Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Aus diesem Wald ist kein Entkommen

 

Die 70er sind die neuen 50er. Nachdem die 1950er Jahre zweitweise die Bühnen beherrschten und alle Handlungen in die Rock and Roll-Ära verlegt wurden, sind nun die 70er Jahre dran. Zumindest in der Pelléas et MélisandeInszenierung des 40jährigen Benjamin Lazar, der Debussys Drame lyrique in Malmö herausbrachte, wozu die deutsche Übersetzung im Beiheft der DVD behauptet (BelAir BAC 144), „Die Malmöer Oper und ihr Direktor Bengt Hall haben uns im Jahr 2016 die Uraufführung von Pelléas und Mélisande in ihrem Haus anvertraut, also in den Räumen des Theaters, das Ingmar Bergmann von 1952 bis 1958 geleitet hatte“. Natürlich handelt es sich „nur“ um die Erstaufführung in dem Haus, in dem tatsächlich in den 1950er Jahren Schauspieler wie Ingrid Thulin und Max von Sydow unter Bergmann auftraten.

Bühnenbildnerin Adeline Caron ließ sich von Golauds Worten „Diesem Wald werde ich nicht mehr entkommen können“ anregen und schuf ein wandelbar helldunkles Waldbild, in das auch die Szenen in den Innenräumen von Schloss Allemonde, dessen Fenster und Einrichtungsgegenstände wie aus dem Nichts auftauchen, eingebettet sind. Lazars Inszenierung trifft auf starke Konkurrenz. Von Guth über Kosky, Sellars, Marelli, Katie Mitchell, Tcherniakov und Warlikowski haben sich Exegeten des geheimnisvollen Stücks angenommen, das an der Berliner Staatsoper auch noch in der inzwischen schon historischen Berghaus-Inszenierung existiert, in der Villazón im kommenden Jahr den Pelléas geben will. Neben den schönen, von Mael Iger höchst stimmungsvoll illuminierten Naturbildern, die geradezu zum Verweilen einladen, bringt Lazars hoch ästhetische Inszenierung keinen neuen Erkenntnisgewinn. Die Beziehung zwischen dem musterschülerhaften Pelléas, den Marc Mauillon, mit leichtem Bariton singt, von dem man sich fragt, was ihm ansonsten für Partien zufallen könnten – vermutlich ist der Pelléas eine Grenzpartie für ihn –  und der süßen Mélisande von Jenny Daviet, der es im kurzen Röckchen und grünem Pollunder etwas an der unwirklichen Aura der Figur fehlt, hat er zärtlich wie eine erste Teenagerliebe ausgemalt. Aber auch zwischen den beiden Jungen und dem deutlich älteren, in seiner resignativen Zurückgezogenheit sympathischen Golaud, für den Laurent Alvaro einen grobkörnigen Bariton bereithält, ergeben sich nachvollziehbare Begegnungen. Das schüchtern scheue Zusammenspiel der drei mir bislang unbekannten Franzosen, die auch den Text mit exquisiter Prononciertheit gestalten, gelingt bemerkenswert subtil. Ein paar Stunden beim Vocalcoach hätten Emma Lyréns Geneviève und vor allem Stephen Bronks Arkel, dessen Bass-Bariton es auch an gravitätischer Würde fehlt, nicht geschadet. Schön, wie zärtlich Yniold (Julie Mathevet) am Ende Mélisandes Tochter aus dem Kinderwagen nimmt.

Selten war die Wagnernähe so deutlich zu spüren, und vielleicht dachte man deshalb bei diesem Wald mehrfach an Parsifal, wie bei Maxime Pascal, der Chor und Orchester der Malmö Opera mit Energie leitete. Gut denkbar, dass die Zuschauer in Malmö die Balance nicht so vorteilhaft erlebten und der spannungsreiche Orchesterklang die Sänger etwas überdeckte.  Rolf Fath

Bruno Granichstaedten – Stationen eines Lebens

 

Als einziger seiner Kollegen der Komponistengilde wohnte Emmerich Kálmán am 2. Juni 1944 in New York der Trauerzeremonie für Bruno Granichstaedten bei. Auch Kálmán war erst 1940 nach New York gekommen, und wie Granichstaedten konnte er in Amerika nicht mehr richtig Fuß fassen. Mit Beiträgen zur Austrian Sylvester Cavalcade 1942, zu der auch seine einstigen Konkurrenten Paul Abraham, Ralph Benatzky und Robert Stolz Musik beisteuerten, hatte sich Granichstaedten in den USA ein letztes Mal Gehör verschafft. Die Einladung zu der Silvester-Gala der Wiener Operette hatte ihn geradezu in Euphorie versetzt; stolz verschickte er am nächsten Tag an Freunde und Kollegen Autogrammkarten mit der WidmungVom Wiener Herz am Sternenbanner“, die auch den Titel der neuen Granichstaedten-Biografie abgab, die jetzt Ernst Kaufmann, der Neffe von Granichstaedtens zweiter Frau Rosalie, vorlegte, und die, wie wir es von Biografien Benatzkys, Abrahams und Kálmáns kennen, einmal mehr das Schicksal eines in Wien und Europa gefeierten und in der Emigration entwurzelten Komponisten aufrollt.

Bruno Granichsteadten mit Betty Fischer und Dirigent Ernst Marischka/HafG

Bruno Granichsteadten mit Betty Fischer und Dirigent Ernst Marischka/HafG

Dabei durfte sich Granichstaedten berechtigte Hoffnung machen, auch in der Neuen Welt an seine Wiener Erfolge anknüpfen zu können, war er doch bereits 1930, nachdem er durch den Börsenkrach 1929 sein Vermögen verloren hatte, nach Hollywood gereist und hatte gemeinsam mit Nacio Herb Brown die Musik zu zwei Filmen geschrieben. Zehn Jahre später wollte dort keiner mehr etwas von ihm wissen. 1940 waren Rosalie Kaufmann und er nach New York gekommen. Vorausgegangen waren die Inhaftierung durch die Nazis und eine abenteuerliche Flucht über Luxemburg, wo für Granichstaedten die alte Operettenwelt nochmals kurz aufblühte. Als der schwer Herz leidende Granichstaedten die beschwerliche Reise von New York nach Hollywood auf sich nahm, fertigten ihn die Bosse kurz ab. Das traurige Schlusskapitel einer glänzenden Karriere, auf deren Höhepunkt Granichstaedten mit seinem 1925 uraufgeführten und bis zum Zweiten Weltkrieg über 2000 mal gespielten Der Orlow einer der wesentlichen Vertreter der Silbernen Operette war; Granichstaedten meinte später übrigens, dass er mit seinem Orlow und der die Geschichte eines nach Amerika geflüchteten russischen Großfürsten, dem als einziges Erbstück der Orlow-Diamant verblieben ist, Lehár zu seinem Zarewitsch inspiriert habe. Über dem Lied „Für dich mein Schatz, für dich“ stand zum ersten Mal in einer Operettenpartitur „Tempo di Blues“. Der Orlow war auch die einzige von Granichstaedtens Operetten, die später nochmals aufgegriffen wurde, darunter 1959 am Raimundtheater mit Johannes Hesters und 1963 an der Wiener Volksoper mit Eberhard Waechter. Für den Orlow hatte der Kettenraucher Granichstaedten auch das Zigarettenlied mit dem Refrain „Schicksal hau zu, ich halt was aus!“ geschrieben. Unvergänglich dürfte indes einzig das Lied des Zahlkellners Leopold „Zuschau’ n kann i net“ bleiben, Granichstaedtens Beitrag zu Benatzkys Operette Im weißen Rössl.

Bruno Granichsteadten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Bruno Granichsteadten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Begonnen hatte alles wie in einer Operette: Als der aus einer kunstsinnigen jüdischen Familie stammende Bruno Granichstaedten 1879 getauft wurde, war Alexander Girardi sein Taufpate. Bereits mit fünf Jahren erhielt er Klavierunterricht bei Anton Bruckner und mit 16 Jahre wurde er gelegentlich von Hugo Wolf unterwiesen. Er begann ein Musikstudium in Leipzig und erhielt noch während seiner Ausbildung das Angebot, als Korrepetitor an die Münchner Hofoper zu kommen, eine Stelle, die er bald verlor, weil er sich in der Kabarettszene um Frank Wedekind profilierte. Mit großem Erfolg wird 1908 in Wien seine erste Operette uraufgeführt. Von nun an geht es Schlag auf Schlag: fast jedes Jahr folgt eine neue Operette, manchmal sogar mehrere, wenige sind Flops. Die größten Erfolge – neben Der Orlow – sind 1915 Auf Befehl der Kaiserin, deren 500. Aufführung der kriegsverletzte Komponist mit schweren Schmerzmitteln und Stützkorsett dirigierte, 1921 Indische Nächte. Granichstaedten war ein Vorreiter. Herbert Prikopa schreibt in seinem Vorwort, „man vergisst vor allem, dass Granichstaedten es war, der alle modernen Tänze, alle modernen, meist aus Amerika kommenden Klänge mit der Operette musikalisch verband. Er scheute sich nicht, zusammen mit einem normalen Theaterorchester auch eine Jazzband auftreten zu lassen, Saxophon und Vibraphon gehörten zu seinen Schlagern und diese wurden wegen der neuen Instrumentation und der Verwendung von Blues und Shimmy bejubelt“. In seinem Buch setzt Ernst Kaufmann dieses Leben romanhaft in Szene – mit vielen Dialogen und Erlebnissen als habe er immer hinter dem Sessel gehockt und alles fleißig aufnotiert. Was ein bisschen anmutet, wie die fantasievollen Künstler-Biografien der 1930er und 40er Jahren erhält durch Kaufmanns familiären Hintergrund seine Berechtigung, „Rosalie, die nach dem Krieg in Amerika geblieben war, besuchte Granichstaedtens Grab regelmäßig und verbrachte jeden Sommer einige Wochen in Wien. Ich erinnere mich lebhaft an ihre Erzählungen, durch die sein Leben, sein Zugang zu Musik und die Kreise, in den er sich bewegte, ein Teil meines Denkens wurden“Rolf Fath

 

Der Wiener Regisseur/Autor und Granichstaedten-Neffe Ernst Kaufmann/ORCA

Der Wiener Regisseur/Autor und Granichstaedten-Neffe Ernst Kaufmann/ORCA

Ernst Kaufmann, Wiener Herz am Sternenbanner. Bruno Granichstaedten Stationen eines Lebens.; 314 Seiten, Edition AV, ISBN 978-3-86841-096-9

Beim Hamburger Archiv für Gesangskunst sind zwei Operetten Granichstaedtens in historischen Aufnahmen herausgekommen und in operalounge.de besprochen worden: Auf Befehl der Kaiserin und Der Orlow.

DornröschenHecke aus Kruzifixen

 

Man nehme eine allseits beliebte und bekannte Oper (diesmal Norma), entwerfe ein spektakuläres Bühnenbild, versetze die ohnehin bereits unwahrscheinliche Handlung in eine (modernere) Zeit, in der sie geradezu absurd wirkt, füge mehr Sex und Crime hinzu, als Opern, allerdings als Liebe und Verrat, ohnehin enthalten, stecke die Sänger in möglichst moderne und damit eher unvorteilhafte Kleidung und lasse ihre Figuren möglichst lächerlich erscheinen, da sie sich mit Problemen herumschlagen müssen, die es in der Zeit, in der das Stück nun spielt, gar nicht mehr gibt. Das halbe Feuilleton und ein kleiner Teil der Zuschauer werden jubeln, alle anderen werden schweigen, um nicht als hoffnungslos altmodisch zu gelten, als einfach zu blöd, die geniale Inszenierung zu verstehen.

