Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Smetanas „Dalibor“

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Smetanas heroische Oper Dalibor gehört für mich zu den wenigen Schätzen für die einsame Insel – seit ich Nicolai Gedda und Teresa Kubiak unter Eve Queler (New York 1977, inzwischen auch auf Gala) darin gehört habe, muss ich mir jedesmal die Augen wischen, so sehr ergreift mich das Liebesduett der beiden im zweiten Akt, Miladas wunderbares Solo ebenfalls dort und seine zu Herzen gehende Freiheits-Arie im dritten. Gedda – immer am besten als gebrochener Held (wie in seinen Meyerbeer- und Berlioz-Partien) – war hier unerreicht, pathoserfüllt und eben jener ideale Zwischenfachtenor von Jugendlichkeit, Heroik und Liebender. Ich kenne nichts Besseres von ihm.

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Es gibt für westliche Ohren kaum überzeugende Dalibor-Aufnahmen, zudem sind die meisten offiziellen von der Supraphon aus der Tschechoslowakei betagt. Während sich die Tenöre meistens gut schlagen (Prybl, Blachut und andere) bleiben die Damen oft stimmlich scharf und weiß in der Höhe und bestätigen Vorurteile gegen tschechische Soprane (Podvalova, Hrncirova, Abramova, Kniplova/brrrrrrrr u. a.), einzig die Subrtova  (Krombholz) und die Depoltova (Smetacek) stimmten mich milde, weil bei gedeckter Höhe liebenswürdig im Klang. Selbst die Janku, erfolgreich in italienischen Partien, bleibt hier unfreundlich, auch die Mikova in Edinburgh oder die Veberova zuletzt in Pilsen. Aus Cagliari erreicht uns ein Live-Mitschnitt mit der nicht wirklich sympatischen Milada der Urbanova und dem strammen Dalibor von Popov auf Dynamic – schon sehr spannend dirigiert von Yoram David, aber nicht wirklich idiomatisch und irgendwie global. 1995 war die letzte Aufnahme der Supraphon mit wiederum Urbanova (und da bleibe ich bei meinem Urteil, sie baute doch was den Klang betrifft schnell ab und ist mir zu heroisch-scharf) und einm sehr annehmbaren Marian als Dalibor unter Kosler, aber für meinen Geschmack ohne diese Magie der neuen Aufnahme.

Nicolai Gedda singt den Dalibor bei Eve Queler/OBA

Unbefriedigend ist der Dalibor aus München unter dem hinreißenden Kubelik (Myto), denn Konya schluchzt sich durch die Partie, und die Weathers bleibt viel zu klein in der Stimme. Aus Wien gibt es eine RCA-Live-Aufnahme mit der Rysanek, die da wie immer ihr eigenes Ding veranstaltet, und Spiess, der stemmt und den Dalibor mit dem Radamès verwechselt. Aber bei beiden hat man Deutschsprachiges vor sich, was dem Verständnis dient. Tschechisch ist ja im Ausland kaum verbreitet. Eine BBC-Aufnahme (Gala) lässt uns die eher trocken-fulminante denn stimmschöne Tinsley hören, die daraus einen englischen Turandot-Auftritt macht und nicht sonderlich sympatisch herüberkommt – alle (und es gibt noch weitere Live-Mitschnitte) haben was, aber wenige das oben Gewünschte und Erlebte.

Aber es gibt Abhilfe! Endlich. Bei Onyx ist (bei schlampiger Ausgabe) der Mittschnitt eines BBC-Konzertes aus der Londoner Barbican Hall vom Sommer 2015 erschienen, und der lässt keine Wünsche offen (selbst wenn mir Gedda & Kubiak im Ohr bleiben). Denn unter Jiří Bělohlávek erlebt  man eine der überwältigendsten Opernaufnahmen der letzten Jahre – und dafür stehe ich! Was er mit dem BBC Symphony Orchestra dem dem BBC-Chor hier hören lässt ist eine Glanzleistung an Klang, an Interpretation und an Feuer. Dalibor (1868 Prag, Libretto von Josef Wenzig in der tschechischen Übertragung von Ervin Spindler) steht stilistisch/inhaltlich zwischen Beethoven und Wagner (und Dvorák natürlich)

Die wunderbare polnische Sopranistin Teresa Kubiak singt eine erfüllte Milada bei Eve Queler/ poland.us

und kann machtvolle Chöre ebenso aufbieten wie zarteste Liebesduette, ergreifende Soloszenen und -Arien und eben jenen pathosreichen, vaterländisch-tschechischen  Klang, den wir mit Smetanas Moldau assoziieren, wo bei prachtvollen Holzbläsern und wunderbar-weichen Streicherfiguren ein Panorama der tschechischen/mährischen Befindlichkeit vor uns ausgebreitet wird.

Dalibor ist Smetanas einzige tragische Oper, die überquillt von Gefühlen, von Hass und Verzweiflung, von grenzenloser Liebe und elementarem Freiheitsdrang, von Nationalstolz und Selbstbewusstsein. Dies alles lässt uns Bělohlávek in genialer Weise erleben, lässt uns daran teilnehmen, lässt uns eintauchen in eine heroisch-romantische Welt der Klänge. Orchester wie Chor hat man selten so homogen und eben so „befindlich“ gehört. Und da es ein Livemitschnitt ist, springt der Funke vom enthusiasmierten Publikum auch auf uns über – eine große, bedeutende Erfahrung.

Richard Samek/ operaplus.cz

Richard Samek/ operaplus.cz

Gesungen wird ganz prachtvoll. In der Titelpartie hört man den jungen Richard Samek voller Heldentum, voller feuriger Jugendlichkeit, aber eben auch empfindsam, Gedda-nah und ihm in manchen Wendungen sehr ähnlich. Ein gebrochener, jugendlicher Held mit Empfindsamkeit, ein Lohengrin in Böhmen & Mähren vielleicht, denn die musikalischen Assoziationen stellen sich durchaus  ein, 18 Jahre nach  Wagners Oper. Dana Buresovas Stimme war mir in den ersten Minuten ein wenig zu hell, und vielleicht ist die Partie der Milada ein Quentchen zu groß für sie, aber sie steigert sich ungemein, erfüllt mit leuchtendem, festem und höhengedecktem Sopran die Rolle der widerwillig Liebenden mit Leuchtkraft – eine tschechische Leonore großen Zuschnitts und großer Interpretation. König Vlasdislav ist mit Ivan Kusnjer bestens besetzt: eine feste, sonore und gutsitzende Baritonstimme, auch er ein eher schlanker Held und ein ganzer Mann. Als Freundin und Vertraute Jitka macht Alzbeta Polackova absolut beste Figur, mit schön-timbrierter, fester und vor allem auch höhenstarker Sopranstimme in dieser wichtigen Nebenrolle. Arles Voracek, Svatopluk Sem und Jan Stava holen viel aus ihren kleineren Partien heraus und runden dieses nationalsprachige Ensemble ab. Was für ein Gesamterlebnis!

Leider wird dieser Eindruck rein faktisch durch die popelige Ausgabe bei Onyx getrübt. Neben einem viersprachigen Einführungstext findet man die Besetzung in Kleinstschrift (weiß auf grün) nach einigem Suchen auf der Cover-Rückseite, Angaben zu den Sängern werden mit dem Hinweis bedient: Schauen Sie auf unserer website nach! Dort findet man unter vielem Klicken einen Hinweis auf das genannte Konzert in der Londoner Barbican Hall. Und ein weiterer Hinweis gilt dem eben nicht abgedruckten Libretto („1951 Supraphon“), das man auch auf der Onyx-website suchen muss. Besser ist es, gleich nach dem Konzert vom 2. Mai 2015  im Netz zu suchen und von den überwältigenden Kritiken bestätigt zu werden: Bei der BBC und anderen websites kann man das alles nachlesen (2CD Onyx 4158). Geerd Heinsen

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Abschluss von Jacobs’ Mozart-Zyklus

 

Seine Einspielung der großen Mozart-Opern für harmonia mundi setzt René Jacobs – nach der da-Ponte-Trilogie, den opere serie Idomeneo und Tito, der frühen Finta giardineria und der späten Zauberflöte – nun mit dem Singspiel Die Entführung aus dem Serail fort und sorgt damit  für einen gewichtigen Schlusspunkt in der Reihe seiner Mozart-Aufnahmen. Wie erwartet, gelingt dem Dirigenten auch bei diesem so oft eingespielten Werk (die Anzahl der Gesamtaufnahmen dürfte zwischen 50 und 100 liegen) eine ganz ungewöhnliche, unkonventionelle Deutung. Dies bezieht sich vor allem auf den Einsatz des gesprochenen Dialogs, der hier fast ungekürzt zu hören ist und sogar während der Musiknummern eingesetzt wird. Fließend gehen Musik und Sprache ineinander über, was an manche Opernhörspiele des Rundfunks in den 1950er/60er Jahren mit ihrer lebendigen Geräuschkulisse erinnert. Auf der anderen Seite lässt Jacobs vom Hammerklavier (Andreas Küppers) in den Dialog Musikfetzen aus anderen Kompositionen Mozarts einfließen – so einige Takte aus der c-Moll-Fantasie KV 475 in einer Szene Bassa/Konstanze. Das Instrument ist durchweg präsent und untermalt beinahe alle Gesangsnummern, mit den erregt tremolierenden Akkorden aber auch das riskante Unterfangen des nächtlichen Fluchtversuchs.

Das Ensemble singt fast durchweg auf hohem Niveau. Alle Interpreten finden in ihren Arien zu individuellen Akzenten und reichen Verzierungsvarianten. Mit Robin Johanssen ist die zentrale weibliche Partie des Stückes stimmig besetzt. (Auch nimmt der Sammler überrascht und erfreut zur Kenntnis, in einer Jacobs-Aufnahme einmal nicht Sunhae Im zu begegnen.) Die heikle Auftrittsarie, „Ach, ich liebte“, meistert sie bravourös und lässt keinerlei Probleme mit den vertrackten Koloraturen erkennen. Das ist keine Primadonnenstimme, aber eine jugendliche und zutiefst menschliche. Das Rezitativ „Welcher Wechsel“ gestaltet  sie mit bebender innerer Erregung, die Arie „Traurigkeit“ mit innigem Ausdruck und reichem Ton. Die vom Orchester heftig eingeleitete „Martern“-Arie (wo noch Sprachfetzen von ihr und vom Bassa zu hören sind) gelingt ihr gleichfalls sehr ansprechend, sieht man von der etwas flachen Tiefe ab. Kultiviert, lyrisch-schlank und mit großer Empfindsamkeit singt Maximilian Schmitt den Belmonte. Das noch um ein Vielfaches erweiterte Zierwerk in der Arie „Wenn der Freude“ bewältigt er mit leichter Emission und in keinem Moment strapaziertem Ton. Auch die gefürchteten Koloraturen der „Baumeister“-Arie gelingen imponierend. Für den Pedrillo ist Julian Prégardien geradezu eine Luxusbesetzung, denn er singt die Partie mit reicher lyrischer Substanz und vermeidet jeden buffonesk-neckischen Anstrich. Das „Frisch zum Kampfe“ ertönt entschlossen und mit kämpferischem Mut, die nächtliche Serenade wird nicht gesäuselt, sondern mit schöner Substanz formuliert. Das Da capo deutet in seinem drängenden Tempo die Eile des Unternehmens an. Auch Mari Eriksmoen verleiht der Blonde einen reizenden Tonfall mit ihrem kecken, silbrigen Sopran. Nur die Extremnoten der ersten Arie klingen etwas gequietscht, „Welche Wonne“ singt sie keck und beherzt. Köstlich ist ihre übermütige Überlegenheit in den Szenen mit Osmin. Dimitry Ivashchenko überrascht in dieser Partie mit fast akzentfreiem Gesang, der Bass selbst ist nicht von erster Qualität. Da fehlt die satte Fülle, da stört manch verfärbter Ton. „O, wie will ich triumphieren“ erklingt zwar mit höhnischem Spott, doch mangelt es an Gefährlichkeit, die er erst im finalen Vaudeville erreicht. In der Sprechrolle des Bassa irritiert der langjährige Salzburger Jedermann, Cornelius Obonya, mit recht verschwommener Sprache von heiserem Klang und deutlich verhaltenen Ausbrüchen. Interessant ist der bewusst eingesetzte fremde Akzent. Bassas erster Auftritt wird noch vor dem üblichen Chor der Janitscharen mit einem Türkischen Marsch von Michael Haydn eingeleitet. Jacobs betont überhaupt das türkische Lokalkolorit der Musik, lässt deren orientalische Elemente mit oft martialischer Gewalt hereinbrechen, die Becken, Triangel, Trommeln und Schellen rasseln. Die Akademie für Alte Musik Berlin spielt mit explosiver Verve und musikantischer Lust. Der Dirigent reizt schon in der Ouvertüre die Kontraste zwischen wuchtigem forte und verhaltenem piano beinahe extrem aus. Wild und aggressiv ertönen die Janitscharen-Motive. Im Kontrast dazu werden die menschlichen Konflikte der Geschichte mit schmerzlicher Lyrik von stärkster Intensität ausgebreitet. Die orchestrale Qualität gehört zweifellos zu den Meriten dieser Aufnahme (3 CD harmonia mundi, HMC 902214-15). Bernd Hoppe

Kunst und Oberfläche

 

Die Komische Oper Berlin – zusammen mit den Forschern Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi – hat ein außerordentlich vielseitiges und kontroverses Buch über Operette zusammengestellt, dessen Titel schon provoziert: Kunst und Oberfläche: Operette zwischen Bravour und Banalität. Das Buch mit seinen 21 Essays zum Thema ist beim Henschel Verlag erschienen. Um den Appetit zur Lektüre und Beschäftigung mit dieser spannenenden Materie anzuregen, folgt nachstehend die Einleitung von Bettina Brandl-Risi, Clemens Risi und Rainer Simon mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Henschel Verlages. Dank auch an Kevin Clarke vom Operetta Research Center, auf dessen website wir diesen anregenden Text erstmals fanden. G. H..

henschel brandl-risi kunst der oberflächeDie Operette genoss und genießt auch heute noch in der Musiktheaterpraxis einen mitunter zweifelhaften Ruf – zu leicht, zu albern, zu kitschig und vor allem zu oberflächlich. Flankiert wird diese Haltung von einer Opern- und Theaterforschung, die dieses Genre bis ins 21. Jahrhundert hinein eher stiefmütterlich behandelt. Seit einigen Jahren kann jedoch eine Veränderung in dieser Wahrnehmung, eine regelrechte Renaissance der Operette beobachtet werden – nicht zuletzt an der Komischen Oper Berlin unter der Intendanz von Barrie Kosky.

Dort wurde der oftmals verkannten Gattung zu Beginn des Jahres 2015 ein gemeinsam mit der University of Chicago, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der internationalen Fachzeitschrift The Opera Quarterly (Oxford University Press) veranstaltetes, dreitägiges Symposium mit Musik-, Theater-, Kulturwissenschaftlern, Philosophen und Künstlern aus Europa und den USA gewidmet. Dieser Band fasst die Ergebnisse der Tagung unter dem vieldeutigen Titel Kunst der Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität und unter Beibehaltung des mitunter mündlichen Gestus der Beiträge zusammen. Ziel ist hierbei einerseits, die abschätzigen Zuschreibungen, die sich unter der negativ konnotierten Begriffsverwandten „Oberflächlichkeit“ zusammenfassen lassen, in näheren Augenschein zu nehmen. Andererseits ist gerade nach den produktiven Möglichkeiten an der Oberfläche zu fragen. Denn sind es nicht diverse Oberflächenäußerungen, die uns mitunter die tiefsten Einblicke in historische, gesellschaftliche und ästhetische Zusammenhänge geben?

Operette par excellence: Fritzi Massary/ Wiki

Operette par excellence: Fritzi Massary/ Wiki

Und führt nicht das Funkeln und Glitzern der sinnlichen Oberflächen – ob einer Stimme, eines Raumes oder eines Körpers – zu ganz eigenen ästhetischen Erlebnissen, die es näher zu betrachten lohnt? Und sollte daher die vorschnelle Einordnung als „bloße Unterhaltungskunst“ nicht überdacht und auf den Prüfstand gestellt werden? Dass sich die Vorbehalte auch in der Wissenschaft gegenüber der Operette in den letzten Jahren glücklicherweise fundamental gewandelt haben, dafür hat auch und vor allem die Riege der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesorgt, die im vorliegenden Band vertreten sind.

Das Symposium verfolgte eine doppelte Zielrichtung: Zum einen wurde die historische Dimension der bislang eher biographisch und werkorientiert denn kulturwissenschaftlich aufgearbeiteten Blütezeit des musikalischen Unterhaltungstheaters in Deutschland neu zur Diskussion gestellt. Es wurden also zum einen historische Bohrungen insbesondere zur Szene der 1920er- und 1930er-Jahre (mit Rückblicken auf den Beginn des 20. Jahrhunderts) vorgenommen, die kulturpolitische Funktionen und Funktionalisierungen und deren philosophische Reflexion, die Verhandlung gesellschaftlicher Debatten ebenso wie theaterästhetische, medienästhetische, darstellungstheoretische und technikgeschichtliche Implikationen der Aufführungspraxis von Operetten herauspräpariert haben. Und zum anderen richtete sich der Fokus auf die Gegenwart der Aufführungspraxis, also das neu erwachte Interesse für die Operette der 1920er- und 1930er-Jahre. Was bedeutet diese Renaissance heute? Gibt es ein erneutes Interesse für eine kulturelle Praxis jenseits von „E“ und „U“ und wieso?

