Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Kontraste

 

Das beiden Einaktern gemeinsame Thema lässt das Programm schlüssig,  die besonders durch den Dirigenten interessante Ausführung lässt die DVD aus dem Teatro Real von Madrid, woher in letzter Zeit bereits viele bedeutende Produktionen zu erleben waren, als wertvollen Beitrag zum Opernerleben erscheinen. In Tschaikowskis Oper Iolanta geht es um eine blinde Prinzessin, der nach dem Willen des Vaters vorenthalten werden soll, dass sie anders ist als ihre Mitmenschen. Erst das traurige Wissen darum aber macht den Weg zur Heilung frei.  In Strawinskys Perséphone um die Tochter der Göttin Demeter, die das Reich des Lichts verlässt, um den in ewiger Dunkelheit weilenden Toten nahe zu sein. Der Weg, den beide Frauen gehen, könnte also unterschiedlicher nicht sein, so wie es auch die Musik ist.

Der junge griechische, aber in Russland ausgebildete Dirigent Teodor Currentzis wird sowohl der hochromantischen Musik Tschaikowskis wie der strengeren, herberen Strawinskys in höchstem Maße gerecht, was der Regie von Peter Sellars weit weniger gelingt, der allerdings schon einmal durch die Einheitsbühne von George Tsypin gehandicapt ist, der einige Torbögen, auf denen den Gesetzen der Schwerkraft trotzende Tierköpfe (?) mit leeren Augenhöhlen thronen, auf die Bühne gestellt hat, während die Lichtregie von James F. Ingalis die Bühne gern in tiefes Blau taucht, aber je nach Stimmung auch in eine der anderen Grundfarben. Die Kostüme von Martin Pakledinaz sind für Chor und Träger der kleineren Rollen schwarz, selten weiß, für die beiden Protagonistinnen blau und in zeitlosem Stil.

Natürlich passt die streng stilisierte Bühne weit besser zum zweiten der beiden Werke, bildet zur Musik des ersten eher einen Kontrast und unterstützt so die Mitwirkenden in ihrem Streben danach, dem Zuhörer das Geschehen nahe zu bringen, nicht. Dabei hätten die sich jede Unterstützung verdient. Ekaterina Scherbachenko ist eine optisch mehr als ansprechende, mit einem geschmeidigen, silbrig klingenden, fein schimmernden  Sopran ausgestattete Titelfigur, Dmitry Ulianov spielt den Vater anrührend und singt ihn mit profundem Bass. Die beiden Freunde Robert und Vaudémont sind optisch ideal besetzt mit Alexej Markov mit hellem Lenski-Tenor und Pavel Cernoch mit hoch kultiviertem Bariton. Etwas zu dröhnend gibt Willard White den Allah anrufenden heilenden Arzt, was die restlichen Anwesenden aber nicht daran hindert, schließlich dem Christengott nach geglückter Kur ausdauernd Dankgesänge gen Himmel zu schicken. Ekaterina Semenchuk muss sich mit der kleineren Partie der Amme begnügen.

In Strawinskys Werk gibt es nur einen Sänger, der mit Paul Groves gleich mehrere Rollen ausfüllt. Die Titelfigur ist mit der Schauspielerin Dominique Blanc besetzt, die bereits etwas zu reif für die Rolle ist. Sie wird von einer Tänzerin gedoubelt, so wie alle anderen Figuren durch sehr anmutige, grazile Kambodschanerinnen tanzend verkörpert werden, die in all ihrer Lieblichkeit und frohen Farbigkeit nicht recht zur Musik zu passen scheinen. Am eindrucksvollsten sind hier die Chöre, auch die von Kindern, für die Andrés Máspero verantwortlich zeichnet (Euroarts 2084828). Ingrid Wanja    

Rautendelein und der Glockengießer

 

Seit Schneider-Siemssens und Everdings Rusalka hat man solch einen naturalistisch gepinselten Wald mit Wasserfall und Erdhöhle nicht mehr auf dem Theater gesehen. Kein Wunder, das Wesen mit Blumenkrönlein, welches sich die langen Haare kämmt, dabei sehr langweilt, mit Bienlein und Sonnenvögeln spricht, vom Gänserich und der Großmutter, die Tannenzapfen sucht, erzählt, ist eine Verwandte der Wassernixe. Es ist das Rautendelein, das selbst nicht ahnt, ob es Zauberfee oder Nymphlein ist. Im Teatro Lirico di Cagliari, von wo in schöner Regelmäßigkeit irgendwelche Raritäten kommen, hat Pier Francesco Maestrini diese Vorgaben alle eins zu eins auf Bühne gebracht, den echsenhaften Wassermann, den Faun, halb Bock, halb Mensch, samt seinen Begleitern. Selten genug, erhält ein Regisseur die Möglichkeit, Ottorino Respighis La Campana sommersa und das Elfenreich des ersten Aktes auf die Bühne zu bringen. Maestrini hält sich genau an die Szenenvorgabe, wie man es schon vor 90 Jahren gemacht haben mag, taucht den Wald im grünes, sonniges Licht, trübt die Naturidylle beim Eindringen der Dörfler, des Schulmeisters und des Pfarrers, und vor allem des Glockengießers Enrico, bedrohlich fahl ein.

 

Keinem sagt der Titel heute noch etwas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Gerhard Hauptmanns Versdrama Die versunkene Glocke von 1896 ein Hit. Als Respighis Oper 1927 in Hamburg immerhin mit Gunnar Graarud uraufgeführt wurde  – Berg hatte kurzeitig erwogen Und Pippa tanzt zu vertonen – war die Zeit über solche Märchenstoffe gegangen, wenngleich sie Tullio Serafin in der folgenden Saison mit einer Starbesetzung (Rethberg, Martinelli, Pinza und de Luca) an der Met dirigierte und sich auch noch mehrere italienische Bühnen, darunter die Scala mit Aureliano Pertile, daran erfreuten. Zemlinskys Traumgörge von 1906 erzählt von der Begegnung eines Müllerburschen mit seiner Traumprinzessin, mehrere Opern Franz Schrekers aus den 1920er Jahren spielen im Grenzbereich zwischen dumpfer Wirklichkeit und Traum, Künstlertum und Realität. Bei Respighi, wie bereits bei Hauptmann, wirkt das symbolistische Märchen von dem an sich zweifelnden Glockengießer Heinrich, Enrico, dessen Glocke in den See versunken ist, und der dem Rautendelein verfällt, der Widerstreit zwischen Natur und kreativer Schaffenskraft wie ein Maeterlinck aus zweiter Hand, wie Biedermeier dritte Zeit. Gerettet wird die vieraktige Oper durch Respighis Musik. Respighi ist ein großartiger Instrumentator, wie es die sinfonischen Dichtungen der trilogia romana beweisen, durch die man ihn zu Unrecht zum musikalischen Illustrator der faschistischen Wiederbelebung des antiken Roms, der romanità, abstempelte; man denkt bei seiner Versunkenen Glocke an Strauss, an Rimsky-Korsakow, auch an Franco Alfano und dessen Üppigkeit in der 2006 von Gelmetti in Rom geretteten Sakuntala, wenngleich Respighis Vokalstil weniger hymnisch, vielleicht auch nicht sonderlich individuell, dafür recht strapaziös ist. Wagners Rheintöchter sind in Gestalt von Rautendeleins Gespielinnen gegenwärtig. Ibsens Baumeister Solness wirkt im Heinrich nach. Das Rautendelein ist ein gläserner Koloratursopran, ihre Gegenspielerin Magda ein lyrischer Sopran, Enrico ein strammer Spintotenor, die Hexe eine böse Mezzosopranistin.

 

Die Aufführung aus Cagliari, die erste in Italien, nachdem Triest 1981 die Glocke mit Zambon und Casolla gehoben hatte, ist etwas zum Schauen (Naxos, BluRay NBD0072V. Mit sehr gutem Einführungstext, doch ohne Inhaltsangabe oder gar Libretto); Montpellier gab die Oper 2004 unter Friedemann Layer konzertant.

Ein Weihnachtsmärchen im Frühjahr (Cagliari März/ April 2016). Donato Renzetti fängt mit dem auffallend klangvoll spielenden Orchester des Opernhauses das Fluidum dieser nicht mehr impressionistischen, auch nicht neoklassizistischen Musik (wie sie Respighis Zeitgenossen Malipiero, Pizzetti oder Casella praktizierten), doch sehr eigenständigen Musik und ihr Ausdrucksspektrum gut ein. Die Rumänin Valentina Farcas hat für das Rautendelein einen runden Koloratursopran mit bedeutenden lyrischen Qualitäten, Maria Luigia Borsi ist als Gegenspielerin eine recht unattraktiv strengstimmige Magda, Angelo Villari stellt sich mit veristisch angepeiltem Tenor und nicht immer genauem Ton wacker seinen heldischen Aufgaben. Pralle Figuren stellen der vielseitige Thomas Gazheli als Wassermann und Filippo Adami als Faun auf die Bühne; wenig macht Agostina Smimmero aus der Hexe. Das ist alles hinreichend gut gesungen, so dass die von Juan Guillermo Nova in den bürgerlichen Binnenakten in eine biedermeierlich romantisch Dunkelromantik gefasste Aufführung weit mehr als nur Informationswert besitzt.   Rolf Fath

Der Star ist das Haus

 

Wegweisung zum „Welterbe Opernhaus“. Nein, diesmal ist nicht das Festspielhaus oben auf dem Grünen Hügel gemeint, sondern die kleine 500-Plätze Preziose in der Innenstadt. Seit 2012 ist Bayreuth um eine von der UNESCO offiziell als Weltkulturerbe anerkannte Attraktion reicher. Kenner wussten freilich schon immer, dass das Markgräfliche Opernhaus die anderen erhaltenen Barocktheater in Deutschland, die Schlosstheater in Ludwigsburg und Sanssouci und das Eckhof-Theater, an theatralischer Pracht und feierlicher Vornehmheit übertrifft. Sofort wurde Giuseppe Galli Bibienas Opernhaus einer umfassenden, sechs Jahre dauernden Resaturierung unterzogen, in deren Verlauf für 30 Millionen Euro u.a. die Holzkonstruktion von den vielen Farb- und Lackschichten frei gelegt die bei der letzten Sanierung vor fast 80 Jahren mit falschen Lacken und Schutzmitteln begangenen Fehler behoben und in den Originalzustand von vor 270 Jahren versetzt wurde, als das Haus 1748 mit Hasses Artaserse eröffnet wurde. 30 Millionen. 90 Prozent Original.

Fast unmittelbar nach der Fertigstellung und der Wiedereröffnung mit Hasses Artaserse durch die Münchner Everding Theaterakademie wurde das Markgräfliche Opernhaus am 1. Mai 2018 zum Austragungsort des Europakonzerts der Berliner Philharmoniker, in dessen Rahmen die bereits 2013 zu Wagners 200. Geburtstag zu Gala-Ehren gekommene Eva-Maria Westbroek zu Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3, der Vierten und Die Geschöpfe des Prometheus die Wesendonck-Lieder beisteuerte, alles dirigiert von Paavo Järvi. Wer das nicht alles bereits im Fernsehen sah, kann es nun auf Bluray (Euroarts 2064504) nachholen.

Die Mitwirkenden werden verschmerzen, dass jeder nur auf das Theater, den Innenraum, den Stuck und die Malerei achtet, die sich die Schwester Friedrichs II., Wilhelmine von Preußen, in die fränkische Provinz bauen ließ. Überhaupt hat die Markgräfin dem Ort viel stärker den Stempel aufgedrückt als Richard Wagner, der das Theater im April 1871 erstmals besichtigte. Und sich dagegen entschied. Das im feinen Bayreuther Rokoko dekorierte Stadtschloss, die Eremitage samt Orangerie stammen von der kunstbeflissenen Dame, so erfahren wir aus dem touristischen Werbefilm, der dem Konzert nebst Interviews mit Westbroek und Järvi beigegeben ist. Darin erfahren wir noch mehr von Bayreuther Traditionspflege, beispielsweise von dem in 5. Generation geführten Becher-Bräu und der fast ebenso lange wie das Opernhaus existierenden Bäckerei Lang, die auch in der 13. Generation die alten Rezepte wie die gehaltvollen Kretzaweckla aus Hefeteig hochhält.

