Archiv des Autors: Geerd Heinsen

THEATRAL PASSIONIERT

 

Das legendäre erste deutschsprachige Opernhaus öffnete 1678, die Oper am Gänsemarkt erreichte ihren Höhepunkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts und schloss ihre Pforten nach 50 Jahren. Georg Philipp Telemann wurde 1721 Musikdirektor der Stadt Hamburg (ein Posten, den er 46 Jahre lang inne hatte), Kantor des Johanneums und leitete auch die Gänsemarktoper während der letzten 16 Jahre. Zu seinen Aufgaben gehörte das Komponieren von Kirchenmusik, ein großer Teil von Telemanns Werkverzeichnis besteht aus Kantaten sowie Passionen, Oratorien und Psalmvertonungen. 1722 wurde Telemanns erfolgreichste Passion erstmals aufgeführt: Seliges Erwägen des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi hat keinen erzählenden Evangelisten, sondern evoziert Etappen der Leidensgeschichte als Abfolge von neun Andachten, beginnend mit dem Abendmahl, Petrus Vermessenheit, dem betenden, dann verklagten und verspottetem Jesus, Petrus‘ Buße und dem blutenden, gekreuzigten, sterbenden und ins Grab gelegten Erlöser. Telemann kam aus einer Pastorenfamilie, seine anschauliche Passion entspricht der damaligen Gepflogenheit der persönlichen, kontemplativ Begegnung der pietistischen Lutheraner mit Christus, die mit expressiven Mitteln in den anschaulichen Passagen vertont wurden, die auch in Opern der Zeit gut aufgehoben wäre, z.B. Petrus‘ Qual „Foltern, Pech, vermischte Flammen“, die Szene am Ölberg oder auch in den Prophezeiungen. Wer Bachs Passionen im Ohr hat, kann hier auch durch die Opernhaftigkeit mancher Arien einen neuen Zugang finden. Die Partitur ist abwechslungs- und facettenreich und farbig im Klang. Neben Streicher und Generalbaß hört man Flöten, Oboen, Schalmeien, Fagotte und Hörner. Das renommierte und stets hörenswerte Freiburger Barockorchester spielte diese Passion mit 26 Musikern lebendig und spannend, Gottfried von der Goltz leitet die Aufführung an der ersten Geige. Sechs Arien und sechs Rezitative sind für Jesus komponiert, die Bariton Peter Harvey eindrücklich und stimmschön singt. Als Petrus ist Tenor Michael Feyfar zu hören, der seine Rolle musikalisch zerknirscht und gequält, quasi bühnenhaft plastisch interpretiert. Bariton Henk Neven ist als Caiphas nur einmal gefordert, seine einzige Arie ist voller Zorn. Es gibt verschiedene allegorische Figuren (Andacht, Glaube, Zion), die von Sopranistin Anna Lucia Richter und Tenor Colin Balzer engagiert gesungen werden. Es handelt sich um eine Live-Aufnahme des NDR vom Telemann-Festival Hamburg am 1. Dezember 2017, die Klangqualität ist gut, das Orchester kommt schön zur Geltung, sehr vieles gelingt. Der Chor besteht aus vier Sängern, neben Feyfar und Neven singen Hanna Zumsande und Julienne Mbodjè die elf Choräle. Das Quartett erweist sich dabei an manchen Stellen als inhomogen, die Stimmen harmonieren nicht, allerdings kann dies durch die Live-Aufnahmetechnik verursacht sein. Ein Chor hätte hier aufeinander eingeübter und eingespielter wirken können (2 CDs  Aparte, AP175).

Mit Reinhard Keiser verknüpft man die Blütezeit der Gänsemarktoper. Er kam 1697 nach Hamburg und komponierte zahlreiche Opern. Nach auswärtigem Engagement kehrte er 1728 nach Hamburg zurück, wo er Kantor am Hamburgischen Dom wurde. Seine Markus-Passion (eine von vielen) ist in zwei leicht unterschiedlichen Stimmabschriften erhalten, wann Keiser dieses Werk komponierte und aufführte, scheint nicht sicher datierbar. Johann Sebastian Bach soll sie während seiner Leipziger Kantorentätigkeit aufgeführt haben. Im Aufbau gilt Keisers Passionswerk als Vorbild für Bachs große Oratorien, bspw. gibt es Turbachöre und einen Evangelisten als Erzähler. Die vorliegende Einspielung entstand auf historischen Instrumenten im Mai 1993 und wird nun nach 25 Jahren wieder neu aufgelegt. Dirigent Christian Brembeck leitet das Ensemble Parthenia baroque vom Cembalo. In der Summe 10 Musiker, sechs Streicher, zwei Oboisten sowie Orgel und Cembalo, doch die schlichte Besetzung täuscht, Keisers Oratorium wirkt komplex und abwechslungsreich und steht zwischen Telemann und Bach. Bernhard Hirtreiter als Evangelist verleiht den Erzählungen Spannung, als Jesus singt Bassist Hartmut Elbert profund,  Jochen Elbert übernimmt eindrücklich die Rollen des Petrus und des Pilatus, Melinda Paulsen singt den Judas, Hohepriester und Hauptmann mit schönem Timbre, die Sopran-Arien teilen sich Tanja d’Althann und Petra Geitner. Fünf der sechs Solisten übernehmen auch mit drei weiteren Sängern als Parthenia vocal die Chorgesänge als Doppelquartett. Auch diese Passion ist eine wichtige Ergänzung zu den Bach-Werken (Christophorus CHR 7742). Marcus Budwitius

Musikalisch attraktiv

 

Mehr Glück in modernen Zeiten als ihre nur wenig ältere, ebenfalls in Paris uraufgeführte Schwester Lucie hat La Favorite Léonor und das sogar auf italienischen Bühnen, wobei man allerdings bedenken muss, dass die Produktion von Donizettis Oper nicht nur beim diesjährigen Maggio Musicale Fiorentino, sondern auch in Madrid und in Barcelona aufgeführt wurde.

Die konventionelle Inszenierung, in der eigentlich nur der Intrigant Don Gaspar (von Manuel Amati mit scharfem Charaktertenor in die Nähe eines sich windenden Spoletta gebracht) sich um eine prägnante Darstellung bemüht, alle anderen sich eher in einer halbkonzertanten Aufführung zu ergehen scheinen, wird von Ariel Garcia-Valdés verantwortet, das sparsame Bühnenbild von Jean-Pierre Vergier, der auch die Kostüme mit viel Glitzer (selbst die Kutten sind aus Lurex-Material) geschaffen hat. Ein schwarzes Ungetüm ist mal Steilküste, mal Klosterpforte, mal Turm im königlichen Palast, die Damen des Chors oder zumindest ihre hochgetürmten Perücken scheinen allesamt aus Afrika zu stammen, die Herren tragen Teesiebartiges auf den Häuptern. Alles in allem wirkt die Optik recht provinziell.

Sehr viel besser ist es um die musikalische Aufführung bestellt, denn Fabio Luisi entlockt dem Orchester eine breite Palette vom zarten Antippen der Themen bis zum wirkungsmächtigen Aufbauen besonders des Finales vom 3. Akt. Die Sinfonia lässt viel Italianità hören trotz der französischen Version, und als Sängerbegleiter stellt der inzwischen auch ergraute Dirigent seine von ihm bekannten Qualitäten unter Beweis.

Eher wie ein eleganter Weltgeistlicher als ein strenger Glaubenskämpfer wirkt der Balthazar von Ugo Guagliardo, der allerdings eher optisch als vokal Bewunderung erzeugt. Sein Bass ist eher dunkelgrau als schwarz,  in der Tiefe hohl, und ein beeindruckender Fluch ist einfach zu wenig für die Partie. Publikumsliebling ist, wie der Schlussapplaus beweist, der Bariton Mattia Olivieri mit angenehmer Erscheinung, warm und ebenmäßig gefärbter Stimme von schönem Ebenmaß. Gegenüber diesen beiden attraktiven Herren wirkt Celso Albelo als Fernand noch rundlicher, ländlicher und unbedarfter als bereits für sich genommen, aber er entschädigt mit einer stilsicher geführten, hellen, in Mittellage wie strahlender Höhe gleich präsenter Tenorstimme, die das berühmte „Ange si pur“ nicht weinerlich, sondern wunderschön melancholisch singt.

Einen frischen, jungen Sopran steuert Francesca Longari, die den „doux zéphyr“ anmutig wehen lässt, als Ines bei. Veronica Simeoni ist eine attraktive Léonor. Der Mezzo ist bereits in den großen Verdi-Partien zu Hause, sie weiß aber hier die Stimme schlank zu halten, bleibt auch in den Höhen reich an Mezzofarben und singt „O mon Fernand!“ mit sanftem Wohllaut. Ihr Ende verklärt sie mit visionärem Klang.

Insgesamt rettet sich die optisch eher ärmlich wirkende Produktion durch die guten Leistungen im akustischen Bereich (Dynamic 57822). Ingrid Wanja

Inge Borkh

 

Die wunderbare, einmalige, spannende, erfrischende, unvergessliche Inge Borkh starb am Sonntag, dem 26. August 2018, in ihrem Stuttgarter Augustinum-Heim im Alter von 97 Jahren, bis zum Schluss äußerst fit, klar im Kopf, forsch im Witz und unendlich menschlich. Wir haben sie gekannt und erlebt und denken an sie voller Bewegung. Thomas Voigt hat sie, wie kaum ein anderer der jüngeren Generation, noch besser gekannt und über die Jahre begleitet, ein Buch mit ihr herausgegeben, das wie das mit Martha Mödl viele Einsichten in die Leben dieser großen Frauen bringt und sich außerordentlich lohnt zu lesen. Aus Anlass des Todes der großen Singdarstellerin Inge Borkh wiederholen wir ein spannendes Gespräch von Thomas Voigt mit ihr von 2016 und danken Thomas ebenso wie der wunderbaren Verstorbenen (im Nachhinein). Danke an beide! G. H.

 

„Endlich habe ich eine Tragödin gesehen. Seit all der Zeit, in der ich jeden Abend ins Theater gehe und all die großen Schauspieler gesehen habe, glaubte ich eine solche Erschütterung nicht mehr empfinden zu können. Sie ist eine Deutsche, sie heißt Inge Borkh und stellt Elektra dar – leuchtende, pathetische, entfesselte Darstellerin, eine alle Maße sprengende, unvergleichliche Erscheinung, im eigenen Drama lebend, Herz und Körper von allen Höllenhunden zerrissen. Überschwang und Höchstmaß sind ihr Normalzustand.“ Mit diesen fast poetischen Worten beginnt eine Hymne im französischen Figaro vom 24. Ma11960.

Inge Borkh: Kabarett-Zeit ca. 1976/ Foto Borkh

Inge Borkh: Kabarett-Zeit ca. 1976/ ATV

Wer Inge Borkh nie auf der Bühne gesehen hat, wird solche Begeisterung auch anhand von Platten und Fotos nachvollziehen können. Sie gilt als Prototyp der „singenden Schauspielerin“, eine modern­expressionistische Heroine, wie geschaffen für die Darstellung extremer Charaktere, darum eine „Charakterdarstellerin“ in des Wortes bester Bedeutung – eben keine ehrgeizig-sportive Sopranistin, die mit aller Gewalt schwere Partien singen wollte und gesangliche Schwächen mit besonders intensivem Spiel kaschieren musste. Vielmehr hatte Inge Borkh die stimmlichen und technischen Voraussetzungen, um sich in Partien wie Salome und Elektra restlos ausleben zu können.

„Ich hab‘ mich nie für etwas geschont – nicht für einen Schlussgesang, nicht für die nächste Vorstellung. Aber natürlich gehört Kontrolle dazu. Man muss das Handwerk so gut beherrschen, dass man es in der Ekstase vergessen kann. Man hat oft gesagt, dass ich eine Vorreiterin auf dem Gebiet des Regietheaters bin. Natürlich bin ich dafür, dass die Darstellung glaubhaft ist, echt ist, gelebt ist. Aber so, wie es jetzt ist, wollte ich es eigentlich nicht haben. Ich finde, Theater muss immer etwas  mit Schönheit, mit Ästhetik, mit Überhöhung zu tun haben. Wir wissen, dass das Leben schwer ist, dass es schreckliche Sachen gibt, und das Theater soll das sicher nicht ignorieren oder beschönigen. Nur: In der Oper ist schon durch die Musik eine höhere Ausdruckssphäre gegeben, und darum sollte man nicht immer den Alltag vorsetzen und Hässlichkeiten zeigen. Ich mag kein mieses Milieu auf der Opernbühne.“ Dennoch geht sie heute,  wann  irgend möglich, ins Theater und ins Kino. Weil sie „furchtbar neugierig ist und hofft, etwas Besonderes zu entdecken.

Inge Borkh: Elektra in Berlin 1955/ Städtische Oper/ Foto Borkh

Inge Borkh: Elektra in Berlin 1955/ Städtische Oper/ Foto ATV

Für viele ist Inge Borkh die Elektra aller Zeiten. Diese Rolle hat sie, wie auch die Salome, an die 300 mal in aller Welt gesungen. Umso erstaunlicher, dass  sie in ihren 33 Bühnenjahren ein weit gespanntes Repertoire beherrschte, dass sie viele Vorstellungen als FidelioLeonore, Lady Macbeth, Tosca und Turandot gab. Sie sang oft und gern Zeitgenössisches (u. a. die Antigonae von Orff, Irische Legende von Egk, Gloriana von Britten und Alcestiade von Luise Talma). Sie war Medea und Mona Lisa in Berlin, Eglantine beim Maggio Musicale in Florenz, Silvana in Respighis Fiamma,  Katarina Ismailova an der Scala, Sieglinde in Bayreuth, Ägyptische Helena in München, Senta in Wien, Färbersfrau in München und London, Jocaste in den USA (mit Bernstein  am Pult).

Inge Borkh: Medea in Berlin 1958 mit Vittorio Gui/ Städtische Oper/ Foto Borkh

Inge Borkh: Medea in Berlin 1958 mit Vittorio Gui/ Städtische Oper/ Foto ATV

Als die Misserfolge ihres Lebens bezeichnet sie Carmen („Ich bin nicht der Typ.“) und Rezia im Oberon. Zahlreiche Angebote für die Marschallin lehnte sie ab („So wie die könnte ich nie handeln!“), ebenso hochdramatische Wagnerrollen.Wieland Wagner wollte mich als Isolde, und ich hatte schon den Probenplan für Ortrud und  Kundry, aber ich bin dann zu der Überzeugung gekommen, dass ich es nicht kann. Ich kam stimmlich von oben, war geschult als Koloratursängerin und hatte eine leichte Höhe, und ich hab‘ immer in der Mittellage sehr schlank gesungen, habe auch Salome und Elektra schlank gesungen. Diese breite Mittellage, die  man für eine Brünnhilde unbedingt braucht, die hat mir gefehlt. Eigentlich war ich keine Hochdramatische. Das hat man aus mir gemacht. Man hat mich vorwiegend vorn Schauspielerischen her, als Typ eingesetzt. Sonst wäre ich sicher einen mehr lyrischen Weg gegangen. Als Anfängerin hat man ja früher alles gesungen – mittags die Försterchristl, abends die Aida. Ich hab‘ in meinen ersten Jahren ‚Figaro‘-Gräfin, Donna Anna, Pamina, Margarethe und den Komponisten gesungen, auch viel Operette, mit großem Genuss. Später hätte ich gern mal neben der Elektra die Rosalinde gesungen, aber das hat sich leider nie ergeben.“

 

Inge Borkh: "Der Konsul" 1951 in Berlin/ Städtische Oper/ Foto Borkh

Inge Borkh: „Der Konsul“ 1951 in Berlin/ Städtische Oper/ Foto ATV

Ingeborg Simon, Tochter einer Wiener Sängerin und eines Schweizer Diplomaten, kam am 26. Mai in Mannheim zur Welt, und zwar im Jahre 1921 – und nicht 1917, wie überall behauptet wird, wohl deshalb, weil Inge Borkh schon 1937 als Schauspiel-Elevin in Linz begann. Doch wie die Künstlerin versichert, war sie damals wirklich erst 16 Jahre. Dass sie Opernsängerin werden sollte, war schon vor ihrer Geburt beschlossene Sache. Die Großmutter war Sängerin, die Mutter war Sängerin, Opernsoubrette in Mannheim („Während der Schwangerschaft hat sie unentwegt gesungen.“), aber die Tochter mochte partout nicht den gleichen Weg gehen. Obwohl sie eine enorme Naturstimme hatte, im Wald die Königin der Nacht trällerte und später auch im Augustiner-Chor sang. Ingeborg wollte tanzen und schauspielern. Nach wenigen Schuljahren in Wien ging sie zum Max-Reinhardt-Seminar, machte nebenbei eine Artistenprüfung beim Ronacher („mit so Wiener G’stanzeln und Tanz“) und studierte die großen Heroinen für’s Vorsprechen.