Operette mit Schmalz: "Rosen in Tirol"/ Youtube

Operette mit Schmalz: „Rosen in Tirol“/ Youtube

Angeknüpft werden konnte dabei an die für die Operettenforschung maßgeblichen Studien in biographischer Perspektive,[1] in musik- und theaterwissenschaftlicher Perspektive, [2] in literaturwissenschaftlicher Perspektive [3] sowie in im weitesten Sinne kulturhistorischer und diskursanalytischer Perspektive (zu topographischen Fragen, zu Frauen- und Genderrollen, zur politischen Dimension) [4]. Das Anliegen des Symposiums ging aber gerade dezidiert über diese bereits etablierten Forschungspositionen hinaus, indem nach den Gründen für die erneute Beschäftigung mit der (Revue-)Operette der Zwischenkriegszeit gefragt und insbesondere die Diskussion über die aktuellen Inszenierungs- und Aufführungsstrategien der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der (Revue-)Operette geführt wurde.

Nach einem einführenden Text zur Konjunktur der Oberfläche im Gegenwartstheater wird diesen Fragen in vier jeweils thematisch unterschiedlich ausgerichteten Sektionen nachgegangen.

Operette mit Mädels, Berlin 1929/ youtube

Operette mit Mädels, Berlin 1929/ youtube

In der ersten Sektion Hochkultur und Entertainment: Operette zwischen E und U wird mit einer grundsätzlichen Befragung der kulturkritischen Debatten um „E“ und „U“ aus der Perspektive der Philosophie/Musikästhetik, der Theaterhistoriographie und der Praxis ein theoretischer Horizont für die Diskussion um die Renaissance der (Revue-)Operette der 1920er- und 1930er-Jahre bereitgestellt. Kritisch beleuchtet werden hierbei ebenso die historischen Diskurse des „Ernsten“ und des „Leichten“/„Unterhaltenden“ wie die Frage, welchen Status diese Debatten der Moderne für die kulturellen Praktiken der Gegenwart haben, in denen einerseits postmoderne Ästhetiken noch spürbar sind, andererseits programmatische Ästhetiken der Politisierung eingefordert werden. Zur Sprache kommen insbesondere historische Positionen zu „E“ und „U“ (Adorno, Kracauer). Offen bleibt die Frage der Standortbestimmung von (Musik-)Theater im Zeichen der Globalisierung, etwa im Sinne der „McTheatre-Debatte“[5], die der Konfektionierung einer Marktlogiken folgenden Theaterorganisation das Wort redet, im Gegensatz zu den zahlreichen Diversifizierungsmöglichkeiten in einem (zutiefst lokal verankerten) Kunstsubventionssystem wie in Deutschland.

Operette auf dem See: Der Zigeunerbaron" in Mörbisch 2011/ youtube

Operette auf dem See: Der Zigeunerbaron“ in Mörbisch 2011/ youtube

In der zweiten Sektion Stars und Diven: Genregrenzen und der Charme der Überforderung werden Operetten als Agenten von medien- und genre-sprengenden künstlerischen Praktiken und der Hybridisierung der Künste (zwischen Oper – Schauspiel – Film – Revue) befragt. Lässt sich bereits das Genre Operette selbst als Zitatkunst (der Darsteller und Handlungen/Dramaturgien) verstehen, so fungieren die Operettenstars und -diven als Hybride zwischen Aufführung und Mediatisierung [6] ebenso wie zwischen den unterschiedlichen Künsten. Den spezifischen Charakteristika der Stars und Diven der Operette und den besonderen Herausforderungen an sie wird besondere Aufmerksamkeit zuteil. Verschiebt sich das Konzept der Diva im Falle dieser Operetten? Im Operngesang geschulte Stimmen treffen mit Stimmen von Schauspielerinnen und Schauspielern und solchen aus dem Bereich des Jazz und des Chanson zusammen. Unerwartete Übernahmen von Kompetenzen aus anderen Gewerken bestimmen die Aufführungspraktiken damals wie heute: Sängerinnen müssen sich bewegen wie Revuetänzerinnen, Schauspielersingend neben Sängern bestehen können. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Besetzung von aus anderen Zusammenhängen berühmten Stars (Gustaf Gründgens, Hans Albers, Käthe Dorsch, Richard Tauber; heute z. B. Dagmar Manzel, Katharine Mehrling, Max Hopp, Christoph Marti) sowie der Frage der Historizität des Stars, inwiefern also jeder dieser Stars immer auch als Zitat seiner eigenen Geschichte auftritt. Zeigt sich in diesem „Charme der Überforderung“ jenseits von Genregrenzen, dieser Reibung der Kompetenzen, deren je eigene Virtuosität hohes Attraktionspotential birgt, eine Nähe zu jenen Ästhetiken der auf die virtuose Spitze getriebenen Imperfektion, die in aktuellen künstlerischen Konzepten im Gegenwartstheater [7] virulent sind? Erweist sich gerade das Hybride der Operetten als Attraktionsmoment für gegenwärtige Theaterschaffende, die das Diskontinuierliche des Materials zu betonen scheinen und ein Genießen der Oberflächenphänomene jenseits von Handlung und Psychologie ermöglichen? Dem Ruf nach der Überschreitung von Genregrenzen und nach performativen Hybridformen, die die experimentelle zeitgenössische Musiktheaterpraxis immer wieder fordert, wird in deren scheinbarem Gegenpol, der Operette, seit jeher gefolgt.

Operette mit Hula: "Die Blume von Hawai" 1933/ youtube

Operette mit Hula: „Die Blume von Hawai“ 1933/ youtube

Die dritte Sektion Operette als gesellschaftlicher / kultureller / technologischer Seismograph widmet sich der Frage, inwiefern sich Operetten als Seismographen ihrer Zeit begreifen lassen. Zur Diskussion steht hier die Verflechtung theatraler Praktiken mit neuen Medien und Technologien des Audiovisuellen (Operette und Tonfilm), der Telekommunikation und akustischen Medien wie Telefon und Radio (als Übertragungsmedien) sowie der Ausprägung spezifischer „auditiver Kulturen“ des frühen 20. Jahrhunderts. Der Ort der historischen Operetten innerhalb einer Kultur der Metropole mit ihren spezifischen Erfahrungen von Modernität wird dabei ebenso befragt wie ihre Funktion als Vehikel und Symptom der Internationalisierung und Globalisierung (das „Transatlantische“).

Inwiefern können Operetten als Austragungsort von Debatten über Gender-Fragen, deren Ambivalenzen und auch die Rolle von Sexualität verstanden werden? Oder lässt sich die kulturelle Funktionvon Operette in dieser Zeit eher als Nostalgie-Figur der Selbstreflexionin der Kultur der Weimarer Republik fassen? Unweigerlich geraten mit der Diskussion der Operetten der 1920er- und 1930er-Jahre politische und kulturpolitische Krisenmomente in den Blick. Was geschieht mit diesem Genre und seinen Machern zwischen nationalsozialistischerVereinnahmung, Konformität, Verbot, Vernichtung und Exil? Die durch das Aufkommen des Nationalsozialismus gebrochene Geschichte der Operette und die damit einhergehende Vereinnahmung und Domestizierung des vormals wilden Genres kann so sichtbar werden, also die Folgen jenes dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte, das mit Maßnahmender NS-Kulturpolitik wie Aufführungsverboten begann und in der Verfolgung und Vernichtung der vielen jüdischen Künstlerinnen und Künstler endete, die die Operetten der 1920er- und 1930er-Jahre produziert und aufgeführt hatten. Es geht um die Frage von Mechanismen der Hegemonialisierung und Verdrängung im Repertoire, die bis in unsere Gegenwart wirken.

Master of Operetta: Max Reinhardt/ wiki

Master of Operetta: Max Reinhardt/ wiki

In der vierten und letzten Sektion Operette heute steht die Frage zur Diskussion, wie die Musiktheaterpraxis heute mit diesen Operetten umgeht. Welche Haltungen werden zu den textlichen, musikalischen, formalen und den im weitesten Sinne diskursiven Vorlagen (zum Beispiel der latenten oder expliziten Ironie) eingenommen? Lässt sich so etwas wie Nostalgie diagnostizieren nach einer Zeit, die ihrerseits (in den 1920er-Jahren) selbst eine nostalgische war? Wird hier ein Aushandlungsfeld einer in bestimmten Aspekten vergleichbaren gesellschaftlichen Situation aufgesucht, die von (ökonomischer) Krise, Globalisierung, einer Vergewisserung über Fragen von Moderne/Modernität, Hybridisierung und der Debatte über Gender-Fragen bestimmt ist?

Sowohl der Gegenstand als auch der Veranstaltungsort des Symposiums gaben Anlass, die eingangs formulierten Fragen aus verschiedenen Perspektiven und in ganz unterschiedlichen Formaten zu beleuchten.

Master of Operetta 2: Ernst Lubitsch/ Wiki

Master of Operetta 2: Ernst Lubitsch/ Wiki

Dieser Vielfalt der Formate entsprechend, finden sich in diesem Band neben ausführlicheren Abhandlungen auch kürzere Statements, bei denen wir daran interessiert waren, den mündlichen und diskussionsorientierten Duktus auch in der Buchform beizubehalten. Insbesondere war uns daran gelegen, auch den künstlerischen Beiträgen innerhalb des Symposiums einen Ort in der Publikation einzuräumen, da uns von Beginn an wichtig war, unseren schillernden Gegenstand nicht nur wissenschaftlich-theoretisch, sondern ebenso künstlerisch-praktisch zu beleuchten. Entsprechend eines Verständnisses von Kunst und Wissenschaft, das ersterer auch Forschungsqualitäten und letzterer auch performatives Potential beimisst, das nicht nur die Dichotomie zwischen Oberfläche und Tiefe, sondern auch diejenige zwischen Theorie und Praxis produktiv hinterfragt, fanden

während des Symposiums künstlerische Interventionen statt, welche sich mit den verschiedenen Themenbereichen kreativ auseinandersetzten: Die Musicaldarstellerin Katharine Mehrling zeigte eine durchaus unterhaltsame Seite an Adornos ernsthaften Ausführungen über die Operette auf – in einem Vortrag, der übertrieben seriöse bis hin zu parodistischen Elementen, dadaistisch anmutende Wortverdrehungen, Gesangseinlagen und -improvisationen vereinigte. Gemeinsam mit Christoph Marti von den Geschwistern Pfister berichtete sie in einem halbfiktiven Gespräch von den Sonnen- und Schattenseiten des Lebens als Star, wobei die beiden Diven, in Kostüm und Maske und in Begleitung zweier Schoßhündchen, stets zwischen ihrer jeweiligen Operettenrolle und der Privatperson, zwischen Daisy Darlington (aus Ball im Savoy) und Katharine Mehrling einerseits, zwischen Clivia Gray (aus Clivia) und Christoph Marti andererseits changierten.

Die Operette Möriken-Wildegg hat seit rund 90 Jahren Tradition. Alle zwei Jahre gibt es eine Aufführung, dieses Jahr «Die Herzogin von Chicago» von Emmerich Kalman. Über 200 Personen sind an der Produktion beteiligt, darunter ein Laienchor, ein Profi-Orchester und Baletttänzerinnen/ srf.ch

Die Operette Möriken-Wildegg hat seit rund 90 Jahren Tradition. Alle zwei Jahre gibt es eine Aufführung, dieses Jahr «Die Herzogin von Chicago» von Emmerich Kalman. Über 200 Personen sind an der Produktion beteiligt, darunter ein Laienchor, ein Profi-Orchester und Baletttänzerinnen/ srf.ch

Gemeinsam mit der Performance-Gruppe Interrobang und dem Publikum wurde am letzten Symposiumstag in Form einer interaktiven Feldforschung nach Antworten auf die Frage gesucht, wie die Operette der Zukunft aussehen könne. Einige Bild- und Textspuren sowohl dieser Liveveranstaltungen als auch der zahlreichen Diskussionen, deren performative Qualitäten sich nur sehr begrenzt in einem Buch darstellen lassen, finden sich an der ein oder anderen Stelle dieses Bandes wieder. Maßgeblichen Anteil an der Konzeption und Durchführung des Symposiums hatten Johanna Wall und Pavel B. Jiracek, in deren Händen die dramaturgische Betreuung der künstlerischen Interventionen von Interrobang und von Katharine Mehrling lag und deren ebenso elegante wie eloquente Moderation einen Nachhall in den am Ende jeder Sektion abgedruckten Zitaten aus den Diskussionen finden.

Abschließend möchten wir uns bei der Augstein Stiftung, der Peter Dornier Stiftung und der Zeitschrift The Opera Quarterly (Oxford University Press) für die finanzielle Unterstützung des Symposiums, das die Grundlage dieses Bandes bildete, bedanken. Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses geht unser Dank an den Universitätsbund Erlangen-Nürnberg sowie an das Präsidium der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zudem möchten wir Cordula Reski-Henningfeldt und Andra-Maria Jebelean für die redaktionelle Mithilfe Dank sagen.Bettina Brandl-Risi, Ulrich Lenz, Clemens Risi, Rainer Simon/ Berlin und Erlangen, Juni 2015

Kunst und Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität von Bettina Brandl-Risi, Ulrich Lenz, Clemens Risi, Rainer Simon, 224 Seiten, Henschel Verlag, ISBN-13: 9783894877804

 

Dazu Anmerkungen: [1] Vgl. z. B. Kevin Clarke, „Im Himmel spielt auch schon die Jazzband“. Emmerich Kálmán und die transatlantische Operette 1928–32, Hamburg 2007; Stefan Frey, Franz Lehár oder das schlechte Gewissen der leichten Musik, Tübingen 1995; ders., „Unter Tränen lachen“. Emmerich Kálmán. Eine Operettenbiographie, Berlin 2003; Ute Jarchow, Analysen zur Berliner Operette. Die Operetten Walter Kollos (1878–1940) im Kontext der Entwicklung der Berliner Operette, München 2013. [2] Vgl. u. a. Marion Linhardt, Residenzstadt und Metropole. Zu einer kulturellen Topographie des Wiener Unterhaltungstheaters (1858–1918), Tübingen 2006; Clarke, „Im Himmel spielt auch schon die Jazzband“, a. a. O. [3] Vgl. z. B. Ethel Matala de Mazza, „O-la-la“. Auftritte einer Diva, in: Bettina Brandl-Risi/Gabriele Brandstetter/Stefanie Dieckmann (Hrsg.), Hold it! Zur Pose zwischen Bild und Performance, Berlin 2012, S. 217–239; dies., Wo kein Wunder geschieht. Goetheliebe und anderes Leid in der lyrischen Operette Franz Lehárs, in: Daniel Eschkötter/Bettine Menke/Armin Schäfer (Hrsg.), Das Melodram – ein Medienbastard, Berlin 2013, S. 98–114; Heike Quissek, Das deutschsprachige Operettenlibretto – Figuren, Stoffe, Dramaturgie, Stuttgart 2012. [4] Vgl. u. a. Tobias Becker, Inszenierte Moderne. Populäres Theater in Berlin und London, 1880–1930, Oldenburg 2014; Tobias Becker/Len Platt/David Linton (Hrsg.), Popular Musical Theatre in London and Berlin 1890 to 1939, Cambridge 2014; Kevin Clarke, Glitter And Be Gay. Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer, Hamburg 2007; Moritz Csáky, Kultur als Kommunikationsraum – am Beispiel Zentraleuropas, in: Zeitschrift für Mitteleuropäische Germanistik 1 (2011), S. 3–24; Albrecht Dümling (Hrsg.), Das verdächtige Saxophon. „Entartete Musik“ im NS-Staat, Neuss 2007; Marion Linhardt, Inszenierung der Frau – Frau in der Inszenierung. Operette in Wien zwischen 1865 und 1900, Tutzing 1997; Daniel Morat, Die Sinfonie der Großstadt. Berlin und New York, in: Gerhard Paul/Ralph Schock (Hrsg.), Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute, Bonn 2013, S. 156–161; Wolfgang Schaller (Hrsg.), Operette unterm Hakenkreuz. Zwischen hoffähiger Kunst und „Entartung“. Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden, Berlin 2007. [5] Vgl. Dan Rebellato, Theatre & Globalization, Basingstoke 2009. [6] Vgl. Elisabeth Bronfen/Barbara Straumann, Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München 2002; Werner Faulstich/Helmut Korte (Hrsg.), Der Star. Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München 1997. [7] Vgl. Bettina Brandl-Risi, „Ich bin nicht bei mir, ich bin außer mir“. Die Virtuosen und die Imperfekten bei René Pollesch, in: Jens Roselt/Christel Weiler (Hrsg.), Schauspielen heute. Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten, Bielefeld 2011, S. 137–156.

