Archiv des Autors: Geerd Heinsen

OPÉRA POUR LA PAIX

 

Der Frieden von Aachen beendete 1748 den achtjährigen österreichischen Erbfolgekrieg, der von verschiedenen europäischen Mächten an Schauplätzen weltweit ausgefochten wurde. Der französische König Ludwig XV. ließ diesen Frieden ab Februar 1749 mit viel Aufwand feiern. In England entstand aus diesem Anlaß Händels Feuerwerksmusik. Der damalige Direktor der Académie Royale de musique Joseph Guénot de Tréfonatine gab zur Feier eine Oper, die die aktuelle politische Situation aufgreifen sollte, bei den führenden Künstlern in Auftrag. Jean-Philippe Rameau und seinem langjährigen Librettisten Louis de Cahusac war bereits im Jahr zuvor mit Zaïs ein großer Erfolg gelungen. Innerhalb von ca. fünf Wochen beendeten sie ihre neue Oper: Naïs bekam den Untertitel Oper für den Frieden. Tréfonatine scheute keine Kosten und produzierte eine aufwändige Operninszenierung mit den Stars ihrer Zeit, aufwändigen Kostümen und Bühnenbildnern sowie Verwandlungen und pyrotechnischen Effekten. Im April 1749 war Premiere im Palais Royal, es folgten 48 Aufführungen in Folge. Naïs wurde ein eindeutiger Erfolg. Doch Tréfonatine hatte die Akademie schon zuvor so hoch verschuldet, dass der König seine Amtsführung als unzufriedenstellend betrachtete, ihm das Opernprivileg entzog und es der Stadt Paris übertrug. Naïs erzählt eine mythologische Geschichte. Im Prolog revoltieren Giganten und Titanen gegen die Olympier. Jupiter (also Ludwig XV) verbündet sich mit anderen Göttern, um die Welt zu befrieden und teilt seine Macht auf: er beherrscht Himmel und Erde, Neptun das Meer und Pluto die Unterwelt. Die dreiaktige Haupthandlung beginnt bei den in Korinth abgehaltenen Istmischen Spielen, bei der der anonym auftretende, verkleidete Neptun hofft, auf die Nymphe Naïs zu treffen, in die er verliebt ist und die seine Liebe erwidern wird. Doch es gibt Konkurrenten, die eifersüchtigen Astérion und Télénus begehren ebenfalls Naïs und interpretieren einen Orakelspruch von Naïs‘ Vater Teiresias über den drohenden Zorn Neptuns als Aufforderungen, den Rivalen (also Neptun) zu töten, um den Meeresgott zu besänftigen. Naïs warnt den immer noch unbekannten Verehrer vor den Attentätern, deren angreifendes Schiff wird vom Meer verschlungen, die Prophezeiung an Astérion und Télénus erfüllt. Neptun offenbart sich als Gott und macht Naïs zu seiner Frau. Verwendet wird als Partitur eine neue kritische Ausgabe der Sammlung Opera omnia de Rameau.

Das Orfeo Orchestra unter György Vasheghi setzt auf Opulenz, Effekte und Kontraste, die 36 Musiker des Orfeo Orchestras spielen abwechslungsreich und farbig bei oft hohem Tempo, es gibt eine historische Sackpfeife, Flöten und Piccolo-Flöten, Oboen, Fagotte, Trommel, Pauke und Trompeten – Rameaus Musik will klangmalerisch, fesselnd und entfesselt sein und so wird es auch von Orchester und Dirigent umgesetzt. Die Ouvertüre ist in kriegerischer Aufruhr, der folgende Prolog ist spannend und von herrschaftlichem Selbstverständnis. Immer wieder gibt es Divertissements, eine lange Chaconne mit Balletteinlage repräsentiert die Sportler, man hört im Verlauf der Oper Menuette, Sarabande, Gavotte und eine Pastorale. Es gibt Vogelgezwitscher und eine Orakelszene im pastoral wirkenden 2. Akt, der dramatischere 3. Akt mit Seeschlacht endet mit einem Ballett. Naïs ist ein originelles Werk Rameaus, das vom Dirigenten expressiv aufgeladen wird und oft aufregend klingt. Die Sänger haben virtuose Airs mit viel duftender französischer Lyrik, die überwiegend von renommierten Muttersprachlern und Barockexperten über ein große Bandbreite an Stimmungen authentisch dargeboten wird. Chantal Santon-Jeffery singt Naïs mit flexibler Stimme und starkem Ausdruck zwischen Hoffen und Bangen, Reinoud van Mechelen ist mit seiner geschmeidigen Stimme ein charmanter Neptun, sein kultivierter Tenor überzeugt vom Auftakt des 1. Akts mit „Je ne suis plus ce Dieu volage“ ebenso wie bei seinem großen Monolog „La jeune nymphe que j’adore“ zu Beginn des dritten Akts. Der argentinische Tenor Manuel Nuñez-Camelino hat als Astérion mit „Les ennuis de l’incertitude“ eine der schönsten Arien, die er hingebungsvoll interpretiert. Beide Baritone sind eine tadellose Wahl, Thomas Dolié hat mit Pluton und Télénius die dunklen Rollen, Florian Sempey ist in der Doppelrolle als Jupiter und Tirésie zu hören. Der ungarische Purcell Choir ist schwungvoll engagiert und stets präsent. Der englische Musikwissenschaftler Cuthbert Girdlestone hat in seiner 1957 erschienenen maßgeblichen Werkbiographie Rameaus nur wenig über Naïs geschrieben und es quasi als weniger interessantes Nebenwerk abgetan. Wenn man sich diese Neuaufnahme anhört, will man widersprechen: ein Klangerlebnis mit beredter Musik und zupackend dargeboten! (2 CDs, Glossa, GCD 924003). Marcus Budwitius

Akustische Resteverwertung?

 

Viele Firmen haben in der Vergangenheit versucht, mit den Mitschnitten von den Bayreuther Festspielen Geld zu verdienen – von den legendären „offiziellen“ der EMI, der Decca, Testament, Philips über die ebenfalls mythischen der Nachkriegszeit bei grauen Labels zu den ungemein lobenswerten Veröffentlichungen bei orfeo (der wunderbare Tristan mit der Mödl damals als einzig hinreißend aufbereiteter Auftakt der stattlich gewachsenen Reihe, über die wir stets berichten), als Videos bei DG, Unitel Classica et al. Und nun bringt die Firma opus arte die Bayreuther Früchte der jüngsten Jahre heraus, als Videos bereits bis 2015, nun auf CD als eine neue Offensive mit Aufführungen ab 2008, die alle bereits live und vom Ort besprochen wurden und an deren Meriten oder Kritikpunkte sich viele Wagnerfreunde noch erinnern. Vieles erscheint bei reiner Akustik offensichtlicher als durch die Optik kompensiert (oder umgekehrt). Man wird aber den nagenden Zweifel nicht los, ob es sich bei den CDs nicht doch um die Soundtracks der 2015 bereits auf 12 DVDs herausgebenen Opernbox/OA1194BD handelt… eine Resteverwertung also? Was hört man also wirklich? Im Folgenden die ersten CD-Besprechungen in diesem bunten opus-arte-Früchtekorb aus Bayreuth, weitere folgen. Ingrid Wanja hört sich tapfer durch die Dokumente. Das Foto oben zeigt eine Teilansicht der bekannten Wagner-.Büste in Bayreuth/ Foto Winter.

 

Die Meistersinger“ von Nürnberg, Bayreuth 2008, bei opus arte (3 CD QACD9031 D)

Optik gegen Musik: Überrascht ist der Hörer der Meistersinger von Nürnberg aus dem Bayreuth von 2008, dem zweiten Durchgang nach der Premiere im Jahr zuvor, von den mit den letzten Takten von Musik einsetzenden Buh-Rufen: So schlecht war die Aufführung doch nicht! Aber bei einem Blick auf die spärlichen Fotos, einem Walther in unsäglich hässlichem Kostüm und einem auf weißem Ledersofa aus der Bierflasche trinkenden Sachs wird klar, dass die Unmutsbezeigungen wohl der Optik, nicht dem Gehörten galten. Und da ist man froh, es nicht sehen zu müssen.

Den allerstärksten Kontrast dürften beide sich im Quintett des dritten Akts in der Schusterstube liefern, das Michaela Kaune mit einer wunderbaren Süße in der Stimme, innig, beseelt, mit schön aufblühender Höhe, dabei noch sehr mädchenhaft und reicher Agogik  anführt und damit ihr Engagement rechtfertigt, nachdem im Jahr zuvor Amanda Mace die Partie gesungen hatte.. Ebenfalls tadellos ist Michael Volle als Beckmesser, eigentlich bereits ein Sachs und fast schon zu markant für den Stadtschreiber. Artur Korn ist ein Pogner mit angenehmer Wärme in der Stimme, singt „Das schöne Fest“ mit fast italienischem Legato, phrasiert wissend und ist vorbildlich textverständlich. Eigentlich männlicher als der Stolzing wirkt der Tenor von Norbert Ernst als David, der viel akustische Abwechslung in die langen Belehrungen des Ritters bringt, viel Munterkeit, gewandt und wendig bei beachtlicher Textverständlichkeit. Eine jungstimmige Magdalene ist Carola Gruber, manchmal etwas zu soubrettig zwitschernd.

Einen Riesenerfolg soll Klaus FlorianVogt als Stolzing beim Bayreuther Publikum errungen haben. „Am stillen Herd“ vermeint man einen Knaben sitzen zu hören, die Erzählung klingt wie ein Märchen für Kinder, die Mittellage des Tenors war damals noch weniger präsent als in letzter Zeit. Das Preislied wird mit strahlender Höhe, aber insgesamt zu monoton gesungen, auch hier irritiert besonders am Anfang die Knabenstimme.

Einen recht grobkörnigen, knorrigen Sachs gibt Franz Hawlata. Sein Fliedermonolog zeigt wenig akustischen Duft, die Stimme ist nicht farbig, geschmeidig und warm genug, was besonders beim Wahn-Monolog auffällt. „Verachtet mir die Meister nicht“ hat wenig vokale Autorität, klingt unangenehm grimmig, und „deutsch“ wird fast verschluckt, was jedoch kein Wunder ist bei all dem Wesens, was um diese damals noch ganz unschuldige Vokabel gemacht wird. Jedes Regisseurs Pflicht sollte es sein, einen Blick in die Geschichtsbücher zu wagen, ehe er sich graue Haare über dem Grübeln darüber wachsen lässt, wie man das Wörtlein desinfizieren, eliminieren, entnazifizieren kann.

Das Orchester unter Sebastian Weigle zaubert stimmungsvoll im Vorspiel zum 3. Akt, lässt flüssig und leichtfüßig, wenn angebracht mit schönem Ernst  den Reichtum der Partitur zu ihrem Recht kommen. Machtvoll stimmt der Chor unter Eberhard Friedrich das „Wach auf!“ an (3 CD QACD9031 D). Ingrid Wanja    

 

„Lohengrin“ aus Bayreuth 2011 bei opus arte/ daraus oben ein Ausschnitt (3 CD QA CD9034 D), daraus Foto oben eine Vergrößerung aus dem Cover

Vogt anstelle von Kaufmann: Recht froh ist man bei der Betrachtung des Covers für die drei CDs des Bayreuther Lohengrin von 2011, dass man nur hören darf und nicht sehen muss, handelt es sich doch um den Ratten-Lohengrin von Hans Neuenfels, der 2010 seine Premiere in Bayreuth erlebte. Waren damals Jonas Kaufmann als Lohengrin und Evelyn Herlitzius als Ortrud zu erleben, so gab es ein Jahr danach als Alternativ-, wenn nicht gar Kontrastbesetzung Klaus Florian Vogt und Petra Lang. Geblieben ist Andris Nelsons mit beherztem Dirigat schöner Steigerungen und der Lust an extremen Tempi. Als vorzüglich erweisen sich Frauen-, Männer- und gemischter Chor (Eberhard Friedrich) bei ihren vielfältigen Eingriffen ins Geschehen.

Süßstimmig und knabenhaft, wie man ihn kennt, erledigt sich Klaus Florian Vogt auch dieser Aufgabe, wobei der Lohengrin aus bekannten Gründen die geeignetste Partie für den höhensicheren Tenor, dem das Fundament zu fehlen scheint, ist. Allerdings ist er völlig unheldisch, wenn nicht wesenlos, tadellos nur im Piano, aber wenig heischend im Frage-Verbot, und „du fürchterliches Weib“ würde selbst zaghaftere Damen, als Ortrud eine ist, nicht in Verlegenheit bringen. „Heil dir, Elsa“ wird monoton gehaucht, und wenn es in der Brautnacht nicht klappt, glaubt man den Schuldigen schnell gefunden zu haben, so unerotisch werden die „süßen Düfte“ beschworen. Vor sieben Jahren war die Mittellage noch wenig präsent, so dass der Beginn der Gralserzählung farblos bleibt, die erste Erwähnung der Taube als Fermate manieriert klingt, und obwohl der Sänger sich um eine reiche Agogik bemüht, wechselt die Stimme oft nur zwischen knabenhaft und greinend. Zärtlich allerdings hört sich das „und bei dem Ringe soll er mein gedenken“ an und setzt so einen schönen Schlusspunkt.