So hat es Àlex Ollé von La Fura dels Baus mit dem Fliegenden Holländer in Lyon und Madrid gehandhabt, wenn Daland und Holländer sich an indischem Strand aus dem Wrack eines rostigen Tankers schälen, und so tut er es auch in London mit Bellinis Norma, wo ihm Alfons Flores eine Art Dornröschenhecke aus Kruzifixen entworfen hat, die ungemein attraktiv wirkt, besonders wenn ihre Beleuchtung wechselt, und wo Lluc Castells Pollione in einen zu engen Straßenanzug gesteckt und Adalgisa zur dicklichen Matrone im Sackkleid degradiert hat. Eine strenge katholische Riten pflegende Sekte will sich von der Herrschaft des Zivilisten Pollione befreien, alte Männer in Generalsuniform kriechen mit Maschinenpistolen durch die Dornenhecke, Normas Kindlein (das Mädchen mit Brille, die auch zum Schlafen nicht ablegt wird) spielen zu den Koloraturen der beiden Damen Hopseball, im Fernseher läuft ein Kinderprogramm, in dem es grausam wird, wenn Norma das Messer gegen den Nachwuchs zückt, der auch noch in der letzten Szene auf die Bühne geschleppt wird. Oroveso erschießt Norma in väterlicher Sorge wegen der Leiden, die ein Feuertod verursacht, und Pollione muss allein auf den Rogo im Hintergrund schreiten, wo er doch schon von Norma kurz vor „Sublime donna“ einen kräftigen Tritt in den Schritt und Nasenbluten aushalten musste. Der willige Opernbesucher hat sich damit abgefunden, an zwei unbemerkte Schwangerschaften und ebensolche Entbindungen, dazu die unentdeckt bleibende Aufzucht zweier lebhafter Sprösslinge von Pollione und Norma zu glauben, einfach glauben zu wollen, aber mit dieser Inszenierung wird sein guter Wille überfordert.

Die Produktion sollte eigentlich Anna Netrebko zur Protagonistin haben, die jedoch, weil sie sich stimmlich der Partie bereits entwachsen fühlte, durch Sonya Yoncheva ersetzt wurde. Sie ist eine vokal sehr mädchenhafte Norma mit heller, eher in Richtung Sutherland als Callas gehender Sopranstimme, technisch sehr sicher und sich nicht vor die Rolle drängend. Das ist bei dieser jedoch eher ein Nach- als ein Vorteil, da man einer der genannten Superdiven eher verzeiht, was Norma eigentlich zu einer unsympathischen Figur macht, wenn sie ihr der Priesterin blind vertrauendes Volk an der Nase herumführt, ihre Entscheidungen danach ausrichtet, wie gerade ihr privates Empfinden, d.h. ihre Stellung zu Pollione ist. Zur Yoncheva passt der noch lyrische Tenor von Joseph Calleja sehr gut zum Pollione, für den man sich ansonsten eine Corelli-Stimme vorstellen könnte. Seine Stimme hat ein sehr schönes Timbre, kennt keine Registerbrüche oder Höhenprobleme. Etwas müde hört sich der Mezzosopran von Sonia Ganassi als Adalgisa an, aber in den Duetten mit Norma ist sie tadellos. Schütter und hohl klingt der Bass von Brindley Sherrat, angemessen besetzt sind die kleinen Partien mit David Junghoon Kim (Flavio) umd Vlada Borovko (Clotilde). William Spaulding, lange an der DOB, leistet auch mit dem Chor von Covent Garden Großes, Antonio Pappano schwelgt mit dem Orchester in der unendlichen Melodie, ist von überwältigender Schönheit beim Vorspiel zum 2. Akt. Daran ändert auch die Inszenierung und Optik nicht.  (DVD Opus Arte 1247D). Ingrid Wanja      

Prachtband zum Jubiläum

 

Ein Fries mit den Statuen des Apollo und den ihm zugeordneten neun Musen, Töchter des Zeus und jeweils einer Kunstgattung zugeordnet, ist der Schutzumschlag für die untere Hälfte des Prachtbandes zum 275. Geburtstag der Staatsoper Berlin und weist auf die Inschrift über dem Portal des Hauses hin, so vom Erbauer Friedrich dem Großen gewollt und einst Zankapfel zwischen dem DDR-Regime und Dirigent Erich Kleiber. Bereits zum 250. Geburtstag des Hauses gab es einen noch weitaus dickeren Band mit dem Titel Apollini et Musis, aber das war ja auch zu einem noch runderen Geburtstag. Die gegenwärtige Festschrift nennt sich „Diese kostbaren Augenblicke: 275 Jahre Staatsoper unter den Linden“, enthält viele seltene und kostbare Fotos und gibt sich in Aufsätzen zu ganz unterschiedlichen Themen eher bildungsbewusst, als solche Momente beschwörend. Nach einem auch in Englisch abgedruckten Grußwort von Daniel Barenboim und den beiden Intendanten Flimm und Schulz, in dem Tradition und die Notwendigkeit neuer Impulse beschworen werden, werden in zehn Kapiteln, das erste Apoll, die weitern neun je einer der Musen beigeordnet, ganz unterschiedliche Themen behandelt, ist jedoch kaum von den magischen Momenten, die jeder Opernfreund schon erleben durfte, die Rede, am ehesten im Kapitel über die Dirigenten der Staatsoper, das besonders Barenboim gewidmet ist, aber da ist auch eher von sinfonischer Musik, so von Bruckner, etwas zu erfahren als von Opernerlebnissen.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Gemälde, dass die jeweilige Muse darstellen könnte, dazu gibt es einen kurzen Vers unterschiedlicher Herkunft, mal von Wieland oder aus antiker Quelle. Blättert man um, dann blickt man auf das Thema des folgenden Beitrags, einen erläuternden Untertitel und den Verfassernamen.   Die Verbindung zwischen dem Inhalt des Kapitels mit der Aufgabe der jeweiligen Muse erschließt sich nicht immer, aber die Idee als solche ist natürlich eine sehr hübsche.

Im Apoll gewidmeten Taxt von Detlef Giese geht es um den Knobelsdorff-Bau und seine vielfältigen Umbauten und seine mehrfache Zerstörung durch Feuer oder Krieg, die Umgestaltung durch Langhans und Paulick, den Kampf um die Inschrift.

Der Muse der Geschichtsschreibung, Klio, ist das Kapitel über Friedrich II. von Philipp Blom zugeordnet, dessen auch tätiges Interesse an der Oper (Montezuma), seinem Komponisten Graun und der ersten deutschen Primadonna. Urania geht dem Text (Susanne Kippenberger) über Schinkel und den Bühnenhimmel zur „Zauberflöte“ voran, Polyhymnia dem über Opernrevolutionen (Thomas Macho), der verwegen beide miteinander in Verbindung bringt, den Chor als deren Träger sieht und orakelt, was wohl das Verschwinden des Chors in den späteren Opern Wagners bedeutet.

Terpsichore lässt Stephanie Schroedter nach dem Wechselspiel zwischen Musik und Tanz fragen, kommt natürlich nicht um die Barberina herum und würdigt auch das Goldene Zeitalter unter Taglioni. Erato lässt nach den „Frauen in der Oper“ forschen (Daniel Schreiber), überschätzt vielleicht die Primadonnen, wenn er die Tenöre mit keinem Wort erwähnt. Tiefer gehender Forschungsarbeit hätte es vielleicht bedurft, um zu erklären, warum die Soprane (fast) immer sterben müssen.

Kalliope lässt Eva Gesine Bauer darstellen, wie Kleiber die Aufführung moderner Werke durchsetzte und welche Probleme ihm das Starwesen im Opernbereich bereitete. Dass dieses eher durch Film und Operette (Tauber) gefördert wurde, sei dahin gestellt, ebenso wie die Rivalität zwischen Lindenoper (Kleiber) und Krolloper (Klemperer) .  Misha Aster, von dem es ein auch neues Buch über die Staatsoper zwischen 1919 und heute gibt, steuert unter dem Zepter Melpomenes ein Kapitel über die Nazizeit bei. Thalia veranlasst Karl-Heinz Ott dazu, besonders über die Renaissance von Rossini nach dem Krieg und ganz besonders über den „Barbiere“ von Berghaus/Freyer zu berichten. Der entstand 1968 und ist bald 50 Jahre alt, aber die „Tosca“ von Barlog aus der Deutschen Oper folgt ihm mit nur einem Jahr Verspätung auf dem Fuße. Den „subjektiven Schmonzes“, den Berghaus zugunsten von „klassenspezifischen Charakteristika“ verbannte, sähe manch einer gern wieder auferstehen. (Übrigens singt Zerbinetta nicht nach Ariadne, sondern im Wechsel mit ihr.)

Euterpe beschließt den Reigen der Musen und lässt Holger Noltze mit viel Raum für Einerseits-Andererseits Daniel Barenboim portraitieren und dessen Verhältnis zu Furtwängler und zum „deutschen Klang“   erläutern. Eine umfangreiche Chronik (auch in Englisch wie das Grußwort) steht am Schluss des Buches, dass man mit Interesse und um einiges Wissen bereichert gelesen haben kann, ohne viel von den zitierten „kostbaren Augenblicken“ vermittelt bekommen zu haben – und die lassen sich wohl auch kaum beschreiben, sondern werden gefühlt (Carl Hanser Verlag, 288 S. ISBN   978 3 446 25757 3). Ingrid Wanja                                          

Von Göttern und Menschen

 

Nach dem Wotan und Wanderer in den konzertanten Aufführungen des Ring in Hong Kong widmet sich Matthias Goerne in einer groß angelegten Ausgabe bei harmonia mundi erneut der Musik des Komponisten (HMM 902250.51). The Wagner Project heißt diese Veröffentlichung auf zwei CDs, bei der das Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding nicht nur begleitet, sondern mit drei Vorspielen, einer Ouvertüre und zwei Instrumentalstücken maßgeblichen Anteil am Programm dieser Einspielung hat. Diese wird bestimmt von einer klugen Konzeption, welche die einzelnen Monologe inhaltlich und musikalisch einander zuordnet. Kein Arien-Potpourri also, wie häufig üblich, sondern eine Sinn stiftende Anordnung und programmatische Kombination mit den orchestralen Teilen zu großen, inhaltlichen Blöcken.