 

Foto oben: The merry Widow, Ernst Lubitsch 1934 MGM, Ausschnitt/ artsemerson.org

Grosses Kino

Nicht nur eine Oper in der Oper gibt es in Rufus Wainwrights Erstlingswerk Prima Donna, die Entstehungsgeschichte der CD selbst könnte schon Stoff für ein Musikstück liefern. Ursprünglich als Auftragswerk für die Met geplant, wurde es dort wegen des Bestehens des zweisprachig in Kanada aufgewachsenen Komponisten auf der französischen Sprache nie aufgeführt, sondern weit weniger spektakulär im Jahre 2009 in Manchester, danach noch in Toronto und Melbourne, die CD kam erst nach einem aufreibenden Spendenauftreiben bei der Deutschen Grammophon heraus. Der Komponist, vor der Uraufführung seiner zunächst als Einakter, dann um einen weiteren Akt erweiterten Oper als Singer, Songwriter und Mitwirkender an Filmmusik bekannt, schildert in bewegten Worten, wie verschiedene Ereignisse, so das Sehen des Interviews Lord Harewoods mit Maria Callas und die Krebsdiagnose der Mutter, das Entstehen der Oper beeinflussten, dass offensichtlich angezweifelt wurde, er habe die Instrumentierung selbst vollbracht und dass die Kritiken sehr unterschiedlich ausfielen.

Das Thema entspricht in etwa dem des Hollywood-Films Sunset Boulevard, handelt von einer alternden Diva, die ihr Comeback plant, nachdem ihr sechs Jahre zuvor bei einem schwierigen Duett beim hohen Ton die Stimme wegbrach. Nun fühlt sie sich bereit, sich wieder an die Partie der Aliénor von Aquitanien zu wagen, unterstützt von einem treu erscheinenden, aber sich als berechnend erweisenden Butler und einem Dienstmädchen. Ein Journalist soll mit einem Interview das Wiedererscheinen der Prima Donna auf der Opernbühne vorbereiten, verführt sie aber dazu, das Duett zu singen, wobei das gleiche Malheur geschieht wie vor sechs Jahren. Auch ein Traum oder eine Wahnvorstellung, in dem der Journalist ihr Tenorpartner in eben diesem Duett ist, bringt sie nicht davon ab, auf ihr Comeback zu verzichten. Der Butler verlässt sie, der Journalist, der sie geküsst hatte, erscheint mit seiner Verlobten, um sich ein Autogramm geben zu lassen. Die Diva bleibt allein zurück und betrachtet vom Fenster aus das Feuerwerk am Abend des französischen Nationalfeiertags 14. Juli.

Auf einem Foto im Booklet zeigt sich der Komponist als Verdi verkleidet, während sein Partner als Puccini auftritt. Dessen Musik, mehr noch die Massenets, scheint das Idiom Wainwrights beeinflusst zu haben, das im Zentrum des Werks stehende Duett aus der fiktiven Oper Alinéor  (á la Citizen Kane) erinnert stark an Berlioz´ „Nuit d’ivresse“, die Harmonik ist effektvoll, auch wenn das oft eigentlich nicht zur Handlung passen mag, ein musikalisch irrlichterndes Flimmern und Flirren durchzieht das gesamte Werk, das abgesehen von manchen Extremhöhen, die aber handlungsbedingt sind, sehr singbar ist. Der Vorwurf der Gefälligkeit dürfte nicht ausbleiben, nichts Bahnbrechendes, aber durchaus Brauchbares und dankbare Rollen, wenn auch an Kitsch und Klischee  gemahnend, kann der Hörer erwarten.

Die Partie der Madame Régine Saint Laurent wird von Janis Kelly gesungen, deren sonstiges Repertoire zwischen Despina und Marschallin angesiedelt ist. Der Sopran ist recht dunkel getönt, kann einen hysterischen Anstrich annehmen wie auch den Ausdruck des Entrückten. Marie, der mitfühlende Dienstbote, lässt im sehr hellem, unerweckt klingendem Sopran von Kathryn Guthrie nicht das Schicksal der von Mann und Kindern stark beanspruchten Frau aus dem Volk erkennen, er klingt oft gläsern klirrend und hat Probleme mit der Extremhöhe. Einen herben, hellen, etwas trockenen Tenor, der auch ätherisch klingen kann, hat Antonio Figueroa für den Journalisten André Letourneur, der Bariton Richard Morrison singt mit zunächst dumpfer, später im Schwelgen in Erinnerungen angenehm sonorer Stimme. Es gibt zwei stumme Rollen mit der Braut des Journalisten und einem weiteren Diener. Jayce Ogren leitet das BBC Symphony Orchestra und lässt es in üppigen Tönen schwelgen (DG 479 5340). Ingrid Wanja

Primadonna del Melodramma

 

Sie ist 90 Jahre geworden – unglaublich. Und sieht keinen Tag älter als maximal sechzig aus, unglaublich – was für eine schöne und immer noch betörende Frau. Operngeschichte und Superstar in einer Legende vereint. Herzlichen Gückwunsch!!!

Im zweiten Schub der „Most wanted recitals“ der Decca findet der Sammler und Stimmenliebhaber eine CD mit Virginia Zeani mit dem unverfänglichen Titel: Operatic Recital, umseitig dann entdeckt man mit Freude angeschnitten die Puccini Arias, die eine unter Altmeister Gavazzeni aus Florenz in Mono 1956 und erstmals als CD, die (ehemals auf Belart/Polygram) wiederveröffentlichte andere unter dem feurigen Patané in Stereo aus Rom 1958. Che gioa, ruft man aus – die wunderbare Virginia Zeani in exzellentem Sound (bei popeliger Ausstattung) und in ihrem Kernrepertoire, allen Opernliebhabern unbedingt zu empfehlen! In unsere Zeit der verwaschenen Globalisierung leuchtet diese ungewöhnliche und hochindividuelle Stimme zu uns herüber.

zeani decca coverObwohl  in Bukarest/ Rumanien am 21.  Oktober  1925 geboren, wurde  Virginia  Zeani  stets  in  erster  Linie  für  eine  italienische Sängerin gehandelt, schon weil sie – abgesehen von der italienischen Schulung der Stimme – bereits seit 1948 in ltalien wohnte. Sie hatte zudem eine italienische Mutter. Sie hatte wie die meisten rumänischen Sänger eine solide Ausbildung in Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft  erhalten und hatte während  ihrer Jugend  in ihrem Heimatland bereits Gesang  bei der ehemals berühmten russischen Koloratursopranistin Lydia Lipowska genommen. Als sie als junge Frau in Mailand, damals die Gesangs-Metropole, eintraf, begann sie ihren Unterricht bei dem unvergleichlichen Star-Tenor der 30er und 40er, Aureliano  Pertile. Er war es auch, der seine Elevin überredete, eine erste Vorstellung einer Traviata in Bologna zu übernehmen, die in letzter Minute durch den Ausfall des vorgesehenen Soprans bedroht war (die berühmten Zufälle!, die Parallele zur Callas drängt sich auf). Die Zeani übernahm also innerhalb kürzester Zeit diese Partie und hatte ihren ersten soliden Erfolg, so sehr, dass sie die Rolle bald in anderen Häusern, z. B. Turin, sang. Die Violetta wurde zu einer Erkennungspartie, einem Markenzeichen ihrer langen Karriere. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon optisch als sehr schöne Frau für diese Rolle besonders geeignet, besaß sie doch bereits damals ihre warme, sehr persönlich timbrierte und ungemein flexible, glottisreiche und tiefendunkle Stimme, deren langen Atem, lange Bögen und ungeheure lntensität sie mit einer überaus attraktiven Buhnenerscheinung und natürlichem, engagiertem Spiel verband.

Virginia Zeani: als Cleopatra an der Scala/T

Virginia Zeani: als Cleopatra an der Scala/T

Die italienische Opernwelt war für sie offen: das Teatro Massimo in Palermo (stets ein Testfall für Erfolg), San Carlo in Neapel, die Arena di Verona, das Teatro Costanzi in Rom und natürlich Mailands traditionsreiche Scala, an der sie 1956 ihr Debüt als Händels Cleopatra gab. lhr Repertoire umfasste nun die üblichen Koloraturrollen, aber sie fügte dem bereits jetzt die interessanteren, schwereren hinzu: Thais, Margherita/Boito, Butterfly, Manon, Elsa (!) und die weibliche Hauptrolle in Mascagnis Piccolo Marat (Mariella). 1957 hatte sie die Ehre, in einem illustren Kreis (u. a. mit Leyla Gencer und Margherita Carosio) in der Uraufführung von Poulencs Dialogues des Carmelites an der Scala mitzuwirken, und auch die Rossini- und Donizetti-Rollen, für die sie spater so berühmt war, kündigten sich mit Maria di Rohan und Otello an.

Virginia Zeani: als Zelmira/T

Virginia Zeani: als Zelmira/T

Sie beschränkte ihre Auftritte nicht auf ltalien: London (am Stoll­ Theatre mit Sängern wie  Bergonzi, Raimondi, Mascherini  u. a. in Rollen wie Lucia di Lammermoor oder Violetta), Wien, Paris, Lissabon, dann in  Spanien, der Schweiz, Griechenland. Selbst Südafrika und Ägypten waren ihr nicht zu weit. In den USA hörte man sie vergleichsweise selten. Abgesehen von zwei Vorstellungen als Violetta an der Met (1966) und einem Auftritt als Elena in Vespri siciliani beim Newport Festival am 23. August 1967 im Gastspiel der Met sang sie weder hier noch an anderen wichtigen Häusern der USA: Möglicherweise wegen des damaligen überwaltigenden Erfolges der Moffo als Violetta waren ihr diese Möglichkeiten versperrt.

Virginia Zeani: als Tatjana/T

Virginia Zeani: als Tatjana/T

Die Reaktionen auf die Traviata der Zeani in Amerika waren eher unauffällig. Wie stets war es die Carnegie Hall in New York, die sich um die weniger Prestigereichen kümmerte. Als Cleopatra gab sie eine umjubelte Konzertvorstellung. Ihr eigentliches  Amerika-Debüt fand 1958 in Philadelphia in derselben Rolle (neben Siepi, Nikolaidi und Flagello) statt.  Der große amerikanische Kritiker Max de Schauensee lobte damals ihre außergewohnlich flexible, warme Stimme,  deren individuelle Farben, traumwandlerische Sicherheit und enormen Umfang neben der einmaligen Koloratursicherheit. Alles fand sich zu einem stimmlichen wie inhaltlichen Ausdruck zusammen, wie man es bis dahin selten gehört hatte (und seitdem kaum, wenn überhaupt,  wieder erlebt hat!). Das Einmalige an der Zeani-Stimme, so schien es de Schauensee wie auch vielen anderen, waren vor allem ihr Engagement und ihre absolute lntonationssicherheit des Tons, den sie stets von der Mitte her attackierte – in klassischer Manier und bei idealem Fokus.

Virginia Zeani: mit Ehemann und Kollegen Nicola Rossi Lemeni/T

Virginia Zeani: mit Ehemann und Kollegen Nicola Rossi Lemeni/T

Aus einer wirklichen amerikanischen Karriere wurde also nichts. Sie ging zurück nach ltalien, wo sie Nicola Rossi Lemeni, den berühmten Bass der Nachkriegszeit, heiratete. Wieder folgten Traviata in Florenz, Butterfly im Fenice; ihre Stimme wurde – wie die Kritik mit Freude anmerkte – dramatischer, üppiger, bei kleinen Einbußen der exponierten Höhe – der übliche Preis für die dramatischeren, charaktervolleren Partien, die ihr nun immer häufiger angeboten wurden. Magda in Il Console von Menotti 1972 wurde zu einem enormen Erfolg für sie, die sich zunehmend auf die großen Verismo-Rollen spezialisierte: Fedora, Adriana, Tosca und auch  Margherita/Mefistofele.

Es sind diese Rollen, mit denen sie bis in die späten Sechziger noch ihre großen persönlichen Erfolge haben konnte, wenngleich sie in kluger Selbsteinschätzung (und sicher auch beraten von Rossi Lemeni)  begonnen hatte, eine zweite Karriere als Lehrerin, zusammen mit ihrem 1991 verstorbenen Mann oder auch in Meisterkursen allein, zu erarbeiten, als feste und als Gast-Professorin in den USA, Europa und Neuseeland. Heute lebt sie in Bloomington (Indiana) und in Florida.

Virginia Zeani: Erfolgspartie Lucia di lammermoor/T

Virginia Zeani: Erfolgspartie Lucia di Lammermoor/T

Wie bereits erwähnt, zeichnet sich die Stimme der Zeani in erster Linie durch ihr exzeptionelles Timbre aus, das  unterschiedliche und sehr persönliche Reaktionen hervorruft. Sie hat durchaus nicht eine „bequeme“, nur schöne Sopranstimme, sondern eine höchst individuelle, dramatische (oft auch im besten Sinne melodramatische), deren ungeheure Leistungsfähigkeit und Beteiligung ihre Rollendarstellungen zu außergewöhnlichen Erfahrungen macht, die den Hörer nie kalt lassen. Das warme Timbre, die eigenwilligen Glottis-Einlagen und unverhohlen theatralischen Effekte erinnern an die ältere Kollegin Olivero, mit der sie das Engagement und die Bedingungslosigkeit des Einsatzes gemeinsam  hat. Auch die Callas blieb auf die Zeani nicht ohne Einfluss, was deren Rollen betraf. Elvira, Zelmira, Maria di Rohan, Amina, Alzira, Rossinis Desdemona gingen unzweifelhaft auf das von Maria Callas geweckte lnteresse an unbekannteren Belcanto-Opern zurück. Sie selbst hat übrigens einmal gesagt, dass Maria Callas wohl die bedeutendste Sängerin jener Zeit gewesen sei, was für einen gesunde Selbsteinschätzung spricht.

Virginia Zeani: als Margherita/Boto in Rom/T

Virginia Zeani: als Margherita/Boito in Rom/T

Die offizielle Schallplattenindustrie ist an ihr, wie an vielen Sängern ihrer Zeit, stiefmütterlich vorübergegangen. An Studio-Aufnahmen gibt es ein Arien-Recital mit der Auswahl ihrer Erfolgspartien (Lucia, Violetta, Mimì) unter Gavazzeni bei London – nun erstmals (!!!) als CD erschienen, sowie ein (dto.!!!) Puccini-Recital unter Patané (ebenfalls bei Decca in der neuen Serie der „Most wanted“) sowie ein Verdi/Puccini-Recital unter Brediceanu (auf der heimischen Electrecord). Bei Philips gab´s ein Verdi/ Rossini-LP-Album (Otello-Auszüge mit ihrem Mann, Garaventa und Zedda) sowie zwei Traviata-Einspielungen: eine Gesamtaufnahme in gekürzter Form unter Annovazi (LP/ ML) und komplett mit Herlea/ Buzea unter Bobescu (ehemals Electrocord, nun Carlton u.a./CD). Ein Querschnitt derselben Aufnahme erschien bei Europa/Billiglabel (oder Joker/ltalien dto).

Dass die Zeani auch Frühe Musik singen konnte, zeigen nicht nur ihre Giulio Cesare-Ausschnitte (live), sondern auch eine köstlich-humorvolle Aufnahme der Serva padrona mit ihrem Ehemann Nicola Rossi Lemeni (ehemals bei Saga/LP, inzwischen wie viele ihrer anderen Aufnahmen als Billig-CD auf manchen Labels  im Warenhaus). Eine Tosca aus Bukarest/Electrocord im Studio gibt´s wieder verramscht bei Carlton u. a.

Virginia Zeani: Publicity shot als Violetta/Ferrandina

Virginia Zeani: Publicity shot als Violetta/Ferrandina

Wie stets in diesen Fällen der Großen, Unterrepräsentierten, geschah es auch hier, dass die private lndustrie ihr die Ehre einer späten Hommage angetan hat. Die inzwischen verblichene Firma Replica hatte in hervorragendem Stereo ihren RAl-Otello von Rossini als Mitschnitt der berühmten Radio-Produktion von 1960 herausgegeben (CD bei GOP und Opera d´Oro), bevor sie damit 1962 in Rom und 1963 in New York und Berlin (am Theater des Westens, auch davon gibt’s einen technisch schwierigen Mitschnitt) ihre großen Erfolge hatte; von der New Yorker Vorstellung gibt es ebenfalls einen – technisch nicht sehr guten – Stereomitschnitt bei MRF/LP. Weiterer Rossini kommt von dem Mitschnitt ihrer berühmten Zelmira (1965 Neapel/LP/MRF 93, auf CD bei GOP und anderen/Opera d´Oro). Weitere Gesamtaufnahmen mit der Zeani, die sie maßstabsetzend in den jeweiligen Partien finden, haben Sammler schon lange. Die Carmelites gibt es als Premierenmitschnitt, Verdis Otello aus Rom 1962 mit McCracken und unter Serafin (LR), Alzira ebenfalls aus Rom 1967, die Tosca live (mit Domingo 1975 in Barcelona, LR – die Brüder Ferrandina aus New York betrieben die Firma Legendary Recordings und waren die wichtigsten Promoter für Aufnahmen der Zeani, die mit ihnen befreundet war). Mercadantes Elisa e Claudio als LP-Memento gab es komplett auf CD bei Melodram, Mefistofele liegt als spärlicher LP-Querschnitt von LR vor, die Adriana von 1974 aus Catania gibt es in großen Teilen ebenso wie die wunderbare Fedora (mit Domingo) von 1968 auf LR, auch ihre Manon Lescaut aus Barcelona 1978. De Banfields Oper Alissa gab es mit der Zeani bei Melodram/CD. Il Piccolo Marat von Mascagni aus Livorno bei Foné wurde bereits erwähnt,  einen weiteren von 1962 aus San Remo gab´s dto. live bei Fonit Cetra. Außergewohnlich ist sicher auch ihre Antonida in Glinkas Una vita per lo Zar unter Simonetto 1954 bei der RAI Milano (auf CD ehemals bei GOP). Gala hat eine Live-Traviata aus Neapel mit Savarese und Raimondi 1956 unter Questa. Die interessantere ,,inoffizielle“ erschien als ausgiebiger Querschnitt bei LR als Übertragung zweier Vorstellungen in London 1960 und 1966 (mit William McAlpine). RCA/Eurodisc hatte mal die Manon Lescaut aus Rom mit Richard Tucker unter Thomas Schippers im Programm, live. Bongiovanni veröffentlichte auch ihre Puritani aus Triest mit Mario Filippeschi unter Molinari-Pradelli.

