Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Zurück zu den Anfängen

 

Bei der noch recht unbekannten CD-Firma Genuin Select ist eine Aufnahme mit der Mezzosopranistin Vesselina Kasarova erschienen, die alle Chancen hat, auf dem Vokalsektor zur CD des Jahres gekürt zu werden (GEN 15378). Die gebürtige Bulgarin und Schweizer Staatsbürgerin präsentiert sich nach ihren vielen Erfolgen im Barock-, Mozart- und Belcanto-Repertoire hier mit Russian Arias – und erinnert damit an ihre ersten Auftritte in Zürich und Wien. So sind die Arien der Olga und Polina aus den Tschaikowsky-Opern Eugen Onegin und Pique Dame natürlich auch in dieser Auswahl vertreten – erstere in einer Mischung aus jugendlichem Übermut und slawischer Sehnsucht, die zweite zunächst erfüllt von unendlicher Schwermut, wie sie so vielen russischen Kompositionen eigen ist, und erst am Schluss zu ausgelassenem Temperament wechselnd. Der weitere Beitrag aus der Pique Dame verweist dagegen auf zukünftige Möglichkeiten der Sängerin. Es ist die berühmte Arie der Gräfin nach der Heimkehr vom Ball – einer der Höhepunkte der CD durch den unglaublichen Reichtum an Farben und Stimmungen sowie die pointierte Wortbehandlung. Die Stimme der Kasarova beschwört hier mit dunkel glühenden, geheimnisvollen Tönen eine ferne Welt herauf, kommt dabei ganz ohne die orgelnden Fluten einer Obraszowa aus und vermittelt das Entschlummern der alten Gräfin akustisch sehr plastisch. Aus einer weiteren Tschaikowsky-Oper, der Jungfrau von Orleans, erklingt die große Arie der Titelheldin, im Melos Tatjanas Briefszene verwandt, doch sich am Ende zu dramatischem Ausbruch aufschwingend. Die Partie auch auf der Bühne zu gestalten, wäre eine Option für die Sängerin, denn schon auf der CD gelingt ihr ein eindrückliches Porträt dieser Frau in ihrem Zwiespalt zwischen Pflichtgebot und Liebe. Die Kasarova zeichnet sie weniger heroisch denn feminin und anrührend. Auch die Kontschakowna aus Borodins Fürst Igor könnte man sich von der Interpretin in einer szenischen Aufführung vorstellen, denn sie findet in der nächtlichen Kavatine der Tochter des Khans zu schillernd-verführerischen Nuancen und sinnlich-warmen Tönen.

Begonnen hatte das Programm mit der Prophezeiung der Marfa aus Mussorgskis Chowanschtschina – ein effektvoller Einstieg, der die Stimme in ihrem besonderen Reiz und ihrer Individualität von der besten Seite zeigt. Beschwörend formuliert die Sängerin die Zukunftsvisionen der Altgläubigen, malt diese mit einer reichen Farbpalette aus. Von diesem Komponisten folgt später noch die Arie der Marina aus Boris Godunow, in der die Sängerin  zu interessanten Details findet, die herrscherliche Allüre der ehrgeizigen Polin allenfalls am Schluss der Nummer zeigt und sie vorher eher zögernd und  zweifelnd hinterfragt.

Quasi ein heiteres Intermezzo in seinem rhythmischen Überschwang ist das kurze Lied der Laura aus Dargomyzhskys Der Steinerne Gast. Die Figur des Waisenknaben Vanja aus Glinkas Ivan Susanin ist eine der wenigen Hosenrollen des russischen Repertoires, seine Arie, in der er vom Kampf für sein Vaterland singt, verströmt sich in liedhafter Kantilene und lässt die Stimme sehr kultiviert ertönen.

Rimsky-Korsakov ist mit zwei Beispielen zu hören – dem Monolog der Ljubascha aus der Zarenbraut, der ganz entrückt und in unendlicher Traurigkeit erklingt, sowie als letzter der zwölf Titel der Tanz der Komödianten aus dem Schneeflöckchen, in welchem die Philharmonie Baden-Baden unter Pavel Baleff Gelegenheit hat, sich neben der versierten Begleitung der Solistin auch in einem rasant auftrumpfenden Instrumentalstück als kompetenter Klangkörper zu bewähren. Bernd Hoppe

STILISTISCHE VIELFALT

 

Wer den Komponisten Erich J(acqes) Wolff (1874-1913) bislang nicht kannte, muss sich deshalb keiner gravierenden Bildungslücke schämen, aber er hat ewas verpasst. Eine Gesamtedition seiner Lieder in der Bella Musica-Reihe der Firma Thorofon lässt uns einen mit allen Wassern gewaschenen Meister der kleinen Form neu entdecken.

Bis vor wenigen Jahren war der zu seiner Zeit berühmte Komponist und Klavierbegleiter so prominenter Sänger wie Elena Gerhardt, Nelson Eddy, John Charles Thomas und Julia Culp (der er zahlreiche seiner Lieder widmete) im deutschsprachigen Raum völlig in Vergessenheit geraten. In den Vereinigten Staaten, wo er 1913 im Alter von 38 Jahren völlig unerwartet an den Folgen einer Ohrenoperation starb, werden seine Werke gelegentlich noch aufgeführt. Die amerikanische Sopranistin Rebecca Broberg stieß während ihres Studiums in Baltimore durch Zufall auf eine Komposition von ihm. Das war der erste Auslöser für eine Wiederentdeckung seines Oeuvres, die sie seither zusammen mit dem entdeckungsfreudigen Musikwissenschaftler und Regisseur Peter P. Pachl systematisch betreibt. „Ein neues Wunderland der Sehnsucht“ ist bereits das vierte Album der genannten Edition (das fünfte gar, wenn man „Zauberdunkel und Lichtazur“ mitrechnet, wo 9 Wolff-Titel mit Liedern seiner Zeitgenossen Anton Urspruch und Ludwig Thuille gekoppelt sind).

Die Mühe des Ausgrabens hat sich gelohnt. Wolff ist zu Unrecht ins musikgeschichtliche Abseits geraten. Seine Kompositionen, insbesondere die Lieder, sind vom Geist des Fin de siècle geprägt, setzen die Anregungen durch Bewegungen wie Naturalismus, Impressionismus, Symbolismus und vor allem Jugendstil musikalisch phantasievoll um. Wie Gustav Mahler ließ er sich von Gedichten aus „Des Knaben Wunderhorn“ inspirieren. Neben literarischen Größen wie Gottfried Keller und Jens Peter Jacobsen stoßen wir bei den Autoren der hier versammelten Lieder auf Namen wie Max Bruns, Gustav Falke, Richard Schaukal, Paul Wertheimer, Kurt Kamlah, Emil Faktor und vor allem Cäsar Flaischlen, mit dem Wolff eng befreundet war. Heute werden sie nicht mehr gelesen, aber damals spielten sie im Literaturbetrieb eine wichtige Rolle. Der Titel des Albums entstammt dem Gedicht „Der Wanderer“ des später im KZ ermordeten Emil Faktor.

Ein origineller Komponist, ein Neuerer gar wie sein Freund Arnold Schönberg war Wolff zweifellos nicht, eher ein in allen Stilen beheimateter Eklektiker. Da gibt es immer wieder mal déjà-écouté-Erlebnisse, aber trotz eines Oeuvres von mehr als 180 Liedtiteln war er kein Serienfabrikant, seine Musik klingt immer unverbraucht und inspiriert, und so wird man auch in dieser neuen Thorofon-Kollektion des Zuhörens nicht müde.

Das liegt freilich auch an der Interpretin Rebecca Broberg, die sich der stilistischen Vielfalt der Musik gewachsen zeigt und für jedes der Lieder eine Haltung und einen eigenen Tonfall findet. Sie gestaltet die Texte außerordentlich plastisch und mit Einfühlung in ihren poetischen Gehalt und formt die Gesangslinien ausdrucksstark mit ihrer in der Mittellage warmen, gelegentlich sinnlich aufblühenden Stimme. Am charakteristischsten gelingen ihr dabei die humorvollen Gesänge, Kellers „Mich tadelt der Fanatiker“ und „O heiliger Augustin“ oder das im schwäbisch-alemannischen Dialekt geschriebene „Wunderhorn“-Lied „Don Juan“.

Rainer Maria Klaas ist ihr ein versierter und einfühlsamer Begleiter. Allerdings hätte man ihm ein besseres Instrument gewünscht. Oder bin ich da von einer früheren Folge der Edition verwöhnt, wo ein Flügel der Bayreuther Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne zur Verfügung stand?

Das umfangreiche deutsch-englische Booklet enthält die Texte der Lieder sowie einen sehr informativen Essay mit ins Detail gehenden Analysen von Peter P. Pachl (Erich J. Wolff – Ein neues Wunderland der Sehnsucht, Thorofon CTH 2619). Ekkehard Pluta

Wiederverwertete Schätze

 

So viele Sänger widmen sich heute mit Recital-CDs der Epoche von Barock bis Belcanto, so viele Arien werden wieder neu der Öffentlichkeit vorgestellt, zahllose CDs widmen sich Komponisten und Sängern früherer Generationen, zum Beispiel Arien von Vivaldi, von Hasse, von Steffani oder von Porpora, Arien für Farinelli, für Caffarelli, für Bordoni, Cuzzoni oder für Malibran …. in der Summe mag das unübersichtlich und ermüdend wirken, im Detail gibt es aber einen Reichtum zu entdecken, über den man sich immer wieder freuen kann! Cecilia Bartoli mag in dieser Hinsicht die Entwicklung der Wiederentdeckungs- und Ersteinspielungsfreude mit vielen CD-Aufnahmen exemplarisch anführen, doch auch die US-amerikanische Mezzosopranistin Vivica Genaux gehört seit ihrem Album Arien für Farinelli, das 2002 bei harmonia mundi erschien, zu den prägenden Sängerinnen, deren Bandbreite des Ausdrucks und stimmtechnischen Fähigkeiten abwechslungsreiches Hörvergnügen verspricht. Das Label Erato hat nun drei Alben Genauxs (die ursprünglich noch bei Virgin Classics erschienen) als Sammel-Box neu aufgelegt, und zwar Bel Canto Arien von Rossini und Donizetti (2003), Arien von Händel und Hasse (2006) sowie das Vivaldi-Album Pyrotechnics (2009). Alle drei sind heute noch hörenswert und vereinen Spektakuläres und Schönes, leider verzichtet Erato auf ein Beiheft: Ohne Erläuterungen oder Arientexte geht es bei dieser Box für Käufer nur um das Hörerlebnis, das bei Genauxs CDs stets von technisch und stimmlicher Souveränität geprägt ist.

Bevor Genaux als Barocksängerin Karriere machte, gehörte ihre Aufmerksamkeit dem Bel Canto. Die Arien von Rossini und Donizetti zeigen Genaux stimmlich brillant in Hosenrollen wie z.B. Smeton (Anna Bolena), Orsini (Lucrezia Borgia), Malcolm (La donna del lago) und Arsace (Semiramide), aber auch mit Rosinas Una voce poco fa’ und zwei Arien der Isabella aus L’italiana in Algerie sowie einer Arie aus Cenerentola. John Nelson leitet zuverlässig das Ensemble Orchestral de Paris. Mit ihren beiden folgenden CDs wirkte Genaux an der Wiederentdeckung Vivaldis und Hasses als Opernkomponisten mit. Die Arien von Händel und Hasse umfassen jeweils Opernarien und eine Kantate der beiden Sachsen, und zwar von Händel aus Orlando und Alcina und Splenda l’alba in oriente (HWV 166) sowie von Hasse aus Arminio und die Kantate La scusa. Hasses Werke sind gefällig, aber ohne besondere Herausforderung an Genaux – eine Auswahl, die ihr Potential nicht ausreizt. Les Violons du Roy werden geleitet von Bernard Labadie. Höhepunkt der Sammlung ist das Vivaldi-Album Pyrotechnics. Genauxs stimmliche Virtuosität kommt hier spektakulär zur Geltung und hat bei dieser Aufnahme mit Europa galante unter der Leitung von Fabio Bondi ein ebenbürtig aufspielendes Ensemble, stimmliches und orchestrales Feuerwerk vereinen sich in barocken Bravour-Arien aus verschiedenen Vivaldi-Opern wie z.B. Cantone in Utica, Semiramide, La fida ninfa, Griselda, Ipermestra, Farnace, Tito Manlio und Rosmira fedele. Genaux-Fans werden diese Aufnahmen in der Regel bereits in ihrer Sammlung haben, als günstigere Box lohnt sich die Wiederauflage für alle, die es werden wollen. (Vivica Genaux – Arias, Box mit 3 CDs, Erato LC02822). Marcus Budwitius

Carlo Enrico Pastas „Atahualpa“

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Nationalhymnen anlässlich von Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften rufen vor allem beim opernliebenden Publikum oft ein Lächeln hervor, wenn sie musikalische Assoziationen an Donizetti, Rossini oder Verdi wachrufen – die meisten stammen ja aus dieser Zeit, namentlich in den lateinamerikanischen Ländern, wie die aus Peru von 1822, die sich auch am Ende der Oper Atahualpa von Carlo Enrico Pasta findet. Pasta? Nie gehört! Wenn man in Chile, Bolivien oder Peru von der Oper des 19. Jahrhunderts, sei es diesseits oder jenseits des Atlantik, spricht, beschränkt sich das meist auf den in Mailand ausgebildeten Brasilianer Carlos Gomez und seine Fosca und natürlich auf die Indianeroper Il Guarany, die zu einer Nationaloper geworden ist und vielfach dort aufgeführt wurde. Was wirklich zu kurz gedacht ist, denn viele italienisch ausgebildete Musiker der Zeit schrieben für „auswärtige“ Gelegenheiten, und man sollte sich wenigstens daran erinnern, dass Rossini für Lissabon im Jahre 1826 seine Adina schrieb oder dass Mercadante gut sieben Titel seines Werkkatalogs für ein iberisches Debüt vorsah (Lissabon, Cadiz und Madrid). Es würde sich auch lohnen, sich an den Navareser Emilio Arrieta (1823-1894) zu erinnern, der vor allem wegen seiner Zarzuela Marina oder seiner Conquista di Granata auf das Libretto von Solera bekannt war. Oder an den Katalanen Ramon Carnicer (1789-1855), ebenfalls Komponist von Opern auf Texte von Tottola oder Ferretti.

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Carlo Enrico Pasta/ OBA

Carlo Enrico Pasta/ Universal

Ganz und gar italienisch waren in jedem Falle, abgesehen von den Libretti, die musikalischen Modelle, die von einer festen Kontinuität der musikalischen Strukturen made in Milan sprechen. Mailand und das dortige Konservatorium, die Opernfabrik des mittleren 19. Jahrhunderts quasi, brachten viele Komponisten hervor, italienische und auswärtige, die in fernen Ländern als Nationalkomponisten auf der Basis des in Italien Gelernten geehrt wurden. Forino, Gomez, Montero, Carrer, Tschoukadian und viele mehr, die von Brasilien und Schweden bis Armenien für die Verbreitung der italienischen Oper, aufgefüllt mit nationalen Inhalten, sorgten und die in den adoptierten Heimatländern die italienische Musikkultur installierten bzw. sie zu einheimischer ummünzten.

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"Atahualpa": Schinkels Bühnenbild zu Spontinis "Fernand Cortez" in berlin/ Wiki

„Atahualpa“: Schinkels Bühnenbild zu Spontinis „Fernand Cortez“ in Berlin/ Wiki

So lohnt es sich auch, sich Carlo Enrico Pasta zuzuwenden (Mailand 1817-1898), der rund dreißig Jahre lang nach einem italienischen Vorspiel zwischen Bolivien, Chile und Peru pendelte, unterbrochen nur von wenigen Jahren in Italien, während derer er seinen Atahualpa in Genua 1875 am Teatro del Verme zur Uraufführung präsentierte. Vorher hatte er mehr oder weniger einige andere Werke vorgestellt und sich – wie man erzählt – als angeblicher Neffe der großen Giuditta Pasta einen ersten Auftritt an der Scala „erarbeitet“. Warum er sich nach Lateinamerika „absetzte“ ist ungeklärt. Alexander Weatherson (Donizetti-Gesellschaft London) meint, er sei den besatzenden Österreichern unliebenswert aufgefallen und habe sich aus politischen Gründen wie Jacopo Foroni nach Schweden eben nach Lima „verdrückt“, um der Verfolgung zu entgehen. Bei anderen Zeitgenossen gibt es Hinweise auf erdrückende Schulden, die eine Flucht notwendig machten. In jedem Falle fand Pasta in Lima über lange Jahre eine Heimat und wurde dort als Nationalkomponist geehrt.

"Atahualpa": Schinkels Bühnenbild zu Spontinis "Fernand Cortez" in Berlin/ Wiki

„Atahualpa“: Schinkels Bühnenbild zu Spontinis „Fernand Cortez“ in Berlin/ Wiki

Carlo Enrico Pasta wurde am 17. November in Mailand geboren und starb ebendort am 31. August 1898. Nach Studien am heimischen Konservatorium ging er an das gleiche Institut in Paris, studierte bei Hippolyte Colet (empfohlen von Donizetti; Colet hatte auch Adolphe Adam unterrichtet) und schloss 1849 mit einem Diplom ab. Im Mai 1849 debütierte er mit siener ersten Oper La Romana in Rom (gelobt wurden die folkloristischen Elemente darin). Für Turin schrieb er 1850 eine Sinfonia, eine Polka für die Ballerina Amalia Ferrari und schließlich seine erste ernsthafte Oper I Tredici auf ein Libretto von Giorgio Giachetti am Teatro Sutera 1851 (die Presse sprach von einem vielversprechenden Beginn). Zwischen 1851 und 1855 war Pasta musikalischer Leiter des Infanterie-Regiments Savoyen. Eine Oper namens La Fronda o Il castello di San Germano auf ein Libretto von Francesco Guidi, für 1855 in Turin angekündigt, gelangte nicht zur Aufführung.

Aus unbekannten Gründen (s. oben) schiffte sich Pasta nach Lima ein. Dort verdiente er seinen Lebensunterhalt als Klavierlehrer, später als Dirigent, Coach und Grüpndungsmitglied der Philharmonischen Gesellschaft – und Komponist für das örtliche Theater. Seine beiden Zarzuelas auf spanische Libretti, El loco de la guardilla 1863 und La cola del diabolo (auch Una taza de te) 1863 brachten ihm große Anerkennung. Weitere Projekte aber fielen ins Wasser, darunter auch eine geplante Zusammenarbeit mit dem Dichter Juan Vincente Camacho (1829 – 1872). Hingegen erwies sich die Arbeit mit Juan Cossio (1823 – 1881) bei dem geplanten Werk Rafael Sanzio als fruchtbar – die erste originale peruanische Zarzuela! Sein Interesse an der Geschichte des Landes mehrte sich und er beschäftigte sich mit der Eroberung Perus durch Pizarro. Mit seiner nun in Lima aufgeführten ersten Oper La Fronde landete er einen überwältigenden Erfolg, hatte er doch auch Hinweise auf Indios und eben die Geschichte Perus mit eingebaut. La Fronde wurde 1855 in Lima aufgeführt und gilt als erste italienische Oper in Peru. Dennoch ließ Pasta der Gedanke an eine europäische Karriere nicht ruhen. Er kehrte nach Italien zurück und versuchte wieder in Mailand Fuß zu fassen. Aber die überwältigenden finanziellen Schwierigkeiten ebendort zwangen ihn zur erneuten Flucht nach Lima zurück. Er komponierte dort Kirchenmusik, darunter eine Missa solemnis 1869 (wahrscheinlich bereits in Paris geschrieben) und schließlich Atahualpa, der zwar 1875 schon n Genua am Teatro Paganini erstaufgeführt, aber wohl doch der auf Europa fixierten regierenden Gesellschaft in Lima 1877 als originales Werk „verkauft“ wurde. Im selben Jahr kam es auch zu einer Aufführung der Oper am Teatro del Verme in Mailand. Dann fiel das Werk in Vergessenheit. 2013 nun orchestrierte Matteo Angeloni die Oper für eine Aufführung am Gran Teatro Nacional in Lima.

