Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Maßstäbe setzend

 

Selbst wer bereits gefühlte hundert Mal MozartsOper  Le Nozze di Figaro erlebt hat, wird von der 2009 in Madrid entstandenen Produktion des Werks gefangen genommen werden und begeistert sein. Das liegt zum einen an der wunderbaren Bühne von Daniel Bianco, der in die Zeiten zurückführt, als künstlerische Opulenz und handwerkliches Können das Publikum verzauberten, hier nun mit dem Blick auf eine Orangerie von Figaros und Susannes Zimmer aus oder mit einem verzauberten Park für das letzte Bild. Und immer spielen die berühmten spanischen Kacheln eine Rolle, als farbige Wandverkleidung oder als die Szene dominierendes Sitzmöbel im nächtlichen Garten. Zur zauberhaften Bühne passen die Kostüme (Renata Schussheim) mit verständlicherweise spanischen Elementen für das dem „Volk“ zugehörige Personal, während der Adel im feinsten Rokoko repräsentiert. Die Lichtregie von Eduardo Bravo sorgt ebenso für lichtdurchflutete Räume wie für das Aufblitzen der Wasserfontänen im Dunkel des Parks.

Die Dienerschaft nimmt neugierig und stumm kommentierend an allem teil, wessen sie ansichtig werden kann, die Personenregie von Emilio Sagi setzt neue Akzente, wenn Figaro in den Kuss zwischen Conte und Contessa bereits im zweiten Akt hineinplatzt, wenn die Contessa viel mehr als gemeinhin noch Züge der temperamentvollen Rosina aus Rossinis Barbiere hat, nicht nur nobel leidend wehmütig Erinnerungen nachhängt.

Das Ensemble ist ein erlesenes, und das gilt nicht nur für die Hauptrollen, sondern auch für Bartolo, Basilio und Marcellina, die allesamt ihre oft gestrichenen Arien singen dürfen. Köstlich ist Raúl Gimenez, einst vorzüglicher Rossini-Tenor, als Don Basilio, vor dessen Hang zum Intrigieren man sich wirklich fürchten muss, eine Wucht Carlos Chausson mit seiner Vendetta-Arie als Don Bartolo, dünnstimmig, aber überzeugend vom Altjüngferlichen zum Mütterlichen sich wandelnd Jeanette Fischer als Marcellina, hübsche Klänge in Moll lässt die Barbarina von Soledad Cardoso erklingen.

Um die Bedeutung der Rezitative weiß der Figaro von Luca Pisaroni, der mit viriler, farbiger Stimme in seine Arien überzuleiten weiß und besonders mit „Aprite“ einen besonderen Erfolg erzielen kann. Etwas zu ältlich in Optik und Stimmklang ist die Susanna von Isabel Rey, deren Rosenarie nicht schimmert, deren grässliche Frisur allerdings wesentlich dazu beiträgt, dass man sie eher für die Tante als die Braut des jugendlichen Figaro halten möchte. Ihre Gestik wirkt zudem unangenehm konventionell. Wie an vielen anderen Bühnen ist auch in Madrid Barbara Frittoli eine ideale Contessa mit auch in der Höhe und im Piano warm leuchtendem Sopran. Ludovic Tézier wirkt so aristokratisch wie derb draufgängerisch als Conte und macht „Già vinta la causa“ so stilsicher wie darstellerisch eindrucksvoll zum Höhepunkt des Abends.  Am Dirigentenpult weckt der unlängst verstorbene Jesus Lopez Cobos die Erinnerung an viele Abende, an denen er auch an der Deutschen Oper Berlin das Werk in der Friedrich-Produktion dirigierte (Euro Arts 2059348). Ingrid Wanja

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Edward Loders „Raymond and Agnes“

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Edward Loder? Nie gehört. Ich wage zu behaupten, dass nur einer von tausend deutschsprachigen Opernfans die Hand heben würde, würde er nach Edward Loder gefragt. Und auch britische Opernliebhaber wären wohl hard pressed bei diesem Namen. Wallace, Balfe, auch Benedict ließen es vielleicht im Kopf klingeln (zumal da das Wexfords Festival kürzlich Seh-/Hörhilfe geleistet hat), aber Edmund Loder? Nun also gibt es Abhilfe. Die rüstige englische Retrospect Opera hat sich der englischen Oper verschriebe und unter der Leitung von Richard Bonynge (dem großen Champion für viktorianische Opern) Loders Grand Opera in Three Acts, Raymond and Agnes von 1855 eingespielt und nun herausgebracht.

Auf bemerkenswert hohem Niveau singen Mark Milhofer, Majella Cullagh, Andrew Greenan, Carolyn Dobbin, Quentin Hayes, Alessandro Fisher, Alexander Robin Baker sowie Timothy Langston; dazu hört man das Royal Ballet Sinfonia und den Restrospect Opera Chorus – dies alles, wie gesagt, unter der liebevollen Hand von Richard Bonynge. Valerie Langfield überwachte die Aufnahme, die mit fabelhaften Sponsoren- und Loder-Friends-Geldern ermöglicht wurde. Als Kontinentaleuropäer ist man immer wieder davon begeistert, wie stark im anglo-amerikanischen Bereich Sponsoren zu aktivieren sind.

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Zu Edward Loder sollte man auch das Buch von Nicholas Temperley bei Boydell Press lesen: Musicians of Bath and Beyond Edward Loder (1809-1865) and his Family (Music in Britain, 1600-2000)

Loders Oper von 1855 (Manchester)  ist die Frucht einer reichen Opernbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts im viktorianischen Empire. Die romantische Oper, mit Dialogen wie die meisten Opern von Balfe und anderen (The Bohemian Girl et al,)  bedienten ein breites Publikum auf der Insel und in den Überseezentren wie USA und Australien. Loder, der sich einen „deutschen Studenten“ nannte und einige Zeit auf dem Kontinent verbracht hatte, sah Carl Maria von Weber als sein Vorbild. Und sein Chef-d´ouevre, Raymond and Agnes, ist denn auch eine „gothic love story“  mit Schauplatz in einem vergangenen Deutschland voller Schlösser und geheimnisvoller Wälder, dem Mönch von Lewis oder dem Castle of Otranto Walpoles nicht unähnlich. In England lobte man seine kongeniale Umsetzung von Edward Fitzballs turbulentem Libretto in die Nähe Verdis (was vielleicht für heutige Ohren sehr hoch gegriffen ist). Seine Nähe zu Weber, Auber, Meyerbeer und in der Tat Verdi erstaunt. Der Bariton der Uraufführung, Henry Drayton, ist als Conte di Luna im Trovatore in Covent Garden 1865 sogar bildlich festgehalten. Diese Titel liefen parallel.

Edward Loder wurde 1788 in Bath in einer musikalische Familie geboren (seine Brüder hatten ebenfalls eine erfolgreiche Karriere im Musikbetrieb), wurde zum professionellen Geiger ausgebildet und war Leiter des Theatre Royal in Bath. Loders Familie schickte Edward nach Frankfurt/M. zu Ferdinand Riess, bei dem er sein Handwerk als Dirigent und Komponist lernte. 1851 übernahm er das Theatre Royal in Manchester, wo seine ersten Opern auf die Bühne kamen: Nourjahad gelangte 1834 zur Aufführung, es folgten Raymond und Agnes 1855 (mehrfach an anderen Theatern aufgeführt). Seine erfolgreichste Oper war The Willis or The Nightdancers von 1846, 1859 im St. James Theatre und in Covent Garden nochmals 1860 vorgestellt. Richard Bonynge hat daraus die Ouvertüre neben denen anderer viktorianischer Komponisten bei Somm eingespielt.

Edmund Loders Oper „Raymond and Agnes“/ zeitgenössische Illustration/ Restrospect Opera

Raymond and Agnes sind in jüngerer Vergangenheit wieder aufgetaucht. 1966 gab die Universität von Cambridge im Arts Theatre unter David Grant in der Edition von Nicholas Temperley einen Eindruck des Werkes, in den 1970er Jahren dirigierte James Lockhart die Oper bei der BBC (Justin Lavender und Judith Howard in den Hauptrollen). Nun also erstmals eine kommerzielle Studioeinspielung der schwungvollen, romantischen Oper bei Retrospect Opera, die sich bereits durch manche hervorragende Aufnahmen vergessener Werke der Epoche ausgezeichnet hat. So haben wir über The Boatswain´s Mate von Ethel Smythe berichtet. Eine andere CD hält Musik von Charles Didbin fest. Von Charles Barnand und Solomon gibt es Pickwick, eine dramatische Kantate. Und schließlich ist von Didbin eine Aufnahme von dessen Datchet Mead geplant, wie David Chandler schreibt.

Im Folgenden gibt es einen Artikel von einem der eminenten Kenner der Oper des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, David Chandler, der uns bereits einige seiner kenntnisreichen Artikel zur Verfügung gestellt hat (vergl. seine Artikel zu Catalani, Montemezzi oder Smyth); in diesem Fall haben wir den Artikel dem Booklet zur neuen CD-Einspielung von Retrospect Opera (mit Libretto) entnommen und danken David Chandler und Valerie Langfield. Details zum Erwerb der Oper (2 CD RO005) gibt es hier. G. H.

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Nun also der Artikel von David Chandler: Beyond Gilbert and Sullivan –  Edward Loder’s Raymond and Agnes  and the Apotheosis of English Romantic Opera. Mention ‘nineteenth-century English opera’ to most people, and they will immediately think ‘Gilbert and Sullivan’. If they really know their Gilbert and Sullivan, they’ll probably remember that Sullivan always wanted to compose more serious operas, but that Gilbert resisted this, believing they should ‘stick to their last’: light, comic, tuneful satire.

Edmund Loders Oper „Raymond and Agfnes“ bei Retrospect Opera

It thus comes as a surprise to many opera lovers to learn that, before Gilbert and Sullivan teamed up in 1871, Britain had its own distinctive school of serious opera. This is conventionally referred to as English Romantic opera: it made its first appearance in 1834, continued to be produced into the 1860s, and the best-known examples were performed well into the twentieth century. It was strongly influenced by both German (especially Weber) and Italian (mainly Rossini, Bellini and Donizetti) models, but it also had distinctively British elements. The most important of these was the ballads, generally not too difficult to sing, which were designed to become hit songs outside the opera house – British composers were much more dependent on the sale of sheet music than their Continental rivals.

English Romantic opera had been almost completely forgotten when Richard Bonynge made a landmark recording of Michael William Balfe’s The Bohemian Girl in 1991. This was the obvious place to start a revival, for The Bohemian Girl was the most successful of all these operas. Inspired by Bonynge’s example, other operas from this period have since been revived and recorded. Bonynge himself has recorded William Vincent Wallace’s Lurline and Balfe’s Satanella. There have also been recordings of Balfe’s The Maid of Artois, Wallace’s Maritana, and – a favourite of this writer – George Alexander Macfarren’s Robin Hood. Alongside these have appeared George Biddlecombe’s standard study, English Opera from 1834 to 1864 (1994), and books on Balfe, Wallace, and Edward Loder. All this would have been quite unthinkable before 1990.

Edmund Loders Oper „Raymond and Agnes“/ zeitgenössische Illustration/ Restrospect Opera

Most of these recordings have been met with surprise and delight by critics astonished at the fact that such impressive operas from the pre-Gilbert and Sullivan era even existed. Yet until now it has been impossible to listen to the work that critics have increasingly highlighted as the finest of all the English Romantic operas: Edward Loder’s Raymond and Agnes of 1855. Biddlecombe wrote of this as having ‘a quality of invention and dramatic power that raises it to an unusual position in English nineteenth-century opera’. Nigel Burton, in The Grove Dictionary of Opera, goes even further, emphasising the ‘surprising emotional intensity’, ‘the sense of drama and depth of musical characterization … close to Verdi’, which makes Loder ‘the foremost composer of serious British opera in the early Victorian period’.

In 1855, Raymond and Agnes was premiered at the Theatre Royal, Manchester, where Loder had been musical director since 1851. It enjoyed considerable success there, but when a London production was organised four years later, it was something of a disaster, thanks to the very poor quality of the performance. Loder (1809–65) was by that time suffering from the mental illness which painfully afflicted his final years, and was unable to promote his own work adequately. Thus this extraordinary opera disappeared from sight and was more or less unheard of for a century.

Then in 1963, Nicholas Temperley discovered a vocal score and immediately recognised Raymond and Agnes as a lost masterpiece. He organised a staged performance at Cambridge in 1966, and as word got out about just how good the opera was, critics travelled from all over the country to see it. They were all impressed. Charles Osborne wrote that he ‘was bowled over by Raymond and Agnes. Its intensity, and Loder’s gift for melody and musical characterization, were indeed Verdian and marvellously exciting.’ Andrew Porter called Loder a genius, John Warrack dubbed the Act 2 quintet ‘magnificent’ and Stanley Sadie thought it ‘would not disgrace middle‑period Verdi’.

Loders „Raymond & Agnes“ with Richard Bonynge, Majella Cullagh, Mark Milhofer, A Greenan @RetrospectOpera

After all the excitement in 1966, one might suppose that Raymond and Agnes could not be forgotten again. Yet it was. The problem was that in the 1960s, no libretto was thought to survive, and Temperley’s production was a speculative recreation of the opera based on the sung music. Although the BBC did broadcast a radio version in 1967, there was too much uncertainty about the opera for recording companies, or professional opera companies, to show interest. And so, once more, the dust gradually settled.

Finally, though, in the last decade there has been a steady movement toward reviving Raymond and Agnes in the form of a professional recording. A copy of the libretto, as used in London in 1859, has been located, and musicologist Valerie Langfield has spent years creating a definitive performance edition. When Retrospect Opera, the British charity, was founded in 2014, their first goal was to record Raymond and Agnes. It has been a crowdfunded project, with over 200 donations coming in from all over the world. Richard Bonynge was the obvious conductor to turn to, and a studio recording under his baton was made in October 2017. It is being released this summer complete with a sumptuous booklet containing the full libretto and three authoritative essays.