An ihrer schlechten Diktion leidet die Elsa von Annette Dasch, das Vibrato hält sich damals noch in tolerierbaren Grenzen, die Stimme klingt frisch, aber „Es gibt ein Glück“ enttäuscht, weil ausgesprochen salbungsvoll dargeboten, nichts ist von Entrücktheit zu vernehmen.

Petra Lang  hat wenig von der düsteren Ortrud, und ihr „Gott“ klingt längst nicht so schrecklich, wie der Gatte meint. Deswegen schickt sie ihm wohl auch noch eine grässliche Lache hinterher. Ihr „Entweihte Götter“ allerdings lässt deren Thron wackeln, und sie wirkt durch die ungefährdeten Schärfen in der Höhe, während die Mittellage blass bleibt. Unverständlich bleibt sie leider vor dem Dom, hat davor, in der nächtlichen Szene, aber eine feine Falschheit in der Stimme.

Einen echten Heldenbariton kann Jukka Rasilainen für den Telramund einsetzen, der im Unterschied zu Kollegen auch noch vor dem Dom eine urgesunde, unangefochtene Stimme vernehmen lässt. Besonders seine gute Diktion erfreut den Hörer. Er hätte es nicht nötig, seinen Bariton durch Vokalverzerrungen bösartiger erscheinen zu lassen. Markant und ebenfalls durch Textverständlichkeit beeindruckend ist der Heerrufen von Samuel Youn. Zwar könnte man sich einen jünger und heller klingenden Bariton wünschen, aber das ist Geschmackssache (3 CD QA CD9034 D). Ingrid Wanja     

 

Frisch vom Friseur: Kaum zu glauben, dass die beiden Herrschaften mittleren Alters in Tristan und Isolde, sie im braven kanariengelben Kleidchen mit frischer Dauerwelle, er mit Schlips und Kragen ihr scherzend einen Handschuh zum Hineinbeißen hinhaltend, sich den Wonnen des Herniedersinkens der Nacht hingeben können. Allzu spießig und eher einer guten Tasse Kaffee als dem Liebestrank zugetan hatte 2009 Christoph Marthaler das unsterbliche Liebespaar in seiner Bayreuthinszenierung gesehen, und der Hörer tut gut, das Cover beiseite zu legen und sich  beim Hören auch nicht von der Rückseite der CD-Kassette mit obligatem Lazarettbett irritieren zu lassen.

Hörenswert ist vor allem Robert Dean Smith, optisch immer ein bisschen phlegmatisch wirkend, aber hier mit einem grundsoliden Tenor aufwartend, mit sehr guter Diktion, angenehmem Timbre, einem Tenor, der in allen Lagen gleich gut anspricht, auch im dritten Akt keine Ermüdungserscheinungen zeigt und am Ende des ersten Akts den Taumel, in den die Liebenden geraten, nachvollziehbar macht. Wunderschön gesungen ist „O sink‘ hernieder“ (gehört denn nach „sink“ ein Apostroph?) Emphatisches gelingt dem Sänger ohne hörbaren Druck auf die Stimme, die stellenweise im dritten Akt- und dies als Ausdrucksmittel, wie erloschen klingt. Eine ergreifende Studie liefert  Robert Holl als König Marke mit tiefdunklem Bass, in dem viel Trauer liegen kann. Im ersten Akt noch dröge, im dritten dann angemessen knorrig und Kernig ertönt der Kurwenal von Jukka Rasilainen, der mit einem zarten „Lebst du noch?“ rühren kann. Sehr dunkel besetzt ist der Melot mit Ralf Lukas, dessen Stimme sehr schön ist, aber nicht das eifernd Geifernde bringen kann, was die Partie verlangt. Den jungen Seemann lässt Clemens Bieber mit immerjungem Tenor seine Sehnsucht ausdrücken.

Sehr wenig versteht man dem, was die Isolde von Iréne Theorin zu singen hat, nicht einmal „Er sah mir in die Augen“, und so kann nur der ihre Leistung genießen, der textsicher ist. Sehr schön ist die farbige Mittellage, die ihre ist eine bedeutende, wissende Stimme, der man die starke Frau, die sie darstellt, abnimmt. Geheimnisvoll klingt „Kennst du der Mutter Künste“, schön ist das Piano vor „O sink hernieder“, leider häufig schrill die Höhe insbesondere im Forte. Auch in den Liebestod schleicht sich Scharfes und Spitziges ein. Eine sanfte Wächterin ist die Brangäne von Michelle Breedt, deren Gesang sich mit warmem Timbre und sehr kontrolliertem Singen der Habenseite der Aufnahme zuordnen lässt. Diese wurde nicht von mehreren Aufführungen zusammengeschnitten, sondern stammt zu Gänze vom 9.August 2009, einer Vorstellung, in der das Orchester unter Peter Schneider eine solide, aber keineswegs mitreißende Aufnahme ermöglichte (3 CD opus arte OA 9033). Ingrid Wanja 

Ausgrabungen mit akustischer Gräue

 

Peter Tschaikowski gehört zu den berühmtesten russischen Komponisten, und auch einige seiner Opern sind überall auf der Welt populär. Genauer gesagt, zwei: Eugen Onegin und Pique Dame. Jetzt ist eine Box beim Label hänssler herausgekommen, die sämtliche Opern von ihm präsentiert – auf 22 CDs mit karger Beilage.

Es gibt acht vollständige Opern von Tschaikowski, einige davon wahrlich zu Recht vergessen, bei anderen wundert es mich, dass sie nicht häufiger auf den Bühnen zu finden sind, wie etwa die Jungfrau von Orleans, eine „Schiller“-Oper im Fahrwasser der Pariser Grand Opéra mit Ballett, großen Chören, Duetten und kaum einer langweiligen Minute. Sie ist hier zu finden neben Raritäten wie dem Leibwächter, der Zauberin und den Pantöffelchen. Ja sogar die Opern-Fragmente hat hännsler aufgetrieben! Endlich kann der Tschaikowsky-Fan die erhaltenen Noten aus dem Vojewoden, Undine und Mandragora hören. Abgerundet wird das Ganze – als wäre das nicht genug – durch die Schauspielmusiken zu Schneeflöckchen und Hamlet. (Fast alle Aufnahmen stammen vom russischen Radio, ganz wenige aus dem sehr historischen Bestand der Melodya, alles sehr antik. Deshalb auch rechtefrei für hänsslers  Resteverwertung. Und das gibt es in Teilen woanders akustisch besser. G. H.)

Viele Aufnahmen in verstörender Qualität: Grund zum Jubeln, sollte man denken. Doch weit gefehlt – die hier versammelten historischen russischen Gesamt-Aufnahmen (meist kommen sie vom Ensemble des Bolschoi-Theaters) der 1930er bis 60er Jahre sind in einem sehr unterschiedlichen Zustand auf die CD gekommen.  Manches (weniges!) erstaunlich klar und kristallin, wie die Pantöffelchen. Anderes ist selbst für Rausch-Hust-und Knister-Kummer gewöhnte Klassik-Fanatiker kaum zu ertragen. Das sind größtenteils – man verzeihe das harte Wort – saumäßig aufbereitete Aufnahmen. (Allerdings hat man endlich alle drei Szenen der Zara Dolukhanova aus Schneeflöckchen beisammen, das ist ja was. G. H.)

Ausgerechnet Pique Dame und Eugen Onegin sind kaum anhörbar. Es gibt Edinsonsche Rollen der Jahrhundertwende, die dagegen klingen wie Kunstkopf-Stereo. Angesichts dieser entsetzlichen Qualität habe ich mich gefragt, was man eigentlich tun muss, um Schellacks so unwürdig zu präsentieren. Das scheint mir gar nicht so einfach zu sein. Der Kopfhörer und die Anayse am Computer zeigt es – hier wurden alte Platten mit analogen Umschnitten noch einmal umgeschnitten. Das entspricht – um es höflich auszudrücken – nicht mehr den Standards des 21. Jahrhunderts.

Doch der Preis – 50,00 Euro bei 22 CDs – samt der schönen Idee, hier den kompletten Opern-Tschaikowsky in authentischen Aufnahmen zu präsentieren, besänftigt den Zorn des Kritikers etwas. Netter Versuch. Dennoch wäre es schön gewesen, genau diese Box noch einmal, meinetwegen fürs doppelte Geld zu gekommen – dann bitte mit professionell restaurierten Aufnahmen (Peter Tschaikowski: Sämtliche Opern und Opern-Fragmente: Voyevoda, Undina, Mandragora, Oprichnik, Chervichki, Eugen Onegin, The Maid of Orleans, Mazeppa, The Enchantress, The Queen of Spades, Iolanta, Romeo & Julia, The Snow Maiden, Hamlet mit Vladimir Atlantov, Alexei Ivanov, Andrei Ivanov, Nikander Khanaev, Ivan Kozlovsky, Sergei Lemeshev, Maria Maksakova, Georgi Nelepp, Elizaveta Shumskaya, Bolshoi Theatre Orchestra, Alexander Gauk, Nikolai Golovanov, Boris Khaikin, Vasily Nebolsin; hänssler Classic; PH17053). Matthias Käther

Heiteres aus der zweiten Reihe

 

Komische Opern, die auf den Bühnen überlebt haben, sind meist Exportschlager aus Italien oder Frankreich. Englische Exemplare sind dagegen hierzulande kaum bekannt. Jetzt ist eine Comic Opera erschienen – in hochkarätiger Einspielung mit den BBC Singers und dem BBC Concert Orchestra: The Montebanks (Die Scharlatane). Den Komponisten Alfred Cellier muss man nicht kennen. Den Librettisten schon: Sir William Gilbert, der berühmte Textdichter der Werke von Gilbert & Sullivan.

Die Scharlatane – das ist ein Stoff, den Gilbert immer von Sullivan vertont haben wollte und den Sullivan so bescheuert fand, dass sich schließlich eben jener Cellier erbarmt hat. Das Ergebnis klingt fast wie Sullivan. Kein Wunder: Cellier kannte den Mann, den er imitieren sollte, nur zu gut. Er war Sullivans Schatten und dirigierte die meisten seiner großen Erfolge, nachdem der Maestro nach dem Premierenabend den Stab an ihn abgab. The Mountebanks – das ist eigentlich der übliche amüsante Schwachsinn von Gilbert. In diesem Fall aber ist alles so kompliziert, dass ich Sullivan durchaus verstehen kann, wenn er hier die Finger davon ließ.

Ein Zaubertrank hat die Fähigkeit, alle als das erschienen zu lassen, was sie sein wollen oder vorgeben zu sein. Und in diesem Fall verstört das Gesöff eine Gasthausgesellschaft, in der jeder das Motiv hat zu schwindeln. Frauen geben vor, irgendwelche Männer zu lieben, eine weibliche Hauptperson simuliert Wahnsinn. Andere geben sich als Personen aus, die sie nicht sind. Man kann sich vorstellen, was für ein heilloses Chaos entsteht, wenn der Zaubertrank die Leute wirklich verliebt oder wahnsinnig macht.

Nicht schlecht für einen Ersatzmann: Interessant wird das Ganze dennoch, wenn man genauer hinhört. Vor allem musikalisch. Denn im Prinzip ist dies eine Sullivan-Oper für Leute, die Sullivan nicht mögen. Cellier hat grandiose Einfälle, die sich als echte Über-Sullivans herausstellen. Glanznummern wie das Terzett „When Gentlemen are Eaten Up with Jealousy“ klingen, als hätte Chabrier Sullivan parodiert.
Erfreulicherweise kann Cellier einige Schwächen in der Musik seines Vorbilds erstaunlich souverän ausbügeln. Er hat zum Beispiel auch schöne lyrische Einfälle (ich bin immer noch verzweifelt auf der Suche nach einer wirklich großen melancholischen Melodie bei Gildert & Sullivan), und kann lebendige, abwechslungsreiche Chöre schreiben – bessere als das Vorbild, dessen Manierismen besonders in den nähmaschinenartig dahinrasselnden Chören ärgerlich auffallen.
Leider gibt es aber auch bei Cellier Songs von der Stange und jede Menge musikalische Beschäftigungstherapien fürs Ensemble, um die Zeit herumzukriegen. Ich fürchte, das liegt daran, dass hier ein im Grunde hochbegabter Komponist seine große Chance zu spät bekommen hat – er war todkrank, als er das schrieb, und starb kurz vor der Premiere. Allerdings muss man zu seiner Verteidigung sagen: Die Schwächen wären weniger auffällig, wenn man hier die Dialoge nicht komplett gestrichen hätte und so alles ohne Pause hintereinander hören muss.
Die Interpretation selbst ist wirklich hochrangig und liebevoll umgesetzt, mit einem sorgfältigen John Andrews am Pult und durchweg soliden Sängern. Ich wünschte, alle deutschen Spielopern auf CD wären so erstklassig eingespielt worden. Ich möchte keinen der zehn Sänger einzeln hervorheben – wir kennen hier in Deutschland kaum einen von Ihnen. Die sehr britische gute Ensembleleistung lässt keinen besonders herausragen – und das meine ich diesmal durchaus als Kompliment (Alfred Cellier: „The Mountebanks“/ „Die Scharlatane“: Mit Soraya Mafi, Thomas Elwin, James Cleverton; BBC Singers; BBC Concert Orchestra John Andrews; Dutton Vocalion; 2CD CDEA7349) Matthias Käther

Unendlich langweilig

 

Eduard Künneke ist einer der wichtigsten deutschen Operettenkomponisten der 20er und 30er Jahre – aber noch längst sind nicht alle seine wichtigen Werke auf CD zu haben. Das Label Capriccio hat nun eins nachgelegt, ein Werk, das während der NS-Zeit entstand, Herz über Bord.

