Emmerich Kálmán gehört zu den bekanntesten Operettenkomponisten des 20. Jahrhunderts – doch wir verbinden seinen Namen meist nur mit seinen beiden großen Kassenschlagern: Die Czardasfürstin und Gräfin Mariza. Jetzt ist beim Label cpo eine vergessene Operette erschienen: Kaiserin Josephine. Emmerich Kálmán war sehr produktiv, neben einigen kleineren Possen und Einaktern hat er immerhin 15 abendfüllende Operetten und drei Musicals komponiert. Paradoxerweise sind ausgerechnet die konservativeren Stücke von ihm Dauerbrenner, in denen er sich auf altbewährte Operettenrezepte verlassen hat. Doch Kálmán war ständig auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln in seinem Genre, er hat mit Jazzelementen ebenso experimentiert wie mit Exotismen und opernnahen Strukturen. Sicher ist er da manchmal zu exzentrisch gewesen, um ein großes Publikum glücklich zu machen. Wie in Kaiserin Josephine, wo er sehr mit der großen Oper kokettiert.
Das Ganze ist eine Historien-Operette, die sich um die oft romantisierte Liebes-Geschichte Napoleons dreht. Die Gestalt Josephines gäbe einiges her. Daraus hätte man durchaus eine schöne Geschichte stricken können – aber dies hier ist dann doch eher eine recht zusammenhangslose kitschige Revue, die sich über ein Jahrzehnt und acht zähe Bilder erstreckt und die mit der Krönung endet – eigentlich schade, denn das historisch interessanteste an dieser Ehe war nicht die Krönung, sondern die Scheidung, die erste moderne der Neuzeit überhaupt (Napoleon hatte die neuen liberalen Gesetze dafür praktischerweise kurz vorher selbst erlassen.) Das wäre ein toller potenzieller Operettenstoff, der hier gar nicht genutzt wurde. Sehr merkwürdigist, dass Kálmán stattdessen für seine letzte echte Operette so ein verzwicktes und humorloses Libretto gewählt hat – und es dann musikalisch sehr unentschlossen zwischen großer Ausstattungsoper und Musical angesiedelt hat. Große, etwas steif durchkomponierte Tableaus und Melodramen dominieren, und nur hin und wieder blitzt etwas von Kálmáns altem Charme auf.
Verpatzte Chance in den Hauptrollen: Wenn man dieses opernhafteste Werk Kálmáns schon ausgräbt, müsste man es auch groß besetzen. Um die enormen Anforderungen an die Hauptakteuere Napoleon und Josephine souverän umsetzen zu können, bräuchte es eigentlich ein Paar vom Schlage Diana Damrau / Jonas Kaufmann. Vincent Schirrmacher als Napoleon ist eine ordentliche Tenorbesetzung, er hat sogar beachtlich sinnliche Momente – aber wenn die Partie nicht mit Leichtigkeit und Anmut serviert wird, fällt die Musik zusammen wie ein misslungenes Soufflée. Miriam Portmann als Josephine versetzt dem Werk endgültig den Todesstoß. Sie ist weder textlich zu verstehen (was allerdings auch am tontechnisch unausgewogenen Mitschnitt liegen kann), noch gelingt es ihr, die Partie mit Charme und Delikatesse zu zelebrieren.
Genialer Dirigent: Das ist doppelt bedauerlich, denn ich werde nicht müde zu betonen, dass der wohl beste österreichische Operettendirigent der Gegenwart Marius Burkert heißt. Er müht sich nach Kräften, sein Ensemble aufzuwerten (übrigens gibt es in den kleineren Rollen auch gut besetzte Sänger wie Roman Martin) und stimmliche Mattheit durch orchestrale Brillanz wettzumachen. Auch diesmal ist das Franz Lehár-Orchester unter seiner Leutung absolut überzeugend; zu schade, dass Burkerts Talent dort wirklich nicht gut eingerahmt ist. Aber so bekommt man wenigstens eine Ahnung, wie elegant und mondän Kálmáns großartige Instrumentierung klingt (mit Vincent Schirrmacher, Mirjam Portmann, Theresa Grabner, Roman Martin; Chor des Lehár Festivals Bad Ischl, Franz Lehár-Orchester; Leitung Marius Burkert; cpo 2 CD 555136-2). Matthias Käther