It must be confessed that the title, Raymond and Agnes, does not raise the same degree of interest as The Bohemian Girl or Robin Hood. It can sound prudishly ‘Victorian’. But this is very misleading. The title was in existence long before the opera, having been given to various works derived from Matthew ‘Monk’ Lewis’s classic Gothic novel, The Monk (1796), which had much the same impact in the 1790s as Alfred Hitchcock’s Psycho had in the 1960s, fascinating, horrifying and appalling people. The Monk contains several intertwined stories – that of the lovers Raymond and Agnes is just one of them, and when that part of the story began to be treated as an independent work, it was called, unimaginatively, Raymond and Agnes. Loder’s librettist, Edward Fitzball, adapted this time-tested story, enlarging and complicating it with elements drawn from Lewis’s play, The Castle Spectre (1797), and Weber’s Der Freischütz.

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Zu Edward Loder: aus seiner Oper „The Night Dancers“ gab es die berühmten Quadrillen für Klavier/ Frontespiece/ The Richard Bonynge Archive Switzerland in  der Picture Gallery, Holburne Museum, Bathwick, Bath/ Illustration zum Beitrag von Raymond Walker über die „Musical Loders of Bath“ (auf Seen and heard International)

The plot is very intricate, no doubt; the listener needs to make some effort to understand what is happening. It is also improbable in the extreme. But it is full of intensely dramatic situations and inspired Loder’s greatest music. Although Raymond and Agnes does contain some of the ballads that the Victorians demanded, it is in no sense a ‘ballad opera’. Its musical core is found in the duets and ensembles, composed with a Verdian level of force and conviction. The three central characters, Raymond (tenor), Agnes (soprano) and their sinister nemesis, the Baron of Lindenberg (bass-baritone), are brought together in various combinations and with every variety of emotion, from the most passionate youthful love to the profoundest hate, from tender gratitude to remorseless revenge. These scenes are orchestrated with a mastery unprecedented in nineteenth-century English opera, and make the strongest possible case for taking pre-Gilbert and Sullivan works seriously.

In Loder’s youth, Weber was making his huge impact on English opera, first with the sensationally successful adaptations of Der Freischütz (one of them made by Fitzball) in 1824, then with Oberon two years later. Weber seems to have been, enduringly, Loder’s greatest inspiration, and it is certainly not fanciful to imagine these German Romantic operas giving him his sense of vocation. By 1827, young Loder was studying music in Germany with Ferdinand Ries, and in 1834, when his own operatic career commenced, he introduced himself to the British public as ‘a German Student in music’. Unlike Balfe, with his mainly Italian influences, Loder wanted to create an English Romantic opera that could stand beside and claim kinship with the works of Weber and his German followers. Raymond and Agnes, with a story appropriately set long ago in a Romantic Germany of forest and castle, represents a most satisfying fulfilment of this goal.

Retrospect Opera’s recording of Raymond and Agnes can be ordered directly through their website (www.retrospectopera.org.uk), as well as through standard music retailers.  David Chandler © 2018 David Chandler

 

Zu Loders Oper „Raymond and Agnes“: Der Tenor der Uraufführung George Perren/ OBA

Synopsis: Long ago, a Baron of Lindenberg, in Germany, fell in love with a Prioress named Agnes. She resisted his advances, and he attempted to rape her; desperate, she grabbed his dagger and killed herself. Since then, her ghost is said to haunt the Castle of Lindenberg, still holding the uplifted dagger. The Baron’s family believes itself cursed, and that the curse will only be defeated when the last of the Lindenberg line marries the last of the Prioress’s line. The present Baron of Lindenberg, considering himself the last of his family, has identified another Agnes, an Andalusian girl, as the last descendent of the Prioress’s family. She is much younger than him, so he first made her his ward, along with her foster-sister, Madelina, choosing to live in Spain to watch over her education. But now he has placed Agnes temporarily in the Convent of St. Agnes, Germany – founded in honour of the long-dead Prioress – as a prelude to marrying her. She knows nothing of his matrimonial intentions.

During his years in Andalusia, the Baron lived a double life: both kindly guardian to Agnes and fierce leader of a gang of brigands, calling himself ‘Inigo’. One of his comrades was an Italian named Antoni. As Inigo, the Baron murdered Don Fernando, a Spanish gentleman, and carried off his wife, Ravella. Fernando’s little boy Raymond thus grew up parentless, sworn to avenge his father’s death. As an adult, Raymond meets Agnes at the Carnival in Madrid; they fall deeply, though secretly, in love. Soon afterwards, the Baron places Agnes in the convent. Undeterred, Raymond follows her to Germany, wholly ignorant of her connection with ‘Inigo’.

Some time after the killing of Raymond’s father, Antoni quarrelled with the Baron (Inigo), and was ordered to leave the gang. Appalled by the latter’s treatment of Ravella, and determined to take revenge, Antoni took her with him. Ravella lives with Antoni and, after all her sufferings, has lost the power of speech.

 Act 1: Having arrived in Germany with his valet, Theodore, Raymond stops at the Golden Wolf hostelry in the forest near the Convent of St. Agnes. The ‘fête of the wolf’ is being celebrated with a shooting competition, which he wins. As the celebrations continue, Theodore recognises an old friend, Francesco, who happens to be the Baron’s valet. As they exchange news, they realise Raymond is in love with the girl the Baron intends to marry. Theodore laughs at the suggestion that the Baron’s castle is haunted, but Madelina, entering opportunely, is persuaded to tell the ancient story of the attempted rape of the Prioress and its consequences in the form of a ‘Legendary Ballad’. Theodore tells Raymond what he has learned of the Baron’s plan to marry Agnes, and Raymond, who has already arranged secret access to the convent, decides he and Agnes must elope as soon as possible. He hopes Agnes will ‘admit one sigh of love’ on this balmy night.

Zu Loders Oper „Raymond and Agnes“: der Bariton der Uraufführung, Henri Drayton, hier als Conte di Luna (Mitte) neben Lucy Escott/ Leonora und Augustus Braham/ Manrico in Covent Garden 1865 in einer zeitgenössischen Illustration/ OBA. Augustus Braham sang ebenfalls den Raymond in weiteren Aufführungen.

Agnes decorates the shrine devoted to her namesake in a chapel in the convent, and prays. Madelina enters to reveal the Baron’s marriage plans; Agnes is horrified, and asks if Madelina still loves her. Madelina assures Agnes of her undying love, recalling their happy childhood years in Andalusia. Raymond himself appears, disguised as the verger, and makes his own claim on Agnes: in a passionate duet, he says he will follow her to the ends of the earth, while she declares their love hopeless, even though she will always think of him. The real verger hurriedly pulls Raymond into the shadows as the Baron enters. The Baron, thinking himself alone, sings of his guilt and suffering; noticing Agnes, he is struck by her beauty. Raymond and Agnes look forward to their next meeting as the Baron recognises that but for his historic ‘crime’ he could feel genuine love for his ward. The Baron orders an immediate departure for the castle; the doors open to reveal a carriage, to which he leads Agnes. Antoni and his men plan to attack the carriage ‘where the woods are darkest’.

Act 2: Having rescued the Baron and Agnes from Antoni and his gang, Raymond is visiting the Castle of Lindenberg, and being shown around by Agnes. Again, they sing of their love. Theodore brings news that the Baron wants to see Raymond, and the latter departs. Theodore, Francesco, Madelina, and the castle servants are all nervous and excited because it is All Hallows’ eve; on this night the ghost is said to walk. Madelina faints and Theodore kisses her; she pretends to be offended, but their mutual attraction is established. The servants all hurry away when the Baron appears. Seeing the portrait of the Prioress Agnes, which the servants have revealed, the Baron is prompted to sing again of his guilt, this time touching explicitly on the murder of Raymond’s father. Raymond enters; the Baron asks him to name his reward for the rescue from the robbers, and Raymond boldly requests Agnes’s hand. The Baron says this is quite impossible, explaining the tradition of the curse and his conviction that only he can marry Agnes. Raymond rejects this, and the Baron angrily demands to know who Raymond is. Raymond sings a ‘Romance’ detailing his own life story; horrified, the Baron realises he is talking to Don Fernando’s son. Raymond says he has sworn vengeance on ‘Inigo’, the alleged name of the man who destroyed his family. The two men quarrel as the Baron commands Raymond to leave at once; finally, the Baron pulls out his dagger and attempts to stab Raymond. Raymond wrestles the dagger away and sees the name ‘Inigo’ on it: he immediately realises he has found his father’s murderer. The Baron summons his servants and has Raymond carried to the dungeon.

That night, amid general fear of the ‘Spectre-Nun’ in the castle, Madelina causes consternation when she says the ghost is approaching. In fact, the ‘ghost’ is Agnes in disguise, who with the assistance of Madelina and Theodore has adopted this ruse to first frighten the servants away before praying at the shrine of her ancestor and attempting to rescue Raymond. The Baron appears, and the plotters think their plan has been frustrated – then realise with astonishment that the Baron is sleepwalking, haunted by guilt. The Baron prays to the portrait of the Prioress Agnes, but the portrait fades away, and the Prioress, seeking to aid the lovers, then appears in the background, pointing to a door. The Baron orders the castle door to be unlocked, and in his confusion hands the key to Raymond. Raymond, Agnes and Theodore flee over the drawbridge. Suddenly coming to his senses, the Baron orders a pursuit.

Zu Loders Oper „Raymond and Agnes“: der Autor David Chandler des Artikels. David Chandler is a professor of English at Doshisha University in Kyoto. His background is in English Romanticism (M. Phil and D. Phil, Oxon), but he has wide-ranging research interests in English and Italian opera. He has edited books on the Italian composers Alfredo Catalani and Italo Montemezzi and published many articles and reviews on British musical theatre, including pioneering accounts of Edward Cympson (1838-1905), Alan Doggett (1936-78) and nineteenth-century musical adaptations of Charles Dickens’s novels. David has recently written a series of commissioned essays, including one on Romantic opera for a book titled Into the Eurozone, and another about Andrew Lloyd Webber for The Oxford Handbook of the British Musical. Quelle Restrospect Opera

Act 3: Antoni’s two sons are playing dice in their cave, watched by other members of the gang; they quarrel. Antoni enters. He reveals that the Baron of Lindenberg they attacked is none other than their old comrade ‘Inigo’. Raymond, Agnes, and Theodore, fleeing the Baron, arrive at the cave; Antoni, quickly disguising himself as a hermit, invites them in. Ravella manages to reveal that they are in danger, and Theodore tears the false beard off Antoni; mutual threats are exchanged. When Antoni blows his whistle, Raymond is quickly overpowered; Agnes appeals to the bandits for mercy. Ravella discovers a miniature portrait Raymond had accidentally dropped in the fight. Recognising her husband, Don Fernando, she screams; she shows the portrait to Antoni, who immediately realises who Raymond is and orders his release. At this moment, the Baron and his soldiers arrive. Antoni and his men escape, but Raymond and Agnes are captured and ordered back to the castle.

Antoni arrives at the castle, disguised as a monk, to see the Baron. Raymond is brought in by guards and sings of his despair before being led off. The gloating Baron encounters Antoni; the latter reveals himself and informs the Baron of how he abducted Ravella, and how she has lost the power of speech. Willing to be reconciled, and knowing Antoni is an expert marksman, the Baron offers him a thousand ducats if he will undertake to shoot the man who emerges from the castle with ‘a female on his arm’. Antoni agrees and gets into position.

In the castle, Agnes sings of her hopeless love for Raymond. She feels faint and sinks on a couch. The ghost of the Prioress bends over and blesses her, then a dream tableau is revealed of Raymond and Agnes being married at an altar, surrounded by ghostly nuns. As Agnes wakens from her ‘happy dream’, Madelina brings news that the Baron has relented, and is letting Raymond and Agnes leave the castle. They, along with Madelina and Theodore, themselves now lovers, prepare to start for Madrid. They anticipate a happy future devoted to ‘mirth and love’.

The Baron steps outside to check that Antoni is ready to shoot. Ravella, who has been waiting nearby, glides up to him. Seizing her arm, he holds up his lamp to identify her. Antoni, seeing a man and woman revealed together, shoots the Baron. Raymond and Agnes emerge to find the Baron dying, and asking forgiveness; Ravella, speaking for the first time in years, reveals she is Raymond’s mother. The lovers look forward to ‘happiness at last’.  David Chandler © 2018 David Chandler/

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(Dank an David Chandler, der wie stets großzügig uns seinen Text überließ, wir haben ihn ja bereits für Catalani und Montemezzi bemüht; Dank auch an Valerie Langfield!  Abbildung oben: Agnes and Raymond/ zeitgenössische Illustration/ Ausschnitt aus der Cover-Gestaltung der neuen Aufnahme bei Retrospect Opera)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Ein deutscher Belcantist

 

Der Bariton Jörn W. Wilsing (* 25.Oktober 1940  Hamm/Westf. – † 19. September 2010 Stuttgart) gehört für mich zu den schönsten, timbrereichsten deutschen Baritonen meines Opern-Lebens. Neben dem lyrischeren Barry MacDaniel (Amerikaner, gewiss, aber mit einen lange und zum Schluss exklusiv deutschen/Berliner Karriere) war Wilsing für mich der vollkommene Bariton von Belcanto-Prägung, stets in seiner Rolle, stets neben viel Humor auch eben kantiger, die vielen Facetten seiner Figuren herausbringend. Er kam oft nach Berlin auf Einladung Einhard Luthers zu dessen vielbeachteten Rundfunkkonzerten des damaligen SFB, sang Lortzings Sachs oder Moniuszkos Jacek (Halka) gleichermaßen charaktervoll, unverwechselbar, ebenso sattstimmig wie hochpersönlich. Er hat zu wenige offizielle Dokumente hinterlassen, aber Gottseidank hat die rührige HafG nun in vier Boxen manches  an Rundfunkaufnahmen versammelt, von denen es zum Glück doch reichlich gibt. Wilsing-Fans wie ich haben ein Fest. Und der bedeutende deutsche Bariton wird auf diese Weise verdientermaßen geehrt. Das ist schön. Und mit Dank bringen wir anschließend – mit einigen Kürzungen – den Text des renommierten Musikjournalisten Karl Ulrich Spiegel (ohne die Fußnoten) aus dem Booklet der ersten Box beim Hamburger Archiv für Gesangskunst. G. H.