Die Uraufführung fand 1935 in Zürich statt, doch das Werk wurde noch im selben Jahr in Deutschland gezeigt. Ein hybrides Werk – das Libretto stammt von zwei jüdischen Autoren, der schöne Titel wurde dem gleichnamigen Roman der ebenfalls jüdischen Schriftstellerin Lili Grün entlehnt. Vielleicht als kleines inoffizielles Dankeschön heißt die Hauptfigur der Operette auch Lili – ansonsten hat die Handlung mit der Vorlage wenig zu tun.

Es muss eine schwierige Arbeit gewesen sein – den Librettisten war ganz sicher nicht nach Scherzen zumute, und auch Künneke wusste noch nicht so recht, ob er in Nazi-Deutschland als Komponist weiter auf den Drahtseil tanzen konnte. Die Verse sind extrem schlecht, selbst für eine silberne Operette, und Künneke komponiert über weite Strecken lapidarer und formelhafter als sonst.

Das wäre allerdings nicht so schlimm, hätten wir seine originale Partitur. Künneke konnte schwächere Einfälle stets mit brillanter Instrumentierung übertünchen, er war quasi der Rimski-Korsakov der Operette. Und auch die Partitur von Herz über Bord muss ein Wunderwerk gewesen sein – ein Jonglieren mit Jazz-Stilmitteln, ohne den Jazz zu offensiv zu zeigen.

Saxofon, gestopfte Trompeten, Banjo, zwei Klaviere sind eingeflochten. Aber diese Instrumentierung ist verschollen, wir haben nur den Klavierauszug. Die Rekonstruktion, die hier versucht wurde, geht auf Franz Marszalek zurück, ein verdienstvoller Operettendirigent, aber eben nicht Künneke – und da merkt man doch, finde ich, dass es nicht ganz bis zur überragenden Meisterschaft reicht, die Instrumentierung aller liebevollen Rekonstruktion hat nicht den Pfiff, den wir von andern Werken kennen, etwa vom etwa gleichzeitig entstandenen brillanten Klavierkonzert.

Enttäuschend seifig: Hier zeigt sich das Dilemma vieler Operettenproduktionen der letzten Jahre besonders deutlich. Bieder gesunge große Dostal- oder Abraham-Operetten wirken wenigstens noch durch ihre Inspiration, die wie eine Tropensonne durch die verschmutzten Scheiben dringt. Wenn ein Operettenwerk selbst nur dunkel glimmt wie hier und gesungen wird wie ein früher Einakter von Schubert, ist das Ganze ein echter Rohrkrepierer.

Diese CD ist unendlich langweilig, und das bei einer Operette, die zwar Durchschnittsware ist, aber in vielen Nummern durchaus Potential hat, bei bissiger und pfeffriger Interpretation aufzublühen. (Wobei wirklich gesagt werden muss, dass einige Szenen einen absoluten Tiefpunkt nicht nur in Künnekes Werk, sondern in der Gattung Operette überhaupt darstellen).

Dass man hier aber selbst bei heißen Tanzduetten sanft einnickt, ist nicht unbedingt Schuld der Sänger – die wurden einfach falsch ausgewählt und angeleitet. Martin Koch hat das Zeug zu einem guten Tenor-Buffo, wird hier aber zum Haupttenor hochfrisiert, beide Damen, Annika Boos und Linda Hergarten, wären, das spürt man, mit mehr Ermunterung sicher zu frecheren und doppelbödigeren Interpretationen in der Lage gewesen, bleiben aber in einer Unverbindlichkeit stecken, die in solch einem Werk der Tod ist, und nur Julian Schulzki als Albert wirkt nicht fehl am Platze.

Sicher ist diese Reserviertheit der Sänger auch den extrem schlechten Texten geschuldet. Aber Wayne Marshall am Pult ist einfach eine Enttäuschung. Das ist mir zu mechanisch und seifig dirigiert, ohne den Glanz der 30er, ein sehr austauschbarer Sound – es klingt wie in den schlimmen Tagen von John McGlinn und dessen aalglatten weißgewaschenen Musical-Aufnahmen.

Für mich doppelt bitter, weil ich grundsätzlich ein großer Fan des WDR Funkhausorchesters bin (Eduard Künneke: Herz über Bord; mit Annika Boos, Linda Hergarten, Martin Koch, Julian Schulzki;  WDR Rundfunkchor; WDR Funkhausorchester; Wayne Marshall; Capriccio C5319 PC.) Matthias Käther

Der unsichtbare Tod

 

Das Neugeborene stößt endlich den ersten Schrei aus, derweil seine Mutter stirbt. Nachdem bislang die Streicher gespielt haben, treten zu erlösenden Schrei die Holzbläser hinzu. Das passiert am Ende des Einakters. Nach knapp 20 Minuten. Nicht länger dauert L‘ intruse (Der Eindringling), der zusammen mit Interieur und La Mort de Tintagiles (Der Tod des Tintagiles) Aribert Reimanns Trilogie Lyrique L ´invisible (Das Unsichtbare) bildet. Das hört sich komplizierter an, als es tatsächlich ist. Reimanns im Oktober vorigen Jahren uraufgeführtes Trittico dürfte es dennoch nicht leicht haben. Der Reihe nach: Bei den Stücken handelt es sich um drei Kurzdramen, die zu dem Werkkomplex der zwischen 1889 und 1899 erschienenen zehn frühen Dramen von Maurice Maeterlinck gehören. Also aus dem genauen zeitlichen Umfeld von Pelléas et Mélisande (1893). Auch in L‘ intruse, wie in den beiden anderen Einaktern, wird die einfache Handlung durch eine schlichte, vieldeutig raunende Sprache geheimnisvoll und symbolistisch überhöht. Die Familie sitzt zusammen. Im Nebenzimmer ringt eine Frau, die kürzlich ein Kind zur Welt gebracht hat, mit dem Tod. Das Baby hat noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Einzig der Großvater spürt die Ankunft eines für den Rest der Familie Unsichtbaren, dann gibt das Kind seinen ersten Schrei von sich und die Mutter stirbt. Der nur vom blinden Großvater wahrgenommene Unsichtbare, der Tod, ist auch in den beiden anderen Stücken präsent, weshalb der Übertitel L‘ invisible (Das Unsichtbare) gut gewählt ist.

Raffiniert ist nicht die inhaltliche Schicksals-Todes-Klammer – im zweiten Stück geht es um ein Mädchen, das ins Wasser ging, und im dritten um den Jungen Tintagiles, den seine Schwestern nicht davor bewahren können, dass eine übermächtige Königin ihn in den Tod treibt – sondern Reimanns kompositorisches Geschick, das die Stücke umfasst. Die Orchesterbesetzung, Streicher für L‘ intruse, Holzbläser für L‘ intérieur und eine verstärkt dialogisierende Besetzung in Tintagiles, wird ausgesprochen raffiniert eingesetzt. Dazu gehören auch die drei Interludien nach L‘ ‚intruse und Interieur sowie zwischen dem zweiten und dritten Akt von Tintagiles – Akt hört sich gewaltig an, denn alles in Allem dauert L‘ invisible keine 90 Minuten. Und wenn wir schon von Raffinement sprechen, müssen auch die Harfen begleiteten Dienerinnen der Königin genannt werden, die erstmals im ersten Interlude auftauchen. Es sind drei, Countertenören zugeteilten Dienerinnen, mit deren Besetzung Aribert Reimann in seiner neunten Oper an den von David Knutson kreierten Edgar in Lear anknüpft, womit er – nach Brittens Oberon – sozusagen eine Tür für die Stimmgattung aufgestoßen hat, da keine zeitgenössische Oper seither ohne avancierten Einsatz eines Countertenors auskommt. Raffiniert und behutsam wie kostbare Einlegearbeit breitet Reimann seine Klänge aus, die zusammen mit der offenbar eindringlichen Inszenierung den Erfolg der Aufführung an der Deutschen Oper besiegelte, die schon mehrfach eine Uraufführung für Reimann ausgerichtet hatte (Melusine, Die Gespenstersonate, Das Schloss). Töne und Klänge so geheimnisvoll und erlesen, so leise und behutsam, dass die Gestalten sich wie im Umkreise von Allemonde kaum heftig aufzutreten und laut zu werden trauen. Das Schweigen erhält seinen Klang. Der Mitschnitt der Uraufführungsserie kann die musikalische Kostbarkeit retten, das Faszinosum der Musik vermitteln, das Wispern und Flüstern der Töne, die mehr andeuten als sagen, doch nicht das Theaterereignis einfangen, das offenbar erst durch die Inszenierung komplett wurde (Oehms Classics OC 973 2 CDs). Angefangen von den Schlägen und dem Zupfen der Kontrabässe kann Donald Runnicles diese geheimnisvollen Klangtupfer wunderbar zum Blühen und Zirpen bringen. Mit dem Orchester der Deutschen Oper, das nur in wenigen Abschnitten als Tuttiklang in Erscheinung tritt, zaubert er sublime Andeutungen und biegsame Klanggesten. Unter den Solisten, die durch Zwei- und Dreifachbesetzungen die Stücke verbinden, ragt in allen drei Teilen auf Anhieb Rachel Hanischs damenhaft eleganter und beweglich aufblühender Sopran heraus. Thomas Blondelle singt vor allem den Fremden in Interieur mit ausdrucksvoll schönem Tenor und der Souplesse eines Pelléas. Seth Carico kann sich als Vater möglicherweise nicht so entfalten, wie es sein Bariton nahelegt, relativ alert singt Stephen Bronk die drei Großvater und Altenrollen. Tim Sever loh, Matthew Shaw und Martin Wölfel, alle drei im Barocken wie Modernen zuhause, geben die Dienerinnen.   Rolf Fath

Spurensuche

 

Wohl eine schöne Tradition waren zwischen 1983 und 2000 die Konzerte Edita Gruberovas mit dem Münchner Rundfunkorchester, denn in den siebzehn Jahren gab es immerhin neun mit sehr unterschiedlichem Programm und unterschiedlichen Dirigenten. Von einigen Highlights gibt es in der CD-Reihe BR-Klassik eine Aufnahme, deren älteste, und damit die Gruberova am jüngsten, die Wahnsinnsarie der Lucia di Lammermoor ist, eines der cavalli di battaglia der slowakischen Sopranistin, die gerade vor einigen Tagen Abschied von ihrem Wiener Publikum nahm. Durch eine besondere Entrücktheit und Zerbrechlichkeit scheint sich die Donizetti-Heldin auszuzeichnen, die Mittellage ist noch nicht besonders stark ausgebildet, aber die Spitzentöne sind phänomenal, die kristallin klingende Stimme verlangt eigentlich nach der Glasharmonika als Begleitung, obwohl die Flöte ausgezeichnet klingt. Das virtuose Spiel mit den Verzierungen, das sichere Ansprechen der Stimme auch in den zartesten Pianissimi, die zusätzlichen Verzierungen im letzten Teil und die Fermate auf dem letzten Ton verdienen ebenso Bewunderung wie der damaszenerklingenartige Spitzenton. Lamberto Gardelli ist der belcantoerfahrene Dirigent.

1995 gab es ein Konzert mit Geistlichem von Mozart und Haydn. Mozarts „Exsultate, jubilate“ lässt eine zarte, aber nicht soubrettenartige Stimme vernehmen, die die Phrasenenden gern verhauchen lässt, der Jubel ist eher verhalten, ja verhuscht klingend, der zweite Teil dagegen von schöner Sanftheit. In des Komponisten „Laudate Dominum“ erweist sich der Sopran als so klar und rein, wie er innig zu singen weiß. Haydns „Lauft ihr Hirten“ zeigt eine schön instrumental geführte Stimme, die manchmal für den Komponisten etwas zu geschmäcklerisch klingt. Leopold Hager ist der kompetente Begleiter.