Inge Borkh mit Ehemann und Bariton Alexander Welitsch 1953/ Foto Borkh

Inge Borkh mit Ehemann und Bariton Alexander Welitsch 1953/ Foto ATV

Zwar begann die Schauspiel-Karriere verheißungsvoll mit jenem Engagement in Linz, doch nach einem weiteren Jahr in Basel war sie schon zu Ende. „Josef Kahlbeck, er war zu der Zeit Regisseur in Basel, ist zu meinem Vater gegangen und hat gesagt: Es ist besser, sie lässt die Schauspielerei sein und geht in eine Kochschule. Das wurde dann auch gemacht. Bis dann frühere Kollegen mich drängten, dass ich meine Stimme ausbilden lassen soll. Und so schickte mich mein Vater zu Vittorio Muratti nach Mailand.“

Anderthalb Jahre später debütierte die 19jährige als Opernsängerin: Agathe in Luzern. Mit 25/26 Jahren sang sie schon Salome und Elektra. Bei ihrer ersten Salome, 1947 in Bern, war Richard Strauss anwesend. „Ich weiß noch, als Jochanaan hinabstieg in die Zisterne, bei diesem aufregenden Zwischenspiel im Orchester, da hab‘ ich mich wund gespielt, derart, dass Strauss zum Regisseur gegangen ist und gesagt hat: Die soll nicht so viel machen, ich hab das doch alles schon komponiert!“  Doch schrieb Strauss am nächsten Tag: „Hörte in Bern eine hervorragende neue Salome: Frl. Inge Borkh.“

Inge Borkh/ Künstlerpostkarte/ Foto Fayer Wien

Inge Borkh/ Künstlerpostkarte/ Foto Fayer Wien/ operanostalgia/be (Ruudi van der Bulck)

Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre sang Inge Borkh vorwiegend in der Schweiz. 1951 verkörperte sie in Basel Magda Sorel in der deutschsprachigen Erstaufführung von Menottis Konsul, und wie zwei Aufnahmen des dramatischen Monologs und zahlreiche Fotos zeigen, hat sie diese Rolle nicht gespielt, sondern gelebt. Spätestens nach den Aufführungen des Konsul in Berlin und München war die Singschauspielerin Inge Borkh in aller Munde. Damit begann ihre Weltkarriere: 1953 San Francisco, 1955 Salzburg und Wien, 1958 Metropolitan, 1959 Covent Garden und Scala. Bis zu ihrem Bühnenabschied im Jahr 1973 sang Inge Borkh „überall und fast  zu viel. Ich konnte nicht ’nein‘ sagen, aber das hat mir Gott sei Dank nicht geschadet.“

 

Wer die Künstlerin in der „da capo“-Sendung von August Everding gesehen hat, wird sich vorstellen können, dass sich die diese kerngesunde, energiegeladene Frau nicht so leicht aus der Bahn werfen ließ‘. Als wir vor unserem Interview zügigen Schrittes quer durch den 1. Wiener Bezirk marschierten, wirkte sie auf mich wie eine elegante Sportlerin. Der ungeheure Optimismus, den sie ausstrahlt, kommt sicher auch daher, dass sie seit vielen Jahren ein glückliches Privatleben hat. Ihren Ehemann, den Bariton Alexander Welitsch, lernte sie 1951 in Paris kennen, als die Städtische Oper Berlin mit Salome gastierte. In den folgenden Jahren trat das Ehepaar Borkh/Welitsch häufig zusammen auf; in den USA gaben sie sog. „Joint­ Performances“, darunter auch Liederabende; auf der Bühne begegneten sie sich als Salome und Jochanaan, als Elektra und Orest, als Tosca und Scarpia, Aida und Amonasro, für eine Produktion in San Francisco auch als Elsa und Telramund.

Inge Borkh: Elektra in Wien 1957/ Foto Fayer/ Borkh

Inge Borkh: Elektra in Wien 1957/ Foto Fayer/ ATV

Diverse Rundfunk-Aufnahmen des Ehepaars sind auf einen LP-Doppelalbum der Melodram erschienen (mit wunderbaren Fotos); ein weiteres Album enthält die gesamte Partie der Sieglinde (Bayreuth 1952, Varnay/Vinay/Keilberth) und Sentas Ballade. Im Gegensatz zu einigen Sängern, die jene angeblich „halblegalen“ Veröffentlichungen missbilligen, weiß Inge Borkh die Initiative der Live-­Firmen sehr zu schätzen. „Natürlich darf man bei Mitschnitten keine Perfektion erwarten. Wenn man mit vollem Einsatz singt, ist es ganz klar, dass am Abend manches danebengeht. Überhaupt hat das schöne, makellose Singen bei mir nie im Vordergrund gestanden – und ich wünschte, das würde heute wieder so sein. Denn ich glaube, je mehr Wert auf Perfektion gelegt wird, desto weniger bleibt von der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks.“

Diese Wahrhaftigkeit hört man in jedem Takt der hochexpressiven Elektra-Aufführungen unter Mitropoulos (Salzburg 1957 und Carnegie Hall 1958). Auf ganz andere Weise spannend ist die Böhm-Aufnahme der DG, eine auch heute noch sehr moderne, nahezu kammermusikalisch  durchsichtige  Wiedergabe, fast getreu der launigen Bemerkung von Strauss, dass Elektra „wie Elfenmusik“ klingen solle. In Sammlerkreisen kursieren noch weitere Mitschnitte: Met 1961 mit Madeira, Rysanek, Uhde/Rosenstock und Rom 1965 mit Mödl, Ericsdotter, Symonette/Dorati. In keiner Aufnahme hat Elektra dasselbe Gesicht, und doch ist Inge Borkh jedesmal die Inkarnation der Figur. Ihre Aufnahme mit Fritz Reiner, Szenen einer konzertanten Elektra in Chicago und Salomes Schlussgesang, hat die amerikanische RCA auch auf CD umgeschnitten – eine berauschende Sinfonie mit Gesangsstimmen, klanglich für damalige Zeiten ungeheuer opulent und auch heute noch ein Härtetest für Lautsprecherboxen.

Inge Borkh und Giulietta Simionato bei der San Francisco Gala für Kurt Adler/ Foto Borkh

Inge Borkh und Giulietta Simionato bei der San Francisco Gala für Kurt Adler/ Foto ATV

Erfreulicherweise wurde Inge Borkh von der Decca auch im italienischen Fach dokumentiert, nicht nur mit einem Recital (Macbeth, Ballo, Forza, Andrea Chénier, Adriana), sondern auch in einer Gesamtaufnahme von Turandot mit Tebaldi und del Monaco. „Eigentlich hat diese Rolle, dieses Laut-und-hoch-Singen meine Stimme überfordert“, sagt sie. Wenn bloß die vielen überforderten Turandots der letzten 20 Jahre so geklungen hätten, kann man da nur erwidern.

Außer dem Mitschnitt der Frau ohne Schatten (Eröffnungsvorstellung des Nationaltheaters München 1963) gibt es noch einige Aufnahmen mit Inge Borkh bei der Deutschen Grammophon, darunter die Gurre-Lieder, Orffs Antigonae und Querschnitte von Ein Maskenball und Tiefland. Zu den Raritäten der Borkh-­Diskographie gehören der Salzburger Mitschnitt von Glucks Iphigenie in Aulis (mit Ludwig, Berry/Böhm; Melodram u. a.) und die 9. Sinfonie im Beethoven-Zyklus unter Rene Leibowitz, längst eine Kult-Aufnahme (bei verschiedenen Firmen, eigentlich eine Sonderausgabe für Reader´s Digest).

Borkh Cover Orfeo CDUnd dann ist da noch ihre letzte Platte: „Inge Borkh singt ihre Memoiren“, ein Dokument ihres vielbeachteten Comebacks als Schauspielerin und Chansonette. „Nie ist über mich so viel geschrieben worden wie zu der Zeit, als ich Chansons gesungen habe. Es gab zwei Parteien. Die einen  sagten: Jetzt versucht  sie durch  die Hintertür wieder auf die Bühne zu kommen. Die anderen fanden’s  großartig.“ Angefangen hatte es mit einem  Brecht-Abend. Boy Gobert hörte sie, engagierte sie nach dem Tod der Flickenschildt für die Rolle der Volumnia im Coriolan am Hamburger Thalia-Theater. „Als er nach Berlin ging, wollte er mich mitnehmen, und so stand ich plötzlich vor der Frage, ob ich diese neue Tür öffnen soll. Ich habe das intensiv mit meinem Mann besprochen, und wir haben dann beschlossen, dass ich es nicht tun sollte. Denn letztlich war ich doch Opernsängerin und nicht mehr  Schauspielerin.“

Inge Borkh: Hörbuch/ Inge Borkh: Ein Theaterkind

Inge Borkh: Hörbuch/ Inge Borkh: Ein Theaterkind

Es war kein schmerzlicher Abschied, und die Begeisterung für das Theater ist geblieben; wann irgend möglich, besucht Inge Borkh eine Vorstellung, als Jurorin reist sie heute noch durch die Welt.„Es ist herrlich, dass ich so früh habe aufhören können, dass  ich ein zweites Leben leben darf. Ich bin gern unter Menschen, höre mir an, wie sie mit ihrem Leben fertig werden. Ich habe mich viel mit Religionsphilosophie befasst, vor allem mit Teilhard de Chardin. Heute lese ich am liebsten Biographien.“

Und schreibt Inge Borkh irgendwann ihre Memoiren? „Ich weiß nicht. Ich habe mal auf Band gesprochen, was mir wesentlich erscheint. Aber das aufzuschreiben, eine Fleißaufgabe, und dazu bin ich noch zu unruhig.“

 

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Borkh Interview BuchMehr als 25 Jahre sind seit diesem Interview vergangen. Inzwischen hat Inge Borkh ihre Memoiren geschrieben (Ich komm vom Theater nicht los), außerdem haben wir diverse gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht: ein Interview-Buch (Nicht nur Salome und Elektra), ein Hör-Buch (Theaterkind) und eine Portrait-CD, die u. a. ihre allererste Aufnahme enthält, den Willi-Forst-Song Man hat’s nicht leicht. Inge war 14, als sie diesen Titel in am 15. Mai 1936 Wien aufnahm, eine private Schallplatte, als Geburtstagsgeschenk für ihren Vater. Außerdem enthält die CD ihre einzigen Operetten-Aufnahmen: „Wär es auch nichts als ein Augenblick“ aus Lehárs Eva und Ich schenk mein Herz aus Millöckers Dubarry. Die Platten entstanden 1938 in Zürich und kamen auf Initative des Dirigenten Alexander Krannhals zustande. „Er war ein richtiger Charmeur, den man kaum widerstehen konnte. Er war häufig bei uns im Hause zu Gast und hat meinem Vater vorgeschwärmt, wie gut ich singe. Und wahrscheinlich haben die beiden eines Abends beschlossen, dass ich etwas aufnehmen soll. Was man auf diesen Platten hört, ist in erster Linie mein Imitationstalent. Ich habe meine Mutter wirklich bis ins letzte Detail kopiert. Diese kleinen Schlenker, diese winzigen Richard-Tauber-Schleifen, die hatte ich natürlich von ihr.“  

 

Inge Borkhs 95. Geburtstag in München mit Yvonne Kalman und Thomas Voigt/ Foto Voigt mit Dank

Inge Borkhs 95. Geburtstag in München mit Yvonne Kálmán und Jonas Kaufmann Foto Voigt mit Dank

Dank der Ordnungsliebe ihrer Mutter verfügt Inge Borkh über ein fast lückenloses Archiv mit Fotos, Zeitungs-Ausschnitten und Briefen – was die Arbeit an unserem gemeinsamen Buch ebenso lustvoll wie zeitaufwändig machte. Stunden und Tage verbrachten wir mit Sichten, Sortieren und Auswählen. Seither sind wir befreundet, und wann immer es zeitlich geht, treffen wir uns zu Opern-Aufführungen – zuletzt am 26. Mai in München. Dort feierte Inge ihren 95. Geburtstag mit einer Meistersinger-Aufführung im Nationaltheater. Jonas Kaufmann und Kirill Petrenko, diese Kombination wollte sie sich nicht entgehen lassen, und sie genoss den Abend in vollen Zügen. Thomas Voigt © 2016 

 

Mit großem Dank an Thomas Voigt, der seinen Text von 1990 noch einmal überarbeitete und mit einem aktuellen Nachtrag versehen hat. Wir danken auch für die hier gezeigten Fotos von Inge Borkh, die er uns aus seinem Archiv (soweit nicht anders angegeben) zur Verfügung stellte.Das Foto oben zeigt Inge Borkh 1958 auf dem Publicity-Foto der Metropolitan Opera New York in Salome-Geste/ Louis Melancon/ Met Opera mit Dank. G. H.

Salieris Oper „Les Horaces“

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Nach dem überwältigenden Erfolg von Salieris faszinierender Oper Les Danaides unter Christophe Rousset in Versailles und andernorts 2015 und der ebenso aufregenden CD bei Ediciones Singolares sah man am 15. Oktober 2016 dem Konzert von Antonio Salieries Oper Les Horaces im prunkvollen Theater von Versailles (und danach im Theater an der Wien) mit Spannung entgegen und hat sie nun bei Aparté auf CD in einer wirklich schönen, leider nur zweisprachigen Ausstattung (wieder fehlt der deutsche Text, obwohl die drei deutschsrachigen Länder ja den größten Markt bieten); zudem mit dem französisch-englischen Libretto (2 CD APE 185).

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Salieri: „Les Horaces“ bei Aparté

Der Stoff von Corneille ist ja mehrfach vertont worden, nicht zuletzt von Cimarosa als Gli Orazi e i Curiazi, und zeichnet sich durch einen etwas unübersichtlichen Plot aus – die falschen Liebhaber in der falschen Familie, möchte man zusammenfassen. Rom und seine Gründungszeit. Römer und Albaner (die originalen aus den umliegenden Bergen bei Alba Longa lange nach Eneas´Ankunft). All dies nun von Salieri. Bemerkenswert ist die Abwesenheit des Palazetto Bru Zane Logos, das sich sonst auf den meisten Veröffentlichungen dieses Umkreises findet…In diesem Fall fand die konzertante Aufführung und Einspielung vom 15. Oktober 2016  und die nachfolgende Einspielung im Saal der kleinen Opera von Versailles unter der schirmenden Hand von  Benoit Dratwicki statt, der Chef des Centre de musique baroque de VersaillesMusikwissenschaftler von Rang und eminenter Kenner eben dieser prä- und post-revolutionären Zeit. Auf sein Konto gehen auch die Wiederbelebungen der Danaides und mancher anderen Werke aus dieser spannenden Epoche der politischen und nachfolgend musikalischen Umbrüche.