"Atahualpa": Finale des Konzerts in Lima 2013/ Ministerio de Coltura Lima

„Atahualpa“: Finale des Konzerts in Lima 2013/ Ministerio de Coltura Lima

Von der Oper Atahualpa hat leider keine Partitur überlebt, nicht einmal die komplette Instrumentierung, so dass es nur einen Klavierauszug für Singstimme gibt. Vom dem Moment an, an dem man sich am Gran Teatro Nacional von Lima entschloss, für das Festival Internazionale dell’ Opera Alejandro Granda 2013 eine verdiente Wiedergutmachung des adoptierten Landes-Sohns mit allen Ehren (und eine nachfolgende Aufnahme) anzugehen, wurde eine Orchestrierung notwendig, für die man dem Komponisten Matteo Angeloni gewann. Angeloni hielt sich an die typischen Stilmittel der Epoche, ohne sich passiv denselben zu unterwerfen, und ließ sich kreativ von dem wenigen Überlieferten inspirieren. Damit wird – wie man nun hören kann – nicht immer das Niveau eines Verdi erreicht, dessen Zeitgenosse ja Pasta war, aber man näherte sich doch dessen frühen Opern und den letzten Vertretern der Grand Opéra an. Die lokalen musikalischen Elemente sind in Atahualpa nicht schmückendes Beiwerk, sondern in ein dramaturgisches Konzept eingebettet und lassen die leidenschaftliche Sprache des Komponisten für die Ureinwohner Perus erkennen. So werden besonders die originären, regionalen Indianer-Elemente ins Licht gerückt, weit mehr als die der üblichen Oper-Konvention, was dem Werk eine überspringende Energie und große Individualität verleiht, in der auch das Erklingen der peruanischen Nationalhymne am Schluss mitreißend und inspiriert wirkt: organisch und nicht etwa künstlich aufgesetzt. Musikalisch ist die Oper von solider Erfindung. Sie bietet zwei-drei wirklich beeindruckende Monologe für die Protagonisten, effektvolle Momente/ Concertati für den Chor, sowohl der Männer Pizarros wie der versammelten und kommentierenden Inkas. Der Guarany von Carlos Gomez ist hier nicht weit (Mailand 1870), und es bleibt die Frage, wieweit Pasta den gekannt hat…. Es ist zudem immer wieder spannend, das Bemühen der Komponisten der Zeit, die compositori minori, zu erleben, eben nicht in Verdis Idiom zu verfallen, das ja musikalisch allbeherrschend war zu jener Zeit – das erlebt man bei Gomez ebenso wie bei Foroni oder Braga und auch bei Pasta. 1875 ist Verdi unangefochten der große Mann der italienischen Oper, aber die „Gegenrichtung“ Ponchiellis oder vor allem Lauri Rossis (der namentlich auch als Lehrer die scapigliati beeinflusste), Pedrottis, Bragas und anderer zielte eben darauf ab, eine andere Klangästhetik und ein anderes dramatisches Konzept zu entwerfen. Pasta steht zwischen diesen Richtungen. Meyerbeers Einfluss ist musikalisch wie im Libretto deutlich. Man hört Anklänge an die frühen Opern Verdis (I Lombardi, Alzira et al), aber man hört auch Rossini (Tell), Donizetti und Ponchielli, um bei den bekannten Modellen zu bleiben. Melodischer als bei Apolloni oder Braga fließt die Musik weniger in langen deklamativen Rezitativen als vielmehr in ariosen Passagen, die sich recht schnell mit Soli und Ensembles abwechseln. Verdi ist natürlich nicht ganz zu umgehen: Im driten wie vierten Akt gibt es Anklänge an die Traviata und vor allem an den Rigoletto, eher strukturell als harmonisch. Namentlich die Aktschlüsse und das Finale beeindrucken durch ihre robuste Kraft. Als ausgesprochen gelungener Coup muss das Einschließen der 1822 von Bernardo Alcedo komponierten Nationalhymne Perus für den Schlusschor der Oper gelten. Das reißt von den Sitzen, bis heute. Und ist nicht nett zu den Spaniern…

"Atahualpa": der Librettist Antonio Ghislanzoni/ Wiki

„Atahualpa“: der Librettist Antonio Ghislanzoni/ Wiki

Das Libretto von Antonio Ghislanzoni macht einen großartigen Eindruck. Der Stoff behandelt die schmerzhaft-bekannte Epoche der Eroberung Lateinamerikas. Pizarro tötet den letzten Inka-Kaiser Atahualpa und verleibt Peru der spanischen Krone ein – für die Nachkommen der Indios bis heute traumatisch und für die Erben der Spanier im Lande eine fragwürdige, aber stets mit zweifelhafter Berechtigung verteidigte Hypothek. Hinein spielt der bekannte Topos des „edlen Wilden“ wie bei Rousseau, der in vielen Opern der Zeit und davor behandelt wird, von Rameau und Hasse bis zu Meyerbeer, Cherubini, Spontini, Rossini, Donizetti, Verdi und vielen anderen. 1870 hatte Gomez mit seinem Guarany an der Scala damit einen überragenden Erfolg erzielt, der sogar den nun fest installierten Verdi unruhig machte. Edle Wilde waren im musikalischen Italien des aufgeklärten ausgehenden 19. Jahrhunderts also keine Seltenheit, wohl aber noch für die lateinamerikanischen Länder, die ja die originale Vorlage abgaben.

"Atahualpa": der Sponsor der originalen Aufführung 1877 in Lima, Dionisio Derteano/ Wiki

„Atahualpa“: der Sponsor der originalen Aufführung 1877 in Lima, Dionisio Derteano/ Wiki

Carlo Enrico Pasta war zu diesem Zeitpunkt ein geübter Komponist, sicher kein überragender wie der überraschende Jacopo Foroni oder Carlos Gomez, aber doch einer der soliden B-Kategorie, wie Apolloni, Braga oder andere. Für seine lateinamerikanische Phase schrieb er die erwähnten Zarzuelas in Bolivien und dann La Fronda bereits in Lima 1872 und präsentierte eben Atahualpa 1877 (nach der originalen Premiere in Genua zwei jahre zuvor). Ghislanzonis Libretto in Musik gesetzt zeigt diesen als Sohn der Meyerbeerschen Grand Opéra, damals modern und als Modell viel verwendet, sowohl bei Don Carlos, Les Vêpres Siciliennes und Aida wie auch in der Musikdiskussion der Zeit präsent. Zumal Meyerbeers und Spontinis Opern gerade in Italienisch von Neapel ausgehend oft auf den Spielpänen Italiens auftauchten (dazu auch die Diskussion im Spontini-Buch des Studiopunkt-Verlages). Ghislanzoni führt die dramaturgische Lektion Verdis weiter und erschafft ein Duett zwischen Nichte Cora und Kaiser/Onkel Atahualpa, das stark an jenes zwischen Aida und Amonasro erinnert. Oder auch das große Liebesduett zwischen dem Spanier Hernandez de Soto und Cora (der übliche Konflikt zwischen Besatzer und Besetzten), das nicht von einer unisonen Kadenz einer stretta besiegelt, sondern von einer coda wieder eröffnet wird, die an den Schluss („Numi pietà“) des Duetts von Aida und Amneris erinnert. An Meyerbeers Africaine (sicher eher die Africana) gemahnt die Eröffnung des 2. Aktes („O paradiso“) mit den flirrenden Streichern. Es wäre jedoch falsch, das Libretto nur durch den Filter Aida zu betrachten. Atahualpa ist eine politisch stark engagierte Oper, obwohl der Gegenstand so konventionell wie wenige scheint: Konflikte zwischen zwei Völkern, Siegern und Besiegten, Christen und Heiden. Dazu die übliche verbotene (und aussichtslose) Liebe zwischen zwei jungen Leuten, die den jeweilig feindlichen Parteien angehören.

Marmonteils bahnbrechendes Drama "Les Incas ou la Destruction de l´Empire du Pérou", Paris 1777/ OBA

Marmontels bahnbrechendes Drama „Les Incas ou la Destruction de l´Empire du Pérou“, Paris 1777/ OBA

Das Libretto hätte sich darauf beschränken können, für die Inkas Partei zu ergreifen, mit den Besiegten zu sympathisieren. Alle tot – Schluss. Aber Pasta und Ghislanzoni tun 1875/77 mehr. Sie tun etwas, das über den patriotisch- konventionellen Grundton hinausgeht und was den komplizierten religiösen Aspekt beleuchtet. Hier merkt m,an das voranschreitende Jahrhundert und die Früchte der scapigliatura. Bei Pasta/Ghislanzoni wird die Opernwelt von zweifelhaften, eifernden Priestern beherrscht, aber es wird nicht das Christentum als solches in Frage gestellt. Wenn man nach der Szene, in der der Inkakaiser die Bibel verächtlich zu Boden wirft, erwartet, dass in dem darauf folgenden Kerkerbild eine spirituelle Erleuchtung (quasi ex machina) zum christlichen Glauben ähnlich wie im Nabucco stattfindet: nichts dergleichen. Atahualpa verschmäht die Taufe, und die Nachricht von seiner angeblichen Unterwerfung wird nur deshalb von den Spaniern verbreitet, um die Eingeborenen zu demoralisieren und zum Aufgeben zu bringen. Diese wird aber sofort von Cora und von den Zeugen der letzten Momente des Inka widerrufen. Die Festigkeit, mit der die Nichte des Kaisers ihre – in einem Moment der Schwäche akzeptierte – Taufe widerruft und zu den Wurzeln des alten Glaubens zurückkehrt, hat etwas unvergleichbar Heroisches, Beharrendes, Grundsätzliches. Und auch Modernes, Anklagendes. Alles in allem ist dies einer der eindrucksvollsten Aspekte in der Oper: Die von dem perfiden, unversöhnlichen Mönch Valverde vertretene Religion wird nicht einfach mit den spanischen Invasoren identifiziert. Sie ist in überraschender Modernität (Feuerbach beginnt 1841 Thesen über die Religion herauszugeben; sie sind ein heikles Thema für die italienische Oper und kaum ohne ein Trauma zu akzeptieren ) erkenntlich als „Opium für´s Volk“. Die Religion vergiftet die Invasoren selbst, wie der Prolog klar macht, wenn die Soldaten (müde des nutzlosen, in fernem Land geführten Kriegs) meutern wollen und von den fanatischen Reden des Mönches neu indoktriniert werden. Auch Pizarro hämmert seinen Leuten patriotische Parolen ein. Aber es ist der Schatten des Kreuzes, der jeden Widerstand besiegt und sogar ein Gefühl der Beschämung gegenüber dem Wunsch nach endlich Frieden aufkommen lässt. Der Konquistador Pizarro besitzt menschliche Würde, auch wenn er sich im Irrtum befindet. Er schämt sich für seinen fanatischen Glaubensvertreter und schiebt die Pflicht vor, um sein Gewissen zu beruhigen. Er weiß Zweifel und Dignität auszudrücken, besitzt eine Art von Glauben wollender Naivität, eine Aufrichtigkeit in seinem Bemühen, der Krone ein Imperium zu erobern. Der Jesuit Valverde nicht. Er ist der steinerne Prophet des Fanatismus, eher ein dämonischer als ein patriarchalischer Bass. Die christliche Religion wird – 1875! – von Ghislanzoni mit diesem fanatischen Repräsentanten gleichgesetzt. Da gibt es keine Hoffnung auf Toleranz, nur ein Vorgehen nach der Pflicht. Dem widersetzt sich der junge Spanier Soto vergeblich, der damit die Worte von Verdis Giselda in den Lombardi wiederholt: „Nein, nein, der Christengott fordert kein menschliches Blut“. Gegenüber dem Sonnenkult der Inka repräsentiert Soto ein Menschen-Ideal zwischen einem kommenden, schreckerfüllten fin de siécle und dem alten Gottesglauben der Aufklärung (der Mythos des „edlen Wilden“). Alles in allem wird hier eine Vision ausgebreitet, die den Antiklerikalismus der scapigliati überspringt und hin (oder zurück) zum kritischen historischen und pessimistischen Blick des Juden Meyerbeer auf Katholiken, Hugenotten und Widertäufer führt. G. H.

"Atahualpa": Kampf zwischen Incas und Spaniern in Cajamarca/ Wiki

„Atahualpa“: Kampf zwischen Incas und Spaniern in Cajamarca/ Wiki

Dazu auch eine Passage von Malena Kuss in ihrer Dissertation zu Robert Stevensons Beitrag zur Musik in der Karibik und Lateinamerika: Other writings emphasized the significance of 19th- and early 20th-century Peruvian works, especially the first Atahualpa for the lyric stage by the Italian Carlo Enrico Pasta, who settled in Lima in 1855, with libretto by Antonio Ghislanzoni, premiered in Milan four years after Aida’s performance in Cairo. Stevenson’s emphasis on Ghislanzoni in references to this work is paradigmatic of his total output, that is, his virtuoso command of the European tradition without which academic traditions in the Americas up to the first decades of the 20th century cannot be understood in the context of their interdependent relationship with Europe. The Pasta/Ghislanzoni 1875 setting of one of the great tales of history (the imprisonment, sentence, and execution of the last Inca ruler by Francisco Pizarro in 1533) is remarkable for two reasons: Ghislanzoni’s exultant verse is essentially a disquisition of the ideas that relegate human conflict to a level of dramatic insignificance, and in that sense comparable with Giuseppe Antonio Borgese’s text for Roger Sessions’s 1964 setting of Montezuma, based on that `other‘ great tale of history, the Conquest of Mexico.
The other remarkable fact about the first Atahualpa for the lyric stage by Pasta and Ghislanzoni is that two Italians could dramatize a Peruvian view of the Atahualpa story, one that touched a nerve of identification and amusement when I presented a paper on this work in Lima, on October 20, 1995. At the end of this most conventional and eclectic four-act score, the dying priestess Cora (syncretized here from Marmontel’s Les Incas [1777]) projects a vision of redemption of the indigenous people, the vindication of a Conquest presented as massacre, through the musical symbolism of Peru’s National Anthem (by José Bernardo Alcedo (1788-1878), which had been the subject of a tribute by Stevenson (see Bibliography). It is naive at best to think of the 1821 Peruvian Independence as vindication of the indigenous peoples whose destiny Pizarro changed forever, and the Limeñan anthropologists, historians, and cultural psychoanalysts present at my lecture found this interpretation of Peru’s creole independence so fascinating as to have proposed another performance of this Atahualpa, 120 years after its premiere in Lima in 1877.

pasta atahualpa cover vornAuf der neuen CD bei Universal Italien (s. nachstehend) singt Ivan Magri mit sehr gutem Material den feurigen jungen Spanier Soto, der in die Kaisernichte Cora verliebt ist – seine Stimme sitzt gut und leuchtet, und für einen Konzertmitschnitt ist dies eine wirklich bewundernswerte Leistung. Soto ist ein Liebhabertenor mit edlen Gefühlen, von Anfang an gegen den Krieg mit den Inkas eingestellt, duldsam gegenüber Fremdem und treu dem eigenen Glauben, den er nur im Moment der höchsten Wut anzweifelt. Dies alles liefert Magri überzeugend. Cora ist eine in ihrem Innersten erschütterte Figur, die allmählich die Liebe entdeckt, die unheilvolle Ahnungen hat. Sie ist zwischen unterschiedlichen Gefühlen hin- und hergerissen, gibt für einen Moment dem Drängen der Invasoren nach und lässt sich taufen, sterbend verneint sie jede Bindung an die Spanier und ihre Religion und erhebt sich zur stolzen Heldin ihres Volkes. Man kann nicht abstreiten, dass Arianna Ballotta als Cora über eine unangenehme Emission der Stimme verfügt. Sie bleibt in dem bekannten Rahmen der zu leichten, willensstarken, aber zu dünnen Sopranstimmen, wie man sie von den historischen Einspielungen der Gomez-Opern aus Brasilien kennt: durchdringend und enervierend. Gleichwohl zieht man den Hut vor ihrer unerschrockenen Tapferkeit, sich dieser schweren, umfangreichen und zentralen Partie zu nähern. Sie klingt wie Page Oscar im Gewand der Amelia. Dies war das Repertoire, das die erste Interpretin der Partie sang und das man Frau Ballotta nicht zutrauen würde. Die restlichen Männerstimmen sind prachtvoll. Die beiden Kontrahenten Pizarro und Atahualpa, Vassily Ladyuk und Aris Agiris, prunken mit satten Bass-Baritonen, der gemeine Mönche Valverdi/ Carlo Cigni mit charaktervollem Bass, auch die übrigen (Xavier Fernandez, Juan Pablo Marcos sowie Rosa Parodi) brauchen sich nicht zu verstecken. Chor und Orchester (Coro Nacional sowie Orquesta Sinfonica Nacional del Peru) unter Manuel Lopez-Gomez sind zudem eine Pracht: frisch, temporeich, nuanciert – absolut ein Gewinn.

Das Ganze gibt’s bei Amazon Italien (Universal 481 1771, 2 CD) und kann mit deutscher Amazon-Kundenidentität/ Passwort bestellt werden gegen einen ganz geringen Aufpreis. Inhalt und das Libretto/ italienisch/spanisch liegen der CD bei, erhellende Artikel allerdings nicht. Aber im Ganzen: absolut habenswert!!! G. H. (Dank an Ingrid Wanja für die Übersetzung verschiedener Texte für diesen Artikel)

"Atahualpa": die Journalistin und Musikwissenschaftlerin Roberta Pedrotti/ apemusicale

„Atahualpa“: die reommierte italienische Journalistin und Musikwissenschaftlerin Roberta Pedrotti/ apemusicale.it

Und zum Schluss, für Italienischkenner, ein Interview, dass die italienische Journalistin Roberta Pedrotti mit dem Komponisten Matteo Angeloni anlässlich dessen Orchestrierung der Oper Atualpa führte: Orchestrare Atahualpa, di Roberta Pedrotti: In occasione dell’uscita in CD dell’opera Atahualpa di Carlo Enrico Pasta [leggi la recensione], abbiamo rivolto alcune domande al compositore Matteo Angeloni, che ne ha curato l’orchestrazione. Come è nato il progetto Atahualpa e il suo coinvolgimento per l’orchestrazione? Ernesto Palacio, Direttore Artistico del Festival Internacional de Opera Alejandro Granda di Lima, anni fa è venuto in possesso dello spartito. L’autore, Carlo Enrico Pasta, nato a Milano nel 1817, visse in Perù dal 1855, e l’opera è ispirata a un episodio storico della conquista da parte degli spagnoli; Atahualpa è stato l’ultimo imperatore Inca, sconfitto e ucciso nel 1533. L’argomento di fondo è l’incontro/scontro tra due popoli, tra civiltà molto diverse tra loro; la vicenda ruota intorno all’amore, destinato a finire tragicamente, tra due giovani di parti avverse, il condottiero Soto e Cora, sacerdotessa del Sole. Quest’opera è stata rappresentata nel 1875 a Genova, e nel 1877 a Milano e a Lima. Il m° Palacio ha quindi iniziato a concepire il progetto di recuperarla e rappresentarla in prima moderna al Gran Teatro Nacional di Lima per il suo Festival. Io sono stato coinvolto per l’orchestrazione su suggerimento del direttore d’orchestra Michele Mariotti e del compositore Paolo Marzocchi; devo ringraziare loro per aver fatto il mio nome.