Wunderbar präzise ist der Prestoteil in Händels Arie der Alcina, der Sopran erweist sich als kostbares Instrument, das die Verletzlichkeit der Figur zu vermitteln vermag. Mark Elder begleitete 1997. Aus diesem Jahr stammt auch die Arie der Rosina in Sopranfassung, und was hier zu hören ist, klingt nicht nur ungewohnt, weil nicht von einem Mezzo gesungen. Ein  bewundernswertes Trommelfeuer von virtuosen Verzierungen erringt zwar den tosenden Beifall des Publikums, zerstört aber auch, weil wie Selbstzweck erscheinend, das Kunstwerk. Die Technik ist bravourös, die Arie kaputt.

1996 widmete sich die Gruberova den Belcantodamen Beatrice und Linda. Bellinis Heldin lässt sie die unendliche Melodie spinnen und  mit Pianissimi-Schwelltönen glänzen, Donizettis hüpft behände vom Ton zu Ton, bewältigt atemberaubende Verzierungen und vermittelt eine schöne Unbeschwertheit. Pinchas Steinberg ist der souveräne Dirigent.

2000 war Marcello Viotti am Dirigentenpult und rief in Erinnerung zurück, dass die Gruberova auch eine sehr humorvolle Adele war, Naturkind, Königin und Pariser Aristokratin in angemessener Verschiedenheit portraitierte. Also ist ein kleiner, aber feiner Querschnitt durch das Schaffen der Primadonna gut gelungen (BR 900325). Ingrid Wanja

 

Claudio Desderi

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode des großen italienischen Bass-Buffos Claudio Desderi (Alessandria9 April 1943 – Firenze, 30 Juni 2018), der auch deutschen, vor allem Münchner,  Operngängern ein bekannter Name ist. Desderi war in vielen Produktionen italienischer Opern von Monteverdi bis in die Neuzeit nicht wegzudenken, war ein immer beliebter Gast bei unendlich vielen Opern-Festivals in der ganzen Welt und sang an allen bedeutenden Opernhäusern, dazu auf zahlreichen Aufnahmen präsent. Nachstehend eine Biographie, wie sie sich bei seiner Agentur Owen White Management findet, Claudio Desderi wird sehr vermisst werden, auch als gesuchter Lehrer – was für ein genialer Schauspieler und Sänger, Dirigent und Lehrer. G. H.

 

The Italian baritone Claudio Desderi made his debut at the Edinburgh Festival in 1969 in Rossini’s Il Signor Bruschino. Since then his career focused primarily on Mozart and Rossini with regular appearances at the festivals of Salzburg, Glyndebourne and Pesaro. At the Teatro alla Scala, Milan, he sang La Cenerentola and l’Italiana in Algeri conducted by Claudio Abbado and directed by J-P Ponnelle, and the Da Ponte trilogy of Mozart conducted by Riccardo Muti and directed by G Strehler. In Paris, Chicago, New York and London he has performed Falstaff, Figaro, Don Alfonso and many other roles of Rossini and Mozart.

His repertoire ranges from Monteverdi to Nono, and he has given recitals of the great Lieder cycles of Schubert, Schumann and Brahms, accompanied by Michele Campanella.

His recordings include Le Nozze di Figaro and Cosi fan tutte under the direction of Bernard
Haitink. His performances on DVD include productions from La Scala, Glyndebourne and Covent Garden of Il Barbiere di Siviglia, L’Elisir d’ Amore, Don Giovanni, Cosi fan tutte and the celebrated version of La Cenerentola with Abbado/Ponnelle .

He has conducted production in Italy and abroad for many years. From 1988 to 1990 he instigated the project “Mozart – da Ponte” at the Scuola di Musica di Fiesole, and from 1993 to 1996 he directed a workshop for young singers on Monteverdi , leading to staged performances of l’Incoronazione di Poppea, Orfeo and Il Ritorno di Ulisse in Patria. In 1992 he conducted productions of La Scala di Seta and L’Occasione fa il ladro in Montpellier, and in 1993 he was invited to the Aldeburgh Festival to conduct Falstaff and La Pietra di Paragone. In 1994 he conducted and sang Cimarosa’s Il Maestro di Cappella at the Palais Royal in Caserta and in 1995 Il Maestro di Cappella, Poulenc’s La Voix Humaine and Menotti’s The Telephone at l’Opéra San Carlo di Napoli.

He was artistic director of the Teatro Verdi di Pisa from 1991 to 1997 where he conducted many productions including Rigoletto, La Traviata, Macbeth, Carmen and Il Signor Bruschino. He also conducted La Scala di Seta in Bilbao, Carmen in Rouen, and Don Giovanni in Marseille. In Verona he conducted a programme devoted to the works of Mozart, and in Pisa Carl Orff’s Carmina Burana in a staged version choreographed and produced by Micha van Hoecke. From 1998 to 2003 he was artistic director of the Teatro Regio in Turin, Artistic Advisor of the Festival Verdi à Parme and Artistic Director of Teatro Massimo Palermo.

Until recently Claudio Desderi gave regular master classes at the Scuola di Musica di Fiesole, Accademia Gruaro Porto di Santa Cecilia Academy and the Gulbenkian Foundation in Lisbon. He has also given master classes at the Paris Conservatoire, the University of Music in Gdansk, the Academy of the Aix en Provence Festival, for the Britten-Pears Young Artist Programme in Aldeburgh, the Chicago Lyric Centre, International Festival of Verbier and Voce Nuova in Turin.

WEISST DU WIE DAS WARD?

 

Ich habe meinen ersten Tannhäuser wiedergefunden. Wie das? Der Reihe nach. Jena, irgendwann in den Sechzigern. Das Geraer Theater gastierte mit Tannhäuser. Nur, wann genau, warum spielt das wesentlich größere Ensemble in Jena, wo das inzwischen abgerissene Haus viel kleiner und beengter gewesen ist? Dazu noch mit einer Premiere? Wer sang überhaupt? Der Schüler hatte kein Geld für ein Programm übrig, er war fortan auf sein Gedächtnis angewiesen, das sich aber als unzuverlässig erwies. Worauf es aber ankam, die Vorstellung selbst in sehr schlichter Ausstattung, war eine Initialzündung. Sie ist der Beginn meiner lebenslangen Leidenschaft für Richard Wagner gewesen. Jetzt hilft ein ganz besonderes Buch der eigenen Erinnerung auf die Sprünge: Mein Tannhäuser ging am 23. Mai 1963, einem Himmelfahrtstag, über die Bühne. Das erklärt im Nachhinein auch, warum mein Vater damals so spendabel war und das Geld für Eintrittskarte und Bahnfahrt so ohne weiteres herausrückte. Gera musste nach Jena ausweichen, weil das eigene Haus durch einen Brand in Mitleidenschaft gezogen war. Die Titelrolle sang Willi Becker, die Elisabeth Eva Haßbecker, die Venus Editha Biena. Mit 25 Jahren gab Ekkehard Wlaschiha, dem eine große Karriere beschieden war, den Biterolf. 

Richard Wagner in der DDRDer Titel des Buches: Richard Wagner in der DDR – Versuch einer Bilanz, erschienen im Sax Verlag (ISBN 978-3-86729-096-8, 416 Seiten). Autor ist Werner P. Seiferth, ein ausgewiesener Fachmann mit gründlicher musikalischer Ausbildung, tätig als Sänger, Regisseur und Intendant. Einer, der sehr gut Bescheid weiß. Zu allererst ist dieses Buch eine Fleißarbeit, jahrelange gründliche Recherche. Es werden sämtliche Inszenierungen, beginnend in der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der DDR, dokumentiert – mit Regisseuren, Dirigenten, Besetzungen, Zahlen der Aufführungen. Aus der Fülle dieses Material entsteht eine Chronologie der Inszenierungen, gegliedert nach Spielzeiten, eine Liste von Wagners Werken in der Reihenfolge ihres Erscheinens auf den Spielplänen sowie der jeweiligen Theater. Die Leser erfahren, welche Inszenierungen die so genannte Wende überlebt haben, welche Sänger wann und in welchen Rollen bei den Bayreuther Festspielen in Erscheinung getreten sind, was für Schallplatteneinspielungen es gab. Den Abschluss bildet ein umfängliches Künstlerverzeichnis mit Querverweisen und angereichert mit biographischen Details. 

Es braucht etwas Zeit, sich den umfangreichen Apparat nutzbar zu machen. Seifert belässt es nicht dabei, er stellt den Fakten einen großen Essay voran, der mehr ist als der Versuch einer Bilanz, wie es im Titel heißt. Es ist eine Bilanz. Zunächst fällt auf, dass es nach dem schmachvollen Ende des Nationalsozialismus im Osten Deutschlands nicht die geringsten Berührungsängste mit dem Werk Wagners gab, das in den vorangegangenen zwölf dunklen Jahren als Begleitmusik für kläglich gescheiterte Weltherrschaftsambitionen herhalten musste. In Chemnitz, später Karl-Marx-Stadt, wurde bereits im Februar 1946 Tannhäuser gegeben, alternativ von Rudolf Kempe musikalisch geleitet. Schwerin folgte noch im gleichen Jahr mit dem Fliegenden Holländer. Dann ging es Schlag auf Schlag. 1947 gab es bereits an acht Theatern Werke von Wagner, darunter gar Tristan und Isolde in Chemnitz (wieder mit Kempe), Leipzig und Berlin. Chemnitz übernahm eine Vorreiterrolle, denn bald gelangten dort auch Holländer und Walküre auf den Spielplan, die 1948 auch in Weimar mit Hermann Abendroth  gegeben wurde – lange bevor sich die großen Städte sich dazu entschließen konnten, dem Ring des Nibelungen, zumindest in Teilen, wieder eine Bühne zu geben.

Dessau, wo sich als Gegenstück zu Bayreuth bald eigene Richard-Wagner-Festwochen etablierten sollten, tritt erstmals 1950 mit gleich zwei Aufführungen, nämlich Tannhäuser und Holländer, in Erscheinung. Nie wieder sollte es so viele Inszenierungen geben wie in den fünfziger Jahren, in denen aber auch die kulturpolitische Debatte in Bewegung kam. Wagner berührte die unterschiedlichen Positionen beider deutscher Staaten im Machtpoker der Großmächte, der Kalte Krieg war im Gange, die Unschuld des Neubeginns hin. Dessau pflegte auf seiner großdimensionierten Bühne  einen traditionellen Stil, der den Erwartungen des Publikums entsprach. Fotos und zeitgenössische Berichte belegen das. Mit dem Erfolg wuchs auch der Argwohn. Die politische Großwetterlage hatte sich dahingehend gedreht, dass sich die DDR auf einen eigenen nationalen Weg besann, der die scharfe Abgrenzung vom westlichen Teil Deutschlands voraussetzt. In diese Auseinandersetzung  musste früher oder später auch Wagner geraten. Was ursprünglich das Verdienst von Dessau war, wurde zur offenen Flanke, zur Angriffsfläche.

Die gesteuerte überregionale Fachpresse stellte plötzlich die Fragen so: „Wahllose Wagnerei?“ – „Festspielhaus oder sozialistisches Theater?“ Seiferth zeichnet diese Entwicklung präzise nach, entreißt die historischen Fakten dem Vergessen, reiht sie in neue Zusammenhänge ein. Leser können ihre eigenen Erinnerungen an Hand gesicherten Archivmaterials überprüfen, Nachgeborene entdecken ein spannendes Kapitel  deutscher Kulturgeschichte. Es wird abermals deutlich, wie frühzeitig die DDR selbst ihren eigenen Untergang beförderte. Unmöglich, die Fülle des Material in dieser Besprechung zu würdigen, gebührend auf die späteren Jahre einzugehen, in denen Regisseure wir Joachim Herz, Götz Friedrich oder Harry Kupfer der internationalen Wagner-Rezeption aller gesellschaftlicher Enge zum Trotz entscheidende Impulse geben konnten.