Im anthrazitfarbenen Paillettenkleid wetteifert Westbroeck mit den Lüstern an den Logenbrüstungen. Sie singt angemessen und passioniert, der Ton ist zu wuchtig, der Ansatz ungenau und die Diktion könnte feiner sein. Geschliffen in ihrer lichten Heiterkeit erklingt die Vierte, elegant abgehorcht in ihrer motivischen und rhythmischen Leichtigkeit. Doch der Star bleibt das Haus, das Wunder aus Holz und Leinwand. Da muss man hin. Derzeit sind nicht viele Veranstaltungen angesetzt. Dann eben zu Lang (Foto oben Wikipedia). Rolf Fath

Optisch überzeugender

 

Verzückte Mienen, selig entrückt und sichtbar aus dem regnerischen Berlin (gab es neben viel Sonne auch 2018) in angenehmere Gefilde versetzt, konnte man als Besucher des Waldbühnenkonzerts 2018, aber auch als Betrachter der dort entstandenen DVD (Sony Blu-ray 19075879329zuhauf im Publikum entdecken, und dieser glückliche Seelenzustand war sicherlich der den Ohren bereiteten, aber auch den Augen gebotenen Lust zu verdanken. Die Wirkung von Jonas Kaufmann zumindest auf das weibliche Publikum ist sicherlich zu einem guten Teil seiner optischen Ausstrahlung geschuldet, und auch den männlichen Besuchern wurde in der Waldbühne mit den Auftritten seiner Partnerin Anita Rachvelishvili, einer üppigen georgischen Schönheit, viel geschenkt.

Aber nicht nur deswegen ist es eigenartig, dass man nur eine CD auf den Markt gebracht hat, zudem eine, die in großen Teilen identisch ist mit  Dolce Vita, vor gar nicht langer Zeit erschienen, und auch die Opernteile sind bereits von anderen CDs bekannt. Auch der Mezzosopran hat bereits bei Sony ein Album eingespielt. Zur Verwunderung Anlass gibt ebenso das Missverhältnis zwischen Oper und Canzone, auf der CD noch krasser zu Ungunsten der Oper, da ohne die einleitende Sinfonia zur Sizilianischen Vesper, ausfallend, während die relativ wenigen Auftritte von Rachvelishvili sicherlich der Tatsache geschuldet sind, dass man vor allem wegen Kaufmanns in das Konzert gekommen war. So trat dann die Sängerin vor allem in Duetten mit ihm auf und konnte als Santuzza der Cavalleria Rusticana mit stets weich und füllig und üppig bleibender Stimme auch in den Verzweiflungsausbrüchen erfreuen. Wundervoll zart und zärtlich setzte sie ihre Überredungskünste gegenüber dem ungetreuen Geliebten ein. In den als Duetten gesungenen Canzonen hingegen blieb der Mezzo hinter seinen Möglichkeiten zurück, war vielleicht die gewählte Tessitura nicht die optimale. Am besten gelang der Sängerin das vom Klavier begleitete Caruso.

Der Tenor hingegen zeigt sich in prachtvoller Verfassung, stark im Forte und sich in der auch mal zusätzlichen Höhe von enormer Sicherheit erweisend. Im einleitenden Cielo e mar frönte er seiner, manche meinen Unart, reichlich, indem er auch willkürlich viel Agogik einsetzte. Bewundernswert war das Crescendo auf dem abschließenden „Vien“, so wie im Addio alla mamma die Fermate auf „tornassi“.

In den Canzoni ist der Sänger mit auch hörbarer Lust und Laune am Werk, hat die Leichtigkeit im Presto von Voglio vivere così, viel Geschmeidigkeit für Parlami d’amore, Mariù, und lässt es hochdramatisch werden im Torna a Surriento, zudem hat er den Mut zum extremen, wenn auch nicht optimal gestütztem Piano in Parla piano. Catari wird vom Publikum schon bei den ersten Tönen mit Beifall begrüßt, und nach Nessun dorma mit tollem Spitzenton gibt es kein Halten mehr.

Mit ähnlicher Lust, mit der Sänger und Publikum bei der Sache sind, werfen sich auch die Mitglieder des nur auf der CD-Rückseite erwähnten Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Jochen Rieder ins Zeug (Sony 19075895152). Ingrid Wanja      

Carlo Cava

 

Am 1. September 2018 starb nach einem Sturz mit gebrochenen Rippen und längerem Krankenhausaufenthalt der italienische Bass Carlo Cava. Wie der wie stets unersetzliche Kutsch/ Riemens schreibt war er einer der wichtigen großen Comprimari de luxe der italienischen Oper: Cava, Carlo, Baß, * 16.8.1928 Ascoli Piceno (Marken); er studierte zunächst Chemie. Er schloß dieses Studium an der Universität von Rom mit seinem Staatsexamen ab. Dann ließ er jedoch seine Stimme ausbilden. 1955 gewann er den ersten Preis beim Gesangwettbewerb von Spoleto und debütierte beim dortigen Opernfestival in Rossinis »Italiana in Algeri«. In der gleichen Oper gastierte er 1959 an der Niederländischen Oper in Amsterdam. Inzwischen entwickelte sich die Karriere des jungen Bassisten in Italien schnell; er sang dort seit 1959 oft an der Mailänder Scala. Auch an den Opernhäusern von Rom, Venedig, Neapel, Florenz und Parma und an anderen bedeutenten italienischen Bühnen hatte er eine bedeutende Karriere. 1961 sang er an der Oper von Rom in der Uraufführung der Oper »Amleto« von Mario Zafred, 1966 wirkte er beim Maggio musicale von Florenz mit. 1965 sang er bei den Festspielen von Salzburg den Banquo in Verdis »Macbeth«. 1961-65 trat er bei den Festspielen von Glyndebourne auf (»L’Incoronazione di Poppea« von Monteverdi, Sarastro in der »Zauberflöte«, Bartolo in »Figaros Hochzeit«, Basilio im »Barbier von Sevilla«, Enrico in »Anna Bolena« von Donizetti), 1968 bei den Festspielen in der Arena von Verona. 1961 auch zu Gast an der Oper von Kairo. Weitere Gastspiele an den Staatsopern von Wien und München, in Amsterdam und Brüssel, an den Opern von Köln und Frankfurt a.M., am Deutschen Opernhaus Berlin, an der Grand Opéra Paris und in Budapest. 1973 feierte man ihn an der Scala als Boris Godunow in der Oper gleichen Namens von Mussorgsky. Er setzte seine Auftritte bis Mitte der achtziger Jahre fort.

Seine dunkel glänzende, machtvolle Baßstimme erscheint auf Decca (Oroveso in vollständiger Oper »Norma«, Zaccaria in »Nabucco«) DGG und HMV (»Incoronazione di Poppea« von Monteverdi, Basilio im »Barbier von Sevilla«). Auf HRE kam eine vollständige Aufnahme von Donizettis »Linda di Chamounix« heraus, auf Melodram »Pêcheurs de perles« von Bizet und »Luisa Miller« von Verdi, auf Memories »La Gazzetta« von Rossini, auf Fonit Cetra »Aureliano in Palmira«, ebenfalls von Rossini. [Nachtrag] Cava, Carlo; – Schallplatten: DGG (Seneca in »Incoronazione di Poppea«). [Lexikon: Cava, Carlo. Großes Sängerlexikon, S. 3989 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 595; Sängerlex. Bd. 6, S. 272) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto oben: Cava/ http://www.teatronovecento.it)

Bewegend

 

Zu Beginn des Prologs denkt man noch: “Ach je, schon wieder moderne Kleidung auf trüber Szene“, bereits in dessen Verlauf und ganz und gar bis zum und im Epilog mit eben diesen Personen auf eben dieser Bühne ist man ganz gefangen genommen von der Produktion, die Deborah Warner im Teatro Real von Madrid von Brittens Billy Budd zu verantworten hat. Zwar wirkt es auch hier befremdlich, dass der strahlend Junge ein Bariton und der grübelnd Scheiternde ein Tenor, dem Zwang zur Besetzung mit des Komponisten Lebenspartner geschuldet, ist und das besonders, weil die Stimme von Toby Spence alles andere als bedeutend, seine Optik allzu jugendlich ist. Die Produktion von 2017 wurde inzwischen auch in Rom gezeigt und wird weiter nach London wandern.

Michael Levine verweigert der Bühne jede Seemanns- und Segelschiffsromantik, über den Bühnen- und damit Schiffsboden fließt ein dünnes Rinnsal, Leitern, Seile und Hängematten reichen aus, das trostlose Ambiente zu verdeutlichen. Die Regisseurin zeigt sich gleichermaßen fähig in der Führung der Solisten wie zu eindrucksvollen Massenszenen, so wenn die über die Hinrichtung Billys empörten Matrosen die Kommandobrücke in ein gefährliches Schlingern bringen, der Begeisterung der Schlachtvorbereitung die Enttäuschung über die wegen des Nebels entgangene Prise folgt. Das ist hervorragendes Musiktheater ohne Regiemätzchen.

Unverwechselbar sind die Angehörigen der Besatzung: Sam Furness weiß die Gewissenskonflikte des vom Waffenmeister Claggart erpressten Neulings an Bord berührend zu vermitteln, die beiden Offiziere Tedburn (Thomas Oliemans) und Flint (David Soar) erhalten ein jeweils scharf gezeichnetes Profil. Eine runde Charakterstudie liefert Clive Bayley als alter, dem jungen Billy besonders verbundener Dansker. Brindley Sherratt ist der graumäusige, mit seinen Gelüsten hadernde und sie dem unschuldigen Billy anlastende Claggert, der auch vokal mit ihn charakterisierender Stimme zwar scharf, aber farblos bleibt.  Von Toby Spence, der den Kapitän Vere auf allen drei Bühnen singt, war bereits die Rede. In Prolog und Epilog wird er als alter Mann, der schließlich seinen Frieden findet, von einem stumm bleibenden Schauspieler gegeben, während die singende Figur ihre Jugendlichkeit bewahrt hat, zum Schluss die schmucke Kapitänsjacke (Chloe Obolensly) von sich wirft und  schließlich ihren Frieden dank des Segens von Billy Budd findet. In Jacques Imbrailo hat die Lichtgestalt einen würdigen Vertreter gefunden, der optisch durch blonde Liebenswürdigkeit und vokal mit einem geschmeidigen Bariton überzeugt. Ivor Bolton legt hörbar besonderen Wert auf die Charakterisierung der einzelnen Personen durch die ihnen zugeordneten Instrumentengruppen, kann mit dem Orchester des Teatro Real Madrid aber auch in den Zwischenspielen auftrumpfen (Blu-ray Bel Air BAC 554). Ingrid Wanja   

Crossover People

 

Nicht selten haben gestandene Opernsänger das Bedürfnis, sich im Crossover zu erproben. Im Falle der beiden Neuveröffentlichungen mit Renée Fleming und Bryn Terfel bei deren Stammfirmen Decca und DG handelt es sich um zwei Sänger, die sich schon mehrfach erfolgreich in diesem Genre versucht haben. Man denke nur an Flemings Alben Dark Hope, Love Sublime, Distant Light oder The Faces of Love. Und in Renée & Bryn Under The Stars ist sie sogar in Duetten mit dem walisischen Bassbariton zu hören.