 

Jörn W. Wilsing/ Foto privat

Ein letzter Kavalierbariton? Künstlerkarrieren im darstellenden Metier stehen in Zeiten globaler Medienmacht vielfach unter irrationalen und darum ungerechten Einwirkungen. Die dokumentierte Gesangshistorie bietet Beweise dafür: Kamen noch in der frühen Ära der akustischen Tonaufzeichnung nahezu alle, selbst nur regional bedeutsame Vokalisten auf die Tonträger, so reduzierte sich deren Präsenz mit der elektrischen Aufnahmetechnik und erst recht im Digital-Zeitalter stetig zugunsten internationaler bis weltweiter Prominenz. (…) Das Hamburger Archiv hat deren einige aus den Archiven geholt und in Editionen für die Gesangsgeschichte gesichert. In dieses Projekt fügt sich die vorliegende Präsentation des hochrangigen, entdeckungswürdigen Bühnensängers Jörn W. Wilsing.

Schon der Ansatz weist auf ein sanguinisches, lebenszugewandtes, selbstironisches  Naturell. Zeitzeugen berichten von einer humorvollen, integrativen, positiven Persönlichkeit. Das drückte sich akustisch in seinen Interpretationen aus – als „Face-in-the-voice“ und in lustvollen Attitüden. Das „W.“ im Namen ist eine Reverenz an seinen Vater Wilhelm. (…) Wilsing entdeckte noch vor dem Stimmwechsel seine Leidenschaft fürs Singen, trat als Gymnasiast bereits in Schulkonzerten auf, war schon da entschlossen, professioneller Sänger zu werden. Getreu der Familientradition stellten sich die Eltern nicht dagegen, nötigten ihn aber, „erstmal einen Brotberuf zu erlernen“. Nach zwei Praxisjahren strebte der fertige Industriekaufmann in seinen Wunschberuf. Er erreichte ein Vorsingen an der Kölner Hochschule.

Stimmbildung – Partienstudium – Bühnenpraxis: Naturbegabung, Konzentration und Meisterpädagogik machten in weniger als zwei Jahren aus dem stimmbegabten Laien einen komplett stimmgebildeten Sänger, dem allerdings die Voraussetzungen für eine Bühnenlaufbahn noch fehlten. Die Semester 1962-64 wurden für ihn entscheidend: Ein Glettenberg-Schüler fand in der Szene offene Türen. Wilsing erlangte einen Platz in Glettenbergs Sommerakademie am Mozarteum in Salzburg, war dort primär auf die Erlernung von Partien aus vielfältigen Opernrepertoires konzentriert. Etwa gleichzeitig wurde ihm von der Landeshauptstad München ein Stipendium, ergänzt um einen Zuschuss vom Bayerischen Rundfunk, zu einem Vollzeitstudium am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium in München zuerkannt. Es ermöglichte eine Wohnadresse in der bayerischen Landeshauptstadt, die ihm nach eigener Schilderung als Kultur- und Kommunikationsplatz zur Heimat wurde. Unter dem Supervising der Schauspiellehrerin Christa Gernot-Heindl erlernte er das Bühnenhandwerk: Darstellung, Artikulation, Sprachen, Bewegungslehre, Tanz & Pantomime … 1964 wurde ihm das Abschlussdiplom der Bühnenreife ausgestellt.

Damit war der Sänger Jörn W. Wilsing Kandidat für die Kader maßgeblicher Agenten. Vor Beginn der Opernspielzeit 1964/65 erhielt er ein Angebot zum Voll-Engagement am Landestheater Coburg – einem mittelgroßen Dreispartenhaus mit 550 Zuschauerplätzen am Schlossplatz des zauberhaften Städtchens, mit ca. 40.000 Einwohnern damals nicht größer als Goslar, Singen, Freising, Wetzlar, doch mit einem auf weite Einzugsgebiete abgestimmten Hochleistungs-Spielplan. Kaum vorstellbar: Es eröffnete die Spielzeit mit Wagners Lohengrin; und der Bühnendebütant Wilsing hatte seinen ersten Auftritt als Heerrufer – einer fast obligatorischen Bariton-Debütpartie (von Titta Ruffo 1888 bis Gerd Nienstedt 1954). Er war noch gar nicht motiviert für existenzielle Berufsausübung, hätte gern lange weiterstudiert. Man musste ihn förmlich zum Schritt ins Sängerleben nötigen.

Der Starterfolg bestätigte den Einstieg. Schlag auf Schlag folgten Erstfach-Partien. Er wechselte nach Giessen, dann nach Karlsruhe, wo er bis 1969 zum Ensemble gehörte. Zeitgleich begann seine Verbindung zum Sommerfestival Eutin. Schließlich holte ihn Intendant Kurt Pscherer fest ans Münchner Gärtnerplatztheater, als ersten Lyrischen Bariton neben dem hier etablierten Heinz Friedrich. Bis zum Beginn der 1970er hatte er sich als neue Größe im deutschen Opernbetrieb verankert, beherrschte schon zwei Dutzend Bühnenrollen: Mozarts Figaro-Graf,  Jeletzky in Tschaikowskys Pique Dame, Rossinis Barbier, Giorgio Germont in Verdis Traviata, Liebenau in Lortzings Waffenschmied, Fluth in Nicolais Lustigen Weibern, Marcel in Puccinis Bohème.

Zwischen Provinz & Professionalität: Im Münchner Engagement avancierte Wilsing rasch zum unverzichtbaren Universalisten, vom Publikum geliebt, von der Dramaturgie in praktisch allen Rollenfächern eingesetzt – von Mozart über Romantik und Spieloper, im italienischen, französischen, slawischen Repertoire, bis zur am Haus dominanten klassischen Operette. Das ging so fünf Jahre lang; dann wurden dem immer noch jungen Sänger Momente der Überforderung, der Verheizung in pausenlosen Einsätzen bewusst. Er spürte die Notwendigkeit eines Wechsels, ja Neubeginns. Er sondierte, erhielt ein Agenten-Angebot an die Dortmunder Bühnen – seit 1965 im modernen großen Haus unter der Generaldirektion des bedeutenden Operndirigenten Wilhelm Schüchter am Beginn einer Ära. Wilsing wechselte 1974 in die seiner Heimat so nahe Industriestadt, gewann dort zunächst mehr Freiräume, ruhigeres Studieren, Proben, Auftreten, dazu neue Partien von Donizetti bis Richard Strauss. Nur eine ‚Spielzeit, dann ereilte Schüchter unerwartet früh der Tod. Der inzwischen zu erheblichem Format gewachsene Sänger verabschiedete sich und ging – nunmehr im Status eines ersten Fachvertreters – erneut ans Staatstheater Karlsruhe, wo seinem Repertoire wieder neue, diesmal ins dramatische Fach ausgreifende Partien zufielen.

Jörn W. Wilsing in „Zar und Zimmermann“ an der Hamburgischen Staatsoper/ Foto HafG

Die Kontinuität seines Aufstiegs schien gesichert, denn nun öffneten sich Opernhäuser der ersten Reihe für Gastauftritte mit Medienresonanz: die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, die Hamburgische Staatsoper, die drei Berliner Opernhäuser Staatsoper, Deutsche Oper & Komische Oper, dazu Staatstheater deutscher Bundesländer. Dann ereignete sich eine so unerwartete wie absurd erscheinende Zäsur: Am Karlsruher Staatstheater wechselte 1976/77 die Intendanz. Der bisherige Regisseur Günter Könemann avisierte eine „Verjüngung des Ensembles“, brachte neue Solisten mit, reduzierte das Stammensemble. Das traf auch den bereits angesehenen Jörn W. Wilsing.

Doch dieser war längst kein Lückenfüller mehr. Er hätte mit Gastspielverträgen und Rundfunkarbeit eine Laufbahn weiterführen können, die Mann und Familie solide gesichert hätte. Doch dem Niederschlag folgte gleich der Auftrieb: Die Württembergische Staatsoper Stuttgart, eines der großen deutschsprachigen Häuser von europäischem Rang, legendär seit der Nachkriegsära Schäfer & Leitner, als Winter-Bayreuth von Wieland Wagner, medienberühmt mit einem Ensemble der Stars, offerierte ihm ein festes Engagement. Er nahm an – und hatte ein Haus- und zugleich Rollen-Debüt als Phoenix in Händels Deidamia.

Er füllte eine Vakanz: Das durch Sänger wie Mödl, Eipperle, Borkh, Wissmann, Pütz, Hoffman, Plümacher, Windgassen, Traxel, Tobin, Welitsch, von Rohr, Neidlinger uvm. repräsentierte Ensemble hatte – nach fast 40 Jahren mit Engelbert Czubok als Platzhirsch – dringend Bedarf an Nachfolgerbaritonen fürs Lirico- und Spinto-Fach. Dessen Serioso-Segment war erfolgreich mit Raymond Wolansky besetzt worden. Für die lyrischeren, breiter sortierten, komödiantischen und belcanto-nahen Aufgaben stand mit Wilsing nun eine, wie sich beweisen sollte, ideale „Kombi“-Lösung ins Haus.

Resonanz ohne Medienbasis: Stuttgart wurde zum Ziel und Gipfel der Sängerlaufbahn des Jörn W. Wilsing. Hier fand er optimale Arbeitsbedingungen, vielfältige neue Gestalten in einem Breitspektrum von Werken – darunter adäquate Spielräume für sein Komödiantentalent in Spieloper und Buffa, für Charakterisierung, Vitalisierung, Suggestion. Dazu ein sachverständiges, begeistertes, treues Publikum. Sein Rollenrepertoire wuchs weiter. Es umfasste nun sämtliche Epochen, Kulturen und Sparten der Opernspielpläne. Diese erweiterten sich noch in externen Konzertauftritten, Funkproduktionen, TV-Shows.

In durchaus reduzierter Auswahl seien genannt: Mozarts Don Giovanni, Masetto, Guglielmo Sprecher, Papageno. Webers Graf Ottokar. Kreutzers Jägersmann. Rossinis Figaro, Dandini, Haly, Rudolphe. Donizettis Enrico, Belcore, Impresario, Malatesta. Lortzings Zar Peter, Konrad, Graf Eberbach. Wagners Wolfram, Melot, Beckmesser, Kothner, Donner, Gralsritter. Verdis Conte di Luna, Marquis Posa, Ford. Gounods Valentin. Bizets Escamillo. Aubers Lord Kookborne. Offenbachs Orpheus, Roi Carotte, Bobèche, Bobinet, Choufleury. Jh.Strauß‘ Dr. Falke, Frank & Homonay. Tschaikowskys Onegin & Tomsky. Smetanas Thomas, Krushina, Micha. Dvoráks Jäger. Leoncavallos Silvio. Puccinis Marcello, Sharpless, Ping. Giordanos Roucher. Humperdincks Peter. R. Strauss‘ Faninal, Musiklehrer, Harlekin, Justizrat. d’Alberts Morruccio. Prokofievs Don Ferdinand. Orffs Petrus. Suppés Boccaccio. Millöckers Erminio. Lehárs Danilo.

Auch die überregionalen Auftritte setzten sich fort. Schon 1973 war Wilsing bei den Salzburger Festspielen als Arbace in Mozarts Idomeneo herausgestellt worden. 1988 präsentierte die Stuttgarter Oper bei den Schwetzinger Festspielen Rossinis La Cenerentola unter Gabriele Ferro mit Rockwell Blake, Doris Soffel, Wolansky, Berger-Tuna und Jörn Wilsing als Dandini – einer Partie, die zu seiner gefeierten Glanzrolle werden sollte. In Wiederbelebungen aus dem vorklassischen Metier glänzte er mit Singprüfsteinen wie Kitheron in Rameaus Platäa oder Conte Perucchetto in Haydns La fedeltà premiata. Im zeitgenössischen Repertoire brillierte er auch als Sängerdarsteller: Lehrer in Jasager/Neinsager und Dreieinigkeitsmoses in Mahagonny von Kurt Weill. Narr in Kreneks Das geheime Königreich. Doktor in Die Nase von Schostakovich. Escalus in Romeo und Julia von Sutermeister. Mammon in Das verlorene Paradies von Penderecki. 1994 wurde er vom Württembergischen Kultusministerium zum Kammersänger ernannt.

Jörn W. Wilsing als Belcore in „L´Elisir d´amore“/ in Karlsruhe/ Foto HafG

Herausragende, bleibend wichtige Auftritte hatte der Sänger bei Rundfunkanstalten – beim SWR und SFB, Studio + Live. In Berlin gab es zwischen 1978 und 1992 in einer Produktionspartnerschaft des Berliner Opernhistorikers, Archivars und Dokumentaristen Einhard Luther mit dem Sender Freies Berlin und dem Berliner Konzertchor des Dirigenten Fritz Weisse eine mehrjährige Aufführungs- und Sendefolge wenig bekannter Opernwerke konzertant in der Berliner Philharmonie. Zur Aufführung kamen Werke von Lortzing, Marschner, Moniuszko, Dvoràk und als eine Art Krönung Ruggiero Leoncavallos für Kaiser Wilhelm komponierte Brandenburg-Oper Der Roland von Berlin von 1904. In den zentralen Bariton-Partien war stets Jörn Wilsing besetzt.