CD 1 ist betitelt  „Of Gods and Men“ (in freier Variation von George Londons berühmter Platte „Of Gods and Demons“). Sie beginnt mit dem grüblerischen Vorspiel zum 3. Akt der Meistersinger von Nürnberg, das in seiner Stimmung und Motivik die Nähe zum drei Jahre zuvor entstandenen Tristan zeigt und in welchem die tiefen Streicher einen wunderbar sonoren Klang hören lassen. Danach folgt Sachs’ nachsinnender Fliedermonolog, der die Verwandtschaft zwischen Sachs und König Marke offenbart. Goerne beginnt ganz duftig und introvertiert, wechselt dann zu grimmigem Ausbruch und endet in dem liedhaft-kantablen „Der Vogel, der heut’ sang“. Die Palette des Sängers mit feinen Nuancen und subtilen Zwischentönen ist enorm, die Stimme mittlerweile dem Bassbariton-Fach zuzuordnen. Der frühere samtweiche Ton des Organs hat sich nunmehr zu einem markigen Klang verändert.

Dem Tristan-Vorspiel, das in seinem sehrenden Charakter die Handlungszüge – Sehnsucht, Ekstase, Resignation, Verzicht, Trauer – offenbart, leitet über in Markes erschütternden Monolog „Tatest du’s wirklich“. Die tiefe Enttäuschung des Königs über den vermeintlichen Verrat seines Neffen macht Goerne auf bestürzende Weise deutlich. Ganz organisch schließt sich danach Isoldes Liebestod an, der die hohe spielerische Kultur des Orchesters demonstriert.

In den beiden Szenen des Wotan aus dem Rheingold und der Walküre spürt man die Erfahrung des Sängers in diesen Partien durch die Konzerte in Hong Kong. „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ lässt in seinem majestätischen Auftrumpfen noch den triumphierenden Gott erkennen, während „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“ vom Abschiedsschmerz von der geliebten Tochter gekennzeichnet ist. Hier hört man Töne der Resignation, bei „Der Augen leuchtendes Paar“ auch berührende Momente der Zuwendung. Respekt gebietende Autorität besitzt der Schluss mit „Wer meines Speeres Spitze fürchtet“.

CD 2 trägt den Titel „Redemption“ und beginnt mit Szenen aus dem Fliegenden Holländer. Der Ouvertüre mit ihrem aufgepeitschten Beginn und dem nachfolgenden Motiv von Sentas sehnsuchtsvoller Ballade folgt der Monolog des ruhelosen, Erlösung suchenden Holländers. Goerne variiert im Ausdruck von Düsternis und Überdruss bis zum grimmigen Aufbegehren gegen sein Schicksal. Die Stimme zeigt sich souverän in Höhe wie Tiefe und auch den dramatischen Ausbrüchen gewachsen.

Der Wolfram im Tannhäuser zählt zu Goernes Bühnenrollen. Im Lied an den Abendstern gelingt ihm nach all den dramatischen und heroischen Szenen ein Beispiel von sublimer Lyrik. Beinahe zärtlich formuliert er „Da scheinest du“, innig und zugewandt erklingt der Gesang an den Abendstern, vom Orchester mit warmen Klängen getragen. Irritierend ist der abrupte Ausklang dieser Szene mit den einleitenden Takten zu Tannhäusers Auftritt für seine Romerzählung.

Beim Thema „Erlösung“ darf Parsifal nicht fehlen. Im Vorspiel zum 1. Aufzug und dem Karfeitagszauber zaubert der Dirigent eine feierliche, erhabene  Stimmung. Zwischen diesen orchestralen Teilen ertönt Amfortas’ schmerzliche Klage „Wehe! Wehe!“ aus dem 3. Aufzug, welche die einzigartige Stimme von Mathias Goerne mit ihrem persönlichen, zutiefst menschlichen Timbre  noch einmal in aller Eindringlichkeit ertönen lässt.  Vom lyrischen Bariton und exzellenten Liedsänger hat sich der Sänger inzwischen zum heldischen Bassbariton entwickelt, dessen Möglichkeiten wohl noch lange nicht erschöpft sind und sicher weitere Überraschungen erwarten lassen – wie sein Sarastro in der Salzburger Zauberflöte 2018. Bernd Hoppe

Keiner schlafe…

 

Wer die beiden dickleibigen Bände von Christian Merlin zum 175. Geburtstag der Wiener Philharmoniker durchpflügt hat, meint vielleicht, bereits alles über den berühmten Klangkörper zu wissen, was wissenswert ist. Aber  Christoph Wagner-Trenkwitz gelingt es mit seinem quantitativ weit unterlegenen Das Orchester, das niemals schläft doch noch, qualitativ eine ganz andere, aber nicht weniger beachtenswerte Saite anzuschlagen. Er erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder tiefgründige Wissenschaftlichkeit, sondern den, den Leser zu unterhalten, wohl auch zu informieren, aber auf eher unprätentiöse, ihn nie überfordernde Weise, denn der „Einsteiger“ ist als Leser erwünscht. Bereits der Titel bereitet darauf vor, dass Anekdotisches eine bedeutende Rolle spielen wird, und im Vorwort bekennt sich der Orchestervorstand ausdrücklich dazu, sorgt auch für einen Lacher, wenn er politisch hoch korrekt von den „Komponistinnen und Komponisten“, die den Wienern verbunden waren, spricht. Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer wird historisch, wenn er im Grußwort das Orchester mit Karl V., indessen Reich die Sonne nie unterging, vergleicht.

Sehr anschaulich beginnt Wagner-Trenkwitz mit einem „Rundgang“ durch Wien zu den Stätten, die für die Philharmoniker bedeutsam waren, zu den Sternen, die für berühmte Musiker in das Trottoir eingelassen worden sind und nimmt sich dann das Gründungsjahr 1842 vor mit all den Ereignissen, die „sonst noch“ passierten.

Man merkt dem Autor immer wieder die starke Identifizierung mit den Wienern an, nicht nur, wenn er von „unserem Orchester“ spricht, wenn er begeistert das Goldene Zeitalter, das mit dem Bau des Hauses für den Musikverein begann, preist. Immer wieder lockern Anekdoten den Text auf, und bemerkenswert ist das enge Verhältnis, das der Verfasser zu seinem Leser aufzubauen vermag, der einbezogen wird in die Bewunderung für den einmaligen Klangkörper.

Zwar geht Wagner-Trenkwitz in der ersten Hälfte seines Buches weitgehend chronologisch vor, findet aber zunehmend zu einer thematischen Gliederung , so wenn er über das Recht des Orchesters, über die Aufführung neuer Werk zu entscheiden, oder über das schillernde Verhältnis der Juden zum Komponisten Gustav Mahler schreibt. Dass Dirigenten auch nur Menschen sind, erfährt man im Kapitel über die „Last der Geschichte und Aufbruch in eine neue Zeit“, so in einem bösen Brief Bruno Walters über Furtwängler oder  (das las man neulich in einem bösen Buch ganz anders) über Knas Gegnerschaft gegenüber den Nazis. Natürlich versagt es sich der Autor nicht, die skandalöse Geschichte um Baldur von Schirachs Ehrenring zu berichten oder die Feindschaft zwischen Karajan und Furtwängler. Ausführlich wird auf das Schicksal der nichtarischen Mitglieder des Orchesters eingegangen und die „Schuldabwehr“ nach 45, die erst mit dem Skandal um Waldheim ein Ende fand.

Nach dem historischen erweist sich der zweite, thematisch gegliederte Teil als ebenso interessant: Klang (an der menschlichen Stimme orientiert) und Tradition als Merkmal des Orchesters, die Rolle des Konzertmeisters, die Wichtigkeit von Kammermusikgruppen innerhalb des Orchesters oder das Wiener Horn, noch aus der Beethovenzeit stammend sowie andere Besonderheiten der Wiener Instrumente. Viele Musikerdynastien lieferten dem Orchester Mitglieder, oft innerhalb einer Instrumentengruppe, eine von vielen sind die Hellmesbergers. Aber auch Mehrfachbegabungen finden sich unter ihnen, so der Komponist Franz Schmidt oder Schriftsteller und Maler.

Eine wichtige Frage ist natürlich die, „wie man zu den Philharmonikern kommt“ (nicht nur durch Üben, wie die Anekdote meint). Die Organisation von Staatsopernorchester und Philharmonikern, der Einzug der Frauen ins Orchester, die Jugendarbeit, Tourneen sind weitere Stichpunkte, dazu kommen die Kurzportraits der wichtigsten Dirigenten, allen voran Böhm, Karajan und Bernstein. Natürlich darf das Neujahrskonzert als Institution, wenn auch nazistisch kontaminiert, nicht fehlen, was auf das Sommernachtskonzert und den Philharmonikerball, ab 2011 auch den Opernball, nicht zutrifft. Das Verdienst des Buches ist es, sehr viel über die Wiener Philharmoniker auf relativ knappem Raum in unterhaltsamer Art und Weise zu vermitteln  (Amathea Verlag Wien ISBN 978 3 99050 095 8). Ingrid Wanja

Cristina Pasaroiu

 

Die junge Rumänin Cristina Pasaroiu stand bereits in großen Primadonnarollen wie der Violetta oder der Adriana Lecouvreur auf den großen internationalen Bühnen. Zur Zeit (im November/ Dezember 2017) ist sie in der Titelpartie von Massenets Manon am Staatstheater Wiesbaden zu erleben. Eine Traumpartie für sie, die sie wegen eines Unfalls in der Probenphase, bei dem sie sich den Fuß gebrochen hatte, fast absagen musste. Wie sie es trotzdem geschafft hat, die Produktion zu singen, warum sie das französische Fach so liebt und welche neuen Rollen in Zukunft auf dem Programm stehen, sagt sie im Interview mit Dieter Schaffensberger.

 

Ende Oktober konnten Sie einen enormen Erfolg in der Titelpartie von Massenets Manon in einer Neuproduktion am Staatstheater Wiesbaden feiern. Während der Probenphase brachen Sie sich den Fuß. Wie haben Sie es trotzdem geschafft, diese anspruchsvolle Rolle, die ja auch viel Körpereinsatz erfordert, szenisch zu bewältigen?  In der zweiten Probenwoche habe ich mir den Fuß gebrochen und musste operiert werden. Ich war geschockt, als ich hörte, dass ich für sechs Wochen einen Gips tragen sollte. Mein erster Gedanke war: Mein Debut als Manon kann ich wohl vergessen. Nach dem ersten Schock sagte ich zu meinem Arzt, dass ich keinen Gips tragen kann, da ich in einer Stunde auf der Bühne bei den Proben sein muss. Nach einigen Überlegungen bekam ich eine Schiene, die meinen Fuß stabil hielt. Aber gehen ohne Krücken war nicht möglich. Also fuhr ich direkt nach der Operation in Vollnarkose mit dem Taxi ins Stadttheater zu den Proben. Ich saß seitlich in der Loge und habe von da aus die Proben absolviert. Eigentlich dachten alle, dass ich das nicht schaffen würde. Aber ich hatte den absoluten Willen, die bereits gut einstudierte Rolle der Manon auch zu singen. Eine Regieassistentin hat die Rolle auf der Bühne für mich dargestellt und ich saß seitlich und habe gesungen. Also begann ich wieder zu hoffen und war zuversichtlich, bis zur Premiere wieder fit zu sein.

Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi

Ich glaube, dass ich durch meine Mimik, mein Gefühl und die Ehrlichkeit überzeugen konnte. Bei den Einführungen haben die Leute sogar geglaubt, dass die Inszenierung so gedacht ist, dass Manon die Rolle in der Loge sitzend darstellt. Mein Dank gilt dem Intendanten Uwe Laufenberg, der mich in dieser Spielzeit engagiert und die Rolle für mich angesetzt und mich sehr unterstützt hat. Darüber hinaus möchte ich besonders dem genialen Regisseur Bernd Mottl danken, der mir sofort nach dem Unfall versicherte, mich in allen Belangen zu unterstützen, damit ich diese Rolle singen kann und die Premiere schaffe. Er hatte in den ersten Wochen gemerkt, dass ich eine wahrhaftige Schauspielerin bin und hat vollends an meine Kraft und Begabung geglaubt. Er hat mit mir geweint, gelacht, mitgelitten, aber vor allem an mich geglaubt. Medizinisch war ich gut versorgt und in der letzten Probenwoche stand ich in einem speziell für mich angefertigten Schuh auf der Bühne, sodass ich als Manon akzeptabel ausgesehen habe. Ich erinnere mich gut daran, wie sehr meine Beine gezittert haben. Ich wusste gar nicht, worauf ich mich zuerst konzentrieren sollte: die Musik, auf den Text, die Interpretation, das Kostüm, die Haltung oder wie ich den nächsten Schritt mache. Ich musste alles planen und der Regie anpassen. Vielleicht hat mir die Musik und das Publikum jene Kraft gegeben… Das alles war letztendlich nur durch unendlichen Willen, Konzentration und Disziplin möglich.

Welche stimmlichen Herausforderungen birgt die Rolle?  Die Rolle und Persönlichkeit der Manon ist sehr komplex. Mir liegt die französische Sprache sehr. Auch, weil ich sie jahrelang studiert habe. Daher ist es  für mich nicht schwer, sowohl die Gefühle als auch die Interpretation aufzugreifen und in der Rolle umzusetzen. Manon ist während der gesamten Oper auf der Bühne präsent. Insgesamt hat sie fünf Arien und etliche Duette sowie die Beteiligung am Ensemble. Die Leichtigkeit im ersten Akt, Koloraturen bis zum hohen E, viele Sprünge, Nuancen, Piani, Farben und dann die Dramatik im vierten und fünften Akt. Um von den tiefsten Tönen bis zu den höchsten Akzenten, die langen Phrasierungen und Legati zu schaffen, benötigt man eine gute Technik.

Wie würden Sie Ihre Manon beschreiben?  Manon, ein kleines Mädchen, schüchtern und unerfahren, jedoch steckt viel Persönlichkeit in ihr und Neugier und Mut. Sie wird erwachsen und erfährt Höhenflüge und totalen Absturz. Sie schwankt zwischen wahrer Liebe und Luxus, zwischen Leidenschaft und Sicherheit. Es gilt, Pathos zu vermeiden und stattdessen moderne Psychologie zu bringen und bei aller Tragik auch Humor und Leichtigkeit zu zeigen. Also kein Opernklischee, sondern eine aktuelle Figur.

Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi

Was können Sie uns über Bernd Mottls Wiesbadener Inszenierung sagen? Das ist einfach. Bernd Mottl ist ein wunderbarer Regisseur und Mensch. Mit viel Energie und Weisheit hat er genau gewusst, wie er meine Persönlichkeit und meine Gefühle für Manon erwecken kann. Wir haben mit viel Ehrlichkeit und emotionaler Zuneigung gearbeitet. Er hat es meisterlich geschafft, mein Handicap mit großer Kunst zu verbergen. Meine „sexy“ Stiefel in der Bettszene wird niemand vergessen.

Das französische Fach scheint Ihnen besonders gut zu liegen. Gibt es Pläne für weitere Partien in diese Richtung?  Ich empfinde besonders die Intimität der französischen Musik, die melodischen Feinheiten, die Elegance und das Gefühl für Dramatik. Ich habe ein Diplom in Französich, lebe gerne an der Cote D´Azur und liebe die französische Kultur. Deswegen kann ich das französische Fach auch gut verstehen und es passt wie ein Handschuh perfekt zu mir. Ich könnte mir gut vorstellen, wieder Leila in Les pecheurs des perles, Rachel in La Juive, Valentine in Les Huguenots zu singen. Micaela in Carmen wird in Zukunft oft auf dem Programm stehen, unter anderem an der Bayerischen Staatsoper sowie in Asien.

Es fällt auf, dass Ihr Repertoire sehr vielfältig ist. Sie singen sowohl Partien für lyrischen Sopran als auch Koloraturpartien und Rollen des Verismo wie zum Beispiel Adriana Lecouvreur. Wie würden Sie selbst Ihre Stimme beschreiben und wo fühlen Sie sich am wohlsten?  Ich habe von Natur aus eine dunkle Stimmfarbe. Bereits mit zwölf Jahren habe ich bei Lipatti Gesangsunterricht genommen und damit eine große Stimme und einen großen Ambitus (Stimmumfang) erreicht. Durch Technikübungen habe ich auch meine Koloraturen perfektioniert, aber die Dramatik lag mir schon im Blut. Da ich dieses besondere schattierte Timbre und darüber hinaus auch schauspielerische Persönlichkeit besitze, wurden mir sehr früh auch die Partien in Adriana Lecouvreur, La Rondine oder die Desdemona in Otello angeboten. Ich habe nie übertrieben, aber alles mit meiner Stimme gemacht – nicht mehr aber auch nicht weniger.

Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi

Viele sprechen von Partien, die zu früh gesungen werden. Durch meine Erfahrung bin ich allerdings davon überzeugt, dass man kann alles machen, wenn man nicht vergisst, einfach man selbst zu bleiben und zu fühlen, wo die Grenzen sind. Ich fühle mich wohl bei Sopranpartien wie Fiordiligi oder Contessa von Mozart bis zu frühem Verdi oder Puccini. Sicher liegen mir am Herzen Gounod, Bizet, Massenet oder Meyerbeer. Auf jeden Fall ist es mir wichtig, mich in den Rollen zu vergessen und in der Kunst zu verlieren.

Im Sommer haben Sie in einer spektakulären Carmen auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele die Micaela gesungen. Es ist eine faszinierende Erfahrung, auf der größten Seebühne Europas zu singen. In der wunderschönen Inszenierung von Kaspar Holten sang ich in einer Höhe von 53 Metern die Micaela. Ich fand jeden Abend spannend und das Adrenalin stieg, als ich aus dieser Höhe die 7000 Besucher und den Mond betrachtete. Die Natur und die Atmosphäre ist sehr inspirierend, aber man muss auch sagen, dass man dafür auch eine gute physische Konstitution benötigt. Bei Open Air Veranstaltungen singt man bei jedem Wetter – ob es nun heiß oder kalt ist, oder aber auch mitunter heftig regnet. Ich freue mich jedoch bereits wieder auf den nächsten Sommer, wenn ich wieder die Micaela in Bregenz interpretieren werde.

Eine weitere wichtige Rolle in Ihrem Repertoire ist die Traviata, die Sie bereits oft auf der ganzen Welt gesungen haben… Traviata ist der Manon ähnlich – um sie zu interpretieren, ist ebenso von Koloratur bis Dramatik alles notwendig. Um diese Figur glaubhaft darzustellen, muss man sich selbst entdecken, um die Rolle mit Originalität zu erschaffen.

Wir haben gehört, dass bald auch eine Barockpartie auf Ihrem Kalender steht…  Ja, endlich eine Barockoper. Alcina von Händel wird meine erste sein. Eine andere faszinierende Geschichte und Rolle. Der Stil ist wie Balsam für die Stimme und Seele. Man kann durch Feinheiten, Verzierungen und dem besonderen Barockklang eine andere Welt in sich öffnen und ich bin bereit dafür.

 

Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi

Zu Ihrem Werdegang – wo genau haben Sie studiert und wer waren Ihre wichtigsten Lehrer?  Ich habe in meiner Heimatstadt Bukarest angefangen zu studieren. Meine erste Professorin war die Koloratursopranistin Silvia Voinea, die mich eine sehr gute Basis in Atemtechnik, Phrasierung und messa di voce gelehrt hat. Danach habe ich am Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand mit Prof. Vittorio Terranova studiert. Mit ihm habe ich Belcanto und das italienische Fach studiert. Danach studierte ich in Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Nicht zuletzt waren es meine beiden Mentoren Dolora Zajick und Jaime Aragall, die mir den letzten Schliff verpasst haben, mit mir an Interpretation gearbeitet und mir ihre „Geheimnisse“ verraten haben, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.

Welche neue Rollen stehen auf Ihrer Wunschliste? In welche Richtung wird sich Ihr Repertoire entwickeln?   Ich habe viele Träume – von Händels Cleopatra bis zu Donizettis Königinnen oder Luisa Miller von Verdi, aber auch die drei Figuren in Les Contes d´Hoffmann  sowie Juliette, Thais oder auch Guillaume Tell von Rossini. Ich will beim lyrischen Repertoire bleiben und vielleicht geht in einigen Jahren auch mein Traum von Tosca oder Trovatore in Erfüllung.

 

Cucumber Sandwiches

 

Es ist wie mit den Gurkensandwiches beim britischen Afternoon Tea. So richtig satt machen sie nicht. Auch nicht die Lieder, genauer Songs, von Arthur Benjamin und Edgar Bainton, die Naxos als World Premiere Recordings auf einer CD vorstellt (8.571377). Da gehören einfach noch ein paar gehaltvollere Scones oder kleinere Pies dazu. Auf keinen Fall Muffins. Gut vierzig Lieder auf eine Gesamtspielzeit von 80 Minuten verteilt, bedeutet nur mehr oder weniger als eine Minute für viele der Songs. Kleine Episoden, gefällige Wendungen, die die Konversation nicht stören. Alle stammen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die beiden Komponisten, deren Leben interessanterweise in gegenläufiger Richtung verlief, einen ersten Höhepunkt ihres Schaffens erreichten.

Arthur Benjamin/ youtube

Benjamin (1893-1960) wurde in Sydney geboren, in London ausgebildet, unterrichtete am Konservatorium seiner Geburtsstadt und kehrte 1921 endgültig nach London zurück, das er nur während des Zweiten Weltkriegs für einen Aufenthalt in Vancouver verließ. Nach einer gediegenen Ausbildung hielt sich der in London geborene Edgar Bainton (1880-1956) gerade in Deutschland auf, wo er die Bayreuther Festspiele besuchen wollte, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Bainton wurde inhaftiert und kümmerte sich während seiner vier Jahre im Lager von Ruhleben um das Musikleben, kehrte nach England zurück, hielt sich dann in Kanada, Indien und Australien auf, wo er sich 1934 niederließ und als Pädagoge am Konservatorium in Sydney und als Dirigent des späteren Sydney Symphony Orchestra wertvolle Aufbauarbeit leistete.

Edgar Bainton/ youtube

Benjamins erstes Lied Man and Woman stammt aus dem Jahr 1918 und gibt seine Gefühle angesichts seiner ersten romantischen Beziehung zu einer Frau wieder, „a one-off experience that was never to be repeated“, wie die Pianistin Wendy Hiscocks lakonisch im Beiheft bemerkt. Die letzten Lieder, in denen er auf wirkungsvolle Weise die Rhythmik jamaikanische Melodien aufgriff, entstanden in den späteren 1940er Jahren. Den Großteil jedoch komponierte er in den 20er Jahren in seinem Haus in einem Dorf in Surrey: friedvolle, liebliche Lieder, die so leicht in die Ohren gehen wie man sie wieder vergessen hat. Die Mezzosopranistin Susan Bickley gestaltet sie mit Temperament und griffigem Stimmeinsatz, Christopher Gillett verfügt über einen schmalen, reifen Charaktertenor typisch britischer Prägung, an dessen Klang man sich erst gewöhnen muss.