Broadway heißt die Neuveröffentlichung der amerikanischen Sopranistin, die von jeher eine Affinität zum Jazz hatte und schon als Studentin in Nachtbars singend aufgetreten ist. Das Programm dieser CD (483 4215) bietet Ausschnitte aus Broadway-Musicals, darunter von so bekannten Komponisten wie Cole Porter, Richard Rodgers, Stephe Sondheim, John Kander, Andrew Lloyd Webber und Jerome Kern. An das luxuriöse, cremige Timbre der Opernsängerin darf man bei ihrem neuen Album nicht denken. Fleming setzt auf einen robusten, gelegentlich sogar ordinären Tonfall und nutzt ausgiebig ihre substanzreiche tiefe Lage. Oft hört man aber auch sinnliche, gar erotisch verruchte Töne und vor allem jenes jazzige Feeling, das der Interpretin so perfekt zu Gebote steht. „Loneliness of Evening“ aus Rodgers’ South Pacific und Sondheims „Children Will listen“ aus Into the Woods könnten geradewegs Live-Mitschnitte aus einer Nachtbar sein. In letzterem ist Leslie Odom Jr. mit ihr im Duett zu hören. Und es gibt auch Titel, in denen die Sängerin ganz soft, zärtlich und träumerisch klingt, wie „Something Wonderful“ aus Hammersteins The King and I, „Lay Down Your Head“ aus Tesoris Violet, „Dear Friend“ aus Bocks She Loves Me oder „Unusual Way“ aus Yestons Nine.

Zu den flotten, rhythmisch betonten Nummern gehören „Wonderful Guy“ aus Hammersteins South Pacific und „The Glamourous Life“ aus Sondheims A Little Night Music. Die Platte, auf der die Solistin vom BBC Concert Orchestra unter Rob Fisher begleitet wird, bietet also ein vielfältiges Spektrum von Klängen, Farben und Stimmungen. Mein Favorit ist „Till There Was You“ aus Willsons The Music Man, bei dem die Stimme der Fleming sich schwelgerisch verströmt und in ihrem ganzen Glamour zu vernehmen ist.

 

Gibt es auf Flemings Platte einen Duettpartner, hat Bryn Terfel auf seiner neuen CD  Dreams and Songs (00289 483 5514) sogar mehrere Mitstreiter, darunter sind so illustre Namen wie die Schauspielerin Emma Thompson, die Sopranistin Danielle de Niese und der Tenor Joseph Calleja. Das Programm umfasst viele jener Zugaben, die der walisische Bassbariton bei seinen zahlreichen Auftritten weltweit gegeben hat. Als Auftakt erklingt der Song „I believe“ von Drake/Graham/Shirl/Stillmann, in welchem der Sänger seine bekannt grobkörnige Stimme hören lässt, was in diesem Schmuse-Song, der am Schluss groß aufrauscht, nicht stört. Das folgende „The Fields of Athenry“ von St. John ist eine melancholische irische Ballade, das später erklingende „Ar lan y mor“ ein melodisches walisisches Traditional. John Denvers „Perhaps Love“ war ein Erfolgssong auf der LP mit Plácido Domingo. Hier ist Alfie Boe der Partner von Bryn Terfel. Zwei Ausschnitte aus Bocks Fiddler on the Roof bieten das populäre „If I Were a Rich Man“, in welchem Terfel die perfekte Mischung aus Aufbegehren und Gottvertrauen trifft, sowie das berührende Duett mit seiner Frau Golde „Do You Love Me“, in welchem sich Emma Thompson mit sensiblem Gesang zum Solisten gesellt. Unzählige Interpreten haben „Amazing Grace“ zu Weltruhm verholfen. Hier bieten Terfel, Danielle de Niese und die Metro Voices eine soßige Variante mit hohem Kitschfaktor. „Tell My Father“ stammt aus dem Film The Civil War und lässt Terfel und Katherine Jenkins in einen schwelgerischen Dialog treten. Im schmissigen „Golf Song“ von Hay Malotte hört man mit Terfel und Rob Brydon ein resolutes, auftrumpfendes Duo. Und dann gibt es noch den populären Gesangspartner Joseph Calleja, der im populären „Granada“ für tenorale Glanzlichter sorgt. Schließlich bietet Terfel mit dem „Hippopotamus Song“ von Swann/Flanders einen lebensfrohen, beschwingten Ausklang dieser CD, bei der ihn das Czech Philharmonic Orchestra und das Royal Philharmonic Orchestra (jeweils unter Paul Bateman) begleiten. Bernd Hoppe

Gounods „Tribut de Zamora“

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2018 jährte sich der Geburtstag von Charles Gounod, der am 17. Juni 1818 in Paris geboren wurde, zum 200. Mal – Grund für den bei uns so reichlich zitierten Palazetto Bru Zane, 2018 drei  seiner Opern zu initiieren und auf CD mitschneiden zu lassen: in München Le tribut de Zamora, in Paris Faust in der Erstversion als Opéra comique/mit Dialogen und La Nonne Sanglante (die es ja bereits in Osnabrück bei cpo gibt). Daneben viele Abende mit Symphonischem, Opernarien und anderem von Gounod.

Einige Fakten vorab. Le Tribut de Zamora, Grand Opéra in vier Akten von Charles Gounod ; Libretto von Adolphe D’Ennery und Jules Brésil, Entstehung des Werks:1878–1880; Uraufführung: 1. April 1881 an der Opéra (Palais Garnier) in Paris vermutlich in der zweiten Fassung des Werks, die auch im Konzert auf Bayern 3 zu hören war; Lebensdaten des Komponisten: 17. Juni 1818 in Paris18. Oktober 1893 in Saint-Cloud (westlich von Paris).

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„Le Tribut“ de Zamora“: Szene zur Uraufführung von Pierre-Auguste Lamy/ BNF. fr. Gallica

Also wieder eine Ko-Operation zwischen dem Palazetto Bru Zane und dem Münchner Rundfunkorchester: Gounods Oper Le tribut de Zamora (am 28. Januar 2018 in Münchner Prinzregententheater. Florian Heurich schreibt im nachstehenden Artikel über die Oper und die Umstände ihrer Aufführung in Paris 1881. Dank dafür an den Autor und das Münchner Rundfunkorchester. Dieses nun veranstaltete  die konzertante Aufführung der exotischen Oper Le Tribut de Zamora, nun auf CD festgehalten für die Kollektion der «Opéra francais» des Palazetto Bru Zane (PZ 1033) mit Herve Niquet am Pult.

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Stefan Lauter zum musikalischen Eindruck: Hervé Niquet sorgt für eine sinnlich- schwungvolle Wiedergabe, mit schönen Momenten bei den Bläsern und Piccoloflöten, die für die orientalische Stimmung sorgten, wenngleich Gounods Einfälle da doch recht bemüht wirkten. Sklavenmarkt und Serail waren geradezu pflichtschuldig „exotisch“ instrumentiert. Was da im dritten Akt an Hüftschwung abgeht, ist mildes Wabern – und wie an vielen anderen Momenten der Oper auch recht Massenet-nahe. Da hatte ich mehr „Exotismus“ erwartet, der im Wesentlichen durch die Piccolo-Flöten bedient wird. Der Chor des Bayerischen Rundfunks gibt wortverständlich und kraftvoll die Folie für das Geschehen im fernen historischen Spanien, wo der Maurenfürst Ben-Said die schöne christliche Xaima (eine der Jungfrauen als Tribut an die muslimischen Herscher in Folge der Niederlage bei Zamora) begehrt, entführt und an ihrer Standhaftigkeit zerbricht.

Gounods „Tribut de Zamora“ bei Ediciones Songolares

Die Palme des Abends geht zweifellos an Tassis Christoyannis in dieser Partie, die er mit wunderbar geführter, leichterer Bass-Stimme ausfüllt, sonor und unangefochten in den hohen Lagen und von großer Klangschönheit. Sein großes Solo im dritten Akt lässt nicht nur die Umworbene dahinschmelzen, und seine etwas körnige Stimme (die mich an den von mir verehrten José van Dam erinnert) bleibt lange im Ohr. Ein bedeutender Sänger, der manches eher funktionale Rezitativ adelt. Judith Van Wanroij als die begehrte Xaima hat wie ihr Tenorpartner Edgaras Montvidas (als ihr christlicher Geliebter Manoel) 2018 – im Gegensatz zu Salieris Horaces von 2016 – bereits an Schönheit der Stimme eingebüßt. In beiden Fällen merkt man den Raubbau durch zu große Partien, die die Stimmen sehr unruhig und faserig-weitschwingend haben werden lassen. Sicher: Sopran wie Tenor schaffen ihre anspruchsvollen Rollen fast ohne Mühe (er kam an seine Grenzen in den geforderten Höhen), und vor allem Judith Wanroij gibt alles für den effektvollen Schluss, aber die Stimme wirkt säuerlich und zu dunkel, wenngleich der Einsatz zu loben ist. Aber die Wortverständlichkeit bleibt auf der Strecke. Die wichtige Rolle der wahnsinnigen Mutter Hermosa ging an Jennifer Holloway, die dasselbe Problem aufweist: tapfer und furchlos auf den Höhen, in der Krauss-Partie der Hermosa mehr Sopran als Mezzo, aber unter Druck eben auch sehr unruhig und extrem verwaschen in der geforderten Diktion, da fallen mir doch zwei oder drei franzöische Kolleginnen ein, die das besser gemacht hätten. Zumal für die CD und das Nur-Hören die Stimmen einenander zu ähnlich sind. Beide haben am Ende vom dritten Akt ein fulminantes Mutter-Tochter-Solo (das Freiheitslied des ersten Aktes nochmals reichlich ausgequetscht), in dem ihre beiden Stimmen recht uncharmant und scharf, aber eben furchtlos Eindruck machen – zu charaktervoll vielleicht.  Die Diktion und eine gewissen Schönheit der Stimmen bleiben auf der Strecke. Beeindruckend die Nebenrollen. Juliette Mars bezaubert als Iglesias, ein weiteres Tribut-Opfer. Boris Pinkhasovich gibt einen vollmundigen, sonoren, erotischen Ben-Said-Bruder Hadjar, Artavazd Sargsyan strahlt als Alcalde und Kadi. Dazu kommt sehr angenehm Jeröme Boutillier als König/Soldat. Man kann nur staunen, wie gut diese kleineren Partien besetzt waren. Gounods letzte Oper nimmt vor allem ab Akt 3 Fahrt auf: Der Schluss sowie das erwähnte Ben-Said-Solo und das herrliche Duett zuvor stehen den renommierten und bekannteren Opern Gounods in nichts nach.

Ein wirklich aufregender, im Ganzen hervorragend gesungener Abend und eine tolle CD, die als bewährtes Buch nun vom Palazetto Bru Zane  mit leider nur englischsprachigen Aufsätzen zur Bildung beiträgt. Als deutscher Käufer ärgere ich mich einmal mehr, dass es nicht einmal eine deutsche Inhaltsangabe gibt, das wäre das Mindeste für den größten Anteil am europäischen Markt. und man kann auch verlangen, eine deutsche Beilage zu finden! Ärgerlich (Gounod: Le tribut de Zamaora, 2 CD PZ 1033) ! S. L.

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„Le Tribut de Zamora“: Gabrielle Krauss und Jean Lazare als Hermosa und Ben-Said/ Foto nach der Uraufführung 1881/ Bialistock/ opera mania

Florian Heurich: Von Mauren und Christen – zu Charles Gounods Historiendrama Le tribut de Zamora. Zu einer Zeit, als Primadonnentum und die Capricen eitler Gesangsstars schon aus der Mode waren und das Musiktheater längst auf die perfekte Illusion im Sinne des Wagner’schen Gesamtkunstwerks abzielte, ereignete sich bei der Uraufführung von Le tribut de Zamora am 1. April 1881 in der Pariser Opéra Ungewöhnliches: Als das Publikum nach einer leidenschaftlich patriotischen Szene in tosenden Applaus ausbrach, erhob sich Gabrielle Krauss, die Sängerin der Hermosa, kurzerhand vom Boden, nachdem sie gerade voller Erschöpfung zusammengebrochen war, und streckte Charles Gounod die Hand entgegen. Gounod dirigierte die Uraufführung seiner Oper selbst, wie es seinerzeit Usus war, unmittelbar hinter dem Souffleurkasten, das Gesicht zu den Sängern, das Orchester im Rücken, und erwiderte die Geste seiner Solistin bereitwillig. Das Publikum reagierte amüsiert, die Presse kritisierte diesen Vorfall als deplatziert, zumal in einem durch Handlung, Musiksprache und Inszenierung schon fast naturalistisch anmutenden Werk.