Virginia Zeani: Treffen mit berühmten rumänischen Kolleginnen (Mariana Niicolesco links und Eugenia Moldeveanu/rechts)/OBA

Virginia Zeani: Schwatz mit berühmten rumänischen Kolleginnen (Mariana Nicolesco links und Eugenia Moldoveanu/rechts)/OBA

Neben unendlich vielen Einzelaufnahmen bei verschiedenen LP-Firmen, die nicht wirklich ausreichend auf CDs erschienen sind, gibt es in zwischen Volume 1 – 4 an Live-Zusammenstellungen bei Bongiovanni. Schließlich ist bei Bongiovanni ihre Gilda unter Sanzogno von 1955 RAI Mailand auf CD erschienen. Hier wie in ihren Verismo-Aufnahmen (wenn man Puccini mit dazu rechnen darf) betört der Klang der Zeani-Stimme und beeindruckt ihr Engagement, das rücksichtslos über mögliche stimmliche Bedenken sich sein Durchschlags-Vermögen bis zum Ende der Karriere bewahrt hat. So auf einem späten Recital, das sie zusammen mit Franco Corelli Anfang 80 in New York gegeben hat (LR-LP), und dem man entnimmt, dass die Stimme im Grunde genommen nichts von ihren charakteristischen Eigenheiten verloren hatte.

Virginia Zeani: Rumänien 2011

Virginia Zeani: Rumänien 2011/Net

Die oben erwähnten Tondokumente stellen nur eine subjektive Auswahl dar und sind im Einzelnen begehrte Sammlerstücke geworden, weil die Umschnitte von den Live-LPs auf CD nur zögerlich erfolgten und das Copyright-Gesetz nun einer weiteren Verbreitung Sperren setzt.Von Virginia Zeani gibt es weitaus mehr Aufnahmen  unter Sammlern, so Alfanos Resurrezione mit Limarilli, Neapel 1975, sogar eine Senta von 1970 und vieles, vieles mehr, und es ist zu hoffen, dass sich engagierte Firmen weiterhin um diese heute nur noch den aficionados bekannte bedeutende Singschauspielerin des letzten Jahrhunderts  bemühen.

Deshalb ist die Erst-/Wieder-Veröffentlichung ihrer beiden Decca-LPs auf einer CD im Rahmen des unschätzbaren „Most wanted“-Projektes der Decca so lobenswert. Technisch sensationell aufgebessert klingt die Stimme der Zeani aus ihrer Bestzeit unvergleichlich und unglaublich packend herüber. Danke Decca!  Ohne die Zeani wäre die Welt der italienischen Oper ärmer gewesen: Sie ist in Wahrheit die Primadonna del melodramma bis heute. Geerd Heinsen

Virginia Zeani: Operatic recital (Donizetti, Bellini, Verdi, Puccini); Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino; Leitung – Gianandrea Gavazzeni; Bonus: Virginia Zeani – Puccini Arias; Orchestra dell´Accademia di Santa Cecilia, Roma; Leitung – Franco Patané; Decca 480 8187

 

(Mit  Dank  an  Karl-Friedrich Trieselmann  für die  ergänzenden Angaben und – soweit nicht anders gekennzeichnet – auch für die Fotos, die seiner umfangreichen und Staunen machenden Zeani-Sammlung entnommen sind/T!)

Und die „offizielle“ website für Virginia Zeani: http://virginiazeani.com/

 

Große Emotionen

 

Die armenische Sopranistin Karine Babajanyan ist eine Sängerin, die mit ihren Rollenporträts tief berührt. Am Samstag, dem 24. Oktober 2015,  debütiert sie in der Premiere von Mefistofele an der Bayerischen Staatsoper München, deshalb nun ein Gespräch für operalounge.de mit Tomothy McNeill.

Karine Babajanyan/ Foto Katalin Karsay

Karine Babajanyan/ Foto Katalin Karsay

Tränen fließen, es werden reihenweise Taschentücher gezückt,  das Publikum bricht in orkanartigen Jubel aus. Wir befinden uns in der Staatsoper Stuttgart im Dezember letzten Jahres. Karine Babajanyan, ehemals langjähriges Ensemblemitglied des Staatstheater Stuttgart, hat gerade einspringenderweise den Abend gerettet und dabei eine Bilderbuch-Butterfly gesungen: Mit dunklem, samtenem Timbre, geschmackvoller Phrasierung, unendlichen stimmlichen Kraftreserven und der Fähigkeit, die Zuschauer mit ihrer Interpretation tief zu berühren, gar zu erschüttern. Die Sopranistin ist für mich eine der ganz wenigen Sängerinnen, die auf so direkte Art und Weise ihr Publikum erreichen, und das nicht nur als Cio-Cio-San, sondern in einem erstaunlich breiten Repertoire. Neben Puccini tritt sie unter anderem in Partien Verdis, Giordanos, Bellinis, Mozarts, Janáceks, Tschaikowski und Halévys auf. An der Bayerischen Staatsoper debütiert sie nun als Elena in Roland Schwabs Neuproduktion von Boitos Mefistofele an der Seite von Joseph Calleja, René Pape, Kristine Opolais und dirigert von Omer Meir Wellber. Im Interview vor der Premiere berichtet die faszinierende Sängerin von der Münchner Produktion, ihrer Paradepartie Madama Butterfly und den Dreharbeiten zum Bond-Blockbuster „Ein Quantum Trost“, in dem sie in einer kurzen Szene als Tosca mitgewirkt hat.

Karine Babajanyan: als Ariadne   an der Deutschen Oper am Rhein 2015/ Foto: Hans Jörg Michel

Karine Babajanyan: als Ariadne an der Deutschen Oper am Rhein 2015/ Foto: Hans Jörg Michel

Sie sind sicher momentan eine der vielseitigen Sopranistinnen. In Ihrem Repertoire findet man sowohl Partien Mozarts, als auch Verdis, Puccinis, Janáceks, Bellinis und Strauss, um nur einige zu nennen. Wie hält man die Stimme nach großen Verdi- und Puccini-Partien noch flexibel für Mozart und Belcanto? Ich habe mir dieses breite Repertoire in mehr als 15 Jahren hart erarbeitet und kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich damals als junge Sängerin diese wunderschönen Partien mit Lust und Neugier singen durfte. Allerdings würde diese Leistung nicht ohne Disziplin und einer soliden Gesangstechnik funktionieren. Im großen und ganzen singe ich alle Partien mit der gleichen Technik, es ist wichtig, sich für einzelne Stücke Zeit zu nehmen und sie rechtzeitig einzustudieren.

Karine Babajanyan als Amelia in "Un ballo in maschera", Burgplatz Open Air Braunschweg, Juli 2015 (mit Luca Grassi als Renato)/ Foto: Volker Beinhorn

Karine Babajanyan als Amelia in „Un ballo in maschera“, Burgplatz Open Air Braunschweg, Juli 2015 (mit Luca Grassi als Renato)/ Foto: Volker Beinhorn

Ab dem 24. Oktober stehen Sie als Elena in der Neuproduktion von Mefistofele an der Bayerischen Staatsoper München auf der Bühne. Können Sie uns etwas über die Produktion verraten? Wie sehen Sie die Rolle der Elena? Welche stimmlichen Anforderungen birgt die Partie? Ich bin sehr glücklich, an der Bayerischen Staatsoper zu debütieren. Die Partie der Elena ist das beste, was mir jetzt passieren konnte. In einer ganz kurzen Zeit habe ich die Möglichkeit, fast alle meine Erfahrung, die ich als Sängerin besitze, zu zeigen. Es variiert zwischen lyrischen und dramatischen Passagen. Man hat nicht wie gewöhnlich eine Aufwärmzeit und muss in einer ganz kurzen Zeit sehr präsent sein. Die Partie der Elena fordert viel Konzentration und Sprachkenntnis, denn es wird auch fast deklamiert. Nach der dramatischen Troja-Erzählung muss man bereit sein, sehr schöne Legato-Kunst zu zeigen. Und eine gewisse Leichtigkeit in der Stimme zu präsentieren. Über die Produktion verrate ich am besten nichts, es soll spannend bleiben bis zur Premiere. Das Einzige, was ich verraten kann ist, dass wir uns im IV. Akt nicht im antiken Griechenland befinden.

Wie würden Sie die Entwicklung Ihrer Stimme über die Jahre beschreiben? Mit jeder neuen Partie habe ich persönlich eine Entwicklung meiner Stimme erreicht. Die Stimme wird reifer und erfahrener. Sie hat an Fülle gewonnen. Wie spürt man, ob man bereit für eine neue Partie oder eine Facherweiterung ist? Zunächst einmal ist es wichtig, ob ich mich in dieser Rolle sehe, und ob die Anforderungen der Rolle meiner stimmlichen Lage entsprechen. Anschließend wende ich mich den Menschen zu, die ich schätze und die mir bei dieser Entscheidung helfen. Die Intuition spielt natürlich auch eine wichtige Rolle.

Karine Babajanyan als Rachel/ "La Juive" am Opernhaus Zürich 2011/ Foto: Suzanne Schwiertz

Karine Babajanyan als Rachel/ „La Juive“ am Opernhaus Zürich 2011/ Foto: Suzanne Schwiertz

Welche Rolle hat Mozart in Ihrer Karriere gespielt? Tatsächlich hat Mozart eine sehr wichtige Rolle in meiner Karriere gespielt. Meine allererste Aufgabe als Solistin (damals im Chor) war das Mozart-Requiem, was ich sehr oft gesungen habe. Dann hat meine Solo-Karriere angefangen. In meinem Repertoire sind Mozart-Rollen wie Gräfin, Fiordiligi, Donna Elvira sowie Elettra. Ich wünsche mir auch heute noch Mozart zu singen, denn das bestätigt den guten stimmlichen Zustand einer Sängerin.

Als Ihre Paradepartie gilt die Madama Butterfly, eine Rolle, die alle Reserven einer Sopranistin fordert, vor allem wegen der Länge der Partie. Das könnte eine gute Vorbereitung für die Anforderungen des dramatischen Fachs sein – ist in Richtung Wagner etwas geplant? Welche Wagnerrollen würden Sie interessieren? Ja, die Cio-Cio-San, ist eine Rolle die ich sehr schätze und am meisten gesungen habe. Neben allen gesanglichen Schwierigkeiten und Längen der Partie, freue ich mich immer, wieder diese Rolle zu spielen und die tragische Geschichte der Geisha zu erzählen. Als erste Wagnerpartie wünsche ich mir die Elisabeth.

Welchen Komponisten ziehen Sie als Sängerin vor? Und die Musik welches Komponisten hören Sie am liebsten? Es fällt mir schwer, unter mehreren meiner Lieblingskomponisten jemanden vorzuziehen. Ich höre in meiner Freizeit sowohl klassische Musik als auch Jazz und andere Genres. Ab und zu werde ich sehr nostalgisch und höre armenische Musik. Gibt es bestimmte Traumpartien? Es gibt einige Traumpartien, die ich singen möchte. Diese wären u.a.: Marschallin, Adriana Lecouvreur, Lisa (Pique Dame) und Sieglinde.

Karine Babajanyan und Sebastien Soules bei der "Tosca"-Präsentation der Bregenzer Festspiele, die Schauplatz des James-Bond-Filmes "Ein Quantum Trost" mit Daniel Craig ist/ Trailer youtube

Karine Babajanyan und Sebastien Soules bei der „Tosca“-Präsentation der Bregenzer Festspiele, Schauplatz des James-Bond-Filmes „Ein Quantum Trost“ mit Daniel Craig/ Trailer youtube

Im James Bond Film „Ein Quantum Trost“ sind Sie als Tosca in einer Szene zu sehen, die während einer Aufführung bei den Bregenzer Festspielen spielt. Wie denn die Dreharbeiten berichten? Die Dreharbeiten waren ungewöhnlich, weil wir in der Nacht drehen mussten. Die Vorbereitungen waren ebenfalls interessant. Die Kostümanprobe z.B. in meiner Wohnung in Stuttgart, wo die ganze Mannschaft aus London plötzlich bei mir Zuhause war und mich eingekleidet und dazwischen über Stars wie George Clooney geplaudert hat, war eine interessante Erfahrung. Mein Kostüm hat die berühmte Designerin Vivienne Westwood entworfen. Überhaupt zu erleben, wie eine der berühmtesten Spielfilme entsteht, war ein großartiges Erlebnis!

 

Biografie: Karine Babajanyan schloss ihr Gesangsstudium am Konservatorium von Eriwan mit Auszeichnung ab und perfektionierte ihre Technik in Rom bei Mirella Parutto sowie in Stuttgart bei Dunja Vejzovic. Ihre künstlerische Laufbahn begann die armenische Sopranistin am Nationaltheater von Jerewan, verlegte ihren Karriereschwerpunkt aber schnell nach Deutschland, wo sie erst unter anderem in Berlin, Essen, Hannover, Koblenz und Bielefeld auftrat, bevor sie von 2003 bis 2011 ins Ensemble der Stuttgarter Staatsoper wechselte. Dort erarbeitete sie sich ein breites Rollenspektrum, das Partien wie Contessa in Le nozze di Figaro, Elettra in Idomeneo, Leonora in Il Trovatore, Tatiana in Eugen Onegin, Carmen, Mimi in La Bohème, Tosca und Norma umspannte.

Karine Babajanyan/ Foto Katalin Karsay

Karine Babajanyan/ Foto Katalin Karsay

In einem außergewöhnlich umfangreichen Repertoire trat die Sängerin in Gastverpflichtungen unter anderem an der Berliner Staatsoper (Cosí fan tutte), der Hamburgischen Staatsoper (Madama Butterfly, Ariadne auf Naxos), der Oper Frankfurt (Madama Butterfly), der Semperoper Dresden (La Bohème), dem Opernhaus Zürich (La Juive), dem New National Theatre Tokyo (Madama Butterfly), der Oper von Peking (Un ballo in maschera), der New Israeli Opera Tel Aviv (La Juive und Jenufa), den Bregenzer Festspielen (Tosca, Aida und Andrea Chénier), dem Grand Théâtre Genf (Madama Butterfly), der Finnischen Nationaloper Helsinki (Così fan tutte), der Königlichen Oper Kopenhagen (Così fan tutte), der Ópera de Bellas Artes Mexico City (Eugen Onegin), der Vlaamse Opera Antwerpen (Madama Butterfly, Don Carlos und Don Giovanni), in Warschau (Don Carlo), den Opernhäusern von Basel (Eugen Onegin und Norma) und Bern (Mazeppa) auf. In der Spielzeit 2014/2015 war sie in der Titelpartie von Ariadne auf Naxos in Düsseldorf, in Madama Butterfly in Stuttgart, als Maddalena in Andrea Chénier und Amelia in Un ballo in maschera in Braunschweig, in ihrem Rollendebüt als Alice Ford in Falstaff in Essen und in einem Galakonzert als Carmen mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen zu erleben. 2015/2016 folgt Karine Babajanyans Debüt an der Bayerischen Staatsoper als Elena in einer Neuproduktion von Mefistofele, Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper am Rhein Duisburg, Verdis Requiem in der Stuttgarter Liederhalle und ein Liederabend im Palast der Künste Budapest.Karine Babajanyan hat mit Dirigenten und Regisseuren wie Daniel Oren, Carlo Rizzi, Nicola Luisotti, Robin Ticciati, Lothar Zagrosek, Muhai Tang, Stefan Soltesz, Alexander Joel, Helmut Rilling, Piergiorgio Morandi, Jonathan Nott, Carlo Montanaro und Julian Kovatchev; Peter Konwitschny, Philipp Himmelmann, Graham Vick, Jossi Wieler, Tatjana Gürbaca, Monique Wagemakers, Michael Schulz und Dietrich Hilsdorf gearbeitet. Die „Puccini-Sängerin der absoluten Sonderklasse“ (Das Opernglas) hat an der Seite von Giuseppe Giacomini für EMI eine CD mit Arien und Duetten Giacomo Puccinis aufgenommen (September 2015). Weitere Details zur Künstlerin finden sich auf ihrer website; Foto oben Karine Babajanyan alsTosca bei den Bregenzer Festspielen/ Foto Karl Forster/ K. B.