Aus der selben Periode, zwischen 1912 und 1938, stammt der Großteil von Baintons Liedern, dazu gehören die frühe Lullaby (1912) für seine Töchter, das von der Gefangenschaft gezeichnete Twiglight (1918), die Ben Jonson-Vertonung Slow, Slow, Fresh (1920), die am ehesten als einer seiner Hits gelten könnte, sowie die schöne James Joyce-Vertonung mit dem poetischen Zeilen Strings in the Earth (Saiten in der Erde).   Das passt zu dem Landsitz in Somerset, wo die Aufnahme im März dieses Jahres (2017) entstand. Rolf Fath

Folter aller Foltern

 

„La libertà?“ flüstert der Gefangene am Ende von Luigi Dallapiccolas Oper Il Prigioniero. Nein. Hoffnung gibt es für ihn keine mehr. Der Lichtstreif, dem er folgte und der ihm die Freiheit verhieß, erweist sich als trügerisch. Er läuft geradewegs dem Großinquisitor, in dem er seinen Kerkermeister erkennt, in die Arme. Die erste auf einer Zwölftonreihe fußende italienische Oper – großen und prägenden Eindruck hatte auf Dallapiccola die von Schönberg geleitete Aufführung seines Pierrot lunaire 1924 in Florenz gemacht, der auch Puccini beiwohnte, welcher dem Komponisten bekanntlich zum Werk gratulierte – ist ein eindrucksvolles Stück, das 1950 in Florenz szenisch uraufgeführt wurde und nach einer ersten Serie in den 1960/70er Jahren zur Zeit wieder häufiger anzutreffen ist. So auch in Graz, wo im März 2017 dieser sehr willkommene Mitschnitt entstand (Oehms Classics OC 970). Graz spielte im Leben des jungen Dallapiccola (1904-75) übrigens eine wichtige Rolle, da die aus Istrien stammende „politisch unzuverlässig“ geltende Familie 1917 dorthin ziehen musste. Luigi Dallapiccola empfindet die Demütigungen als Heimatloser, erlebt im Opernhaus aber auch seine musikalische Initiation. Eine Aufführung des Fliegenden Holländer soll für ihn den Ausschlag gegeben haben, Komponist zu werden. Nach dem Krieg zieht es ihn nach Florenz, dem künftigen Zentrum seines Schaffens und Wirkens.

Auf den Stoff zu Il Prigioniero, die Erzählung Tortur durch Hoffnung von Villiers de l’Isle-Adam, war Dallapiccola bereits 1939 gestoßen. Zwischen den Canti di Prigionia 1941 und den Canti di Liberazione 1955 formte er, unter Einbeziehung einer Episode aus Charles de Costers Ulenspiegel-Roman, ein Bild der schlimmsten Folter. Im Moment der scheinbaren Befreiung muss der Gefangene angesichts des Scheiterhaufens erkennen, dass er betrogen ward: „Die Hoffnung … als die letzte Folter von allen Folterqualen die grässlichste“. Fast ein wenig konventionell, doch nicht unpassend, in der Manier des frühen Menotti, mutet der Prolog an. Die Mutter besucht ihren Sohn, ahnend, dass es zum letzten Mal sein wird, und berichtet von Philipp II., der sich in ihren Träumen in den Tod verwandelt. Aile Asszonyi formt den 7minütigen Auftritt zu einer glühenden Anklage, in der Dallapiccola die große Klage- und Klanggeste der italienischen Oper nicht verleugnet. Überhaupt klingt in Dallapiccolas Kurzoper (47:31) das Komplizierteste immer singbar, auf dass die Botschaft der Humanität gehört werde. Die Gesänge der Priester, die falschen Beschwörungen des von Manuel von Senden mit tückischer Tenorgefälligkeit gesungenen Großinquisitor, die sanften Floskeln der Priester, die von Markus Butter mit Inbrunst gestalteten Bekenntnisse und Visionen des Gefangenen und die Gebete und sakralen Zitate verdichtet Dirk Kaftan mit dem Grazer Philharmonischen Orchester zu einem beklemmenden, gleichwohl scharf ausdifferenzierten, ebenso wuchtigen wie klangreichen Bild, das Dallapiccolas großartiger Konstruktion gerecht wird (Oehms Classics OCE 970). Rolf Fath

Hoher Anspruch

 

Das Schlichteste an der CD mit Liedern, gesungen von Marlis Petersen, ist wohl das ihr vorangestellte Motto Goethes von dem Glück, das immer da ist und das man nur ergreifen muss. Geplant ist eine Trilogie namens „Dimensionen“, deren erster  Teil, betitelt „Dimensionen Welt“, nun vorliegt und sich unterteilt in „Himmel & Erde“, „Mensch & Natur“, „Los & Erkenntnis“, „Hoffnung & Sehnsucht“ sowie abschließend  „Conclusio“. Der „Welt“ folgen sollen noch „Anderswelt“ (da soll es u.a. um Elfen gehen) und „Innenwelt“. Nimmt man zur Kenntnis, dass sich auf dieser CD und wohl auch den beiden folgenden Lieder mit Klavierbegleitung befinden, erscheinen einem diese zarten Gebilde durch den hohen Anspruch der Sängerin und ihres Klavierbegleiters doch arg beschwert und belastet und die Intentionen der beiden Künstler kaum vereinbar mit denen der Musiker, die die zu einem nicht unbedeutenden Teil literarisch nicht besonders hochwertigen Gedichte (Eichendorffs „Mondnacht“ ist eine der wunderbaren eher Ausnahmen) vertonten. Der hohe Anspruch der CD offenbart sich in dem von den beiden Künstlern selbst verfassten Booklet, das dem Hörer „innige Hörmomente“ verspricht und passend dazu die Sängerin in weißem Flattergewand durch dasselbe wallen lässt. Verdienstvoll ist, dass neben den bekannten Liedkomponisten Schumann, Schubert und Brahms auch der Schwede Sigurd von Koch und der Spätromantiker Hans Sommer berücksichtigt werden, seltsam, dass eines der Wesendonck-Lieder  im Booklet-Teil mit den Texten Franz Schubert zugeschrieben wird, während es zutreffend im Inhaltsverzeichnis als Komposition Richard Wagners aufgeführt wird. Und auch sonst gibt es kleine Mängel, wenn anstelle von „besäumt“ ein „beschäumt“ zu lesen ist oder ein „nächsten Flut“ anstelle der „nächt‘gen Flut“.

Schreitet man vom Lesen des Booklets zum Anhören der CD, stellt man mit Freude fest, dass der Sopran von Marlis Petersen in der letzten Zeit (Die Aufnahme stammt vom Sommer 2017.) reicher an Farben geworden ist, über sattere Töne verfügt, die in Schumanns  „Himmel und Erde“ für den Frühling zart erklingt und für den Herbst ein schönes Leuchten hat. Cora, die bei Schubert ihre Bitten an die Sonne richtet, hat eine naive Kinderstimme, für seine Ode an das sinkende Gestirn wird jeder feierliche vokale Gestus vermieden, auch der Refrain eher schlicht genommen, was bei dem seltsamen Text ( „Es segnen die Völker , es säuseln die Lüfte, es räuchern die dampfenden Wiesen dir nach…“) auch anzuraten ist, ebenso wie die Beschleunigung, wenn es allzu triefend von angeblicher Romantik wird. Im „Herbstabend“ von Hans Sommer hebt der Sopran die letzte Strophe, die dem „süßen Frieden“ geweiht ist, sehr schön vom Rest des Liedes ab. Für jedes der folgenden Lieder findet sie den angemessenen Ausdruck, so für Schuberts „Mutter Erde“ die sanfte Schönheit oder für seinen „Naturgenuss“ die schöne Leichtigkeit, die ebensolche Entschlossenheit für Schumanns „Die Hütte“. Allerdings fällt hier und an anderer Stelle auf, dass die Zuordnung zu einem der oben genannten Themen nicht zwangsläufig, sondern recht beliebig und austauschbar ist. Das gilt ganz besonders für Schuberts „Die Berge“, die eigentlich viel besser ins vorangegangene Kapitel passen würden.  Hier kann die Stimme ausschwingen, in „Juchhe!“ von Brahms einen schönen Jubelton annehmen. Hans Sommers „Gesang des Lebens“ auf ein Gedicht von Hartleben gibt der Sängerin die Gelegenheit, einen dramatischen Verkündigungston anzunehmen und „leuchtend“ hörbar zu machen.  Bei Brahms‘ „Der Strom“ kann man die Baritonstimme, die einen damit bekannt machte, nicht aus seinem Gedächtnis verbannen, obwohl sich der Sopran durchaus auch im Dramatischen behaupten kann.  Raffiniert ist in von Kochs „Das Los des Menschen“ die Verlängerung des Vokals  im „hin“ und im „zerfließt“. Und Schumann und Eichendorff finden für ihre „Mondnacht“ eine Interpretin, die den angemessenen schwebenden Klang durch alle drei Strophen durchhalten kann, so wie in Brahms‘ „Feldeinsamkeit“ von ihr das „mir ist’s“ in schönem Abgehobensein gestaltet wird.

Noch schöner wäre es, wenn das Künstlerpaar – Stephan Matthias Lademann ist der hochsensible Begleiter- weniger kopflastig und missionierend in Sachen Liedgesang vorgehen würde und die Kunstwerke für sich selbst sprechen lassen würde. Ob alle jedoch, besonders die auf Texte von dilettierenden schönen Seelen, der Wiedererweckung wert sind, sei dahingestellt (Solo Musica SM274). Ingrid Wanja

Gloire á Enée

 

Die neue Aufnahme von Berlioz´ opus summus, in der Folge der Konzerte in Strasbourg im April 2017 in der dortigen Salle Erasme, kann in mancher Hinsicht als eine der defintiven Aufnahmen dieses Riesenwerkes gelten. Sie atmet französischen Geist und wurde – Dank an Warner – in einer kongenialen Umgebung, in Strasbourg, aufgeommen, mit einem führenden nationalen Orchester, das einen nativen Klang garantiert (trotz Verstärkung von jenseits des Rheins). Eine große Tat! Und sie bietet doch jede Note, die Berlioz für diese Komposition 1863 geschrieben hat (was allerdings die Decca-Aufnahme unter Dutoit auch für sich in Anspruch nahm!). Darüber hinaus hat man mit John Nelson den Berlioz-Dirigenten unserer Zeit par excellence. Seine Beschäftigung mit dem Werk geht bis in die Sechziger zurück, als er den zweiten Teil Carthage mit Evelyn Lear in Englisch an Covent Garden 1966 dirigierte, 1974 das ganze Werk in Französisch ebenfalls mit der Lear und einer überraschenden Gisela Schröter als Cassandre in Genf. Die Lear ist für mich die einzige, die das -p- in „captivé“ so wunderbar prononciert betont wie einst Maria Callas ihr berühmtes „mà“ im Barbiere. Und sie ist für mich auch eine bedeutende Didon!