Gerade der Naturalismus des zur Zeit der Maurenherrschaft in Spanien angesiedelten Sujets war ungewöhnlich für Gounod, der zuvor mit Opern wie La nonne sanglante, Faust, Roméo et Juliette, La reine de Saba oder Polyeucte eine Vorliebe für teils fantastische, teils ins Metaphysische reichende Stoffe gezeigt hatte. Mit Le tribut de Zamora, seiner letzten Oper, konnte er schließlich nach dem Misserfolg von Polyeucte drei Jahre zuvor am selben Ort nun noch einmal sein Gespür für melodienreichen Lyrismus und theaterwirksame Dramatik demonstrieren; zum lang anhaltenden Triumph wurde jedoch auch dieses Werk nicht, sodass Gounod danach das Opernschreiben ad acta legte. Nach nur zwei Saisons und 47 Aufführungen verschwand Le tribut de Zamora wieder vom Spielplan. Drei weitere Aufführungen folgten 1885, was Gounod und seinen Librettisten Adolphe d’Ennery und Jules Brésil immerhin von ihrem Verleger Choudens eine vertraglich zugesicherte Extrazahlung nach der fünfzigsten Aufführung einbrachte; danach geriet die Oper jedoch endgültig in Vergessenheit.

Schon der Entstehungsprozess, die Verhandlungen mit der Pariser Opéra und die Retuschen und Anpassungen an der Partitur zogen sich länger hin, als ursprünglich geplant, was Gounod den Abschied von der Oper leicht machte. „Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich nach diesem Werk absolut im Guten dem Theater adieu sagen werde“, so bekannte er seinen Kindern gegenüber.

„Le Tribut de Zamora“: Gabrielle Krauss und Josephine Daram als Hermosa und Xaima/ Foto nach der Uraufführung 1881 im Palais Garnier/ Bialistock/ opera mania

Die Pariser Presse der Zeit war voller Lob für Gounods Oper; die aufwendige Inszenierung mit ihren prunkvollen Kostümen, durch die ein pittoreskes, christlich-maurisches Spanien im Mittelalter heraufbeschworen wurde, fand großen Anklang; auch die Interpreten bekamen meist gute Kritiken, allen voran Gabrielle Krauss als Hermosa, die als „ebenso bewundernswerte Tragödin wie großartige Sängerin“ gepriesen wurde und ihre zwischen Wahnsinn und glühendem Patriotismus changierende Rolle zum Zentrum der Aufführung machte. Publikum und Kritiker ließen sich aber kurioserweise nicht nur über die musikdramatischen Qualitäten der Partitur und die Stimmkünste der Sänger aus, sondern auch über die korrekte Form der Berberhelme, die Reitkünste des Baritons Jean-Louis Lasalle als arabischer Gesandter Ben-Saïd oder die Choreografie eines Defilees von hundert Jungfrauen. Dies zeugt freilich gerade von dem detailgetreuen Realismus, der erwartet wurde und den Le tribut de Zamora szenisch und musikalisch größtenteils auch erfüllte.

„Gounods Partitur ist klar, durchsichtig, melodiös und von großer stilistischer Einheit; sie enthält reizende Stücke voller Anmut und Gefühl wie das exquisite Morgenständchen des ersten Akts oder die bewegende Phrase der Iglésia; die expressiven Couplets des Ben-Saïd; daneben Stücke von außerordentlicher Kraft wie das Finale des ersten Aktes mit seiner lebhaften Szenerie; jenes des zweiten Aktes mit seinem grandiosen Charakter und seiner wunderbaren Klanglichkeit; und vor all dem das dramatische Duett der beiden Frauen im dritten Akt, das Wellen der Begeisterung hervorrief.“ Damit hob die Zeitung La liberté bereits die zentralen Nummern in Gounods Oper hervor.

Der Schauplatz von Le tribut de Zamora im Spanien des Mittelalters, wo christliche und maurische Kultur aufeinandertreffen, legt ein orientalisches Lokalkolorit nahe. Dieses schlägt sich jedoch weit mehr auf der szenischen als auf der musikalischen Seite nieder. Während der erste Akt noch im christlichen Milieu Oviedos spielt, fährt schon die Bühnenanweisung für den zweiten Akt alles auf, was für die szenische Erschaffung eines schillernden Orients nötig ist: „Pittoreske Gegend, Ufer des Guadalquivir bei Córdoba. Befestigte Brücke, durch einen hohen viereckigen Turm verteidigt. Auf der anderen Seite des Flusses Córdoba mit zahlreichen Minaretten. Im Hintergrund eine blaue Bergkette. Vorne rechts der Eingang zu einem Bazar.“ Weitere Schauplätze der Oper sind ein Harem und ein maurischer Garten. Dezenter Orientalismus findet sich in Gounods Partitur jedoch allenfalls in einem Tanz der Mauren im zweiten Akt, in der einer alten arabischen Gedichtform nachempfundenen Kasside Hadjars, in der Chorszene der Haremsdamen am Beginn des dritten Akts und im sich anschließenden Ballett mit seinen verschiedenen Nationaltänzen – spanisch, arabisch, italienisch, griechisch. Schon ein Kritiker der Uraufführung stellte den szenischen Exotismus über den musikalischen: „[…] die Couleur locale, die in der Partitur und im Text fehlt, entfaltet sich hingegen aufs Großartigste im Bühnenbild und in den Kostümen. Das ganze ritterliche und muslimische Spanien des 9. Jahrhunderts entsteht komplett neu in diesen vier Bildern mit ihrem grandiosen und fremdländischen Pomp.“

„Le Tribut de Zamora“: Szene aus der Uraufführung im Journal „Le Théâtre IIlulstré“ von Marie Adrien/ BNF France/ Gallica

Auch die Handlung gründet sich auf das Aufeinandertreffen von zwei Kulturen: Die beiden Spanier Manoël und Xaïma sollen heiraten, jedoch auch der arabische Edelmann Ben-Saïd begehrt Xaïma. Sie wird mit anderen Frauen nach Córdoba, seinerzeit das Zentrum des Reiches von Al-Andalus, gebracht und als Sklavin verkauft. Damit soll der jährliche Tribut gezahlt werden, den die Mauren von den Spaniern fordern, nachdem sie zwanzig Jahre zuvor die Stadt Zamora erobert hatten. Ben-Saïd kauft Xaïma und will sie für sich gewinnen, muss jedoch am Ende mit dem Leben für seine Leidenschaften bezahlen. Außerdem stellt sich in dieser Handlung voller Irrungen und Wirrungen des Schicksals heraus, dass der Tenorheld Manoël den Bruder des tyrannischen Mauren einst auf dem Schlachtfeld gerettet hat, worauf sich dieser nun im Kampf um Xaïma auf dessen Seite schlägt.

Als besonderen Kunstgriff lassen Gounod und seine Librettisten durch diese Dreiecksgeschichte noch die Wahnsinnige Hermosa irrlichtern, die sich schließlich als Xaïmas Mutter entpuppt und am Ende Ben-Saïd tötet – einerseits, um ihre Tochter zu schützen, andererseits, um Rache zu üben für die Grausamkeit, mit der einst ihre Heimatstadt Zamora niedergemetzelt wurde. Durch den Mord am maurischen Machthaber mischen sich privates Schicksal und das Schicksal eines ganzen Volkes.

Hermosa ist die zentrale Figur der Oper. Ihr Wahnsinn entbindet sie nicht nur aller Schuld und lässt sie in ihrem, wie Le Figaro es beschrieb, „golden bestickten Kaftan aus violetter Seide“ fast als Heilige erscheinen, sondern bietet dem Komponisten auch dankbare Möglichkeiten für musikdramatisch effektvolle Szenen: etwa ihre als eine Art Wahnsinnsszene gestaltete Auftrittsarie im zweiten Akt mit einem ariosen ersten Teil, in dem sie sich als „pauvre hirondelle“, als „arme Schwalbe“, wähnt, sowie einer lyrischen rezitativischen Passage und einer abschließenden Stretta. Gerade der letzte Abschnitt ist seinerzeit mit Agathes Arie aus dem Freischütz verglichen worden, und ein träumerischer romantischer Gestus liegt tatsächlich über dieser Nummer. Ganz im Gegensatz dazu steht der große patriotische Ausbruch Hermosas „Debout! Enfants de l’Ibérie“ („Auf! Ihr Kinder Spaniens“) im Duett mit Xaïma am Ende des dritten Akts. Hier wird die spanische Hymne des ersten Aktfinales wieder aufgegriffen, nachdem Hermosa in einer dramatischen Szene die schrecklichen Ereignisse der Schlacht von Zamora heraufbeschworen hat. Auch dieses Duett endet in einer Stretta, die schon fast italienisch anmutet und an die großen Frauenduette bei Bellini und Donizetti erinnert.

„Le Tribut de Zamora“: zeitgenössische Illustration zur Oper/ BNF France/ Gallica

Herausragende lyrische Szenen der Partitur sind des Weiteren die Duette der beiden Liebenden Manoël und Xaïma im ersten und vierten Akt sowie die Solonummern von Ben-Saïd im dritten und Manoël im vierten Akt. Großen Effekt erzielt auch das Terzett der drei Männer Manoël, Ben-Saïd und Hadjar im dritten Akt, das schließlich in eine vom Chor begleitete Duellszene übergeht. Überhaupt entfaltet Gounod in Le tribut de Zamora neben dem Lyrismus der Solonummern auch große Tableaus wie das breit angelegte Finale des ersten Akts. Hier schälen sich aus dem kollektiven Gesang mit seinen Einschüben einer spanischen Nationalhymne immer wieder bewegende Einzelepisoden heraus: etwa die Phrasen der Iglésia, einer der Jungfrauen, die den Mauren als Tribut gezahlt werden müssen. Mit solchen Massenszenen, wie beispielsweise auch dem Einzug der Jungfrauen und deren Versteigerung im zweiten Akt, greift Gounod Elemente der Grand Opéra auf, deren Blütezeit mit den paradigmatischen Werken Meyerbeers jedoch schon fast fünfzig Jahre zurückliegt. Der realhistorische Hintergrund, die Schlacht von Zamora im Jahr 939 (die Gounod und seine Librettisten jedoch aller geschichtlichen Genauigkeit zum Trotz schon rund ein Jahrhundert früher stattfinden lassen) und das gesamte Panorama des Reichs von Al-Andalus, also des von den Mauren eroberten Teils Spaniens, vor dem eine erfundene private Liebesgeschichte erzählt wird, ist auch das typische dramaturgische Muster der Grand Opéra. Auch wenn diese Opernform 1881 – zu einer Zeit, als das Wagner’sche Musikdrama die europäischen Bühnen beherrschte und sich ein szenischer Realismus nach und nach durchsetzte – schon etwas aus der Mode gekommen war, lässt Gounod mit Le tribut de Zamora noch einmal die große romantische französische Oper aufleben; und er verwendet dabei eine Musiksprache, der schon seine Zeitgenossen eine gewisse Italianità attestierten: „Wenn Monsieur Gounod Le tribut de Zamora in der Absicht geschrieben hat, jegliche Verbindung mit Wagner zu leugnen, so hat er gut daran getan. Er hat zweifellos einen Schritt getan, um sich von der deutschen Schule zu entfernen und um sich der italienischen Schule anzunähern, ja um von jener mit voller Absicht Entlehnungen zu nehmen.“

In diesem Sinne stellt diese letzte Oper Gounods eine Synthese vieler musikalischer Tendenzen der Zeit dar: eine große Oper alter Schule und zugleich ein kleiner Schritt in die Zukunft des Musiktheaters. Diesen Weg wird der mittlerweile zum Monument des französischen Theaters gewordene Komponist jedoch nicht weitergehen.