1960 eine Besonderheit in Meiningen: Hans Sachs (Günther Hofmann), links Horst Krause als Beckmesser - Foto: Rauchstein

1960 noch eine Aufsehen erregende Besonderheit in Meiningen: Hans Sachs (Günther Hofmann) ohne Bart, links Horst Krause als Beckmesser – Foto: Rauchstein

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten, dass nur wenige Mitschnitte überliefert sind, wenngleich die DDR dazu neigte, gern vieles mitzuschneiden. Radioübertragungen fanden so gut wie nicht statt, weil sie immer auch unvorhersehbare Risiken in sich bargen. Der Fokus richtete sich auf Produktionen für den Rundfunk und die Schallplatte. Wie hat es denn nun geklungen in den frühen Jahren? Sänger, die das hochdramatische Fach so bedienen konnten wie einst Frida Leider gab es nicht mehr. Junge Talente wie Hanne-Lore Kuhse waren eben erst im Begriff, sich zu entfalten. In dieser Situation wurde oft unkonventionell besetzt oder im Westen und später in den sozialistischen Nachbarländern eingekauft. Vilma Fichtmüller, die Hochdramatische in Dessau, die Zeitzeugen eher als Figaro-Gräfin einordneten, hat zwar ihre eigenen Memoiren veröffentlicht, auf Tonträgern ist nichts gelangt. Es gibt in privaten Sammlungen – über die Jahre verstreut – Dessauer Szenen aus HolländerLohengrin, Meistersinger, Walküre und Siegfried, die ein erstaunliches Niveau haben, obwohl die meisten Mitwirkenden heute vergessen sind. Im Nachlass der Kuhse fanden sich zwei Szenen aus einem Holländer von 1956 unter Hans Wallat, die in Schwerin offenbar zu Dokumentationszwecken entstanden. Aus der Berliner Staatsoper Unter den Linden haben die Eröffnungspremiere der Meistersinger von 1955 und einige Ausschnitte aus dem szenisch Bayreuth nachempfundenen Ring akustisch überdauert. Der legendäre Leipziger Ring von Herz, der die Tür aufstieß auf ganz neue, der Entstehungszeit entspringende Sichtweisen, existiert nurmehr auf Fotos, in Arbeitsbüchern, in ganz wenigen Audiofetzen, in den Erinnerungen jener, die dabei waren – und jetzt auch in Seiferths Buch, das ich für eine der wichtigsten Veröffentlichungen um das Wagnerjahr 2013 herum halte. Und das nicht nur, weil ich meinen ganz persönlichen Tannhäuser wiedergefunden habe. Rüdiger Winter

Das große Foto oben zeigt Hanne-Lore Kuhse und den Heldentenor Ernst Gruber 1959 als Tristan und Isolde im Leipziger Behelfsopernhaus Dreilinden. Beide sind in einem Mitschnitt des Werkes aus Philadelphia auch dokumentiert. – Das Foto stammt von Helga Wallmüller.

Holzschuhtanz à l`Italiana

 

Der Stoff ist Opernliebhabern gut bekannt: Zar Peter der Große arbeitet inkognito als Zimmerman auf einer Schiffswerft in Saardam. Albert Lortzing hat diese Geschichte in Zar und Zimmermann auf die Bühne gebracht. Jetzt ist eine Oper von Donizetti beim Label Dynamic erschienen mit genau der gleichen Handlung: Il Borgomastro die Saardam/Der Bürgermeister von Saardam.

Donizettis Oper ist zehn Jahre früher entstanden als Lortzings, doch ob es eine direkte Beeinflussung gab, ist nicht geklärt. Zwar war die Donizetti-Oper ist 1837 in Berlin nur wenige Monate vor der Zar und Zimmermann-Premiere zu sehen, aber Lortzings Partitur dürfte damals schon zu weit gediehen sein, als dass die Musik noch Einfluss auf ihn gehabt haben könnte, selbst wenn nachzuweisen wäre, dass er von Leipzig angereist ist, um sich das anzusehen.

Verblüffend ist dagegen die Gleichheit der Textbücher, weil beide Opern auf derselben französischen Komödie basieren und sich beide ziemlich eng an das Original halten. Heimlicher Held ist in beiden Fassungen der arrogante Bürgermeister Van Bett, der auch bei Donizetti aufgeblasen seine Bürger herumscheucht.

Keine Konkurrenz für Lortzing: Dass sich das Werk des berühmteren Komponisten Donizetti nicht durchgesetzt hat, liegt einfach daran, dass Donizettis Oper ein Frühwerk und ein bisschen von von der Stange gefertigt ist. Donizetti war einfach kein Wunderkind, kaum ein anderer Opernkomponist hat so lange gebraucht, um zu sich selbst zu finden, bis es endlich „klick“ gemacht hat.  Das Problem war Rossini. Der Schatten Rossinis lag auf Italien, und man merkt eben auch hier im Borgomastro, dass Donizetti  einfach nicht loskommt von den Manierismen des Vorbilds.

Doch trotz vieler Plagiate ist Donizetti immer kurzweilig. Langweilige Donizetti-Oper ist ja generell ein Oxymoron wie schwarzer Schimmel, das gibt’s nicht. Der Maestro versteht sein Handwerk, das hier ist reibungslos abschnurrende Opera buffa, sehr fluffig anzuhören beim Kochen, Joggen oder Autofahren, erlesene Gebrauchsmusik.

Doch wer das Werk in Ruhe ohne Ablenkung hört, wird noch mehr entdecken – nämlich eine spannende Werkstatt, in der Donizetti mit späteren Erfolgsformeln experimentiert. Besonders eine Szene ragt heraus – sie kommt bei Lortzing nicht vor, weil sie für Deutschland zu gewagt war. Bei Donizetti ist nämlich der Bürgermeister von Bett scharf auf seine eigene Nichte – er gräbt sie unverhohlen an, und Marie erteilt ihm eine scharfe Abfuhr in einem Duett, das genauso im Don Pasquale stehen könnte, ohne dem Werk zu schaden – pointiert, gut komponiert in damals modernen Rhythmen. Ein echtes Highlight im Frühwerk.

Ich sage es mit Zähneknirschen: die Aufnahme ist ein Muss für Lortzing- und Donizetti-Freunde, man sollte dieses Werk dann doch trotz aller Schwächen zur Kenntnis nehmen, es ist nach tontechnisch grenzwertigen Liveaufnahme aus Holland von 1973 die erste, die man ohne Kopfschmerzen hören kann. Trotzdem leidet dieser Mitschnitt vom Donizetti-Festival in Bergamo an so manchen Schönheitsfehlern. Die Sänger sind zwar begeistert dabei, können aber technisch nicht immer mit dem mithalten, was die Noten fordern, allen voran Marietta alias Irina Dubrovskaya, die sich mutig in Auszierungen wirft, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie sind.

Zar-Bariton Giorgio Caoduro bleibt mir zu hell und zu verwaschen für die Potentatenrolle, und  selbst die sichere Bank des Bass-Buffos ist hier relativ uncharismatisch besetzt worden mit Andrea Concetti – da hätte man wirklich einen altbewährten Buffo-Veteranen verpflichten sollen. Schlussendlich ist die Orchesterleitung von Roberto Rizzi Brignoli (der so viel Geistliches von Donizetti und Bellini eingespielt hate) über weiter Strecken seltsam uninspiriert, so als hätte er nicht so recht an das Werk geglaubt. Wären da nicht einige wirklich schöne quirlige Ensembles, würde ich hier von solidem Mittelmaß sprechen (Gaetano Donizetti: Il Borgomastro di Saardam; mit Giorgio Caoduro, Juan Francisco Gatell, Irina Dubrovskaya, Andrea Concetti | Chor & Orchester der Donizetti-Oper Bergamo | Roberto Rizzi Brignolli; 2 CD Dynamic CDS 7812-2)Matthias Käther

„Als Schweizer bin ich neutral“

 

Etwas unvermittelt kommen zwei Bücher über den Schweizer Komponisten Othmar Schoeck und seine Zeit über uns – als Ergebnis von Symposien zum Thema im schweizerischen Bern: Vergangenheitsbewältigung und Entzauberung, möchte man als Deutscher sagen, der schmerzhaft und bis heute in Dauerbehandlung mit der Aufarbeitung des faschistischen Erbes seines eigenen Landes beschäftigt ist. Lange hat sich die „neutrale“ Schweiz dem entzogen, und auch Othmar Schoecks Oeuvre wurde nur gering in eine Diskussion darüber eingebracht. Zwei neue Bücher nun versuchen Strömungen der Kritik zusammen zu fassen.

Othmar Schoeck/ Othmar Schoeck Festival

Die Oper, um die es im Allgemeinen geht, ist Das Schloss Dürande, 1943 an der Berliner Staatsoper glanzvoll uraufgeführt und seither nur konzertant erstmals wieder ebenfalls in Berlin 1993 und ebenfalls von der Berliner Staatsoper im Sendesaal des damaligen SFB (unter Gerd Albrecht  mit Reiner Goldberg und Karen Huffstodt) vorgestellt. 2018 gab es nun eine weitere konzertante  Aufführung in Bern im Umkreis der obigen Diskussionen.  Dürande ist m. W. nie offiziell eingespielt worden, ein Radio-Mitschnitt mit Sprecher   von 1943 ist in Ausschnitten bei Jecklin dokumentiert; es singen Maria Cebotari, Peter Anders und Willi Domgraf-Fassbaender neben Ruth Berglund, Martha Fuchs und Josef Greindl unter Robert Heger in einer Inszenierung von Wolf Völker – viele davon jene, die uns aus langer Nachkriegstätigkeit bekannt sind. Verstrickungen  mit dem Faschismus eben auf allen Ebenen. G. H.

 

Liebesdienst für einen Entzauberten: Eigentlich müsste Othmar Schoecks Oper Das Schloß Dürande als Opfer der Herrschaft der Nationalsozialisten eine triumphale Rückkehr auf deutsche und andere Bühnen feiern. Schließlich wurde das Werk von Hermann Göring, für die Staatsoper verantwortlich, nach seiner Uraufführung dort im Jahre 1943 als „Bockmist“ bezeichnet und nach wenigen Aufführungen wieder vom Spielplan abgesetzt, auch weil im Berlin der Daueralarme eine Theaterexplosion leicht mit einer wirklichen verwechselt werden konnte. Dazu aber passt gar nicht, dass sein Komponist nach 1945 in der Schweiz kein glückliches Leben mehr führen konnte, angegriffen wurde, und „Karrierebruch und angeschlagene Gesundheit waren die Folgen, von denen er sich niemals mehr ganz erholen sollte.“ Des Rätsels Lösung offenbaren zwei Bücher, die vom Schweizer Chronos Verlag unlängst herausgegeben wurden und dessen eines sich mit dem – wohl gelungenen –  Versuch, die Oper durch eine Überarbeitung des Librettos zurück für das Repertoire zu gewinnen, befasst, während dessen anderes die Ergebnisse eines Symposiums an der Hochschule der Künste Bern über das auf einer Novelle von Eichendorff beruhende  Werk wiedergibt.  Was für den Reichsmarschall die Ausscheidungen eines Huftieres waren, stellt sich den Autoren als „nationalsozialistisch „kontaminierte“ Oper“ dar, als „historisch belastet“, wie Cover und Rückseite des Bandes Zurück zu Eichendorff meinen, herausgegeben von Thomas Gartmann und aus drei Teilen bestehend: einem Bericht über das „künstlerische Laboratorium“ vom Herausgeber, Dokumenten über die Zusammenarbeit zwischen Schoeck und seinem Librettisten Hermann Burte und schließlich dem ursprünglichen Libretto, konfrontiert mit der Neufassung, die im Mai 2018 konzertant vom Berner Konzert-Theater aufgeführt wurde. Das Ziel dieser mehrjährigen Arbeit war die Rettung der Musik  vor allem durch die Einbeziehung von mehr Originaltext von Eichendorff, nicht unbedingt aus dem Schloss Dürande selbst, sondern auch aus anderen, dann stets genannten Quellen. Die zusätzlichen Eichendorff-Texte sind dankenswerterweise kursiv gedruckt.

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“ 1943/ Szene/ Archiv Berliner Staatsoper

Besonders hervorzuheben ist, dass es eine digitale Beilage mit beiden Fassungen plus das Presseecho von 1943, als das Stück bei den Juni-Festspielen auch in Zürich aufgeführt wurde, gibt.

Am besten beginnt der Leser mit dem Vergleich der beiden Libretti, um danach die Aussagen der einzelnen Beiträge besser beurteilen zu können. Natürlich wird er sich dabei besonders auf die Suche nach den „nationalsozialistisch kontaminierten“ Stellen, nach der „direkte(n) Nähe zur rassistischen Vernichtungsideologie der Nationalsozialisten“ (Schoeck-Biograph), „von Nazismen durchtränkt“ (Chris Walton) begeben. Ein Hinweis wird ihm dafür mit einem Zitat in einem der Artikel gegeben:  (Armand, hält den Becher)/ Heil dir, du Feuerquelle,/ Der Heimat Sonnenblut!/ Ich trinke und küsse die Stelle,/ Wo deine Lippen geruht!

