Gertrude Lawrence

 

Es häufen sich bei operalounge.de die Rezensionen auf dem Gebiet des Leichteren Genres, und angesichts des ausklingenden Jahres 2018 gönnen wir uns deshalb einen weiteren Ausflug in die Gefilde der Operette und des Musicals mit einem Artikel über die große Gertrude Lawrence, für ihre damaligen Zeitgenossen unvergleichlicher Star im anglo-amerikanischen Raum, gefeierte Diva des Broadway und des amerikanischen Films, aber auch der Londoner und Pariser Musik-Szene. Und der Plattenindustrie, bei der bis heute immer wieder ihre Schellack-Aufnahmen verlegt werden.

„The King and I“/ RCA-LP-Cover mit Aufnahmen der originalen Broadway-Besetzung 1951 mit Yul Brunner und Gertrude Lawrence/ opera.blobcrib.com

Gertrude Lawrence: Wie beschreibt man etwas, was fast ausschließlich nur als ein Eindruck im Gedächtnis geblieben ist? Wie Fritzi Massary, die Mistinguette oder Yvonne Printemps war Gertrude Lawrence die Vertreterin eines Darstellertyps, der für eine ganz bestimmte Zeit und damit für einen ganz bestimmten Geschmack stand. Hört man ihre Tondokumente heute, erreicht einen ihre ganz unverwechselbare leichte (Kinder-)Stimme der begrenzten Lage, ihre ebenso unverwechselbare Aussprache und eben ihr Wesen. Unverwechselbar wie die Massary  serviert sie mal die wunderbaren Salondialoge eines Noel Coward, mal die hintergründig-anzüglichen Songs von Porters Nymph Errant, mal die bei jeder anderen schwachsinnig wirkenden Repliken von Addinsels Moonlight is Silver, wo sie Douglas Fairbanks jr. männlich unterstützt.

Gertrude Lawrence ist die Inkarnation des glamourösen Revuestars der Zwanziger und Dreißiger, und ähnlich wie Kurt Weill als Komponist schaffte sie die erfolgreiche Verbindung beider Welten, der Alten und der Neuen. In beiden war sie gleichermaßen ein Star. Selbst in dem fragwürdigen Film über sie (A Star is born), in dem Julie Andrews sehr eindimensional und eben nicht charismatisch die Rolle der Lawrence spielt, spürt man einen Hauch von dieser Zeit, aber eben nur einen Hauch, denn – wie man an den Neuauflagen der Dreißiger-Musicals meistens merkt – eine Zeit, eine Epoche ist mit dem letzten Krieg zu Ende gegangen, die man nicht wieder auferstehen lassen kann. Es ist deshalb bezeichnend – und  auch das gehört mit zu einem Porträt eines solchen Mythos‘ wie der Lawrence – dass Filme wie A foreign Affair oder Stage fright nach Kriegsende möglich sind, wo die einstigen Idole (Marlene Dietrich als Inkarnation der femme fatale) nun zu Karikaturen oder hinfälligen, auch lächerlichen Geschöpfen werden und einer blassen, zutiefst spießigen Person wie Jane Wyman oder Jean Arthur weichen müssen. Die Sünde war domestiziert, die Wertvorschriften standen auf Vaterland und heile Welt am heimischen Herd, nicht mehr auf riskante Nachtausflüge und schöne Frauen in zweifelhaften Situationen.

Noel Coward und Gertrude Lawrence in „Tonight at 8.30″/ das berühmte EMI-Publicity-Foto für die Aufnahmen aus dem Stück/ OBA