Qual è lo stato delle fonti? Avete utilizzato altro materiale oltre alla riduzione canto e piano dedicata a Dionisio Derteano? Si è reso necessario anche un lavoro filologico di revisione? La partitura orchestrale originale è andata completamente perduta; il mio lavoro si è basato esclusivamente sulla versione per canto e pianoforte, che è l’unica arrivata fino a noi. La revisione si è resa necessaria riguardo ad alcuni evidenti errori di stampa, come note che determinavano armonie sbagliate, o articolazioni musicali mancanti ma presenti in passaggi simili.

"Atahualpa": Der Co.Komponist Matteo Angeloni/ OBA

„Atahualpa“: Der Co-Komponist Matteo Angeloni/ youtube

Come definirebbe lo stile di Pasta, quali gli aspetti più interessanti del suo lavoro? Direi che Pasta sia stato molto influenzato da Verdi: alcune scene richiamano il Verdi maturo, anche se la resa generale è forse ancora legata al primo Verdi. Ciò è favorito anche dal libretto, che presenta situazioni e figure abbastanza tipiche nel melodramma ottocentesco. Alcune scene sembrano riecheggiare l‘Aida (il librettista era lo stesso, in fondo): il duetto Soto-Cora del secondo atto ricorda quello di Aida e Radames, la maledizione di Atahualpa a Cora ricorda l’analogo anatema di Amonasro alla figlia. Analoghe somiglianze e influenze possono trovarsi nel concertato dell’atto primo (coro dei sacerdoti) e nella prima scena dell’atto secondo, con Cora che aspetta l’amato (Amneris che attende il ritorno di Radames). Un legame con il Don Carlos può essere rinvenuto nella figura di

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Valverde, basso che potrebbe richiamare i toni sinistri del Grande Inquisitore.

Lo stile di Pasta ha comunque dei tratti personali, come certe peculiarità armoniche, e momenti molto suggestivi e di grande potenza drammatica, uniti a slanci lirici toccanti. Complessivamente l’opera è di fattura molto buona, al di là della curiosità che può sorgere per la novità della sua riscoperta.

Quali difficoltà ha posto il lavoro di orchestrazione? Quali principi ha seguito, quali sono stati i modelli a cui rifarsi e le eventuali trappole da evitare? La scarsità di notizie riguardo a Pasta, e il non conoscere assolutamente gli altri suoi lavori, sono stati paradossalmente uno stimolo a una maggiore libertà e creatività. Dato che non ci è arrivata nessuna indicazione orchestrale, il mio lavoro non era ricostruire, mareinventare i timbri, cioè il modo in cui la musica sarebbe giunta alle nostre orecchie. Non ho voluto scrivere come si presume l’avesse fatto Pasta (cosa impossibile da verificare, peraltro); ho trattato lo spartito come un campo aperto di possibilità e di colori. Il punto di partenza è stato ovviamente la data della rappresentazione, il 1875, e il fatto che il librettista fosse Antonio Ghislanzoni. Quindi ho analizzato moltissime opere del repertorio lirico ottocentesco italiano, soprattutto di Verdi ma non solo, con l’intento di assimilare un ventaglio quanto più ampio possibile di soluzioni di scrittura orchestrale più usate e tipiche del periodo. Inoltre ho confrontato le partiture con le relative riduzioni per canto e piano, per capire quanta discrepanza ci fosse tra loro.

Der Dirigent Manuel Lopez-Gomez/ Ministero del Cultura

Der Dirigent Manuel Lopez-Gomez/ Ministero de Cultura

Ho esaminato opere le più diverse per tipo di scrittura e clima espressivo, per utilizzare nel mio lavoro tecniche il più possibile varie, ma che trovassero comunque giustificazione storica. Ho scelto un organico orchestrale abbastanza tipico, tra quelli usati nel periodo. L’impostazione che ho dato al lavoro è stata di realizzare una partitura che suonasse “del periodo”, adottando soluzioni mai anacronistiche, ma comunque creative, per disposizioni orchestrali e impasti timbrici, cercando di trovare il colore migliore per ogni momento musicale. Ne è scaturita una scrittura orchestrale probabilmente più mutevole e ricercata rispetto alla prassi del tempo, con un’attenzione particolare alle percussioni, e a strumenti come corno inglese e clarinetto basso, presenti in momenti molto importanti e suggestivi. Attraverso l’uso dei timbri ho sottolineato dei rimandi interni all’opera: ad esempio l’uso dell’ottavino e del triangolo al n.4 della partitura, dove è indicata l’Aurora. Il triangolo compare di nuovo nel n.16 – finale III, in contrappunto al coro che intona “Sulla patria oppressa e mesta gemi, o core”. E ritorna nel finale ultimo, stabilendo così un parallelismo tra la sua prima comparsa, quando il coro saluta l’aurora nascente, e il finale dell’opera in cui Cora, prima di uccidersi, profetizza la nascita della nazione peruviana (momento che tra l’altro incorpora l’incipit dell’inno nazionale peruviano, già composto quando Pasta scrisse l’opera).

"Atahualpa": Bühnenbild zu Gomez´"Guarany"/ Wiki

„Atahualpa“: Bühnenbild zu Gomez´Oper „Il Guarany“/ Wiki

Oppure l’uso del tam-tam, che si ascolta solo due volte, al finale dell’Atto II, la cattura di Atahualpa, e al n. 15, quando Atahualpa maledice Cora per essersi convertita: due culmini grandiosi e drammatici. Ci sono inoltre dei temi ricorrenti, militari, di guerra, d’amore, che ho orchestrato in maniera ogni volta diversa, secondo le esigenze espressive. Il solo tema che si mantiene sempre identico è l’unico di sapore popolare peruviano, presente già nel Preludio, che segnala ad ogni sua comparsa la presenza in scena degli Inca. Per questo tema ho adottato una soluzione che suonasse “etnica”, ma con gli strumenti normali di un’orchestra sinfonica. Complessivamente, l’orchestrazione ha richiesto un anno di lavoro molto duro, quasi 500 pagine di partitura per due ore di musica; ma sicuramente ne è valsa la pena.

Oltre ad aver approntato l’orchestrazione, ha seguito anche le prove e la realizzazione lavorando con gli interpreti? Sì, sono stato a Lima per seguire le prove, ed eventualmente apportare correzioni. Era la prima volta che realizzavo un lavoro per grande orchestra e voci, e avevo un po’ di timore soprattutto riguardo ai pesi sonori, e che l’orchestra potesse sovrastare i cantanti. Ma ero stato molto attento a questo aspetto, scrivendo, e per fortuna non c’è stato bisogno di cambiare niente, il lavoro funzionava.

Pensa che l’opera potrebbe avere una circolazione? Si parla di qualche ripresa magari in forma scenica? Ora che questa musica riscoperta è disponibile in cd, è finalmente possibile farla conoscere. La circolazione in un primo momento dovrebbe avvenire soprattutto nei grandi teatri del Sudamerica, poi chissà…il m° Palacio sta lavorando per questo.

"Atahualpa": Die Proganonisten der neuen Aufnahme - Arianna Ballotta, Ivan magri, Carlo Cigni/ Ministero de Cultura

„Atahualpa“: die Proganonisten der neuen Aufnahme – Arianna Ballotta, Ivan Magri, Carlo Cigni/ Ministero de Cultura

Come potremmo raccontare in due parole chi è Matteo Angeloni e qual è la sua formazione e la sua attività di musicista? Quali sono ora i suoi progetti? Sono diplomato al Conservatorio “G. Rossini” in pianoforte e in composizione; ho conseguito il Master in musica da camera all’Accademia Pianistica Internazionale “Incontri col Maestro” di Imola, con P.N. Masi, e mi sono inoltre perfezionato con l’Altenberg Trio Wien. Come pianista, compositore e orchestratore ho collaborato con istituzioni come la Fondazione Toscanini di Parma, Filarmonica Marchigiana, Macerata Opera Festival, Festival Internazionale “Da Bach a Bartòk”, Ente Concerti di Pesaro, Gioventù Musicale, Associazione Angelo Mariani di Ravenna, Theatre Na Strastnom di Mosca. Tra i miei lavori eseguiti, le Variazioni su un tema di Bartòk per orchestra (2009), Run (2012) per ensemble di 100 violoncelli (con Giovanni Sollima), Sinfonia degli arrivi – Azione rituale per orchestra (2014), rielaborazioni dell’ouverture della Battaglia di Legnano di Verdi e della Carmen di Bizet, e la versione integrale per trio dell’Histoire du Soldat di I. Stravinsky. In questo momento sto scrivendo un monodramma per soprano e quartetto d’archi, commissionato dall’Associazione Harmonia Novissima, ed è in corso un progetto di carattere nazionale in collaborazione con il CIDIM e le Edizioni Curci, per un’opera cameristica. (Das Gespräch entnahmen wir der italienischen website apemusicale.it mit großem Dank an Roberta Pedrotti.)

Abbildung oben: Luis Montero/ The Funeral of the Inca Atahualpa in the town of Cajamarca attended by Francisco Pizarro (c.1475-1541) (oil on canvas), Mexican School, (19th century) / Museo Colegio Militar Eloy Alfaro, Quito, Ecuador/ es.wikipedia.org

Milka Ternina

Milka Ternina (* 19. Oktober 1863 in VezišćeÖsterreich-Ungarn, heute Kroatien; † 26. Mai 1941 in ZagrebKroatien): Im Wagner-Jahr 2013 einer seiner größten Interpretinnen zu gedenken ist ja auch die Aufgabe eine Musikmagazins; und da nun zeitgleich in Zagreb eine neue Monographie der großen kroatischen Sängerin vorgestellt wurde (s. unten), gibt es hier einen Augenzeugenbericht, der sehr plastisch und außerordentlich eindringlich die Wirkung der Ternina namentlich als eben Wagner-Interpretin festhält: Alfred von Mensi-Klarbach. Er schildert in seinen Alt-Münchner Theater-Erinnerungen: 24 Bildnisse aus der Glanzzeit der Münchner Hofbühnen (München 1923)persönlich erlebte Eindrücke, die wir hier in Auszügen nachdrucken.

Ich glaube in mehr als vierzig Jahren so ziemlich alle Sängerinnen der Gegenwart und von Bedeutung gehört zu haben, aber bei keiner haben sich Wort, Ton und Bewegung in einigen ihrer Hauptrollen mir so fest und unvergesslich eingeprägt wie bei dieser vorbildlichen Künstlerin.

Als dieses hochgewachsene Mädchen mit den etwas slawischen Gesichtszügen, den schönen sprechenden Augen und seinem prachtvollen, intelligenten Profil in München erschien, wussten wohl nur wenige, wie und woher sie kam und welchen Bildungsgang sie hinter sich hatte. Sie war keine Deutsche und sprach und sang doch ein so musterhaftes Deutsch wie wenige neben ihr.

Am 19. Dezember 1863 war sie in Vezisce, einem kleinen Ort an der kroatischen Militärgrenze, also im damaligen Österreich-Ungarn, geboren, und Trnina wird ihr Name in ihrer Muttersprache geschrieben. Kroatisch sang und sprach die kleine Milka zuerst. Ihr Vater, ein Mühlen-  und Gutsbesitzer, starb früh, und sie kam in das Haus ihres Onkels, des Regierungsrates Janko Jurkovic, dessen Gattin später die treueste Begleiterin und Beschützerin der Sängerin auf ihren Weltfahrten werden sollte. Auch in München erinnert man sich wohl der beiden unzertrennlichen stattlichen Gestalten von Tante und Nichte. In dem Hause Jurkovic genoss Milka auch deutsche und Weltbildung, kurz die Erziehung einer jungen Dame der besten Gesellschaft. Hier kehrten auch berühmte Gesangsgrößen als stets willkommene Gäste ein. Von ihnen fühlte sich die junge Sängerin doppelt bei ihren frühen Gesangsstunden begeistert.

Mit sechzehn Jahren kam sie schon in die zweite, die Opernklasse des Wiener Konservatoriums und hatte das Glück, Gänsbacher zu ihrem Lehrer und Meister zu erhalten – die gediegenste Schule, die man sich nur wünschen konnte. In den Opernaufführungen des Konservatoriums und in Konzerten ließ sie sich zuerst hören, dann zunächst im Theater ihrer heimatlichen Hauptstadt Agram, wo sie, schon mit der südlichen Glut ihrer Landsleute gefeiert, mit allen Mitteln gehalten werden sollte. Aber zu ihrem Glück entschloss sie sich, doch nach Deutschland zu gehen. Denn deutsch, durch und durch deutsch, war ja ihre Kunst.

Sie folgte zunächst einem Rufe Stägemanns nach Leipzig, 1883, fand aber dort nicht den erhofften Wirkungskreis und ging ein Jahr später nach Graz, in dessen von jeher guten Oper sie die starke, erwünschte Beschäftigung, vornehmlich in den großen Wagnerpartien, fand, doch aber nur zwei Jahre blieb, um nach Deutschland zurückzukehren. Sie kam zunächst an das Bremer Stadtheater, und von dort folgte sie dem Rufe an das Münchner Hoftheater.

Ternina als Fidelio/HeiB

Ternina als Fidelio/HeiB

Hier erst konnte sie ihre volle Begabung entfalten: Von hier aus ging sie nach London, zweimal mit Damrosch, der eigentlich Wagner in Amerika popularisierte, an das Metropolitan Opera House nach New York, sang in Boston, Philadelphia, Washington und Baltimore, bei den Krönungsfeierlichkeiten in Moskau usw. Sie war nun längst eine berühmte Sängerin geworden, der die ganze Welt offen stand. Und worin lag der Reiz ihrer Stimme und ihrer Persönlichkeit? Wer ihn nicht erlebt, dem ist der ganze Zauber von beidem schwer fassbar zu machen, wie ja überhaupt jeder Kunstgenuss. Milka Terninas Stimme war ein großer Sopran bedeutenden Umfangs, trefflichster Bildung und Aussprache und vor allem von jener von vornherein überzeugenden inneren Wärme, die gerade den Sopranen, je höher sie sind, nicht allzu häufig zu eigen sein pflegt. Dazu gesellte sich aber eine so hinreißende, vornehme und überzeugende Darstellungskunst, dass selbst die schwächste Oper, in der die Ternina gesungen hat, nicht hätte durchfallen können. Ohne sich vorzudrängen, stand die Gestalt, der sie Verkörperung lieh, stets im Mittelpunkte des allgemeinen Interesses: Niemand konnte sich ihrem Bann je entziehen. Und was hat sie alles gesungen? Die erste Rolle, die sie sich selbst einstudierte, war die Elsa, die erste, in der sie im Wiener Konservatorium aufgetreten, die Leonore im Troubadour. Was sie aus dieser welschen Primadonnenrolle zu machen verstand, hat später München staunend erlebt, als sie diese mit Francesco d’Andrade als Partner und Graf Luna zusammen sang. Diese beiden Rollen sind gewissermassen die beiden Pole italienischer und deutscher Kunst, zwischen denen unzählige Darbietungen aus allen Opern und Stilgattungen liegen.

Milka Ternina sang neben der Elsa auch Ortrud, die Elisabeth, Senta, die Brünnhilde und Sieglinde, die Isolde und Kundry, die Primadonnen der italienischen und französichen Oper. Mit ihrer Ximene in Peter Cornelius’s köstlichem Cid, mit ihrer Dido in Berlioz‘ Trojanern sind diese wertvolle Opern aus den Speilplänen der deutschen Opern, wie es scheint, auf immer verschwunden. Freilich, wer könnte sich heute mit ihrem Andenken in diesen Rollen, mit ihrer wahrhaft antiken Größe messen!

Ternina als Wagners Elisabeth/IM

Ternina als Wagners Elisabeth/IM

Nur in zwei Rollen konnte man sich die Ternina nicht gut vorstellen – in zwei französischen: als Mignon und als Gounods Gretchen. Beide hat sie in ihrer Jugend gesungen; und über die letztere sagte sie einmal später, als sie in allen Ländern und Sprachen interviewt wurde, dass ihr dieses französische Gretchen innerlich ganz fremd geblieben sei, und dass wohl auch das Publikum derselben Meinung gewesen sein müsse, „denn man glaubte mir nicht dass ich so dumm sein könnte!“

Am höchsten standen aber ihr Fidelio und ihre Elisabeth. Als ersterer trat sie am 12. Juni 1890 ihr Münchner Engagement an. Schon körperlich durch ihre hohe, vornehme Erscheinung vorzüglich für diese Leonore geeignet, deren Seelenadel auch die ärmliche Verkleidung des Fidelio durchleuchtete, erschütterte sie alt und jung durch die große Arie und besonders in der Kerkerszene. Man muss ihren Aufschrei „Töt‘ erst sein Weib!“ und ihr „Nichts!“ bei ihrem Zusammenbrechen nachher gehört haben, um es nie mehr zu vergessen. Wie natürlich und ungezwungen wusste sie in den ersten Szenen allen Berührungen durch Marzelline und Rocco auszuweichen, welche diesen ihr wahres Geschlecht verraten hätten – stets in ihrer Männerrolle, während heute in dieser Oper, wie in anderen, Streicheln, Betasten und Umarmen zu einer solchen Unsitte geworden sind, dass man manchmal glauben könnte, man sein in einer Massageanstalt und nicht im Theater. Den Fidelio und die Brünnhilde hat Milka Ternina in einem der zahlreichen Interviews, denen sie als „Star“ überall ausgesetzt gewesen ist, auch als ihre Lieblingspartien bezeichnet.

So wie in ihrem Fidelio, so hat die Ternina auch in ihrer zweiten Lieblingsrolle, der Brünnhilde, durch ihr schöpferisches Genie ein Vorbild geschaffen, das höchtens in Therese Vogl eine Vorgängerin hatte, aber dem keine annähernd gleichwertige Erscheinung gefolgt ist. Es seien nur zwei Szenen hervorgehoben, weil sie nicht nur für die hohe Intelligenz der Künstlerin überaus bezeichnend, sondern auch deshalb und darüber hinaus interessant sind als ein Beweis, was für tiefe und unendlich reich ausdeutbare Gefühlswerte in dem Werke Wagners selbst verborgen sind und sich eben nur dem kongenialen Künstler oder im unserem Falle der Künstlerin enthüllen und dem Publikum, das im Stande ist, sie zu verstehen und ihr zu folgen.