Der Begriff „Heil“ ist einer der gar nicht so seltenen, die nach 1945, weil durch die Nazis missbraucht, als „unbenutzbar“ galten, auch „Heil dir, Elsa“ weiß davon ein Lied zu singen. Dass bereits die alten Germanen vom Königsheil wussten, wird dabei übersehen. Immerhin war „Heil Hitler“ bereits bei der Entstehung des Librettos bekannt und berüchtigt.  Wenig sagt es aus, dass die Vokabel „Blut“ in der Oper 16mal und damit viermal häufiger vorkommt als in der Novelle, mehr schon, wenn man erfährt, dass Schoeck Burtes „Blut und Boden“ streichen ließ. Widerspricht man mit diesen Bemerkungen der Behauptung, Das Schloß Dürande sei unaufführbar mit dem Libretto von Burte? Mitnichten, aber mehr noch aus anderen Gründen, als den hier aufgeführten. Man könnte bereits aus der Tatsache, dass Burte ein Nazi durch und durch war, nach 1945 als „minder schuldig“ eingestuft wurde, aber immerhin, den Schluss ziehen, er und mit ihm die Oper sei unaufführbar.  Ein anderer, ganz wesentlicher Grund aber ist der einfach lächerliche, weil hölzerne, kitschige, von schlechten erzwungenen Reimen und einer holprigen Sprachmelodik nur so strotzende  und damit über weite Strecken einfach wie eine Karikatur erscheinende Text, der mit der Poesie der Vorlage wenig zu tun hat. Mit dem wollten sich jedoch die vier Streiter für die Rettung der Oper wegen ihres musikalischen Wertes nicht abfinden, und so wird mal die Nazinähe des Librettos, mal seine generell unzumutbare Minderqualität als Grund für die Unaufführbarkeit beschworen.

Dem gesamten Buch merkt man die Leidenschaft, Gewissenhaftigkeit  und Unbeirrbarkeit der Mitarbeiter am Projekt „Rettung von Schloss Dürande“ immer wieder an (Es wird sogar von „Sucht“ gesprochen.), an der Spitze der Librettist Francesco Micieli. Aber sie verschließen sich auch nicht Zweifeln und Einwänden, die von außen oder aus ihnen selbst kommen. Da geht es um die von Schoeck und nicht von Burte erfundene Zusatzfigur der Gräfin Morvaille, die den Jäger Renald für die Konterrevolution gewinnen will, um das Problem, einen neuen Text der bereits vorhandenen Musik zu unterlegen, den Wechsel zwischen der 1. Und 3. Person, der mit der Übernahme von mehr Eichendorfftext unvermeidlich wurde, der Veränderung der Charaktere durch die der Sprache, die sie sprechen bzw. singen. Andererseits musste einige Male wegen des Rhythmus‘ auch in den Text des Dichters eingegriffen werden.

Die Etappen des Arbeitsprozesses an der Oper werden nachvollziehbar gemacht, dazu tragen auch Notenbeispiele bei (Mario Venzago dirigierte nicht nur die neue Fassung, sondern passte auch Text und Musik einander an.)

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“ 1943/ Szene mit Maria Cebotari und Willi Domgraf-Fassbaender/ Programmheft der Berliner Staatsoper 1993

Kurioses wird nicht verschwiegen wie die Vorschläge, Göring in der Oper auftreten zu lassen oder den Text vom Taugenichts zu unterlegen.  Nicht nachvollziehen kann man, dass Gabriele im Burte-Text „das Muster Hitlerscher Weiblichkeit“ und Renald der „Typus des kompromisslosen, fanatischen, totalitären Nationalsozialisten“ sein soll. Aber das stammt alles nicht von den Schöpfern des neuen „Schlosses“.

Im Mittelteil des Buches geht es um die sich seit den Dreißigern hinziehende Arbeit Burtes und Schoecks an der Oper, um einen Briefwechsel, an dem auch der Mäzen Werner Reinhart und viele andere Anteil haben.

Das Buch verspricht auf den ersten Blick nicht die spannende und anregende Lektüre, als die es sich dann schließlich zur Freude und zur Bereicherung des Lesers entpuppt (332 S., ISBN 978 3 0340 1439 7/ Foto oben Schoeck-festival.ch). Ingrid Wanja

 

„Als Schweizer bin ich neutral“- Othmar Schoecks Oper Das Schloss Dürande und ihr Umfeld bei der Edition argos

Abrechnung nicht nur mit Othmar Schoeck: „Als Schweizer bin ich neutral“- Othmar Schoecks Oper Das Schloss Dürande und ihr Umfeld: Unter diesem Titel fand 2016, zwei Jahre, bevor das überarbeitete Werk in Bern konzertant aufgeführt wurde, ein Symposion statt, dessen Beiträge von Thomas Gartmann nun herausgegeben wurden. Die 340 Seiten bilden drei Blöcke: Oper in brauner Zeit- die Situation 1943, „Bockmist?“- Schoecks „Das Schloss Dürande“ und Rezeption im Wandel. Dabei ist der Rahmen weitgespannt, umfasst sowohl Wilhelm Hauff und seinen Jud Süß wie Hofmannsthal und die Sicht der Nazis auf ihn wie auch den Aufenthalt Heinrich Sutermeisters im von Apartheid gezeichneten Südafrika.

Generell kann man sagen, dass Anklagesucht und Besserwisserei in Bezug darauf, wie man sich in Zeiten von Totalitarismus und Krieg verhalten sollte, angenehm von vielen deutschen Aussagen zu ähnlichen Themen abstechen und sich, da eine Bereitschaft besteht, sich in die Situation u.a. von Schoeck zu versetzen, in vertretbaren Grenzen halten.

Nils Grosch schreibt über die Verfolgung von Musikern und Musik im Dritten Reich und stellt fest, dass sie nur ersteren galt. Das korrespondiert nicht mit dem Verbot von Swing und Jazz, von dem man weiß, dass es streng durchgesetzt wurde. Michael Baumgartner befasst sich in seinem Beitrag mit der Berliner Staatsoper von 33 bis 45, der Rivalität Göring-Goebbels und den Auseinandersetzungen um Egks Peer Gynt und Hindemiths Mathis der Maler. Christian Mächler kommt zur eigentlichen Sache, nämlich der Frage, warum die Uraufführung der Schoeck-Oper in Berlin und nicht in Zürich stattfand. Finanzielle Gründe und die Tatsache, dass der Staatsoper Sängerstars wie Peter Anders, Maria Cebotari und Willi Domgraf- Faßbaender zur Verfügung standen, dürften ausschlaggebend gewesen sein, auch die Unbeliebtheit Burtes, der keine Vorträge in der Schweiz halten durfte. Die Verrisse des Librettos durch Schweizer Medien dürften allerdings berechtigt und nicht der Unbeliebtheit des Verfassers geschuldet sein. Im einzigen englischen Beitrag befasst sich Erik Levi mit Resisting Nazism-Hartmann, Blacher und von Einem. Im letzten Beitrag des ersten Teils geht es um das Mozartfest in Wien 1941 und die Berichte der ausländischen Presse darüber. Das ist insofern auch für das Verständnis von Schoeck und seiner Haltung zu Deutschland interessant, als den Journalisten aus 19 Staaten, darunter auch aus der Schweiz ähnlich wie zu den Olympischen Spielen ein offenes, freundliches, keinerlei Antisemitismus zeigendes Deutschland präsentiert wurde. Den findet man, so der Autor, Roman Brotbeck, viel eher in den Beiträgen der französischen Journalisten aus Vichy-Frankreich. Sehr gründlich und aufschlussreich befasst sich der Autor mit den vier Themen: Eröffnungsakt, Staatsakt, Idomeneo in Strauss-Bearbeitung und der Zauberflöte in der Regie von Gustav Gründgens. Klar wird dem Leser, dass es den Nazis immer wieder gelang, nach außen hin als Förderer der Kultur zu erscheinen, was umso eher von Erfolg gekrönt war, als den Journalisten eine Rundreise durch das damals noch unzerstörte Landspendiert wurde.

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“ 1943/ Szene mit Maria Cebotari und Ruth Berglund/ Programmheft der Berliner Staatsoper 1993

Befasst sich der erste Teil des Symposions eher allgemein mit Kultur, besonders Musik unter der Naziherrschaft, so geht der zweite Teil speziell auf Schoeck und seine Oper ein. Simon Thompson stellt in den Mittelpunkt seiner Ausführungen den Librettisten Hermann Burte, der im Markgräfler Land noch heute verehrt wird, dessen Namen Straßen tragen und für den es ein Internetportal gibt. Auch wer im Libretto nur wenig oder, ehrlich gesagt, außer den „roten Horden“ nichts Nazimäßiges findet, wird überzeugt durch das, was aus anderen Werken, „Wiltfehr, der ewige Deutsche“ oder aus Gedichten zitiert wird. Wenn Burte in seinem Spruchkammerverfahren meinte, er habe mit der auch bei Eichendorff abstoßend gesehenen Französischen Revolution die Nazis gemeint, ist das wenig glaubwürdig, und man gibt dem Autor Recht, der meint, es wäre wohl der Bolschewismus ins Visier genommen worden. Der Beitrag Thompsons sticht besonders durch seine Detailgenauigkeit und durch seine Ausgewogenheit hervor. Beat Föllmi wirft Schoeck vor, dass er sich durch zwei Uraufführungen in Deutschland, neben Berlin in Dresden (Massimilla Doni), kompromittiert habe. Er stimmt allerdings auch der Meinung zu, das Werk dürfe nicht wegen seines Schöpfers diffamiert werden. Hart geht er mit dem Komponisten ins Gericht, weil er Einladungen in eine Familie annahm, in der u.a. auch Winifred Wagner Gast war. Auch erhielt Hitler von dieser Familie eine finanzielle Unterstützung, was wohl erst nach 1945 bekannt wurde. Dass er seiner Frau „deutschen Größenwahn“ vorwarf, müsste das wohl in jedem Fall ausgleichen. Die Annahme des deutschen „Erwin-von-Steinbach-Preises“ würde der Verfasser wohl dann in etwas milderem Licht sehen, wenn er davon ausginge, dass auch Komponisten Geld für ihren Lebensunterhalt brauchen. Das Fazit des Artikels, dass die Zusammenarbeit mit Burte kein Unfall war, sondern auf die „opportunistische Haltung“ Schoecks zurückzuführen ist, darf man wohl zustimmen, ob man eine solche hart verurteilen muss, ist eine andere Frage. Leo Dick bringt Adorno ins Spiel, befasst sich mit der Dramaturgie der Oper, meint „Pentesilea und Das Schloss Dürande stehen exemplarisch für ein Opernwerk, in dem das normative Formungsprinzip einer organischen motivisch-thematischen Entwicklung suspendiert wird zugunsten einer quasi-architektonischen Disposition des jeweiligen Materials.“ Darin sieht der Verfasser den Versuch, die Gran Opéra wieder auferstehen zu lassen, so auch mit dem Bestehen auf dem tragischen Ende. Das hört sich fast nach Widerstandskampf gegen

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“ 1943/ Szene/ Programmheft der Berliner Staatsoper 1993

die Nazis an, die das Volk fröhlich stimmen wollten, denn 43 gab es Tragik genug in der Realität.

Herausgeber Thomas Gartmann widmet sich kritisch einzelnen Textstellen wie der mit dem verfemten „Heil“, befasst sich auch mit der Figur der Gabriele („hündisch“), die Kleists Käthchen ähnlich sei, geht auf die Änderungsvorschläge des Germanisten Emil Staiger ein und die deutschen wie schweizerischen Kritiken nach der Uraufführung. Dem Leser wird ein interessanter Einblick in die Arbeit der „Retter“ des Werks gewährt, in die unterschiedlichen Vorschläge, von denen einer auch war, durch Übertreibung seiner Schwächen das Werk zu denunzieren. Anschließend schildert Gartmann das Vorgehen, wobei einiges bereits aus dem Band „Zurück zu Eichendorff!“ bekannt ist, vieles aber sich als neu erweist. Spannend sind natürlich die Ausführungen zum Thema, wie neuer Text und Musik miteinander harmonieren können. Mitdenken heißt es auch bei der Frage, wen die Gräfin mit dem Einen gemeint haben könnte, Napoleon oder nach Burtes Vorstellung Hitler? Überrascht ist man nach so viel Nachvollziehbarem zu lesen, dass die Treue des Dieners den nationalsozialistischen Pferdefuß aus dem Text hervorlugen lasse. Hatten die etwa bereits im Nibelungenlied ihre Hand im Spiel? Überzeugender wieder wird es mit der Erwähnung des neuen Schlusses, in dem zum G-Dur der „echte“ Eichendorff-Text vorzüglich passt. Der Titel „Als Schweizer bin ich neutral“ zeige übrigens, wie sehr Schoeck ein „ängstlicher Opportunist“ gewesen sei-und wohl nicht der einzige.

Das letzte Kapitel des zweiten Teils gibt ein Gespräch zwischen Gartmann, Micieli und Venzago über ihre Arbeit beim Zurückführen des Librettos auf Eichendorff wiede,r und es weist nach, inwieweit dadurch die Charaktere von Morvaille und Renald verändert wurden. Das sind teilweise Ergänzungen zum zweiten Buch oder Wiederholungen dessen, was aus diesem bekannt ist.