Einhard Luther war ein erklärter Wilsing-Fan und überzeugt davon, dass dessen Bühnenrepertoire ungeachtet seiner Breite und Fülle noch lange nicht die stimmlichen & sängerischen Ressourcen des Baritons erfasse. Er arrangierte deshalb im SFB auch Aufnahmesitzungen mit Arien-Recitals aus Charakter- und Drammatico-Partien. Sie gelangen mit dieser CD-Edition erstmals auf Tonträger und in die dokumentierte Gesangsgeschichte. Die Ergebnisse sind – wie zu hören – von umwerfender Attraktivität. Sie helfen, heute eine Präsenzlücke zu füllen, die dem erstklassigen, in vielem maßstäblichen Vokalisten und Bühnensänger von einer maßstabfernen Tonträger-Industrie zugemutet wurde.

Ein deutscher Belcantist: Wer den Namen Wilsing kannte und – der Medienrealität folgend – für einen guten Bariton der zweiten Reihe mit Schwerpunkt im leichten und Unterhaltungsgenre hielt, kann beim Anhören der hier versammelten Tondokumente von einer Überraschung in die nächste, schließlich in Begeisterung bis zur Fanship fallen. Wir hören, repertoire-übergreifend, eine perfekt geschulte, an Eignungsvielfalt kaum überbietbare, wohlklingende Baritonstimme der tradierten Kategorie Kavalierbariton. Allein die äußeren Merkmale Timbre, Faktur, Volumen, Umfang stellen sie neben weit bekanntere, Fachkollegen und an die Seite anerkannter deutscher First-rate-Baritone der Epoche, etwa Poell, Braun, Kunz, Oeggl, Günter, Blasius, Gester, Peters, Grumbach, McDaniel, Wolfrum, Tichy – dann Gutstein, Waechter, Brendel und nicht zuletzt Prey, der in teils identischen Partien, dazu Lied- und Song-Beständen grenzenlose, nahezu provokant extreme Vermarktung erfuhr.

Provokant mag deshalb die Feststellung wirken: Wilsing ist all denen und auch ihm in nahezu allen Kriterien ebenbürtig, in Details sogar überlegen. Das ist beweisbar – unter vokalen, vor allem aber sängerischen Gesichtspunkten. Maßstäbe kommen aus dem Vergleich – für Wilsing mag die Grammatik der klassischen Gesangskunst reichen. Charakteristik und Färbung der Naturstimme sind die eines Baritono lirico mit dramatischen Optionen, (um zu allbekannten Vorbildern zu greifen:) etwa in Nähe zu den Deutschen Schlusnus, Reinmar, Hüsch, den Italienern Campanari oder Tagliabue, den Franzosen Renaud oder Albers. Stimmbildnerisch weist er die für Glettenberg-Schüler typische Manier auf, die ein Perfektions-Indiz ist: Präzise, doch unaufdringliche Intonation, schwingende Legatoführung auf pulsierendem Atem, vor allem bruchfreie Registerverblendung, gekrönt von kaum gedeckter, dafür flammend-strahlender brillanter Höhe über G‘/Gis‘ hinaus. In späteren Wirkungsjahren, wenn sich die Stimme als ein wenig gesetzter, breiter darbietet, tönt auch das tiefere Register um noch einen Hauch gewichtiger = sonorer.

Weil der Sänger über eine nahezu vollkommene Technik gebietet, vermag er variante Klanggestalten zu formen und suggestiv zu vermitteln – vom schlanken Jünglingston zum körperhaft-maskulinen Kerl-Charakter. Anders als  diverse Fachkollegen deutscher Provenienz beherrscht er meisterlichen Canto fiorito, also souveränen Umgang mit Verzierungen, Koloraturen, Figurationen, etwa hörbar in seiner Glanzpartie als Rossinis Dandini. Es versteht sich, dass er – wieder viel natürlicher als der immer etwas sentimentalisch-plüschig klingende Hermann Prey – ein geradezu geborener Bühnenkomiker, Bonvivant, Charmeur in Buffa, Operette, Musical war. Seine sanguinische, grundheitere Persönlichkeit vermittelt sich überdies in den Ausdrucksnuancen seines Singens: Er wusste mit rein musikalischen Mitteln im Gesang zu lächeln, zu bezaubern, zu verführen. Mehr als ein Sänger also: ein singender Mime – und ein Stilist.

Jörn W. Wilsing als Falke in der „Fledermaus“ am Münchener Gärtnerplatztheater/ Foto HafG

Stagione lirica conclusa: Am Ende der 1990er Jahren erkrankte der Sänger schwer. Ein Herzleiden und ein aggressiver Diabetes zwangen ihn zu tiefgreifender Umstellung seiner Lebensweise. Unter starken Medikamenten, die seine Motorik einschränkten, verlor er an Beweglichkeit und Belastbarkeit. Doch er mochte vom geliebten Metier und vom ihn liebenden Publikum nicht lassen. So gab er schrittweise große und fordernde Rollen auf, zog sich auf Episodisten und Comprimarii zurück, die er mit Charakterisierungskunst, Präsenz und Selbstironie erfüllte. Er überstand die Frist bis zur Verrentung diszipliniert, ohne Einbußen an Humor und positiver Weltsicht. Zum sogenannten Lebensabend blieben ihm kaum fünf Jahre, beeinträchtigt von eskalierenden Leiden. Sein Tod verstörte Freunde und Kenner.

Er ist beigesetzt auf dem Stuttgarter Friedhof Heslach. In den Erinnerungen zahlreicher deutscher, vor allem Stuttgarter Opernfreunde hat er einen Ehrenplatz – als Idealbild eines meisterlichen Sängers und als Bühnenphänomen von Graden.

Jörn W. Wilsings tönende Hinterlassenschaft war allzu lange ein ungehobener Schatz in Archiven und Privatsammlungen. Die marktbezogenen handelnde (häufig nicht-handelnde) Tonträgerbranche hat diese Ressource an Stimme, Gesang, Singdarstellung kaum genutzt. Nahezu ein Jahrzehnt nach seinem Hingang ist es hohe Zeit für ein Wilsing-Revival. Es müsste zur Entdeckung werden. Diese Edition soll helfen, sie in Gang zu setzen (Foto oben:Wilsing als Phoenix in Händels „Deidamia“ in Karlsruhe/ Foto Wilsing). Karl Ulrich Spiegel

 

Vol.1: CIMAROSA Il Maestro di Capella/ ROSSINII La Cenerentola – Il Barbiere di Siviglia/ DONIZETTI Anna Bolena – L’Elisir d’amore – Lucia di Lammermoor – La Favorita – Don Pasquale/ VERDI Don Carlo – La Traviata – Falstaff/ PONCHIELLI La Gioconda/ LEONCAVALLO I Pagliacci – Der Roland von Berlin/ GIORDANO Andrea Chénier/ MEYERBEER Ein Feldlager in Schlesien – Dinirah – L’Africaine/ THOMAS Hamlet/ GOUNOD Faust/ BIZET Les Pêcheurs de Perles/ CHABRIER Die Bildungslücke/ MONIUSZKO Halka/ MUSSORGSKY Chowanschtschina/ DVORAK Der Jakobiner – Dimitrij/ TSCHAIKOVSKY Pique Dame

Vol. 2: KREUTZER  Das Nachtlager von Granada/ MARSCHNER Hans Heiling/ LORTZING Zar und Zimmermann – Hans Sachs/ WAGNER Parsifal/ NESSLER Der Trompeter von Säckingen/ D’ALBERT Die toten Augen/ SCHILLINGS Mona Lisa/ S. WAGNER Herzog Wildfang/ WALTERSHAUSEN Oberst Chabert/ KRENEK Das geheime Königreich/ WEILL Der Ja-Sager/ BREDEMEYER Der Nein-Sager/ WALTER Andreas Wolfius/ SUTERMEISTER Romeo und Julia

Vol. 3: Lieder: LOEWE Der Edelfalk – Prinz Eugen/ OFFENBACH Der Winter/ GRIEG Der Jäger/ ZILCHER Hölderlin (Sinfonischer Zyklus für Bariton und Orchester)/ KÜNNEKE Löns-Lieder-Suite/ SALMHOFER Heiteres Herbarium/ Geistliche Werke: BRUCH Achilleus/ SGAMBATI Messa da Requiem

Vol. 4: SUPPÉ Die schöne Galathée – Banditenstreiche – Boccaccio/ STRAUSS Casanova/ MILLÖCKER Gasparone/ ZELLER Der Vogelhändler/ HEUBERGER Der Opernball/ LINCKE Im Reiche des Indra/ LEHÁR Die lustige Witwe – Zigeunerliebe/ KÜNNEKE Robins Ende – Die große Sünderin – Die lockende Flamme/ OFFENBACH Das Mädchen von Elizondo – Salon Pitzelberger – Die elektromagnetische Gesangsstunde/ GROTHE Das Wirtshaus im Spessart/ SCHULZE Schwarzer Peter/ RODGERS Pal Joey – Oklahoma/ BERLIN Anny get your Gun

Bezaubernd

 

Ein zauberhaftes Abschiedsgeschenk machte die langjährige Intendantin des Theaters Freiburg, Barbara Mundel, ihrem Publikum mit Massenets Cendrillon und bewies gemeinsam mit ihrer Ausstatterin Olga Motta, dass man auch mit begrenzten finanziellen Mitteln große Wirkungen erzielen kann, die zu einem großen Teil auf das Konto der Lichtdesignerin Dorothee Hoff gehen. Beim Schlussapplaus wird deutlich, dass die eine Zirkusarena darstellende Bühne mit kleinen, durch blaue Vorhänge voneinander getrennten Kammern schlicht und einfach, um nicht zu sagen primitiv, ist und vor allem durch viel Gefunkel, wechselnde Farben, den fleißigen Einsatz der Drehbühne, von einem riesigen Aufziehschlüssel gelenkt, märchenhaften Zauber entfaltet. Bezopfte kleine Mädchen ziehen ihre Väter in Kostümen der Entstehungszeit vorbei an der Kasse in das Zirkuszelt, in dem Cendrillon, die erst spät im Stück ihren wahren Namen Lucette preisgibt, einem Messerwerfer als Ziel dient. Stiefmutter und –schwestern sind Dressurreiterinnen, es wimmelt von Clowns nicht der derben, sondern romantischen Art, sogar ein Babyelefant entzückt die Zuschauer. Eine feine Ausgewogenheit zwischen Groteskem und Poetischem garantiert einen reuelosen Genuss zwischen Unterhaltung und Nachdenklichkeit.

Wie einem Lilian-Harvey-Film entsprungen zeigt sich die Titelheldin, von der so viel Faszination ausgeht, dass man das Entzücken über ihre Erscheinung am königlichen Hof nachvollziehen kann, obwohl das prächtige, von der Fee gespendete Kleid nur über ihr schwebt, sie selbst aber aschebeschmiert und im armseligen Fetzen auf dem Ball erscheint. Der zarte, silbrig schimmernde Sopran von Kim-Lillian Strebel klingt nur selten etwas säuerlich, sehr berührend singt sie ihr „Adieu mes souvenirs“, und im großen Duett der Liebenden, die einander sehr nahe sind, sich aber nicht sehen, harmoniert ihre Stimme gut mit der etwas wärmeren, runderen von Anat Czarny mit melancholischem Touch, die der mondbleiche Prince Charmant ist. Hochvirtuos gibt Katharina Melnikova die kapriziöse Fée mit irrwitzigen Koloraturen, süffig klingt der Mezzo von Anja Jung als böse Stiefmutter, Juan Orozco ist der den Parlandostil gut beherrschende besorgte Pandolfe, im dritten Akt wünscht man sich von seinem Bariton mehr Geschmeidigkeit. Auch die vielen kleineren Partien sind durchweg rollendeckend besetzt, und man kann dem Label Naxos nur dankbar dafür sein, dass es dem Zuschauer die Möglichkeit gibt festzustellen, dass die Provinz schlüssigere, erfreulichere und werk- wie publikumsangemessenere Produktionen bieten kann als die großen Häuser es oft tun (Naxos NBD0079V). Ingrid Wanja          

Ein Hochinteressanter

 

Mit großem Bedauern hören wir vom Tod des italienischen Dirigenten Claudio Scimone. Er war für mich einer der ganz wichtigen Beförderern der Rossini-Renaissance in Italien und weltweit mit seinen wunderbaren Aufführungen in Parma, Bologna, Pesaro und andernorts. Noch vor Alberto Zedda und den späteren wie Chailly, Pidò oder Ferro war er der Exponent für so herrliche Aufführungen wie die Italiana in Algeri (in der vielerorts in der gloriosen Hampe-Inszenierung die Damen Horne oder von Stade triumphierten, weltweit von Bologna, der Scala bis San Francisco, verfilmt und auf die CD gebracht). Scimone hatte diesen genialen Rossini-Touch, der von seiner starken Hinwendung zum Barock herrührte, in dem er vorher sich einen Namen mit seinen vielen Platten bei Erato gemacht hatte. Ich erinnere  mich an an manche aufregende Opernabende mit ihm in den Achtzigern, als die Rossini-Bewegung unter ihm Fahrt aufnahm (1986 der absolut wahnsinnige Abend des Maometto II in Pesaro mit der göttlichen Gasdia umgeben von der unvergessenen, sonoren Valentini sowie Merritt und Ramey unter Scimones schwungvoller Leitung), und ich werde ihn – wie den von mir gleichermaßen verehrten Michel Corboz – stets als einen Pionier und Könner im Gedächtnis behalten – er hat uns reich beschenkt.

Im Folgenden ein Beitrag aus dem bewährten Wikipedia, das die Stationen seine vollen Lebens nachzeichnet. Möge er in Frieden ruhen. G.H.