Gertrude Lawrence wurde als Gertrud Alexandra Dagmar Klasen am 4. 7. 1898 im Londoner Arme-Leute-Bezirk Clapham geboren. Ihr Vater Arthur stammte aus dem damals dänischen Schleswig-Holstein, ihre Mutter Alice kam aus solideren amerikanischen Verhältnissen und brannte mit dem unsteten, künstlerischen Arthur durch. Gerties (wie sie stets später von ihren Freunden und der Presse genannt wurde) Jugend war von der Trennung der Eltern und den wechselnden sozialen Lebensbedingungen bei ihrer Mutter geprägt, die nicht nur wegen der drückenden Schulden ständig den Wohnsitz (heimlich nachts) wechselte, sondern auch ihre „Bekannten“, so dass Gertie später etwas verwirrend von ihren „Papas“ sprach und damit mehrere meinte. Als tanzendes Kind machte sie mit Babes in the wood 1908 im Londoner Brixton Theatre ihr Bühnendebüt, spätere Aufführungen in anderen Theatern stellten sie auch neben ihre Mutter (als einer von Robin Hoods bärtigen Gesellen!), Mrs. Lawrence hatte ebenfalls die Bühnenlaufbahn eingeschlagen. Nach kleineren Engagements wurde Gertie als Choristin und Understudy für Bea(trice) Lillie in Andre Charlots  Revue  Tabs  verpflichtet,  ging mit ihrer Kollegin eine langlebige Freundschaft ein und nutzte jede Chance, um nun selber herauszukommen. Auf den Überland-Tourneen boten sich dafür viele Gelegenheiten. Und eine erste Freundschaft mit dem jungen Entertainer und Komponisten/Schauspieler/ Dichter Noel Coward stammt aus dieser Zeit – „Noel and  Gertie „wurden später zu einem Weltbegriff im anglo-amerikanischen Theaterleben.

Gertrude Lawrence machte unendlich viele Schellack-Alben, hier Kurt Weills „Lady in the Dark“ bei der späteren EMI

Der ganz große Durchbruch kam mit „Andre Charlot‘ s London Revue of 1924“ am New Yorker Times Square, die  ganz New York auf den Kopf stellte und die „englische“  Mode in Amerika einführte. So eine Art von beinahe kammermusikalischem Musical hatte man hier am Broadway noch nie gesehen, Lawrence, Lillie und der sehr erfolgreiche Jack Buchanan zeigten den Amerikanern „The British way of things“. 1926 wurde ein ähnliches Werk mit diesen dreien am Broadway aufgeführt und Gertie schnell zum unbestrittenen Liebling des Publikums und der Presse. Sie machte Radioshows, 1929 die ersten (nicht sehr erfolgreichen) Filme, spielte nun auf beiden Seiten des Atlantik und verkörperte mit ihrer Kinderstimme der vielfältigsten Ausdrucksmöglichkeiten, mit ihrem Magnetismus und oft auch sehr undisziplinierten schauspielerischen Möglichkeiten eben einen Star.

Gleichzeitig aber ging ihr in zunehmendem Maße jegliche Realitätsnähe in Hinsicht auf Finanzen und menschliche Beziehungen ab. Sie gab das Geld wie ein Weltmeister aus und wechselte ihre Männer wie die Unterwäsche. Ihre Beziehungen waren notorisch und in der Öffentlichkeit gern diskutiert. Nach einer kurzen Ehe noch als unbekanntes Chor-Girl hatte sie einschließlich dem Prince of Wales, dem später abdankenden König Edward, so ziemlich alle erreichbaren Männer der Upper Class, was sie mit Gusto in den USA fortsetzte, dort einschließlich Douglas Fairbanks jr. ebenfalls alle Society -Löwen, bis sie schließlich den Produzenten und Regisseur Robert Aldrich heiratete. Wobei man sich heute angesichts der Fotos fragt, was die Männer an ihr gefunden hatten…

Gertrude Lawrence und Douglas Fairbanks in einer Hollywood-Version der „Bohème“: „Mimi“/ Poster/ OBA

Auf der Höhe ihres Startums spielte sie in den Erfolgsstücken vieler Komponisten und Librettisten. Nachdem „Charlot´s Revue“ (infolge Neondefekt der Reklame am Theater lange Zeit als „Harlot’s Revue“/ i. a. Huren-Revue zu lesen) ein solcher Hit wurde, machte sie Oh Kay von Gershwin, dann Private lives von Coward (wo sie als Amanda neben Coward zum Inbegriff einer Generation wurde), Treasure Girl von Gershw in, den Film The Battle of Paris mit Musik von Porter, Nymph Errant von Porter, Moonlight is Silver von Addinsel, einen Film namens Mimi (La Bohème), Cowards Tonight at 8.30  mit seinen sechs verschiedenen Einaktern, von denen Red Pepper einer der lustigsten ist, u. a. mehr.