Der dritte Teil beginnt mit Ralf Klausnitzers Betrachtungen zu Eichendorff als dem „deutschesten der deutschen Dichter“. Das ist eine ungemein interessante Darstellung der Gründe, die den Schlesier zum Abgott ganz unterschiedlicher Geistesrichtungen machten. So wurde er zum Bollwerk gegen Materialismus, Relativismus, Positivismus und andere Ismen apostrophiert, nach 1919 der Oberschlesier, in der Nazizeit zum „Vorbild kämpferischer Entschlossenheit“ und „kämpfericher Dichter des deutschen Ostraums“- was alles er natürlich nie war. Die von begeisterten Anhängern des Dichters gegründeten Gremien zur Eichendorffverehrung und –erforschung wurden von den Nazis vereinnahmt- und alles das, und das macht auch den Wert dieses Kapitels aus, kann als exemplarisch für viele andere Künstler gelten. Schließlich geht es noch um Adaptionen wie Eichs Hörspiel oder Frank Thiess‘ Der ewige Taugenichts.

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“/ das berüchtigte Telegramm Görings an den Generalintendanten Tietjen, das zur Absetzung der Oper führte/ Programmheft der Berliner Staatsoper 1993

Die Einbeziehung von Wilhelm Hauff in die Debatte wurde bereits erwähnt, Angela Dediés Beitrag, in dem der romantische Dichter noch mit Mühe die Kurve kratzt und mit einem Bedauern darüber, dass „die Kinder Abrahams“ nicht besser behandelt werden, entlastet wird. Für Veit Harlans grässlichen Film kann er nichts.

Robert Vilain befasst sich mit Hugo von Hofmannsthal und dem Dritten Reich und schildert den Umgang der Nazis mit dem Dichter, der Vierteljude und mit einer Jüdin verheiratet war, der aber auch eine in Naziverdacht geratene Rede hielt, dessen Büste nach dem Anschluss Österreichs im Salzburger Festspielhaus von der SA zertrümmert wurde und über den ein schwedischer Autor ein Drama schrieb, das ihn in der Nazizeit leben ließ. De Opernlibretti für Strauss werden mit keinem Wort erwähnt, und ob das schwedische Drama heute noch Beachtung verdient, sei dahingestellt.

Chris Walton erwähnt in seinem Kapitel über Sutermeister in Südafrika (Die schwarze Spinne) auch die Auseinandersetzung darüber, ob sich der Komponist nicht nur schuldig gemacht habe, weil er trotz der Apartheid dort auch Vorträge gehalten habe, es gibt auch eine Auseinandersetzung darüber, inwiefern das Stück die Schwarzen verunglimpft habe.

Weitgehend, aber nicht ganz frei davon, vom heutigen wissenden und gefahrlosen Standpunkt aus hart zu urteilen, ist das Buch mit seinen vielen unterschiedlichen Ansätzen der Zeit- und Kunstbetrachtung so wissenserweiternd wie unterhaltend (Edition argus, 340S.,  ISBN 978 3 931264 90 1).  Ingrid Wanja       

 

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“/ Programmzettel zur Uraufführung 1943 in Berlin/ Programmheft der Berliner Staatsoper 1993

Zum Schloss Dürande, das nur in großen Ausschnitte von der Uraufführung bzw.der 2. Vorstellung bei Jecklin vorliegt, bzw.  schreibt der Musikjournalist Rob Barnet bei musicweb-international im Mai 1999:  Chris Walton and Jecklin with the resources of the Schoeck Society have been a veritable industry in bringing out into the open Schoeck’s very wide-ranging musical heritage. (…)  How remarkable then that Mr Walton has achieved as much as he has. We can only hope for a translation into English of his German language Schoeck book. The present recording survived in the archives of Swiss Radio and came to them via Strasburg Radio. This is the only recording of a Schoeck operatic première to survive. In fact the recording is believed to have been compiled from takes from both the first and second performances. The sound quality is of course mono and is historic though better then you might guess or fear. Certainly you get a reasonable impression of the music. There are six substantial stretches of music (totalling about 45 mins) sandwiched between the atmospheric and dramatic readings and scene settings (in German) of the announcer who „acts“ his words with some nice melodramatic touches. (…) As Mr Walton points out we should not forget that almost rubbing shoulders with this exalted singing and music was a savage World War and that those attending this celebrated event would have included the cream of the Nazi elite. Burte himself was a devout National Socialist. Schoeck had his reservations about a Berlin première but such was the celebrity of the promised première he could not resist the temptation and travelled to Berlin to hear the premiere. After four performances its season was cancelled probably due to the intervention of Hermann Goering who had read the libretto and was truly appalled by it. Goering is better known in artistic circles for his quote „whenever I hear the word Culture I reach for my revolver.“

The music is full-blooded and flowingly romantic. It is old-fashioned and anyone familiar with Puccini, Strauss (particularly of Rosenkavalier), Pfitzner and (I expect) Siegfried Wagner will be at home with this music. It is not original in its way of expressing ideas but it is certainly powerful. (…). A word of praise to Jecklin for their tasteful design of booklet and disc. (Othmar Schoeck/ 1886-1957/ Das Schloss Dürande (1939) EXCERPTS opera to words by Hermann Burte from novella by Eichendorff  Berlin State Opera – singers: Peter Anders, Marta Fuchs, Willi  Domgraf-Fassbaender, Maria Cebotari, Josef Greindl. orch conducted by  Robert Heger    Recording of highlights – German Imperial Radio. April 1943.  Besuch in Urach (from Das holde Bescheiden op 62) Hilde Schoeck (sop) composer (piano). Jecklin JD 692-2)

 

Zu den Fotos: Das große oben zeigt den das Matterhorn, von der Gornergratbahn gesehen – gemeint hier als Sinnbild von Abgeschiedenheit Weltentrücktheit/ Wikipedia; die Szenenfotos der Aufführung von 1943 sowie das Telegramm sind dem Programmheft der Berliner Staatsoper im März 1993 anlässlich der konzertanten Aufführung im selben Jahr im Berliner Schauspielhaus mit sehr freundlicher Genehmigung des damaligen Dramaturgen der Berliner Staatsoper, Manfred Haedler, entnommen.G. H.

 

Er hüpft von Tür zu Tür

 

„Herr Wieler hat mit seiner Gelassenheit alle angesteckt. Wenn er morgens kommt, strahlt er, hüpft von Tür zu Tür und wünscht jedem einen guten Morgen. Egal ob ich Handschuhe anhabe oder nicht, er drückt gleich meine Hand“. Die Reinigungskraft Anastasia Koulakidou kommt genauso zu Wort wie die Regisseure Castorf und Konwitschny, Kirill Serebrennikov mit seinen Ausführungen über das russische Theater, die Komponisten Lachenmann und Rihm, die über ihren Einsatz der menschlichen Stimme in ihren Werken sprechen, GMD Cambreling, Inspizienten, Dramaturgen, Leiter der Werkstätten und einige der jungen und der arrivierten Sänger. Das Wort von den Stars verbietet sich, da durchgehend von der Institution des Ensembletheaters geschwärmt und die „Vielstimmigkeit des Stuttgarter Biotops der Ära Wieler zum Klingen“ gebracht wird. Dazu gehören alle Mitwirkenden vor und hinter Bühne. Die Pressedame Sarah Hörr bringt es auf den Punkt, „Jossis sensible Art der Gesprächsführung hat Spuren hinterlassen“.

Der schwere, rund 500 Seiten dicke, von Sergio Morabito herausgegebene rote Leinenband, der die grafische Anmutung der Programmhefte fortführt, zieht ein Resümee der Sieben Spielzeiten unter der Intendanz von Jossi Wieler an der Oper Stuttgart und kommt, trotz der aufwändigen Gestaltung, wie ein Familienalbum (Verwandlungen, avedition Verlag für Architektur und Design, 524 Seiten, 200 Abbildungen) recht unprätentiös, sympathisch uneitel und ohne dogmatischen Unterton daher. Was sind auch sieben Jahre. Wieler inszeniert übrigens weitaus länger, seit einem Vierteljahrhundert, in Stuttgart. Es könnte genauso gut ein Tagungsband sein, der im seinem dritten Abschnitt einige Essays versammelt, die nochmals Schwerpunkte und Programmlinien der letzten sieben Jahre in Beziehung setzen, darunter die russischen Oper, die französische Oper von Platée über La juive und die deutsche Medea bis Damnation de Faust oder den Bellini-Schwerpunkt und die neuen Werke; mit einer Uraufführung, Toshio Hosokawas Erbeben. Träume, wird Jossi Wieler seiner Stuttgarter Opernintendanz, die man bereitwillig schon jetzt als Ära zu bezeichnen gewillt ist, beenden. Im Mittelteil kann man sich anhand der Fotos aller 35 Neuproduktionen (ein Verzeichnis der Premieren, Wiederaufnahmen und sonstigen Programmpunkte fehlt natürlich auch nicht) prägende Aufführungen in Erinnerung rufen, Wielers eigene Inszenierungen von Janáčeks Osud, das 1958 in Stuttgart seine erste Aufführung im Westen erlebt hatte, und in der ersten Wieler-Spielzeit neu herauskam (mit Schönbergs Die glückliche Hand), Denisovs Der Schaum der Tage und Ariadne auf Naxos, unbedingt auch die virtuos in Szene gesetzte  Uraufführung von Mark Andrés Johannes Reuchlin-Oper Wunderzaichen, Calixto Bieitos Platée und The Fairy Queen, Kirill Serebrennikovs Salome, Christoph Marthalers Les contes d’ Hoffmann, Denis Volpis Der Tod in Venedig, auch Castorfs Faust. Manches war nicht mehr präsent. Manches derart in Vergessenheit geraten, dass ich nachsehen musste, ob ich die Aufführung tatsächlich gesehen habe, wie Wozzeck, Don Giovanni, Iphigenie in Aulis und La Bohème (alle übrigens von Andrea Moses, die Alexander Kluge Auskunft über ihre Prägung durch die DDR gibt) oder Così fan tutte von Yannis Houvardas. In Verwandlungen geht es aber nicht um Erfolge und Statistiken, sondern in den Gesprächen von Machern und Mitwirkenden, die den ersten Teil des Buches ausmachen, im Wesentlichen um den Kern des Theatermachens. Beispielsweise den Aufbau eines Ensembles mit ausgewogener Altersstruktur, für welches die mittlerweile in Straßburg als Directrice amtierende Eva Kleinitz, wohin sie ihren Gönner Wieler für die kommende Spielzeit für den Freischütz verpflichtet hat, als Operndirektorin zuständig war. Ihre Überlegungen zur Unkündbarkeit von Sängern über „Kontinuität und Weiterentwicklung“ bestimmen den Opernalltag und das besondere Klima des Hauses, „denn man braucht ganz viele tolle Charakterfiguren. Ich finde, dass gerade eine gemischte Altersstruktur ein Ensemble ausmacht“. Helene Schneidermann gehört seit 34 Jahren dem Ensemble an, „länger als alle, die ich kenne“. Ihr Gespräch mit der Sopranistin Esther Dierkes bietet unverkrampfte Einblicke in das Opernmachen, ebenso wie die erfrischende Unterhaltung der Sopranistin Josefin Feiler mit ihrer Schauspielkollegin Caroline Junghanns anläßlich der Zusammenarbeit der Sparten bei The Fairy Queen, „vielleicht war die Tanzerei genau deshalb so wichtig. Das war eine Sache, die wir alle gleich schlecht machten“. Matthias Klinks Überlegungen zu seiner Gestaltung des Herodes und Aschenbach habe ich genauso gerne gelesen wie Bettina Gieses Ausführungen zum Opernstudio oder die Chronologie einer kurzfristigen Umbesetzung bei der Tosca aus der Sicht der Abendregisseurin. Fast alle Gesprächsteilnehmer, so auch Konwitschny „Ein Ensemble ist am Ort wie ein Baum und hat Wurzeln“), stimmen auf besondere Weise in das Lob auf das Ensemble und die Stuttgarter Arbeitsbedingungen ein. Dazu die Antwort der Dramaturgin Ann-Christine Mecke auf die Frage, weshalb sie ausgerechnet nach Stuttgart ging, „Wenn du Fußball spielst und Real Madrid ruft an, sagst du auch nicht: da mag ich den Dialekt nicht so!“. Rolf Fath

Eine wunderbare Stimme und ein grosser Künstler

 

Denke ich an die Lehr- und Wanderjahre meiner Opernerfahrungen nimmt Barry McDaniel einen der ganz ersten Plätze in der ersten Reihe ein. Er ist für mich nicht wegzudenken in den vielen Mozartaufführungen neben Pilar Lorengar, „Biggi“ Fassbaender oder eher noch Patricia Johnson, im fast ewigen Tandem mit Donald Grobe (gelegentlich Luigi Alva), Dietrich Fischer Dieskau (oder Gerd Feldhoff  bzw. Manfred Röhrl) und natürlich fast immer Lisa Otto (wenn Erika Köth nicht kam). Seine unvergessliche Mitwirkung in Henzes „Jungem Lord“ (neben dem betörend aussehenden Loren Driscoll) und seine vielen, vielen anderen Rollenverkörperungen, seine launigen Lieder- und Operettenauftritte, seine unendlich vielen Radio-Aufnahmen beim SFB und anderen Anstalten lassen Barry McDaniel für mich  die leibgewordene Verkörperung des Bühnenerlebens selbst sein, für die Deutsche Oper Berlin zumindest. Nachstehend der offizielle Nachruf seines Berliner Stammhauses, aber im Gedächtnis bleibt er mir als eleganter, unendlich idiomatischer Sänger (absolut fehlerfreies Deutsch, was bei Amerikanern jener Jahre nicht unbedingt das Normale war), der jeden Abend zeigte, wie spontan sich Musik mitteilte, der seine Rollen zu ganz eigenem und unverwechselbarem Leben erfüllte und dessen weiche, lyrische Stimme von unglaublichem, unverwechselbarem Wohlklang war. Es gibt von der Met einen Pelleas mit ihm, der zu meinen absoluten Idealaufnahmen dieser Oper zählt, aber eben in Berlin lernte ich mit und durch ihn, was Oper sein kann: direkte Kommunikation mitten ins Herz. Wie kann ich ihn je vergessen? G. H.