Berlioz´Oper „Les Troyens“ neu bei Erato (0190295762209) auf 3 CDs mit einem DVD-Bonus-Hightlights-Mitschnitt

John Nelson bietet uns die originale Fassung von 1863, bevor das Théâtre Lyrique in Paris das Werk zerhackte und nur den 2. Teil (Carthage) aufführte. Christian Wasselin legt in seinem Aufsatz im Booklet die Werkgeschichte dar, und man erinnert sich mit Erstaunen und auch Mitgefühl, dass ja Berlioz den (heute so genannten) ersten Teil (La prise de Troie) nie gehört hat. Nelson optiert für die kompaktere Final-Version des 5. Aktes und streicht auch den Auftritt des verräterischen Boten Sinon im 1. Akt (den Dutoit erstmals vorstellte, dessen Noten aber Berlioz selbst vernichtet hatte und der von Hugh MacDonald aus den Resten wiedererstellt wurde). Insofern also hat man buchstäblich jede Note, wie sie die Bärenreiter Edition vorlegt. Finanziert wurde das Ganze in Strasbourg auch mit Hilfe der amerikanischen Donor-Group Ascanio´s Purse, denen man zu Dank verpflichtet ist. (Interessanter Weise liest man ebenfalls im Kleingedruckten, dass Warner das alte Label Parlophone wiederbelebt hat, die Tochter der späteren EMI, bei der zum Beispiel die ersten Buschaufnahmen aus Glyndebourne erschienen waren.)

„Les Troyens“ in Strasbourg 2017 – Schluss-Applaus/ Foto Grégory Massat/ Warner

Nelson hatte vor Strasbourg die Troyens in Frankfurt und an der Met dirigiert, und man merkt ihm zu jedem Moment das Verwachsensein mit  dieser Musik an. Seine prachtvoll-flexiblen Tempi, seine kriegerischen Momente namentlich der ersten beiden Akte überzeugen absolut. Er schafft mit dem französischen Orchester einen französischen Klang, namentlich bei den Streichern und Holzinstrumenten. Vielleicht bleibt er (oder sind es die Sänger?) gelegentlich zu sachlich, zu wenig erotisch (Liebesnacht). Und er ist mir in manchen Momenten zu langsam, zu retardierend – etwa in den Soli der Cassandre im ersten Akt und vor allem auch Didons. Deren Ansprache  zu Beginn des 3. Aktes zieht sich schleppend dahin. Man erwartet eine royale Persönlichkeit, die sich majestätisch beim Volk bedankt – hier hört man eine grüblerische Frau mit leiser Stimme und mattem Dank. Dennoch – Nelson lässt Chöre und Solisten atmen und breitet ihnen einen luxuriösen Klangteppich aus. Nur Colin Davis hat diese Sinnlichkeit des Klanges auf der älteren und immer noch würdigen Pionier-Aufnahme bei Philips, die erste offizielle gesamte des Werkes. Dutoit bei Decca bleibt bei machtvollem Duktus stets durchhörbar, und auch er betont den  heroischen ebenso wie  den sinnlichen Charakter des Werks.

 

„Les Troyens“ in Strasbourg 2017 – Joyce DiDonato, Hanna Hipp, Marianne Crebassa/ Foto Grégory Massat/ Warner

Und das bringt uns zu den Details der neuen Aufnahme bei Erato, die klanglich präsenter, aufgefächerter, transparenter sein könnte. Ich bin nicht so glücklich mit der Akustik der Straßburger Salle Erasme. Immer mehr offenbart sich, wie sehr wir uns an sogenannte Mitschnitte in großen Locations gewöhnt haben, denn der Vergleich auch in diesem Falle lässt klanglich die älteren Studio-Aufnahmen bei Philips und Decca vor der neuen gewinnen: Man hört einfach mehr, mehr an Nuancen und auch mehr an Diktion, mehr an erzählter Geschichte, vielleicht nicht unbedingt mehr an Spannung. Da ist das Adrenalin einer Live-Aufführung sicher weit im Vorteil. Ein Konzertsaal hat eben eigene Gesetze, und Stimmen dort brauchen andere Bedingungen als im Studio, wo es mehr auf die Feinheiten ankommt. Zumal Live-Mitschnitte ja selten Ein-Abend-Aufnahmen sind, sondern sehr oft aus verschiedenen Aufführungen und Proben bestehen. Wo die stimmlichen Gegebenheiten sind, wie sie in dem Moment sind. Aber das ist vor allem bei so großen „Brocken“ wie den Troyens auch eine Kostenfrage, sans doute. Und so weiß (und hört) man nicht, ob diese neue Warner-Aufnahme nun ein Live-Mitschnitt ist oder „kalt“ aufgenommen ohne Publikum, das am Ende nicht klatschen darf. Eben: Ein Blick in die Aufnahme-Daten und auch die Fotos im Booklet belegen, dass es eine Patchwork-Ausgabe ist. Vieles wurde offenbar nachaufgenommen  (sicher im selben Saal) und korrigiert. Und wie bereits gesagt sind Live-Eindrücke oft ganz anders als unter Studiobedingungen Aufgenommenes. Die beigelegte DVD bringt einen Querschnitt vom Konzert mit den Highlights der Oper; ein Booklet-Foto zeigt Joyce DiDonato mit hochgerissenem Arm für einen hohen Ton in Alltagskleidung. Will sagen: Man sieht die Anstrengung, die man auch auf den CDs hört.

Und ganz ehrlich verstehe ich über weite Strecken – wie der Nuit d´Ivresseden Text nicht! Da wird sicher ganz prononciert gesungen, aber es kommen zu oft mulschige, undeutliche Passagen vom Lautsprecher, die mir den Text nehmen, selbst wenn ich das Libretto vor mir habe. Die Chöre (aus Strasbourg und Karlsruhe) sind machtvoll, aber nicht transparent im Gegensatz zu Dutoit, der seine Chormassen fast solistisch klingen lässt – man hört dort Menschen in ihren Reaktionen, und nicht eine nur breite Chorfront wie im Elias. Die Chorstellen bei Dutoit sind eine Pracht und eine Freude. Bei Erato nun bleiben sie nur Tapete, Masse. Die Solisten klingen in der Wortdeutlichkeit unterschiedlich. Die Herren haben da eindeutig die Nase vorn. Spyres unglaublich prononciert und hervorragend, die restlichen Manner bestens, weil auch weitgehend Franzosen. Marianne Crebassa natürlich mit dem jungen Ascanius superb. Die Lemieux verwischt ihr Französisch in den lauten und kraft-fordernden Passagen. DiDonato bleibt in manchen Momenten unverständlich-allgemein, zumal wenn die Stimme unter Duck gerät. Abgesehen von einigen unschönen Brusttönen und dem ziemlich störenden „Bibbern“ vor allem in höheren Lage geht bei ihr gern mal ab mezzo-forte der Text unter – was sicher auch zu Lasten der Aufnahmetechnik geht. Auch hier haben Decca und Philips die Nase vorn. Und noch dies: Vor allem die Nuit d´Ivresse klingt im Vergleich zu anderen Aufnahmen weniger sinnlich, eher sportlich. Davis beschwört da eine schwüle tropische Nacht unter Palmen, bei Nelson ist es eher eine Partylounge am Pool.

„Les Troyens“ in Strasbourg 2017 – Michael Spyres/ Foto Grégory Massat/ Warner

Im Saal hatte man im April 2017 sicher einen anderen Raum-Eindruck als nun von den CDs (wie die beigelegte DVD sekundiert), wenngleich auch hier Michael Spyres  als ein glorreicher Enée hervortritt. Seine Kraft, sein männliches Timbre, seine exemplarische Diktion und vor allem sein raumsprengender ardeur machen sprachlos – ich stehe nicht an zu sagen, dass er ein aufregender  Sänger für diese Partie ist, in einem Atemzug mit Georges Thill und mit dem von mir in dieser Partie so geschätzten Nicolai Gedda auf der älteren RAI-Aufnahme. Letzterer hatte vielleicht bei weniger Volumen mehr Verletzlichkeit in seiner Darstellung zu bieten (5. Akt), aber Michael Spyres ist alles, was ein differenzierter, jugendlich-stürmischer  Held sein soll. Ein ganzer Mann mit viel Präsenz – ein Siegmund á la francaise. Weder Hymel (bei opus arte) noch Vickers (Philips und auf vielen Live-Mitschnitten), noch andere spielen in dieser Liga. Ungemein beeindruckend! Spyres´ forscher Erstauftritt chez Didon, vor allem seine Verzweiflung später angesichts der Pflicht sind Meilensteine auch seines Gesanges.

„Les Troyens“ in Strasbourg 2017 – Marie-Nicole Lemieux/ Foto Grégory Massat/ Warner

Die Damen sind nicht in dieser Klasse, auch wenn natürlich hochbesetzte Erato-Stars auf dem Papier. Marie-Nicole Lemieux, von mir sonst geliebt und verehrt, hat sich mit der Cassandre keinen Gefallen getan. Die Stimme bleibt dunkel-„plummig“ und geht in den oberen Lagen ins Grelle, ist sehr unruhig unter zu viel Druck. Ein sopranlastiger Mezzo (oder Sopran) wäre da sinnvoller gewesen. Die weitgehend wort-unverständliche Deborah Voigt ist bei Dutoit/ Decca absolut hervorragend stimmlich und umreißt staunenswert die musikalischen Passagen ihrer Partie; Berit Lindholm macht bei Davis einen guten Job; natürlich ist Marilyn Horne auf der RAI-Aufnahme für diese Rolle ganz ideal in ihrer Bossigkeit. Die Lemieux hat zwar den Vorteil der nativen Diktion (gerade in ihrem großen Solo zu Beginn), jedoch geht die auch mal im zu weitschwingenden Timbre unter. In den langen deklamatorischen Passagen weiß man, was man an ihr hat – die seherischen Momente der Eröffnung sind beeindruckend gestaltet.

Von der mir sonst so glanzvoll in Erinnerung weilenden Joyce DiDonato bin ich enttäuscht. Sie bleibt stimmlich sehr unruhig (bibbert zum Teil wirklich störend unter Druck, in den Höhen wird sie auch scharf) und hat – für mich – als karthagische Königin in den Parlando- Passagen, aber auch in ihren dramatischen Ausbrüchen, zu wenig tragisches Gewicht, zu wenig Unvergesslichkeit. Angesichts der überwältigenden Konkurrenz – von Josephine Veasey (Philips) in unangefochtener Größe und Würde über die hinreißende Francoise Pollet (aufregend unter Dutoit/Decca), Shirley Verrett (RAI), Regine Crespin natürlich (auf dem EMI-Torso und bei Malibran sowie auf einigen Live-Aufnahmen), nicht zu vergessen die fulminante Marisa Ferrer bei Beecham (Somm) oder ebenso unvergleichlich Janet Baker (EMI-Szenen und live auf der Bühne in Englisch) sowie die bereits genannte Evelyn Lear (Genf) –  bleibt DiDonato hinter diesen weit zurück. Sie legt die Königin sehr menschlich an, mit vielen Momenten der Individualität. Mit vielen Momenten von fast gesäuseltem Mini-Drama. Aber die Stimme selbst hat für mich zu wenig klassisches Pathos (Veasey), nicht genug Nachdruck (Crespin oder Baker), wenngleich sie natürlich musikalisch  tadellos singt, viele schöne und sinntragende Details in den entsprechenden Szenen aufbietet, wirklich weiß, was sie vorträgt und die Schluss-Szene beeindruckend gestaltet (aber die ist ja auch beeindruckend geschrieben). Im Finale der Didon seul ist sie wirklich packend – aber mir zu veristisch, eher Cavalleria als Troyens:  Sie  fegt durch alle Register der ihr möglichen Dynamiken, bleibt mir zu oft im pianissimo um sich dann ins plötzliche forte zu steigern, bei gelegentlich schnarrenden Brusttönen. Das ist sicher sehr effektreich, aber mir (Veasey oder Crespin im Ohr) zu melodramatisch, zu offensichtlich, zu wenig französische Tragédie (Pollet und Ferrer). Und die Troyens sind ja kein Reißer, sondern eine klassische Tragödie. Dennoch und zweifelsfrei  hochspannend.