Erst 1941 gab sie dann wieder eine große Rolle mit der Liza Elliott in Weill/ Harts Lady in the Dark, einem wahnsinnig erfolgreichen Stück über den American Way of Live, mit  dem sie nach langer Laufzeit am Broadway auch auf eine ebenso lange Tournee ging. Bis zu ihrer letzten großen Partie, der Anna in The King and I mit Yul Brynner –  ein Auftragswerk  an Rodgers/Hammerstein – hatte sie kaum noch etwas richtig zu tun. Gertrude Lawrence starb am 6. 9. 1952  ganz plötzlich an Krebs.

 

Gertrude Lawrence: Idol ihrer Zeit auf dem begehrten Cover des Time Magazine 1941

Das Problem der Gertrude Lawrence wurde das einer Generation: Sie war passé nach Kriegsende! Für eine nachfolgende, jüngere Generation erschien sie nur noch outriert, maßlos übertreibend, altmodisch in ihrem affektierten Sprachsingsang. Sie war auch als Typ altmodisch geworden. Zudem hatte sie sich so an die Allüren eines Stars gewöhnt, war so darauf programmiert, wie ein Star behandelt zu werden, dass sie sich mit dem Sinken ihres Sterns nicht abfinden konnte. So bezaubernd sie viele Kollegen in ihrer Zeit fanden, so bizarr, kapriziös und schlicht zickig fanden sie vor allem später viele, die mit ihr auf dem Theater zusammenarbeiten mussten. Sie war impulsiv und großzügig, aber auch kleinlich und unberechenbar, völlig ohne Maß.

Aber sie war auch die Muse und die Idealbesetzung für viele Komponisten und Produzenten, von einer Poesie ohnegleichen, von einer Bühnenpräsenz und einer Persönlichkeit enormer Dimension, die es ihr sogar erlaubte, so schwierige Stoffe wie The Glass Menagerie von Willliams (nur im Film) oder Pygmalion von Shaw erfolgreich herüberzubringen.

Gertrude Lawrence: bei ASV als CD umgeschnittene Schellack-Aufnahmen

Gertrude Lawrence ist akustisch gut dokumentiert. Wer aber hören will, mit welch unvergleichlicher Delikatesse sie Texte wie Songs gleichermaßen zu einem Ereignis werden lässt, findet reichlich Lawrence auf (inzwischen vergriffenen) schwarzen Platten, namentlich bei der RCA, einiges weniges bei Decca und – besonders Coward und Porter – bei EMI/Warner, auch auf DVDS Cowards, wo sie in Sketchen mitmacht. Und ähnlich wie bei Porters Nymph Errant fällt der Vergleich bei Weills Lady in the Dark  in der Lawrence-Originalversion (Auszüge bei Decca) sehr zuungunsten der späteren Remakes mit anderen aus – weder hat Risé Stevens als Liza Elliott die Leichtigkeit noch die ganz irrwitzige Ver-Rücktheit der Lawrence, noch besitzt die Crew der modernen  EMI­Nymph Errant aus London den Touch und die Hintergründigkeit, eben dieses spezifisch Britische, das die Lawrence stets auszeichnete.  Geerd Heinsen

  1. Kevin Clarke

    Wo gibt’s denn die Lawrence-Aufnahme von NYMPH ERRANT??????? Ich bin beglückt zu hören, dass es sie scheinbar irgendwo gibt. (So ein wunderbares Stück, und ich liebe die spätere Londoner Version sehr, kann mir aber leicht vorstellen, wie Miss Laurence durch diese „Experiment“-Komödie rauscht.) Es ist immer toll zu hören, wie gut Darsteller_innen damals auch sprechen konnten und dass diese Sprechszenen auch aufgenommen wurden: man sieht das auch bei Ivor Novello. Wenn man einfach nur die ’schöne‘ Musik einspielt, wird diese schnell langweilig; aber einbetettet in einen dramatischen Kontext, mit all dem dazugehörigen Augenzwinkern, blühen diese Lieder auf. Ich erinnere nur an die DANCING YEARS Aufanhmen mit Novello hochpersönlich und Mary Ellis (die Lawrence vom Stimmtyp nicht unähnlich ist). Ich möchte mal wissen, welche ‚klassische‘ Sängerin sich dieses Verschmelzen von Dialog, Gesang und Szene zutrauen würde….. Annette Dasch bestimmt nicht.

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