 

Aus dem Kreis der Sänger, die in den sechziger Jahren dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin zu Weltruhm verhalfen, ist er nicht wegzudenken: der Bariton Barry McDaniel (18. Oktober 1930 – 18. Juni 2018), der hier, nicht einmal 32-jährig, am 24. Juni 1962 sein Bühnendebüt als junger Dichter Olivier in Richard Strauss‘ CAPRICCIO feierte: Eine Rolle, die dem US-Amerikaner aus Kansas quasi auf den Leib geschrieben war. Denn die Sensibilität der Textinterpretation, das subtile Spiel mit Farb- und Bedeutungsnuancen standen von Anbeginn an im Zentrum seiner künstlerischen Laufbahn als Opern-, Konzert- und vor allem als Liedinterpret. Diese Leidenschaft für Schumann, Schubert und Carl Loewe, aber auch für Debussy und Ravel machte Barry McDaniel zu einem „artists‘ artist“, einem Sänger für diejenigen, die genau hinzuhören gewillt waren, umso mehr, als seiner dezidiert lyrischen Stimme die dramatischeren Ausdrucksregionen der großen Oper weitgehend verschlossen blieben. Gleichwohl war die stilistische Bandbreite, die McDaniel in den 37 Jahren zeigte, die er im Ensemble der Deutschen Oper Berlin verbleiben sollte, beeindruckend und reichte von Barockopern wie Cavallis LA CALISTO über die großen Mozartpartien seines Fachs bis hin zu Uraufführungen wie Aribert Reimanns MELUSINE oder Hans Werner Henzes DER JUNGE LORD. Ab Mitte der achtziger Jahre reduzierte Barry McDaniel aus gesundheitlichen Gründen seine Auftritte, blieb seinem Stammhaus aber bis 1999 in Rollen wie Melot (TRISTAN UND ISOLDE), erster Gefangener (FIDELIO) und Alcindoro (LA BOHEME) weiter verbunden. Als 2012 eine Aufnahme mit frühen Liedaufnahmen des Sängers erschien, wurde noch einmal bewusst, welch eigenständige Künstlerpersönlichkeit hier, im Berlin der Nachkriegszeit, gewirkt hatte: Eine späte Würdigung für den Bariton, der nun, am 18. Juni 2018, nach langer Krankheit in Berlin verstorben ist. Die Deutsche Oper Berlin trauert um einen herausragenden Künstler und hoch verehrten Kollegen. (Quelle: Pressestelle Deutsche Oper Berlin/ Foto oben: Barry McDaniel/Kranichfoto)

 

Grüsse aus Down under

 

Lieber der erste in Australien als der zweite in Irland oder auf dem Kontinent. Das dachte sich womöglich William Vincent Wallace (1812-65), dem man Down Under 1835 als erstem einigermaßen bedeutenden Komponisten, Geiger und Pianisten den roten Teppich ausrollte und ihn als „Australian Paganini“ feierte. In Sydney gründete er die erste Musikschule des Kontinents. Schon drei Jahre später trieben Wallace, von dem es heißt, er betrat Gegenden, in die zuvor kein anderer Ire einen Fuß gesetzt hatte, Reise- und Abenteuerlust oder die Trennung von der Familie nach Südamerika, wo er in Mexiko-City als Maestro eine italienische Stagione leitete, dann nach New York, Deutschland, die Niederlande und zuletzt heimwärts nach London, wo er die Woge des Erfolgs, auf der sein irischer Landsmann Michael William Balfe mit seinem Bohemien Girl segelte, ausnützte und 1845 seine Oper Maritana herausbrachte, die bis ins 20. Jahrhundert in England regelmäßig aufgeführt wurde. Es folgte eine Handvoll weiterer Opern, darunter 1859 die Loreley-Oper Lurline. die 2010 Richard Bonynge aufführte (und Naxos veröffentlichte). Die Songs von Wallace müssen ihm von Jugend auf vertraut gewesen sein. Was lag näher, als einige davon mit der Lurline Sally Silver aufzunehmen. Die gebürtige Südafrikanerin hat sich durch das gesamte Repertoire gesungen, das das 19. Jahrhundert für Koloratursopran von Lucia bis zur Violetta bereithält, ich erinnere mich an ihre Marguerite de Valois in Metz, dazu einige modernen Partituren.

20 Songs haben Bonynge und Silver ausgewählt, die sich wesentlich von den phlegmatischen viktorianischen Balladen unterscheiden. Viele sind ausgesprochene Bravourstücke. Sie zeigen, dass Wallace für einige der ersten Sänger der Zeit komponierte, wie die romanza espanola „The gipsy Maid“ für Jenny Lind. Andere stammen aus seinen Opern, wie das Beispiel aus The Desert Flower, das auch Donizettis Amina singen könnte, oder die Ballade „Bird of the Wild Wing“ (aus Matilda of Hungary). Nahezu alle dieser Lieder sind ausgesprochen ansprechend und reizvoll – die Barcarolle für zwei Frauenstimmen „Over the Silvery Lake“, die beiden Canzonetten aus dem Zyklus The Seasons oder die opernhafte Tyrolien „Good Night and Pleasant Dreams“. Man wünscht sich, dass Bonynge früher auf die Idee gekommen wäre und La Stupenda bei diesen Songs am Klavier begleitet hätte. Aber Sally Silver singt die Stücke auf der 2011 entstandenen Aufnahme (Somm CD 0131) so leicht und gefällig, wie sie geschrieben sind, dabei ausreichend virtuos und delikat im Ausdruck. Rolf Fath

I am Queen

 

Ein schönes Foto mit zwei alten Damen: Lange musste die 90jährige Thea Musgrave warten, bis sie von der zwei Jahre älteren britischen Königin Elisabeth II. vor wenigen Wochen als 13. Empfängerin mit der Queens Medal for Music als CBE ausgezeichnet wurde. Obwohl Musgrave seit den 1970er Jahren in den USA lebt, würdigt die Auszeichnung den Einfluss der schottischen Komponistin auf die britische Musik. Das Schaffen der Schülerin von Hans Gál, die auch von der unermüdlich lehrenden Nadia Boulanger ausgebildet wurde, umfasst alle Gattungen, darunter mit rund zehn Werken auch die Oper. Die Queen dürfte sich vermutlich kaum über Musgraves bekannteste Oper, den gut zweistündigen Dreiakter Mary, Queen of Scots, also über jene Maria Stuarda, die schon Donizetti begeisterte, informiert haben.

Als Auftragswerk der Scottish Opera wurde Mary Queen of Scots – quasi ein Nachfolgestück von Brittens Krönungsoper Gloriana von 1953 – unter der Leitung der Komponistin im September 1977 beim Edinburgh Festival mit anständigem Erfolg uraufgeführt. Die Produktion gelangte in verschiedene britische Städte, 1978 auch nach Stuttgart (1984 erfolgte dann mit Christine Weidinger in Bielefeld die deutschsprachige Erstaufführung), bereits 1978 war es zu der von Musgraves Ehemann Peter Mark dirigierten amerikanischen Erstaufführung an der von ihm geleiteten Virginia Opera gekommen.

Die Aufnahme vom 2. April 1978 (2 CD Lyrita SRCD 2369, engl. Textheft und Libretto) ist auch eines der wenigen Dokumente der Sopranistin Ashley Putnam, die 1976 die Metropolitan Opera National Council Auditions gewonnen hatte und als Mozart- und Strauss-Sängerin Karriere machte. Mit dem jugendfrischen Perlmuttglanz ihres lyrischen Soprans ist sie die rechte Besetzung für die zu Beginn der Oper 19jährige Königin, die sich im politischen Spinnengewebe verfängt und im zweiten Akt in ihrer großen Konfrontation mit James, welche Musgrave mit flatternden Solostimmen des Orchesters beschreibt, auch weibliche Verführung einsetzt. Nur in den rezitativischen Teilen, dem Graubrot der Partitur, auch in der agressiven Auseinandersetzung mit James, ist die Stimme nicht auf der Höhe der Stuation, wirkt dann leicht scharf und strapaziert, während es ihr am Ende des zweiten Akts gelingt, das Ensemble zu dominieren und die Macht an sich zu reißen, “I will rule alone. I am Queen. That ist my heritage. That is my right”. Bestens dagegen die intimen Momente, wie das Schlaflied zu Beginn des dritten Aktes (“Sleep little child, sleep, sleep, till you wake to be King”). Jake Gardner ist ihr ein ebenbürtiger Partner und liefert mit harschem Bariton ein packendes Porträt des James.

Mary, Queen of Scots ist bestes Handwerk. Da stimmt alles. Das von Musgrave nach einer Idee der Portugiesin Amalia Alida Elguera entworfene Libretto, die Situationen und Konflikte, die Verbindung von Musik und Text, großen Bildern und intimen Momenten, Mönchsgesängen („Introibo ad attare Dei“ zu Beginn) und Festsaal-Gepränge, Ekstase und Resignation. Aber eben Handwerk. Über große Strecken ist es eine musikalische Illustration des Textes mit Trommelwirbel, Fanfaren und Schlachtgetümmel, die sich beeilen muss, die komplizierte Geschichte der Mary, die erst sechs Tage alt war, als sie ihrem Vater James V. auf dem Thron nachfolgte, und nach 18jähriger Haft 1587 hingerichtet wurde, in Ausschnitten zu erzählen. Musgrave konzentriert sich auf die Jahre 1561 bis 1568, als die 19jährige nach dem Tod ihres Gatten, Franz II. von Frankreich, aus Frankreich nach Schottland heimkehrt, um ihr Erbe anzutreten. Es ist auch ein eminent politisches Fintenspiel mit ihrem Halbbruder James, Vertrauten und Beratern, die eigene und feindliche Interessen vertreten. Der Palast von Holyrood hat Ohren. Überall lauern Verschwörung und Fallstricke, dazu die unglückliche Hochzeit mit dem katholischen Lord Darnley, die Beziehung zu dem italienischen Musiker Riccio, den sie zu ihrem Sekretär macht, die Vergewaltigung durch Bothwell, nach der sie sich als Herrscherin nicht mehr halten kann. Darnely, der Riccio tötete, wird von James, James von Gordon ermordet. Mary flieht nach England, ihr Sohn wird als König ausgerufen.

Das liest sich möglicherweise spannender, als es sich auf den CDs anhört, es ruft nach einer Produktion im Stil von The Tudors statt nach Hausmannskost. Musgrave montiert Renaissancemusik und andere Zitate in ihre Oper, darunter im 2. Akt den Orpheus-Gesang des Riccio (der herbe Bass-Bariton Kenneth Bell), die für ein reiches historisches Fluidum sorgen. Diese Szene mündet nach der Ermordung des Riccio durch Damley (Jon Garrison zeigt mit seinem kräftigen Charaktertenor die Zerbrochenheit der Figur) in eines der ausdrucksvollsten Bilder der Oper, welches wie die folgende Konzilszene, Musgrave als Musikdramatikerin ausweist. Barry Busse hat den farblosen dumpfen Charaktertenor für den schmierigen Bothwell. Die kontrastierenden Situationen arbeiten Mark und Chorus and Orchestra der Virgina Opera und die hilfreichen Nebenrollen-Sänger gut heraus. Seit den 1980er Jahren ist es sehr ruhig um diese Königin geworden. Rolf Fath