„Les Mystères d’Isis“ von Wenzel Lachnith

Wenzel Lachnith, Stich von Pazzi/OBA

Wenzel Lachnith, Stich von Pazzi/OBA

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Lachnith? Oder Lachnitt? Nie gehört, und erst ein Blick auf die französische Wikipedia-Seite bringt Erkenntnis, denn Louis Wenceslas/Wenzel Lachnith (1746-1820) war ein böhmischer Komponist, der im ersten Drittel des nachrevolutionären Jahrhunderts in Paris lebte, aber davon mehr später. In das Blickfeld unserer Tage getreten ist er mit seiner sehr unbekümmerten Neuschöpfung der Mozartschen Zauberflöte im November 2013 im Konzert unter Diego Fasolis in der Pariser Salle Pleyel (mit Chantal Santon-Jeffery, Marie Lemormand, Sébastien Droy, Tassis Chrstoyannis und anderen sowie dem Concert spirituel und dem Chors des Flämischen Radios)   Les Mystères d´isis heißt nun das Werk von 1801, das sich der Zauberflöte bemächtigt hat und diese als Vorlage mit vielen anderen Zutaten für einer veritable Grand Opéra verwendet. Und das nun bei Glossa (2 CD Glossa GES 921628-F – eine Besprechung der musikalischen Leistung von Michele C. Ferrari folgt nachstehend am Ende dieser Artikel)..

 

Jean-Léon Lerôme: Napoleon in Ägypten/ Wiki

Jean-Léon Lerôme: Napoleon in Ägypten/ Wiki

Vorab eine vernichtende Kritik von Hector Berlioz nach seinem Besuch der Isis-Mysterien: „Dann, als diese schreckliche Mischung hergestellt war, gab man ihr den Namen Die Mysterien der Isis, Oper; diese Oper wurde in diesem Zustand vorgestellt und veröffentlicht, mit großer Partitur; und der Arrangeur setzte neben den Namen von Mozart seinen Namen eines Kretins, seinen Namen eines Entweihers, seinen Namen Lachnith, den ich für ein würdiges Pendant zu dem von Castil-Blaze halte! So hat sich mit zwanzig Jahren Abstand jeder dieser Bettler mit seinen Lumpen auf dem reichen Mantel eines Königs der Harmonie gewälzt; so wurden, als Affen gekleidet, durch lächerliche Lumpen herabgewürdigt, ein Auge ausgestochen, ein Arm verrenkt, ein Bein gebrochen zwei geniale Menschen dem französischen Publikum vorgestellt! Und die Henker sagten zum Publikum: Das ist Mozart, das ist Weber! Und das Publikum hat es geglaubt. Und es fand sich niemand, der diese Verbrecher nach ihrem Wert behandelt hat und ihnen wenigstens ein heftiges Dementi entgegengeschleudert hat!“ , schreibt ein empörter Hector Berlioz nach dem Besuch der Mystères d´Isis von Wenzel Lachnith – aber immerhin hatte das so gescholtene Werk bis 1827 mehr als 130 Aufführungen, dem Publikum gefiel´s also. Aber Berlioz´ Verriss wirkt sich bis heute aus, wo man geneigt ist, Lachniths Umarbeitung als ein lächerliches Plagiat zu entlassen. Die moderne Erstaufführung im November 2013 in Paris (wieder einmal in Zusammenarbeit mit dem Palazetto Bru Zane und nun bei Glossa erschienen) gibt Gelegenheit zum Umdenken und zur Neueinschätzung.

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Bühnenbild zu "Le Mystères d´Isis"/Gallica

Bühnenbild zu „Le Mystères d’Isis“/Gallica

Opern-„Bearbeitungen“ in gerade jener Zeit sind keine Seltenheit und entsprechen dem Zeitgeschmack, der zu oft Bekanntes gerne aufhübschte. Niedermayer schrieb seinen Robert Bruce sehr frei nach der Rossinischen Donna del Lago (und auch Rossini war ja als Recycler seiner eigenen Werke bekannt), Berlioz machte aus dem Freischütz Webers eine veritable Grand Opéra mit Rezitativen (und Ballett!), und sogar im 20. Jahrhundert versah der Dirigent Arthur Bodansky an der Met nicht nur den Fidelio sondern auch die genannte Zauberflöte mit Rezitativen, um beide Singspiele für ein nicht deutschsprachiges Publikum leichter zu erschließen. Recht hatte er (Bodansky und nicht Berlioz). Denn die Singspielgattung ist etwas zutiefst Deutschsprachiges (in ihrer Verwandschaft mit der dto. Sprechtext-reichen opéra comique), denn der Weg zu einer Akzeptanz in anderen Ländern hängt oft am gesprochenen Text (naja, aber auch bei uns scheitert manche Aufführung/Aufnahme am abenteuerlich vorgetragenen Sprechtext beider Werke, und selbst der Fidelio bei Philips mit der monströsen Jessye-Norman-Besetzung erlebt sein Waterloo eben bei ihr…, nicht umsonst ließ Walter Legge seine Frau den Dialog der Marzelline/Hallstein doubeln…).

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Mlle Maillard war der Haussopran am Théâtre de la Rwepublique/Gallica

Mlle Maillard war der Haussopran am Théâtre de la Republique/culture.gouv.fr

1801 also gab es am Pariser Theater de la République Les Mystères d’Isis.  Der Text von Schikaneder wurde außerordentlich frei adaptiert von Etienne Morel de Chedeville (1751-1814), einem erfolgreichen Theaterdichter. Der Inhalt des Originalwerks (Die Zauberflöte) war trotz seiner scheinbaren Phantasie eindeutig freimaurerisch. Das war ein enormes Problem in Frankreich, wo die Freimaurerbewegung in der Folge der Revolution offen abgelehnt und diskriminiert wurde. Das Handlungsgerüst wurde also eine Art ägyptomanische Feengeschichte, die dennoch dem „Religiösen“ der Isispriester zu viel Platz lässt, wie die Zeitungen beklagten: Die Oper sei zu lang und es gäbe zu viele Zeremonien, zu viele Auftritte von Priestern und Priesterinnen, zu viele unnötige Prozessionen. Der Inhalt der Oper zeigt, dass der neue Librettist dennoch sehr widersprüchlichen Erfordernissen entsprechen konnte: Der Pflichtenkatalog der Institution, ein gewisser Respekt der originalen Handlung gegenüber, die Adaption der französischen Prosodie (wenn auch bisweilen holprig) in einen mehr oder weniger vorher festgelegten musikalischen Rahmen. Die heftigsten Kritiken der  Presse galten dem Text, nun in Rezitativen, die durch ihre Absurdität zum Lachen reizten. Dennoch wurde das Werk ein Hit. Ebenso wie die Musik erklären auch die opulenten Kostüme und die Bühnenbilder (abgestufte und zum Teil magisch-bläuliche Lichteffekte, die Prüfungsszenen atemberaubend) die Faszination der Pariser mit Lachniths Neuschöpfung. „Man sagt überall, dass die Kostüme brillant sind, die Bühnenbilder großartig, die Ballette göttlich“ betont das  Journal des Débats.

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Dennoch – mit den Mystères startete so eine Art Mozart-Manie in Frankreich, während dessen Rezeption vorher eher dünn gewesen war: Bestenfalls gab es mal Einzelarien in Soloprogrammen der Salons, selbst die Arie der Königin der Nacht wurde in Italienisch gesungen. Und Deutsch als Opernsprache galtn damals – wie das meiste Deutsche – als plump, provinziell und abstoßend. Man mochte die Deutschen nicht, aus gutem historischem Grund. Erst 1829 gab es die erste deutschsprachige Aufführung der Zauberflöte durch eine deutsche Truppe am Théâtre des Italiens, aber erneut in einer zusammengemischten Version. Erst Lachniths Bemühungen um eine profunde Umarbeitung der Zauberflöte präsentierten das Werk eben nicht-deutsch, im scheinbar neuen Gewand der Grand Opéra in vier Akten mit verändertem Orchester und modifizierter, i. e. märchenhafter Handlung, deren Ansiedlung in Ägypten eine durch Napoleons Feldzug durch das Land am Nil neue Basis erhielt und diese ausnutzte. Ägypten wurde ebenso zur Mode wie Mozart (Foto oben: Jean-Lous Jerôme – Napoleon in Ägypten/napoleon historical society).

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Der Startenor Francois Lys/Uni Frankfurt

Der Startenor Francois Lys/Uni Frankfurt

Wenzel Lachnith stammte aus Böhmen und arbeitete 1801 und dann wieder von 1806 bis 1816 als Repetiteur an der Pariser Oper. Er war während der Revolution emigriert und kehrte nun zurück, war bei Philidor ausgebildet worden und hatte mit Kalkbrenner und den neuen „Wilden“ der Frühklassik paktiert (es ist ja erstaunlich, wie viel an künstlerischen und politischen Strömungen in diese wenigen Jahre nach der Französischen Revolution hineingepackt ist.) Er schrieb auch Instrumentalmusik: Symphonien, Konzerte, Streichquintette und Klaviersonaten. Für modernen Ohren ging Lachnith sehr frei bei der „feindlichen Übernahme“ der Zauberflöte vor: Er strich munter in der Originalpartitur herum und fügte Ausschnitte aus Don Giovanni, La Clemenza di Tito oder Le Nozze di Figaro ein. Sogar Anleihen an Haydns Symphonien finden sich (Haydn hatte nicht als Deutscher gegolten und war allgemein anerkannt in Paris, im Gegensatz zu Mozart) und diverse Anleihen bei anderen Kollegen – all das nun transponiert, arrangiert (aus einer Arie kann durchaus ein Terzett werden!), neu orchestriert, eingefasst in einen Wust von riskanten  Übergängen, mit Hilfe von Collagen und noch abenteuerlicheren Schnitten. Zwei Takte von Mozart (mehr oder weniger verändert, denn vor einer Neuorchestrierung schreckt Lachnith nicht zurück) können einer völlig neuen Passage vorangehen, um dann wieder mit einem anderen Ausschnitt von Mozart weiterzumachen… Was das Ballett betrifft, besteht es laut den Kommentaren von 1801 aus einer Mischung von Pleyel, Haydn  und Sacchini.

Das Innere des Théâtre de la République/Gallica

Das Innere des Théâtre de la République/cinema.theaipolis

 Die musikalische Unversehrtheit der Personen wird auch nicht respektiert, ganz im Gegenteil: Monostatos zum Beispiel ist nun aufgeteilt zwischen einer Pseudo-Papagena (Mona, die nichts mehr von der Originalfigur hat) und dem Wächter.  Pamina wird die erste Arie der Königin der Nacht zugeteilt (die hier nur bis zum hohen D geht). Was Bochoris-Papageno betrifft, so besteht er aus Anteilen von Figaro, Don Giovanni und Sesto! Myrrène/Königin der Nacht ist auf Anteile von Vitellia und Donna Anna beschränkt. Ismenor (Tamino) behält seine Originalpartie hauptsächlich nur am Beginn des Werks. Als einziger bleibt Sarastro von diesen erschreckenden Manipulationen einigermaßen verschont. Dennoch – das Ganze ist durchaus ein eigenständiges Werk, und Berlioz´vernichtende Worte vom Beginn treffen nicht wirklich den Kern der Sache, denn nur wenn man die Genesis des Werkes und die zeit-geschmacklichen Umstände berücksichtigt wird man den Mysterien der Isis gerecht. Im Zeitalter der napoleonischen Ära gab es keine Kinos, keine soaps und TV-Serien – schnelle Unterhaltung hatte man auf den Bühnen der Theater, für die Unterschicht ebenso wie für die „bessere“ Gesellschaft. Les Mystères d’Isis sind einem B-Movie mit Joan Crawford in den Dreißigern vergleichbar, den TV-Vorabend-Machwerken unserer Zeit ebenso. Und sagt viel über das Unterhaltungsbedürfnis des damaligen Publikums aus (das auch andere wie Rossini oder Niedermayer wohlfeil bedienten, da ist Lachnith in guter Gesellschaft). Und ein Kuriosum am Rande: Wie populär diese neue Mozart-Mode war, zeigt eine Parodie im Théâtre du Marais: Les Mystères d’Issy, (Die Mysterien von Issy – einem Vorort von Paris!)….. G. H.

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Diego Fasolis/ ilblogdimusica.wordpress.com

Diego Fasolis/ ilblogdimusica.wordpress.com

Die unter dem Label Glossa erschienene Aufnahme bestätigt den guten Eindruck, den man aufgrund des Radio-Mitschnittes gewann. Der Tessiner Diego Fasolis rettete die beiden Pariser Aufführungen nach Erkrankung von Hervé Niquet buchstäblich in letzter Minute, aber das merkt man kaum. Trotz der widrigen Umstände ist der Erfolg dieser Produktion aber vor allem sein Verdienst. Er dirigiert keine französischsprachige Zauberflöte, sondern eine echte französische Oper, die aus Musikstücken der Zauberflöte zusammengesetzt wurde. Sein Dirigat zeichnet sich durch légèreté und rhythmische Rafinesse aus. Fasolis ist ein wunderbarer Begleiter, der seine Sänger auf Händen trägt. Unter ihnen weiß der junge Baß Jean Teitgen am besten zu gefallen. Sein Zarastro hält die Bühne mit Autorität und Eleganz. Von diesem Sänger ist noch einiges zu erwarten. Das Liebespaar erreicht nicht ganz dieses Niveau: immerhin singt Chantal Santon-Jeffery die Pamina zuverlässig und schlägt sich wacker mit der auf Pamina von Lachnith übertragenen Arie „Der Höllen Rache“. Sébastien Droy (Isménor, d.h. Tamino) setzt einen etwas engen Tenor mit gewöhnungsbedürftigem näselndem Timbre ein. Die anderen Künstler können überzeugen, ohne sich besonders hervorzutun: Marie Lenormand (Mona/Papagena), Renata Pokupic (Myrrène/Königin der Nacht), die drei Damen Camille Poul, Jennifer Borghi, die mit ihrem Alt sehr präsent agiert (von ihr ist in Kürze endlich ein eigenes Récital mit französischen Arien von Gluck bis Hérold zu erwarten, Ricercar) und Elodie Méchain sowie Matthias Vidal (Erster Priester) und Marc Labonnette (Zweiter Priester und Wächter). Ein Fall für sich stellt Bochoris/Papageno dar: der erfahrene Tassis Christoyannis muß hier mit einem Text kämpfen, der ihn rhyhtmisch in Schwierigkeiten bringt. Die Schuld liegt aber weniger bei ihm als beim Übersetzer Etienne Morel de Chédeville, der sonst im Übrigen exzellent gearbeitet hat. Der volkstümliche Ton, den Mozart maßgeschneidert für Schikaneder ersann, stand aber hörbar dem französischen Bearbeiter im Wege. Der Flemish Radio Chor und das Concert spirituel sind exzellent. Einziger Wermutstropfen in dieser Produktion ist das dilettantische Editing, welches die beiden Aufführungen ungleichmässig vermischt hat (unterschiedlicher Pegel der Tracks; Fehler in der Zusammenführung wie auf CD 1, track 19 und 20). Trost spendet der einführende Text von Etienne Jardin und Alexandre Dratwicki, der für sich alleine die Anschaffung rechtfertigt. Die Mystères d’Isis sind das ideale Geschenk für alle Liebhaber der Wiener Klassik, die irrtümlicherweise glauben, schon alles zu besitzen. Aber potentielle Schenker seien gewarnt: diese Mozart-Hommage aus dem napoleonischen Paris kann befremdend wirken, etwa wenn Papageno und Papagena die Champagner-Arie aus Don Giovanni zum besten geben. Wenn Sie einem Beschenkten das Weihnachstfest nicht vermiesen wollen, prüfen Sie zuerst, ob er/sie über genügende musikalische Toleranz verfügt, um dieses witzige und wunderbar schwungvoll musizierte Remake zu genießen. Michele C. Ferrari

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Wie populär die Oper war zeigen diese Variationen für Harfe über Themen daraus/Wiki

Wie populär die Oper war, zeigen diese Variationen für Harfe über Themen daraus/Wiki

Zum Inhalt: die Handlung spielt in Memphis. Ouvertüre der Zauberflöte1. Akt: Die Priester von Memphis beten in ihrem Tempel Isis und Osiris an. Sarastro bereitet sich vor, seinen Platz dem Prinzen Ismenor zu überlassen, aber dieser muss Prüfungen bestehen, um seine Tugend zu beweisen. Terzett der Priesterinnen. Ismenor, der sich dem Tempel nähert, wird von einer Flammenwolke zurückgestoßen, die aus den Tiefen des Tempels kommt. Drei Frauen des Gefolges von Myrrène, die aus deren Palast kommen, der gegenüber dem Tempel der Isis steht, bieten ihm Hilfe an, Ismenor kommt wieder zu Sinnen und glaubt, dass ihm seine Verlobte Pamina geholfen hat, deren Bild er um den Hals trägt. Auftritt von Bochoris, einem ägyptischen Hirten. Er beklagt den Tod seines Herren Ismenor, der Sarastro erlaubt hat, Pamina zu entführen ebenso wie Mona, die Dienerin, die er liebt. Die beiden Männer erkennnen einander wieder  und beschließen, ihre Kräfte zu vereinen, um ihre Geliebten aus dem Tempel, in dem sie gefangen sind, zu befreien. Myrènne, Paminas Mutter, kommt mit ihrem Gefolge aus ihrem Palast. Sie schlägt Ismenor vor, Pamina zu befreien und Nachfolger ihres verstorbenen Gatten als König von Memphis zu werden, dessen Platz sich Sarastro widerrechtlich angeeignet hat. Sie gibt Bochoris ein Zauberglockenspiel, um ihn davon zu überzeugen, Ismenor zu begleiten. Die beiden Männer dringen ohne Hindernis in den ersten Hof ein.

