Niemand weiß, wie flink die Himmelpost und ob der leidenschaftliche Brief von Simone Kermes bereits beim Adressaten Giorgio Federico alias Georg Friedrich alias George Frideric Händel oder auch Handel angekommen ist, ob dieser bereits der darin angekündigten Umarmung entgegenfiebert oder -bangt, ob er ihr vielleicht schon beim Schreiben über die Schulter geguckt hat und zustimmend lächeln oder wütend aufbrausen musste, wenn sie ihre Stimme mit der seiner Sängerin Francesca Cuzzoni verglich. So ungewiss die Reaktion des seligen (Mio caro) Händel auf Brief und CD von Simone Kermes sein kann, so sicher ist, dass auch deren letzte Aufnahme, wie schon einmal ausschließlich mit Arien des Hallensers, die irdische Hörerschaft in zwei Lager spalten wird, das der bedingungslos Jubelnden und das der kritisch sich Distanzierenden.
Auch wer immer wieder bereit ist, sich aufs Neue auf der Kunst der Leipziger Sopranistin einzulassen, wird auf der neuen CD die gleichen Mängel entdecken müssen, die bereits auf vorausgegangenen zu beanstanden waren. Mit wütendem Enthusiasmus stürzt sich die Sängerin mit jeder neuen Arie in die Extreme, besonders was die Tempi angeht und erweckt den Eindruck, dass dies nicht aus dem jeweiligen Werk selbst erwächst, sondern der Suche nach dem Effekt um des Effekts willen geschuldet ist. Dass dabei eine korrekte Intonation, eine gut gestützte Mittellage, raffinierte Variationen, eine feine messa di voce auf der Strecke bleiben müssen, auf Schleppen und Anschleifen der Töne nicht verzichtet werden kann, ist kaum verwunderlich, kommen doch beinahe alle die musikalisch so unterschiedlich angelegten Damen (und auch Herren) daher wie furie terribili. Dabei liegt der Stimme das Zarte, Sanfte viel eher, klingt allerdings sehr schnell affektiert wie die Cleopatra, deren Pianogespinste reizvoll sein können, oft aber auch affektiert wirken, wenn die Attitüde Substanz vortäuschen will. Die Presto-Teile werden prestissimo gesungen, klingen dann manchmal sehr verhuscht, gleichen eher einem Raunen als dem Singen mit der Vollstimme. Auch für die Arie des Angelo aus La Resurrezione wünscht man sich mehr vokalen Nachdruck.
Es gibt kaum eine Arie, an deren Ausführung nicht etwas auszusetzen wäre, sei es bei der der Melissa und bei Ombra mai fu das Naiv-Manierierte, bei ebenfalls Melissa und bei Medea das extreme Ausreizen der Kontraste um des Effekts willen, der Verzicht auf Schattierungen, wie sie der Rodelinda eigentlich gut anstehen würden. Mehr corpo und Wärme als bei den meisten anderen Tracks verspürt man in den beiden Arien aus Athalia und Saul, und zu Adelaides „Scherza in mar“ passt, dazu noch mit einer schönen Kadenz versehen, das „Kindliche“ der Stimme am besten, weniger zu „Süße Stille“, wo es gespreizt und unnatürlich wirkt.
Begleitet wird Simone Kermes von den von ihr gegründeten Amici Veneziani, Die CD wird es in die Klassik-Charts schaffen, denn es gibt genügend Anhänger einer Kunst, die dem Effekt um seiner selbst willen huldigt (Sony 19075861772). Ingrid Wanja