Die längste und wohl auch schönste stumme Szene, die Wagner geschrieben, ist jene im dritten Akte des Siegfried, in der der jugendliche Held, nachdem er den Brünhildenfelsen trotz der wabernden Lohe erstiegen hat, Brünnhilde unter einer Esche schlafend findet und sie durch einen langen Kuss erweckt. Diese bedeutungsvolle Szene findet aber, vielleicht weil sie eine sogenannte stumme Szene ist, bei den Darstellerinnen der Brünnhilde wie bei den Regisseuren selten oder nie jene Beachtung, die sie mir zu verdienen scheint. Ich sehe sie seit vierzig Jahren alljährlich und habe wohl so ziemlich alle jetzt lebenden Brünnhilden, und ein paar verstorbene dazu, darin aufwachen gesehen. Ich sage dies nur, weil man mir dann vielleicht einige Berechtigungen zugestehen wird, in diesem Erweckungskapitel eine Meinung zu haben und zu äußern.

Ternina als Kundry an der Met/Wiki

Ternina als Kundry an der Met/Wiki

Auffassung und Spiel pflegen ja bei Wagner weniger als bei andern Tonkünstlern dem eigenen Ingenium des Darstellers überlassen zu bleiben. Es hat sich da bekanntlich eine feste Tradition herausgebildet – eine Tradition, die nicht einmal immer auf Wagner selbst zurückgeht, die aber, verstanden oder missverstanden, einmal da ist, die naturgemäß von aus Bayreuth aus behütet, manchmal auch dort erst geschaffen wurde, und gegen die jede Auflehnung von vornherein perhorresziert wurde. Brünnhildens Erwachen wurde von den in Bayreuth geeichten Brünnhilden genau so gespielt wie von den meisten anderen, nämlich meines Erachtens nicht so, wie es gespielt werden soll und wie es sich Wagner gedacht hat.

Wenn wir uns, wie wir ja sollten, nur an Wagner, und zwar natürlich an seine Partitur und an den Text seines Siegfried halten, so sinkt Siegfried nach den Worten „So saug‘ ich mir das Leben aus süßesten Lippen – sollt‘ ich auch sterbend vergeh’n!“ auf die Schlafende und heftet mit geschlossenen Augen seine Lippen auf ihren Mund. Von diesem Augenblick an nimmt eine zarte Begleitung, in der Bassklarinette und Cello die Führung übernehmen, das Wort, und es vergehen zwölf Takte, bis Brünnhilde die Augen aufschlägt. „Siegfried fährt auf und bleibt vor ihr stehen.“ So steht in der Partitur.

Gemacht wird die Sache anders. Er bleibt hinter oder neben ihrem Lager stehen, denn er hat nun nichts zu singen. Von dem Augenaufschlag Brünnhildens bis sie sich langsam zum Sitzen aufzurichten hat, zählen wir weitere sechs Takte, von da an bis zur großen Gebärde, mit der sie Himmel und Erde begrüßt, unter der ausdrucksvoll anschwellenden Begleitung des Orchesters, insbesondere der hinzutretenden Harfen, vergehen wieder ein paar Takte. Von hier an aber bis zum ersten Ruf „Heil dir Sonne!“ am Schluss dieser prachtvoll gesteigerten stummen, nur dem Orchester übertragenen Szene, sind gar noch zweiundzwanzig Takte. Vom ersten Augenblick des Kusses bis zum Heilruf vergehen im ganzen 44 Takte! Diese nun sind durch möglichst „geistreiches“ stummes Spiel auszufüllen.

als Brünnhilde mit Grane, mein Ross/IM

als Brünnhilde mit Grane, mein Ross/IM

Bei der einen sieht’s besser aus, bei der andern weniger, je nachdem, ob sie hübsch ist und schöne Arme hat. Fast alle aber wachen auf wie aus einem Nachmittagschläfchen und bringen vor allem ihre Toilette in Ordnung.

Ternina als Isolde/IM

Ternina als Isolde/IM

In Wahrheit handelt es sich aber um einen etwa auf zwei Jahrzehnte zu veranschlagenden tiefen Schlaf – Siegfried musste ja inzwischen erst geboren werden und erwachsen sein -, also um eine große Sache; um eine tiefen Schlaf, in den Wotan sein Lieblingskind versenkt hat und aus dem sie nicht mehr als solches, sondern als wissendes Weib erwachen soll. Man denke sich ein solches  Wiedersehen von Sonne und Welt!

als Walküre in München/IM

als Walküre in München/IM

Von alledem ist in dieser großartigen Szene, in Spiel und Mienen unserer Brünnhilden leider wenig zu finden. Es ist ja allerdings nicht leicht, 44 Takte durch stummes Spiel schön, wahrhaftig und zugleich sich steigernd auszufüllen; aber es ist möglich. Das zeigte uns und dem Publikum beider Erdteile seinerzeit Milka Ternina. Sie spielte die Szene des Erwachens so, als ob Siegfrieds Kuss wirklich die jahrelange Erstarrung ihres Körpers erst langsam, ganz langsam löse. Die Augen öffneten sich langsam und staunend, der Körper war noch erstarrt, noch konnte er sich nicht heben; langsam kam Leben in ihn, und zwar, wie es ja natürlich ist, von oben nach unten; vom Haupt und Herzen aus. Langsam richtete sich der Oberkörper, wie magnetisch von Siegrieds Blicken angezogen, auf, die Arme breiteten sich langsam, wie erst versuchend, aus, und erst viel später und ganz zuletzt, aber gewiss absichtlich, als natürlicherweise die Zuschauer dieses prachtvoll gesteigerten Spieles auf diese nebensächliche Bewegung nicht achteten, ließ die große Künstlerin die nun ebenfalls aus der Erstarrung gelösten Beine, mit ihnen das Gewand, zu Boden gleiten: sie saß; alles Ästhetisch-Unschöne war vermieden. Eines folgte natürlich aus dem anderen, Brünnhilde war nun ganz zum Leben erwacht und  gleichzeitig  war in der Musik wie in der Bewegung der Höhepunkt der Steigerung erreicht. Kein Wunder, dass diese Szene, so gespielt, noch bevor die Sängerin auch nur einen Ton gesungen, einen großartigen Eindruck zurückließ – auch bei denen, die sich keine Rechenschaft geben konnten, warum. So soll es auch sein, so muss der Meister es sich gedacht haben.

Seit Jahren, wenn ich Brünnhildens Erwachen sehen, kämpfe ich mit diesen schönen Erinnerungen. Sie hätten mich vielleicht längst treulos verlassen, wenn sie nur ein einziges Mal durch etwas Ähnliches oder gar Besseres ausgelöscht worden wären. Umsonst, ich warte heute noch darauf, oder vielmehr ich warte längst nicht mehr. Aber ich möchte sie heute hier festhalten für jene immer kleiner werdende Schar, die sie mit mir teilt und – wenn es nicht zu optimistisch wäre – für jene weit größere, der sie vielleicht von einigem Nutzen sein könnte. Die andere Szene ist jene des zweiten Aufzugs in der „Götterdämmerung“, in der die über den vermeintlichen Verrat Siegfrieds empörte Brünnhilde Hagen das Geheimnis von dessen Verwundbarkeit im Rücken verrät.  Die Brünnhilde Terninas sang diese verräterischen Worte wie halb unbewusst vor sich hin und zuckte zusammen, als Hagen darauf lauter antwortet: „Und dort trifft ihn mein Speer!“ – gleich als ob sie erst jetzt dessen inne werde, was sie gesagt hat. Das ist ein psychologisch sehr fein und weiblich empfundener Zug, der darum noch nicht mit ihrer bald darauf losbrechenden Empörung gegen Gunther und mit ihrem Einstimmen in dessen Ruf „Siegfried falle!“ in Widerspruch zu kommen braucht.

Mit Puccini hatte sie 1900 in London noch seine Tosca kreiert, nachdem sie schon 1898 dort zuerst in einem Konzert aufgetreten war und zwei Jahre vorher innerhalb zehn Tagen die Isolde einstudiert hatte, die Conried für das Metropolitan Opera House angekündigt hatte. In Bayreuth hatte ihre Kundry alle Welt entzückt. Bei den Münchener Festspielen des Prinzregenten-Theaters im August 1906 hörte man noch ihre Sieglinde, ahnungslos, dass es das letzte Mal sein sollte. Ohne Abschiedsfeier trat die in beiden Hemisphären gefeierte Sängerin und vorbildliche Darstellerin, insbesondere Wagnerscher Frauengestalten von der Bühne ab.

Sie ging ein paar Jahre als Gesangslehrerin nach Amerika, an das Damrosch-Konservatorium, nach Berlin, Wien, und lebt jetzt in Agram, verehrt, geliebt und gefeiert, wo sie sich vor ihren Landsleuten, die einen der prachtvollen Wasserfälle, der sich vom Kozjak nach Milanovac ergießt, nach ihr benannt haben, sehen und mitunter auch wohl hören lässt. Als die dort vor 25 Jahren zum ersten Mal als gefeierte internationale Gesangsgröße zurückgekehrt war, überschüttete man sie mit Ehren und Geschenken aller Art. Nach der Gastvorstellung der Elisabeth spannte man ihr die Pferde aus, und die elegantesten Herren der Stadt zogen den Wagen ins Hotel, vor welchem sich eine erdrückende Menschenmenge gestaut hatte, die keine Ruhe gab, bis sich die vergötterte Ternina auf dem Balkon wiederholt gezeigt hatte. Zum Andenken an diesen Tag hat jetzt die kroatische Zeitschrift Novi Illustrovani Dom i Svijeti eine eigene Ternina-Nummer herausgegeben, die neben einer biographischen Würdigung zahlreiche Bildnisse der Gefeierten enthält.

Milka Ternina hat wohl auch einige Schülerinnen ausgebildet, denen sie, s wie immer, alles geben konnte außer ihrer einzigartigen Individualität, denn diese bleibt eben unübertragbar und unersetzlich. Trotzdem ist es sehr zu beklagen, dass man sich in München, und überhaupt in Deutschland, nicht rechtzeitig dieser hervorragenden Lehrkraft für eine Akademie versichert hat. Wie fruchtbar hätte ihre Gesangs- und besonders ihre Vortragskunst für diese und für die Oper werden können. Nicht minder ist es zu bedauern, dass die so hochgebildete, sprachmächtige Künstlerin, die wie ihre Freunde wissen, die Feder so gewandt zu führen weis, ihre reichen Erlebnisse und Erfahrungen im deutschen, englischen und amerikanischen Kunstleben nicht in einem Buche niedergelegt hat. Es wäre ein Buch von höchst persönlichem Reiz, voll künstlerischen Ernstes wie gewiss auch voll Humor geworden.

Aus: Alfred von Mensi-Klarbach: Alt-Münchner Theater-Erinnerungen. 24 Bildnisse aus der Glanzzeit der Münchner Hofbühnen. München: Knorr & Hirth 1923. 153 S., Fotos

Neu: Milka Trnina (in kroatischer Sprache; Hersg. Zdenka Weber mit Beiträgen von Marija Barbieri, Christa Höller, Lidija Ivančević Španiček, Ivan Mirnik, Antun Petrušić, Ivana Posavec Krivec, Nada Premerl, Zdenka Weber), Verlag Gemeinde Kriz/Zagreb 2013, Zahvaljujemo na suradnji Muzeju grada Zagreba, ISBN 978-953-96371-4-7

Leben in zwei Welten

 

Gar nicht so schnell mit dem Lesen mit kommt man, wenn man alle in jüngerer Zeit erschienenen Biographien von Dirigenten zur Kenntnis nehmen möchte, denn was mit Kurt Sanderling begann setzte sich fort mit Riccardo Muti (speziell über das Verhältnis zu Verdi), mit Christian Thielemann (speziell über Wagner), Marek Janowski, Kent Nagano, Riccardo Chailly und schließlich ganz frisch mit Michail Jurowski, dessen „Erinnerungen“, notiert von Michael Ernst, unter dem Titel „Dirigent und Kosmopolit“ im Henschel-Verlag erschienen sind.

jurowski henschelMeistens haben aktive Dirigenten nicht die Muße, ihre Erinnerungen selbst zu schreiben, oft ist ihre Muttersprache nicht die der potentiellen Leser und des erfolgversprechendsten Marktes, so dass in der Zusammenarbeit oft mit einem Journalisten ein Frage- und Antwortspiel entsteht oder auch eine Lebens- und Karriereerzählung oder ein -bericht. Das hat den Vorteil, dass der Komponist nicht in Eigenlob verfallen und damit wenig sympathisch erscheinen muss und trotzdem seine Vorzüge ins rechte Licht gesetzt werden. Eine Art Mischform stellt das vorliegende Buch dar, indem in den erzählenden Text Zitate von Michail Jurowski eingestreut sind, was nicht selten dazu führt, das nuancierter noch einmal das wiederholt wird, was bereits geschrieben wurde. Generell fällt an dem wegen seines Faktenreichtums und wegen der authentischen Äußerungen interessanten Buches auf, dass der Autor sich häufig wiederholt, so wenn

es um die persönliche Beziehung Jurowskis zu Schostakowitsch geht, dem bereits das Vorwort gilt, um die Betonung des engen Zusammenhalts der Familie oder um die Beteuerung, der Dirigent strebe nicht an, die Kompositionen seines Vaters dem Vergessen zu entreißen. Der retardierende Charakter vieler Passagen erweckt den Eindruck, dem Autor sei der Stoff ausgegangen, was eigentlich bei dem bewegten Leben und der glanzvollen Karriere seines „Helden“ nicht der Fall sein dürfte. Dessen Stil ist dann auch sehr viel frischer und energischer als der seines „Erzählers“, auch wenn man manches nicht recht nachvollziehen kann wie eine Äußerung über Schostakowitsch: “Diese phänomenale , nicht nur an Beethoven angelehnte, sondern auch Bruckner’sche Idee, multipliziert mit der Persönlichkeit Schostakowitschs, die führt uns bis heute.“ (Orthographie des Originals) Ob anmaßend oder rührend ein Satz wie „Ich glaube einfach, dass ein Teil seines Geistes bei mir geblieben ist“, ist, mag der Leser selbst entscheiden, kann auf keinen Fall aber Jurowski vorwerfen, er habe an einem vorsichtig kalkulierenden, es jedem recht machen wollenden Werk mitgewirkt. Diesen Eindruck erweckt eher der Michael Ernst zuzuordnende Teil allein schon wegen der vielen Konjunktive, die zwar korrekt, aber auch Distanz herstellend sind. Ob manche stilistische Eigenarten des Textes wie „umtriebiger Maestro“, „als würde man ein Rennpferd unablässig angebunden halten“ oder „stattliche Bärenhaftigkeit“ dem Dirigenten gerecht werden, mag dahin gestellt sein.

Das Buch enthält viele Fotos, besonders auch der Familie, die zugleich, wie im letzten Kapitel betont wird, eine Dynastie von Musikern bildet, was eine letzte Bestätigung durch die noch ganz frische Berufung von Vladimir Jurowski zum Chefdirigenten des RSB erhält. Es ist im wesentlichen chronologisch gegliedert und da besonders interessant, wo es die Umstände schildert, unter denen jüdische Künstler in Russland bzw. der Sowjetunion leben mussten, so wenn der Großvater als Dreijähriger bei einem Pogrom aus dem Fenster geworfen und nur durch einen Hund gerettet wurde oder Jurowski selbst sich „als Jude weggeschmissen“ fühlte, aber eher wegen der Zukunft seiner Kinder als der eigenen 1990 in die Bundesrepublik übersiedelte.

Voraus geht eine Darstellung von Kindheit und Jugend, durch viele Krankheiten geprägt, der Studienzeit, von Enttäuschungen durch falsche Freunde, Einschränkungen durch die Politik wie die, an der KO nur Ballett dirigieren zu dürfen, aber auch die Darstellung glücklicher Epochen wie die Arbeit mit Zimmermann in Leipzig. Orchester werden charakterisiert wie die aufstiegsunwilligen Herforder oder die herzlichen Orchestermitglieder aus Norrköping, die es sogar schafften, dass eine „Schulklasse atemlos in der Generalprobe“ saß.

Viel lesenswerter als Gemeinplätze wie „Die Musik, das sind für ihn Werte, deren Summe unvergleichlich schwerer wiegt als die Tagespolitik“ oder den Vergleich zwischen Bach- und Jurowski-Dynastie sind Ausführungen wie die über den Ersatz der Oboe durch die Klarinette in einem Musikstück Schostakowitschs mit einem Zitat aus „Wilhelm Tell“ oder über das Schostakowitsch-Festival in Gohrisch. Ein Zeittafel, eine Diskographie, ein Bildnachweis und ein Personenregister beschließen das 208 Seiten umfassende Buch (ISBN 978-3-89487-781-1). Ingrid Wanja