„Le Tribut de Zamora“: der Tenor Henri Sellier sang den Manoel/ Foto nach der Uraufführung/ Bialistock/ opera mania

Ein ein Wort zu Al-Andalus: Zentrum der Künste und romantisches Sehnsuchtsland. Als im Jahr 711 die Mauren auf die iberische Halbinsel kamen, begann die mehr als siebenhundert Jahre dauernde Zeit von Al-Andalus. Dieses muslimische Reich mit der Stadt Córdoba als Zentrum erstreckte sich über den größten Teil des heutigen Spaniens und Portugals. Lediglich die Gegend im äußersten Norden blieb unter christlicher Herrschaft. Trotz verschiedener kämpferischer Auseinandersetzungen zwischen Christen und Arabern, darunter die Schlacht von Zamora im Jahr 939, waren die Jahrhunderte von Al-Andalus größtenteils eine Epoche des friedlichen Zusammenlebens der Kulturen und Religionen, in welcher Kunst, Musik und Dichtung florierten.

Mit der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens 1492 durch die katholischen Könige Fernando II. von Aragón und Isabel I. von Kastilien endete die Herrschaft der Mauren auf der iberischen Halbinsel. Später wurde die Zeit von Al-Andalus von Literaten und Künstlern als Zeit der harmonischen kulturellen Mischung voller exotischer Fremdartigkeit verklärt, in Spanien etwa von dem romantischen Dichter José Zorrilla, der in seiner Lyrik die maurische Zeit wieder aufleben ließ, oder später von Federico García Lorca, der in Al-Andalus den Ursprung sämtlicher spanischer Kultur sah. In Deutschland bedichtete Clemens von Brentano die Alhambra von Granada als romantischen Sehnsuchtsort, und in Frankreich waren es Jean-Pierre Claris de Florian mit seinem historisch-epischen Roman Gonzalve de Cordoue (Gonzalo von Córdoba) oder François-René de Chateaubriand mit seiner Novelle Les aventures du dernier Abencérage (Die Abenteuer des letzten Abencerragen), die das maurische Spanien für Kunst und Literatur entdeckten.

Der Autor: Florian Heurich/ Quelle Bayr. Staatsoper

Im Bereich der Oper bedienten sich etwa Luigi Cherubini mit Les Abencérages, Gaetano Donizetti mit Zoraida di Granata und Alahor in Granata oder Giacomo Meyerbeer mit Lesule di Granata dieser Thematik – meist Geschichten über die unmögliche Liebe zwischen einem Mauren und einer Christin oder über die im Sinne europäischer Moralvorstellungen rechtmäßige Beziehung zwischen zwei Christen, in die ein maurischer Nebenbuhler eindringt. Genau dieses Handlungsmuster greifen auch Gounod und seine Librettisten in Le tribut de Zamora auf. Florian Heurich

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 Den vorstehenden Artikel entnahmen wir dem Programmheft des Münchner Rundfunkorchesters. Besonderen Dank geht an den Autor Florian Heurich wie auch an Doris Sennefelder vom Münchner Rundfunkorchester für die liebenswürdige Genehmigung zur „Übernahme“ des Textes!

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Rosl Schwaiger

 

Am 5. September 1918 wurde Kammersängerin Rosl Schwaiger – von 1954 bis 1968 Ensemblemitglied des Staatstheaters am Gärtnerplatz – in Saalfelden geboren. Am Gärtnerplatztheater sang sie unter anderem die Adele in der Fledermaus, Marie in Zar und Zimmermann, Ernestine in Salon Pitzelberger und Lady Durham in Martha. Rosl Schwaiger war Namensgeberin des Schwaigersaals, der ehemaligen Probebühne des Gärtnerplatztheaters in München/Harlaching. Von 1952 bis 1963 war die Sopranistin an der Bayerischen Staatsoper engagiert. Am 19. April 1970 verstarb Rosl Schwaiger in München. (Quelle Theater am Gärnerplatz München)

Rosl Schwaiger/ Österreichisches Bildarchiv/ Foto wie auch oben/ Schwaiger als Susanna/ Sammlung Krugmann

Dazu ein Artikel vom unerlässlichen Wikipedia: Nach ihrem ersten Musikunterricht durch den Vater, einem Organisten, nahm Rosl Schwaiger Klavier- und Gesangsunterricht am Mozarteum in Salzburg. 1940 gehörte sie dem Salzburger Landestheateran; hier hatte die Sängerin als „Königin der Nacht“ einen ihrer ersten ganz großen Erfolge. Folgend erhielt Rosl Schwaiger Engagements an der Volksoper Wien, am Theater Basel und in Bregenz sowie an der Wiener Staatsoper.

1952 holte Intendant Rudolf Hartmann Rosl Schwaiger als erster Koloratursopran an die Bayerische Staatsoper in München, als auch an das Staatstheater am Gärtnerplatz. In den beiden letztgenannten Theatern waren ihre Partner/innen u. a. Harry Friedauer, Marianne Schech, Erika Köth, Martha Kunig-Rinach und Sari Barabas. Unvergessen ist sie für das Münchener Publikum (und weit darüber hinaus) insbesondere in zwei Rollen: als Papagena in der legendären Inszenierung der Oper Die Zauberflöte von 1956 unter der Leitung von Hans Knappertsbusch im Prinzregententheater in München sowie als Adina in Gaetano Donizettis Oper Der Liebestrank, zusammen mit ihrem Kollegen Benno Kusche, die 1957 im Theater am Gärtnerplatz auf dem Spielplan stand.

Bei den Salzburger Festspielen sang sie 1945 eine der Soubrettenrollen, die der Zofe Blonde, in Mozarts Die Entführung aus dem Serail, 1946 die Barbarina im Figaro und die Sophie in Der Rosenkavalier. Sie war eine der populärsten Sängerinnen der Festspiele in Salzburg Anfang/Mitte der 1950er Jahre.

Hin und wieder machte Rosl Schwaiger einen Abstecher zur Operette. So übernahm sie 1952 die weibliche Hauptrolle in der von Franz Marszalek geleiteten WDR-Produktion der Operette Die Geishavon Sidney Jones. 1966 sang Rosl Schwaiger, inzwischen zur Bayerischen Kammersängerin ernannt, die Partie der Maria bei der Uraufführung der „Salzburger Passion“ von Cesar Bresgen im Großen Festspielhaus von Salzburg.

1954 unternahm Rosl Schwaiger eine Tournee durch Nordamerika, auf der sie frenetisch gefeiert wurde. Drei Jahre später sang sie sehr erfolgreich bei den Festspielen von Glyndebourne das Blondchen in Die Entführung aus dem Serail, die Papagena in Die Zauberflöte und die Najade in Ariadne auf Naxos. Zwei Jahre vor ihrem Tod gab die bereits durch Krankheit geschwächte Künstlerin, die im Alter von 52 Jahren an Leukämie starb, noch Liederabende in Griechenland und in der Türkei. Beigesetzt wurde sie in Maria Alm im Salzburger Land (Aufnahmen: Die Hochzeit des Figaro; Tiefland; Der Rosenkavalier; Die Zauberflöte Label Deutsche Grammophon; Bach Label Philips; Der Bettelstudent Label Archipel-Walhall) Wikipedia  

 

ungekürzt, aber enttäuschend

 

Belcanto-Liebhaber und vor allem Sammler von Raritäten warten mit Spannung auf jede Neuveröffentlichung der rührigen britischen Firma Opera Rara. Selbst wenn man auch über die Auswahl der Sänger maulen mag, die man in diesem Fall entweder als „alte Schuhe“ oder „ungeeignet“ nennen möchte. denn die jüngste Initiative betrifft Rossinis Melodramma tragico Semiramide, welches freilich nicht unbedingt eine Rarität auf dem Plattenmarkt darstellt. Noch immer ist für mich die Decca-Einspielung mit Joan Sutherland und Marilyn Horne von 1966 der Maßstab aller Dinge. 25 Jahre später brachte die DG ihre Aufnahme mit Cheryl Studer und Jennifer Larmore heraus. Auch viele und wirklich bedeutende Live-Dokumente sind verfügbar, so vom Festival Aix-en-Provence 1980 mit Montserrat Caballé und Marilyn Horne oder vom Rossini Opera Festival Pesaro 1992 mit Iano Tamar und Gloria Scalchi sowie aus dem Konzerthaus Wien 1998 mit Edita Gruberova und Bernadette Manca di Nissa. Maßstäblich sind immer noch die beiden  Aufnahmen mit der hinreißenden und gebührend dunklen Cecilia Gasdia und Gloria Scalchi aus Pesaro oder die aus Genf mit der unglaublich intensiven Nelly Miricioiu in der Titelrolle. Die Konkurrenz also ist groß und illuster. Da kann die neue Aufnahme bei Opera Rara nicht mithalten, auch nicht im orchestralen Bereich.

Zumindest aber markiert diese Veröffentlichung von OR die erste Studio-Aufnahme seit mehr als 20 Jahren (wobei Live-Mitschnitte meistens spannender, weil intensiver sind) und ist darüber hinaus bedeutungsvoll wegen ihrer absolut ungekürzten Fassung. Daraus resultieren die vier (!) CDs mit einer Spieldauer von insgesamt 230 Minuten.

Semiramide ist die letzte italienische Oper des Komponisten vor seinen Kreationen für Paris, uraufgeführt mit enormem Erfolg 1823 am Teatro La Fenice von Venedig. Sie gehört zu Rossinis Werken mit den allerhöchsten Anforderungen an die Interpreten und da muss man leider konstatieren, dass die Neueinspielung diesen Ansprüchen nicht durchweg genügt und sich mit den vorhandenen Aufnahmen kaum messen kann. Die virtuose Titelrolle, die einen dunklen Sopran, also einen Falcon, verlangt,  wurde Albina Shagimuratova anvertraut, einer international gesuchten und erfolgreichen  Königin der Nacht, eine bekannte Koloratursängerin. Doch Rossinis babylonische Königin ist ein anderes Kaliber, eine von Isabella Colbran kreierte Partie, für welche die Sängerin eine stabile und farbige Mittellage sowie eine gute Tiefe braucht. Eine solche steht der Russin nicht zu Gebote, ihr Sopran klingt zu leicht, gelegentlich sogar dünn und zu eindimensional im Farbspektrum. Prüfstein ist die große Kavatine „Bel raggio lusinghier“ mit ihrem elegischen, sehnsuchtsvollen Beginn, dem mit „Dolce pensiero“ ein bewegter Schlussteil folgt. Shagimuratova lässt technisch keine Wünsche offen, verziert ausgiebig und legt (auch grelle) Spitzentöne ein, aber in Ausdruck und Farbpalette wünschte man sich einen größeren Reichtum.

Auf den Arsace, die zweite Hauptrolle der Oper, ist Daniela Barcellona beinahe abonniert. Mit ihrem gutturalen, recht groben, gewöhnlichen Timbre ist sie mein Fall nicht, aber ich muss gestehen, dass sie hier weicher und ausgeglichener klingt als erinnert und die Besetzung dieser Semiramide dominiert. Rossini führt die Figur mit einer ausgedehnten Auftrittsszene ein – dem beklommenen Rezitativ „Eccomi alfine in Babilonia“ folgt eine Kavatine („Ah! quel giorno ognor rammento“), gespickt mit vielen vokalen Tücken, die ihren Höhepunkt im vertrackten Schlussteil im Stil einer Cabaletta findet („Oh! Come da quel dì“). Auch Arsaces zweites großes Solo im nächsten Akt („In si barbara sciagura“) absolviert Barcellona (bis auf einige strenge Spitzentöne) souverän. In den beiden großen Duetten Arsaces mit der Titelheldin mischt sich ihre Stimme mit der von Shagimuratova in angenehmer Harmonie. Aber Erinnerungen an Kolleginnen wie Ewa Podles, Gloria Scalchi oder  natürlich Lucia Valentini Terrani (oder die unvergessene Kathleen Kuhlmann) treiben Tränen der Sehnsucht hervor,.