 

Claudio Scimone (* 23. Dezember 1934 in Padua; † 6. September 2018 ebenda) arbeitete 1952–57 als Musikkritiker für die Gazetta del Veneto und studierte gleichzeitig Dirigieren bei Carlo Zecchi, Dimitri Mitropoulos und Franco Ferrara. 1959 gründete er das Kammerorchester I Solisti Veneti, das er seither leitete. Er unterrichtete Kammermusik an den Konservatorien von Venedig (1961–67) und Verona (1967–74); 1974–83 war er Leiter des Konservatoriums von Padua.

Durch Archivstudien und wissenschaftliche Forschungen erweiterte Scimone das musikalische Repertoire um zahlreiche Werke des 18. und 19. Jahrhunderts. So nahm er als Erster sämtliche Sinfonien von Muzio Clementi auf und machte die Werke Tartinis allgemein bekannt. Er rekonstruierte Vivaldis Oper Orlando furioso (auf CD bei Erato) und brachte sie 1979 in Verona und 1981 in Aix-en-Provence zur Aufführung. Eine Rekonstruktion von Albinonis Il nascimento de l’aurora (ebenfalls bei Erato) folgte 1984 in Venedig. Auch Werke des 20. Jahrhunderts standen immer wieder auf seinem Programm.

Neben seiner Tätigkeit als Dirigent von I Solisti Veneti leitete Scimone 1979–86 das Orchester der Gulbenkian-Stiftung in Lissabon, wo er 1981 Rossinis Oper Mosè in Egitto neu aufführte. Im gleichen Jahr debütierte er mit einer Aufführung von Donizettis L’elisir d’amore am Covent Garden. Als Gastdirigent arbeitete er u. a. mit dem Philharmonia Orchestra London, dem Royal Philharmonic Orchestra, dem English Chamber Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de l’ORTF und den Bamberger Symphonikern zusammen.

Scimone nahm über 150 Schallplatten und CDs auf, viele davon Ersteinspielungen (u. a. Mercadante, Boito, Donizetti, Spontini, Ponchielli). Seine Vivaldi-Diskografie beläuft sich auf über 250 Werke. 1969 wurde Scimone mit der Elizabeth Sprague Coolidge Memorial Medal ausgezeichnet. Für seine Schallplattenaufnahmen erhielt er mehrmals den Grand Prix du Disque, außerdem den Grammy Award, den Prix Mondial du Disque (Montreux) und den Diapason d’or. Wikipedia

Beeindruckendes Gesamtkunstwerk

 

Es zeugte vom Mut des neuen Salzburger Festspielintendanten Markus Hinterhäuser, im vergangenen Sommer drei Werke des 20. Jahrhunderts zu präsentieren, und die positive Aufnahme beim Publikum gab seinen Bemühungen um anspruchsvolles zeitgenössisches Musiktheater Recht. Einer der Höhepunkte war die Produktion von Bergs Wozzeck im Haus für Mozart, die harmonia mundi nun auf DVD und Blu-Ray herausgebracht hat (HMD 9809053.54).

Eine opulente, zuweilen gar chaotische Bilderwelt überflutet den Zuschauer in William Kentridges Inszenierung. Es ist ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Film und Bildender Kunst, wofür dem Regisseur Luc De Wit (Co-Regie), Sabine Theunissen (Bühne), Greta Goiris (Kostüme), Catherine  Meyburgh (Video Design) und Urs Schönebaum (Licht) zur Seite standen. Die Einheitsszenerie stellt einen aufgetürmten Bretterberg mit ramponierten Möbeln, Fensterläden und Treppen dar. Eine Staffelei gibt dem Raum die Anmutung eines Ateliers, ein Filmvorführgerät dient zur Einspielung von historischen Dokumenten aus der Zeit des 1. Weltkrieges. Die expressiv schraffierte Wand im Hintergrund bringt Kentridges Stil als Zeichner ein und zeigt im Verlauf der Aufführung mehrere seiner typischen Sujets (abgestorbene Bäume, Sümpfe, Grasbüschel, Trümmer) als Projektionen grobkörniger Kohlezeichnungen. Beklemmend sind jene Bilder, welche an die Schrecken des Krieges erinnern: Schlachtfelder, Ruinen, Tote und Verwundete, Soldatengräber… Personifiziert sind sie in vier Mimen, die mit Gasmasken, Krücken und Rotkreuz-Schürzen omnipräsent sind und abgründige, gespenstische Metaphern abgeben. Auch die Puppe, mit der Maries Knabe spielt, trägt eine Gasmaske und reitet am Ende, von zwei Statisten geführt, auf einer Krücke als Abbild des Grauens.

An der Spitze einer grandiosen Besetzung steht Matthias Goerne in der Titelrolle, die er gesanglich und darstellerisch mit beeindruckender Präsenz und Ausdruckskraft ausfüllt. Mit den perfiden Experimenten des Doktors an dem ihm ausgelieferten Soldaten nimmt der Regisseur jene der NS-Ärzte an KZ-Insassen vorweg. Goerne hütet sich vor jeder naturalistischen Entgleisung, bleibt in seinem Spiel  stets maßvoll und überzeugt gerade durch diese Schlichtheit. Sein warmer, sonorer Bariton besticht durch große Ausbrüche, welche die existentielle Not dieses Mannes hören lassen, aber auch lautmalerische Finessen und eine Schluss-Szene von beklemmender Spannung. Nur in der unteren Lage wird die Stimme gelegentlich vom Orchester überdeckt, wenn Vladimir Jurowski die Wiener Philharmoniker zu exzessiven Klangballungen antreibt. Man hört aber auch sehr subtile, kammermusikalisch transparente Momente, wie bei Maries Bibelszene. Insgesamt also finden Dirigent und Orchester zu einer Balance zwischen schroffen Klangblöcken und lyrischen Inseln. Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian mit leuchtend-sinnlicher Stimme feierte ein erfolgreiches Salzburg-Debüt. Ihre Marie ist eigensinnig und selbstbewusst, die Bibelszene gerät durch die expressive Deklamation zum Höhepunkt ihrer Darstellung. Ihre großartige stimmliche wie schauspielerische Leistung führte sogleich zu einer weiteren exponierten Verpflichtung – der Titelrolle in Strauss’ Salome bei den diesjährigen Festspielen. Glänzend Gerhard Siegel als Hauptmann mit schneidendem Tenor in der exponierten Höhe und souveränem Gebrauch des Falsetts sowie Jens Larsen als Doktor mit skurriler Haltung und tragfähigem Bass. John Daszak ist ein eitler Tambourmajor mit potentem, gelegentlich gequält klingendem Tenor, der Marie fast vergewaltigt. Von ihm  hebt sich der lyrische Tenor von Mauro Peter als Andres gebührend ab und zeichnet sich darüber hinaus noch durch den liedhaften Vortrag aus. Hoch besetzt sind die beiden Handwerksburschen mit Tobias Schnabel und Huw Montague Rendall im Wirtshausgarten, wo die Soldaten und Mägde sich in einer schaurigen Danse macabre vergnügen. Präzise Studien bieten Heinz Göhrig als Narr und Frances Pappas als Margret. Musikalisch gipfelt Bergs Oper nach Maries und Wozzecks Tod in einem aufgetürmten Orchester-Epilog den das Produktionsteam apokalyptisch bebildert und das Publikum betroffen entlässt. Bernd Hoppe

Sepia-Helden

 

Ob dereinst nochmals ein Tenor ein Tribute to Plácido Domingo oder Jonas Kaufmann aufnehmen wird? Zumindest erster hat auch in einigen Uraufführungen gesungen, darunter als bekannteste in Menottis Goya und in Torrobas El Poeta. In weit mehr Uraufführungen hatte naturgemäß in Zeiten, die nahezu nur neue Werke kannte, Gilbert Duprez mitgewirkt. An den „Erfinder“ des mit Bruststimme gesungen hohen C erinnert jetzt der amerikanische Tenor John Osborn in seinem ersten Solo -Album, das ihm Delos (DE 3532) 2016 ausrichtete, quasi punktgenau 20 Jahre nach seinen Met-Debüt 1996. Während seiner rund ein Vierteljahrhundert währenden Karriere hatte das Vorbild Duprez zentrale Partien kreiert, darunter 1835 in Neapel Lucia di Lammermoor, später in Paris, wo er neben seinem vier Jahre älteren Kollegen, dem Rossini- und Meyerbeer-Star Adolphe Nourrit, der sich bereits 1837 von der Opéra zurückzog und zwei Jahre später in Neapel aus seinem Hotel stürzte, in La favorite, Les Martyrs, Dom Sébastien sowie in Berlioz’ Benvenuto Cellini und Verdis Jérusalem rasch als Publikumsliebling etablierte. Osborn hat sich für seinen Tribut in der französischen Originalsprache „seine“ vier Donizetti-Opern ausgesucht, dazu Jérusalem, Benvenuto Cellini und Guillaume Tell, Nourrits Oper, in dessen italienischer Erstaufführung 1831 indes Duprez mit seinem erstmals voll ausgesungenen hohen C ein neues Zeitalter für die Tenöre einläutete.

Gilbert Duprez /Foto Nadar/ Taschen

Wie offenbar Duprez, der im Gegensatz zu Nourrit nicht im elaborierten Zierwerk glänzte, überzeugt Osborn mit der Morbidezza in den langsamen, melancholischen Arien, die er mit kontrolliertem Atem, geschmeidiger Linie, eleganter Phrasierung, klarer Diktion und perfekt angebundenen Höhen singt, wie in Gastons „Je veux encore entendre ta voix“ aus Jérusalem, der genauen Adaption von Orontes „La mia letizia infondere“ aus den Lombardi. Zu den Neukompositionen in Verdis Pariser Umarbeitung gehört Gastons von Osborn pianosanft gesungenes Rezitativ und Arie „O mes amis“, in dem er die Höhepunkte mit zärtlicher Emission an- und abschwellen lässt. Mit stilistischer Eloquenz verleiht Donizettis Figuren den Sepia-Glanz der romantischen Helden, eher fragil denn robust, stets von bezaubernder Lyrik, beispielhaft in Fernands „Ange si pur“ aus La favorite und Edgards „Bientôt l’herbe des champs croîtra“ („Tombe degli avi miei“) aus der vier Jahre nach der Uraufführung in Paris erstaufgeführten Lucie und Sébastiens „Seul sur la terre“. Mit seiner Kunst der dynamischen Schattierung, der majestätischen Anlage-Sorgfalt gelingt es Osborn, seine im Grunde weiße Stimme, das gelegentlich etwas nasale Timbre und eine Enge in der extremen Höhe nebensächlich erscheinen zu lassen. Mit hoher stilistischer Empfindsamkeit umgibt Osborn auch den seine Schweizer Eidgenossen zum Kampf aufrufenden Arnold, der mit Bryan Hymel und Michael Spyres – und eben John Osborn – derzeit fest in amerikanischer Hand ist. Vielleicht fehlt es hier etwas an heldischem Elan, das schmälert den Rang der Aufnahme mit dem Kaunas City Symphony Orchestra unter dem um Feinheit bemühten Constantine Orbelian nicht, die – wenn es auf diesen Seiten so etwas gäbe – die CD des Monats sein sollte. Rolf Fath

Luisa Mandelli

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Bühnenkünstler erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

 

Wir beginnen unsere Serie „Wer war eigentlich noch…? mit Luisa Mandelli, die am 15. August 2018  im Alter von 95 Jahren in Mailand verstarb (geboren  Oktober 161922 in Saronno, Lombardei) und die – vielleicht zu ihrem Leidwesen – eigentlich nur als Annina neben der Callas 1955/56 an der Scala in Erinnerung bleibt (Daniel Barenboim verpflichtete sie noch einmal 2015 an die Berliner Staatsoper für eben diese Rolle). Dass sie das alleine durchaus nicht war, berichtet das nachstehende Interview von Antonio Sanfrancesco mit der Sängerin, das wir mit freundlicher Genehmigung der website der Famiglia Christiana übernommen haben (credits s. unten).