 

barshai wolke verlagMusik unter BewachungRudolf Barschai Leben in zwei Welten – Moskaus goldene Ära und Emigration in den Westen: Im Gedenken an den einen Monat zuvor verstorbenen Hans Werner Henze und den zwei Jahre zuvor verstorbenen Rudolf Barschai (Foto oben svt.se) fand Ende November 2012 das Konzert in der Frauenkirche der Sächsischen Staatskapelle statt , bei dem Henzes Requiem und Barschais Bearbeitung von Bachs Kunst der Fuge auf dem Programm standen. Wenige Wochen nach der Fertigstellung der Kammerorchesterfassung der ihn lange beschäftigenden Kunst der Fuge war Barschai am 2.11.2010 in seinem letzten Wohnort in der Schweiz gestorben. Zu seinem Debüt bei der Dresdner Staatskapelle mit der Instrumentierung von Schostakowitschs achtem Streichquartett, das der Komponist als Kammersinfonie op. 110a ins einen Werkkatalog übernommen hatte, war es nicht mehr gekommen. Es war damals naturgemäß bereits etwas ruhig um den Geiger und Dirigenten Barschai geworden, der Mitte der 50er Jahre das Moskauer Kammerorchester gegründet hatte, mit welchem vor allem in den 70er Jahren zur festen Größe in den Konzertzyklen deutscher Städte geworden war. Das freilich ist nur Seite des vielseitigen Musikers, dessen Auftritte, „keine Ego-Show waren, sondern die Musik von Innen heraus zum Leuchten und zum Sprechen brachten“, wie Bernd Feuchtner im Nachruf auf Barschai schrieb. Nun hat Bernd Feuchtner, der Barschai am Rande der Aufführung von Schostakowitschs Leningrader-Symphonie 1991 in Leipzig kennen gelernt hatte, Barschais Erinnerungen „aufgezeichnet und herausgegeben“. Er hatte Barschai auch begleitet, als er erstmals nach seiner Emigration wieder nach Russland zurückkehrte und in Moskau Missa Solemnis und Mahlers Neunte dirigierte. Dennoch hätte man im Vorwort, in dem Feuchtner auf wenigen Seiten eine kleine Kulturgeschichte der sowjetischen Musikgeschichte im 20. Jahrhundert entwirft, ihrer Interpreten, Aufführungen, Einflüsse und Aufnahmen („Weniges erschien auf CD, das meiste ist verschollen“), ein wenig mehr über die Entstehung des Buches erfahren. Feuchtner hält sich in seiner verdienstvollen Ausgabe diskret zurück und überlässt Barschai das Podium. Auf diese Weise entsteht durch diese in Ich-Form geschriebenen Erinnerungen ein Panorama des russisch-sowjetischen Musiklebens, das von der Freiheit und Offenheit im ausgehenden 19. Jahrhundert über die Formalismus-Debatten und die schändlichen Demütigungen, die Komponisten wie Schostakowitsch und Prokofjew erdulden mussten, bis in die Gegenwart reicht, ein von Fakten und Bezügen nahezu überquellendes Buch, das den Erinnerungen Piatigorskys, Rubinsteins, Richters oder der Wischnewskaja vergleichbar ist bzw. diese abrundet und ergänzt. Barschai ist kein amüsanter und origineller Schreiber. Der Stil ist nüchtern, karg und ein wenig ungelenk, fesselt mehr durch Ernsthaftigkeit als Erzählkunst. Die großen Namen sind allgegenwärtig, Schostakowitsch, mit dem Barschai bis zu dessen Tod eng befreundet war, doch auch die Komponisten Weinberg, Bunin, Lokschin, die Geiger Oistrach und Kogan, die Pianisten Richter, Berman, Gilels, die Nikolajewa und Judina, usw. Traditionslinien, die durch Lehrer, wie den eminenten Leopold Auer von Joseph Joachim bis Heifetz, Elman und Milstein reichen, oder die Pädagogen Neuhaus und Goldenweiser, die enge Verbindung der russischen Musikkultur mit der deutschen Musik, die Entdeckung der Kammermusik durch erste westliche Gastspiele, die Information, die trotz des Eisernen Vorhangs mittels Schallplatten funktionierte („Von Platten kannte man in Russland I Virtuosi di Roma, I Musici di Roma, Solisti di Zagreb und eben das Münchner Kammerorchester von Wilhelm Stross“), die von Verboten, Repressalien und Einwänden gesteuerte Willkür des Kulturministerium als ein Reigen – wäre es nicht so tragisch – gogolhafter Szenen, von Künstlern, die sich andienten und anderen, die von einem Tag auf den anderen aus ihrem Amt geworfen wurde, wie der Bolschoi-Chef Nicolai Golovanov, der es gewagt hatte die Mezzosopranistin und Stalin-Freundin Vera Dawydowa auf einer Probe zu fragen, „Warum heulen Sie wie ein Wölfin?“. Abschied, Emigration, Rückkehr nach Moskau („Ich fand es grauer als vorher. Es war mir unbekannt geworden“). Manches ist fast komisch, wie der Besuch Menuhins in Moskau, der nun unbedingt Barschai zuhause besuchen wollte, während dieser Ausflüchte erfand, um den berühmten Gast nicht in die beengte Kommunalwohnung führen zu müssen, wie denn alle Ereignisse um Auslandsgastspiele, Reiseformalitäten und die Begleitung durch die allgegenwärtigen Spitzel durchwegs groteske Züge annehmen. Dann die Emigration und die großen Stationen im Westen als Leiter des Israeli Chamber Orchestra und der Orchester in Vancouver und Bournemouth sowie Gast bei zahlreichen internationalen Orchestern. Wichtig vor allem aber ist der erste Teil, „Moskaus goldene Ära“, deren musikalischer Reichtum nochmals nachdrücklich ins Bewusstsein gerufen wird (Rudolf Barschai, Leben in zwei Welten. Moskaus goldene Ära und Emigration in den Westen. Hrsg. Bernd Feuchtner, Wolke Verlag, 280 Seiten, ISBN 978-3-95593-066-0). Rolf Fath

 

Giacomo Meyerbeers „Vasco da Gama“

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Ungeteilten Beifall gab es nicht an der Deutschen Oper Berlin, als nun die zweite Folge der dortigen Meyerberer-Hommage am 4. Oktober 2015 zu sehen war. Zu viel Widerspruch regte sich wegen der Arme-Leute-Produktion, die dem Stück in den Augen vieler Würde und Nachdruck nahm – so die recht einhellige Stimme der Krtik und auch die unseres Rezensenten Bernd Hoppe. Mit Ikea-Optik und klebrig-spießiger Herangehensweise ist dieser absolut großbürgerlichen Oper nicht beizukommen. Dankenswerter Weise hatte sich die Deutsche Oper Berlin entschlossen, im Rahmen ihrer Meyerbeer-Hommagen 2015 (begonnen mit Dinorah konzertant und einem spannenden Symposium zu Beginn des Jahres 2015, das soeben in gedruckter Form bei der Deutschen Oper Berlin vorliegt) der Meyerbeer-Forschung zu folgen und nach Chemnitz 2013 (die cpo-Aufnahme ist die Studio-Einspielung des Ereignisses) die Neu- bzw. rekonstruierte Erstfassung, als Vasco da Gama, im Oktober 2015 aufzuführen.

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Meyerbeers "Vasco da Gama" an der DOB/ Szene/ Foto Stoeß

Meyerbeers „Vasco da Gama“ an der DOB/ Szene/ Foto Stoeß

Zuerst also die Aufführungskritik des Premierenabends. Verunglückter Auftakt mit Vasco da Gama: Nach Dinorah konzertant in der Berliner Philharmonie folgte nun am 4. Oktober in der Bismarckstraße mit Vasco da Gama die szenische Produktion im Rahmen des geplanten dreiteiligen Meyerbeer-Zyklus, der in den nächsten beiden Spielzeiten mit Les Huguenots und Le Prophète fortgesetzt werden soll. Das Werk ist unter dem Titel L’Africaine (in der von Fétis besorgten Uraufführung 1865 in Paris) bekannter, wenngleich selten gespielt. 2013 erwarb sich die Oper Chemnitz das Verdienst, die Urfassung des Stückes unter dem von Meyerbeer geplanten und selbst gewählten Titel in einer kritischen Edition von Jürgen Maehder herausgebracht zu haben.

Wenn Vera Nemirova eine Grand Opéra inszeniert, darf man den opulenten Pomp, die spektakulären szenischen Effekte und den exotischen Zauber dieses Genres nicht erwarten. Dass ihre Neuproduktion des Vasco in der Ausstattung von Jens Kilian/Bühne und Marie-Thérèse Jossen/Kostüme aber derart nüchtern, unsinnlich  und atmosphärelos geriet, enttäuschte freilich doch. Das Hauptproblem ist, dass die Regisseurin und ihre Mitarbeiterin Sonja Nemirova sich hinsichtlich des Stils nicht entscheiden konnten und einen Mix aus statuarischem Rampensingen, aufgesetzt wirkender aktueller Flüchtlingsproblematik und pseudo-exotischem Touristenkitsch präsentieren.

Meyerbeers "Vasco da Gama" an der DOB/ Szene/ Foito Stoeß

Meyerbeers „Vasco da Gama“ an der DOB/ Szene/ Foto Stoeß

Vor allem der erste Akt misslingt gänzlich mit seiner spartanischen Szenerie, die beherrscht wird von einer schwarzen, aufgestellten Weltkarte, auf der mit Kreide die Kontinente  nach dem Kenntnisstand der Zeit eingezeichnet sind und die auch als Spielfläche oder Verhandlungstisch herunter geklappt werden kann. Zu einer Kuppel verbinden sich dahinter mehrere Segelelemente – wenn sie in verschieden Farben aufleuchten oder schillernde Wellen reflektieren, ist das einer der wenigen wirkungsvollen Effekte des Abends. Weitaus weniger kann man sich mit dem Holzgestänge anfreunden, das beim Drehen der Segel auf deren Rückseite sichtbar wird. In der Eingangsszene agiert Ines in einem weißen Matrosenkleid an der Rampe, umgeben von weißen – aus Papier gefalteten – Schiffchen, die als Metapher für Sehnsucht und Hoffnung bis zum Schluss beibehalten, aber auch als Zufluchtsort für die Tochter des portugiesischen Admirals Don Diego oder als Kerker für den Titelhelden genutzt werden. Geradezu peinlich (in einer Grand Opéra!) sind zwei Öffnungen in der Weltkarte, die als Einstiegsluken oder Fenster für die Protagonisten dienen, was ihren Auftritten jegliche Größe nimmt und sie nachhaltig diskreditiert. Der Portugiesische Kronrat in der zweiten Szene zeigt deren Vertreter in heutigen Business-Anzügen, auch die im Regietheater gern und häufig verwendeten Requisiten – Mäntel, Brillen, Koffer – fehlen nicht. Tief in die Kitschkiste greifen die Damen Nemirowa schon im 2. Akt, wenn sie mit dem Frauenchor in schwarz-weiß karierten Kleidchen und rosa Hütchen eine Cocktailparty inszenieren (John Dew grüßt), während die Matrosen Flaschen drehen und Inès als Braut für die Hochzeit mit Don Pedro vor einem Altar mit Kerzen, Blumen und Banner eingekleidet wird. Noch ärger sind die Vorgänge im 3. Akt auf dem von Don Pedro geleiteten Expeditionsschiff, wo eine als Nonne verkleidete Hure in Strapsen, roten Strümpfen und Pumps von den Männern entblößt und vergewaltigt wird. Einen derart peinlichen und spießigen Einfall hätte man in einer heutigen Inszenierung nicht für möglich gehalten. Wenn danach der von flackernden Lichtern illustrierte Sturm einsetzt und indische Piraten das Schiff erobern – gezeigt als IS-Kämpfer, die mit Maschinengewehren die Seeleute niedermetzeln –, erreicht der Unmut des Premierenpublikums (4. 10.) seinen Höhepunkt.

Meyerbeers "Vasco da Gama" an der DOB/ Szene/ Foito Stoeß

Meyerbeers „Vasco da Gama“ an der DOB/ Szene/ Foto Stoeß

Im letzten Teil eskaliert der Kitsch bei der Hindu-Hochzeit von Selica und Vasco mit einer Liebesstatt aus roten Blüten, die einer mit Tomate belegten Pizza oder einem Bruschetta-Cracker irritierend ähnlich sieht. Elefantenköpfe, orangefarbene Girlanden und ein exotischer Shiva-Tanz sind die Zugaben, „gekrönt“ von einem in das Blütenbett projizierten Softporno. Nach Selicas Todeshalluzinationen unter dem giftigen Manzanillobaum, für den es keine szenische Entsprechung gibt, sieht man noch einmal das Volk (mit Frauen in Kopftüchern), das die Papierschiffchen vor sich her trägt, und einen durch die Szene geisternden Vasco mit seiner Landkarte unter dem Arm.

Auch musikalisch war der Abend zwiespältig. Enrique Mazzola, ein Rossini-Spezialist und in Pesaro eine Größe, arbeitete mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin die Belcanto-Elemente der Komposition deutlich heraus, ließ ihr schwelgerisches Melos und die orchestrale grandeur aufleuchten, schuf Momente wehmütiger Zartheit, flirrender Impressionismen und düsterer Farben. Vielleicht waren, vor allem im ersten Teil, einige Tempi etwas breit, was die Rezeption manch langer und spröder (eben nicht inszenierter Bühnen-)Passage des Werkes nicht kurzweiliger machte. Glanzvoll wie stets sang der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: William Spaulding).

Probenbild zu „Vasco da Gama“ an der Deutschen Oper Berlin mit Roberto Alagna/ Foto Stöß

Roberto Alagna, der in der Titelrolle debütierte, ließ sich wegen eines grippalen Infektes entschuldigen. Die Indisposition war fast durchgängig spürbar im strapazierten Klang der Stimme und den gefährdeten Höhen. Aber er sang ohne Schonung mit durchschlagskräftigem Ton und patriotischem Elan und vor allem mit exemplarischer Diktion. Eklatant wirkte sich seine Verfassung bei den lyrischen Stellen aus, in denen das Timbre besonders gequält klang. Auch die berühmte Arie (hier nun als „Oh paradis!“ und nicht als  originales „Oh doux climat!“) gelang ihm nicht. Danach aber, als wäre der Druck von ihm genommen, hörte man einige bemerkenswerte Klänge von tenoraler Pracht, und auch das Duett mit Selica darf man zu den vokalen Höhepunkten der Aufführung zählen. Sophie Koch gab ihr Debüt in dieser Rolle, die ihr in der Tessitura eine Spur zu hoch liegt und im Charakter zu dramatisch für die lyrische Mezzosopranistin ist. Das Zierwerk der berühmten Arie zu formen, fiel ihr deutlich schwer. Und leider verfügt sie nicht über die exotische und sinnliche Aura für die indische Königin, die bei ihr zu schlicht bleibt. In der großen Schluss-Szene hörte man einige leidenschaftlich flammende Töne und den nötigen trancehaften Ausdruck, so dass ihr am Ende der uneingeschränkte Jubel des Publikums gebührte. Erschrocken war man über die stimmliche Verfassung von Nino Machaidze als Ines, die noch vor einigen Jahren in Salzburg als Gounods Juliette bezaubert hatte. Der Sopran klang nun verhärtet und abgesungen, in der Höhe scharf und grell und zudem fast durchgehend wortunverständlich, nur in einigen lyrischen Passagen sowie im piano angenehm. So war es dem Ensemblemitglied Markus Brück als Nelusco vorbehalten, den größten Erfolg der Premiere zu erringen. Mit markantem Timbre, auftrumpfender Attacke und oft grimmigem Ausdruck formte er einen plastischen Charakter und vermittelte glaubwürdig – und zudem bei bestem Französisch – die inneren Konflikte dieses liebenden Mannes und religiösen Fanatikers. Und auch Seth Carico als sehr präsenter, spielfreudiger Don Pedro muss erwähnt werden, ebenso Clemens Bieber/ Don Alvar und Albert Pesendorfer/ Oberpriester.  Die Zuschauer feierten am Ende alle Interpreten herzlich – nicht ohne Zeichen der mentalen Erschöpfung nach der fünfstündigen Aufführung. Bernd Hoppe

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Aus diesem Anlass im Folgenden auch verschiedene Texte zur Berliner Aufführungsserie 2015, angefangen mit einem Interview mit dem Dirigenten Enrique Mazzola, der bereits die Dinorah in der Berliner Philharmonie leitete. Die DOB und ihr Chefdramaturg Jörg Königsdorf waren so freundlich, uns das Interview, das er für das Programmheft zum Vasco führte, zu überlassen. Im Anschluss findet sich ein Text von Boris Kehrmann  im Gespräch mit dem Dirigenten Frank Beermann anlässlich der Chemnitzer Uraufführung 2013 (mit Dank an die Zeitschrift Opernwelt). G. H.

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"Vasco da Gama": der Dirigent an der DOB, Enrique Mazzola/ Foto Martin Sigmund/ DOB

„Vasco da Gama“: der Dirigent an der DOB, Enrique Mazzola/ Foto Martin Sigmund/ DOB

Maestro Mazzola, Meyerbeers 1865 uraufgeführte letzte Oper steht in einem Umfeld von musikalischen Giganten: Fast zeitgleich erlebt Wagners „Tristan“ seine Premiere, Verdi schreibt am „Don Carlo“ und Berlioz an den „Troyens“. Welche Stellung bezieht Meyerbeer hier mit „Vasco da Gama“? Das Besondere an Meyerbeer ist, dass er mitten im Zentrum dieser Entwicklungen steht.  In seinen Opern gibt es Verbindungslinien zu allen damals wichtigen musikalischen Stilen. Das liegt natürlich vor allem an seiner biografischen Prägung, seiner deutsche Erziehung und seinem Leben in Paris, das zu dieser Zeit das Herz der musikalischen Welt war. Ein ganz wesentlicher Punkt für mich ist jedoch auch, dass  Meyerbeer das Erbe Rossinis angetreten hat und genau dort weitermachte, wo Rossini aufhörte. Oft wird ja Rossinis „Guillaume Tell“ als erste Grand Opéra bezeichnet, aber musikalisch ist sie das noch nicht. Rossini blieb im Grunde dem klassischen Belcanto verhaftet und hat sich vielleicht auch deshalb von der Oper zurückgezogen, weil er die sich abzeichnende Dramatisierung dieser Kunstform nicht mitmachen wollte. Und genau dort setzt Meyerbeer an und erfindet gewissermaßen  die Grand Opéra. Er beherrscht den Belcanto-Stil Rossini’scher Prägung, aber fügt der horizontalen, an der melodischen Linie entlang orientierten Denkweise des Belcanto das vertikale Denken in Harmonien hinzu, das Erbe der Wiener Klassiker. Und diese Kombination wendet er dann auf die große französische Theatertradition mit ihren fünfaktigen, opulenten Musikdramen an. Für mich ist Meyerbeer damit der erste europäische romantische Komponist.

Einer von Meyerbeers engsten Jugendfreunden  war Carl Maria von Weber, der erste große deutsche Komponist der Romantik. Würden Sie Meyerbeer ebenfalls als Romantiker bezeichnen? Aber sicher. Meyerbeer schwimmt mitten im romantischen Strom.  In seinen Opern öffnet er den Weg zu einer Neuformulierung des gesungenen Gefühls. Die Menschen seiner Zeit waren unzufrieden geworden mit der belcantistischen Musiksprache, die Gefühle über Koloraturen und Verzierungen ausdrückte. Sie brauchten einen stärkeren Gefühlsausdruck im Lyrischen wie im Dramatischen – und den lieferte ihnen Meyerbeer. Er hatte den Schlüssel, die großen romantischen Gefühle freizulassen.  Es war klar, dass sich mit dieser expressiven Entwicklung auch die Rolle des Orchesters ändern musste und dieses nicht mehr, wie im klassischen Belcanto, auf Begleitfiguren und Wiederholungen bestimmter rhythmischer Segmente beschränkt war. Das Orchester bei Meyerbeer wird zum lebenden Organismus, zum Spiegel und zum Kommentator des Geschehens. Einen ganz besonderen Punkt bei Meyerbeers Einsatz von Orchesterfarben dürfen wir allerdings nicht vergessen: das Folkloristische. Er liebt es, uns kleine Porträts einzelner Gruppen zu geben, die in einer jeweils ganz besonderen Koloristik ausgeführt sind: Nehmen Sie nur den dritten Akt von „Vasco“: Die Matelots oder auch der Auftritt der Piraten, wo Meyerbeer das Vokabular des Exotismus  für sich adaptiert. Es gehört ganz essenziell zu Meyerbeers Matrix als Komponist, dass er sich von solchen Klangwelten inspirieren lässt, Einflüsse und Moden aufgreift und sie in seine Sprache integriert.