2. Akt„Die Szene ändert sich und zeigt eine breite Allee mit Sphinxen, die von den Behausungen des Volks zum Tempel und zu den Plätzen, die den Priestern vorbehalten sind, führt“. Mona und Pamina sind im Begriff zu Myrènne zu flüchten, als sie Bochoris treffen. Beruhigt besingen sie alle drei die Freuden der Liebe. Pamina erfährt von Bochoris, dass Ismenor sie sucht. Die drei Priesterinnen gehen Ismenor voran, der versucht in den Tempel einzudringen; er ist von Sarastro selbst dazu ermutigt worden. Pamina und Bochoris, die von Sklaven gefangen genommen wurden, entfliehen mit Hilfe des Zauberglockenspiels. Auftritt von Sarastro. Pamina bittet ihn um ihre Freiheit, aber der Wächter tritt mit Ismenor auf. Die Rolle des Monostatos ist zwischen dem Wächter und Bochoris aufgeteilt! Sarastro wird Pamina die Freiheit geben, wenn das Paar sich der Macht der Isis unterwirft.

 3. Akt Myrrène (die als Einzige in den Tempel eindringen kann) und Mona suchen Pamina. Die Königin beklagt sich über die Veränderung von Ismenor, der Pamina lieber von Sarastro erhält als von ihr. Sie beschließt sich zu rächen. Sarastro und die Isispriester bereiten die Prüfungen für Ismenor. Ismenor und Bochoris werden in das Innere des Tempels geführt.

Entwurf für Bochoris/Gallica

Lachnith: Entwurf für Bochoris/Gallica

4. Akt In einem unteren Gewölbe des Tempels. Bochoris zittert noch wegen seiner Prüfungen und muntert sich singend auf. Mona, als alte Frau verkleidet, gesteht ihm ihre Liebe, um ihn zu prüfen:  Bochoris weist sie ab, fürchtet aber die Rache der Alten an Mona. Durch sein unglückliches Schicksal verzweifelt, will Bochoris Selbstmord begehen. Mona hindert ihn daran und eröffnet ihm ihren vorherigen Schwindel. Versöhnung. Ismenor besteht die Wasser-, Feuer- und Luftprüfung. Myrenne und ihr Gefolge dringen in den Tempel ein, aber sie wird schließlich besiegt. Sie akzeptiert schließlich die Heirat zwischen Ismenor und ihrer Tochter. Freude. Schlussballett. Geerd Heinsen

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Dazu auch die Wikipedia-Seite für Lachnith, weitere Eintragungen für die Ägypten-Rezeption der Napoleon-Zeit usw. im Netz. Und schließlich wäre nichts zustande gekommen ohne die wieder einmal liebenswürdige Übersetzungshilfe von Ingrid Englitsch in Wien, die wie so oft ebenso klaglos wie rasch die Verständnisvorlage lieferte. Danke! G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

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Vorsicht vor Untermietern!

 

„It happend about eighty years ago, in a dingy house in the Marylebone Road, London, that had seen better day“, heißt es in der Anweisung zu The Lodger.  Durch die Musik von Phyllis Tate fühlen wir uns mitten drin im schäbigen London des späten 19. Jahrhunderts, im Mief eines heruntergewohnten Gästehauses mit seinen schrägen Bewohnern, im ewigen Nebel. Und um die Ecken schleicht Jack the Ripper. Phyllis Tate, die britische Komponistin (1911-87), die mir bislang unbekannt war, hat im Auftrag der Royal Academy of Music da1064 raus eine 1960 uraufgeführte Oper gemacht. Die Grundlage bildet der 1913 erschienene Roman The Lodger (Der Untermieter) von Marie Adelaide Belloc Lowndes, der auch die Vorlage zum gleichnamigen Thriller aus dem Jahr 1927 lieferte (später noch zweimal als Gaslight verfilmt), den Alfred Hitchcock rückblickend als „ersten echten Hitchcockfilm“ bezeichnete.

Die Komponistin Phyllis Tate/ Wiki

Die Komponistin Phyllis Tate/ Wiki

Im Mittelpunkt des Zweiakters steht Emma Bunting, die langsam realisiert, dass der stille, hilfsbereite Untermieter, der sie und ihren Mann finanziell absichert, ein Mörder ist. Der namenlose Untermieter ist offenbar ein psychisch gestörter Mensch, dessen sexuelle und religiöse Besessenheit sich in seiner Verwendung von Sätzen aus der Offenbarung des Johannes zeigt. Es endet damit, dass Emma und ihr Mann sowie ihre Tochter Daisy und der junge Detective Joe aus der Bibel lesen, die der Mieter zurückgelassen hat, „Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, am größten aber ist die Liebe.“  Dazwischen: Suspense, wie Altmeister Hitchcock sagen würde. The Lodger war Tates einziger Beitrag für die Opernbühne, was nicht weiter erstaunt, nicht etwa, weil die Oper so unausstehlich wäre, sondern weil der geschickte Einsatz des kleinen Orchesters, die Farben und Effekte, die sie damit erzielt, die Verwendung von kleinen Einsprengseln, darunter einem Klarinettensolo, von viktorianischer music-hall-Atmosphäre und Walzern und Polkas, eine kammermusikalische Zierlichkeit besitzt, die wenig bühnentauglich ist. Tate behandelt die Gesangstexte mit Geschmack, ein bisschen im Stil Menottis (The medium) und Brittens, lockert die Rezitative durch geschlossene, gefällige Nummern auf. Bestes Handwerk. Die Reaktionen auf die Uraufführung waren wohlwollend, der bedeutende Harold Rosenthal, Herausgeber des Magazins opera, übertrieb sicherlich, als er schwärmte, „Other than Peter Grimes, this is probably the most successful first Opera by a native composer since the war“.

Die 1964 von der BBC in einer revidierten Form gesendete Oper (Lyrita REAM.2119 mit originalsprachigem Libretto und engl. Beiheft) erlebte im Jahr darauf beim St. Pancras Festival ihre erste professionelle Aufführung. Später ist es völlig ruhig um die Oper geworden. Die BBC-Aufnahme verwendet einen Erzähler (Anthony Jacobs), was den Eindruck eines altmodischen Hörspiels zusätzlich steigert. Mit Charles Groves waltet eine Autorität seines Amtes und kümmert sich während der zwei Stunden um die BBC Northern Singers und das BBC Northern Orchestra, Johanna Peters (die man von den humorvollen Opera-Rara-Aufnahmen kennt und die heute auf dem Board der Firma sitzt) als beunruhigte Emma, Owen Brannigan als ihr Gatte, Marion Studholme als Daisy sowie Joseph Ward mit seinem hohen Bariton als verführerisch klingender Untermieter und dem großen Alexander Young mit seinem feinen Mozart- Rossini-Tenor als Detective Joe bilden das schmale, durch vokale Zuträger abgerundete Ensemble. Rolf Fath

Feuerwerk

 

Bei einer neuen CD von Max Emanuel Cencic darf man immer etwas Besonderes erwarten – sei es hinsichtlich der Programmwahl oder der Interpretation. Auch die jetzt bei Decca veröffentlichte Anthologie von Arien neapolitanischer Komponisten ist ein Ereignis und unter die besten Aufnahmen des Countertenors einzuordnen (478 8422). Er singt Kompositionen von Porpora, Leo, Vinci, Alessandro Scarlatti und Pergolesi; von den elf eingespielten Arien sind nicht weniger als neun Premieren im Katalog.

Das Programm beginnt fuminant mit der Arie des Ulisse, „Quel vasto, quel fiero“, aus Porporas Polifemo, die in ihrer heroischen Bravour symptomatisch ist für den Stil der neapolitanischen opera seria. Der Solist brilliert hier mühelos mit auftrumpfenden Koloraturgirlanden und bewegt sich damit ganz auf den Spuren des legendären Kastraten Senesino, der einst den Ulisse gesungen und dabei nicht minder berühmte Partner wie Farinelli und Francesca Cuzzoni zur Seite hatte. Das Ensemble Il Pomo d’Oro unter Leitung von Maxim Emelyanychev begleitet mit heroischer Verve, wenn gefordert auch mit einfühlsamem lyrischem Gestus und ist dem Solisten bei dieser Einspielung ein inspirierender Partner. Von Porpora folgt später noch die Arie des Titelhelden, „Qual turbine che scende“, aus Germanico in Germania – auch diese gespickt mit Koloraturen, die in diesem Fall einen furiosen Wutausbruch schildern sollen. Hier war der erste Interpret Domenico Annibali, der ebenfalls eine Weltkarriere machte. Cencic betört mit einer perfekt ausgeglichenen und gerundeten Stimme sowie stupendem Zierwerk.

Sogar mit drei Stücken vertreten ist Porporas Zeitgenosse Leonardo Leo, der Metastasios Libretto Demetrio nicht weniger als viermal vertonte. Cencic singt aus der Version von 1735 die Arie des Demetrio „Dal suo gentil sembiante“, ein getragenes, kantables Stück, in welchem der Counter seine sanft kosende Stimme wunderbar ausschwingen lässt und für einen willkommenen Ruhepunkt zwischen den heldischen Nummern sorgt. Zwei Fassungen des Demetrio enthielten die Arie „Non fidi al mar“ , doch ist diese auch in dem 1740 in Mailand uraufgeführten Scipione nelle Spagne enthalten. Hier singt sie Indibile – und Cencic macht sie mit auftrumpfendem Aplomb und virtuoser Attacke zu einem Höhepunkt der Auswahl. Aus Siface erklingt die Arie des Titelhelden „No, non vedete mai“, welche der berühmte Altkastrat Giovanni Carestine kreierte, der besonders in getragenen, empfindsamen Arien große Wirkung zu erzielen wusste. Auch diese hier ist von solchem Charakter – elegisch, innig und tröstlich. Cencic demonstriert mit solchen Stücken nicht nur die Schönheit seiner Stimme, sondern sorgt geschickt für willkommene Abwechslung im Programm.

Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca

Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca

Durch die jüngsten szenischen Aufführungen von Artaserse und Catone in Utica wurde der Komponist Leonardo Vinci der Vergessenheit entrissen. Cencic singt aus Eraclea die Arie des Decio „In questa mia tempesta“ – eine dreiteilige Sturmarie mit fulminantem Koloraturwirbel, die vom Orchester mir erregtem Duktus aufregend eingeleitet wird. Der Sänger kann hier seine virtuose Kunstfertigkeit mit Koloraturläufen und getippten staccati imponierend zeigen.

Die Spitzenposition im Programm behauptet Alessandro Scarlatti mit nicht weniger als vier Arien – und jede stammt aus einem anderen Werk. Da gibt es kontrastreiche Stimmungen mit Arontes introvertiert-entrücktem „Miei pensieri“ aus Il prigioniero fortunato, Cambises energischem „Tutto appoggio“ aus Il Cambise, Policares zärtlichem „Care pupille belle“ aus Il Tigrane und Puppienos innigem  „Vago mio sole“ aus Massimo Puppieno. Gerade die Beispiele aus der Feder dieses Komponisten beweisen überzeugend die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten des Sängers, sein reiches Farbspektrum und die große Fülle an vokalem Raffinement.

Den Reigen der Vokalkomponisten komplettiert Giovanni Battista Pergolesi mit seiner Oper L’Olimpiade, aus der die Arie des Alcandro, „L’infelice in questo stato“, zu hören ist – ein sanft wiegendes Stück mit reizvollem Melos und sehnsuchtsvollem Ausdruck.

Zum Abschluss wird das Programm ergänzt durch ein unbekanntes Instrumentalstück, Domenico Aulettas Cembalokonzert in D-Dur, in welchem der Dirigent auch solistisch brillieren kann.Bernd Hoppe

 

Foto oben: Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca

Nicola Monti

Die Callas-Wiederveröffentlichungen bei Warner Classics (dazu der Artikel in operalounge.de) werfen erneut nicht nur ein Licht auf die Diva, sondern eben auch auf einige ihrer Kollegen, mit denen sie zumeist im illustren Scala-Ensemble jener Jahre in den frühen Aufnahmen zu hören ist. Einer der bezauberndsten lyrischen Tenöre ist der heute fast unbekannte Nicola Monti, der trotz seiner Vergessenheit doch auf einigen offiziellen und vielen Live-Aufnahmen zu hören ist und den man vor allem als süßstimmigen Elvino neben der Callas-Sonnambula in Erinnerung hat. Der Berliner Autor und Journalist Ekkehard Pluta schreibt gerade an einem Kompendium über die Tenöre der Callas-Ära als Erben Tito Schipas, aus dem wir nachstehend den Artikel über Nicola Monti mit Dank übernehmen. G. H.

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Nicola Monti: "La Sonnambula"/Piccagliani/OBA

Nicola Monti: „La Sonnambula“/Piccagliani/OBA

Ah Colombina, il tenero fido Arlecchin è a te vicin!” singt Beppe als Arlecchino hinter der Szene, um die Geliebte ans Fenster zu locken – Spiel im Spiel der Pagliacci in Leoncavallos gleichnamiger Oper. Die Rolle des Beppe ist nicht mehr als eine Edelwurzen, aber sie wird wegen dieses kurzen Ständchens auf der Bühne und im Schallplatten-Studio immer mit einem erstklassigen Vertreter des leichten lyrischen Tenorfachs besetzt. In der Produktion der EMI von 1954 war es Nicola Monti, Mitglied der Mailänder Scala. Allerdings hat er diese Partie dort nicht gesungen, eben so wenig die angeschmachtete Colombina Maria Callas, die eine Besetzungs-Kreation des Produzenten Walter Legge war, auch wenn die Veröffentlichung das Emblem des legendären Operntempels auf dem Cover trägt.

In den anderthalb Minuten dieses Ständchens ist schon ein wesentlicher Zug von der Eigenart des Tenors Nicola Monti zu erkennen, der zu dieser Zeit im Fach des tenore di grazia einer der begabtesten Anwärter auf die Nachfolge des immer noch präsenten Übervaters Tito Schipa war. Er verstand es, mit der Stimme zu schmeicheln, sein Gesang vermittelte immer den Eindruck von Zärtlichkeit. Und Ständchen waren seine Spezialität, ob in Form einer frühmorgendlichen „Aubade“ wie in den Almaviva-Partien von Rossini („Ecco ridente il cielo“ und „Se il mio nome“) und Paisiello („Saper bramate) oder als nächtliche „Serenade“ wie in Ernestos Com’è gentil“ (Don Pasquale).

Nicola Monti/OBA

Nicola Monti/OBA

Am 21. November 1920 in Mailand geboren, begann Monti schon in jungen Jahren mit dem Gesangsstudium und trat 1941 bei einem Konzert in Florenz erstmals öffentlich auf. Noch im selben Jahr soll er in Cagliari den Herzog in Rigoletto gesungen haben. Doch dann gab es, nicht zuletzt durch den Krieg bedingt, eine lange Pause. Nachdem er eine Zeitlang in einer Apotheke gearbeitet hatte, wagte sich der Tenor erst 1949 wieder aufs Podium. Bei einem Konzertauftritt im Castello Sforzesco in Mailand wurde der Dirigent Franco Capuana auf ihn aufmerksam und vermittelte ihn an die Opernschule der Mailänder Scala. Nach anderthalbjährigem Aufbaustudium ergab sich für Monti die Chance, in Neapel für den erkrankten Cesare Valletti als Elvino in La Sonnambula einzuspringen, Margherita Carosio sang die Amina. Dieser Auftritt gilt als sein eigentliches Operndebut. Nur ein paar Wochen später stand er an der Scala als Nemorino in L’elisir d’amore auf der Bühne, wo er bald Fuß fassen konnte, zunächst aber noch etwas im Schatten von Valletti stand.  Die Annalen des Hauses weisen in den folgenden Jahren seine Mitwirkung in den Produktionen von L’osteria portoghese (Cherubini), La Cenerentola, Don Giovanni, Barbiere di Siviglia, Il matrimonio segreto, und I quattro rusteghi aus.

Nicola Monti/ "La Sonnambula" mit Maria Callas/Piccagliani/youtube

Nicola Monti/ „La Sonnambula“ mit Maria Callas/Piccagliani/youtube

Bald war er auch an anderen italienischen Theatern und bei in- und ausländischen Festivals gefragt. 1952 sang er beim Maggio Musicale in Florenz Rossinis Grafen Ory und beim Wexford Festival den Nemorino. Noch im selben Jahr wirkte er in zwei Gesamtaufnahmen der EMI mit. Beim Festival in Aix-en-Provence war er 1954 Don Ottavio, beim Holland Festival 1957 Ernesto. Dieses Jahr brachte auch seinen eigentlichen internationalen Durchbruch, als er als Elvino erstmals an der Seite von Maria Callas auf der Bühne stand, denn diese Produktion wurde anschließend auch bei Gastspielen in Köln und Edinburgh präsentiert und unter Studio-Bedingungen bei der EMI aufgenommen. Nach diesen Erfolgen standen dem Sänger auch die großen Bühnen der Vereinigten Staaten offen, mit Ausnahme allerdings der Metropolitan Opera. In Chicago war er in La Cenerentola zu erleben, in La Sonnambula stand er in San Francisco Anna Moffo, in New Orleans Gianna d’Angelo gegenüber.