 

Luisa Mandelli und Maria Callas in „La Traviata“ an der Scala 1955/ Foto Piccagliani/ Teatro alla Scala

Die Sopranistin Luisa Mandelli, aus Saronno stammend,starb am 15. August 2018 nach kurzer Krankheit. Am 16. Oktober, wäre sie 96 Jahre alt geworden. Sie lebte seit fast fünfzehn Jahren in der Casa Verdi, dem Werk des Schwans von Busseto, der es erbauen ließ, um Künstler jenseits der Karriere zu beherbergen. Wahrscheinlich hatte sie auch in diesem Jahr bereits die feierliche Messe in Erinnerung an Maria Callas geplant, die seit 1997 jeden 16. September, dem Jahrstag des Todes der großen Künstlerin, stattfand.  Mandelli ließ sie in der Kirche Santa Maria della Passione neben dem Konservatorium zelebrieren. „Sie hatte sich für die nächsten Tage deswegen mit mir verabredet“, sagt Armando Ariostini, der die Facebook Seite der Casa Verdi betreut.
In der Casa Verdi wurde sie „General“ genannt wegen ihres unternehmungslustigen und entschlossenen Auftretens.„Ich habe mich in die Musik verliebt, als ich das Dies Irae von Verdis Requiem gehört habe“, sagte sie vor einigen Jahren in einem Interview für La Famiglia Cristiana. Sie wurde gerührt, wenn sie daran dachte, dass der Meister La Traviata an dem Klavier komponierte, dass sich in der Casa Verdi befindet.
Sie selbst war es, die ihr Curriculum, das eine halbe Seite umfasste, diktierte (und auch das ist ein Indiz für die Demut eine Künstlerin mit so langer und ruhmreicher Karriee wie der ihren). Im Jahre 1947 hatte sie ihre Prüfung in Gesang am Konservatorium „Giuseppe Verdi“ von Mailand als Privatista ( „dreimal in der Woche legte ich dreißig Kilometer mit dem Fahrrad zurück, um, zu meiner Lehrerin zu gelangen, Elisabetta Oddone, auch wenn es regnete und auch bei Schnee. Dann Starb sie plötzlich.“) Als sie ohne Lehrerin dasatand und ein Unterkommen brauchte, wurde ihr von Dr. Curi geholfen, einem Apotheker und von dessen Familie, die sich auch darum kümmerte, dass sie ein Vorsingen an der Scala erhielt, das sie mit Bravour absolvierte, um dann am 20. Juni 1953 engagiert zu werden. Ihr Debüt an der Scala war mit Rigoletto als Page der Duchessa. 1964 verließ sie die Bühne und wurde  musikalische Beraterin bei Ricordi, wo sie zwanzig Jahre lang blieb.
Außergewöhnliche Künstlerin, eine Frau mit starkem Glauben, Freundin der „Divina“ und „ewige Annina“ – so feierte sie Maestro Barenboim. Luisa Mandelli war nie wirklich „in Pension“ gegangen:“ „Für Künstler existiert dieses Wort nicht“, meinte sie  während eines Interviews, in dem sie über ihren Tagesablauf berichtete:„Ich studiere, höre Musik, kümmere mich um die Kapelle der Casa Verdi und gehe fast jeden Abend in die Scala um Opern zu sehen, Konzerte und auch die Proben. Die Musik ist das Geheimnis eines langen Lebens in schöner Heiterkeit. Meine Lehrerin sagte mir immer:“Nie den Gesang aufgeben und die Musik, denn im Leben findest du in ihnen großem Trost. Und das ist die Wahrheit“.
Den Loggionisti der Scala war sie quasi eine Beschützerin, eine Art Göttin. In den Pausen empfing sie sie auf ihrem Sessel  in der Zweiten Galerie, um ihre ihre Ideen und Meinungen mitzuteilen. Und alle wollten wissen, was Luisa von diesem oder jenem Sänger hielt. „Ich bin stolz darauf, Loggionista zu sein“, meinte sie. „Heute fehlt es an der ersten Voraussetzung: der Stimme. Zu meiner Zeit mussten die Comprimari wie ich auf der gleichen Höhe sein wie die Protagonisten. Das verstehen die Sänger nicht, und die Dirigenten und die für das Theater Verantwortlichen nehmen es nicht zur Kenntnis: ohne große Stimmen kann man keine Oper machen.Wenn ich von hier fortgehe, möchte ich dem Herrn dafür danken, dass er mich die Musik hat lieben lassen und mir die Stimme zum Singen gegeben hat.“

Luisa Mandelli bei einer Gesangsprobe im August 2015 in der Casa Verdi/ youtube

In ihrem Zimmer in der Casa Verdi in Mailand hob sie sorgsam zwischen Klavierauszügen und Opernplakaten das Briefchen und die drei Orchideen auf, die ihr Luigi Visconti nach der Premiere von Traviata an der Scala im Jahre 1955 geschickt hatte: „Für die tüchtige Annina mit Glückwünschen von ganzem Herzen.“ Und vor drei Jahren, mit 93 Jahren, war Luisa Mandelli bereit, von neuem auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden zu steigen und eine ganze Oper von Giuseppe Verdi zu singen  und die Rolle zu interpretieren, mit der sie in die Geschichte der Oper an der Seite von Maria Callas  eingetreten ist:die Dienerin Annina, genau, in der historischen Traviata, die von Carlo Maria Giulini dirigiert und,in der Regie von Visconti in der Scala aufgeführt wurde. Dann scheiterte das von Daniel Barenboim gewollte Revival durch die „Schuld“ der avantgardistischen Regie mit schrägen Ebenen.und abrupten Aktionen. Sie reagierte diplomatisch: „Ich fürchtete, nicht bei Stimme zu sein.Aber dem war nicht so,“, meinte sie. „Zu gefährlich ein Bühnenbild dieser Art. Ich hatte Angst zu fallen. Und ich habe die Ratschläge befolgt, die mir einen Verzicht auf die Teilnahme nahelegten.“
In Mailand war sie die große Bewahrerin der Erinnerung an Maria Callas. „Ich habe sie kennen gelernt, als sie 1953 an die Scala kam“, erzählte sie. „In diesem Jahr machte sie Medea. Sie war wunderbar, unerreichbar.. Aber auch zugänglich, freundlich, lieb, besonders gegenüber den einfachen Leuten“. Eine Freundschaft, die auch die Bühnenkarriere überdauerte.„Sie war ein Mythos. Sie wusste alles.Sie wechselte von einer ungemein tragischen Norma zu einer Sonnambula von fünfzehn Jahren. Ich habe ihr immer meine Gefühle für sie gezeigt. Aber auch sie war sehr liebevoll mir gegenüber. Sie war freundlich, auch wenn man das Gegenteil von ihr behauptete. Sie haben ihr soviel angetan, der armen Frau. Sie hat sehr gelitten. Sie war unsterblich in Onassis verliebt. Ich glaube, dass ihr Sterben begann, als sie erfuhr, dass er Jacqueline heiratete. Für eine Frau wie sie war das ein schrecklicher Affront. Aber als er erkrankte, besuchte sie ihn im Krankenhaus in Frankreich. Nur zwei Jahre nach ihm ist sie gestorben.“ „Sie liebte Papst Francesco („Er ist wunderbar mit seinem Lächeln.“) Es scheint so, als ob sie nie ernsthaft an den Tod dachte. „Wer weiß, was sein wird, wenn wir von hier gehen“, vertraute sie mir einmal mit einem Lächeln an, „wenn ich mich davon mache, will ich nur von Angesicht zu Angesicht dem Herrn dafür danken, dass er mich die Musik lieben ließ und mir meine Stimme zum Singen schenkte.“
Und sie war sicher, dass ihre Freundin Maria Callas sie nie verlassen hatte. „Ich spüre sie immer an meiner Seite. Und ich weiß, dass sie mich vom Himmel aus beschützt.“ Nun, wer weiß das so genau, leisten sie einander wieder Gesellschaft. Antonio Sanfrancesco/ Übersetzung Ingrid Wanja

 

Mit sehr liebenswürdiger Genehmigung von Antonio Rizzoli, dem Chefredakteur der Famiglia Christiana (der uns mitteilen ließ: a nome del Direttore don Antonio Rizzolo, diamo l’autorizzazione per la pubblicazione dell’articolo „Addio a Luisa Mandelli“, articolo di Antonio Sanfrancesco del 30/8/2018, tratto dal sito www.famigliacristiana.it); Foto oben Luisa Mandelli als Madama Butterfly an der Mailänder Scala/ Foto  Piccagliani/ Teatro alla Scala, dazu auch die Würdigung der Scala auf dieser Seite.

Cherubini in Wien

 

In früheren, glücklichen LP- und CD-Tagen kam es vor, dass man sich für einen Kauf entschied, weil das Cover besonders anziehend war. Junge Menschen, die nur noch YouTube und Spotify anzapfen, können das nicht mehr nachvollziehen und staunen nicht wenig, wenn sie in Ausstellungen wie zuletzt in Paris und Berlin LP-Kunstwerke etwa von Andy Warhol betrachten, als ob es sich um Dinosaurierschädel aus längst vergangenen Zeiten handele (dies natürlich nur, wenn es einem gelingt, die Jungs und Mädels physisch in eine solche Schau zu zerren). Doch derartige Kleinode gibt es immer noch, die sich durch Inhalt und Aufmachung auszeichnen. Unter dem Titel Cherubini in Wien veröffentlicht das Concerto Stella Matutina, ein junges, 2005 gegründetes Ensemble, das auf historischen Instrumenten unter der Leitung von Martin Skamletz spielt, ein solches Juwel .

Cherubini wurde in Wien hochgeschätzt, nicht zuletzt von Beethoven, welcher die Médée und die Deux journées für mustergültig hielt. Unter den Skizzen seiner Leonore findet sich die Abschrift eines Trios aus letzterer Oper, die im ganzen 19. Jh. beliebt war und für viele die republikanischen Ideale aus Frankreich verkörperte. Zu Beginn des 19. Jh. wurden mehrere Opern Cherubinis auf Wiener Bühnen gespielt, und 1805 kam der Meister selbst in die Hauptstadt, um seine neue Oper Faniska einzustudieren. Gut tat ihm der Aufenthalt in Wien wahrlich nicht: Faniska wurde kaum nachgespielt und ist erstaunlicherweise nach wie vor das einzige bedeutende Stück des Florentiners, das in modernen Zeiten nie ausgegraben wurde; der Komponist selbst verfiel nach dem Wiener Intermezzo in eine tiefe Depression, von der er sich sehr langsam und vielleicht nie ganz erholte. Dabei hatten sowohl das Wiener Publikum als auch, was noch bemerkenswerter ist, sogar seine Kollegen ihn herzlich empfangen.

Die CD erinnert daran, indem nicht nur die Faniska-Ouverture und instrumentale Ausschnitte aus den Deux Journées und Lodoiska, sondern ebenfalls Stücke und Bearbeitungen von Anton Fischer (1778-1804) und Ignaz von Seyfried (1776-1841) eingespielt wurden. Die beiden Herren arbeiteten am Theater an der Wien, wo sie mit der Einrichtung von Cherubinis Werken beauftragt wurden, die wegen der unterschiedlichen Besetzungen in Paris und Wien angepasst werden mussten. Auf den ersten Blick wirkt Hummels Trompetenkonzert in diesem Umfeld fremd, aber das Rondo des 1803 verfassten Werkes zitiert den Marsch aus den Deux journées. Wie Martin Skamletz im lesenswerten Booklet darlegt, wurde das Werk für das Neujahrskonzert 1804 geschrieben. Auftraggeberin war die musikliebende Kaiserin Marie Therese (1772-1807), die sich nicht nur um die schönen Künste kümmerte, sondern in ihrem Wirken offensichtlich politisch Stellung nahm: „Die Akribie, mit der die Kaiserin dieses Konzert gestaltet (…), lässt keinen Zweifel daran, dass auch das Cherubini-Zitat in Hummels Konzert auf ihr kaiserlich-antinapoleonisches Programm des Anlasses zurückzuführen ist“. Das half bekanntlich nicht, aber die Kaiserin setzte in Würde ein Zeichen. Und die Dame konnte auch mehr, denn das Booklet ziert ein unfertiges, aber nettes Bild von ihrer Hand. Sklametz und seine Musiker spielen mit großer Frische das auf eigene Forschungen zurückgehende Programm. Der Versuchung von Turbo-Tempi, die manche Produktion von sich auf die historisch verbürgte Spielweise beziehenden Ensembles verunziert, widerstand man hier erfolgreich. Die Musik fließt würdig und erhaben, was in Hummels Trompetenkonzert, souverän von Herbert Walser-Breuss auf der Nachbildung eines Instrumentes von Alois Doke aus dem 1820er Jahren gespielt, besonders auffällt. So mag das Stück tatsächlich 1804 geklungen haben, fern von der effektheischenden Hysterie moderner Trompetenstars. Diese liebevoll gestaltete CD ist eine kleine Kostbarkeit wie aus einer fernen Epoche. Sie sei allen Liebhabern nicht nur der Musik, sondern der der Kultur um 1800 wärmstens empfohlen (Cherubini in Wien. Werke von A.Fischer, A.M. Grétry (bearb. Fischer), Cherubini, Hummel, I. von Seyfried: Herbert Walser-Breuss (Klappentrompete), Concerto Stella matutina, Martin Skalmetz. Fra Bernardo FB 1811678 (2018).). Michele C. Ferrari

Revolutionär und Reaktionär

 

Im Jahre 1839 schrieb Luigi Cherubini, der damals schon über 40 Jahre am Conservatoire in Paris gewirkt hatte und es inzwischen seit Jahrzehnten leitete, an den Innenminister und schlug ihm den Namen eines jungen Kollegen für den Posten des Aushilfsbibliothekars vor. Das Empfehlungsschreiben hat sich erhalten, aber Hector Berlioz, um den es ging, behauptete lange, Cherubini habe ganz im Gegenteil gegen ihn intrigiert. Cherubini und Berlioz: Nicht zu Unrecht wählt Marc Vignal in seiner neuen Monographie über den Florentiner die Beziehungen zwischen den beiden Musikern als roten Faden für die Erzählung von Cherubinis Leben seit den 1820er Jahren. Ihre Hassliebe ist sprichwörtlich. Berlioz, der kein direkter Schüler Cherubinis, sondern des milden Jean-François Lesueur (1760-1837) war, stellte Cherubini gerne als jenen alten Zopf dar, der er tatsächlich war, insofern als er, 1760 in Florenz geboren und u.a. noch von Giuseppe Sarti (1729-1802) unterrichtet, das Conservatoire nutzte, um die Ideale eines strengen Klassizismus zu erhalten und zu verbreiten (nicht zufällig heißt die Institution ja „Erhaltungsanstalt“). Dabei war er, der Autor der Lodoiska (1791), der Médée (1797) und vor allem der Deux Journées (1800), einmal als ein Erneuerer angesehen worden, etwa von Beethoven, der ihn bewunderte und dann 1805/1806 in Wien auch treffen konnte. Bei aller Abneigung zollte indes auch Berlioz dem Komponisten Cherubini seinen Respekt, so sehr er auch den Funktionär verabscheute. Vignal erzählt sein Leben chronologisch, von der Jugend in bescheidenen Verhältnissen in der Toskana über die Pariser Triumphe des späten 18. und frühen 19. Jh. bis hin zum Tode 1842, kurze Zeit nachdem er endlich seinen Rücktritt als Direktor des Konservatoriums eingereicht hatte. Die biographische Darstellung wird durch Abschnitte unterbrochen, in denen der Verfasser die wichtigsten Werke Cherubinis kurz vorstellt. Dankenswerterweise berücksichtigt Vignal dabei nicht nur die Opern, sondern auch die Kammermusik, etwa die interessanten Streichquartette, die nach wie vor leider wenig gespielt werden, seine einzige Symphonie und die großen Messen. Vertiefte Interpretationen wird man allerdings vergeblich suchen. Vignal beschreibt lediglich knapp die Nummern und Sätze der einzelnen Werke. Überhaupt erfährt man hier fast nichts über die ästhetischen Ideale Cherubinis. Auch unter Berücksichtigung des geringen Umfanges, der vorgegeben ist, hätte man sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Cherubinis Musik gewünscht. Sorgfalt sollte der Leser von dieser an sich gut lesbaren Darstellung auch sonst nicht erwarten. Die Reihe Horizons des Verlages Bleu Nuit zählt inzwischen über 50 Bände und hat sich zum verdienstvollen Ziel gemacht, die westliche Musikgeschichte in Einzelmonographien einem breiteren Publikum näher zu bringen. Nicht nur die Großen wie Beethoven oder Brahms finden Berücksichtigung, sondern auch wichtige Persönlichkeiten, welche der Musikliebhaber heutzutage nicht mehr gut kennt, etwa Michael Haydn, Salieri (beide Bände stammen von Marc Vignal), Méhul, Spontini oder Florent Schmitt. Leider ist die Reihe die Königin der Schlampereien: auch im Cherubini-Band wimmelt es von Druckfehlern, Quellen werden nicht angegeben, die schwarz-weißen Abbildungen sind schlecht, und die Graphik spottet jeder Beschreibung. Immerhin enthält er eine Chronologie, einen Werkkatalog, eine Bibliographie, eine Diskographie sowie ein Namensregister. Das Buch sei dennoch all denjenigen empfohlen, die sich für Cherubini interessieren, dessen Médée inzwischen regelmäßig in den Spielplänen auftaucht (in der bald beginnenden Saison z.B. an der Berliner Staatsoper, in Saarbrücken und in Linz), und die die weit gehaltvolleren Publikationen auf Italienisch von Giulio Confalonieri, Vittorio della Croce und zuletzt Giovanni Carli Ballola (2015) wegen der Sprache nicht lesen können (Marc Vignal, Luigi Cherubini, Bleu Nuit Editeur, 176 Seiten, s/w Abb., ISBN 978-2-35884-064-4, 20.- Euros). Michele C. Ferrari