Bühnenbild zur "Africaine"/OBA

„Vasco da Gama“: Bühnenbild zur „Africaine“/OBA

Bei Vasco da Gama, dessen endgültige Gestalt Meyerbeer nicht mehr bestimmen konnte, stellt sich insbesondere die Frage nach dem Umgang mit dem jetzt endlich vorliegenden Material aus seiner Hand – sprich: Wie gehen Sie mit Strichen um? Für jedes Stück sind Striche eine Gefahr. Aber Vasco da Gama ist eine sehr lange Oper und wir müssen sehen, dass die Sänger das durchhalten. An dieser Stelle möchte ich etwas ganz Grundsätzliches über Striche in Opern sagen. Die neuen kritischen Editionen, die mittlerweile von vielen Werken erhältlich sind, stellen eine große Versuchung dar. Man denkt automatisch: Das ist das reine Manuskript, also der Wille des Komponisten, und das muss alles präsentiert werden. Aber das stimmt für einen großen Teil der Opernliteratur des 19. Jahrhunderts nicht. Jeder wusste, dass die vorliegende Partitur ein Grundmaterial war, das den jeweiligen Umständen und Möglichkeiten einer Aufführung angepasst werden musste. Meyerbeer selbst hat das ja in allen seinen Opern immer wieder getan. Striche waren in dieser Zeit Teil der Aufführungspraxis. Das galt übrigens nicht nur für Meyerbeer, sondern auch für Wagner: In der Bibliothek meiner Familie gibt es viele alte Ausgaben von Wagner-Werken aus den 1890er Jahren – und da finden Sie eine Menge Striche! Unsere Vorfahren hatten damit auch überhaupt kein Problem. Ich nutze für meine Aufführungen immer gute quellenkritische Werkausgaben, aber ich möchte selbst entscheiden, was für eine Produktion wichtig ist. Also: Kein Dogmatismus! Wir müssen stattdessen das Ziel der Oper im Auge behalten, Charaktere und Handlung möglichst überzeugend zur Geltung kommen zu lassen. (Das Gespräch führte Jörg Königsdorf)

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Meyerbeers Grab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin/Foto Winter

Meyerbeers Grab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin/Foto Winter

Dazu auch Auszüge aus dem Artikel von Boris Kehrmann zur Chemnitzer Aufführung 2013, im Gespräch mit dem Dirigenten Frank Beermann (Quelle Opernwelt, s. unten):  Das Erstaunlichste an «Vasco de Gama», wie man Giacomo Meyerbeers Nachlassoper in der vom Komponisten hinterlassenen Fassung zur Unterscheidung von ihrer posthumen Bearbeitung als «L’Africaine» durch François-Joseph Fétis künftig nennen sollte, ist ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit. Schumann, Berlioz, Wagner haben uns eingebläut, Meyerbeers Musik als Synonym für Schwulst und Knalleffekte zu verstehen. Debussy stöhnte, man müsse die jährliche Wiederaufnahme der «Hugenotten» an der Salle Garnier wie den unvermeidlichen Frühjahrsschnupfen über sich ergehen lassen. Der Begriff Grand Opéra suggeriert, dass auch ihr Klangaufwand «grand» sein müsse. Und dann erlebt man bei der nicht ganz strichlosen Uraufführung der historisch-kritischen Ausgabe Jürgen Schläders in Chemnitz (siehe OW 2013/3) von den ersten, merkwürdigen, unvergleichlichen Einleitungsakkorden an das Gegenteil: Einen melancholischen Schwanengesang, der eher flüstert als schreit, sich eher nach innen kehrt als nach außen, eher die Vergeblichkeit menschlichen Sehnens beklagt, als den Triumph des Willens ausposaunt. Alles ist zurückgenommen, reduziert, konzentriert. Oft singen die Stimmen völlig unbegleitet (niemand muss brüllen). Oft gehen nur eine oder zwei Instrumentalstimmen mit wie im intimen Selbstgespräch zu zweit (das ist schon in den «Hugenotten» so). Selbst in den großen Kampfduetten des 3. und 5. Akts gibt es eigentlich keinen Kampf mehr. Obwohl «Vasco» von einem Nobody handelt, dem die Etablierten seine Jugendliebe, seine Ideen, seinen Ruhm klauen (mit dem historischen Vasco da Gama hat die Oper nichts zu tun; Quelle war die Biographie seines Sängers, des Dichters Luis de Camoës – das ist der, der auch in Donizettis Oper Dom Sébastien vorkommtG. H.- , und sein Epos, «Die Lusiaden»), ist die Oper lyrisch, nicht martialisch.

"Vasco da Gama": Jean-Francois Fétis stellte nach Meyerbeers Ableben das Material zur "Africaine" zusammen/ Wiki

„Vasco da Gama“: Jean-Francois Fétis stellte nach Meyerbeers Ableben das Material zur „Africaine“ zusammen/ Wiki

Vascos heroische Melodiebildung ist «chevaleresk», um Meyerbeers eigene Formulierung zu benutzen. Sie wahrt Zurückhaltung und leugnet ihre weiche Seite nicht. Die wunderbare Traumerzählung des 2. Akts oder «Ô doux climat» (4. Akt), das Bizet zu seiner Blumenarie inspirierte, stehen dafür. Das kann man autobiographisch deuten. Carl Dahlhaus wies auf die «ängstliche Natur» des jüdischen Komponisten hin. Obwohl er überzeugt war, dass der «Richess» (Judenhass) bei 99 % des «versammelten Publikums» unausrottbar sei (Briefe an Michael Meyerbeer, 1818, und Heinrich Heine, 29.8.1839), hielt er Widerstand für zwecklos und zog sich konsequent in die «Schweigsamkeit» zurück. Nie hat er öffentlich auf anti-Meyerbeer-Pamphlete reagiert. So auch seine Musik. Obwohl er obsessiv auf Phänomene der Gewalt in der Geschichte starrte, ist seine Musik unkämpferisch. (…)

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Der Chemnitzer Vasco-Dirigent Frank Beermann hat sich 1990/91 erstmals mit «Robert le diable» und «Le Prophète» beschäftigt. 2004 setzte er im Rahmen des Leipziger Belcanto-Zyklus gemeinsam mit dem Chefdramaturgen und späteren Chemnitzer Intendanten Bernhard Helmich Meyerbeers frühe «Margherita d’Anjou» (1820) aufs Programm. (…) Der Kontakt mit dem Meyerbeer-Spezialisten Sieghart Döhring (…)  war etabliert, die Uraufführung der neuen «Vasco»-Ausgabe für Leipzig verabredet. Der Weggang des damaligen Intendanten Henri Maiers ließ das Projekt nach Chemnitz wandern (…).

Entwürfe zur "Africaine" 1865/Gallica/Wiki

„Vasco da Gama“: Entwürfe zur „Africaine“ 1865/Gallica/Wiki

Dabei waren die Schwierigkeiten für Sänger und Orchester enorm. Sie mussten sich in einen völlig neuen Stil einarbeiten. Die eingangs erwähnte Fragilität der Musik ist das Ergebnis eines spezifischen Orchestersatzes, der nur Meyerbeer eigen ist. Beermann spricht von der «Kleinteiligkeit der Partitur». Damit ist Meyerbeers Eigenheit gemeint, Phrasen, Melodien, größere Einheiten nicht einem Instrument anzuvertrauen, sondern wie ein Mosaik aus vielen kleinen Einzelbeiträgen zusammenzusetzen. «Die Musiker können aus ihrer Stimme auf dem Notenpult das Ganze überhaupt nicht mehr erkennen, weswegen Stimmgruppenproben fast sinnlos sind.» Sie müssten wieder lernen, in das Orchester hineinzuhören, um sich zu orientieren. Man könne sich fast nie auf einer Kantilene «ausruhen», sondern müsse fünf Stunden lang fast ununterbrochen «zuarbeiten».(…)

Meyerbeers tüftlerisches Interesse an Klangfarben bringt uns auf die Frage der historischen Instrumente. Dabei habe sich in der Vorbereitung als zusätzliche Schwierigkeit herausgestellt, dass bestimmte Erfindungen von Meyerbeers Freund, dem Instrumentenbauer Adolphe Sax, in dessen Werkstatt der Komponist Stammgast war, heute nicht mehr aufzutreiben sind. Aber auch jenseits solcher Material-Probleme gehöre die Arbeit an der Klangfarbe zu den großen Herausforderungen, bei denen die Meyerbeer-Interpretation noch ganz am Anfang stehe. (…) Und wie wirkt es sich für die Sänger aus, dass moderne Instrumente einen Halbton höher spielen als zu Meyerbeers Zeit? «Das ist vor allem für den Tenor ein Problem, weil sich seine Partie damit ständig in der unangenehmen Bruchlage bewegt, wo sich Kopf- und Bruststimme mischen.»

François-Xavier Mercier als Vasco de Gama/OBA

„Vasco da Gama“: François-Xavier Mercier als Vasco da Gama/OBA

Nicht nur Instrumentalisten, auch Sänger stellt Meyerbeer vor neue Herausforderungen. Für alle Beteiligten galt, dass sie erst einmal die Grundlagen des Meyerbeer-Gesanges legen mussten. Die bestehen – überraschend für Außenstehende – vor allem in der Phonation der französischen Sprache. (…) Ein Problem dabei bestehe darin, dass es keine allgemeingültige französische Gesangsschule und Phonation mehr gebe. «Wenn ich wissen will, wie Richard Strauss in den letzten 30 Jahren gesungen wurde, rufe ich den Korrepetitor der Münchner Staatsoper an, und der kann mir haarklein aufzählen, wie dieser oder jene das gemacht hat. Für Meyerbeer gibt es solche Erfahrungswerte nicht und schon was die Aussprache des Französischen betrifft, vertritt jeder eine andere Meinung.», sagt Beermann. Das wird auf den Proben immer dann zum Problem, wenn die musikalische Linie des Notentextes gegen den natürlichen Wort- und Sprachakzent verstößt. (…) Schon Meyerbeers posthumer Bearbeiter François-Joseph Fétis hat das Problem gesehen und den Text geändert, um ihn an Erfordernisse des Gesangs und der Sprachmelodie anzupassen. Berühmtestes Beispiel: Vascos Arie «Ô doux climat», die bei Fétis zu «Ô paradis» wurde. Die Kritische Ausgabe macht diese Eingriffe wieder rückgängig. (…) Die Rückgewinnung Meyerbeers steht eben auch in Bezug auf den Gesang noch ganz am Anfang. Immerhin ist mit der kritischen Edition des Ricordi-Verlages eine solide Textgrundlage gelegt. Praktiker können sich nun erstmals sicher sein, auch das vor sich zu haben, was Meyerbeer geschrieben hat.

Szene "Vasco da Gama" in Chemnitz/c. Dieter Wuschanski

Szene „Vasco da Gama“ in Chemnitz 2013/c. Dieter Wuschanski

Was unterscheidet sie eigentlich von der alten Ausgabe? Wer die Chemnitzer Aufführung 2013 mit dem herkömmlichen Klavierauszug vergleicht, entdeckt neben den erwähnten Textänderungen und abweichenden Instrumentations-Details im Wesentlichen radikale Striche. Der Akademiker Fétis, der von Meyerbeers Witwe den Auftrag erhielt, die laut Tagebuch des Komponisten vom 29.11.1863 bis auf «die Ouvertüre und Ballettstücke u. die möglichen Ändrungen» fertige Partitur aufführungspraktisch einzurichten (Ouvertüre und Ballett konnte Meyerbeer noch vor seinem Tod ein halbes Jahr später vollenden), setzte vor allem im 3. und 5. Akt den Rotstift an. Im 5. Akt fehlt die Arie der Inès, im 3. der «Ronde bachique» und 90 % des Septetts. Die Finalszenen beider Akte wurden um die Hälfte gekürzt.

„Vasco da Gama“: der Chemnitzer Dirigent Frank Beermann dirigierte erstmals 2013 die neue Fassung der Oper/ Foto Neda Nabaee/ Theater Chemnitz/ cpo

Darüber hinaus raffte Fétis den rezitativischen Dialog, wodurch die Handlung unverständlich wurde, und strich viele «Wiederholungen», womit er die klassischen Symmetrien der Partitur zerstörte, die auf Variation desselben Materials, subtiler Ironie (eine Person entgegnet auf der gleichen musikalischen Phrase das Gegenteil des Vorredners) und Rahmung (ABA-Formen) beruht. Auch thematische Bezugnahmen entfielen. 35 Striche, die sich auf 1200 Takte oder über eine Stunde Musik summieren, wurden gezählt. Trotzdem zog sich die Uraufführung 1865 wegen der langen, Grand-Opéra-üblichen Pausen von 19.15 bis 0.45 Uhr hin. Auch in Chemnitz kürzte man inszenierungsbedingt die Rezitative behutsam, ließ eine Sélica-Arie und einen Teil ihres Duetts mit Vasco weg. Für die cpo-Aufnahme wurden sie nachträglich eingespielt.

"Vasco da Gama": die vier Hauptdarsteller der Uraufführung der "Africaine"/ Gallica/ Wiki

„Vasco da Gama“: die vier Hauptdarsteller der Uraufführung der „Africaine“/ Gallica/ Wiki

Diskutieren kann man über die Natur des von Meyerbeer nachgelassenen Materials. Der Chemnitzer Dirigent Beermann schließt sich der Meinung der Herausgeber an. Gestützt auf die Praxis des Komponisten bei der Einstudierung seiner selbst uraufgeführten Opern, sehen sie im Gesamtkonvolut des «Vasco» eine Materialsammlung, aus der Meyerbeer bei den Proben die Fassung letzter Hand erstellt hätte. Die zitierte Tagebucheintragung erwähnt ja als ausstehend ausdrücklich auch «die möglichen Ändrungen». Dem gegenüber könnte man argumentieren, dass dieses Konvolut eben kein Konvolut sei, sondern die von Meyerbeer imaginierte Idealform der Oper vor ihrer Anpassung an Theaterpraxis, Konventionen und Aufnahmefähigkeit des Publikums. Insofern birgt das noch nicht durch die Mühlen der Praxis gegangene Werk die Chance, dem Innersten des Komponisten näher zu kommen als jedes andere. Die Schlussszene beispielsweise wirkt in der 15-minütigen Fassung viel unkonventioneller, weil es eben eine gewisse Zeit und mehrere Spiraldrehungen des Deliriums braucht, bis sich die unter den Ausdünstungen des Manzanilla-Baumes erstickende Sélica ins Nirwana hinaufschraubt, ja geradezu physisch auflöst («Madame Butterfly» hat die Idee inklusive Summchor weiter entwickelt; ebenso Massenets «Don Quichotte», Rimskis «Kitesch», Tanejews «Orestie»). Dagegen wirkt die Fétis-Fassung wie eine gewöhnliche Wahnsinnsszene. Beermann weist jedoch darauf hin, dass der komplette Schluss jede Sängerin nach fünf anstrengenden Stunden an den Rand ihrer Kräfte bringe, zumal sie im letzten Akt 35 Minuten ununterbrochen auf der Bühne steht. Boris Kehrmann

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"Vasco da Gama": der Autor Boris Kehrmann/ Foto Dieter-David Scholz

„Vasco da Gama“: der Autor Boris Kehrmann/ Foto Dieter-David Scholz

Für den „Nachdruck“ des hier nur in großen Auszügen wiedergegebenen Artikels von Boris Kehrmann danken wir ausdrücklich der Zeitschrift Opernwelt, wo der vollständige Text im Jahrbuch von 2013 noch immer nachzulesen ist. Wir wissen diese kollegiale Großzügigkeit sehr zu schätzen. Dank auch an den Autor und Musikwissenschaftler Boris Kehrmann, der am Badischen Staatstheater Karlsruhe als Dramaturg (gegenwärtig für Meyerbeers Propheten/Premiere 18. 10. mit Ewa Wollack als Fidès) arbeitet und der kürzlich  seine zweibändige Untersuchung über die frühen Tage des Regisseurs und ehemaligen Intendanten der Berliner Komischen Oper, Walter Felsenstein, im Tectum Verlag vorgelegt hat – s. dazu auch die Rezension auf operalounge.de. / G. H.

Fotos: Roberto Alagna/  c. Jean-Baptiste Millot/ Deutsche Grammophon Gesellschaft mit Dank an Bisséh Akamé/ Universal Music) / Foto oben Szene mit Roberto Alagna und Sophie Koch in der Produktion der DOB/ Foto Stoeß. Zu erwähnen bleibt auch das inhaltsreiche Programm der DOB zur Aufführung, leider ohne Libretto (das allerdings in der cpo-Aufnahme), mit informativen Beiträgen von Jürgen Schläder, Anselm Gerhard und anderen – sehr habenswert! Und Sammler werden stolz ihren DLR-Radio-Mitschnitt bewahren, der kaum gekürzt diese ebenfalls nur geringfügig gekürzte Aufführung der DOB bewahrt. Ein Meilenstein jeder Sammlung und bis heute (2023) nicht wiederholt. G. H.

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Und zum Schluß wiederholen wir den der cpo-Rezension der Oper in der Chemnitzer Aufführung beigefügten Artikel von Carla Neppl, Dramaturgin am Theater Chemnitz. Die Entstehung der Oper:Nach dem großen Erfolg von Robert le Diable und Les Huguenots in Paris, unterzeichneten Giacomo Meyerbeer und Eugène Scribe 1837 den Vertrag für eine weitere große Oper: L’Africaine sollte ihr Titel sein. Die Uraufführung war drei Jahre später in Paris geplant. Scribes Libretto erzählte die Geschichte einer afrikanischen Königstochter, die sich unglücklich in einen portugiesischen Seeoffizier verliebt. Als er sich zugunsten seiner langjährigen Geliebten gegen sie entscheidet, sucht sie den Tod in den giftigen Düften des Manzanilla Baums. Meyerbeers anfängliche Begeisterung für das neue Projekt wich schon bald der Erkenntnis, dass L’Africaine inhaltlich nicht an seine beiden ersten Opern heranreichen würde. Es folgten Jahre der Überarbeitung. Schließlich entschied er sich, seine Kraft zunächst in andere Werke zu investieren. So wurde u. a. 1843 in Berlin Das Feldlager in Schlesien, 1849 in Paris Le Prophète uraufgeführt.

vasco

Nach Meyerbeers Tod erklärte sich der belgische Musikwissenschaftler (und Komponist) François-Joseph Fétis bereit, im Auftrag der Pariser Grand Opéra das vorhandene Material zu sichten und eine spielbare Fassung herzustellen. Diese verdienstvolle Arbeit wurde insgesamt leider durch teilweise unglückliche Eingriffe in das Werk geschmälert. Zunächst war Fétis der Meinung, dass man der Musikwelt die versprochene Oper L`Africaine geben müsse, eine Titeländerung nach Meyerbeers Wunsch in Vasco de Gama nur Verwirrung stiften würde. Da er aber Vasco als Figur genauso beibehielt wie die indischen Brahma-Kult-Szenen, ergaben sich nun Ungereimtheiten in der Handlung, denn Sélika war definitiv keine „Afrikanerin“. Außerdem nahm Fétis inhaltliche Änderungen und Kürzungen am Werk vor. Neben diversen Textänderungen und Weglassungen von Wiederholungen betrafen die Kürzungen vor allem den dritten und den fünften Akt. Im dritten Akt sparte Fétis das Trinklied der Matrosen aus. Außerdem kürzte er den Akt nach dem Duett zwischen Vasco und Don Pédro extrem: Es folgte gleich die Sturmszene mit dem anschließenden Übergriff der Inder. Die Szene, in der Sélika Inès bedroht und damit Don Pédro zwingt, seinen Tötungsbefehl gegen Vasco zurückzuziehen, entfiel genauso wie das Duettino zwischen Sélika und Nélusko vor der erwarteten Erschießung. Dafür fand Fétis jedoch im fünften Akt Verwendung. Außerdem fehlte die Passage am Schluss des Aktes, in der Sélikas Identität von Nélusko öffentlich bekanntgegeben wird. Erwähnt sei im vierten Akt die Änderung an Vascos b erühmte  Arie „Ȏ paradis“:Dieser romantisierende Textbeginn stammt ebenfalls von Fétis. In Meyerbeers Version beginnt sie mit dem Text „Ȏ doux climat“ und ist auch musikalisch etwas anders gestaltet. Der fünfte Akt begann bei Fétis mit der Szene zwischen Sélika und Inès. Der Zuschauer erfuhr also weder, wieso Inès, die eigentlich mit den anderen Portugiesinnen unter dem Manzanilla-Baum den Tod finden sollte, noch lebt, noch dass Inès und Vasco sich wiedergefunden hatten. Auch Sélikas Szene am Manzanilla-Baum wurde verkürzt: Sowohl die Vision, in der ihr Vasco noch einmal erscheint, als auch ihr anschließendes langsames Verdämmern durch die Wirkung der giftigen Dämpfe strich Fétis zugunsten einer schnellen Schlussentwicklung. Offensichtlich wollte er der Nélusko-Figur noch einmal dramatisches Gewicht verleihen und stellte vor den Schlusschor das vorher im dritten Akt gestrichene Duettino.