Gefürchtet wegen ihrer Tessitura ist die Partie des Idreno, in der Barry Banks (sonst meist secondo uomo bei Opera Rara, einen zu reifen Charaktertenor hören lässt, dem es an jugendlicher Frische fehlt und der in der exponierten Lage einen gequälten Klang annimmt. Der Sänger erfüllt den bravourösen Zuschnitt der Rolle, doch haben die Koloraturen einen unangenehm meckernden Ton. Seine Arie im 1. Akt, „Ah dov’è“, beginnt er passabel, die Stimme hat in der Mittellage sogar einen schwärmerischen Anflug, was auch für die Arie im 2. Akt, „La speranza più soave“, zutrifft, aber beim Aufstieg in die höhere Lage stellen sich im Klang wieder die genannten Probleme ein. Auch Mirco Palazzi als Assur ist keine ideale Besetzung und stärkt nur die Erinnerungen an Kollegen wie Samuel Ramey oder Simone Alaimo. Sein Bass ist im Charakter zu weich, klingt zuweilen auch hohl, vor allem in den Koloraturen, bei denen man die Fülle und Farbe der tiefen Männerstimme vermisst. Achtbar zieht sich der junge Sänger im Duett mit Arsace, besonders dessen Schlussteil, „Va, superbo“, mit auftrumpfender Stimmgebung aus der Affäre, auch das Duett mit Semiramide zu Beginn des 2. Aktes hat Gewicht. Die Besetzung ergänzen Susana Gaspar als Azema mit angenehmem Sopran und Gianluca Buratto als Oroe mit dumpfem Bass.

Zum fünften Mal bei Opera Rara steht Mark Elder am Pult des Orchestra of the Age of Enlightenement und sorgt für eine vitale, frische Interpretation. Fast lautlos lässt er die Sinfonia beginnen und steigert sie dann effektvoll bis zu ihrem überschäumenden accelerando-Wirbel. Plastisch malt er die übermächtigen Donnerschläge der erzürnten Götter im 1. Akt aus, spannungsreich baut er das ausgedehnte Finale Primo auf, in welchem auch der Opera Rara Chorus (Madeleine Venner) starke Akzente setzt. Schon dessen ersten Auftritt mit „Belo si celebri“ zu Beginn des Werkes hatte der Dirigent lebhaft eingeleitet und der Chor setzte diese Vorgabe mit Verve in einen pulsierenden Gesang um. Sehr atmosphärisch wird der düstere Gesang der Magier im Tempel ausgebreitet. Der Opera Rara Chorus und das Orchester sind die Säulen dieser Einspielung, welche die zehnte aus Rossinis Oeuvre bei OR darstellt. Der Ausgabe wird ein zusätzliches Booklet beigelegt, das das eingeschweiste wegen Verdrucker in demselben ersetzt. Bernd Hoppe

 

Wunderbarer Piotr Beczala

 

Vor Jahren hieß es in der Berliner Staatskapelle: “Da musste erst ein Italiener kommen, um uns zu zeigen, wie man Hänsel und Gretel spielt“. Gemeint war Fabio Luisi, damals gern gesehener Gast an beiden Berliner Häusern. Unlängst könnte es in Zürich geheißen haben: “Da musste erst ein Italiener kommen, um uns zu zeigen, wie Operette gespielt wird“, denn wenn etwas an der Aufführung aus dem Jahre 2017 das Interesse des Konsumenten wecken kann, dann sind es das Orchester  und der Protagonist Piotr Beczala. Fabio Luisi beweist, dass es keine unüberwindbare Distanz zwischen Puccini und Lehár und besonders dessen Land des Lächelns gibt, und der polnische Tenor lässt immer wieder während der Aufführung an seinen Landsmann Jan Kiepura denken.   Während die Operette an seiner früheren Arbeitsstätte, der Komischen Oper Berlin, in bunter Überdrehtheit fröhliche Urständ feiert, hat Intendant Andreas Homoki sich für eine strenge Revue entschieden, fast alles nicht Gesungene und viele Nebenrollen gestrichen und Regie vor allem auf das Auf- und Zugehen eines goldglitzernden und eines blauen Vorhangs beschränkt, wozu Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang Gussmann noch zwei schwarze Ledersessel, eine dicke Säule und zwei recht rudimentäre Treppen, die sich um dieselbe herumschlingen, beigesteuert hat. Knapp war der Etat für die Kostüme, die für Lisa über anderthalb Akte hinweg lediglich ein schwarzes vorsehen, das in vielen Variationen, so wie auch die Frisuren aus der Entstehungszeit, die Chordamen ziert.  Im Orient ist man weitaus reicher ausgestattet. Gar nicht stimmungsvoll gibt sich die Lichtregie von Franck Evin, der zwischen knalligen Farben häufig wechselt. Vielleicht ist es das Sterile, das der Produktion anhaftet, was dafür sorgt, dass man einen dreifachen Anlauf nehmen muss, um sich durch die DVD hindurch zu arbeiten.

Nicht nur als Schwanenritter, auch als Operettentenor bewährt sich Piotr Beczala als Sou-Chong mit genüsslichem Auskosten sentimentaler Melodien, mit strahlenden Höhen und immer viel Schmelz in der Stimme. Er trifft den Nerv des Genres, als hätte er nie etwas anderes gesungen, und er bewegt sich angemessen.  Optisch attraktiv, aber stimmlich sehr herb, kühl, manchmal sogar scharf klingt der Sopran von Julia Kleiter, der Lisa,  apart sind Stimme  und Erscheinung von Rebeca Olivera, die des Prinzen Schwester Mi gibt, recht tölpelhaft muss sich Spencer Lang als Gustav von Pottenstein geben, der wenig zu singen hat. Operettenzauber wird hörbar in den unendlichen Variationen, in denen Fabio Luisi mal schwelgerisch, mal zart die „Leitmotive“ des Werks erklingen lässt (Accentus Music 10435). Ingrid Wanja

Lamberto Pavanellis „Monna Vanna“

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Ein Gang durch Oberitaliens kleine Städte wie Lucca oder Savona bringt in Architektur und Kunst vor allem die Jahrhundertwende um 1900 zu Bewusstsein. Die eleganten Promenaden, die herrlichen Cafés im Jugendstil, die lichtdurchfluteten Passagen voller großbürgerlicher Geschäfte mit ihren farbenfrohen Auslagen, die schmiedeeisernen Dekorationen an den Häusern, der Bögen und Portale der frivolen Karyatiden erinnern an diese reiche, morbide Zeit Italiens des aufkommenden Industriezeitalters, der Dichtung D´Annunzios, der Duse, der Verstrickungen in Großmannssucht und Eroberungsdrang, schnelles Geld und Aufbruch.

„Monna Vanna“: der Komponist Lamberto Pavanelli/ Bongiovanni

Irgendwie weht ein anderer Wind hier. Man öffnet sich als nördlicher Besucher für die Nostalgie an einem nebligen Herbsttag, der das Licht in besonderem Maße filtert und die Grünanlagen und letzten Sonnenschirme im abendlichen Dunst bizarr verwandelt aussehen lässt. Man kann sich vorstellen, wie die elegant gekleideten Bürger der Stadt in die bezaubernden Ottocento-Theater zur Premiere strömten – jede dieser kleinen Städte hat diese typischen 80ger Theaterbauten mit ihren Goldmosaiken über dem Eingang und den Sälen in Rot und Gold, dazu die Deckengemälde voller mythologischer Figren,  Melpone neben  Concordia oder Euterpe in den Saal-Ecken überdimensional. Es war eine Epoche der delektablen, wenngleich  auch sehr hohlen Dekoration, des Scheinbaren, des Morbiden. Dem Bedürfnis nach heiler Welt, nach Überzuckerung für die Bourgeoisie setzten die jungen Veristen die Hässlichkeit der Welt entgegen, die Gemeinheit des Arbeiterlebens, auf dem der Reichtum der upper class nun im  Industriezeitalter beruhte. Unter der schönen Oberfläche brodelte es.

Keine Angst, es wird nicht noch lyrischer – aber beim Anhören der beiden (!) neuen Einspielungen von Lamberto Pavanellis Monna Vanna, die uns aus Italien erreichten, überkamen mich diese Erinnerungen an meine Besuche in Savona,  an eben diese Eindrücke in Italiens nebligem Norden. Denn dazu passen Sujet und Komponist.

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Ein wenig verwirrt muss der Musikfan erstmal sortieren, dass es zwei Aufnahmen von Pavanellis Oper mit dem Namen Bongiovanni gibt. Felicia Bongiovanni ist nicht mit der Bologneser Firrma gleichen Namens verwandt, singt erfolgreich Oper und 2016 in Bergamo erstmals die Titelrolle in dem Mitschnitt, der Sammlern vorliegt (die Redaktion hilft weiter). Ihre schöne, leuchtende Sopranstimme führt die restliche kompetente Besetzung an (Ernesto Morillo, Giorgio Valenta, Mariello Credo und andere) unter der Leitung von Vito Lo Re am Pult der Bergamasker Kräfte. Dies ist eine Privataufnahme mit allen akustischen Bedingungen ihres Genres und wegen der interessanten Stimme der Signora Bongiovanni habenswert.

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Felicia Bongiovanni sang 2016 die Monna Vanna in Bergamo/ FB

Die andere, offizielle Einspielung ist eine Studioaufnahme unter demselben Dirigenten vom März 2017 in Mailand bei der verdienten Firma Bongiovanni. Nun ist Elyse Charlebois die Vanna neben George Cebrian, Sebastian Ferrada, Carlo Torriani und weiteren. Vito Lo Re dirigiert jetzt die Sinfonietta di Milano, und das Ganze passt mit 44 Minuten auf eine CD (GB 2493-2). Dem Booklet haben wir den nachfolgenden Text von Carlo Curami und Carlo Torrfani in unserer Übersetzung von Daniel Hauser übernommen. G. H.

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Monna Vanna stammt aus der Epoche des  Aufbruchs aber auch des letzten Verharrens in einer vergangenen großen Zeit. Ein Wort zur Geschichte: Während einer langen liberaleren politischen Phase stieg das Königreich Italien unter König Umberto I. 1878 zur Großmacht auf und beteiligte sich ab den 1880er Jahren am kolonialen Wettlauf um Afrika, wo es mehrere Kolonialkriege in Ostafrika und von 1911 bis 1912 um das spätere Italienisch-Libyen einen Krieg gegen das Osmanisches Reich führte. 1882 wurde mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Allianz des Dreibundes geschlossen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich Italien von einem Agrarstaat zum, zusammen mit Frankreich und Österreich-Ungarn, bedeutendsten Industrieland des Mittelmeerraums gewandelt. (…)

Pavanellis „Mona Vanna“ bei Bongiovanni

Die Gründung des Königreichs 1861 erfolgte im Zuge der Risorgimentobewegungen, in deren Endphase mit der Proklamation des sardischen Königs Viktor Emanuel II. zum König von Italien am 17. März 1861 in Turin der erste moderne italienische Nationalstaat unter der Herrschaft des Hauses Savoyen entstanden war. 1866 erklärte er dem Kaisertum Österreich den Krieg und erwarb Venetien mit Friaul. 1871 folgte der Kirchenstaat mit Rom, womit die italienischen Unabhängigkeitskriege endeten. Während einer langen liberaleren politischen Phase stieg das Königreich Italien unter König Umberto I. 1878 zur Großmacht auf und beteiligte sich ab den 1880er Jahren am kolonialen Wettlauf um Afrika, wo es mehrere Kolonialkriege in Ostafrika und von 1911 bis 1912 um das spätere Italienisch-Libyen einen Krieg gegen das Osmanisches Reich führte. 1882 wurde mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Allianz des Dreibundes geschlossen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich Italien von einem Agrarstaat zum, zusammen mit Frankreich und Österreich-Ungarn, bedeutendsten Industrieland des Mittelmeerraums gewandelt. Es kam unter Umbertos Nachfolger Viktor Emanuel III. ab 1900 in den großen industriellen Ballungszentren Oberitaliens zum Aufstieg der organisierten Arbeiterschaft und des Bürgertums sowie von Massenverbänden und -parteien. Im Süden hielt der wirtschaftliche Aufschwung dagegen nur langsam Einzug  (Dank an Wikipedia)

„Monna Vanna“, Poster für die gleichnamige Oper von Henry Fevrier/ Gustave Fraipont 1909/ Dover Press

In dieser ganz besonderen Zeit des Aufbruchs in Großmannssucht und Expansion (man denke an Montemezzis Oper La Nave, in der am Ende die Jungfrau angenagelt an den Schiffsbug den Weg in die Ferna, nach Äthiopien weist) gab es viele musikalische Entsprechungen zur Lage Italiens, namentlich in der Hinwendung an die glorreiche Geschichte des Landes. Franco Alfano, Italo Montemezzi, Ottorino Respighi, Leoncavallo, Mascagni, Giordano, Ricardo Zandonai zählen zu den bekannsten Komponisten neben dem jungen Giacomo Puccini nach dem Tode Verdis 1901.

