen Maßstäben ebenso wie von ihrem Witz. Und ihre lsolde, Turandot, Bethoven-Leonore und vor allem auch Brünnhilde gehören zu den Ausnahmedokumenten der Gesangsgeschichte ihres Jahrhunderts. Leuchtkraft, wortdeutlichste Deklamation und tief-menschliche Gestaltung zeichnen diese Figuren aus.

Gertrude Grob-Prandl als Isolde mit Victor de Sabata in Mailand/ Foto wie oben Piccagliani/ Isoldes Liebestod

So unauffällig sie als Privatperson blieb, so verlief auch ihre Karriere, ohne Skandale und lange im Schatten anderer, namentlich der Konetzni-Schwestern in Wien, wo sie 1944 an der Staatsoper kurz vor der kriegsbedingten Schließung mit der Elsa debütiert hatte. Im März 1945 wurde das Haus zerstört. Es ist bezeichnend, dass sie zur Wiedereröffnung 1955 nicht die Fidelio-Leonore sang (das war Martha Mödl, aber ironischerweise sang die Grob die Partie kurz nach der Eröffnung der Berliner Staatsoper wenig später). Immer waren in Wien andere vor ihr. Dennoch ging ihre Laufbahn steil bergan, von steter Qualität getragen, namentlich an der Volksoper, nachdem sie bei den legendären Lehrern Paier und Singer-Burian (einer Schülerin der Ponselle) studiert hatte. Die Marschallin, die 1944 der Elsa folgen  sollte, fiel zum Bedauern der Grob dem Bombenalarm zum Opfer – ein Jammer, wie sie stets betonte, denn vor dem Krieg waren diese Partien Domänen der Hochdramatischen. Auch die Rosalinde gehörte dazu, die sie gerne gesungen hätte. 1949 gab sie ihre erste Walküre unter Krauss, sie „überlebte“ Dirigentenwechsel und Intendanten, sang neben Senta und Ariadne die Walküre unter Böhm in Buenos Aires und kam überhaupt viel herum.

Sie wurde im Ausland wesentlich glanzvoller aufgenommen als zu Hause: in Italien als Turandot, Ballo-Amelia, bei der RAI mit einem fulminanten Konzert als Rezia u. a. (ihre Arie der Isabella/ Robert der Teufel gehört auf dem Recital in Deutsch zu meinen absoluten Immortellen gleich neben Anita Cerquettis Auszug aus Agnese di Hohenstaufen); vor allem aber an der Scala – nach  ihrem Einstand 1951 in Neapel – als lsolde unter Victor de Sabata mit Max Lorenz. Wer die hohe Kunst der Grob-Prandl kennenlernen möchte, muss sich den Mitschnitt anhören, auf dem die Stimme gleichermaßen strömt wie auch mühelos die langen, leuchtenden Phrasen singt. Es gibt keine klangschönere, wortdeutlichere und präsentere lsolde auf Dokumenten für mich, weder Traubel noch Flagstad noch Nilsson. Neben Reisen nach Nordamerika, nach Brüssel, Dortmund (!) und Berlin (!) kam es bemerkenswerterweise nicht zu Auftritten in Bayreuth, wo die Kolleginnen Varnay und Mödl fest installiert waren. Dafür sang sie die Turandot auf Englisch (!) 1951 unter John Barbirolli in London und die Ortrud in Italienisch in Reggio Emilia.

Gertrude Grob-Prandl mit Ludwig Suthaus in der „Götterdämmerung“  Mailand / Foto Piccagliani / Isoldes Liebestod

Die Beziehung zur Wiener Staatsoper war in den letzten Jahren stets gespannt gewesen. 1972 gab sie nach mehr als 28 Jahren Zugehörigkeit zum Haus ihren Vertrag zurück. Sie hatte genug von den Anfeindungen, der Claque, der Ungezogenheit der Presse, die sich auch gegen ihre voluminöse Körperfülle richtete. Dass man sie ein „Buffet auf Rädern“ nannte, war wohl auch gemeiner Weise in einer Wiener Tageszeitung zu lesen. Von Montserrat Caballé oder Jane Eaglen hat man das nie gesagt. Die Akzeptanz hat sich eben geändert. Es ist bezeichnend für ihren Charakter, dass sie nicht um ihre Rollen kämpfte – sie hatte einfach genug. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land, wie sich an dieser wunderbaren, großen und leuchtenden Ausnahmestimme zeigt

Hoffentlich kommt irgendwann die von ihr selbst zurückgehaltene Elektra-Inhouse-Aufnahme aus Graz auf den Markt, die nur bei Sammlern kursiert! Eine weitere aus Wien leidet unter schlechtem Sound. Das RAI-Konzert (Cetra), die Turandot (aus dem Fenice bei ehemals Remington und eine aus Wien live inoffziell) nebst Wiener Radio-Recital (bei Myto), der Wiener Ring (nur Siegfried und Götterdämmerung als Ersatz für Helena Braun/Myto u. a.), der Tristan aus der Scala (Nuova Era etc.), die Venus/Tannhäuser unter Karajan (RCA), den bizarren Idomeneo und Don Giovanni (Haydn-Society bzw. Vox/ MMS) sowie die Erste Dame/Zauberflöte (Music & Arts et. al.) gab es kommerziell – heute abervweitgehend nicht mehr greifbar. Dazu kommen vielleicht noch weitere – man kann nicht alles wissen. Es wird Zeit – auch für Wien! – , diese bedeutende Sängerin offiziell mit einer Box ihrer Aufnahmen zu ehren und ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. S. L.