Filigrane Durchsichtigkeit

 

Die renommierte katalanische Barock-Interpretin Núria Rial zählt erklärermaßen Luigi Boccherinis Stabat Mater zu ihren favorisierten Kompositionen. Umso erfreuter war sie, im April des vergangenen Jahres die Gelegenheit zu bekommen, das 1781 geschriebene Werk für Coviello CLASSICS aufnehmen zu können (COV 91813). Mit dem orchester le phénix hat sie ein kompetentes Ensemble zur Seite, das mit delikatem Spiel von filigraner Durchsichtigkeit aufwartet.

Boccherini, gefeierter Cellist und Komponist, verbrachte den größten Teil seines Lebens am königlichen Hof von Madrid. Schwerpunkt seines Schaffens war die Kammermusik, doch dehnte er das Spektrum bis zur geistlichen Vokalmusik und Sinfonik aus. Das Stabat Mater setzte er zunächst für Sopran und ein Streichquartett mit zusätzlicher Bassstimme, ca. zwanzig Jahre später arrangierte er es für drei Singstimmen und ein größeres Streichorchester. Für die  vorliegende Aufnahme wählten die Produzenten einen Mittelweg mit  nur einer Solistin und mehrfach besetzten Streichern.

Das Werk ist in elf Teile gegliedert und bietet eine Fülle an Melodien und eine reiche Farbpalette. Trotz der schmerzlichen Trauer dominiert die hoffnungsvolle Nächstenliebe. Mit ihrem noblen, klaren Sopran ist Núria Rial dafür eine ideale Interpretin. Von getragenem Ernst erfüllt ist der Eingangssatz „Stabat mater dolorosa“, den die Sängerin mit  dem Ausdruck von Traurigkeit und Leid wiedergibt. Im „ Quae moerebat“ gewinnt die Stimme an Leuchtkraft und Jubel. Koloraturen geben „Pro peccatis“ einen fast opernhaften Anstrich – Rial meistert sie makellos. „Eja mater“ ist ein Stück, in welchem die kristallklare Stimme der Sängerin und ihr beseelter Ausdruck zu schönster Wirkung kommen. Inbrünstige Sehnsucht, die Leiden mit Christi zu teilen, bestimmen die nächsten Teile. Die Stimme schwingt sich hier oft in exponierte Höhen auf, doch nie lässt die Sopranistin schrille Töne hören. Stets bleibt die Stimme leuchtend und gerundet. Der letzte Satz, „Quando corpus“, endet nach introvertiertem Beginn mit fahlen Akkorden der Streicher ganz verhalten – kein jubelndes, sondern ein nachdenkliches, fragendes „Amen“ ist da zu vernehmen.

 

Das Programm der CD wird ergänzt durch die Sinfonia in D-Dur – ein Frühwerk des Komponisten von 1767 in vier kurzen Sätzen. Es zählt zu den ersten Versuchen Boccherinis, sich mit der größeren Form auseinanderzusetzen. Sein Charakter wird geprägt von eingängigen Melodien und ist dem frühklassischen neapolitanischen Stil verpflichtet. Dem bewegten, stürmischen Allegro folgt ein delikates Andante. Der dritte Satz ist unterteilt in Menuetto primo und Trio – ersteres scheint mit seinen Hörnern ein munteres Jagdsignal zu sein. Das abschließende Presto ist das kürzeste Stück – ein Wirbel, in welchem noch einmal die Hörner brillant auftrumpfen. Mit feinsinnigem Musizieren erweist sich das orchester le phénix nochmals als stilistisch versierter Klangkörper. Bernd Hoppe