Zu Salieri – Demarais: „Horace tue sa soeur Camille“/ Louvre/ Wikipedia

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Les Horaces ist eine Tragédie lyrique in drei Akten und zwei Intermèdes von Antonio Salieri auf einen Text von Nicolas-François Guillard nach Horace von Pierre Corneille. Die Uraufführung fand am 2. November in Fontainebleau oder am 2. Dezember 1786 im Hoftheater von Versailles statt. Die öffentliche Uraufführung erfolgte am 7. Dezember 1786 in der Pariser Oper. Die Premiere der Oper geriet zum Fiasko, die Aufführung schloss laut Salieris erstem Biographen Ignaz Franz von Mosel „nicht nur ohne Beifall, sondern mit unzweideutigen Zeichen des Missfallens.“ Neben einigen Missgeschicken während der Aufführung müssen vor allem das Sujet und das Textbuch für einen Misserfolg verantwortlich gemacht werden. Salieris Komposition konnte die Unzulänglichkeiten des Librettos trotz vieler gelungener Stellen nicht ausgleichen. Das Werk kreist zu sehr um den Konflikt zwischen Liebe und Staatspflicht, die Personen sind zu eindimensional gezeichnet. Die hohen Erwartungen, die man nach dem überwältigenden Erfolg von Salieris erster französischer Oper Les Danaïdes (1784) in den Komponisten gesetzt hatte, sahen zeitgenössische Kritiker nicht erfüllt. Beaumarchais äußerte sich über das Werk Salieri gegenüber: „Ein wirklich schönes Werk, aber ein bisschen zu düster für Paris.“

Der Komponist Antonio Salieri/OBA

Der Bruderkrieg zwischen Horatiern (Römern) und Curatiern (Albanern) zählt zu diesen antiken Geschichten, die fast jeder kennt. Viele kennen auch das Gemälde von David, einige haben das Stück von Corneille gelesen, noch wenigere kennen die Oper von Cimarosa oder die von Mercadante, und niemand, da kann man sicher sein, hat jemals diese Oper von Salieri gehört, weil sie bei ihrer Uraufführung ein Misserfolg war und seitdem nicht mehr aufgeführt wurde. Das Zentrum für barocke Musik in Versailles, das mit viel Prunk sein 30jähriges Bestehen feiert, und die königliche Oper von Versailles seien wieder einmal mit Dank überschüttet, dass sie solche Raritäten aufführen, die mit prächtigen musikalischen Mitteln realisiert wurden. Wobei aber nicht sicher ist, ob das genügt, um ein Werk zu rehabilitieren, dessen vorgetragene Reize eher mager erschienen. Liegt es daran, dass die Emotionen der Danaiden desselben Salieri so überwältigend waren? Oder weil der militärische Auftritt  im Thésée von Gossec zu eindrucksvoll? Oder weil die dramatische Nachdrücklichkeit der Andromaque von Grétry die klassische Tragödie besser zur Geltung bringt? Die Wahrheit ist, dass man in dem Maße mäkeliger wird, als sich die Wiederaufführungen von Werken dieser Periode mehren. Es gibt bereits so viel Wiederaufgeführtes, dass man vergleichen und dann auch werten

Zu Salieri – Davids Gemälde „Les Serment des Horaces“/ Louvre/ Wikipedia

kann.

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Les Horaces langweilen nie wirklich, so martialisch und schwungvoll ist die Musik, extrem spannungsvoll bis in die Zwischenspiele, kriegerischer Bombast, die das Drama wie ein edles Reitpferd vor dem Rennen halten. Guillard war der Librettist großer Erfolge bei Gluck, aber hier bleibt er zu popelig (nur ein Curatier anstatt von dreien, zwei Horatier statt vier, keine Sabina mehr, ein personelles Sparprogramm) und die verbleibenden Personen sind zu eindimensional: der junge Horatier zu beflissen, die Trauer seiner Schwester statt den Tod seines Freundes zu verdammen, der alte Horatier  mehr von seinem Ruhm besessen als von seiner Familie, ein absolut sterotyper Hohepriester und einige kaum definierte  Nebenrollen. Es bleiben nur Curiace, der in einer Arie zwischen Kampf und Liebe schwankt, und Camille, die als einzige wirklich zwischen ihrer Liebe zu Curiace und ihrem Bruder, dem jungen Horatius, zerrissen ist. Salieri gibt ihr sehr schöne Momente, vor allem bei ihrem Eintreten in den Tempel Jupiters, aber ihr wilder Schmerz im letzten Akt lässt Wünsche offen, weil er zu kurz ist.

Man weiß, dass es unangebracht ist, Salieri immer auf Mozart zurückzuführen, aber um die antike Raserei darzustellen, übertrifft Mozarts Elettra mühelos Salieris Camille. Dieses Ende wurde – so die Informationen – extrem zusammengeschustert: Man würde Camille lieber ihrer Freiheit zum Selbstmord berauben, um sie am Schluss während des Schlusstriumphs weinen zu lassen. Der alte Horatier raunt: „Unsere Söhne sind eure Neffen, eure Töchter sind die unsere.“ Man sieht, welches Geschlecht vorgezogen wird. Schade für die Zweideutigkeit des anfänglichen Orakels, das der Heldin vorausgesagt hat, dass sie vor Ende des Tages mit ihrem Geliebten vereint sein werde. „Wenn der Himmel gesprochen hat, ist der Zweifel Gotteslästerung“. In seiner erhellenden Einleitung zur Musik unterstreicht Benoit Dratwicki, dass Salieri nach den Danaiden wusste, was er tatsächlich von einem Orchester und von den französischen Sängern verlangen konnte.

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Zu Salieri – Louis David, (1748-1825) „Le Vieil Horace défendant son fils“/ Louvre/ Wikipedia

Wenn man auch etwas gespalten gegenüber dem Werk sein mag, dessen gewisser Fehlschlag der Uraufführung heute nachvollziebar ist, die Interpreten in Versailles sind wirklich lobenswert. Eugénie Lefebvre gibt  eine hochmütige suivante mit ausgezeichneter Diktion, während Philippe-Nicolas Martinen die für die Handlung gleichermaßen wichtigen wie psychologisch inexistenten Nebenrollen verbindet, ihnen aber eine willkommene Autorität verleiht. Andrew Foster-Williams beeindruckt einmal mehr: als Hoherpriester durch seine Entschlossenheit und die Klarheit seiner Diktion gegenüber dem orchestralen und choralen Tumult, neben dem er kein Problem hat, sich durchzusetzen. Julien Dran ist der junge, mutige Horatius mit erstaunlichen Höhen und schönem Timbre.  Cyrille Dubois als Curatius wird im hohem Register durch die Partitur fast Unmenschliches abverlangt, und sein Curatius – sehr lyrisch gehalten –  bleibt wunderbar gesungen und dargestellt. Was für eine Entdeckung ist doch dieser junge Tenor, der dem Opernfan noch durch seine Rettung der Reine de Chypre jüngst bei den Ediciones Singulares so tapfer in Erinnerung ist. Jean-Sébastien Bou glänzt durch eine gebieterische Darstellung und durch eine bemerkenswerte Sorgfalt in der Aussprache. Im Kreise dieser ausgezeichneten Kollegen kann Judith van Wanroij weitgehend mithalten: Die Stimme ist dunkel, dramatisch und üppig. Sie weiß, was sie singt und macht dies mit bewundernswürdiger Attacke, die Höhen und Tiefen sicher und die Gesangslinie gut geführt. Man  bedauert jedoch, dass man sie nur in den Rezitativen versteht, weil sie dazu neigt, in den Arien die Konsonanten zu vermanschen – und sie wird in der Höhe auch mal recht scharf, was auf eine gewisse Überforderung schließen lässt. Aber man darf nicht vergessen, dass diese unglaublichen Stimmanforderungen bereits die Julia bei Spontini und die Medea bei Cherubini ankündigen, deren letzte Interpreten in Paris wahrscheinlich auch auf jede Textverständlichkeit verzichtet haben (und eine davon sogar vorher Karriere als Tänzerin gemacht hatte).

Zu Salieri – Benoit Dratwicki,der Chef des Centre de musique baroque de Versailles / youtube

Ausgezeichnet zeigt sich der Chœur des Chantres des CMBV in großer Disziplin und von sehr französischer Klarheit. Die Talens lyriques verdienen viel Lob, ebenso die energischen Streicher und die Bläser, die stärker noch als sonst gefordert sind. Christophe Rousset ist stets auf die Präzision dieses komplizierten Mechanismus der Tragödie bedacht, und zum großen Teil ist es ihm zu verdanken, dass diese so theatralische Musik so beeindruckt, die quasi auf jede Melodie verzichtet, um dem Pathos des Themas zu entsprechen. Aber diese Musik bewegt nicht und bleibt kalt – das ist denn doch der entscheidende Eindruck. Stefan Lauter (Foto oben: „Die Liktoren bringen die Leiche des Brutus“/ David/ Louvre/ Wikipedia).

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

ARIEN-HITPARADE

 

Wilhelm Heinse beklagte in seinem 1795 erschienen Roman „Hildegard von Hohenthal“: »Wahrer Jammer und Verlust, daß die größten Neapolitanischen Tonkünstler so frühzeitig starben, Pergolesi, Vinci, Leo, Majo!«. Seit der 2012 erschienenen Einspielung von Artaserse (Virgin Classics) mit fünf Countertenören und ohne Sängerinnen ist Leonardo Vinci (1690-1730) wieder zurück im Bewusstsein der (Barock-)Opernfreunde. Vinci gilt als der erste Meister der neapolitanischen Schule, zu Lebzeiten und posthum erfuhren seine Opern im 18. Jahrhundert Anerkennung und Aufführungen. Laut André Grétry hatte Vinci erkannt, »daß Töne die Regungen eines Herzens malen können, das seine verschiedenen Bewegungen mit denen eines vom Sturm gepeitschten Schiffes identifiziert«. Vinci malte musikalisch heroische Bilder durch auf Schönheit achtende Deklamation und einem orchestralen Kolorit, der diesem Stil das Beiwort „galant“ verdiente. Didone abbandonata beruht auf Pietro Metastasios beliebtem (und über 60 mal vertontem) Libretto, das zum ersten mal 1724 von Domenico Sarro vertont wurde, Leonardo Vincis Version wurde im Januar 1726 in Rom uraufgeführt. Händel arrangierte Vincis Oper 1737 als Pasticcio für Aufführungen in London. Die Spielzeit 1736/37 mit den Opern Arminio, Giustino und Berenice gilt als sehr schwierig für Händel, im April 1737 hatte er einen Schlaganfall und konnte die Aufführungen der Didone nicht selber dirigieren. Nach vier Vorstellungen verschwand die Bearbeitung für über 275 Jahre im Archiv. Händel transponierte, kürzte und strich Arien und Rezitativ (davon sind in der vorliegenden Aufnahme noch ca. 40 Minuten erhalten), veränderte die Reihenfolge der Gesangsnummern und ergänzte mit Arien von anderen Komponisten (u.a. von Vivaldi und Hasse), um die Oper wirkungsvoller und dramatisch zugespitzter zu gestalten. Händel behielt den ungewöhnlichen, spannenden Schluss bei, es gibt bei Vinci kein lieto fine, das tragische Ende wird in drei Accompagnato-Rezitativen Didos ausgedrückt, die sich ohne Enea in auswegloser Situation aufgibt.

 

Didone abbandonata: The Death of Dido/Jushua Reynolds (1668-1723)/ Wiki

Die Heidelberger Oper führte Händels Überarbeitung, neu editiert durch Gerd Amelung, in der Saison 2015/2016 im Rahmen des „Winter in Schwetzingen“ im dortigen Rokokotheater auf. Musikalisch einstudiert wurde die Oper von Dirigent Wolfgang Katschner, der das Heidelberger Orchester leitete. Später folgten weitere Aufführungen, die Katschner mit seiner Lautten Compagney bspw. anlässlich der Händelfestspiele Halle 2016 musizierte. Die nun vorliegende Einspielung geschah nicht live, sondern erfolgte als Studioaufnahme im November 2016. Die Akustik gelang sehr gut und hat einen frischen, lebendigen Charakter, die 20 Musiker der Lautten Compagney, die neben Streichern und Continuo lediglich je zwei Oboen und zwei Hörner umfasst, spielen mit federnd ausgeglichenem Klang auf der Höhe der Zeit, das Zuhören bereitet stets Freude. Vinci verwendete für seine Didone abbandonata teilweise Musik aus seinen anderen Werken (Ifigenia in Tauride, Astianatte, Siroe) – eine ökonomische Wiederverwertung war üblich, der Affekt es Textes spielte eine untergeordnete Rolle, es ging vielmehr um eingängliche, ungetrübte Musik mit klarer Harmonik, die Fähigkeiten der Sänger stehen im Mittelpunkt. Vincis Didone abbandonata klingt dann auch wie eine Hitparade 25 bemerkenswert schöner und virtuoser Bravourarien – Karthago geht für den heutigen Zuhörer gut gelaunt unter. Es gibt weder Duette noch Ensembles oder Chor, Dido, Enea und Jarba haben jeweils sechs Arien, Selene hat drei, Araspe und Osmida jeweils eine. Die Sänger sollen bei Vinci im besten Licht erscheinen und das gelingt auch dieser schönen Einspielung, bei der alle Sänger eine homogen überzeugende Leistung zeigen. Die amerikanische Sopranistin Robin Johannsen kennt das Berliner Opernpublikum aus den Barockproduktionen mit René Jacobs, ihre Stimme klingt elegant und verführerisch, ein beeindruckend schönes Timbre und präzise Koloraturen. Als Didone beginnt sie mit der keinen Widerspruch duldenden, heroischen Zurückweisung Jarbas in „Son regina e son amante“ – eine Arie, die 1726 vom Publikum begeistert bejubelt wurde, „Ritorna a lusingarmi“ hat Händel aus Vivaldis Griselda übernommen und fügt sich harmonisch ein. Als Enea singt die niederländische Mezzosopranistin Olivia Vermeulen ebenfalls eine heroische Abweisung Jarbas, „Quando soprai“ zeigt ihre Qualitäten, Eneas grandioser Abschied „A trionfar mi chiama“ ist aus Hasses Euristeo. Vermeulen nutzt die Chance, mit flexibler Stimme und leicht wirkender Virtuosität ergänzt sie ideal als trojanischer Held mit Sendungsbewußtsein. In Rom sangen 1726 keine Frauen, sondern Kastraten, die vorliegende Einspielung hat einen Countertenor engagiert. Der Florentiner Antonio Giovanini hat das Timbre und die Diktion, um den drohenden Bösewicht Jarba einen zwielichtigen Charakter zu geben, stimmlich wirkt er teilweise etwas verhalten, „Trà lo splendor del trono“ kann man expressiver gestalten, doch schon bei „Son quel fiume“ legt er nach. Händel gestaltete das Ende neu und fügte im dritten Akt zwei „Arie agitate“ hinzu, Dido erhält eine Arie, die ursprünglich Araspe gehörte. Die letzte Arie der Oper gehört Jarbas, „Cadrà fra poco in cenere“ aus Hasses „Cajo Fabbriccio“ besiegelt Didos Schicksal und zeigt Giovaninis Fähigkeiten. Die kleineren Rollen sind rollendeckend sehr gut besetzt. Julia Böhme gibt Selene eine ausdrucksstarke Statur, „Ch’io resti“ gelingt ihr mit beeindruckender Mischung aus Bangen und Sehnen. Die Mezzosopranistin Polina Artsis (Osmida) und der Tenor Namwon Huh (Araspe) gehörten bereits zum Team der Heidelberger Aufführung und überzeugen mit souveräner Interpretation und schönen Stimmen. Wenn man etwas an dieser bravourösen Einspielung kritisieren wollte, dann dass das Beiheft zu wenig Informationen zu Gerd Amelungs Neuedition von Händels Dirigierpartitur und dessen Bearbeitung enthält. Was Vinci und was Händel entschied, ist nicht ohne weiteres erkennbar (2 CDs, deutsche harmonia mundi, dhm 88985415082). Marcus Budwitius

Wer vieles bringt…

 

Ein gutes Gespür für die Vereinbarkeit seiner Stimme mit einem bestimmten Charakter- bzw. Rollenspektrum beweist Kevin Short mit der Wahl des Méphistophélès – and other bad guys für seine Recital-CD. Machtvolles Material und boshafte Schwärze zeichnen seinen Bass aus, anstelle des eleganten Gounod-Teufels hätte er allerdings besser den schwergewichtigeren Boito-Satan an den Anfang stellen sollen, um erst einmal einen guten ersten Eindruck zu vermitteln. So stolpert der Hörer  erst einmal über ein kaum verständliches Französisch, über wenig Geschmeidigkeit, und auch die zusätzliche grässliche Lache am Schluss der Serenade kann am ersten gemischten Gesamteindruck nichts ändern.