Jeder Mensch ist ein Abgrund

 

„Was ein Mann! Wie ein Baum!“, lüstern beschaut sich Maries Nachbarin Margaret die aufziehende Militärmusik mit dem Tambourmajor an der Spitze. „Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw“ fügt Claudia Mahnke mit deftigem Mezzosopran als Marie hinzu, deren reife Mütterlichkeit in dem mit praller Mittellage gesungenen „Eia popeia“-Wiegenlied und der warmherzigen Bibelszene zum Ausdruck kommt. Endlich mal kein kreischend aufgedrehter Sopran. Im Gegensatz zum kraftstrotzenden Tambourmajor ist ihr Franz jedoch ein verirrter Hänfling, der „Vielem auf der Spur ist“.  Der ehemalige Soldat Franz Wozzeck wird zum verzweifelten Mörder an seiner Geliebten, die ihn betrügt. Ein ähnlich Gebrochener, wie der ehemalige Soldat Alban Berg, den der „große Krieg“ tief getroffen, verletzt und traumatisiert hat und dem bereits ein „eiliger Gang durch die Stadt“ schier unmöglich sei, wie er seinem Lehrer Schönberg berichtete. Die Oper Wozzeck, die Berg quasi direkt nach dem Besuch von Georg Büchners Schauspiel Woyzeck 1914 in Angriff nahm, begleitete ihn durch diese quälenden Zeit und die folgenden Nachkriegsjahre, wobei ihn seine Kriegs-Erfahrungen der Titelfigur näherbrachten, „Steckt doch auch ein Stück von mir in seiner Figur, seit ich ebenso abhängig von verhassten Menschen, gebunden, kränklich, unfrei, resigniert, ja gedemütigt diese Kriegsjahre verbringe. Ohne diesen Militärdienst wäre ich gesund wie früher“.  Die 1921 fertiggestellte, mit Unterstützung von Alma Mahler-Werfel gedruckte und 1925 unter Erich Kleiber in Berlin uraufgeführte Oper war mit rund 20 sich anschließenden Produktionen ein ziemlicher Erfolg. Dieser hielt bis Ende 1932 an und wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg.

Fast unmöglich, von einer Aufführung nicht berührt zu sein. So auch von der Frankfurter Aufführung aus dem Jahr 2016, die rechtzeitig zur Wiederaufnahme in der aktuellen Spielzeit 2018/19 auf dem Stammlabel der Oper Frankfurt, bei Oehms Classics, auf CD erschien (2 CD OC 974). Immerhin gab es schon seit Jahren keine Neuaufnahme auf CD. Die Einspielung zeichnet sich durch ihre theatralische Kraft, ihre Bühnennähe und die Unmittelbarkeit des szenischen Geschehens aus, das in der technisch ausgezeichneten, die Singstimmen begünstigenden Aufnahme durchgehend spürbar ist. Prägnant gesetzt sind die Figuren: der Doktor, dem Alfred Reiter gleich in „Natur! Aberglaube, abscheulicher Aberglaube“ eine abgefeimte Gefährlichkeit gibt, dass uns die Fratze fast direkt anspringt. Der grell-quallig schwadronierende Hauptmann des gutmütigen Peter Bronder. Der aufgeblähte, nicht wirklich glänzende Tambourmajor des Vincent Wolfsteiner. Der Norweger Audun Iversen wirkt mit seinem gestandenen, wenig farbenreichen Bariton wie verloren inmitten des Geschehens, krank, unbeteiligt, dennoch getrieben, ein Jedermann, der mit rotem T-Shirt und Jeans auch durch die Einkaufszonen schlurfen könnte – wie man es den Fotos von Christof Loys aus den 1820 Jahren in die Gegenwart versetzter Inszenierung im Beiheft (Kostüme: Judith Weihrauch) entnehmen kann; Iversen bietet statt fehlender Basstiefe derbe, aggressive Ausbrüche, es fehlt an Projektionskraft.

Im Beiheft ist auch das Musikalische Szenarium aus drei Akten mit jeweils fünf Szenen und den zugeordneten Kompositionsmustern – Fünf Charakterstücke, Symphonie in fünf Sätzen und Sechs Inventionen (vor der letzten Szene mit den spielenden Kindern steht bekanntlich ein Orchesterzwischenspiel) – aufgelistet, dessen genau austarierte Struktur Sebastian Weigle sowohl als Rückschau auf das 19. Jahrhundert wie Aufbruch in die Moderne souverän  fasst. Das Gefährliche, Bedrohliche und Ungewisse, das die Musik in den flirrenden Solo-Passagen aufnimmt, kommt unter den kräftigen Konturen des ausgewühlten Orchesters nicht hinreichend zum Ausdruck. Das Frankfurter Ensemble kann sich, wie meist, hören lassen: Martin Wölfel als Narr, der auch am Ende das „Hopp, hopp! Hopp, hopp!“ von Maries Kind übernimmt, Martin Mitterutzner als sensibler Andres, Katharina Magiera als Margaret. Rolf Fath

Klimawandel in Spanien

 

Leise rieselt der Schnee- aber nicht aufs Café Momus oder die Vorbereitungen zum Duell Onegin-Lenski, sondern auf Manrico und Azucena, die dem nahenden Tod ins Auge sehen. Mit einem Übermaß an Requisiten ist in der Londoner TrovatoreProduktion die Bühne zugemüllt, als habe ein Blinder und zudem Opernunkundiger in den Sack mit Ingredienzien für Regietheater gegriffen und daraus hervorgezaubert, was mehr oder weniger oder vor allem gar nicht in die Verdi-Oper passt. Ein Gesamtkonzept lässt sich aus all dem natürlich nicht erschließen. Ein Panzer wird von den Mannen Lunas durch die Szene manövriert, aber zum Abschlachten, gern auch der eigenen Leute, bedient man sich lieber altertümlicherer Werkzeuge wie Hammer (Manrico- und es passt immerhin zum Schmiedelied einige Bilder zuvor) oder Messer zum Halsabschneiden (Lunas Leute). Kitschiges (brennendes Herz) behauptet sich neben Buntem (Luftballons), Gendermäßiges (männliche Braut) steht neben Religiösem (Engel und Kreuze), Stacheldraht macht einem Wald aus Bäumen, deren Blätter Papiertaschentücher sind, Konkurrenz. Am stimmigsten sind da noch ein puppenbestückter Camper für Azucena und ein ausgebrannter Kinderwagen.  Und wie so oft, wenn sich die Phantasie bereits bei der Gestaltung der Bühne (Patrick Bannwart) erschöpft hat, fällt der Regie (David Bösch) für die Führung der Personen nichts mehr ein, und sie dürfen ungestört an der Rampe und sich in Einheitsoperngesten ergehend agieren. Über die Allerwelts- und Allerzeitenkostüme von Meentje Nielsen dürfte sich ebenfalls keiner der Sänger beschwert haben.

Leider gibt es für diese unglückliche Produktion nur eine wirklich vorzügliche Sängerin, nämlich die Azucena von Anita Rachvelishvili mit einem hochpoetischen „Nei nostri monti ritorneremo“ und farbig flammendem drittem Bild, einer Darbietung voller vokaler Nuancen dank der perfekten Beherrschung eines stimmlichen Ausnahmematerials. Nicht viel aussetzen kann man an der anmutigen Leonora von Lianna Haroutounian, mädchenhaft und trotz recht heller, noch sehr lyrischer Sopranstimme bereits mit Tosca unterwegs. Die sichere Höhe spricht ebenso für sie wie die gut bewältigte zweite Cabaletta, die Arie zuvor hätte man sich poetischer gestaltet gewünscht. Debütant an Covent Garden war der ukrainische Bariton Vitaly Bilyy, wie il rivale ein bereits ergrauter Herr, der eher Kraft als Sensibilität in seine vokale Gestaltung einbrachte, der italienisches Leuchten abging und der „Il balen del suo sorriso“ recht eintönig grau, die Cabaletta grobschlächtig auf Effekte bauend darbot. Allerdings ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich penibel der kleinen Notenwerte annahm. Älter als la madre sventurata wirkte der Manrico von Gregory Kunde, sicherlich ein verdienter, immer noch sicherer, vor allem höhensicherer Tenor, aber doch zu hart, zu scharf, zu hölzern klingend und eigentlich nur in der Stretta noch in seinem Element. Mit dunklem und schlankem Bass war der Ferrando von AlexanderTsymbalyuk eine erfreuliche Erscheinung und, obwohl eigentlich der Älteste, der auf der Bühne am jüngsten Wirkende. Aber das ist Oper und nicht der Grund dafür, das insgesamt diese Aufnahme kalt lässt und es, auch das Orchester unter Richard Farnes kann daran nichts ändern, zu keiner adäquaten Umsetzung der wunderbaren Partitur auf der Londoner Bühne kommt  (Opus arte BD7238). Ingrid Wanja

Schwanengesänge und Kriegserlebnisse

 

Bei der von George Butterworth vertonten sechs Gedichten, die A.E. Housman in seiner 1896 herausgegebenen Sammlung A Shropshire Lad veröffentlichte, rückt Ian Bostridge ganz nahe an uns heran als wolle er uns die von Wehmut und Todesnähe gezeichneten Bilder aus dem englischen Landleben ins Ohr flüstern („Und jetzt, da ich siebzig bin, werde ich nie wieder zwanzig sein“/“Now, of my threescore years and ten, twenty will not come again“). Diese zarten, feinsinnigen Lieder aus den Jahren 1911 und 1912 eröffnen sein Programm Requiem. The Pity of War, mit dem er an das Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren erinnert. Mit ernsten Gesichtern und heruntergezogenen Mundwinkeln stehen Bostridge und Antonio Pappano wie zwei zu Statuen Erstarrte vor einer grauen Betonwand (Warner Classics 0190295661564).

Eine Aufführung von Brittens War Requiem und die in Wilfred Owens darin verarbeiten Schützengraben-Erfahrung regte Ian Bostridge zu diesem Programm über den Ersten Weltkrieg an. „Ich dachte an einige Kunstlieder, die ich bereits gesungen habe, und daran, in welcher Weise sie sich direkt oder indirekt auf den Ersten Weltkrieg beziehen“ schreibt der Tenor in seiner Einleitung, die im üppig gestalteten Büchlein ebenso wie sämtliche Liedtexte (englisch, deutsch, französisch) in eine reiche Fotosammlung eingebettet ist. Butterworth starb 1916 in der Schlacht an der Somme. Im Jahr zuvor war Rudi Stephan an der Front in Galizien gefallen. Seine 1913/14 entstandenen sechs Lieder Ich will dir singen ein Hohelied auf Gedichte der Dresdner Offizierstochter Gertrud von Schlieben, die unter dem Pseudonym Gerda von Robertus veröffentlichte, sind erotische, sinnliche Miniaturen, denen es bei Bostridge an sprachlicher Distinktion fehlt. Scharf akzentuiert singt er dagegen Kurt Weills Four Walt Whitman Songs, die sich auf den Amerikanischen Bürgerkrieg beziehen. In „O Captain, my Captain“ steigert Bostridge Weills Songstil zu einer aufrüttelnden, wie mit zwei Stimmen vorgetragenen Anklage („Exult O shores, and ring O bells“), in der die Konsonanten wie gehämmert stehen oder schier ausgespuckt werden. Auf vertrautem Terrain wandeln Bostridge und Antonio Pappano, deren musikalische Partnerschaft sich hier feiern kann, bei drei Wunderhorn-Liedern Mahlers, wo sich Inhalt, Ausdruck und vokale Schwelgerei in den langen Phrasen ergänzen.