Nicola Monti: Afro Poli, Elvina Ramella, Nicola Monti, Cristiano Dalamangas in "Don Pasquale", Wexford 1953/Wexford Opera Arcive mit freundlicher Genehmigung

Nicola Monti: Afro Poli, Elvina Ramella, Nicola Monti, Cristiano Dalamangas in „Don Pasquale“,
Wexford 1953/Wexford Opera Arcive mit freundlicher Genehmigung

Montis Bühnen-Repertoire war überschaubar und sehr spezialisiert, blieb auf die Oper des Settecento und den romantischen Belcanto beschränkt; nur eine Handvoll Partien hat er immer wieder gesungen – Don Ottavio, Almaviva, Ramiro, Nemorino, Ernesto und Elvino. Grenzüberschreitungen zu den lyrischen Partien Verdis und Puccinis gab es nicht, auch die von anderen Vertretern seines Stimmfachs gepflegte französische Oper (insbesondere „Werther“) blieb außen vor. Erst mit Mascagnis „L’amico Fritz“ betrat er 1962 in Wexford neues Terrain.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia" mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“ mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Während seiner relativ kurzen Karriere galt Monti als das Musterbeispiel eines tenore di grazia. Seine Stimme besitzt eine natürliche Süße (ohne „Zuckerzusatz“), klingt zugleich aber sehr viril, ist expansionsfähig und strahlkräftig in der Höhe, dabei gut geerdet, d.h. tragfähig auch in der tieferen Mittellage. Er war also kein „tenorino“, wie er in der Kritik gelegentlich kenntnislos eingestuft wurde. An seinen Tondokumenten bestechen vor allem die Eleganz des Vortrags, die saubere Linienführung und die Fähigkeit zu farblichen Abschattierungen. Er wusste um die Wirkungen der voix mixte und der messa di voce, kannte die dynamischen Abstufungen zwischen pp und mf, was bei vielen seiner Nachfolger keine Selbstverständlichkeit mehr war.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia", RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“, RAI-Film 1951/youtube

Ein Virtuose war er wohl weniger, wurde als solcher auch nicht gefordert. Koloraturen und Verzierungen führt er zwar zuverlässig aus, aber ihnen galt nicht das Hauptaugenmerk seines Vortrags. Dazu ist anzumerken, dass das vokale Virtuosentum erst mit den 60er Jahren wieder in Mode kam, maßgeblich gefördert durch die Aktivitäten Richard Bonynges, der den Gesangsstil von Malibran, Rubini & Co. wieder zu beleben versuchte und dabei in seiner Gattin Joan Sutherland das ideale Medium fand. Heute ist es für jeden tenore di grazia Ehrensache, die eingelegte Bravourarie „Cessa di più resistere“ kurz vor dem Finale des Barbiere zu singen, obwohl sie dramaturgisch überflüssig ist und aus dem Stil der Oper und der Rolle fällt. Das war in den 50er Jahren eine noch ziemlich abseitige Idee. Valletti war übrigens der erste, der sie nicht nur im Konzert, sondern auch in einer Gesamtaufnahme der Oper gesungen hat.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia" mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“ mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Montis diskographische Hinterlassenschaft ist zwar nicht üppig, aber ziemlich repräsentativ. Der Start in die Schallplattenkarriere mit Barbiere und L’elisir bei EMI (als CD neu aufgelegt bei Testament) war gleich sehr eindrucksvoll, wobei die Aufnahme der Donizetti-Oper besondere Aufmerksamkeit verdient.

Als Nemorino startet Monti schon mit dem einleitenden Arioso „Quanto è bella“ eine Schmelz- und Charme-Offensive, der man sich als Hörer nicht entziehen kann. Da singt ein Optimist, ein Sanguiniker, an dessen letztendlichem Sieg keinen Augenblick Zweifel aufkommt. Ob er mit der Adina der sehr reifen und resoluten Margherita Carosio in der Folge sehr viel Freude haben wird, ist fraglich, doch insgesamt trägt seine gute Laune die ganze Vorstellung, die von Gabriele Santini mit Schwung, aber ohne Subtilitäten geleitet wird, und in der Tito Gobbi als Belcore, völlig frei von Selbstzweifel und Selbstironie, mit der Autorität seiner Stimme mächtig auftrumpft und Melchiorre Luise als Dulcamara sich als großer Buffonist der alten Schule erweist.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia" mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“ mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Bevor der sieben Jahre jüngere Luigi Alva sich auf den großen Bühnen der Welt wie in den Schallplatten-Studios als „Almaviva vom Dienst“ etablieren konnte, hatte Monti diese Position inne, was auch medial dokumentiert ist. Auf die erste Einspielung unter Serafin folgte 1954 eine Fernseh-Produktion der RAI unter Carlo Maria Giulini, das Jahr darauf ein Kinofilm mit Tito Gobbi, in dem er aber nicht selbst auftrat, sondern dem Schauspieler Armando Francioli seine Stimme lieh. 1960 schließlich entstand beim Bayerischen Rundfunk eine Produktion, die von der Deutschen Grammophon übernommen und später auch als CD publiziert wurde.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia" mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“ mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Auch als Almaviva zeigt Monti Charme und Noblesse; in der Aufnahme von 1952 findet er in der jungen Victoria de los Angeles eine bestrickende Rosina, die ihre Rolle in der originalen Mezzo-Version singt. Doch der vormals brillante Gigli-Partner Gino Bechi zeigt sich in der Titelpartie als grober Singklotz, der wie ein verirrter Amonasro durch Sevillas Gassen tobt, und das äußerst schwerblütige Dirigat von Tullio Serafin läßt keine wirkliche Buffa-Freude aufkommen. Da ist die Münchner Produktion unter Bruno Bartoletti, obwohl man sie nicht zu den Referenzaufnahmen der Oper zählen darf, eher aus einem Guß und macht beim Hören doch einiges Vergnügen. Die sehr leichtstimmige, etwas puppige Rosina von Gianna d’Angelo ist heute vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, steht aber durchaus in älteren Aufführungstraditionen. Renato Capecchi ist ein ausgebuffter, mit vielen textlich-musikalischen Details aufwartender Figaro, der Rest auf gutem Niveau. Monti, stimmlich nicht in seiner Bestform, überzeugt hier vor allem durch die Leichtigkeit des Vortrags.

Nicola Monti/ "Il Barbiere di Siviglia" mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

Nicola Monti/ „Il Barbiere di Siviglia“ mit Rolando Panerai, RAI-Film 1951/youtube

In dem erwähnten Fernsehfilm, dessen Soundtrack auf CD erhältlich ist, zeigt sich der Tenor neben dem vor Spiellaune überbordenden Rolando Panerai als Figaro und der delikat singenden, zu Unrecht vergessenen Sopran-Rosina von Antonietta Pastori als gewandter, aber nicht sonderlich profilierter Darsteller, und es wird bei dieser Gelegenheit klar, warum ihm der in dramatisch-komödiantischer Hinsicht zupackendere Alva in dieser Partie letztendlich den Rang ablaufen musste. Monti war – wie Kritiker, die ihn auf der Bühne live erlebt hatten, konstatierten – „a handsome fellow“, dem „a nice stage presence“ attestiert werden konnte, aber er war nicht wirklich ein singender Schauspieler wie Alva.

Nicola Monti/ "I Puritani"/OBA

Nicola Monti/ „I Puritani“/Teatro Verdi Torino/OBA

Konkurrenzlos erscheint er als Almaviva in Paisiellos Barbiere di Siviglia, dessen Aufnahme mit den Virtuosi di Roma unter Renato Fasano (1959) das Prädikat „klassisch“ verdient, da neben Monti mit Graziella Sciutti, Rolando Panerai, Renato Capecchi und Mario Petri sozusagen ein Buffa-„Dream-Team“ auf der Klangbühne agiert. Die gleiche Konstellation (statt Sciutti singt dort allerdings Renata Scotto) führte im selben Jahr auch Rossinis selten gespieltes Frühwerk La cambiale di matrimonio zum Erfolg. Eine häufig gesungene Partie Montis, Ramiro in La Cenerentola, ist in einer soliden Produktion der RAI (1958) festgehalten, die auch als Dokument der jungen Teresa Berganza von Interesse ist.

Die Paraderolle Montis war indes Elvino in La Sonnambula. Hier konnte er die ganze Palette seiner Möglichkeiten zeigen, vom zarten Schmelz der Liebesgesänge bis zur dramatischen Attacke der Eifersuchtsausbrüche. In der Studio-Aufnahme der EMI, die zeitgleich mit den Aufführungen an der Mailänder Scala entstand, beeindruckt vor allem die große Intimität in den Zwiegesängen mit Maria Callas, deren kunstvolle Fragilität ideal mit seinem elegischen Lyrismus korrespondiert. Streckenweise verschmelzen die beiden Stimmen. Dass dies nicht der Aufnahmetechnik geschuldet ist, belegt der bei Testament publizierte Live-Mitschnitt aus Edinburgh.

Nicola Monti: Backstage bei der "Sonnabula" an der Scala mit Eugenia Ratti, Monti, Maria Callas, Antonino Votto und Fiorenza Cossotto/Piccagliani/callaassoluta.tumbl.com

Nicola Monti: Backstage bei der „Sonnambula“ an der Scala mit Eugenia Ratti, Monti, Maria Callas, Antonino Votto und Fiorenza Cossotto/Piccagliani/callaassoluta.tumbl.com

Die fünf Jahre später entstandene Studio-Produktion der Decca mit Joan Sutherland hat, auch aus der historischen Distanz, einen schweren Stand gegen die Vorgängerin, obwohl Richard Bonynge einige Striche aufmacht und mehr Verzierungen zulässt als Antonino Votto. Sutherland wirkt gegenüber der Callas manieriert, als reine Kunstfigur, und diese Künstlichkeit wird durch das unnatürliche Klangbild noch verstärkt. Fernando Corena ist als Conte Rodolfo eine glatte Fehlbesetzung und Monti, hier oft etwas nasal klingend, wirkt in diesem Ambiente ein bisschen isoliert. 1980 hat Dame Sutherland die Sonnambula noch einmal aufgenommen, mit dem damals noch unverbrauchten Luciano Pavarotti als Elvino, der zwar mit seinen stimmlichen Pfunden wuchern kann, an musikalischer Präzision und differenzierter Gestaltung aber deutlich hinter Monti zurücksteht.

515rxhH-WiL._SX300_Vor ein paar Jahren brachte die Deutsche Grammophon Händels Alcina in einer Produktion des WDR von 1959 offiziell auf den Markt, die wegen der Protagonisten Joan Sutherland und Fritz Wunderlich schon lange vorher ein bevorzugtes Objekt der „Piraten“ war. Monti ist hier in der Partie des Oronte zu erleben, die er irrtümlich einstudiert hatte, während er für den Ruggero verpflichtet war; der ist freilich im Original keine Tenorpartie, was den Irrtum erklärlich macht. Der für Oronte vorgesehene Wunderlich war bereit, mit Monti die Rolle zu tauschen und wagte das Husarenstück, die größere Partie kurzfristig zu übernehmen, was seiner Reputation sehr zuträglich war, auch wenn Ruggero nicht ideal auf seiner Stimme lag. Monti gibt als Oronte ein weiteres Beispiel von Gesangskultur und Stilverständnis.

Zwei Mitschnitte italienischer Rundfunkproduktionen ergänzen die Diskographie des Sängers auf interessante Weise. In einem italienisch gesungenen Fidelio unter Vittorio Gui (RAI Rom, 1955), der auch wegen Giuseppe Taddei als Pizarro und Boris Christoff als Rocco ein Sammlerstück ist, gibt Monti einen südländisch-temperamentvollen, fordernden Jaquino. Als Basilio in einer von Peter Maag dirigierten Produktion aus Neapel (1959), in der die „Ballade von der Eselshaut“ nicht fehlt, erscheint er ganz als seriöser Gesangslehrer, weniger als schleimiger Intrigant.

003821124_300Von seinem Don Ottavio existieren leider keine Tondokumente. Seine hohe Mozart-Kompetenz bewies er aber in einer Schallplatten-Produktion des Frühwerks Il re pastore, die 1967 in Neapel unter der Leitung von Denis Vaughn entstand und in der neben Reri Grist, Lucia Popp und Arlene Saunders auch Montis stärkster Konkurrent Luigi Alva als Alessandro mit von der Partie war. Obwohl sich der jetzt 47jährige Sänger als Agenore mit unverminderter Klangschönheit und jugendlicher Strahlkraft präsentiert, hat er danach erstaunlicherweise keine Aufnahmen mehr gemacht, und auch auf den internationalen Spielplänen verliert sich seine Spur. In der Blütezeit der Belcanto-Renaissance, zu der er sein Scherflein beigetragen hatte, war er jedenfalls nicht mehr als Sänger aktiv. Er überlebte sein Karriere-Ende um ein Vierteljahrhundert. Am 1. März 1993 starb er in Fidenza. Seine Nachfolger konnten die Ernte einfahren, allen voran der ihm vom Stimmtypus verwandte Pietro Bottazzo (1934-1999), der nicht weniger als 26 Rossini-Partien im Repertoire hatte. Ekkehard Pluta

Rückblick und Status quo

 

Wahrscheinlich schon viel Geld, das er vielleicht ansonsten zum Psychiater hätte tragen müssen, hat Bernd Weikl gespart, indem er sich regelmäßig seinen Frust von der Seele schreibt, sei es über das Regietheater, die Mutter im besonderen  oder die Kulturpolitik im allgemeinen. Als letztes Werk ist ein schmales Bändchen von ca. sechzig Seiten erschienen, das gleich einige der Ärgernisse aufs Korn nimmt, darunter den European oder auch German Trash, dessen Verkörperung in der Tannhäuser-Produktion der Oper am Rhein sogar zu einer Strafanzeige des berühmten Baritons führte. Diese blieb allerdings folgenlos, da für die Staatsanwaltschaft die zu Ohnmachtsanfällen im Publikum führende Inszenierung unter „Freiheit der Kunst“ fungierte, nicht zuletzt deswegen, weil der Künstler selbst nicht von einem solchen betroffen, also direkt geschädigt worden war. Weikl führt als Beispiele für Ekel erregende Regie noch weitere Aufführungen an, auch der seinen ähnliche Meinungen von Kollegen kommen zu Wort. Angst bekommen kann man, wenn die Parallele zwischen Dekadenz und Untergang des Römischen Weltreichs und dem, was sich auf deutschen Bühnen abspielt, tatsächlich eine tragfähige Behauptung sein sollte.

Der streitbare Sänger setzt sich auch in immerhin zehn Punkten mit der allerdings zweifelhaften Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über seinen Vortrag vor CSU-Mitgliedern auseinander, weist eine Aussage des für Kultur zuständigen Ministers zurück, wonach unsere „jüngste Vergangenheit“ von uns erwarten lassen müsse, nicht wie andere Länder einheimische Künstler besonders bei Engagements zu berücksichtigen. Beginnt man mit Kopfrechnen, so ist die gemeinte nach siebzig Jahren Demokratie wohl nicht mehr die allerjüngste Vergangenheit und die Frage auf jeden Fall berechtigt, warum deutsche Sänger in jeder Hinsicht, seien es Wettbewerbe oder Engagements, relativ schlecht abschneiden. In dieser Frage dürfte allerdings mit Sängern wie Damrau, Harteros oder Kaufmann bereits eine Wende eingetreten sein.

Auch bei der Zurückweisung des Vorwurfs, er sei generell gegen moderne Musik, beruft sich Weikl auf einen berühmten Kollegen, wenn er Domingo zitiert und dessen Meinung, selbst mit der Zeit werde sich der Klassikhörer nicht an atonale Musik gewöhnen.

Der Text gliedert sich in die drei Teile „Freiheit der Kunst“, „Freiheit des Künstlers“ und „Freiheit des Wortes“. Er beginnt mit einem Zitat von András Schiff, der sich über „Selbstdarstellung, Wichtigtuerei und Respektlosigkeit“ auf deutschen Bühnen beklagt. Weikl selbst sieht eine unerhörte Diskrepanz zwischen dem Bildungsauftrag des Staats und dem, was weitgehend staatlich subventionierte Bühnen produzieren. An anderer Stelle verteidigt er das Recht des Zuschauers auf Vergnügen und Erbauung in der Oper und das des Sängers, den Zuschauer zu erfreuen und selbst optimale Bedingungen für die Ausübung seiner Kunst vorzufinden, was ersteres moderne Regie gerade verhindern will und letzteres nicht garantieren kann, da Regisseure in Bezug auf Noten und Sängerbedürfnisse häufig Ignoranten sind. Der Sänger dürfte nicht der einzige Leser des Buches „Warum Oper?“ gewesen sein, der sich über Ignoranz und Arroganz mancher Aussage empörte.