Anders sieht es dann bei Boito aus, auch wegen des vergleichsweise besseren Italienischen, die deutlichere Identifizierung des derberen Charakters der Figur, die allerdings auch manchen Legatowunsch offen lässt. Das Flohlied, von Beethoven vertont und in der Orchestrierung von Schostakowitsch, verrät den nicht in seiner Muttersprache Singenden, klingt stellenweise zu abgehackt und ist so gesungen vor einem deutschen Publikum schlecht denkbar. Beethovens Pizarro kann von der kraftvollen,  nicht ermüdbaren Polterstimme trotz der Baritonlage der Partie profitieren, Mozarts Osmin von der satten Tiefe und einer beachtlichen Agogik. Hier erfreut trotz eines leichten Akzents auch die Textverständlichkeit bis hinab in die tiefsten Tiefen. Für Webers Kaspar gibt es ein wahrhaft teuflisches „Schweig“ und so sichere Koloraturen, dass man bei einer so schweren Stimme angenehm überrascht ist.

Zu den besten Tracks gehören die Ausschnitte aus Offenbachs Hoffmann, in denen auch das Französisch annehmbar ist.

Ganz und gar kein Verdi-Sänger offenbart sich Scott in der Arie des Pagano aus den Lombardi. Legato und Phrasierung entsprechen nicht den Anforderungen an einen Verdi-Bass, lediglich in der Cabaletta hört man Anklänge an einen solchen.

Zu wenig einschmeichelnd und geschmeidig gibt sich die Stimme für Berlioz`Mephisto, in der Serenade ausgesprochen ungefüge klingend. Nur Gutes hingegen kann man über die Interpretation von Mussorgskis Lied in Auerbachs Keller sagen.

Auch Englisches ist knapp mit Nick Shadows Arie zu hören und zu genießen. Für Alberich hat der Bass zu wenig Zwielichtiges, die Partie allerdings auch nicht  die optimale Tessitura. In den Vordergrund drängt sich eher das Bemühen um eine korrekte Aussprache als das Gelingen einer tiefgründigen Interpretation.

Lawrence Foster begleitet durchweg sensibel mit dem Orchestre Philharmonique de Marseille.

Insgesamt bewundert man das beeindruckende Material, wäre aber glücklicher, wenn im Vordergrund weniger das Streben  nach Vielseitigkeit als das Sichkonzentrieren auf die besonderen Fähigkeiten des Sängers und damit auf ein begrenzteres Repertoire gestanden hätte (Pentatone PTC 5186 585). Ingrid Wanja

Valentina Levko

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode der großen russischen Mezzosopranistin Valentina Levko, die am 18. August 2018 im Alter von 92 Jahren verstarb.  Der unersetzliche Kutsch-Riemens schreibt zu ihrer Biographie: Levko, Valentina (Nikolajewna), Mezzosopran, * 13.8.1926 Moskau; sie wurde an der Gnesin-Musikhochschule in Moskau ausgebildet und war auch Schülerin des Moskauer Konservatoriums. Ursprünglich studierte sie Violin- und Violaspiel, ließ dann aber ihre Stimmr ausbilden. Sie erregte das Aufsehen der berühmten russischen Altistin Maria Maxakowa, die ihr Unterricht erteilte und sie in ihrer Karriere förderte. 1957 begann sie ihre Bühnenlaufbahn am Akademischen Musiktheater in Moskau, nachdem sie dort einen Gesangwettbewerb gewonnen hatte. 1959 wurde sie an das Bolschoj Theater Moskau berufen und gehörte bald zu den bedeutendsten Künstlern dieses Opernhauses. Zahlreiche Gastspiele brachten ihr in Rußland wie in aller Welt großes Ansehen. So gastierte sie an der Mailänder Scala, an Opernbühnen in Deutschland, Frankreich und in Nordamerika. 1968 und 1970 unternahm sie ausgedehnte Konzerttourneen in Westdeutschland, bei denen sie vor allem das russische Volks- und Kunstlied zum Vortrag brachte. Auf der Bühne bewältigte sie neben den großen Altpartien aus dem russischen Opernrepertoire zahlreiche Rollen aus der gesamten Opernliteratur. Sie galt als hervorragende Darstellerin; sie wurde zur verdienten Künstlerin der UdSSR ernannt. Viele Schallplattenaufnahmen der staatlichen sowjetrussischen Produktion (Melodiya), darunter zwei vollständige Aufnahmen von »Pique Dame« von Tschaikowsky (als alte Gräfin, eine von 1966, die zweite von 1974), einiges davon auf Eurodisc (»Pique Dame«, als Gräfin in eben dieser Oper ist sie oben abgebildet/ centerlevko.ru) und auf Philips übertragen.  [Lexikon: Levko, Valentina. Großes Sängerlexikon, S. 14275  (vgl. Sängerlex. Bd. 3, S. 2058) (c) Verlag K.G. Saur]

Lindpaintners „Vespro siciliano“

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Noch eine Sizilianische Vesper? Nicht von Verdi? Aber Ja!. Nämlich Il vespro siciliano von 1843! Von dieser großen und bedeutenden Oper  Peter Joseph Lindpaintners – die in Bad Wildbad 2015 in der italienischen Fassung gespielt wurde – konnte man erstmals 2011 zwei beeindruckende Stücke in einem Konzert in Wildbad hören, wo die Oper zu Teilen komponiert wurde. Nun präsentiert Naxos den bei „Rossini in Wildbad“  aufgenommenend und heute fast gänzlich unbekannten Komponisten, der das Stuttgarter Hoftheater auf hohem Niveau leitete, mit einem vom Vormärz befeuerten Revolutionsstoff, lange vor Verdi. Ein Ereignis, dirigiert von Federico Longo! In dieser groß besetzten Oper singen Silvia Dalla Benetta, Ana Victoria Pitts, Danilo Formaggia und Cesar Arrieta, es spielen und singen  die Camerata Bach Choir Poznan und die Virtuosi Brunensis unter Federico Longo, Naxos 4 CD 8660440-43).

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Lindpaintner: „Die sizialinische Vesper“ – Theaterzettel der Uraufführung in Stuttgart 1843/Tosta

Erstmal die Rezension von Matthias Käther: Fast jeder berühmte Opern-Stoff ist mehr als einmal vertont worden, und inzwischen machen sich eine Menge Festivals und Opernhäuser den Spaß, unbekannte Opern mit bekanntem Inhalt aufzuführen. Nun liegt ein Mitschnitt vor von einer „Sizilianischen Vesper“, und zwar nicht von Verdi, sondern von Peter Joseph von Lindpaintner. (…) Lindpaintner war – zumindest in dieser Oper – kein Mann der Reform. Die Oper folgt den gängigen Belcanto-Mustern. Anders als in der kürzlich erschienenen „Catharina Cornaro“ seines Landsmannes Franz Lachner blitzt kaum so etwas wie ein Personalstil auf.

Nun muss das bei einer gut gebauten – und dieses Werk ist bis ins kleinste Detail gut gebaut! – Oper nicht immer ausschlaggebend für den Erfolg sein. Man kann, wie wir von zahlreichen zweitklassigen Opernpräsentationen auf diversen Festivals wissen, auch an solchen Spektakeln durchaus seinen Spaß haben. Doch hier ist diesmal viel falsch gemacht worden.  Dabei hatte man mit Volker Tostas kritischer Edition eine Steilvorlage für einen großen Abend beim Rossini-Festival in Bad Wildbad, das in den letzten Jahren immer wieder mit originellen bis genialen Ausgrabungen für Furore sorgte.

Doch diesmal war es ein Rohrkrepierer. Zunächst wurde mit der Übersetzung ins Italienische dieser deutschen Oper noch der letzte Anschein einer nationalen Anmutung geraubt, die Akustik der Trinkhalle wurde dem monströsen Werk nicht gerecht, und der Camerata Bach Choir klang eindeutig zu dünn. Auch die Sänger bleiben hinter den Anforderungen zurück. Sicher ist Danilo Formaggia ein akzeptabler Tenor – in kleinen Werken. In Buffe wäre er entzückend. Hier geht er als Fondi schon im Auftrittslied unter. Eine Spur souveräner und nobler, aber eigentlich auch zu klein besetzt: Mtija Meic als Carlo d’Anjou. Einzig Silvia Dalla Benetta als Eleonora und Ana Victoria Pitts als Page Albino waren dem gigantischen Werk stimmlich gewachsen. Für mich ein Flop – und doch muß man den Mut Wildbads bewundern, sich immer wieder solcher Werke anzunehmen. Vielleicht klappt es beim nächsten wieder besser. Matthias Käther

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 Zum Komponisten und Werk: Der 14. Februar 1844 ist ein großer Tag im Leben des 1791 in Koblenz geborenen, königlich württembergischen Kapellmeisters Peter Joseph Lindpaintner. Genau 25 Jahre nach seinem Dienstantritt im Jahr 1819 wird Lindpaintner mit dem „Ritterkreuz der Württembergischen Krone“ ausgezeichnet, mit dessen Verleihung die Erhebung in den persönlichen Adelsstand verbunden ist. Damit würdigt König Wilhelm I. die Verdienste Lindpaintners um die Stuttgarter Hofoper, die dieser wieder auf das künstlerische Niveau der legendären Zeit Jomellis (1753-1769) an der Hofbühne des Herzogs Karl von Württemberg geführt hat.

Der Komponist Peter Joseph Lindpaintner/Wiki

Der Komponist Peter Joseph Lindpaintner/Wiki

Insbesondere das Orchester entwickelt er zu einem der besten Klangkörper Deutschlands. Felix Mendelssohn schreibt: „Der Lindpaintner ist glaub‘ ich jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist als wenn er mit seinem Taktstöckchen die ganze Musik spielte“, und er lobt weiterhin das „vortreffliche Orchester, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man es nur erdenken kann.“ Lindpaintner kam als erst 28-jähriger Mann aus München nach Stuttgart, und mit seinem Amtsantritt setzte das Aufblühen der Oper nach einer langen Zeit des Niedergangs ein. Er verdankt dies in erster Linie der strengen Disziplin, die er bei Orchester und Sängern einführt. Aber er sieht sich nicht in erster Linie als Dirigent und Organisator, als den man ihn nach vielen Jahren häufig wechselnder Direktionen angeworben hat, sondern als Komponist, und seine Zeitgenossen sehen das auch so. Der Stuttgarter Hofkapellmeister wird von maßgeblichen zeitgenössischen Musikern (Spohr, Schumann) und Theoretikern (Marx) in der Hochzeit seines Wirkens als Hoffnungsträger unter den deutschen Opernkomponisten geachtet; Mendelssohn müht sich sogar persönlich um eine Aufführung seiner Musik in den Gewandhauskonzerten, und in den populären Gattungen Instrumentalkonzert und Ouvertüre gilt er unbestritten als Koryphäe.

Lindpaintner: Herzog Carl Eugen von Württemberg (1737–1793)

Lindpaintner: Herzog Carl Eugen von Württemberg (1737–1793)

Sein Verhältnis zu Stuttgart bleibt über die Dauer seines 38-jährigen Wirkens jedoch stets ambivalent. Er ist sich bewusst, dass das lutherisch geprägte und in künstlerischer Sicht provinzielle Stuttgart einen schlechten Ausgangspunkt für eine Komponistenkarriere darstellt, vor allem wenn es um die Oper geht. Seinem Freund Bärmann in München gesteht er, dass eine erfolgversprechende Karriere als Opernkomponist eigentlich nur von Berlin, Dresden, München oder Wien ausgehen könne. König Wilhelms nüchterne Sinnesart, seine mäßigen Leidenschaften, seine Abneigung gegen jeglichen Prunk und seine ganz auf das Pragmatische gerichtete Religiosität; all diese Eigenschaften wirken wie ein Spiegel der geistigen Atmosphäre, die das alltägliche Leben in der Residenzstadt prägt. Ein Enthusiasmus für die Kunst ist nicht auszumachen; das Publikum sitzt für gewöhnlich auf seinen Händen. Doch Lindpaintners Amt in Stuttgart ist gut honoriert, und seine Stellung ist viele Jahre lang dank seiner ausgezeichneten Beziehung zum König unangefochten. Tatsächlich hat Lindpaintner mehrfach die Gelegenheit, nach Berlin, Dresden, München oder Wien zu wechseln. Er ist ein umworbener Musikdirektor und unterhält gute Beziehungen zu den in Frage kommenden Intendanzen. Mehrfach steht ein Wechsel kurz vor dem vertraglichen Abschluss, aber stets setzt sich sein Hang zur Bequemlichkeit und Sesshaftigkeit durch. Stuttgart wird für ihn zum goldenen Käfig.

Trotz der hohen Belastungen durch den Dienst am Hoftheater arbeitet er mit Feuereifer an seiner Komponistenkarriere, vor allem auf dem Gebiet der Oper. So kommen bis zum Ende seines Lebens (1856) einundzwanzig Opern verschiedenster Gattungen zustande, ein ganzes Kompendium der zu seinen Lebzeiten im Trend liegenden Opernformen, von der Opera seria (Demophoon 1810, später unter dem Einfluss der Erfolge Rossinis umgearbeitet in Timantes 1819) über die deutsche romantische Oper (Sulmona 1823, Der Bergkönig 1825, Der Vampyr 1828), die deutsche Spieloper (Die Macht des Liedes 1836, Libella 1855), die große historische Oper (Die Genueserin 1838, Die sizilianische Vesper 1843, Giulia oder die Korsen 1853) bis zur repräsentativen Festoper zur Einweihung des umgebauten Hoftheaters (Lichtenstein 1846), die nichts weniger darstellt als den Versuch, auf der Basis eines Romans von Wilhelm Hauff eine württembergische Nationaloper zu schaffen.

Lindpaintner;: „Il vespro sicialino“ (Naxos 4 CD 8660440-43)

Die Vielseitigkeit der Opernproduktionen Lindpaintners ist unter anderem auch Ausdruck für das Dilemma, in dem die deutschen Komponisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stehen: Welchen Weg zu einem spezifisch deutschen Opernwerk sollen sie einschlagen? Das Publikum, an dessen Vorlieben das Repertoire weitestgehend ausgerichtet ist, bevorzugt hauptsächlich Opern französischen oder italienischen Ursprungs, die zu Dreivierteln die Spielpläne beherrschen. Die Kritik und verbreitete theoretische Schriften verlangen dagegen einen eigenen deutschen Weg, der letztlich immer wieder in Werke mündet, die die sinnlichen Bedürfnisse der Zuhörerschaft ignorieren. Auch Lindpaintner muss, etwa mit seiner Sulmona, die Erfahrung machen, dass allzu großer Anspruch einem Erfolg eher im Wege steht. Er geht danach andere Wege; mit seinen historischen Opern versucht er, im Gefolge Aubers, Rossinis und Meyerbeers „den großen Haufen“ anzusprechen, wie Spohr es eher verächtlich meint. Lindpaintner schreibt: „Ich unternahm es, meine Hand an ein Werk der größeren Gattung zu legen, und wollte es versuchen, des deutschen Volkes Herz und Ohr durch populär-fassliche Melodien zu gewinnen.“ Das Werk, über das er hier schreibt, ist seine Große heroische Oper in 4 Akten Die sizilianische Vesper, die den erfolgreichen Aufstand der Sizilianer gegen die Herrschaft der Franzosen unter Karl von Anjou im Jahr 1282 zum Thema hat.