Aber es gab natürlich noch weitere, uns heute völlig unbekannte, die die musikalische Landschaft des aufkommenden Verismo in dieser Zeit belebten. Dazu gehört Lamberto Pavanelli, dessen Monna Vanna 1910 (bereits im Verlag Ricordi!) in Mailand vorgestellt wurde. 1902 hatte Maurice Maeterlinck bereits das Theaterstück gleichen Namens  in Paris uraufgeführt und damit eine Ikone des Symbolismus geschaffen, auch als Gegenentwurf zur immer bedrohlicher werdenden Wirklichkeit. Maeterlinck schildert die Geschichte einer Frau im Pisa des ausgehenden Cinquecento, Monna Vanna, die eine Nacht im Zelt des Florentiner Heerführers Prinzivalles verbringen muss, damit dieser die Stadt schont. Monna Vanna und der Feldherr, die sich schon seit Jugendtagen kennen, verbringen eine Nacht in gegenseitiger Hochachtung und Verehrung ohne Zwischenfälle; sie werden Freunde. Als Monna Vanna nach Pisa zurückkehrt, muss sie erfahren, dass sie trotz aller Beteuerungen das Vertrauen ihres Mannes, des Garnisonschefs Colonna, verloren hat. Zu den ganz großen Interpretinnen gehörte in Italien Leonora Duse. 1909 folgte die erste Oper über dieses Sujet von Henry Fevrier, ebenfalls in Paris (die flamboyante Lucienne Breval führte die Oper zum Erfolg) . Lamberto Pavanellis Komposition war dann die erste italienische. Schließlich gibt es noch die unvollendete Oper von Rachmaninoff (1908), die Igor Burketoff 1984 in seiner Bearbeitung in Philadelphia vorstellte und die in dieser Fassung bei Chandos herausgekommen ist G. H.

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Und nun der Text von Carlo Curami, Carlo Torrfani. Wer war Lamberto Pavanelli? Er war in seinem kurzen Leben alles andere als ein unbedeutender Komponist und gehörte zu jener Gruppe von Musikern, die als die in der zweiten Reihe stehenden Veristen bezeichnet wurden, deren Wiederentdeckung indes lohnenswert wäre, schon deswegen, um einige Lücken in der Musikgeschichte zu füllen und sich abseits von Leoncavallo, Mascagni, Giordano und einigen weiteren zu bewegen.

„Monna Vanna“: Lucienne Breval sang die Titelrolle in der Oper von Fevrier 1909 in Brüssel/ Dover

Lamberto Pavanelli wurde 1890 in Ferrara geboren, etablierte sich indes bereits in jungen Jahren in Imola, wo er am dortigen Konservatorium Klavier und Komposition studierte. Es ist nichts über sein Debüt als Musiker bekannt, aber er muss sehr bald bemerkt worden sein, da er, als er gerade ein wenig älter als zwanzig war, die Aufmerksamkeit des Verlages Casa Ricordi auf sich zog, welcher seine Vanna im Teatro Dal Verme, einem seinerzeit prestigeträchtigen Theater in Mailand, zur Aufführung brachte. Diese Oper wurde am 23. November 1910 aufgeführt; unter den Sängern befanden sich einige der größten Stars des Verismo, darunter Lia Remondini (Vanna), Ricceri Angelo (Francesco di Pace), Giulio Rotondi (Sampiero) und Romano Constantini (Roberto). Heutzutage zaubern uns diese Namen ein Lächeln ins Gesicht und wecken Neugier, doch waren sie zu jener Zeit (der goldenen Ära der italienischen Oper) oftmals Gäste an den wichtigsten Opernhäusern. Vanna erzielte zumindest einen Achtungserfolg, mehr allerdings auch nicht.

Der junge Komponist hat sich nie wieder an diesem Werk versucht und seinen schöpferischen Impuls auf zielstrebigere Projekte gerichtet, darunter das Operetten-Genre: Kiss Kiss (1920 mit einem Libretto von Carlo Zangarini im Teatro Fossati in Mailand uraufgeführt), Bon-bon (1923 mit einem Libretto von Arturo Franci im Teatro Eliseo in Rom uraufgeführt) sowie Ich und du oder: Zwei auf der Insel (1926 im Neuen Deutschen Theater in Prag uraufgeführt, Libretto von Fritz Grunbaum und Willy Sterk). Pavanelli hatte jedoch seinen wahren Erfolg mit Kammermusik (Chasse aux papillons, Impromptu dances, Petit bal d’efants sowie Capriccio, alle für Klavier) und, mehr noch, mit Salonmusik-Romanzen, die einen melancholischen, subtilen Flair verströmten. Einige Titel sind in diesem Sinne von Bedeutung: Pianto Antico (nach einem berühmten Gedicht von Giosue Carducci), Roseto Bianco (Text von Ettore Neri), La Viorna e Solicchio (beide mit Text von Antonio Beltramelli), Foglia di Rosa, Nostalgia, D’autunno, Piccola voce und Voci Iontane, zu denen Luigi Orsini den Text beisteuerte. Über Orsini sollte in diesem Zusammenhang auch etwas gesagt werden, war er doch ebenfalls der Librettist von Vanna. Er wurde 1873 in Imola geboren und war ein außergewöhnlicher Dichter und Publizist, Librettist und Dozent. Im Jahre 1904 gründete er mit Gaetano Gasperoni die Zeitschrift La romagna nella storia, nella lettere e nelle arti. Später arbeitete er für wichtige Blätter wie Il Popolo d’Italia, Il Resto del Carlino, Regime Fascista und L’Illustrazione italiana. 1911 wurde er Professor für Dichtung und Drama am Königlichen Konservatorium von Mailand, wo er bis 1939 unterrichtete. Er starb 1954 in seiner Heimatstadt Imola.

1922 wurde „Monna Vanna“  nach Maeterlinck von Richard Eichberg verfilmt/ OBA

Doch zurück zu Vanna: Es handelt sich um eine exquisite Partitur, die ein typisches Realismus-Libretto verklärt, mit einer Orchestrierung, die manchmal beinahe einen Touch von Ravel hat. Bereits die einleitende Ouvertüre hat Anklänge des drohenden Dramas, darunter eine Totenglocke, die am Ende der Oper wiederum erklingt. Die Charaktere sind gut konstruiert: Die Hauptfigur wird seit ihrem ersten Auftritt als junges Mädchen präsentiert, das verliebt ist und dem alles andere gleichgültig erscheint. Exemplarisch ist in diesem Sinne die schöne Romanze Anima mia di neve, ricordi?, womöglich die bedeutendste Stelle der gesamten Partitur. Die anderen Personen, vom leidenschaftlichen Sampiero über den väterlichen Francesco bis schließlich zum einfältigen Roberto, finden in Pavanellis Musik die richtigen Akzente, um ihre Charaktereigenschaften zu definieren. Sehr interessant ist die Verwendung des Chores mit verschobenen Akzenten, die womöglich eine volkstümliche, bäuerische Art widerspiegeln sollen.

Ist nun ein Meisterwerk wiederentdeckt? Sicherlich nicht. Gleichwohl ist eine gut angelegte Oper jedoch von viel größerem historischen Interesse. Auf der anderen Seite starb Pavanelli 1927 in Varese, vielleicht zu jung, um ein Meisterwerk zu hinterlassen, das seinem Stil entsprach. Womöglich könnte diese Version von Vanna einem der vielen talentierten Schöpfer gerecht werden, mit denen die italienische Musik so gesegnet ist. Carlo Curami, Carlo Torrfani (Übersetzung Daniel Hauser)

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Dank an Felicia Bongiovanni, der wir die Anregung zur Entdeckung dieser seltenen Oper verdanken, ihre website  präsentiert sie in all ihrer blonden und charmanten Persönlichkeit, ein wenig Italienisch sollte man können.

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Zur Aufbruchszeit des beginnenden 20. Jahrhunderts auch den Beitrag von David Chandler in seinem Artikel zu La Nave Montemezzis in operalounge.de. Monna Vanna gab es auch verfilmt: Monna Vanna (1916), US-amerikanischer Spielfilm von Mario Caserini aus dem Jahr 1916; Monna Vanna (1917), deutscher Spielfilm von Eugen Illés aus dem Jahr 1917; Monna Vanna (1922), deutscher Spielfilm von Richard Eichberg aus dem Jahr 1922, der auch in den USA lief (s. oben). Abbildung oben:  Nude Mona Lisa by Salai (Gian Giacomo Caprotti)/ Wikipedia

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Provencalische Verstrickungen

 

Die Bauern erfreuen sich des Goldenen Zeitalters, das ihnen beschert wurde, und die Mäher besingen die Schönheit der lieblichen Landschaft, während die Jäger zur Hetze rufen. In der mittelalterlichen Provence, wie sie Giovanni Simone Mayr und sein Librettist Andrea Leone Tottola in der am 28. Januar 1814 in Neapel uraufgeführten Oper Elena e Constantino schildern, wäre die Idylle vollkommen, wenn Costantino, Graf von Arles, nicht fälschlicherweise des Mordes beschuldigt worden wäre, und seine Gattin Elena, als Mann verkleidet, nicht um den gemeinsamen Sohn kämpfen müsste. Kein Zuhörer muss sich aber grämen: selbstredend  ist der lieto fine in diesem Dramma eroicomico zu erwarten und trifft am Ende auch tatsächlich ein. Die Auflösung ist unwahrscheinlich, aber die Geschichte nicht viel alberner als der Fidelio-Stoff, der zur selben Gattung gehört. Mayr hätte es sich bequem machen und eines jener blassen Werke vorliegen können, mit denen er um 1800 die Theater in Venedig beglückte und die in den letzten Jahren nicht immer zu seinem Vorteil ausgegraben wurden. Aber Neapel war ihm offenbar viel wichtiger, als dass er sich mit Dutzendware begnügt hätte. Für die Bühnen des zu Beginn des 19. Jahrhunderts  wohl bedeutendsten italienischen Opernzentrums schrieb er einige seine besten Stücke, etwa Medea in Corinto und Cora.

Schon in der Ouverture von Elena e Constantino bewundert man seinen Sinn für farbige Gestaltung und ansprechende Melodien. Mit einer solchen Mischung aus tragischen Gestalten, die sich mit Bösewichten raufen, und herumhüpfenden Bauern, die das Landleben rühmen, kann der heutige Musikliebhaber allerdings wenig anfangen. Das wird in einer konzertanten (und nicht, wie sie angekündigt war, halbszenischen) Aufführung erträglich, weil man keine Verzweiflung eines überforderten Regisseurs ob des unspielbaren Zeugs erleben muss und sich dafür auf die Musik konzentrieren kann. Das gilt umso mehr, wenn Franz Hauk am Pult steht. Hauk trifft immer den richtigen Ton, wenn er sich Werke des Primo Ottocento vornimmt, und mit seinen Einspielungen von Mayr und Paer hat er sich zu Recht einen Namen als bester Befürworter vergessener Musikschätze aus der Zeit um 1800 erworben. Auch diesmal hatte er Sänger und Musiker fest im Griff. Man kann höchstens etwas bedauern, dass die bukolische Färbung der Oper nicht stärker hervorgehoben wurde, weil Hauks wie immer forscher Ansatz dies bisweilen verhinderte. Doch bot er insgesamt einen musikalisch befriedigenden Abend.

