La Doriclea ist kein verbreiteter Opernstoff. Francesco Cavalli komponierte eine Doriclea für Venedig (1645, Libretto von Giovanni Faustini), ebenso Pietro Andrea Ziani (1666) und Giovanni Porta (1729). Und auch Vivaldi nahm sich des Stoffes an (1716 in Venedig und 1732 in Prag). Alessandro Stradella schuf seine Doriclea in den 1670ern in Rom, wahrscheinlich für eine Privataufführung, einfach strukturiert, sängerisch nicht hochvirtuos, ohne aufwändige Szenenwechsel und ohne Regie-Hinweise. Das Beiheft bezeichnet diese Oper als Komödie in der spanischen Mantel-und-Degen Tradition, bei der es sich um galante Abenteuer und amouröse Verstrickungen des niederen Adels handelt, die ohne historische Kostüme in der Zeit spielten, zu denen sie aufgeführt wurden. Es geht um drei Paare, zwei aus gehobenen Umfeld – Doriclea und Fidalbo, Lucinda und Celindo – sowie ein Paar aus dem Volk: Delfina und Giraldo. Diese Paare durchleben Höhen und Tiefen, man schmiedet Heiratspläne und ist eifersüchtig, es gibt Verkleidungen, Verwechslungen, Verdacht und Versöhnung.
1938 wurde die Partitur wiederentdeckt, geriet in Vergessenheit und wurde erneut den Archiven entrissen. Die Ersteinspielung legte Estévan Vehardi mit dem Alessandro Stradella Consort 2017 bei Concerto Classics auf 4 CD vor, Rosita Frisani sang die Titelrolle. Die vorliegende Neuaufnahme vom September 2017 ist die fünfte Einspielung und erste Opernaufnahme der Stradella-Reihe des Labels Arcana. Sie erscheint auf drei CDs, durch schnelle Szenenwechsel enthalten diese 122 Track-Nummern – eine Handlungsfolge, der man beim Anhören nur konzentriert folgen kann. Jeder der drei Akte besteht aus durchschnittlich ca. 15 Arien und sechs Duetten sowie zahlreichen Rezitativen, statt einer musikalischen Einleitung beginnt diese Oper sogar mit einem Rezitativ. Man hat es in dieser Hinsicht mit einem Deklamationsmarathon zu tun, beim handlungsfolgenden Zuhören lässt sich eine gewisse Ermüdung nicht immer vermeiden.
Wer es hingegen versteht, nur zuzuhören und sich nicht um die Details des Librettos bemüht, der kann hier eine hochengagierte, lebendige, fast übermütige Interpretation verfolgen, in der sechs Sänger individuell timbriert lieben und klagen, besonders auf Ausdruck und Eloquenz geachtet wird und auch mal im Sinne der Komik übertrieben werden kann. Die ungarische Sopranistin Emőke Baráth ist in der Titelrolle eine starke Persönlichkeit und überzeugt erneut durch Fundament und Flexibilität, Countertenor Xavier Sabata singt den Fidalbo mit typisch gefühlvoller weicher Stimme. Als Lucinda hört man den warmen Mezzosopran der attraktiven Giuseppina Bridelli, Tenor Luca Cervoni als Celindo komplettiert stimmig die jungen Liebenden. Contralto Gabriella Martellacci singt als Delfina mit samtig-tiefer Stimme, zusammen mit Bariton Riccardo Novaro als Giraldo kommentieren sie teils bitter teils witzig das Geschehen. Andrea De Carlo dirigiert ein entsprechend klein besetztes Il Pomo d’Oro, neun Musiker (Streicher und Continuo) musizieren gut gelaunt und klingen nie dünn oder nebensächlich. Stradellas Oper ist melodiös und anschaulich, wer bspw. Cavalli schätzt, wird hier viel Schönes und Lohnenswertes entdecken können. Libretto und Beiheft sind in Italienisch, Englisch und Französisch verfügbar, am deutschen Markt scheint man bei Arcana kein primäres Interesse zu haben. (3 CDs, Arcana, A454) Marcus Budwitius