Lindpaintner: Bühnenbild zur "Sizianischen Vesper" in der Stuttgarter Aufführung/Tosta

Lindpaintner: Bühnenbild zur „Sizianischen Vesper“ in der Stuttgarter Aufführung/Tosta

Das Werk: Tatsächlich liegt der Typus der in Paris zur Blüte gekommenen Großen historischen Oper bei den führenden deutschen Opernkomponisten am Ausgang der 1830er Jahre voll im Trend, und auch Lindpaintner ist damit bestens vertraut, da er alle maßgeblichen Opern dieses Typs schon in Stuttgart auf die Bühne gebracht hat. Die relativ liberale Theaterzensur des Verfassungsstaates Württemberg  ermöglicht es, die Werke entsprechend dem Original unverändert auf die Bühne zu bringen, auch wenn darin die Revolution zum Thema gemacht wird. Insbesondere die Werke Meyerbeers, noch dazu eines Landsmannes, werden in den 1840er Jahren für die führenden deutschen Opernkomponisten zum Vorbild, von dem man sich Impulse für die Schaffung einer modernen deutschen Oper erhofft. Und so schreiben Marschner, Lachner, Lindpaintner und Wagner alle ihre Versionen der Großen historischen Oper. Von diesen dürfte Lindpaintners Oper dem Meyerbeer’schen Modell am entschiedensten gefolgt sein, was in einer grundlegenden, stilkritischen Analyse noch zu belegen wäre. Spezifisch deutsche Elemente sind in diesem Werk in seiner nach dem damaligen Verständnis avancierten Harmonik, der durch Durchführungselemente stark angereicherten Orchestersprache und den immer wieder auftauchenden, volksliednahen Strophenliedern auszumachen, die beim deutschen Publikum sehr beliebt sind. Trotzdem bleibt der Eindruck einer im Gesangsmelos eher französisch-italienisch grundierten Oper bestehen. Neben Meyerbeer muss auch Aubers Muette de Portici als Vorbild genannt werden, mit der die Oper die in Italien angesiedelte Revolutionsthematik gemein hat, was zu ähnlichen musikalischen Formulierungen führt, ohne jedoch Aubers stilistische Anleihen bei der Opéra comique zu übernehmen, wie er überhaupt genau darauf achtet, keine bloßen Kopien seiner Vorbilder abzuliefern. Somit gelangt Lindpaintner trotz einer eklektischen Grundhaltung zu einem durch individuelle Abänderungen der verwendeten Modelle überzeugenden Ergebnis, bei dem er die von der jeweiligen dramatischen Situation erforderlichen modernen Stilmittel seiner Zeit einsetzt.

Lindpaintner: Der Librettist Heribert Rau/Freie Religiöse Gesellschaft Offenbach

Lindpaintner: Der Librettist Heribert Rau/Freie Religiöse Gesellschaft Offenbach

Das Libretto stammt von dem opernunerfahrenen Literaten Heribert Rau und muss trotz einiger Mängel zu den besseren deutschen Operntexten seiner Zeit gerechnet werden. Mit seiner direkten Sprache, die die lyrische Blumigkeit vieler deutscher Libretti vermeidet, stellt es sich den Anforderungen einer bühnenwirksam zu komponierenden Vorlage. Zudem gelingen Rau in den Auftritten Karls fesselnde Charakterportraits eines Machtmenschen, der bei Eleonores Heraufbeschwörung des Geistes des von ihm hingerichteten Konradin von Hohenstaufen sogar Macbeth-hafte Züge zeigt. Lindpaintner erhält Raus Buch Anfang 1842 und beginnt sofort mit Skizzen zur Oper. Die eigentliche Komposition schreibt er im Juli und August 1842 während der Theaterferien in Langenargen am Bodensee, wo er regelmäßig seinen Sommer verbringt. Daheim in Stuttgart instrumentiert er die Oper im Winter 1842/43 und schließt die Partitur am 29. Januar 1843 ab. Die Ouvertüre schreibt er erst wenige Wochen vor der Premiere; sie trägt das Datum vom 24. April 1843. Die Uraufführung findet am 10. Mai 1843 statt. Die Rezension der AMZ von der Premiere belegt den enthusiastischen Erfolg der Oper: „Stuttgart, den 10. Mai. Gestern wurde hier im königl. Hoftheater zum ersten Male Lindpaintners neue Oper: Die sizilianische Vesper gegeben. Wenn nicht zu leugnen ist, dass Lindpaintner früher stets eine ziemlich mächtige Opposition fand und dass das Stuttgarter Publikum im Allgemeinen ein sehr kühles ist, das sich nur selten aus seiner teilnahmslosen Ruhe heraus begibt, so bringt es dem verdienstvollen Autor doppelt Ehre, wenn seine neue Oper mit einem Beifall, mit einer Wärme aufgenommen wurde, die bisher hier unerhört war und sich während der ganzen Aufführung erhielt und steigerte, so zwar, dass, was hier überhaupt noch nicht vorgekommen, der Komponist am Schlusse des Werks stürmisch hervorgerufen ward.“ Allein im Premierenjahr kommt es in Stuttgart zu vier weiteren Aufführungen, einer für die damalige Spielplangestaltung vergleichsweise hohen Zahl. Andere Städte folgen: München, Hamburg, Kassel, Braunschweig, Coburg, Breslau und Dresden. Das Werk wird der größte Erfolg Lindpaintners nach seinem Vampyr (1828). Doch nachdem die Oper die ersten Schritte einer erfolgversprechenden Karriere gemacht hat, wird es aus bisher unerforschten Gründen still um sie.

De gauche à droite : Lindpaintner, Spohr, Molique, Berlioz et Ella, partie d'une intéressante lithographie (où figure également Vieuxtemps) exécutée en 1853 d’après un dessin de Charles Baugniet (1814-1886), intitulée L’Analyse. Souvenir de la Musical Union (Neuvième Saison) et reproduite sur une page du riche site Hector Berlioz/mvnm.org

Im Kreise der Kollegen/De gauche à droite : Lindpaintner, Spohr, Molique, Berlioz et Ella, partie d’une intéressante lithographie (où figure également Vieuxtemps) exécutée en 1853 d’après un dessin de Charles Baugniet (1814-1886), intitulée L’Analyse. Souvenir de la Musical Union (Neuvième Saison) et reproduite sur une page du riche site Hector Berlioz/mvnm.org

Die Zeit des Vormärz läuft auf die Revolution 1848/49 zu; da sind Stücke mit einer Revolutionsthematik bei den Behörden nicht opportun. In Stuttgart kommt es zu insgesamt acht Aufführungen bis zum Jahr 1845, eine gute Zahl für ein neues Werk in dieser Zeit. Danach tritt im Theaterbetrieb aufgrund des Neubaus des Hoftheaters eine Pause ein, und das wiedereröffnete Theater wird 1846 wiederum mit einer neuen Oper Lindpaintners – Lichtenstein – eingeweiht. Darüber gerät Die sizilianische Vesper in Vergessenheit. Die Jahre danach sehen Lindpaintners Karriere mit Beginn der Intendanz von Ferdinand von Gall bereits im Abstieg begriffen. Es kommt zu Differenzen mit dem neuen Intendanten. Seine Kompetenzen werden beschnitten. Ein Absprung aus Stuttgart gelingt dem gebrochenen Lindpaintner nun nicht mehr; sein Pensionierungsgesuch wird abgelehnt. Lediglich sein weiter gutes Verhältnis zum König und seine Autorität als erfahrener Orchesterleiter bewahren ihn vor einem tieferen Abstieg. Lindpaintner stirbt am 21. August 1856 in Nonnenhorn am Bodensee, wo er auch begraben liegt. In Stuttgart kommt es noch zu einer Gedenkfeier, bei der sein Vampyr 1856 zum letzten Mal erklingt. Danach wird hier keine seiner Opern mehr gespielt.

Lindpaintner: Die Sopranistin Haus als Eleonore/Tosta

Lindpaintner: Die Sopranistin Haus als Eleonore/Tosta

Wildbad: Lindpaintners Arbeitseifer bleibt nicht ohne Folgen für seine Gesundheit. Im Oktober 1833 erkrankt er schwer, vermutlich an einem rheumatischen Fieber im Nackenbereich. Noch Jahre später leidet er des Öfteren an einem „Rheumatism im Genike, der so heftig ist, daß er mich manchmal zum Schreyen nötigt.“ Wie später sein berühmter, italienischer Komponistenkollege reist Lindpaintner nach Wildbad, wo er sich Heilung und Entspannung erhofft, so auch kurz nach den aufreibenden Wochen der Vorbereitungen zur Premiere der Sizilianischen Vesper. Belegt ist dies durch handschriftliche Eintragungen Lindpaintners im autographen Klavierauszug, den er im Mai und Juni 1843 in Wildbad fertigstellt und somit der Oper die Gestalt gibt, in der sie im weiteren in Stuttgart und anderswo aufgeführt wird. Aber nicht nur diese lokalgeschichtliche Kuriosität prädestiniert gerade dieses Werk zu einer Aufführung 2015 beim Belcanto-Festival Rossini in Wildbad. Wir können daran erleben, wie viel Belcanto in der deutschen Oper der vorwagnerschen Epoche steckt, die in ihrer Vielfalt im heutigen musikalischen Bewusstsein völlig unbekannt und durch Fidelio und Der Freischütz absolut nicht adäquat in den Spielplänen repräsentiert ist. Lindpaintner ist ein großer Rossinikenner und ist entscheidend an der Etablierung der Opern Rossinis im Repertoire des Stuttgarter Hoftheaters beteiligt. Wie ein roter Faden zieht sich durch Lindpaintners Opern eine Neigung zur Italianità. Über die Komposition seines Bergkönigs schreibt er, er habe bei der Niederschrift stets „Zeit, Mode, Deutsch u. Italienisch im Auge behalten“. Das italienische Melos seiner Sizilianischen Vesper ist also nicht nur als durch den Stoff bedingtes Lokalkolorit zu verstehen, sondern ist offenbar ein Grundzug seines persönlichen Stils. Nicht zufällig erscheinen die Klavierauszüge einiger seiner Opern mit deutschem und italienischem Text.

Lindpaintner: Der Bass Rauscher als Fondi/Tosta

Lindpaintner: Der Bass Rauscher als Fondi/Tosta

Rossini in Wildbad hat sich dazu entschieden, Lindpaintners Sizilianische Vesper als Il Vespro Siciliano in der italienischen Übersetzung Wilhelm Häsers, eines literarisch ambitionierten Sängers am Stuttgarter Hoftheater und Logenbruders Lindpaintners, zu spielen. Hiermit wird nicht nur der spezifischen künstlerischen Ausrichtung des Festivals Rechnung getragen; das italienische Sprachmelos unterstreicht auch die ohnehin in der Partitur angelegte Italianità von Lindpaintners Komposition, die in dieser Form mit einiger Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal gespielt wird. Mit der Produktion von Lindpaintners Oper bereichert Rossini in Wildbad seine sehr verdienstvollen Entdeckungsreisen in das zeitgenössische und stilistische Umfeld Rossinis um eine lokale Facette, die die Überlappungen italienischer, französischer und deutscher Musikgeschichte in ein neues, bislang unbekanntes Licht taucht. Neben den gebotenen lokal- und musikgeschichtlichen Erkenntnissen ist das Werk aber auch ein wahrer Leckerbissen für den Opernfreund. Es bietet viel Eingängiges, Spannendes, melodisch Süffiges und in der hier gebotenen Zusammenstellung sogar Neues. Lindpaintner hält die Sizilianische Vesper für einen Höhepunkt seines Opernschaffens. Lassen wir uns also mit seiner Beurteilung des Werkes schließen, mit der er die Oper dem bayerischen König Ludwig I. empfiehlt: „Mein Bestreben aber, die Erfahrungen meines Kunstwirkens wie in einem Brennpunkt zusammenzufassen, war einzig darauf hingezeichnet nach meiner besten Ueberzeugung dem Vocale wie dem Instrumentale nur das Würdige, Wirksame, Eigenthümliche zu bieten und das Solide mit dem Modernen zu verbinden.“ (Foto oben: Michele Rapisardi: „I vespri siciliani“/ Wiki) © Volker Tosta, Stuttgart im Oktober 2014

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Dänische Klangbilder von 1867 bis 2017

 

Auf den Flügeln der Phantasie  – Dänische Klangbilder von 1867 bis 2017: Über 150 Jahre hat sich die Königliche Akademie der Musik in Kopenhagen als die große Institution im Musikleben Dänemarks erwiesen. Eine Abfolge großer Namen des dänischen Musikgeschehens – Schöpfer wie Interpreten – haben an der RDAM gewirkt. Eine beispiellose 12-CD-Ausgabe bei Dacapo malt ein einzigartiges Klang-Portrait der RDAM und wichtiger Aspekte des dänischen Musiklebens von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart. Nur wenige sind einem nicht-dänischen Musikliebhaber bekannt und zeigen eine verblüffende Vielfalt an Stilen und Formen. Neben solchen wie Niels Gade, Carls Nielsen  finden sich Komponisten wie  J. E. Hartman, Knudage RiIsager, Vagn Holmboe, Finn Höffding, Hermann D. Koppel, Per Nörgard, Hans Abrahamsen, Erik Höjsgaard, Niels Rosing-Schow, Svend Westergaard, Ib Nörholm und viele, viele mehr mit ebenso historischen wie neueingespielten Aufnahmen. Eine wichtige weitere Abteilung ist den Interpreten gewidmet, die einem Kontinentaleuropäer oft meistens unbekannt geblieben sind, namentlich die Sänger der Vergangenheit wie Else Paaske, Helene Gjerris, Otta Brönnum.  Natürlich kennt der aufgeklärte Vokalfan Tonny Landy und Kim Borg (wenngleich doch auch manche wichtige Namen fehlen – die Kriterien der hier vorgestellten Auswahl sind  etwas unübersichtlich – Oper ist nur mit Tonny Landys Beitrag aus Lucia di Lammermoor vertreten.). Daneben viele Instrumentalisten von Rang. Die 12-CD-Box bei Dacapo (8.201202) ist ein Cornocupium an akustischen Fundsachen, ein Who-is-Who in der dänischen Musik (mit Lücken). Sie ist allen anzuraten, die sich mit der bei uns wirklich so gut wie unbekannten Musik unseres nördlichen Nachbarlandes beschäftigen wollen.

Die alte Königliche Dänische Musik-Akademie am Andersen Boulevard in Kopenhagen/ Foto Booklet Dacapo

Meine alte und leider 2008  verstorbene Freundin, die Sängerin Inga Nielsen, hat mich immer wieder auf ihre nationale Musik hingewiesen – auf  Kunzen und dessen wunderbare Oper Holger Danke (die wir später vorstellen werden und die auch bei Dacapo eingespielt wurde), auf Nielsens Maskerade oder Saul og David und Heises spannende Königsoper Drot og Marsk, auf Friedrich Kuhlau oder Johann Adolf Scheibe. Dänemark ist ein Land mit reicher musikalischer (auch Opern-)Vergangenheit. Diese prachtvolle Box bei Dacapo hilft dem Suchenden auf die Sprünge und eröffnet ein Blick in ein anderes Land. Im Folgenden geben wir den Artikel von Toke Lund Christiansen aus dem Booklet in seiner englischen Übersetzung bei Dacapo wider. Eine starke Empfehlung. G. H.