 

Eine Begegnung hat der inzwischen für seine Tätigkeiten vielfach ausgezeichnete Konzert- und Opernsänger und Gesangsprofessor Christian Immler nie vergessen. Als 14jähriger durfte der junge Christian 1984 Leonard Bernstein im Großen Festspielhaus das Solo aus Mahlers Vierter vorsingen. Ein hübsches Foto aus dem Familienalbum, abgedruckt im Beiheft der 2016 und 2017 im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks aufgenommenen Swan Songs (Avi-music 8553402), ist mehr als eine Erinnerung, schlägt es doch irgendwie den Bogen zu letzten der vier Liedgruppen, Bernseins Arias and Barcarolles. „Was bleibt?“ fragt Immler, „und inwiefern sind sich der Komponisten zum Zeitpunkt der Komposition der Dringlichkeit dieser Frage bewusst? Dies scheinen mir die zentralen Themen eines sogenannten Schwanengesangs zu sein.“ Immler gelingt sein Einleitungstext so eloquent und überzeugend, dass es eines zusätzlichen Textes gar nicht mehr bedurft hätte und man stattdessen lieber die Texte – zumindest im Fall der größtenteils von Bernstein stammenden Ehe-Szenen zu den acht Abschnitten der Arias and Barcarolles – gelesen hätte. Die Sechs Heine-Vertonungen aus Schuberts Schwanengesang zeigen Immler als versierten Konzertsänger, der sich mit dunkelschlankem Bariton um Textdeutlichkeit und Ausdruck bemüht und die Lieder mit düster gruftiger Atmosphäre versieht. In Vier ernste Gesänge op. 121 von Johannes Brahms geht es Immler mehr um schöne Linien zu dem von Christoph Berner fast sinfonisch entworfenen Klavierpart. In „Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh“ klingen manche Zeilen in ihrer weichen und eindringlichen Wort-Ton-Behandlung wie von Hermann Prey, mit dem Nachteil einer dann plötzlich ins larmoyant leiernde umschlagenden Haltung. Den drei Barber-Lieder op. 45 von 1972 merkt man Immlers tiefe Vertrautheit an, sie „haben mich schon seit meiner Studienzeit wegen ihrer Vielschichtigkeit, textlichen Finesse und melancholisch-morbiden Schönheit angesprochen“. Die Freude und Lust in der Umsetzung der u.a. von Keller und Heym stammenden Texte ist Immlers Interpretation der einst für Fischer-Dieskau geschriebenen Lieder stets anzumerken. Etwas hölzern agieren Immler und die Mezzosopranistin Anna Stéphany – begleitet von den Pianisten Danny Driver (der auch bei den Barber-Songs am Flügel saß) und Silvia Fraser – in den Arias and Barcarolles, mit deren Titel Bernstein einen Ausspruch von Präsident Eisenhower aufgreift, der ihm offenbar so drollig erschien, dass er sich bei diesem zwei Jahre vor seinem Tod komponierten Szenen für zwei Solostimmen und Klavierduo noch daran erinnerte. Nachdem Bernstein 1960 im Weißen Haus Mozart und Gershwin gespielt hatte, meinte der Präsident, er möge Musik mit einem Thema, nicht all diese Arien und Barcarolen.

Die acht Szenen, die am Beispiel eines Paares Aspekte der Liebe umkreisen, funkeln und sprühen, mischen Modernes und Spätromantisches, Scat-Singing und Volkslied, Klezmer und Blues; es beginnt mit einem innigen „I love you“ und endet mit dem gemeinsamen Summen im fast dreiminütigen „Postlude“. Die Ironie, der Witz, aber auch die sentimentalen Passagen und die walzende Melancholie, die beispielsweise Frederica von Stade und Thomas Hampson in der von Michael Tilson Thomas dirigierten Orchesterversion auf der alten DG-Aufnahme vermitteln, darf man bei Christian Immler und Anna  Stéphany nicht erwarten.

 

Während Weill im amerikanischen Exil am Broadway an seine europäische Karriere anknüpfte, setzte der zwei Jahre ältere Hanns Eisler auf Hollywood. Nicht ohne Erfolg. Capriccio legt jetzt eine Einspielung seltener Filmmusiken Eislers vor (C5289), die ein wenig wirkt, als sei sie für ein Seminar an der Filmhochschule gemacht, da sie auch einen 14-Sekunden Schnipsel enthält. Er stammt aus der Musik zum Fritz Langs Anti-Nazi-Film Hangmen Also Die/ Auch Henker müssen sterben, die Eisler eine Oscar-Nominierung einbrachte und an dessen Drehbuch auch Brecht beteiligt war. Die Titelmusik ist großes Kino, also spätromantisch und leidenschaftlich. Obwohl der Schönberg-Schüler in The 400 Million oder in der alternativen Musik zu John Fords The Grapes of Wrath/Früchte des Zorns zwölftönig gefasste Passagen einbaute, bleibt er vor allem ein wirkungsstarker Pragmatiker, der sich an die Gepflogenheiten der typische Kinomusik hielt und diese durch dissonante Klänge nur sanft ankratzte, wie diese ausgesprochen informative Einspielung des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Johannes Kalitzke beweist, die darüber hinaus noch frühere Zwölftonwerke Eislers bereithält.   Rolf Fath

THEATRAL PASSIONIERT

 

Das legendäre erste deutschsprachige Opernhaus öffnete 1678, die Oper am Gänsemarkt erreichte ihren Höhepunkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts und schloss ihre Pforten nach 50 Jahren. Georg Philipp Telemann wurde 1721 Musikdirektor der Stadt Hamburg (ein Posten, den er 46 Jahre lang inne hatte), Kantor des Johanneums und leitete auch die Gänsemarktoper während der letzten 16 Jahre. Zu seinen Aufgaben gehörte das Komponieren von Kirchenmusik, ein großer Teil von Telemanns Werkverzeichnis besteht aus Kantaten sowie Passionen, Oratorien und Psalmvertonungen. 1722 wurde Telemanns erfolgreichste Passion erstmals aufgeführt: Seliges Erwägen des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi hat keinen erzählenden Evangelisten, sondern evoziert Etappen der Leidensgeschichte als Abfolge von neun Andachten, beginnend mit dem Abendmahl, Petrus Vermessenheit, dem betenden, dann verklagten und verspottetem Jesus, Petrus‘ Buße und dem blutenden, gekreuzigten, sterbenden und ins Grab gelegten Erlöser. Telemann kam aus einer Pastorenfamilie, seine anschauliche Passion entspricht der damaligen Gepflogenheit der persönlichen, kontemplativ Begegnung der pietistischen Lutheraner mit Christus, die mit expressiven Mitteln in den anschaulichen Passagen vertont wurden, die auch in Opern der Zeit gut aufgehoben wäre, z.B. Petrus‘ Qual „Foltern, Pech, vermischte Flammen“, die Szene am Ölberg oder auch in den Prophezeiungen. Wer Bachs Passionen im Ohr hat, kann hier auch durch die Opernhaftigkeit mancher Arien einen neuen Zugang finden. Die Partitur ist abwechslungs- und facettenreich und farbig im Klang. Neben Streicher und Generalbaß hört man Flöten, Oboen, Schalmeien, Fagotte und Hörner. Das renommierte und stets hörenswerte Freiburger Barockorchester spielte diese Passion mit 26 Musikern lebendig und spannend, Gottfried von der Goltz leitet die Aufführung an der ersten Geige. Sechs Arien und sechs Rezitative sind für Jesus komponiert, die Bariton Peter Harvey eindrücklich und stimmschön singt. Als Petrus ist Tenor Michael Feyfar zu hören, der seine Rolle musikalisch zerknirscht und gequält, quasi bühnenhaft plastisch interpretiert. Bariton Henk Neven ist als Caiphas nur einmal gefordert, seine einzige Arie ist voller Zorn. Es gibt verschiedene allegorische Figuren (Andacht, Glaube, Zion), die von Sopranistin Anna Lucia Richter und Tenor Colin Balzer engagiert gesungen werden. Es handelt sich um eine Live-Aufnahme des NDR vom Telemann-Festival Hamburg am 1. Dezember 2017, die Klangqualität ist gut, das Orchester kommt schön zur Geltung, sehr vieles gelingt. Der Chor besteht aus vier Sängern, neben Feyfar und Neven singen Hanna Zumsande und Julienne Mbodjè die elf Choräle. Das Quartett erweist sich dabei an manchen Stellen als inhomogen, die Stimmen harmonieren nicht, allerdings kann dies durch die Live-Aufnahmetechnik verursacht sein. Ein Chor hätte hier aufeinander eingeübter und eingespielter wirken können (2 CDs  Aparte, AP175).

Mit Reinhard Keiser verknüpft man die Blütezeit der Gänsemarktoper. Er kam 1697 nach Hamburg und komponierte zahlreiche Opern. Nach auswärtigem Engagement kehrte er 1728 nach Hamburg zurück, wo er Kantor am Hamburgischen Dom wurde. Seine Markus-Passion (eine von vielen) ist in zwei leicht unterschiedlichen Stimmabschriften erhalten, wann Keiser dieses Werk komponierte und aufführte, scheint nicht sicher datierbar. Johann Sebastian Bach soll sie während seiner Leipziger Kantorentätigkeit aufgeführt haben. Im Aufbau gilt Keisers Passionswerk als Vorbild für Bachs große Oratorien, bspw. gibt es Turbachöre und einen Evangelisten als Erzähler. Die vorliegende Einspielung entstand auf historischen Instrumenten im Mai 1993 und wird nun nach 25 Jahren wieder neu aufgelegt. Dirigent Christian Brembeck leitet das Ensemble Parthenia baroque vom Cembalo. In der Summe 10 Musiker, sechs Streicher, zwei Oboisten sowie Orgel und Cembalo, doch die schlichte Besetzung täuscht, Keisers Oratorium wirkt komplex und abwechslungsreich und steht zwischen Telemann und Bach. Bernhard Hirtreiter als Evangelist verleiht den Erzählungen Spannung, als Jesus singt Bassist Hartmut Elbert profund,  Jochen Elbert übernimmt eindrücklich die Rollen des Petrus und des Pilatus, Melinda Paulsen singt den Judas, Hohepriester und Hauptmann mit schönem Timbre, die Sopran-Arien teilen sich Tanja d’Althann und Petra Geitner. Fünf der sechs Solisten übernehmen auch mit drei weiteren Sängern als Parthenia vocal die Chorgesänge als Doppelquartett. Auch diese Passion ist eine wichtige Ergänzung zu den Bach-Werken (Christophorus CHR 7742). Marcus Budwitius

Musikalisch attraktiv

 

Mehr Glück in modernen Zeiten als ihre nur wenig ältere, ebenfalls in Paris uraufgeführte Schwester Lucie hat La Favorite Léonor und das sogar auf italienischen Bühnen, wobei man allerdings bedenken muss, dass die Produktion von Donizettis Oper nicht nur beim diesjährigen Maggio Musicale Fiorentino, sondern auch in Madrid und in Barcelona aufgeführt wurde.

Die konventionelle Inszenierung, in der eigentlich nur der Intrigant Don Gaspar (von Manuel Amati mit scharfem Charaktertenor in die Nähe eines sich windenden Spoletta gebracht) sich um eine prägnante Darstellung bemüht, alle anderen sich eher in einer halbkonzertanten Aufführung zu ergehen scheinen, wird von Ariel Garcia-Valdés verantwortet, das sparsame Bühnenbild von Jean-Pierre Vergier, der auch die Kostüme mit viel Glitzer (selbst die Kutten sind aus Lurex-Material) geschaffen hat. Ein schwarzes Ungetüm ist mal Steilküste, mal Klosterpforte, mal Turm im königlichen Palast, die Damen des Chors oder zumindest ihre hochgetürmten Perücken scheinen allesamt aus Afrika zu stammen, die Herren tragen Teesiebartiges auf den Häuptern. Alles in allem wirkt die Optik recht provinziell.

Sehr viel besser ist es um die musikalische Aufführung bestellt, denn Fabio Luisi entlockt dem Orchester eine breite Palette vom zarten Antippen der Themen bis zum wirkungsmächtigen Aufbauen besonders des Finales vom 3. Akt. Die Sinfonia lässt viel Italianità hören trotz der französischen Version, und als Sängerbegleiter stellt der inzwischen auch ergraute Dirigent seine von ihm bekannten Qualitäten unter Beweis.

Eher wie ein eleganter Weltgeistlicher als ein strenger Glaubenskämpfer wirkt der Balthazar von Ugo Guagliardo, der allerdings eher optisch als vokal Bewunderung erzeugt. Sein Bass ist eher dunkelgrau als schwarz,  in der Tiefe hohl, und ein beeindruckender Fluch ist einfach zu wenig für die Partie. Publikumsliebling ist, wie der Schlussapplaus beweist, der Bariton Mattia Olivieri mit angenehmer Erscheinung, warm und ebenmäßig gefärbter Stimme von schönem Ebenmaß. Gegenüber diesen beiden attraktiven Herren wirkt Celso Albelo als Fernand noch rundlicher, ländlicher und unbedarfter als bereits für sich genommen, aber er entschädigt mit einer stilsicher geführten, hellen, in Mittellage wie strahlender Höhe gleich präsenter Tenorstimme, die das berühmte „Ange si pur“ nicht weinerlich, sondern wunderschön melancholisch singt.

Einen frischen, jungen Sopran steuert Francesca Longari, die den „doux zéphyr“ anmutig wehen lässt, als Ines bei. Veronica Simeoni ist eine attraktive Léonor. Der Mezzo ist bereits in den großen Verdi-Partien zu Hause, sie weiß aber hier die Stimme schlank zu halten, bleibt auch in den Höhen reich an Mezzofarben und singt „O mon Fernand!“ mit sanftem Wohllaut. Ihr Ende verklärt sie mit visionärem Klang.

Insgesamt rettet sich die optisch eher ärmlich wirkende Produktion durch die guten Leistungen im akustischen Bereich (Dynamic 57822). Ingrid Wanja