Trotz aller dieser Änderungen war die Uraufführung knapp ein Jahr nach Meyerbeers Tod am 28.April 1865 in Paris ein Riesenerfolg. Wie groß die Wertschätzung für Meyerbeer war, lässt sich daran messen, dass das französische Kaiserpaar der Vorstellung beiwohnte und man am selben Abend auf der Bühne eine Büste des Komponisten enthüllte. Die Africaine  trat ihren Siegeszug um die Welt an, der erst durch das Verbot der Nazis im 20. Jahrhundert gestoppt wurde. Bis dahin war sie Meyerbeers meistgespielte Oper. Nach 1945 gab es deutlich weniger Aufführungen.

Nach und nach beschäftigte sich auch die Forschung intensiver mit dem Werk und mit Meyerbeers Originalmaterial. Anhand der umfangreichen hinterlassenen Schriften ist sein Arbeitsstil noch heute gut nachvollziehbar. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Werke während der Proben intensiv zu überarbeiten. Aus diesem Grund wissen wir also nicht, wie Vasco  ausgesehen hätte, wenn Meyerbeer selbst bis zur Premiere dabei gewesen wäre. Uns liegt die Oper heute so vor, wie er sie zu diesem Zeitpunkt als beendet betrachtet hatte. Die kritische Ausgabe von Jürgen Schläder, erschienen beim Verlag Ricordi, ermöglicht damit erstmalig eine Aufführung aller veröffentlichten und unveröffentlichten Werkteile, die bei Meyerbeers Tod vorlagen. Carla Neppl (Den Artikel entnahmen wir dem Programm zur Aufführung in Chemnitz 2013 mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Mannheimer Uraufführung

 

„Im Angedenken an Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch“ lautet die Zugeignung auf dem Klavierauszug von Mieczyslaw Weinbergs 1994 im Druck erschiener Oper Der Idiot. Weinberg setzte damit seinem 13 Jahre älteren und 1975 verstorbenen Kollegen und Förderer ein Denkmal, indem er Dostojewskis aufrechten, liebeswerten, gegen Konventionen verstoßenden Fürsten Myschkin, den angeblichen „Idioten“, mit dem sensiblen, Demütigungen erleidenden und illusionslos die Situation des Künstlers in einer Diktatur thematisierenden Schostakowitsch in Verbindung brachte. Zugleich schlug Weinberg einen Bogen zu Mussorgsyks Boris Godunow und dessen Figur des Gottesnarren, der als einziger dem Zaren die Wahrheit entgegenschleudert, sagt doch Myschkins Gegenspieler Rogoschin „Wahrhaftig, Fürst, du bist ja ganz und gar ein Jurodivyi“ – also Gottesnarr – „Und solche hat Gott der Herr lieb!“.

Weinberg gehört zu den großen Entdeckungen der Opernbühne, die auf den 1919 in Warschau geborenen und über Minsk und Taschkent nach Moskau gelangten Komponisten erst zehn Jahre nach seinem Tod stieß. Teilweise erst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung erlebten seine Opern ihre posthume Uraufführung, darunter 2010 Die Passagierin. 2013 führte Mannheim den Idioten auf: Die Uraufführung des Jahres, deren Mitschnitt nun auf CD vorliegt (Pan Classics PC 10328) und den großen Eindruck, den das Werke seinerzeit machte, nochmals bestätigt. Der Idiot ist ein gewaltiges Stück, ein Literaturoper, die die Linien von Mussorgsky über Tschaikowsky und Prokofjew fortsetzt und, trotz ihrer Schostakowitsch-Assoziationen, von originär funkelnder Vielgestaltigkeit ist.

Das Stück ist lang, sehr lang, dreieinhalb Stunden, und die Anfangsszenen sind etwas hären. Natürlich fehlt der vielschichtigen Romanvertonung die Szene. Doch Thomas Sanderling, dessen Vater sich bereits in der Sowjetunions für Weinbergs sinfonisches Schaffen eingesetzt hat, gelingt es, eine soghafte Wirkung zu erzielen. Es entstehen plastische Szenen von ausgelassenen Festen und philosophischen Exkursionen, getragen von einer gestischen Bravour und Klangsprache, in der sich illustrative Konversationsbilder und bizarre Tanzszenen, grelle Fanfaren und romantisch satter Streicherklang, ironischer Witz und sinnlich arioser Tonfall durchdringen und leitmotivisch ergänzen. Dmitry Golovin war der der Uraufführung ein noch pointierter Myschkin, doch Juhan Tralla singt den Fürsten mit runderem Tenor. Den Mörder Rogoschin, den der Fürst am Ende in Armen hält, gestaltet Steven Scheschareg mit gegerbtem Bassbariton. Der von beiden geliebten Nastassja verleiht Ludmila Slepneva ordinäre Sinnlichkeit, dazu ein rundum stimmiges, intensiv agierendes Ensemble mit Anne-Theresa Möller als Aglaja, Bartosz Urbanowicz und Elzbieta Ardam als General Jepantschin und Gattin (irritierend die unterschiedlichen Schreibweisen der russischen Namen im Textheft und auf der Rückseite des 3 CD-Schubers), Lars Möller als Lebedjev und Bryan Boyce als Totsky.      Rolf Fath

 

Provokant subtil

 

Ich gebe zu – ich war misstrauisch, als ich die CD mit Mozart-Opern-Arien bei Sony in den Player legte. Große Lied- und Konzertsänger sind nicht immer gute Opernhelden. Viele neigen dazu, die Arientexte wie gute Lyrik zu interpretieren und dabei zu vergessen, dass es sich um handelnde Bühnenfiguren handelt.  Der Bariton Christian Gerhaher gehört zu den besten Lied- und Konzertsängern der Gegenwart, steht aber verhältnismäßig selten auf der Opernbühne. Nun bringt der Sänger endlich sein zweites Opernalbum heraus. Und das geizt nicht mit großen Hits: Gerhaher präsentiert nahezu alle großen Baritonarien Mozarts. Natürlich mit Vogelfängerlied. Und Champagner–Arie. Und das ist durchaus einen Schluck desselben wert! Christian Gerhaher singt für uns den Don Giovanni. Und den Leporello. Und den Figaro. Und überhaupt alles, was Mozart in seinen Reifejahren für Bariton geschrieben hat. Das haben sich bisher nur ganz Große wie Herman Prey getraut. Aber das passt schon – denn dies Album macht es wieder einmal unmissverständlich klar – dieser Sänger ist einer der ganz Großen. Der darf das.
Arientexte zu lyrisch, zu intellektuell, zu liedhaft? Davon kann bei Christian Gerhaher keine Rede sein. Schon deswegen nicht, weil er fast alle diese Rollen wirklich auf der Bühne gesungen hat. Und ihnen schon da einen unverwechselbaren Charakter verlieh. Gerhahers Mozart-Helden wirken erschreckend traurig, verblüffend nachdenklich und auffallend melancholisch. Gerhahers Interpretationen sind subtil, mitunter provokant subtil. Große Theatergesten fehlen fast ganz. Er besticht wie viele lyrische Sänger vor allem durch Nuancen. Aber was für Nuancen! Alle Nummern sind trotz Minimalismen durchweg überzeugend. Und, was bei solchen Super-Hits gar nicht mehr so einfach ist: Sie wirken allesamt frisch, spontan empfunden und kein bisschen abgenudelt.

Das ist sicher auch ein Verdienst des großartigen Freiburger Barockorchesters, einem der bedeutendsten und erfahrensten Mozart-Klangkörper überhaupt. Sie begleiten unter der Leitung von Gottfried von der Goltz nicht nur die Arien kongenial, sondern haben als Bonus noch die opernhafte Linzer Sinfonie dem Album hinzugefügt  – verstreut zwischen den Gesangsnummen. Das verleiht der CD eine freche und leicht chaotische Note, die dem Album gut bekommt (Christian Gerhaher, Mozart Arias, Bariton; Freiburger Barockorchester, Gottfried van der Goltz, Sony 88875087162). Matthias Käther

Auf in bessere Zeiten….

 

Das gibt es fast nur noch im unbeirrbar optimistischen Amerika: Der neue Herrscher Malcolm ist ein gütiger, der nicht die Terrorherrschaft Macbeth’s fortsetzt, sondern sogar den noch immer traurig sein Familienfoto betrachtenden Macduff in den allgemeinen Freudentaumel mit einbezieht. Gar nicht stört es, dass Regisseur Adrian Noble von Bühne- und Kostümbildner Mark Thompson für Verdis Macbeth die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat auf die Bühne zaubern lassen mit Hexen im spießigen Hausfrauenlook mit Söckchen und Handtäschchen, wobei erstaunlicherweise der Hexennachwuchs mit seinen Häubchen weiter in die Vergangenheit zurückweist. Auch beeinträchtigt es den Kunstgenuss nicht, wenn zwar mit Pistolen und schwererem Kaliber herumgefuchtelt wird, der finale Tötungsschnitt oder -stich aber wie im Libretto vorgesehen ein solcher bleibt. Die schottischen Soldaten laufen in einer Art Partisanenlook über die Bühne der MET, grüne Fahnen, die im Siegesrausch geschwenkt werden, erinnern eher an orientalische Gegenwart als an ein Schottland welcher Zeit auch immer. Die Geistererscheinungen zeigen sich in riesigen Seifenblasen oder in Weihnachtskugeln Ähnlichem. Stilistische Einheitlichkeit ist nicht die Stärke der Optik, die aber durchaus zu fesseln und die angemessene düster-unheilvolle Atmosphäre zu kreieren weiß.
Dabei hilft natürlich ganz entscheidend die musikalische Seite, für die im Orchestergraben Fabio Luisi verantwortlich ist, der schon einmal überaus kontrastreich beginnt, was Tempi und Lautstärke betrifft, und sich durch ein durchweg spannungsvolles Dirigat auszeichnet. Die Solisten gehören zu den besten, die ein Opernhaus momentan aufbieten kann. Zwar wirkt Zeljko Lucic etwas zu knubbelig und in sich ruhend für den in sich zerrissenen Macbeth, und die machtvolle dunkle Stimme hat ihre großen Momente eher in den Fortepassagen der Partie, aber insgesamt kann er mit seiner Rollengestaltung für sich einnehmen, besitzt eine sichere Höhe und den verzweifelten Aplomb für die Schlussszene. Anna Netrebko erinnert mit der blonden Löwenmahne an eine Hollywood-Diva der Fünfziger oder Sechziger, was die Darstellung einer überzeugenden Lady nicht leichter macht. Streckenweise wirkt sie zu gutmütig und naiv, einige Gesten zu angelernt, als unmittelbar der Gestaltung entspringend, so dass man in ihr nur stellenweise die Bühnenfigur, manchmal aber den verfremdeten Opernstar Netrebko wahrnimmt. Die sehr dunkel gewordene Stimme dagegen passt hervorragend zur Partie, besonders wenn sie auffahrend und schneidend eingesetzt wird. Die Mittellage ist so präsent wie die Höhe, sie schont sich nie, auch da nicht, wo andere Ladies in den Ensembles gern der Dama den Vortritt lassen. Obwohl die Stimme schwer geworden ist, gelingt ihr das koloraturreiche Brindisì, schweben die letzten Töne der Nachtwandlerszene wunderschön. Hoch kultiviert, ebenmäßig und wundervoll strömend setzt René Pape seinen Bass für den Banquo ein. Joseph Calleja ist eine Luxusbesetzung für den Macduff, dessen Arie er so schön wie sichtbar und hörbar innerlich beteiligt singt. Laudia Waite bereichert als Dama die Ensembles, James Courtney als Medico das Nachtwandeln.  Ein Sonderlob gebührt dem Chor (Donald Palumbo), der „Patria oppressa“ zum Weinen ergreifend schön singt und den Finali das kraftvoll Aufgewühlte verleiht (Blu-ray DG 073 5234). Ingrid Wanja

Lukasz Borowicz

 


Der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin sind nach bald 25-jähriger Zusammenarbeit ein gut erprobtes Gespann. Für frischen Aufwind sorgte der 38-jährige Warschauer Dirigent Lukasz Borowicz: „Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt!“ Mit einem buchstäblichen Paukenschlag gab Borowicz am 4. Oktober 2015 im Konzerthaus Berlin sein Debüt beim RIAS Kammerchor. Auf dem Programm stehen Joseph Haydns Te Deum und die Missa in tempore belli sowie die „Friedens“-Symphonie des Wiener Hofoperndirektors Paul Wranitzky. Fesselnder als in dieser Saisoneröffnung lässt sich Zeitgeschichte nicht vermitteln. Und Lukasz Borowicz sagt: „Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden! Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke.“ (Quelle Rias Kammerchor)

 

Der Rias Kammerchor/ Foto matthias Heyde/ Rias kammerchor

Der RIAS Kammerchor/ Foto matthias Heyde/ Rias kammerchor

Dazu der Dirigent im Gespräch mit Nina Jozefowicz: Sie sind das erste Mal zu Gast beim RIAS Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin. Wie begegnen Sie dieser neuen Zusammenarbeit? Das Repertoire des 18. Jahrhunderts begeistert mich sehr und die Geschichte der Französischen Revolution ist und bleibt faszinierend. Ich bin sehr dankbar dafür, bei diesem spannenden musikalischen Abenteuer zwei so bedeutende Ensembles an meiner Seite zu haben, die für ihre bemerkenswerten Interpretationen genau jener Musikepoche weltweit bekannt sind. Ich bin der Meinung, dass die Musik aus der Zeit Beethovens, aber auch früher, auf historisch authentischen Instrumenten gespielt werden sollte. Denn nur auf diese Weise können wir jene Klangfarben erzeugen, die den Komponisten tatsächlich vorschwebten.

Das Konzerthaus Berlin ist Ihnen bereits vertraut: Erst im Januar erhielt Ihre Gesamteinspielung des Orchesterwerks von Andrzej Panufik mit dem Konzerthausorchester den International Classical Music Award. Welche Rolle spielt Berlin für Sie? Berlin ist die Musikmetropole Europas. Ich bin sehr glücklich darüber, häufig in Berlin zu sein und träume davon, eines Tages sagen zu können: „Ich bin ein Berliner!“ Für’s Erste gebe ich mich damit zufrieden, die Stadt ein bisschen besser kennengelernt zu haben. Ich hatte das große Glück, an der Komischen Oper Berlin und mit dem Konzerthausorchester arbeiten zu dürfen. Letztes Jahr haben wir mit der Poznań Philharmonic im Haus des Rundfunks das Requiem von Roman Maciejewski uraufgeführt.

Der Komponist Paul Wranitzky/ Wiki

Der Komponist Paul Wranitzky/ Wikipedia

Ihr Lebensmittelpunkt ist Warschau: Sie sind dort geboren und studierten zunächst Geige. Stimmt es, dass eine Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau Sie Ihre Liebe zum Gesang entdecken ließ? Ja, das stimmt. Die Violine ist mein Hauptinstrument gewesen und meine erste große, lang-andauernde Liebe. Dabei ist ihre Nähe zum Gesang ganz offensichtlich. Ich erinnere mich daran, bereits sehr früh, viele große Sänger gehört zu haben. Die Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau bedeuteten mir besonders viel. Ich werde niemals vergessen, wie begeistert ich von seiner Interpretation des Wozzeck unter Karl Böhm war, aber natürlich auch von seiner Einspielung der Schubert-Lieder.

Mit der Missa in tempore belli steht ein Spätwerk von Haydn auf dem Programm. Der besonders prächtige Klang des groß besetzten Orchesters und des Chores verweisen auf sein Meisterwerk Die Schöpfung. Was verbinden Sie persönlich mit der Musik von Joseph Haydn? Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden. Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke, Sinfonien, Quartette, Klaviersonaten. Ich bin von seiner Entwicklung als Komponist fasziniert, die sich über viele Jahrzehnte hinweg erstreckte. Haydns Musik war in Polen immer schon sehr beliebt. Der polnische Komponist Franciszek Lessel war in Wien Haydns Schüler gewesen. In Lessels Memoiren habe ich eine Anekdote gefunden, wo er davon berichtet, dass Haydn seine Schüler auf sehr prosaische Art und Weise unterstützte: Er besorgte ihnen das beste Notenpapier!

Paul Wranitzky, Wiener Hofoperndirigent, gehörte zu den einflussreichsten und beliebtesten Komponisten der österreichischen Hauptstadt. Seine Sinfonien und Opern werden heute jedoch nur noch selten aufgeführt. Auf welche Weise haben Sie die Friedens-Sinfonie von Wranitzky kennengelernt? Seit vielen Jahren sammle ich Aufnahmen und CDs. Es gibt bereits zwei sehr gute Aufnahmen der Friedens-Sinfonie. In den letzten Jahren konnten wir ein steigendes Interesse an vergessenen Komponisten beobachten. Wranitzkys Geschichte ähnelt der von Johann Adolph Hasse, einem der populärsten Komponisten seiner Zeit, der jedoch fast vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Paul Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt.

Der Komponist Josef Haydn/ (Ölgemälde von Thomas Hardy, 1791)/ Wiki

Der Komponist Joseph Haydn/ (Ölgemälde von Thomas Hardy, 1791)/ Wikipedia

Als Dirigent setzen Sie sich besonders dafür ein, selten gespielte Werke polnischer Komponisten bekannt zu machen. Welche Werke zählen für Sie zu den größten Entdeckungen? Ich dirigiere sehr häufig polnische Musik, deswegen fällt es mir schwer, einige wenige Aufnahmen hervorzuheben. Doch sicherlich ist es der Gesamteinspielung der sinfonischen Werke von Panufnik zu verdanken, dass diesem großen Komponisten des 20. Jahrhunderts wieder größere Aufmerksamkeit zukommt. Außerdem würde ich die Violinkonzerte von Grażyna Bacewicz nennen, die romantische Oper Monbar von Ignacy Dobrzyński sowie die Sinfonien von Zygmunt Noskowski. Vor kurzem habe

ich eine weitere Aufnahme mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra für Hyperion Records in der Reihe Romantic Piano Concerto gemacht. Und mit dem Pianisten Jonathan Plowright haben wir bereits Werke von Zarzycki, Żeleński, Różycki eingespielt. Und immer wieder kommen neue Ideen!

Seit Ihrer frühen Jugend sammeln Sie leidenschaftlich gerne CDs und Schallplatten. Ihre eigene Diskographie umfasst mittlerweile über 70 Aufnahmen. Mit wem haben Sie die Wette abgeschlossen, dass Sie bis zu Ihrem 40. Geburtstag die hundertste Einspielung veröffentlichen werden? Oder haben Sie vielleicht andere Ziele? Ich liebe es, Musik aufzunehmen und CDs zu produzieren. Man könnte sagen, es ist meine Leidenschaft. Ich empfinde es als großes Glück, meinen Beruf als meine Leidenschaft bezeichnen zu können. Und als Sammler weiß ich, dass jede einzelne CD, die ich aufnehme, „die bedeutendste“ ist. Deshalb konzentriere ich mich auf jedes einzelne Projekt. Die Anzahl der aufgenommenen CDs ist dabei nicht von Bedeutung. Was wirklich zählt ist der Inhalt, die Botschaft und die Qualität. Das ist mein persönliches Credo. Wenn ich eines Tages die 100ste Aufnahme produzieren könnte, dann würde mich das wirklich sehr freuen, doch es ist kein persönlich auferlegtes Ziel.