 

Toke Lund Christiansen: There is a time to compose, to have work performed and published, a time to rehearse and perform, and finally there is a time to stop and take stock. For the composers and musicians of the Academy it is now an anniversary year, after 150 years of music.

The first audible tracks we have of the music surrounding the Royal Danish Academy of Music are recordings of instrumentalists and singers presenting themselves in the black grooves of old 78s. Today too, with a little good will, we can get an impression of how Dan­ish musical life unfolded from the 1890s and throughout the subsequent decades. We just have to accept a little ‚crackle‘ from the early recordings.

But there was also music before that. We can only guess how it sounded. From Carl Nielsen we hardly even have his voice. We know he spoke with a melodious Funen accent, but no one thought, in those days when it was possible, to preserve the voice of our na­tional composer. A single track is full of noise, and in the background we can hear Nielsen playing the piano, but the quality is just as technically poor as the unique recording that exists of Brahms playing a Hungarian fantasy.

Before Carl Nielsen, too, there was music in Denmark, although we cannot hear Gade’s violin or Hartmann’s organ playing. Part of the Academy’s celebration on the CDs consists of presentations of the music of the Golden Age composers played by among others the teachers of the Academy – past as well as present.

It is inherent in the Danish name of the Academy – Konservatoriet or the Conservatoire – that something is worth conserving. Much music and musical activity builds on tradi­tion, but a ‚conservatoire‘ also has an obvious obligation to take care of the more recent and not least the brand new music and tendencies. For that reason too, in the present box set you will also find a number of CDs which primarily present recent and the brand new music as it has developed in association with the Academy; a bouquet of composers who have been employed at the Academy for a short or long period, each of whom has helped to influence both the placing of the new sounds on the musical scene and the artistic milieu at the Academy.

From the past as from the present, when all is said and done, this will only be a fly­ing visit to the innumerable recordings that the instrumental and singing teachers of the Academy\have produced in the course of these many years. In this respect the aim has been to weave a ‚musical tapestry‘ in which the selected works visit the various musical spaces that together make up the pulsating life of the Academy, both as echoes from bygone times and as the sounds heard around the institution today. Not least, the students‘ own great achievement, the anniversary concerts in November 2015 and 2016, with Nielsen’s Fourth and Pelle Gudmundsen-Holmgreen’s percussion concerto Triptykon , tell us that music at the Academy is alive and kicking.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: Kim Borg ist mit der „Schöpfung“ vertreten/ Wiki

Those who sang, and those who played: If we are to meet the musicians of the past at the Academy, we must build a memory palace or rather let our thoughts and imagination carry us back to the stately building on H.C. Andersens Boulevard. There it lies, not so easy to enter today, now that it is the Chinese Cultural Institute, which has wrapped the building in scaffolding and is rebuilding it for its Chinese purposes. First there was one building, then the neighbouring building was added, but at the beginning it was Niels W. Gade’s vision that became a temple of music here. Five floors were linked by a wrought iron staircase decorated with a wealth of con­volutions and ornaments, a staircase that is said to have come from the old royal palace of Christiansborg, burnt down in 1884. It is not so strange that in Jutland, where they have their own Academy, they call ours Kongekons (‚Kingcons‘).

With some difficulty we push the heavy oak main door open – the beginning of a small journey through the times. We ascend the marble steps only to be reminded on both sides that this was also Carl Nielsen’s domain. Here he had his daily workplace and here he end­ed up, although for a short period, as President of the whole caboodle. His daughter, Anne-Marie Telmanyi, has decorated the side walls of the main staircase with colourful frescoes; scenery with absolutely appropriate figures from ancient Greek culture and mythology – Apollo, Sappho, Athene, in light robes, all welcoming us.

Up in the narrow hall things are immediately more down-to-earth. N.W. Gade him­self sits a little ceremonially, captured in cool, chalky-white marble -even though he was not like that at all, but had unruly locks and ruddy cheeks. But here he is slightly tired, or so a young person might think, seated on his black plinth, a foundation that takes up more space than the Golden Age composer himself. But he is not the man we are to meet. How Gade played his music is something we can only read about. We are interested in the sounds from down through the ages that have been captured by technology. We hasten past him, for now we go up to the place where the music is playing.

The first person we meet on the stairs is a stocky figure. His head is large, his brow domed, he has dark wispy hair. Niels Viggo Bentzon has a jutting lower lip. He is forging ahead at full speed and is not very old, somewhere around 23. He has just played his Tocca­ta  up in the locality on the third floor, which was once called C2. Koppel was there. They were all there. It caused a furore. The composition, yes, but not least his incredible dexterity and conviction in the piano playing. He had refined his playing with the aid of his chum, the Hungarian-born visiting piano virtuoso Georg Vasarhelyi. We shall be hear­ing him too. Before that it was Christian Christiansen who had been Niels Viggo’s piano teacher. Niels Viggo found him, and „all the other bandits“, completely „knocked out with enthusiasm for Carl Nielsen“. Bentzon acknowledged his legacy from Nielsen, but he was preoccupied not least with Arnold Schönberg and in 1949 studied and recorded the latter’s short but compact Six Piano Pieces CD 9 For Bentzon the Academy, along with the publisher Edition Wilhelm Hansen, the newspaper Politiken and the publisher Gyldendal, were focal points more or less throughout life. He never became professor of composi­tion, and this prompted Arne Skjold Rasmussen to exclaim: „Damned if he needs to do anything but go around and be Niels Viggo Bentzon!“. Skjold Rasmussen had taken his diploma the same year as Bentzon, allegedly with a grade just under the composer’s. On the other hand, over the following years Skjold Rasmussen was to develop into one of the country’s most admired chamber musicians, and a Nielsen interpreter on the grand scale, while Bentzon’s piano playing gradually declined – just as it had done with Brahms. Skjold Rasmussen demonstrates his mastery in Nielsen’s Three Piano Pieces, recorded in 1952, but also in small pieces by Schumann and Mendelssohn.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: Tonny Landy singt aus „Lucia di Lammermoor“/ Wiki

We proceed up to the first floor, and there we step into the ‚piano passage‘. Before the Academy President Poul Birkelund took the initiative to build the unfortunate bridge that connected the two almost identical mansions, there was only the one building for all the ac­tivities, and the ‚piano passage‘ was more of a ‚professorial passage‘ for the use of strings and singers as well as pianists. The individual localities were acoustically protected by white- painted, beautifully profiled double doors, and from inside the first room we hear Skjold Rasmussen’s characteristic, slightly hoarse but loud voice. Phrasing above all, and timbre!

We fly like airy spirits a little back and forth in time, and from the same room, through the double doors, comes the sound of similar stern words. Then there is a bang. The minor- subject student lb Hermann has had Beethoven’s 32 (bound!) thrown at him. That was my grandfather, Holger Lund Christiansen, taking the music in hand. Much more sensitively later in the day, and undeniably also a few years before (1942), when he practiced with his close friend the violinist Erling Bloch. It could have been the Kreutzer Sonata, but it wasn’t on that day. What I do hear is the Spring Sonatas languishing first subject. We ease the outermost door open a little, for we would like to listen too. During the war these two had held afternoon concerts at Geelsgard, up in Holte, of all Beethoven’s violin sona­tas. There was a curfew, and you had to be home before the night fell.

Yes, and Herman D. Koppel was impressed by Bentzon’s youthful daring. Koppel was some ten years older than Bentzon, and later generations dwelled mostly on Koppel’s many, often large-scale, compositions. In his younger years, however, Koppel was a piano- pounder of the first order. Later he once said to me that „it’s hard to keep your piano play­ing up to that high standard when you sit for so many hours with a pencil in your hand.“ In 1953 we hear Koppel at the Concertgebouw in Amsterdam – he got around as a concert pianist. Often, as here with the Third Piano Concerto, in his own compositions, but just as often with more or less the whole central piano repertoire in his baggage.

It is as if a light mist descends, and here in the ‚piano passage‘ a small but erect figure looms out of the fog: Johanne Stockmarr. A curious gaze, and with the years also small spectacles perched on her pointed nose. Her hair is elaborately put up, and she frequents the biggest European stages with ease. The ‚Royal Court Pianist‘ is dressed in white airi­ness, so it is probably summer. Johanne Stockmarr, along with Agnes Adler, was first lady of the piano in the time between the world wars. She had taken lessons with both Gade and Hartmann. At the other end of her long life she taught among others Skjold Rasmus­sen and Esther Vagning. Yes, the tradition leaves its footprints. As an echo from 1930 we hear Miss Stockmarr’s sensitive attack. It seems to be something by Chopin.

Well, hello maestro! I am undeniably somewhat flustered, for here comes Holger Gil­bert-Jespersen with his French Louis Lot flute case under his arm. My grandfather is fin­ished for the day and is soon on his way back to Klampenborg with a lit cigar in his mouth, dressed in plus-fours, all topped by a brown beret. He nods curtly without recognizing his grandchild, but then I haven’t been born yet. A cellist appears, Torben Anton Svendsen. He was not a teacher at the Academy, but was busy heading out for his new artistic field as drama director at the Royal Theatre. And then I really prick up my ears, for Gilbert- Jespersen was the maestro who made the solo flautist of the Vienna Philharmonic exclaim: „By God, I don’t know how you do it, Jespersen!“ Riisager’s extremely difficult Serenade is on the programme. This too, as well as the Spring Sonata, is to be recorded on HMV, His Masters Voice (the one with the doggy!), and it is to become a reference record­ing that the performers still have to relate to today. And what a piece! You can almost reel them off: „Ravel, Riisager, Roussel“. It’s in that class. I can only heave a deep sigh, but am drawn as if by magnetism over to the door just opposite.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo, das Domizil heute/ Wikipedia

Sometimes it is the double-basses that you hear rumbling in there, but right now (in 1949), it is unbelievably virtuoso cello figures that reach the ear. Boccherini’s Cello Sona­ta with an effortless ease that could come from a dexterous violinist. Erling

Blondal-Bengtsson is rehearsing with Vasarhelyi, and the former remains here in the local­ity (a few years earlier, now that we are flitting like angels or demons through time), and Vasarhelyi is replaced at the piano by a serious-looking fellow who has stuck his hands deep in his jacket pockets without bending his arms. The professor has close-set, dark eyes, a piercing gaze and greets me with a clear but nasal voice. I bow like the 16-year-old student I also am, well aware that the pianist Victor Schioler is also a trained medical doc­tor and is halfway through studying for a law degree, in order for him to manage the job as chairman of the Soloists‘ Society of 1921. A shiver goes up my spine. I can neither play the piano nor make diagnoses, and yet I am his successor in that venerable society.

One man is missing. Here he comes – Hoist. Cheerful, bare-headed, blinking a little, his violin case swinging back and forth as he walks. They are to play Schubert’s B-flat Trio and boy can they play, these three! The door stands ajar. Victor (what a name for a piano-tamer!), the young Blondal and then the leader of the Berlin Philharmonic for eight years, Henry Hoist. I remain standing and listen to all of it. And it continues, and I can’t get enough of it. Now (1955?) Blondal and Schioler are also practicing Brahms‘ in­tricate F major Cello Sonata, and you understand why they were both high­fliers on the international music scene. Hoist had spent the whole war and a subsequent decade in England, and had played the great violin concertos, including Walton’s, which he gave its first European performance. When he went to Berlin as a very young man from his birthplace Saeby in Denmark, and played his way to the lead violinist post, he even did the ‚Gypsy‘ scene in Berlin. That has been captured in a matchless recording of Sarasate’s violin magic, Zigeunerweisen with Heifetz – no, Hoist! Serguei Azizian nods. Yes, he was incomparable, the young Hoist. Serguei is not from Saeby, but from St. Petersburg. There they have proud traditions of violin playing. With the Copenhagen Philharmonic, his Danish orchestra, before he was hauled in by the Academy, he recorded Britten’s de­manding Violin Concerto.

So are we done with the violinists? No, not quite, for there was this folk-musician fam­ily from the Brorup area in South Jutland, whose third generation fostered a lead violinist and quartet player touched by God. He is most often seen with a violin under his chin. Above his Guadagnini violin, a face in living colour, crowned by chalky-white hair. Tongue in the corner of his mouth, and his sea-blue eyes wandering around and observing in a split second what has to be the focus right now in the music. Peder Elbaek was above all a Nielsen player, and here we hear him in a recording (1979) of the demanding solo pieces Prelude and Presto.

A little melody in perfect balance: That must be the Norwegian Robert Rifling. He could do it all, played everywhere, but we are listening to something as modest as Harald Saeveruds national hits back in 1950, Rondo amoroso and Koempeviseslatten (Ballad of revolt) ) 9 [13]-0. Even a little is not to be sneezed at, and what is highest, the Round Tower or a  thunderclap? The long ‚piano passage‘ resounds with high as well as low notes, chords and tirades, and I want to get it all in. We hear both song and piano playing, and I am enchanted by Debussy’s Suite bergamasque.  But wait, it’s time for my piano lesson! If only Blyme doesn’t get miffed. My Haydn sonata is not great art. Anker Blyme rises absent- mindedly from the Steinway grand, pushing his glasses up his forehead. He is tall and im­pressive. Should probably be president of some major country but it is also quite natural (hat he becomes the President of the Academy for a period. My lesson is shortened a little (and it’s short to begin with), for Niels Viggo Bentzon comes bursting in, and soon it’s all over with the delicate sounds of Debussy, for the two of them, NVB and Blyme, plunge into a hell-for-leather duet. Afterwards they talk about Bentzon’s Third Piano Sonata. Well, Blyme might well think it’s both difficult and worth rehearsing. It has been called „one of the twentieth century’s great piano sonatas“ (John Damgaard), and in the USA a whole PhD thesis has been written about its Hindemith-like structure.

I must take a break from the intense atmosphere of the ‚piano passage‘ and its many sounds. One floor up and straight ahead: the Banqueting Hall. There you can fall back on the high-backed chairs with the fine lyre carved in the back and enjoy the silence, bro­ken only by the clang of the trams and the screech of traffic from down on the boulevard. But no. Sound wells down from the organ up on the balcony. I know it, I think: Nielsen’s twilight work Commotion, acid test for all Danish organists. It is Bine Bryndorf who is mistress of the many pipes. The Academy’s small organ isn’t the one we can hear captured on CD, instead she chose the organ in the Nikolai Church (now Art Hall) in Copenhagen. Bine has studied Nielsen’s original stoppings and she here plays the organ, still unchanged today, that Nielsen could listen to in the early summer of 1931.

Well hello, Grethe! Commotio is also Grethe Krogh’s signature work. Fortunately re­corded and admired by both professionals and laymen. Grethe has just come from Paris. She has long since retired from the old Academy, but just watch whether she can control herself. A biography is in the pipeline, and down in Paris on Bastille Day (2004) she is premiering Fuzzy’s (Jens Wilhelm Pedersen’s) Cadences et tremblements a Notre-Dame. Refreshing and youthful, and with the Paris sound captured in a concert recording.

Fresh air! As I stride in towards Gammel Strand and Stroget, it is as if everything changes. The cars fade, a horse and carriage is followed by several more. Here it does not smell of gas and petrol, but of horse droppings and soot from Norrebro’s industrial chimneys. A funeral procession has gathered on its way towards the Cathedral. Inside sound the notes of the or­gan – the organ on which Weyse, Gade and later J.P.E. Hartmann played throughout almost 100 years. It is March 1900, and now he is dead, old Hartmann, even though people thought it would never happen. In the same month, and during a memorial service for Hartmann in London, Otta Bronnum’s clear soprano rings out in the church interior. Two years before this she has recorded among other thing Hartmann’s Flyvfugl, flyv (Fly bird, fly), under the more commercially euphonious stage name Otta Brony. Otta Bronnum was one of the Academy’s first singing teachers, but in her younger years she had an international career. As of December 1898, and for a year, she recorded no fewer than 16 tracks in London. These recordings are among the oldest preserved on lacquer discs anywhere.