Kunst- und Pressefreiheit in Deutschland Bernd WeiklDes Nachdenkens wert ist die Behauptung Weikls, dass zwar allgemein die Verrohung des Zuschauers durch Gewalttaten im Fernsehprogramm beklagt werde, dies aber nicht auf die Oper zutreffen solle. Allerdings kann man einwenden, dass der Opernbesucher, sollte er aggressiv aus dem Kulturinstitut  nach einer Aufführung entlassen werden, diese Aggression kaum ausleben dürfte. Ein Rückzug aus dem „Kulturleben“ dürfte wahrscheinlicher sein als der Griff nach der Axt. Der Ruf nach JEKI ( jedem Kind ein Instrument) und JEKISOSI (jedes Kind soll singen) dürfte nun bei den vielen anderen Problemen, denen sich Deutschland gegenüber sieht, erst recht ungehört verhallen, was angesichts der heilsamen Wirkung von beidem auf Körper und Seele schade ist.

Zum Abschluss kommt Weikl noch einmal zum bereits mehrfach angeschnittenen Thema „Wagners Antisemitismus“ zurück, auf die Frage, ob Antisemitisches auch in den Opern zu bemerken sei und führt als Gegenargument gegen eine solche mögliche Behauptung die Dissertation des Israelis Irad Atir an, der sogar den Antisemitismus Wagners in seinen theoretischen Schriften milde, weil relativierend betrachtet. Ob es Wagner allerdings gefallen hätte, dass Weikl ihm nachweisen will, er habe viele seiner Motive von Mendelssohn abgekupfert, ist eine andere Frage (Foto oben: wagnerfesttage.comLeipziger Universitätsverlag 2015; IBN 978-3-86583-984-8).  Ingrid Wanja  

Wem nützt das?

 

Es liest sich so schön, ist aber eine unbefriedigende Sache, das A-Z of Singers, der sechs Zentimeter breite Naxos-Schuber, der im 800-Seiten-Büchlein „over 3000 Biographies“ und auf 4 CDs „Selected Recordings“ enthält und auf eine „free website with hours more music“ verweist (Naxos 8.558097-100). Wer sich für Sänger-Biografien interessiert, wird möglicherweise zu Kutsch/Riemens greifen, den Herausgeber David Padmore in seinem Vorwort denn auch als eine der Quellen angibt, und sich nicht mit „nur“ 300 Biografien begnügen wollen, wer dagegen eher einen Exkurs durch die Geschichte der Tonaufnahme unternehmen will, wird bei The Record of Singing und ähnlichen Quellen fündig.

Das Buch beginnt bei Theo Adam und endet bei Teresa Zylis-Gara. Die zwei oder drei Seiten umfassenden Artikel listen die westlichen Stationen der Karriere mit den wichtigen Debüts und häufig auch mit dem Datum des Bühnenabschieds und „Selected Recordings“ auf, bieten dann eine ausführliche Bio und gehen auf die Stimme – beispielsweise „Theo Adam was a commanding presence on stage, although ist voice could at times show signs of waer and tear: not surprisingly, give his exceptional schedule of performances and range of parts“ – und die zentralen Aufnahmen ein. Das ist in Ordnung. Schlagen wir das Buch mal wahllos auf: Grace Bumbry. Als „Final operatic performance“ wird 1997 Lyon angegeben, doch sie sang später noch in Paris und 2013 sogar an der Wiener Staatsoper. Und weiter: Anton Dermota, „1971 retires from operatic stage“; ich vermute, dabei hat man sich um zehn Jahre vertan. Wer ist darin enthalten: auch aktuelle Sänger, beispielsweise Bartoli, aber kein Kaufmann, keine Netrebko usw.

Und die vier CDs? Sie beginnen bei Marian Anderson mit Dalilas Softly awakes my heart, wobei man kaum erkennen kann, in welcher Sprache sie singt, und enden nach fünf Stunden mit Ljuba Welitsch, der man für Salome von der Met mit 16:21 die längste Spieldauer gegönnt hat. Es geht – streng alphabetisch – etwas unorthodox durch fünfeinhalb Jahrzehnte von 1902 mit Carusos Questo e quella und Melbas „Ah! Je ris“ von 1905 (jeweils mit Klavierbegleitung) bis in die Mitte der 1950er Jahre. Über die Auswahl der 69 für würdig gefundenen Sängerinnen und Sänger muss man nicht diskutieren und muss sich auch nicht ärgern, mir hat das Anhören der vier CDs Spaß gemacht, die Aufnahmen sind klanglich vorzüglich aufbereitet, bieten neue Höreindrücke, manche Sänger klingen – vorsichtig ausgedrückt – sehr zeitgebunden, andere bestätigen ihren Rang. Björlings Rodolfo, Gardens Louise, Jurinacs Gräfin, Flagstad und Leiders Isolde sind Standards…. Pertiles Manrico und Bastianinis Alfonso aus La favorita (fatalerweise folgt nach Bastianini gleich Battistini) gefielen mir nicht mehr so gut wie einst, dafür Simoneau um so mehr, toll Rosvaenge und Tauber (beide mit Lehár) und Elisabeth Schumann, die überraschenderweise mit Zellers Vogelhändler vertreten ist.   Rolf Fath

Zurück zu den Anfängen

 

Bei der noch recht unbekannten CD-Firma Genuin Select ist eine Aufnahme mit der Mezzosopranistin Vesselina Kasarova erschienen, die alle Chancen hat, auf dem Vokalsektor zur CD des Jahres gekürt zu werden (GEN 15378). Die gebürtige Bulgarin und Schweizer Staatsbürgerin präsentiert sich nach ihren vielen Erfolgen im Barock-, Mozart- und Belcanto-Repertoire hier mit Russian Arias – und erinnert damit an ihre ersten Auftritte in Zürich und Wien. So sind die Arien der Olga und Polina aus den Tschaikowsky-Opern Eugen Onegin und Pique Dame natürlich auch in dieser Auswahl vertreten – erstere in einer Mischung aus jugendlichem Übermut und slawischer Sehnsucht, die zweite zunächst erfüllt von unendlicher Schwermut, wie sie so vielen russischen Kompositionen eigen ist, und erst am Schluss zu ausgelassenem Temperament wechselnd. Der weitere Beitrag aus der Pique Dame verweist dagegen auf zukünftige Möglichkeiten der Sängerin. Es ist die berühmte Arie der Gräfin nach der Heimkehr vom Ball – einer der Höhepunkte der CD durch den unglaublichen Reichtum an Farben und Stimmungen sowie die pointierte Wortbehandlung. Die Stimme der Kasarova beschwört hier mit dunkel glühenden, geheimnisvollen Tönen eine ferne Welt herauf, kommt dabei ganz ohne die orgelnden Fluten einer Obraszowa aus und vermittelt das Entschlummern der alten Gräfin akustisch sehr plastisch. Aus einer weiteren Tschaikowsky-Oper, der Jungfrau von Orleans, erklingt die große Arie der Titelheldin, im Melos Tatjanas Briefszene verwandt, doch sich am Ende zu dramatischem Ausbruch aufschwingend. Die Partie auch auf der Bühne zu gestalten, wäre eine Option für die Sängerin, denn schon auf der CD gelingt ihr ein eindrückliches Porträt dieser Frau in ihrem Zwiespalt zwischen Pflichtgebot und Liebe. Die Kasarova zeichnet sie weniger heroisch denn feminin und anrührend. Auch die Kontschakowna aus Borodins Fürst Igor könnte man sich von der Interpretin in einer szenischen Aufführung vorstellen, denn sie findet in der nächtlichen Kavatine der Tochter des Khans zu schillernd-verführerischen Nuancen und sinnlich-warmen Tönen.

Begonnen hatte das Programm mit der Prophezeiung der Marfa aus Mussorgskis Chowanschtschina – ein effektvoller Einstieg, der die Stimme in ihrem besonderen Reiz und ihrer Individualität von der besten Seite zeigt. Beschwörend formuliert die Sängerin die Zukunftsvisionen der Altgläubigen, malt diese mit einer reichen Farbpalette aus. Von diesem Komponisten folgt später noch die Arie der Marina aus Boris Godunow, in der die Sängerin  zu interessanten Details findet, die herrscherliche Allüre der ehrgeizigen Polin allenfalls am Schluss der Nummer zeigt und sie vorher eher zögernd und  zweifelnd hinterfragt.

Quasi ein heiteres Intermezzo in seinem rhythmischen Überschwang ist das kurze Lied der Laura aus Dargomyzhskys Der Steinerne Gast. Die Figur des Waisenknaben Vanja aus Glinkas Ivan Susanin ist eine der wenigen Hosenrollen des russischen Repertoires, seine Arie, in der er vom Kampf für sein Vaterland singt, verströmt sich in liedhafter Kantilene und lässt die Stimme sehr kultiviert ertönen.

Rimsky-Korsakov ist mit zwei Beispielen zu hören – dem Monolog der Ljubascha aus der Zarenbraut, der ganz entrückt und in unendlicher Traurigkeit erklingt, sowie als letzter der zwölf Titel der Tanz der Komödianten aus dem Schneeflöckchen, in welchem die Philharmonie Baden-Baden unter Pavel Baleff Gelegenheit hat, sich neben der versierten Begleitung der Solistin auch in einem rasant auftrumpfenden Instrumentalstück als kompetenter Klangkörper zu bewähren. Bernd Hoppe

STILISTISCHE VIELFALT

 

Wer den Komponisten Erich J(acqes) Wolff (1874-1913) bislang nicht kannte, muss sich deshalb keiner gravierenden Bildungslücke schämen, aber er hat ewas verpasst. Eine Gesamtedition seiner Lieder in der Bella Musica-Reihe der Firma Thorofon lässt uns einen mit allen Wassern gewaschenen Meister der kleinen Form neu entdecken.

Bis vor wenigen Jahren war der zu seiner Zeit berühmte Komponist und Klavierbegleiter so prominenter Sänger wie Elena Gerhardt, Nelson Eddy, John Charles Thomas und Julia Culp (der er zahlreiche seiner Lieder widmete) im deutschsprachigen Raum völlig in Vergessenheit geraten. In den Vereinigten Staaten, wo er 1913 im Alter von 38 Jahren völlig unerwartet an den Folgen einer Ohrenoperation starb, werden seine Werke gelegentlich noch aufgeführt. Die amerikanische Sopranistin Rebecca Broberg stieß während ihres Studiums in Baltimore durch Zufall auf eine Komposition von ihm. Das war der erste Auslöser für eine Wiederentdeckung seines Oeuvres, die sie seither zusammen mit dem entdeckungsfreudigen Musikwissenschaftler und Regisseur Peter P. Pachl systematisch betreibt. „Ein neues Wunderland der Sehnsucht“ ist bereits das vierte Album der genannten Edition (das fünfte gar, wenn man „Zauberdunkel und Lichtazur“ mitrechnet, wo 9 Wolff-Titel mit Liedern seiner Zeitgenossen Anton Urspruch und Ludwig Thuille gekoppelt sind).

Die Mühe des Ausgrabens hat sich gelohnt. Wolff ist zu Unrecht ins musikgeschichtliche Abseits geraten. Seine Kompositionen, insbesondere die Lieder, sind vom Geist des Fin de siècle geprägt, setzen die Anregungen durch Bewegungen wie Naturalismus, Impressionismus, Symbolismus und vor allem Jugendstil musikalisch phantasievoll um. Wie Gustav Mahler ließ er sich von Gedichten aus „Des Knaben Wunderhorn“ inspirieren. Neben literarischen Größen wie Gottfried Keller und Jens Peter Jacobsen stoßen wir bei den Autoren der hier versammelten Lieder auf Namen wie Max Bruns, Gustav Falke, Richard Schaukal, Paul Wertheimer, Kurt Kamlah, Emil Faktor und vor allem Cäsar Flaischlen, mit dem Wolff eng befreundet war. Heute werden sie nicht mehr gelesen, aber damals spielten sie im Literaturbetrieb eine wichtige Rolle. Der Titel des Albums entstammt dem Gedicht „Der Wanderer“ des später im KZ ermordeten Emil Faktor.

Ein origineller Komponist, ein Neuerer gar wie sein Freund Arnold Schönberg war Wolff zweifellos nicht, eher ein in allen Stilen beheimateter Eklektiker. Da gibt es immer wieder mal déjà-écouté-Erlebnisse, aber trotz eines Oeuvres von mehr als 180 Liedtiteln war er kein Serienfabrikant, seine Musik klingt immer unverbraucht und inspiriert, und so wird man auch in dieser neuen Thorofon-Kollektion des Zuhörens nicht müde.

Das liegt freilich auch an der Interpretin Rebecca Broberg, die sich der stilistischen Vielfalt der Musik gewachsen zeigt und für jedes der Lieder eine Haltung und einen eigenen Tonfall findet. Sie gestaltet die Texte außerordentlich plastisch und mit Einfühlung in ihren poetischen Gehalt und formt die Gesangslinien ausdrucksstark mit ihrer in der Mittellage warmen, gelegentlich sinnlich aufblühenden Stimme. Am charakteristischsten gelingen ihr dabei die humorvollen Gesänge, Kellers „Mich tadelt der Fanatiker“ und „O heiliger Augustin“ oder das im schwäbisch-alemannischen Dialekt geschriebene „Wunderhorn“-Lied „Don Juan“.

Rainer Maria Klaas ist ihr ein versierter und einfühlsamer Begleiter. Allerdings hätte man ihm ein besseres Instrument gewünscht. Oder bin ich da von einer früheren Folge der Edition verwöhnt, wo ein Flügel der Bayreuther Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne zur Verfügung stand?

Das umfangreiche deutsch-englische Booklet enthält die Texte der Lieder sowie einen sehr informativen Essay mit ins Detail gehenden Analysen von Peter P. Pachl (Erich J. Wolff – Ein neues Wunderland der Sehnsucht, Thorofon CTH 2619). Ekkehard Pluta

Wiederverwertete Schätze

 

So viele Sänger widmen sich heute mit Recital-CDs der Epoche von Barock bis Belcanto, so viele Arien werden wieder neu der Öffentlichkeit vorgestellt, zahllose CDs widmen sich Komponisten und Sängern früherer Generationen, zum Beispiel Arien von Vivaldi, von Hasse, von Steffani oder von Porpora, Arien für Farinelli, für Caffarelli, für Bordoni, Cuzzoni oder für Malibran …. in der Summe mag das unübersichtlich und ermüdend wirken, im Detail gibt es aber einen Reichtum zu entdecken, über den man sich immer wieder freuen kann! Cecilia Bartoli mag in dieser Hinsicht die Entwicklung der Wiederentdeckungs- und Ersteinspielungsfreude mit vielen CD-Aufnahmen exemplarisch anführen, doch auch die US-amerikanische Mezzosopranistin Vivica Genaux gehört seit ihrem Album Arien für Farinelli, das 2002 bei harmonia mundi erschien, zu den prägenden Sängerinnen, deren Bandbreite des Ausdrucks und stimmtechnischen Fähigkeiten abwechslungsreiches Hörvergnügen verspricht. Das Label Erato hat nun drei Alben Genauxs (die ursprünglich noch bei Virgin Classics erschienen) als Sammel-Box neu aufgelegt, und zwar Bel Canto Arien von Rossini und Donizetti (2003), Arien von Händel und Hasse (2006) sowie das Vivaldi-Album Pyrotechnics (2009). Alle drei sind heute noch hörenswert und vereinen Spektakuläres und Schönes, leider verzichtet Erato auf ein Beiheft: Ohne Erläuterungen oder Arientexte geht es bei dieser Box für Käufer nur um das Hörerlebnis, das bei Genauxs CDs stets von technisch und stimmlicher Souveränität geprägt ist.

Bevor Genaux als Barocksängerin Karriere machte, gehörte ihre Aufmerksamkeit dem Bel Canto. Die Arien von Rossini und Donizetti zeigen Genaux stimmlich brillant in Hosenrollen wie z.B. Smeton (Anna Bolena), Orsini (Lucrezia Borgia), Malcolm (La donna del lago) und Arsace (Semiramide), aber auch mit Rosinas Una voce poco fa’ und zwei Arien der Isabella aus L’italiana in Algerie sowie einer Arie aus Cenerentola. John Nelson leitet zuverlässig das Ensemble Orchestral de Paris. Mit ihren beiden folgenden CDs wirkte Genaux an der Wiederentdeckung Vivaldis und Hasses als Opernkomponisten mit. Die Arien von Händel und Hasse umfassen jeweils Opernarien und eine Kantate der beiden Sachsen, und zwar von Händel aus Orlando und Alcina und Splenda l’alba in oriente (HWV 166) sowie von Hasse aus Arminio und die Kantate La scusa. Hasses Werke sind gefällig, aber ohne besondere Herausforderung an Genaux – eine Auswahl, die ihr Potential nicht ausreizt. Les Violons du Roy werden geleitet von Bernard Labadie. Höhepunkt der Sammlung ist das Vivaldi-Album Pyrotechnics. Genauxs stimmliche Virtuosität kommt hier spektakulär zur Geltung und hat bei dieser Aufnahme mit Europa galante unter der Leitung von Fabio Bondi ein ebenbürtig aufspielendes Ensemble, stimmliches und orchestrales Feuerwerk vereinen sich in barocken Bravour-Arien aus verschiedenen Vivaldi-Opern wie z.B. Cantone in Utica, Semiramide, La fida ninfa, Griselda, Ipermestra, Farnace, Tito Manlio und Rosmira fedele. Genaux-Fans werden diese Aufnahmen in der Regel bereits in ihrer Sammlung haben, als günstigere Box lohnt sich die Wiederauflage für alle, die es werden wollen. (Vivica Genaux – Arias, Box mit 3 CDs, Erato LC02822). Marcus Budwitius