Schauspielhaus/ Konzerthaus Berlin/ tr.wikipedia.org

Schauspielhaus/ Konzerthaus Berlin/ tr.wikipedia.org

Im Januar 2016 steht Ihr Amerika-Debüt beim Los Angeles Philharmonic Orchestra an, und es warten weitere neue Herausforderungen auf Sie. Worauf freuen Sie sich besonders? Ich freue mich sehr darauf, mit den fantastischen LA Philharmonics dieses schöne Programm mit polnischer Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu erarbeiten! Ich fühle mich geehrt und bin voller Vorfreude, diese zeitgenössischen Werke in Amerika aufzuführen. Ich glaube, ein Dirigent sollte immer in beiden Bereichen aktiv sein, sowohl Opernrepertoire als auch sinfonische Werke dirigieren, und moderne sowie ältere Werke aufführen. Denn beide Seiten bedingen einander und beeinflussen sich gegenseitig, auf diese Weise gewinnt das Musizieren an Tiefe. Außerdem freue ich mich sehr über meine Pläne mit verschiedenen Orchestern in Europa sowie in Asien. Dabei versuche ich dem lateinischen Motto treu zu bleiben, das mich seit meiner Studienzeit in Siena begleitet: Micat in vertice! – was für mich so viel bedeutet wie: „Arbeite hart, und Du wirst den strahlenden Gipfel erreichen.“

 

Mit Łukasz Borowicz sprach Nina Jozefowicz; wir danken der Interviewerin und dem RIAS Kammerchor für die Überlassung des Gespächs, das sich im Programmheft des Abends wiederfand. Weitere Informationen zum Konzert und zur laufenden Saison des RIAS Kammerchors gibt es hier; dort auch Tips für den Kartenverkauf etc. Foto oben: Lukasz BOROWICZ/ c. Justyna Mielniczuk/ RIAS Kammerchor.

I tedeschi in Egitto

 

Eine ungewöhnliche Aida-Aufnahme gibt es aus Rom, wo eine der ganz, ganz wenigen Studio-Produktionen unserer Zeit entstand und ihre Geburt wohl nur dem Umstand einer ungewöhnlichen Besetzung verdankt. Anja Harteros und Jonas Kaufmann, als bewährtes Traumpaar der Operngegenwart gehandelt, sangen ihre erste Aida und seinen ersten Radamès. Womit deutlich wird, dass nicht nur die Tatsache der Studioaufnahme ungewöhnlich – und das ist ganz wertfrei gemeint -, sondern auch die Gestaltung zumindest dieser Partien es ist. Wer mit Aida eine Arena-di-Verona-Produktion und Maria Chiara (oder die Met mit Leontyne Price) verbindet, wird seinen Ohren nicht trauen, wie ganz anders das Werk klingen kann. Damit soll den beiden deutschen Sängern nicht abgesprochen werden, italienische Partien singen zu können und zu dürfen, aber unüberhörbar bleiben doch die Unterschiede zu den „klassischen“ Aufnahmen, schon einmal was das Verhältnis zwischen Wortdeutung und Melodienfluss betrifft, Wobei man auch konstatieren kann, dass die beiden Künstler die Agogik-Vorgaben des Komponisten sehr ernst nehmen, auch da wo es fast unmöglich erscheint, sie einzuhalten.

Das beginnt bei Kaufmann mit „Celeste Aida“, wenn in der Arie auf ausgesprochen heldische Töne, mit denen sich viele italienische Sänger bis zum Schluss begnügen, sehr intime Passagen mit viel dolcezza folgen, ein schneller Wechsel vom Forte-„trono“ zum Piano-„Sol“ stattfindet, „del mio pensiero tu sei regina“ sehr langsam, weil nachdenklich gesungen wird, der Sänger sich als Meister des feinen Verklingens und eines wirklichen morendo am Schluss erweist. Dass er auch anders kann, zeigt das strahlende „Immenso Fthà!“ am Schluss des zweiten Bilds. Ein fast gesprochenes „sogno, delirio è questo“ ist diskussionswürdig, bewundernswert die letzte Szene, in die auch ein kleiner colpo di glottide eingebaut ist.

Anja Harteros ist eine sehr hell klingende, sehr lyrische Aida, die mit den vielen rund- und warmstimmigen Aiden der instrumentalen Stimmführung nicht allzuviel gemein hat. Zum Niederknien schön ist die Schlussszene, das „Son io“ voll tenerezza, „invan“ mit leicht bitterem Unterton, traumhaft schön „O, terra addio“ im ätherischen Schwebeton. Zuvor überstrahlte der Sopran oft die Ensembles, wurden innige „Numi, pietà“ gesungen, werden dem „patria mia“ zarte Tongespinste gewidmet, die Arie im Nilakt von einem wunderschönen C gekrönt. Aber obwohl Ludovic Tézier kein stimmorgelnder Barbarenkönig ist, klingt der Sopran bei dramatischen Anforderungen besonders in der Höhe zu hart und vor allem angestrengt.

Ungewöhnlich also auch die Besetzung des Amonasro mit einem Sänger, der mehr Wert auf kultivierten Gesang als auf vokale Überwältigung legt. Téziers „suo padre“ klingt zärtlich, als wenn die Vater ihm in diesem Moment wichtiger ist als die Herrscherrolle. Eine hochsolide Amneris der gesunden stimmlichen Mittel, höchst sparsam mit der Bruststimme umgehend und die Stimme schlank haltend, so im wirklich „fra se“ gestalteten Sehnsuchtsruf im Boudoir ist Ekaterina Semenchuk. In der dramatischen Gerichtsszene bleibt die Stimme stets rund und kontrolliert. Ihre Amneris steht in der soliden Tradition der italienischen Diven. Einzudunkeln und ihn damit manchmal dumpf werden lassend scheint Erwin Schrott seinen Bass für den Ramfis, gute Besetzungen sind Marco Spotti für den Rè, Paolo Fanale für den Messaggero und besonders aufhorchen macht Eleonora Buratto mit der Sacerdotessa. Erstklassig ist der Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, wie aus dem Nichts kommend lässt Antonio Pappano mit eben deren Orchester die Sphärenklänge zu Beginn erklingen, kontrastreich ist er auch, was die Tempi betrifft, Ballettmusik wird als solche glatt, eher beiläufig und nicht tiefgründelnd musiziert. Der Studioaufnahme folgte eine konzertante Aufführung im Renzo-Piano-Konzertsaal, die ein ungeheuer positives Echo bei Publikum und Presse fand (3 CDs, Warner Classics 0825646106639). Ingrid Wanja

Zedda in Antwerpen

 

Die Geburt von Verdis war gleichbedeutend mit dem Tod von Rossinis Otello,  im 19. Jahrhundert bekannt und häufig aufgeführt, die Canzone del Salice sogar doppelt parodiert in Rossinis Convenienze und Donizettis Campanello. Dazu kam im Laufe der Zeit die wachsende Schwierigkeit, drei gleichwertige Tenöre für Otello, Iago und Rodrigo, bei Rossini von ungleich größerer Bedeutung als der Verdis, zu finden. Selbst im Rahmen der Rossini-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Otello eines der selten aufgeführten Werke und wenn doch, dann wenig authentisch, wie zum Beispiel die Aufnahme mit José Carreras in der Titelpartie beweist. Alberto Zedda hat sich auch dieses Werks 2014 angenommen und in dem Opernhaus von Antwerpen wie bereits bei anderen Rossini-Opern einen beherzten Mitstreiter gefunden.

Natürlich darf man nicht mit den gleichen Erwartungen an beide Opern herangehen,, sondern den Rossini als das nehmen, was er ist, als die Möglichkeit für Sänger, mit virtuosen Bravourarien zu brillieren, nicht unverwechselbare Charaktere zu porträtieren. So gesehen ist die Aufnahme von Dynamic eine begrüßenswerte, die bereits in der Sinfonia den Rossini-Experten mit einer raffinierten Agogik wahrnehmen lässt.

Eine zweite Karriere ganz besonderer Art ist dem Sänger des Otello, Gregory Kunde, häufig auch in Pesaro zu Gast, gelungen, der nicht nur den rossinischen, sondern nun auch noch den verdischen Otello singt. Die Stimme ist etwas schwergängiger als die der beiden anderen Tenöre, von großer Durchschlagskraft, ungefährdeten Höhen ohne Flucht ins Falsettieren und insgesamt etwas dunkler, besonders in  „Notte per me funesta“, als die des Rodrigo von Maxim Mironow, ebenfalls in Pesaro (und Wildbad)  künstlerisch zu Hause, mit jünglingshafter, weicherer Tenorstimme, die „Ti parli d’amore“ besonders schön einleitet, sicher in den Intervallsprüngen, mit raffinierten Abellimenti arbeitend und einem angenehm klingenden Falsettone ausgestattet ist. Passend zur Rolle ein bisschen Falschheit in der Stimme hat der Iago von Robert McPherson, ein gleisnerisch klingender Charaktertenor, dessen helle Stimmfarben ein ganz anderes Charakterbild, wenn auch ein gleich böses, im Vergleich zu Verdis Jago zeichnen. Den Vater Desdemonas, Elmiro Barberigo, singt Josef Wagner mit geschmeidigem Bariton, Maarten Heirman verleiht dem Dogen dunkle Töne und Stephan Adriaens hat für den Gondoliere die Schwermut für sein böse Ahnungen weckendes Lied in der Stimme.

Die leicht dunkle Färbung ihres Soprans macht aus Carmen Romeu eine Desdemona, deren Schicksal vorausbestimmt zu sein scheint, ihr Sopran ist nicht der eines unbefangenen Mädchens, verfügt aber über dolcezza, ist zu feinen Piani fähig. Manchmal, so in „Che smania“ geht die korrekte Artikulation etwas unter, in „non arrestar il colpo“ zeigt sie, dass die Stimme auch zu Dramatischem fähig ist. Raffaella Lupinacci ist eine Emilia mit Kammerkätzchensopran. Noch 2015 wird Alberto Zedda in Gent Rossinis Armida dirigieren (Dynamic CDs 7711/1-3). Ingrid Wanja

Cronique Scandaleuse

 

Das 125 Seiten schmale Bändchen mit dem gewichtigen Titel Meine Skandale von Gabriel Astruc handelt von immerhin vier derselben, die die Pariser Musikwelt vor dem Ersten Weltkrieg am stärksten erregten, wenn man dem Autor glauben mag, und die zu den Ursachen gehörten, die ihn als Erbauer und Direktor des Théâtre des Champs-Élysées nach einer nur wenige Wochen dauernden Spielzeit scheitern ließen. Voran gestellt sind den Ausführungen des Musikjournalisten, Impresario offensichtlich auch Gesellschaftslöwen einmal das Vorwort von Olivier Corpet, in dem dieser die Geschichte der Geschichten erläutert, die eigentlich bereits 1936 zur Veröffentlichung bestimmt  waren, die aber einer allgemeinen Krise des französischen Verlagswesens zum Opfer fiel.

Gabriel Astruc Meine Skandale Verlag BerenbergZum anderen folgt ein kurzer Abriss der Lebens- und Karrieregeschichte des Autors als einer „Schlüsselfigur der Musikgeschichte“, geschrieben von Myriam Chimènes, beginnend mit der Mittelung des Figaro vom 5.11.1913, nach der das Theater Astrucs „seine Aufführungen unterbrechen“ wird. Bereits 1902 hatte Astruc die Zeitschrift Musica gegründet, 1904 seine eigene Firma mit der Société Musicale ins Leben gerufen, einen Verlag für Musik und eine Künstleragentur zugleich. Die amerikanische Mentalität und das dortige Musikleben faszinierten ihn so sehr, dass er beschloss, seine „Projekte im Zeichen des Dollars“ zu konzipieren. Seine Memoiren erschienen unter dem Titel „Le pavillon des fantomes“, um die finanziellen Mittel für den Bau eines eigenen Theaters flüssig zu machen, gründete der Impresario eine Aktiengesellschaft, der Erwerb des dafür vorgesehen Grundstücks scheiterte unter anderem an antisemitischen Anfeindungen, so dass der Name des Theaters, das an der Avenue Montaigne gebaut wurde, über den wahren Standort trügt. Eröffnet wurde es mit Berlioz` Benvenuto Cellini, fortgeführt wurde die Saison mit dem achten Auftritt der von Astruc nach Paris geholten Balletts Russes von Diaghilew, der Boris Godunow konnte wegen einer finanziellen Katastrophe des Theaters nur mehr als einmalige, von den Mitwirkenden veranlasste Aufführung gezeigt werden. Bis zu seinem Tode 1938 arbeitete Astruc vor allem als Musikredakteur.

Die Texte Astrucs sprechen von einem gesunden Selbstbewusstsein, teilweise sogar von einer gewissen Arroganz und sind bei weitem nicht frei von einem selbstgefälligen name dropping, wenn er aufzählt, wer alles sich  in den Logen seines Hauses und anderer, von ihm bespielter Theater tummelte. Da wimmelt es von Namen aus internationalem Hochadel und berühmten Künstlern, von denen ihm besonders Proust bei Angriffen zur Seite stand. Den Skandal sieht der Verfasser als eng verbunden mit der Musikwelt, sieht beinahe in ihm eine Garantie für den späteren Erfolg eines Kunstwerks. Seine ganz persönlichen Skandale sind die Aufführung der Salome  mit dem Dirigenten Richard Strauss, der die Künstlerin, die anstelle von Emmy Destinn die Salome tanzte, zurecht wies, als sie sich beim Applaus ostentativ an seine Seite stellt; die Tänzerin Ida Rubinstein als Heiliger Sebastian in Debussys „Martyrium“, die den Erzbischof von Paris auf den Plan rief; die angeblich obszöne Geste von Nijinsky als Faun, der (weil der Vorhang zu schnell fiel) allzu lüstern sich über den Schleier der begehrten Nymphe warf und schließlich im Mai 1913 „Die denkwürdige Schlacht um den Sacre du Printemps“ .

Das alles ist mit leichter Feder, unterhaltsam und amüsant, dazu nicht ohne Selbstironie geschrieben, bitterer wird es, wenn sich Astruc über die Gründe äußert, die die klassische Musik, unter ihr die Oper, ruinieren werden: der Tango, der Sport, das Kino. Nun, inzwischen wurde auch schon das Kino totgesagt, und sowohl Kino als Oper leben noch (Verlag Berenberg, 125 Seiten; ISBN 978-3-937834-84-9). Ingrid Wanja  

Franco Fagiolis DG-Debüt

Die Deutsche Grammophon hat zum ersten Mal einen Countertenor exklusiv unter Vertrag genommen. Und man hat sich richtig entschieden: Franco Fagioli ist (für mich) der stimmlich flexibelste Kandidat seiner Stimmlage und das beweist er auch auf der neu erschienen und ganz auf ihn zugeschnittenen Gesamtaufnahme von Glucks Orfeo ed Euridice. Zu hören ist die italienische Originalfassung von 1762. Die französische Fassung Orphée et Eurydice von 1774 liegt ebenfalls bei DG-ARCHIV vor und zwar in der großartigen Einspielung Marc Minkowskis aus dem Jahr 2002, bei der der Tenor Richard Croft vorbildlich die Rolle des Orphée sang (und die Stimmung in die originale Tiefe gelegt wurde). Damals wie heute – die vorliegende Aufnahme wurde im Frühjahr 2015 angefertigt – erfolgte die Einspielung im Pariser Théâtre de Poissy. Damals wie heute handelt es sich um eine inspirierte und beachtenswerte Einspielung, die für Gluck-Freunde eine Bereicherung des Repertoires darstellt. Ein Rivale dieser Neueinspielung ist 2001 bei harmonia mundi erschienen: René Jacobs‘ Referenzaufnahme der italienischen Version mit dem Freiburger Barockorchester besetzte die ursprünglich für den italienischen Kastraten Gaetano Guadagni geschriebene Rolle des Orfeo mit der Mezzosopranistin Bernarda Fink. Der Verdienst und die Stärke dieser Neueinspielung liegen darin, dass man mit Fagioli die für mich bisher beste Aufnahme mit einem Countertenor vorlegen kann.

Wer Franco Fagioli bereits live erlebt hat, weiß um seinen drei Oktaven umfassenden Stimmumfang, seine Belcanto-Technik, das sensible Vibrato und die atemberaubende Virtuosität, mit der er rasend schnell Koloraturen singen und ein Publikum zum Staunen und Jubeln bringen kann. Bei dieser Neueinspielung setzt Fagioli verschiedene Ausrufezeichen und zeigt, dass der Orfeo für ihn eine Paraderolle ist, bei der er seine außergewöhnliche Stimme in Szene setzen kann: verführerisch und schmeichelnd (besonders schön in der 1. Szene des 2. Akts), sensibel und voller Ausdruck (z.B. in „Che puro ciel“ oder „Che faró senza Euridice“), und mit klarer Höhe und in typischer Manier Fagiolis („Addio, o miei sospiri“). Auch wer Fagiolis Timbre gewöhnungsbedürftig findet, muss den stimmlichen Fähigkeiten des Argentiniers hier seinen Tribut zollen. An Fagiolis Seite finden sich die schwedische Sopranistinnen Malin Hartelius als Euridice

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und Emmanuelle de Negri als Amore. Stimmlich kontrastieren und ergänzen sich die drei Sänger sehr gut; sie haben, wie auch Chor und Orchester, diese Oper bereits seit 2013 in identischer Zusammensetzung aufgeführt. Gespielt wird auf historischen Instrumenten. Die französische Dirigentin Laurence Equilbey, die Nicolaus Harnoncourt als ihren Mentor nennt, leitet das von ihr gegründete Insula Orchestra und den tadellos klingenden Choeur Accentus. Zu hören ist eine sehr gute, feinfühlige, anteilnehmende, die Ausdrucksmöglichkeiten zwischen Trauer, Hoffnung, Gedenken und Verzweiflung auslotende Interpretation, die den Originalklang-Klassikern (z.B. der oben erwähnte René Jacobs oder auch Sigiswald Kuijken mit La Petite Bande) wesensverwandt ist, ohne sich davon deutlich abzusetzen oder sie zu übertreffen. Die Box enthält drei CDs und überraschenderweise ist die Gesamtoper auf der zweiten und dritten CD. Die erste CD ist ein 66minütiger Querschnitt der Höhepunkte der vorliegenden Einspielung, ergänzt durch drei zusätzliche Stücke der Pariser Version (1774). Hier kann man dann den Reigen seliger Geister, den Tanz der Furien sowie die Bertoni-Arie „Addio, o miei sospiri“, als Bravourstück für Fagioni, hören. Diese Einstiegs-CD ist sowohl sehr guter Appetitanreger als auch zusammenfassende Highlight-CD für Fagioli-Fans oder die, die es werden wollen. (ARCHIV Produktion, 3 CDs, 479 5315). Marcus Budwitius