Further back in time I cannot travel, and, slightly dizzy, I find a bench at the Glyptotek’s gardens. Can one have better company than two marvellous singers, the tenor Tonny Landy and the bass-baritone Kim Borg? We talk about anything but vocal technique, but I do ask Tonny about the recording of the aria from Nielsen’s opera Saul and David.

Yes, it was supposed to be with John Frandsen conducting, but that particular evening it was Ole Schmidt who stepped in. And then of course there is the Bel Canto tradition, which in this country probably goes all the way back to the singing-master Siboni. And Tonny hums a little something from Lucia di Lammermoor. Kim Borg, in tweed . heck, broad-shouldered and puffing on his pipe: „Oh yes, Haydn’s Creation“ , and the aria (“Nun scheint in vollem Glanze”) you mention were performed and recorded in Berlin in 1958, and that was with the ballet master Nijinsky’s son-in-law, Igor Markevitch, as conductor.“ And then we talk on about Nijinsky and Stravinsky, for both Tonny and Kim Borg have many interests, also outside the singing profession.

Who were the lucky audience in Roskilde that magical afternoon when the contral­to Else Paaske, along with the pianist (and later Academy President) Friedrich Giirtler, dreamed their way through Mahler’s Des Knaben Wunderhorn. One wishes one had been there, but fortunately the microphone was open, so special moments were captured like a drop of liquid resin that is later transformed into shining amber.

150 Jahre Königliche Dänische Musikakademie bei Dacapo: das RDAM-Orchester unter Michael Schönwandt/ Foto Booklet Dacapo/ s. dort die Fotografennamen

But we must go back to the old Academy on the boulevard, and we trudge up to the third floor, where the woodwinds are located. First he was an oboist and achieved a short but glorious career in the USA. Then back home in Copenhagen, Svend Christian Felumb became a member of the famous Wind Quintet, which also boasted talents like the flautist Holger Gilbert-Jespersen and the clarinettist Age Oxenvad. This variety of Danish oboe playing had its origins in Paris. The timbre is bright and perhaps a little on the nasal side. But that it how it was with timbre. The aesthetic expression is moulded in the training. Felumb was on a friendly footing with Carl Nielsen, so it is only natural that we should hear the Fantasy Pieces, opus 2, and it is even with another friend of Nielsen, Chris­tian Christiansen, at the piano. Later in life, as conductor of the Tivoli orchestra, Felumb became a tireless champion of the young composers in particular, while Christian Chris­tiansen was for many years President of the Academy.

It can be difficult to ignore the brass players. In the old Academy they were often ban­ished to the remoter localities, but that does not change the fact that here too music of the highest standard was played. Listen for example to Palmer Traulsen in Asger Lund Christiansen s opus 1, Concertino for trombone and large orchestra; a first per­formance in Tivoli on 4 May 1959 with the composer at the head of the Tivoli orchestra. I was there, and many people were especially enthusiastic about the cadenza, which it was thought Traulsen himself improvised. It was not the case, however. It was all carefully no- tated in the score by my 31-year-old father.

It may well seem that my time travels are on the nostalgic side, but listen: all that is happening today, you can yourselves go out in the city and hear. It’s happening here and now, and one day that too will become historic and will be studied with both magnifying glasses and ear trumpets! And by the way, it is wonderful that the old woodwinds from the Radio got together in 1947 and played Mozart’s little Divertimento in B flat major for the select six: two oboes, two bassoons and two horns, so we also have the opportunity to make the acquaintance of the icons Professor Ingbert Michelsen (French horn) and Carl Bloch (bassoon). The sound is bright and to our modern taste a little dry, but that’s how it was.

More up-to-date is Poul Birkelund’s spirited performance ofVagn Holmboe’s Solo Sona­ta for Flute CD. This is an unedited recording from Icelandic radio, and Poul himself was exceedingly happy about what he had achieved that afternoon in 1970 up on the volcan­ic island.

And recordings from our own time? Well, you have to listen for those, either here among the recordings or out on the musical scene of today. Oh, yes, we should just mention that the inimitable Bjorn Carl Nielsen’s sensual oboe is represented on this journey through time. A slow movement for oboe and chamber orchestra by the Czech Krommer.

It is a special pleasure that the Academy’s own symphony orchestra – without a sin­gle assistant from the ranks of the established professionals – fills a whole CD. First with Gudmundsen-Holmgreen’s Triptykon in the hands of the person it was writ­ten for, the percussion professor Gert Mortensen, and then an inextinguishable Nielsen’s Fourth, with no editing or other hocus pocus, and all under the baton of Michael Schonwandt.

So what is missing? Oh well, all the others are missing, for this is like a dream where everything passes before our eyes and ears. Many names do not feature in this spin of the kaleidoscope, this Laterna Magica, but those it was not possible to present in this CD box are not forgotten, for the singing and instrumental music at the Academy are interwoven in a pattern that is constantly changing, but always with respect for what came before. The art is thus also in showing respect for what is here right now, and what is on its way. But that’s a quite different story. Toke Lund Christiansen, Associate Professor at RDAM and flutist (Übersetzung James Manley/ Dacapo)

Marschners Oper „Der Bäbu“

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2018 brachte die Neuburger Kammeroper unter ihrem langjährigen Intendanten Horst Vladar eine echte Opernrarität zur Aufführung: Der Bäbu von Heinrich Marschner. Diese komische Oper – im Jahr 1838 in Hannover uraufgeführt – war bereits die 50. Produktion  im Stadttheater von Neuburg an der Donau und neuerlich ein großer Publikumserfolg.

Heinrich Marschner (1795 – 1861) wandte sich schon früh mit Kompositionen der Musik zu, wobei der Thomaskantor Johann Gottfried Schicht sein Mentor war. 1817 wurde er Musiklehrer des Grafen Zichy in Preßburg, wo er seine ersten Opern schrieb und bald zu einem der führenden deutschen Komponisten seiner Zeit wurde. Im Jahr 1824 wurde Marschner Musikdirektor der Semperoper in Dresden und von 1827 bis 1831 war er musikalischer Leiter der Oper in Leipzig, wo er mit seinen Werken Der Vampyr und Der Templer und die Jüdin große Erfolge erzielte. Von 1831 bis 1859 war Marschner Hofkapellmeister der Oper in Hannover. Zu einem Schlüsselwerk der deutschen romantischen Oper wurde1833 Hans Heiling. Marschners Hoffnungen, in Berlin die Nachfolge von Gaspare  Spontini anzutreten, zerschlugen sich allerdings. Der Ruhm Meyerbeers und Wagners überstrahlte ihn, in seinen letzten Jahren war er fast vergessen.

Die Handlung der Oper Der Bäbu, deren Libretto Wilhelm August Wohlbrück verfasste und Horst Vladar für die Neuburger Kammeroper bearbeitete,  spielt  im Jahr 1820 in Britisch-Ostindien. Der gerissene Bäbu, ein selbstgefälliger Guru und Yogalehrer, ist ein Gauner und Betrüger. Nachdem er den Besitz des adeligen Ali Khan ergaunert hat, will er dessen Tochter Ranijana zur Frau. Sie liebt jedoch Captain Forester, der aus gesundheitlichen Gründen nach England zurückkehren musste. Um ihn dazu zu bewegen, täuschte sie sogar einen Selbstmord vor. – In England verlobt sich Forester mit Eva, der Nichte des Gouverneurs von Kalkutta. Wieder gesund, reist er nach Indien, da er sich seiner Gefühle unsicher ist. Als er Ranijana heil vorfindet, erwacht seine alte Liebe wieder. Eva, die den von ihm ausgestreuten Gerüchten von seinem Tod misstraute, taucht ebenfalls in Indien auf. Es wird chaotisch. Doch als Forester entdeckt, dass sein Freund Mosely und Eva einander lieben, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Da bringt Ali die Nachricht, dass seine Tochter entführt wurde. Alle sind der Meinung, dass Bäbu dahinterstecken müsse. Tatsächlich finden sie Ranijana bei ihm. Es war ihr gelungen, den betrunkenen Guru in den Schlaf zu „tanzen“. Man überwältigt den völlig Verstörten und übergibt ihn der weltlichen Gerichtsbarkeit. Glücklich fallen sich die Paare unter dem Applaus der Freunde in die Arme.

Trotz dieser komplizierten und teils verworrenen Handlung der Oper gelang Horst Vladar – er war im Jahr 1969 Mitbegründer der Neuburger Kammeroper und ist seitdem auch ihr künstlerischer Leiter – eine treffliche und humorvolle Inszenierung. Im übrigen darf er als „Seele der Kammeroper“ und Tausendsassa bezeichnet werden, spielt er doch in dieser Produktion sogar drei Rollen: In der ersten Szene den Richter Muton, später zusätzlich Sir Tynebutt und einen der vier vermummten Räuber, die Ranijana entführen. Als Produktionsassistentin wirkte auch seine Frau Annette Vladar mit. Das kreativ gestaltete Bühnenbild, das auch das indische Flair äußerst anschaulich zur Wirkung brachte, schuf Michele Lorenzini. Für die Beleuchtung zeichneten Bernhard Kugler und Mario Liesler verantwortlich.
In der Titelrolle des Bösewichts Bäbu überzeugte der Bassbariton Stephan Hönig sowohl stimmlich wie auch durch seine starke Bühnenpräsenz. Immer wieder spielte er sein komisches Talent wirkungsvoll aus – wie auch der Chor als Gefolgschaft und Anhänger des Guru, die mit Mimik und Gestik großartig ihre kritiklose Treue spielten (Einstudierung: Norbert Stork). Der adelige Händler Jussuf Ali Khan wurde vom schlanken, großgewachsenen Bariton Joachim Herrmann dargestellt, der seine stärksten Szenen als liebender Vater hatte. Eine erstklassige Leistung bot die in Italien geborene Sopranistin Alessia Schumacher (Foto oben/ Kammeroper Neuburg) als seine bezaubernde Tochter Ranijana. Mit ihrer kräftigen Stimme meisterte sie nicht nur jede Höhe, sie brillierte auch darstellerisch, wobei sie als Gefangene des Bäbu auf köstliche Art den beschwipsten Guru schwindlig tanzte! Einige „Brava“-Rufe aus dem Publikum waren ihr verdienter Lohn. Ein gelungenes Debüt in der Neuburger Kammeroper! Man darf auf ihre weitere Karriere gespannt sein.

Marschner: „Der Bäbu“/ Szene mit Joachim Herrmann, Horst Vladar, Elmar Göbel/ Foto Kammeroper Neuburg

Ebenso erstklassig war die Leistung des Tenors Karsten Münster in der Rolle des Captain Henry Forester. Seine kräftige Stimme überstrahlte alle anderen Darsteller. Auch gelang es ihm, seine Liebesprobleme mimisch eindrucksvoll wiederzugeben. Stimmlich gut auch der kroatische Tenor Goran Cah in der Rolle seines Freundes Mosely, der sich in Eva verliebt und als Sänger gleichfalls ein gelungenes Debüt in Neuburg feierte. Als Eva Eldridge überzeugte die Ingolstädter Sopranistin Laura Faig sowohl stimmlich wie darstellerisch. Mit großem Temperament und köstlich-humorvoller Mimik gestaltete sie ihre Rolle auf glänzende Art. Ihr gegenüber blieb die elegante Sopranistin Ulrike Johanna Jöris als Lady Wrengthon, die Frau des Gouverneurs, ein wenig blass. In der komödiantischen Rolle des Gosain, Bäbus Vertrauten, konnte der Bariton Michael Hoffmann zur Freude des Publikums sein komisches Talent voll ausspielen. Sehr humoristisch legte auch Elmar Goebel in der Gerichtsszene die Rolle des Anwalts Butun Ghos an. Die musikalische Leitung des Orchesters des Akademischen Orchesterverbandes e. V. lag in den bewährten Händen von Alois Rottenaicher. Es gelang ihm, die vielschichtige Partitur des Komponisten, deren romantische Melodien immer wieder ins Ohr gingen, in allen Facetten  wiederzugeben.

Das begeisterte Publikum, das immer wieder den Sängerinnen und Sängern Szenenbeifall zollte, dankte am Schluss der fast dreistündigen Vorstellung allen Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall. Verdiente „Bravo“-Rufe gab es für Horst Vladar, dem man zu dieser neuerlichen Ausgrabung einer in Vergessenheit geratenen Oper gratulieren muss (28. 7. 2018). Udo Pacolt

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Den Artikel entnahmen wir mit besonderen Dank an den Autor und den onlinemerker für die freundliche Genehmigung! Fotos Kammeroper Neuburg.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Grosse kleine Kunst

 

Auf ihrem eigenen Label bringt die Wigmore Hall ein Recital mit der renommierten italienischen Sopranistin Anna Caterina Antonacci heraus (WHLive0054). Aus dem Jahre 2011 stammt dieser Live-Mitschnitt mit dem Titel „L’ alba separa dalla luce l’ombra“, der einer Liedgruppe von Tosti entnommen ist. Diese Quattro canzoni d’Amaranta, komponiert 1907, bilden den zweiten Programmschwerpunkt. Der ernste, bedrückende Auftakt mit starker Steigerung („Lasciami“) zeigt die expressive Gestaltungskraft der Sängerin, die folgende Titel-Canzone mit ihrem leidenschaftlichen Aufschwung führt die Sopranistin  an Grenzen und zeigt auch eine gewisse Freizügigkeit in der Intonation. „In van preghi“ und „Che dici“ werden in ihrem introvertierten Charakter dagegen ohne Probleme bewältigt.

Eröffnet wird der Abend mit fünf Chansons en dialecte vénetien von Reynaldo Hahn aus dessen 1901 entstandener Sammlung Venezia. Im ersten, „Sopra l’ acqua indormenzada“, und zweiten, „La barcheta“, erklingt die Stimme reizvoll verschattet und in sanfter Melancholie. Von delikater Koketterie erfüllt sind „L’ avertimento“ und „La biondina in gondoleta“, während das abschließende „Che peca!“ resolute Töne hören lässt.

Danach gibt es einen bunten Reigen von italienischen Kompositionen, die drei Jahrhunderte umspannen. Das älteste Stück ist Cestis „Intorno  all’ idol mio“ von 1656, womit die Sängerin an ihre bedeutende Interpretation der Monteverdischen Poppea erinnert, das jüngste Refices „Ombra di nube“ von 1935, das in seiner verhangenen Stimmung den Schatten einer Wolke suggeriert. Drei Titel stammen aus der Feder Cileas („Serenata“, „Nel ridestarmi”,Non ti voglio amar“) und werden in feinen Schattierungen zu Gehör gebracht. Lediglich in der exponierten Lage gibt es herbere Momente. Mit Respighis „Sopra un’ aria antica“ endet das offizielle Programm, aber mit ihrem Encore, dem populären „Marecchiare“, kehrt die Solistin noch einmal zu Tosti zurück und lässt den Abend in fröhlicher neapolitanischer Stimmung ausklingen.