Simone Mayr in Italien/OBA

Unterstützt wurde er von einem exzellenten Männerchor mit Mitgliedern der Bayerischen Staatsoper und einem engagiert aufspielenden, vor allem in den Bläsern sehr gut besetzten Concerto de Bassus „auf authentischen Instrumenten“ (die virtuose, elegant phrasierende Soloklarinettistin sei gesondert erwähnt). Das aus jungen, aber teilweise schon etablierten Sängern bestehende Ensemble überzeugte insgesamt, wobei die beiden ernsten Charaktere wegen der gattungsbedingten Kürze ihrer Rollen wenige Möglichkeiten hatten, sich hervorzutun. Daniel Ochoa verkörperte den unglücklichen Costantino mit schönem, festem Bariton. Er gestalte seine große (und einzige) Arie im ersten Akt mit viel Sinn für die Zwischentöne und einer ausgezeichneten Wortverständlichkeit. Weniger erfolgreich war Julia Sophie Wagner als Elena. Sie verfügt über beachtliche vokale Mittel und einen einnehmenden, dunkel gefärbten Sopran. Doch die verwaschene Diktion und die unter Druck gebildeten Töne trübten ihre Leistung. Die als Romance bezeichnete Ballade im ersten Akt klang viel zu dramatisch. Danach allerdings zeigte die Sängerin die von der Rolle geforderte Autorität im Ausdruck, etwa im Finale des ersten Aktes. Niklas Mallmann fiel die dankbare Rolle zu, Carlo, den eigentlichen Protagonisten der Oper, zu gestalten. Er meisterte die vokalen Anforderungen der Buffo-Rolle und kam auch mit dem neapolitanischen Dialekt einigermaßen zurecht. Da schon bei einer Reprise in Mailand eine Übersetzung ins Hochitalienische vorgenommen wurde, wäre das vielleicht auch hier eine Option gewesen. Gute Leistungen boten auch die comprimari, allen voran Anna-Doris Capitelli, Mitglied der Accademia della Scala, die in ihrer kurzen Arie im ersten Aufzug mit attraktivem Mezzo aufhorchen ließ, aber auch Anna Feith (Ernesta), Mira Graczyk (Paolino) und Andreas Mattersberger (Urbino) als Governatore machte im zweiten Akt mit seinem sicher tönendem Tenor und einer besonderen Aufmerksamkeit für den gesungenen Text aus einer Charakterrolle einen Protagonisten. Markus Schäfer schließlich trat in einer doppelten Rolle auf. Als Edmondo, falscher Graf von Arles, sorgte er in der Oper für das happy end, aber darüber hinaus sprang er als Erzähler ein. Denn auf die Dialoge der Uraufführung von 1814 bzw. die Rezitative der Wiederaufnahmen außerhalb Neapels hatte man verzichtet und sie durch nicht immer kurze Texte ersetzt. Auf der Bühne führt eine solche Vorgehensweise üblicherweise ins Verderben, wie manche Fidelio-Aufführung mit den unausstehlichen Elukubrationen von Walter Jens oder just in diesem Sommer die Salzburger Zauberflöte mit einem erzählenden Opa zur Genüge bewiesen haben. Hier aber glückte es, dies vor allem dank dem unwiderstehlichen Charme von Schäfer, dem es im zweiten Aufzug mit bewundernswerter Lockerheit gelang, zwischen Sprache und Gesang zu wechseln.

Das zahlreich anwesende Publikum bedankte sich am Ende mit begeistertem Applaus. Wie gewohnt, stand die öffentliche Aufführung am Ende von Aufnahmesitzungen. Der Musikliebhaber wird sich allerdings noch eine Weile gedulden müssen. Franz Hauk bringt dieses Jahr noch eine zweite CD mit venezianischen Solo-Motetten heraus (die erste ist soeben erschienen) und 2019 die Mayr-Oper I Cheruschi (1808) sowie Psalmen des Mayr-Schülers Donizetti. Sie versüßen somit das Warten auf die Veröffentlichung von Elena e Costantino, welche zweifelsohne einen zukünftigen Höhepunkt in der an bemerkenswerten Aufnahmen unter Franz Hauk nicht armen Mayr-Reihe bei Naxos bilden wird (26. August 2018). Michele C. Ferrari

Carl August Bünte

Der  Dirigent Carl August Bünte verstarb am 6. Juni 2018 im Alter von 92 Jahren.  Am 23. September dieses Jahres wäre er 93 geworden. Besonders älteren Konzertgängern in Berlin war er, der stets im Schatten Wilhelm Furtwänglers und später Herbert von Karajans stand, ein Begriff, prägte er das Berliner Konzertleben als Chefdirigent des Berliner Symphonischen Orchesters und anschließend des Symphonischen Orchesters Berlin zwischen den späten 1940er und frühen 1970er Jahren durchaus nachhaltig.

Bünte wurde am 23. September 1925 als Sohn des Pianisten und Komponisten Charles Bünte (1880-1943) in der deutschen Hauptstadt geboren. Zwischen 1946 und 1949 studierte er in einer Meisterklasse bei Sergiu Celibidache, dem damaligen Interimschefdirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters, am Internationalen Musikinstitut Berlin Dirigieren und zudem Komposition bei Paul Höffer. 1949 wurde Bünte, gerade 24-jährig, Chefdirigent des Berliner Symphonischen Orchesters. Binnen kürzester Zeit war dieser neugegründete Klangkörper so angesehen, dass er von der amerikanischen Kulturverwaltung bereits 1951 als Vertretung der Berliner Philharmoniker während Furtwänglers Tournee (u. a. nach Kairo) ausgewählt wurde (das bekanntere RIAS-Symphonieorchester wurde dafür übergangen). Der junge Bünte hatte einen guten Draht zu Furtwängler, der es ihm auch ermöglichte, zweimal mit den Berliner Philharmonikern zu konzertieren. Dieses gute Verhältnis zwischen den beiden Berliner Orchestern währte indes nicht lange, untersagte Furtwänglers Nachfolger Karajan Bünte doch lebenslang Auftritte mit den weltberühmten Philharmonikern. 1962 erhielt er einstimmig den deutschen Kritikerpreis. Die von der Stadt Berlin verfolgte Orchesterfusion des Berliner Symphonischen Orchesters mit dem „recht mittelmäßigen“ (Zitat Bünte) Deutschen Symphonieorchester (nicht zu verwechseln mit dem späteren DSO Berlin) zum nunmehrigen Symphonischen Orchester Berlin im Jahre 1967 hat Bünte von Anfang an höchst kritisch gesehen, auch wenn er gleichwohl noch bis 1973 als künstlerischer Leiter des nunmehr fusionierten Orchesters amtierte. Anhaltende Probleme führten dann gleichwohl zu seiner Kündigung, womit die Ära Bünte in Berlin nach bald einem Vierteljahrhundert endete (das Orchester nannte sich später in Berliner Symphoniker um). Er widmete sich in der Folge Gastdirigaten, besonders in Japan, wo er 1979 auch seine spätere (dritte) Ehefrau (eine gebürtige Steiermärkerin) kennenlernte. Carl August Bünte dirigierte in seinem Leben zahlreiche Orchester in Europa, Japan und Südamerika, darunter so bekannte wie die Münchner Philharmoniker, das BBC Symphony Orchestra, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, die NDR Radiophilharmonie Hannover, das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, das Orchestre Lamoureux in Paris, das Yomiuri Nippon Orchestra in Tokio und das Orquestra Sinfónica Nacional in Buenos Aires. Er spielte Aufnahmen u. a. für die Label CBS, Turnabout, Intercord und Vox ein. Seit 2006 erschienen bei Bella Musica zahlreiche Konzertmitschnitte in oft erstaunlich guter Klangqualität auf CD (zu beziehen u. a. bei jpc und Amazon), darunter einige Sinfonien von Beethoven, Schubert, Schumann, Bruckner und Tschaikowski, das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow, die Symphonie fantastique von Berlioz und Tod und Verklärung von Strauss. Carl August Bünte wurde vielfach ausgezeichnet. So war er Ehrendirigent des Kansai Philharmonic Orchestra in Osaka (1982), Ehrenprofessor für Dirigieren an der Staatlichen Universität für Musik in Tokio (1982) und Honorarprofessor für Dirigieren an der Universität der Künste in Berlin (1999), wo er seit 1987 als Gastprofessor tätig war. Daniel Hauser

Der Star ist das Haus

 

Wegweisung zum „Welterbe Opernhaus“. Nein, diesmal ist nicht das Festspielhaus oben auf dem Grünen Hügel gemeint, sondern die kleine 500-Plätze Preziose in der Innenstadt. Seit 2012 ist Bayreuth um eine von der UNESCO offiziell als Weltkulturerbe anerkannte Attraktion reicher. Kenner wussten freilich schon immer, dass das Markgräfliche Opernhaus die anderen erhaltenen Barocktheater in Deutschland, die Schlosstheater in Ludwigsburg und Sanssouci und das Eckhof-Theater, an theatralischer Pracht und feierlicher Vornehmheit übertrifft. Sofort wurde Giuseppe Galli Bibienas Opernhaus einer umfassenden, sechs Jahre dauernden Resaturierung unterzogen, in deren Verlauf für 30 Millionen Euro u.a. die Holzkonstruktion von den vielen Farb- und Lackschichten frei gelegt die bei der letzten Sanierung vor fast 80 Jahren mit falschen Lacken und Schutzmitteln begangenen Fehler behoben und in den Originalzustand von vor 270 Jahren versetzt wurde, als das Haus 1748 mit Hasses Artaserse eröffnet wurde. 30 Millionen. 90 Prozent Original. Fast unmittelbar nach der Fertigstellung und der Wiedereröffnung mit Hasses Artaserse durch die Münchner Everding Theaterakademie wurde das Markgräfliche Opernhaus am 1. Mai 2018 zum Austragungsort des Europakonzerts der Berliner Philharmoniker, in dessen Rahmen die bereits 2013 zu Wagners 200. Geburtstag zu Gala-Ehren gekommene Eva-Maria Westbroek zu Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3, der Vierten und Die Geschöpfe des Prometheus die Wesendonck-Lieder beisteuerte, alles dirigiert von Paavo Järvi. Wer das nicht alles bereits im Fernsehen sah, kann es nun auf Bluray (Euroarts 2064504) nachholen.

Die Mitwirkenden werden verschmerzen, dass jeder nur auf das Theater, den Innenraum, den Stuck und die Malerei achtet, die sich die Schwester Friedrichs II., Wilhelmine von Preußen, in die fränkische Provinz bauen ließ. Überhaupt hat die Markgräfin dem Ort viel stärker den Stempel aufgedrückt als Richard Wagner, der das Theater im April 1871 erstmals besichtigte. Und sich dagegen entschied. Das im feinen Bayreuther Rokoko dekorierte Stadtschloss, die Eremitage samt Orangerie stammen von der kunstbeflissenen Dame, so erfahren wir aus dem touristischen Werbefilm, der dem Konzert nebst Interviews mit Westbroek und Järvi beigegeben ist. Darin erfahren wir noch mehr von Bayreuther Traditionspflege, beispielsweise von dem in 5. Generation geführten Becher-Bräu und der fast ebenso lange wie das Opernhaus existierenden Bäckerei Lang, die auch in der 13. Generation die alten Rezepte wie die gehaltvollen Kretzaweckla aus Hefeteig hochhält.

Im anthrazitfarbenen Paillettenkleid wetteifert Westbroeck mit den Lüstern an den Logenbrüstungen. Sie singt angemessen und passioniert, der Ton ist zu wuchtig, der Ansatz ungenau und die Diktion könnte feiner sein. Geschliffen in ihrer lichten Heiterkeit erklingt die Vierte, elegant abgehorcht in ihrer motivischen und rhythmischen Leichtigkeit. Doch der Star bleibt das Haus, das Wunder aus Holz und Leinwand. Da muss man hin. Derzeit sind nicht viele Veranstaltungen angesetzt. Dann eben zu Lang (Foto Wikipedia).  Rolf Fath