Aus Moskauer Schatztruhen

 

Bereits nach wenigen Minuten des Hörens bemerkt man, dass man es mit der konzertanten Aufführung von Tschaikowskis Pique Dame am 25. Dezember 1989 aus Moskau nicht mit einer 08/15-Aufführung zu tun hat, sondern mit einem mitreißenden, außergewöhnlichen Abend, der von Anfang bis Ende in seinen Bann zieht. Zwei Namen sind auf der Kassette mit den drei CDs und dem äußerst mageren Booklet fett gedruckt, der von Bariton Dmitri Hvorostovsky und der von Mezzosopran Irina Arkhipova, doch sie sind nicht die Einzigen, die diesem Abend in Moskau das Besondere verleihen. Bereits die ersten Klänge von Orchester und Chor sind von einer ganz besonderen Eindringlichkeit, und es ist kein Wunder, dass der Dirigent Vladimir Fedoseyev  einer der bekanntesten Pique Dame-Dirigenten wurde. Er peitscht das Moskauer Radio Sinfonie Orchester in der Großen Halle des Moskauer Konservatoriums durch die wilden Seelenlandschaften, lässt kontrastreich eine Orchesterleistung von großer atmosphärischer Dichte entstehen, sicherlich nicht zimperlich, aber doch fein gespenstisch zu Beginn des dritten Akts oder ausgewogen zwischen wilder Ausgelassenheit und intimen Momenten im letzten Bild. Man hört einen ganz besonders frischen Kinderchor und auch die Yurlov Republikanische Akademische Chor Capella (Was für ein Name!) ist auf der Höhe des Ereignisses.

Für Dmitri Hvorostvsky war es sein Moskauer Debüt, der Yeletsky war eine der Partien, die am Anfang seiner Karriere seinen Erfolg begründeten, und das Publikum honoriert mit dem enthusiastischsten Beifall des Abends seine Liebeserklärung an Lisa, seinen weich klingenden, farbigen, äußerst geschmeidigen Bariton mit toller Höhe, agogikreichem Singen und einem sensationellen Schwellton auf der Fermate am Schluss. Trotz überschrittener 60 ist Irina Arkhipova keine alternde Sängerin am Ende ihrer Karriere  als Gräfin, aus deren Couplet eine unendliche Trauer um ein aus den Händen gleitendes Leben zu hören ist, der man den Schreckherztod nicht abnimmt, so präsent ist die Stimme, die aber auch mit fahlem Mezzo als Geist überzeugend sein kann.  Eine Schicksalsrolle sollte für den 89 noch recht jungen Tenor Vitaly Tarashchenko der Herman werden, dem man schon in der ersten Szene die Gefährdung anhört, nicht wegen einer etwa schwächlichen Stimme, sondern wegen einer intensiven Gestaltung, die bereits im ersten Arioso eine sehr gute Mittellage offenbart, der sich vom zarten Piano ins Leidenschaftliche zu steigern weiß, einen schwärmerischen Ton im Duett mit Lisa annehmen kann und der mit der kurzen Arie im letzten Bild trotz leicht gequetschter Höhe das Publikum wahrnehmbar bewegt. Natalia Datsko singt die Lisa mit klarem, stämmigem Sopran, farbiger Mittellage und einem melancholischen Timbre, der dem Arioso im letzten Akt einen Hauch unendlicher Wehmut verleiht. Leider neigt die Stimme in der angestrengten Höhe zur Schärfe. Einen bärbeißig-süffisanten Tomsky gibt Grigory Gritsyuk, mit Ironie in der kraftvollen Stimme und in seinen beiden Bravourstücken alle Register einer grandiosen Stimmbeherrschung ziehend. Abgrundtief schwarz ist der Bass von Alexander Vedernikov für den Surin, sattes, vollmundiges Material hat der Mezzosopran Nina Romanova für die Polina. Sollte Melodija noch mehr solcher Schätze besitzen, dann rufen sie nach Veröffentlichung (3 CD Melodya MEL CD 10 02549). Ingrid Wanja