Ich muss jedoch gestehen, ich hatte im Ganzen mehr erwartet. Von Händel & Rossini ist es doch ein weiter Sprung zu Berlioz. Und ihre Adalgisa kürzlich an der Met hatte sie an einem ganz schlechten Tag erwischt, wieder eher bibbernd,  leicht scharf  in den extremen Lagen und zu gaumig-verwaschen, trotz Temperament und Drive. Vielleicht ist die Stimme für diese Partien einfach nicht groß genug? Eine Forcierung des Mediums ist nicht zu leugnen, und das rächt sich wie bei der Lemieux. Ist der Fachwechsel von der Virtuosa zum dramatischeren  Spinto-Mezzo-Sopran ein Irrtum? Singt sie zuviel durcheinander? Das Flórez-Syndrom? Man macht sich Gedanken…..

Belioz: „Les Troyens à Carthage“/ Bühnen bild von Philippe Chaperon zur Uraufführung/ BNO

Neben diesen steht man beinahe sprachlos angesichts der Heerschar bester nationalsprachiger Sänger, die meisten hervorragend in ihren größeren oder kleineren Partien. Stéphan Degout balsamisch als mitfühlender Chorèbe, Marianne Crebassa bezaubernd als frecher Ascanius, Nicolas Courjol sonor, aber faserig am  Stimmrand  und mir etwas zu larmoyant als Narbal. Die beiden Tenöre Cyril Dubois und Stanislac De Bayrac betörend als Iopas bzw. Hylas:  herausragend lyrisch und zu Herzen gehend. Nur Hanna Hipp ist der Fleck auf dem Gemälde: eher säuerlich und in der Höhe scharf, dazu recht tremolierend-unruhig  als Didos Schwester Anna – da hätte es doch andere auf beiden Seiten des Rheins gegeben. Dazu jede Menge erster Comprimari, die mit ihrer hervorragenden Diktion und viel Engagement das Ganze auffüllen zu einem breiten, beeindruckenden und rahmensprengenden Tongemälde, dem die vereinigten Chöre (Chor der Opéra National du Rhin, der badische Staatsopernchor und der Choeur Philharmonique de Strasbourg) zusammen mit dem Orchestre Philiharmonique de Strasbourg Substanz verleihen.

Vielleicht hätte Warner die Aufnahme als ungekürzte DVD herausgeben sollen? Die beigefügten visuellen Ausschnitte aus den Konzerten lassen den Zuschauer am Straßburger event teilnehmen, das es zweifellos war, und verbreiten vielleicht mehr Glamour als die CDs? Joyce DiDonato ravissante in der karmesinroten Halb-Schulter-nackten-Abendrobe? Marianne Crebassa im tres! sexy Hosenanzug mit atemberaubenden Pumps, Michael Spyres frech mit hellgrauer Weste zum Frack, Nicole Lemieux in ihrer unübertroffenen Physis mit Perlenbehang? Das alles vermittelt den Eindruck von grandeur und grand opéra. Da kann man verschmerzen, dass man in der riesigen und ziemlich scheußlichen Salle Erasme (verwegene rot-schwarze Optik im Geschmack von 1974) so gut wie nichts versteht. Die auf der Rückwand eingeblendeten riesigen Übertitel kann man nicht erkennen, aber sie halfen sicher auch vielen Franzosen im Saal… Die Konzert-Ausschnitte sind gut gewählt, wenngleich bezeichnender Weise das erste Solo und Duett Cassandre/ Chorèbe fehlen… Ich war gerührt zu sehen, wie Michael Spyres beim Gesang seines Kollegen Cyril Dubois als Iopas schwelgerisch die Augen schließt.  Und die diskrete Interaktion der Sänger erzeugt einen dramatischen Zusammenhalt. Aber eben – man versteht am heimischen TV wirklich nicht viel vom Text der Damen, auch nicht von Didon, die nun ebenfalls optisch-akustisch die eingangs vorgebrachten Einschränkungen bestätigen. Aber das Ereignis einer glanzvollen Live-Aufführung erfüllt sich auf der DVD überzeugender. Man wäre gerne dabei gewesen.  Geerd Heinsen (Die Übersicht über weitere Aufnahmen des Werkes findet sich in einem getrennten Artikel.)

 

Wehmütige Melancholie

 

Robert Carsens Neuproduktion von Strauss’ Oper Der Rosenkavalier an der Met im Mai dieses Jahres (2017), in der er seine Konzeption von den Salzburger Festspielen 2004 aufnimmt, war für Renée Fleming und  Elina Garanca Anlass, sich von den zentralen Rollen der Marschallin und des Octavian, die beider Karrieren jahrelang begleitet hatten, zu verabschieden. Decca hat das Ereignis auf zwei DVDs festgehalten (074 3944). Von der amerikanischen Starsopranistin, die bei ihrem ersten Auftritt vom Publikum mit Applaus begrüßt wird, gibt es allerdings bereits einen Live-Mitschnitt in Bild und Ton aus dem Festspielhaus von Baden-Baden unter Christian Thielemann aus dem Jahre 2009. Ihre Stimme ist nun deutlich reifer, klingt in der Höhe aber noch immer cremig und leuchtend. Nur in der unteren Mittellage haben sich einige unschöne Trübungen eingestellt. Darstellerisch ist sie in den melancholischen und ernsten Momenten am überzeugendsten (so am Schluss des 1. Aktes), während die Koketterie mit Octavian in der Eingangsszene aufgesetzt wirkt. Spektakulär ist ihr Auftritt im 3. Akt im schwarzen Pelzmantel und wie erwartet zieht sie im Terzett ihre Trumpfkarte mit aufstrahlender Höhe und großen Bögen.

Elina Garanca beweist in den Mariandel-Szenen ihren Sinn für Humor und bietet darin einige köstliche Momente. Ihr Octavian ist von jugendlichem Feuer – schwärmerisch, aber auch energisch und schier unersättlich in seinem Bedürfnis nach körperlichen Zärtlichkeiten. Sie singt mit Emphase und bewältigt mit ihrem hohen Mezzo die Tessitura souverän. Allenfalls die tiefe Lage klingt etwas schmal.

Von bestechender Eleganz ist die Bühne von Paul Steinberg, die im 1. Akt überraschenderweise zunächst kein Schlafzimmer zeigt, sondern eine hohe Bildergalerie. Erst beim Servieren des Frühstücks hebt sich die hintere Wand und gibt den Blick frei auf das üppige Doppelbett in einem Schlafgemach, dessen Wände mit rotem Brokat bespannt und mit zahlreichen Gemälden geschmückt sind. Brigitte Reiffenstuels raffinierte Kostüme nehmen die Idee des Regisseurs auf, seine Inszenierung um die Jahrhundertwende anzusiedeln.

Es ist das Ende der Habsburger Monarchie, das einher geht mit der Vorahnung des 1. Weltkrieges. Darauf verweist das Finale, wenn Mohammed mit der Schnapsflasche hereintorkelt und im Hintergrund Soldaten reihenweise niedergemäht werden. Der 2. Akt führt in einen großen Saal mit schwarz/weißem Boden in Art-déco-Ornamentik und griechischem Fries an der Wand. Hier residiert Faninal, offenbar ein Waffenhändler, den Markus Brück als schmierigen Typ gibt und kernig-robust singt. Seine Tochter Sophie ist dagegen von apartem Reiz und Erin Morley singt sie mit feinem lyrischem Sopran, der die exponierten Töne mühelos nimmt und klangschön formt. Octavians Auftritt wird eingeleitet von mehreren Tanzpaaren in Schwarz/Weiß wie beim Wiener Opernball, die auch die Überreichung der Rose begleiten. Der Ochs von Günther Groissböck ist derb und alert – ein Mann in den besten Jahren. Der Bass gibt ihn mimisch beredt und gestisch ausladend mit kräftigen Konturen. Die Stimme klingt zuweilen etwas trocken und verfügt vor allem in der Extremtiefe nicht über die gewünschte saftige Fülle. Im 3. Akt, der in einem eleganten Bordell mit rosa ornamentierter Tapete und Gemälden von schlüpfriger Erotik angesiedelt ist, muss er sich von dem forsch zupackenden und im Verführungsritual die Initiative übernehmenden Mariandel düpieren und bloßstellen lassen. Groissböck und Garanca, die mit Zylinder und Zigarettenspitze wie Marlene im Blauen Engel auftritt, machen daraus ein Kabinettstück. Mit der Damenkapelle en travestie wie aus Some like it hot bietet die Regie noch ein weiteres Filmzitat.

In weiteren Rollen sieht man Matthew Polenzani als Italienischen Sänger mit strahlenden Tönen, der in seinem weißen Anzug das Abbild eines Latino-Tenors abgibt, sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Caruso aufweist. Helene Schneiderman und Alan Oke geben ein charaktervoll-mieses Intrigantenpaar; Tony Stevenson ist als Wirt en travestie eine dralle Schlampe mit sicherer Tenorhöhe.

Sebastian Weigle gelingt mit dem Metropolitan Opera Orchestra eine reiche Klangpalette. Da gibt es den ekstatischen Rausch, Walzer-Seligkeit, hoch gepeitschte Turbulenzen, wehmütige Melancholie und schwelgerische Glücksmomente. Bernd Hoppe

 

Üppig instrumentiert

 

Da habe ich nicht genau aufgepasst. Das ist natürlich nicht der schmucke Seeling-Bau im Neorenaissancestil in Gera, sondern die Tabakfabrik in Linz, ein Industriekomplex im Stil der Neuen Sachlichkeit. Seit einigen Jahren dient sie als Kreativzentrum. Hier wurde im Herbst 2014 in Zusammenarbeit mit dem Brucknerfest als österreichische Erstaufführung Walter Braunfels’ Ulenspiegel aufgeführt, den Gera 2011 – in einem Bühnenbild des Enkels Stephan Braunfels – erstmals seit der folgenlos gebliebenen Stuttgarter Uraufführung von 1913 vorgestellt hatte. In der Linzer Fabrikhalle wird Till, den Charles de Coster in seinem zur Zeit der spanischen Inquisition in Flandern spielenden Roman zum Anführer des Widerstandes machte, zu unserem Zeitgenossen. Ein Widerstandkämpfer gegen irgendetwas. Die Deutlichkeit und Brutalität, zu der das Regietheater fähig ist, lotete Roland Schwab in einer anregenden, spannenden, insgesamt in ihrer Realistik auch verwaschene Inszenierung zwischen Wohnwagen, Autowracks und Wohnküche in der Schrottplatz-Installation der Susanne Thomasberger aus. Das führt zu packenden Bildern in scharfen Schnitten, grellen Lichtflecken, aber auch schlaffen Details, die die holzschnitthafte Handlung auf ein banales Alltagsgeschehen – Fastfood aus dem Pappbecher – herunterbrechen und die moritatenhaften Akzente in der Christus am Kreuz-Haltung des Till während seines großen Monologs im dritten Akt („Mein ganzes Leben fasst diese eine Nacht“) gleichnishaft überhöhen. Soldaten, geschändete Frauen, die mit Benzin überschüttet und von Till vor dem Abbrennen gerettet werden, Stahlrohr-Schlagstöcke, Maschinengewehre, Barrikaden aus Europaletten. Braunfels, der sich später nicht mit der Kriegsbegeisterung am Ende der Oper identifizieren mochte, hat seinen Ulenspiegel als „missglückte Oper“ bezeichnet. Das ist sie nicht.

Ohne dass man klangliche Einbusen dieser üppig instrumentierten Musik hinnehmen muss, spielten Martin Sieghart und das das neben dem Geschehen postierte Israel Chamber Orchestra auf sehr überzeugende Weise eine von Werner Steinmetz erstellte Fassung für Kammerorchester. Das Ensemble dagegen ist noch entwicklungsfähig. Der junge Marc Horus, der bereits einige Wagner-Partien in seinem Repertoire auflistet, ist ein flotter Till mit heldischem Temperament und jugendlich strahlendem Ton, der im Lauf des Abends bei den heldentenoralen Anforderungen etwas einknickt und flach wird. Ein gutes Porträt steuert Hans Peter Scheidegger als verknöcherter Alter mit Strickweste und hagerem Bass als Klas bei (DVD Capriccio C9006). Der jugendlich besetzte EntArteOpera Chor gibt die Prostituierten und Soldantenfrauen, die Bürger, Rebellen und Soldaten mit viel Engagement.

Tatsächlich aus Gera stammt die Aufnahme des 1924 im Leipziger Gewandhaus unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführten Don Juan op. 34 und der 1909 unter Leitung von Hermann Abendroth erstmals gespielten Symphonischen Variationen über ein altfranzösisches Kinderlied op. 15. Obwohl der großorchestrale, Berlioz-wilde Don Juan mit seinem bewussten klassisch romantischen Bezug und der kunstreichen Variation der Champagnerarie und von „Là ci darem la mano“, bei denen laut Braunfels, „ein klassisches Gebilde, mit romantischem Geist verbunden, traumhaft aufsteigen und abtauchen“ solle, vermutlich einer der größten Erfolge Braunfels war, wirken die von unverhohlener Strauss-Bewunderung zeugenden brillanten Symphonischen Variationen heute überzeugender, wie Markus L. Frank und das Philharmonische Orchester Altenburg Gera am 19. März 2013 in ihrem Konzertsaal belegten.

Und nochmals Braunfels bei Capriccio, das auch Sämtliche Lieder und die Große Messe op. 37 in seinem Katalog führt: die aus seiner ersten Oper Prinzessin Brambilla herausgelöste Carnevals-Ouvertüre op. 22, die Schottische Phantasie op. 47, , die  „in allem, bis auf den Namen ein Violakonzert“ ist, wie Jens Laurson in seiner ausgezeichneten, Leben und Werk verbindenden Einführung („Walter Braunfels, eine Affäre des Herzens“) schreibt, Präludium und Fuge op. 36 sowie die zwei Orchesterlieder nach Hölderlin („An die Parzen“, „Tod fürs Vaterland“) op. 27 (C5308), deren dramatische Wucht, in der sich die Kriegserfahrung von Braunfels spiegelt, Paul Armin Edelmann mit direkter Aussagekraft vermittelt. Die sehr hörenswerte, klanglich souveräne Aufnahme unter Gregor Bühl mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz (C5250) spürt nicht nur der reichen Ausdruckspalette und der zwischen Spätromantik und Neuer Sachlichkeit wandelnden Formensprache von Braunfels‘ Musik nach, sondern vermittelt eine großartige Musik – im Falle der Ouvertüre und Präludium und Fuge in Ersteinspielungen –  die ungeachtet des Schicksals von Braunfels (1882 Frankfurt – 1954 Köln), dessen Werk zur „Entarteten Musik“ gezählt wurde, der aber nicht emigrierte, den Zweiten Weltkrieg überlebte und die sehr zögernd einsetzende Wiederentdeckung seiner Werke nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebte, zu den wichtigen Widerentdeckungen der letzten Jahrzehnte gehört. Rolf Fath

Carol Neblett

 

Mit Bedauern hören wir vom Tod der amerikanischen Sopranistin Carol Neblett, die in den Achtzigern und Neunzigern eine bemerkenswerte Karriere an den großen Opernhäusern der Welt gemacht hatte und die als attraktive Brunette in Erinnerung geblieben ist. Ihre zahlreichen Aufnahmen bei RCA, DG und anderen Firmen zeigen eine flexible, lyrisch angelegte Spinto-Stimme. Ihre Minnie oder auch Marie/Marietta (in der Toten Stadt bei RCA) sind würdige mementi ihrer Kunst. Nachstehend ein Auszug aus dem englischen Wikipedia zu dieser bemerkenswerten Sängerin. G. H.

 

The American operatic soprano Carol Neblett (born February 1, 1946 in Modesto, California), died November 25, 2017. Neblett studied at the University of California, Los Angeles, and in 1969, made her operatic debut with the New York City Opera, playing the part of Musetta in Puccini’s La bohème. With that company, she continued to sing many leading roles, in Mefistofele (with Norman Treigle), Prince Igor (conducted by Julius Rudel), Faust, Manon, Louise (opposite John Alexander, later Harry Theyard), La traviata, Le coq d’or, Carmen (as Micaëla, with Joy Davidson, staged by Tito Capobianco), Le nozze di Figaro (as the Contessa Almaviva, with Michael Devlin and Susanne Marsee), Don Giovanni (as Donna Elvira), L’incoronazione di Poppea (with Alan Titus as Nerone), Ariadne auf Naxos (directed by Sarah Caldwell), and Die tote Stadt (in Frank Corsaro’s production).

In 1976, she performed Tosca, with Luciano Pavarotti, at the Lyric Opera of Chicago. In 1977, she sang the part of Minnie in La fanciulla del West (one of her great successes), with Plácido Domingo, for Queen Elizabeth II’s 25th Jubilee Celebration at Covent Garden.

In 1979, she made her Metropolitan Opera debut as Senta in Der fliegende Holländer, in Jean-Pierre Ponnelle’s production, opposite José van Dam. She sang with the Met, until 1993, in Tosca, La bohème, Un ballo in maschera (with Carlo Bergonzi), Don Giovanni, Manon Lescaut, Falstaff (with Giuseppe Taddei), and La fanciulla del West.

During her career, she has sung all over the world, including in San Francisco, Chicago, Los Angeles, New York City, Buenos Aires, Salzburg, Hamburg, Los Angeles, and London. Her recordings include Musetta in La bohème, with Renata Scotto, Alfredo Kraus, Sherrill Milnes and Paul Plishka, for Angel/EMI, James Levine conducting (1979); La fanciulla del West, with Domingo and Milnes, Zubin Mehta conducting (DGG, 1977); Mahler’s Symphony No.2 („Resurrection“) with Claudio Abbado, Marilyn Horne, and the Chicago Symphony Orchestra (DGG, 1977); and Marietta in Korngold’s Die tote Stadt, with René Kollo, Erich Leinsdorf conducting (RCA, 1975).

She has appeared in several performances on television, including a tribute to George London at the Kennedy Center, Washington, D.C. She also appeared as a guest on The Tonight Show Starring Johnny Carson.

Miss Neblett was an artist in residence and voice instructor at Chapman University in Southern California. She was also on the faculty of the International Lyric Academy in Rome.

Her brief nude scene in a 1973 staging of Massenet’s Thaïs, for the New Orleans Opera Association, made international headlines. (Quelle Wikipedia/ Foto Carol Neblett/ Foto Chapman.edu)

Elegant und verführerisch

 

 

In der Eröffnungsproduktion der diesjährigen Salzburger Festspiele sorgte Marianne Crebassa als Sesto in Mozarts Tito für Schlagzeilen in den internationalen Medien. Auf ihrem Debütalbum bei Erato/Warner mit dem Titel „Oh, Boy!“ finden sich dann auch all die bekannten Hosenrollen (Cherubino, Cecilio, Ramiro, Sesto). Nun legt die Firma eine ganz gegensätzliche Platte vor, welche die französische Mezzosopranistin unter dem Titel „Secrets“ mit bekannten mélodies präsentiert (0190296 768973). Sie hat sich in diesem Repertoire gegen eine stattliche Anzahl von Referenzaufnahmen zu behaupten (de los Angeles, Baker, Crespin, Valin etc.), bei denen die Sängerinnen zumeist vom Orchester begleitet werden. Crebassa aber hat in  Fazil Say ihren Partner am Flügel, was natürlich ein ganz anderes Klangbild ergibt – weniger impressionistisch flirrend und schwebend, auch weniger geheimnisvoll. Aber der Dialog zwischen Stimme und Klavier scheint mir  intimer zu sein. Und der zwischen der Sängerin und dem türkischen Pianisten wirkt sehr vertraut und einvernehmlich. Say ist auch Komponist und hat für Crebassa eine Ballade mit dem Titel „Gezi Park 3”  geschrieben, die am Schluss des Programms zu hören ist. Das Stück hat er zum Gedenken an die Protestbewegung gegen die Zerstörung des Gezi Parks 2013 in Istanbul komponiert. Es ist von lamentierendem, psalmodierendem Charakter, steigert sich bis zum Aufschrei und bringt die tiefe Lage der Sängerin zu starker Wirkung.

Mit Debussys „3 chanson de Bilitis“ beginnt die CD, in denen die Solistin mit träumerischem Vortrag atmosphärische Stimmungen schafft. Die Stimme wirkt hier ganz und gar nicht androgyn, sondern ist von femininem Reiz. Auch in Ravels „Shéhérazade“ gelingen ihr feine Valeurs und subtile Nuancen in der oberen Region. In den „3 Mélodies“ von Debussy kann Crebassa die Stimme strömen lassen oder ganz verhaltene und getupfte Akzente setzen. Weniger bekannt ist der Zyklus „Mirages op. 113“ von Fauré, der 1919 entstand und vier Titel enthält. Sie fangen Bilder und Stimmungen aus der Natur ein, ob vom Schwan auf dem Wasser, Reflektionen auf den Wellen oder einem nächtlichen Garten. Vier mélodies von Duparc sind ernste oder elegische Stücke, in denen die Mezzosopranistin noch einmal das ganze Farbspektrum ihrer Stimme ausbreiten kann.Bernd Hoppe