Auch dieser Auftritt bestätigt  den Ruf der Sängerin als eine der vielseitigsten Sopranistinnen unserer Zeit, in deren Repertoire sich so gegensätzliche Partien wie Cassandre, Carmen. Medea und La Femme in Poulencs La Voix humaine finden. Zuverlässig begleitet von Donald Sulzen am Flügel, führt sie das begeisterte Publikum auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Landschaft italienischen Liedgutes. Bernd Hoppe

Wiederbelebter Kassenschlager

 

Nicht alle großen Kassenschlager der Oper haben die Zeiten überlebt, manche einstigen Dauerbrenner sind vergessen worden. Doch zuweilen graben kleine Theater oder Festivals sie aus. Genau das ist geschehen mit einer alten Lieblingsoper der Italiener: Che Originali! („Was für Originale!“). Der Livemitschnitt vom Donizetti-Festival in Bergamo in der Edition von Chiara Bertini der Fondazione Donizetti von 2017 ist nun beim Label Dynamic zu haben (optisch auch als DVD in der Regie von Roberto Catalono und der sehr bunten Ausstattung von Emanuele Sinsi/Ilaria Ariemme; angekoppelt ist wie auch auf der CD Donizettis selten gespielter Pigmalione in der Edition von Alessandro Murzi mit Antonio Siragusa und Aya Wakizono in den beiden Gesangspartien).

Ein Donizetti-Festival-Mitschnitt aus Bergamo vom Mayr? Warum nicht! Mayr hat nun wirklich alle Berechtigung, dort gespielt zu werden. Er war Donizettis Lehrer und hat in Bergamo gewohnt. Mayr, als junger bayrischer Illuminat auf der Flucht in Italien ankernd, hat zwar nicht die italienische Politik subversiv untergraben, wohl aber die Operntradition. Genau genommen hat er keinen Stein auf dem anderen gelassen und das 19. Opernjahrhundert in Italien mit einem Paukenschlag eröffnet.

Auch wenn Che Originali! schon die vierte Mayr-Buffa ist, war sie doch die erste mit durchschlagendem internationalem Erfolg. Mayr nimmt hier den musikalischen Dilettantismus aufs Korn. Ein Adliger, der völlig besessen ist von Musik, kein anderes Thema kennt und seine beiden Töchter dazu zwingt, den ganzen Tag Musik zu machen – das bietet Gelegenheit zu bitterbösen Seitenhieben auf den damaligen Musikbetrieb. Ein sehr lustiges Stück, das auch heute noch Spaß macht. Und die Strukturierung der Nummern ist extrem vorausweisend!

Mayr hat hier bereits 1798 mit seinem Librettisten Gaetano Rossi so etwas kreiert wie die erste moderne Opera Buffa des 19. Jahrhunderts. Der Librettist war später auch immer zur Stelle, wenn es darum ging, Rossinis frühe bahnbrechende Visionen umzusetzen. Sowohl Rossinis erste Komische Oper stammt aus der Feder Rossis als auch Tancredi.
Che Originali! ist erst Rossis zweites Libretto, doch das Team Mayr & Rossi hat hier erstmals eine Art Werkstatt ausgerüstet, die bald extrem erfolgreich sein sollte – etwa 20 Opern haben die beiden zusammen ausgeheckt. Hier ist zum ersten Mal ausgeprägt der typische Buffa-Stil zu hören, den wir von Rossini her kennen.

Sympathisch und idiomatisch umgesetzt: Ich habe erst vor kurzem eine andere Produktion dieser Provenienz ziemlich verrissen, aber hier ist dann doch erfreulich viel erfolgreich. Die Aufschrift World Premiere Recording ist genaugenommen falsch, denn es gibt bereits Aufnahmen mit diesem Titel. Tatsächlich kann man hier von der ersten wirklich ernstzunehmenden Umsetzung auf CD sprechen.

Auch als DVD: Mayrs Buffa „Che Originali“ und Donizettis „Pigmalione“ aus Bergamo 2017 bei Dynamic (37811)

Die Ersteinspielung von 1999 unter Franz Hauk (nun bei Guild) hatte sich vor allem Münchner Gesangsstudenten bedient, die aber dem Werk nicht gerecht werden konnten. Das ist eben kein unkompliziertes Singspiel, das ist schon anspruchsvollster Belcanto. Und selbst jetzt, da viele Profis dabei sind wie Bruno di Simone oder die großartige Mezzosopranistin Chiara Amaru, spürt man, dass die Sänger an ihre Grenzen kommen.

Angela Nisi als Donna Rosina hat zwar nur eine große Koloraturarie, aber die setzt sie leider in den Sand. Das ist natürlich schmerzlich, einer der wenigen Momente dieser Aufnahme, in denen man die Stirn dann doch in Falten legt. Aber vielleicht fällt das gerade deswegen so unangenehm auf, weil sonst fast alles perfekt ist. Sogar die extrem schwierige Rolle des Don Caralino (schon ein kleiner Almavia) ist hier mit Leonardo Cortellazzi zumindest so fachgerecht besetzt, dass man ahnt, wie das ganze vom Komponisten gemeint ist.

Gianluca Capuano hält sein Ensemble gut zusammen, was bei diesen Buffe ja extrem wichtig ist, denn dieser Teamgeist, die Freude an der albernen Handlung, den grotesken Figuren muss mit dabei sein, wenn wir uns auch freuen sollen. Hier sind ausschließlich Italiener auf der Bühne, die sich im doppelten Sinne verstehen – sprachlich und untereinander (Johann Simon Mayr: Che Originali!; mit Bruno de Simone, Chiara Amaru, Leonardo Cortellazzi, Angela Nisi; Accademia Teatro alla Scala Orchestra; Gianluca Capuano; Dynamic, 2 CD CDS 7811.02)Matthias Käther

Sempre le donne…

 

Eines rennomierten Fürsprechers kann sich das gerade erschienene Buch Le donne di Gioachino Rossini von Roberta Pedrotti, bekannt auch durch ihre Beiträge in L’ape musicale rühmen. Kein Geringerer als Gianfranco Mariotti, Leiter der Rossini-Festspiele in Pesaro, hat das Vorwort zu ihrem Werk geschrieben, dessen Untertitel fast schon feministisch „Nate per vincere e regnar“ lautet. Bereits als Dreizehnjährige war die Autorin durch ihre engagierten und kenntnisreichen Beiträge in Leserbriefen aufgefallen, es hatte sich ein reger Briefwechsel zwischen Pedrotti und Mariotti entwickelt und eine Freundschaft, die auch heute noch Bestand hat.

Im ersten Kapitel des Buches geht es allerdings zunächst um Kastraten, die Frauenrollen singend durch ihre imposante Erscheinung auf sich aufmerksam machten, denn ihre Knochen wurden durch die Kastration zu längerem Wachstum angeregt. So dominierten Frauen, zwar von Männern gesungen, schon einmal optisch noch zu Rossinis Zeiten die Bühne. Ob allerdings das einer der Gründe dafür ist, dass auch von Frauen gesungen das weibliche Geschlecht sich auf der Rossini-Bühne heldenhaft schlägt, darf angezweifelt werden, nicht aber dass es bei ihm zwei Archetypen von Heldinnen gibt: die majestätische Frau und das unschuldige Mädchen. Und ein Rätsel wird gelöst: Rossini schreibt seinen Vornamen selbst mal mit einem, mal mit zwei C, wobei zunehmend die erste Schreibweise dominierte.

Vom Einfluss der Mutter, der Verstrickung in Politisches, den Musen, d.h. den Sängerinnen, denen der Komponist seine Rollen auf die Stimmbänder schreibt, wird berichtet, wobei natürlich die erste Gattin, Isabella Colbran eine besondere Rolle spielt, auf deren nachlassendes Stimmpotential er bei der Kreierung der Semiramide Rücksicht nehmen musste.

An erster Stelle stehen jedoch die fünf Farsen, die Rossini für Venedig komponiert und in denen samt und sonders die Frauen, zwei davon verheiratet und damit sessualmente attiva, die Handlung vorantreiben.

Spätestens hier wird eine Schwäche des Buches sichtbar, in dem seitenweise aus den Libretti zitiert wird, aber nicht eine einzige Note, es sei denn als Schmuckelement, zu sehen ist, auch in nur extrem wenigen Fällen, so wenn ein Tonartwechsel angeführt wird, die Musik überhaupt erwähnt wird. So handelt es sich eigentlich nicht um Rossinis Frauen, sondern um die des jeweiligen Librettisten. Dabei wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Charakter der jeweiligen Person auch verbunden mit deren Musik zu erklären, selbst in den recht komischen Fällen, in denen ein und dieselbe Melodie höchst unterschiedlichen Charakteren zugeordnet wird. Das Buch liest sich also eher als eines einer Literaturwissenschaftlerin als einer Musikologin.

Das Kapitel Tre donne per Maria Marcolini, eine Primadonna und berühmte Altistin, die gern Frauen, die sich als Männer verkleiden, spielte,  befasst sich dementsprechend mit  L’equivoco stravagante und La pietra di paragone, aber auch mit L’italiana in Algeri, wo Isabella immerhin die Frauen zur Emanzipation aufruft. Hier wie an vielen anderen Stellen zitiert Pedrotti aus Stendhals Vie de Rossini.

Interessant ist der Vergleich der Rosine von Rossini, Paisiello und Beaumarchais, allerdings auch wieder nur der Libretti bzw. des Schauspiels, nicht die jeweilige musikalische Gestaltung der Partie, die wohl nicht die Sympathie der Autorin genießt. Eher gelingt das Angelina, die selbst die Initiative ergreift und nicht nur ihren Schuh verliert, oder von Ninetta, die ihrem Vater das Leben rettet.

Viel gibt das Kapitel Figli (aber eher figlie), madri e spose her, dessen Brisanz die Autorin auf den Wandel im Erbrecht zurückführt. Selbst wenn Frauen auf der Verliererstraße zu sein scheinen, sind sie die eigentlich Überlegenen, so Desdemona (in der Version ohne lieto fine), wenn sie Otello auffordert: „Uccidimi, t’affretta!“ oder Zelmira und Amenaide, deren Heldentum im Schweigen besteht.

Relativ spät taucht die erste Königin in einer Komposition Rossinis auf, oft sind die Herrscherinnen zugleich guerriere, Fidelio-nah ist Dorliska, zur Revolutionären wird Mathilde in der Vertonung von Schillers Wilhelm Tell, der zum Vergleich herangezogen wird.

Eine Sonderstellung nimmt Il viaggio a Reims ein, in dem alle damals verfügbaren Stimmtypen in einem Werk miteinander vereint sind – und zugleich die wichtigsten Frauentypen, an der Spitze Corinna als „ideale kosmopolitische Figur eines vereinten Europa“.

Es gibt zwar kein Register, wohl aber am Schluss des Buches kurze Inhaltsangaben aller Rossini-Opern. Das Buch liest sich gut, gibt manche Anregung, enttäuscht aber durch das fast völlige Fehlen einer musikalischen Analyse. (Verlag Odoya 2018, 412 Seiten, ISBN 978 88 6288466 2/ Foto oben: Maria Malibran als Desdemona in Rossinis „Otello“/Bouchot/OBA ). Ingrid Wanja      

OPERNHAFT SAKRAL

 

Es gibt keinen Mangel an Einspielungen des beliebten Gloria RV589 von Antonio Vivaldi. Und doch ist es ähnlich wie bei Pergolesis Stabat Mater reizvoll, verschiedene Interpretationen zu kennen und zu vergleichen, denn beide Werke vereinen Sakralmusik, deren Theatralik opernhaft wirkt und bei der die Interpreten vor der Frage stehen, ob und wie sie Kontemplation und religiöse Inbrunst in weltliche Leidenschaft und Begeisterung sowie Zeremonie in Show übersetzen sollen. Vivaldi komponierte für jede Textpassage des Gloria einen eigenständigen Satz und schuf damit ein wunderbar melodiöses Werk, das hinsichtlich Affekten, Tempo, Tonarten, Metrik und Orchestrierung starke Kontraste zeigte. Dirigent Diego Fasolis steht als renommierter Experte für individuelle Ansätze, seine neue Vivaldi-Aufnahme ist beredt, eingänglich und stets anregend, ohne aufregend oder überraschend zu klingen. Die 25 Musiker seines Ensembles I Barocchisti spielen einen direkten, zupackenden Vivaldi – flink, ohne über die Maßen forsch zu sein, bspw. sehr schön in der melodiös ausgekosteten Einleitung mit Laute und Oboe zu „Domine Deus, Rex coelestis“. Es handelt sich um eine Studioaufnahme vom Juli und November 2016, der Detailreichtum bewegt sich im üblichen Rahmen guter Aufnahmen. Der Coro della Radiotelevisione Svizzera zeigt eine ansprechende Leistung, bspw. im spirituell hoffenden, von Traurigkeit durchzogenen „Et in terra pax“ oder dem lobpreisenden „Cum Sancto Spiritu“. Das Zugpferd der Neuaufnahme sind allerdings zwei Stars der Barockszene, die vor allem für virtuosen, ornamentierten sowie farbenreichen, ausdrucksstarken Gesang stehen und sich hier quasi einen stimmartistischen Wettbewerb bieten. Die junge Julia Lezhneva kann ganz schlicht klingen, um dann wieder bravourös zu jubilieren, sie kann in schattiertem Ausdruck flehen und ist dann wieder engelsgleich entrückt. Neben der solistischen Partie im Gloria singt sie noch das Nulla in mundo pax sincera RV 630, eine von ca. zwanzig erhaltenen Solo-Motetten Vivaldis. Es wirkt mit seinen Kontrasten ebenfalls opernhaft, beginnt friedlich, entwickelt sich bangend und strebend, um letztendlich bei der instrumental konzipierten Gesangslinie des Alleluia stimmartistisch alles zu fordern. Franco Fagioli singt auf der Höhe seiner Kunst: flexibel und agil, mit sicherer Höhe mit farbigem Fundament und seinem typisch individuellen Timbre. Das „Agnus Die“ ist gequält, das „Qui sedes ad dexteram Patris“ markant. Beide Stimmvirtuosen harmonieren und ergänzen sich im Duett „Laudamus te“. Fagioli übernimmt zusätzlich das Nisi Dominus RV607 – ein Psalm für die Marienvesper und ebenfalls mit deutlicher Dramatik mit einem von Fagioli gottesfürchtig beklommen „Cum Derit“, einem schwebenden „Gloria Patri, et Filio“ und dem kompliziert koloraturreichen „Amen“. Eine gute und ergänzende Aufnahme, die vor allem für Fans der beteiligten Künstler attraktiv ist (Decca 8125547). Marcus Budwitius

„Du bist die Ruh´..“

 

 

Das englische Label SOMM Recordings veröffentlicht mit Kathleen Ferrier remembered eine CD der unvergessenen britischen Altistin mit Liedern und Songs, die zwischen 1947 und 52 als Rundfunkaufnahmen entstanden und die hier zum großen Teil erstmals auf CD erscheinen (SOMMCD 264). Mehr als 60 Jahre nach dem Tod der viel zu früh verstorbenen Sängerin muten diese Aufnahmen trotz  eingeschränkter akustischer Qualität kostbar an und erinnern an diese einzigartige Stimme mit ihrem unverwechselbaren Timbre, ihrem magischen Leuchten und dem warmen, tröstenden Klang.

Die frühesten Einspielungen stammen aus dem Jahre 1947 und beinhalten ein Programm mit britischen Kompositionen. Edmund Rubbras 1946 entstandene   „Three Psalms op. 61“ wurden der Interpretin gewidmet, sie singt sie hier mit Frederick Stone am Klavier. In purer Schönheit und transzendentem Geheimnis entfaltet sich die Stimme bereits in diesen frühen Dokumenten. Mit Maurice Jacobson war die Ferrier seit 1937 eng befreundet. Seinen „Song of Songs“ komponierte er gleichfalls im Jahre 1946 als introvertierte Betrachtung über Natur und Liebe. Die 1947 im BBC Maida Vale Studio V, London, außerdem produzierten Titel von Holst und Moeran haben sich leider nicht erhalten.

Ein Jahr später, ebenfalls mit Stone am Flügel, sang Ferrier in diesem Studio zwei Schubert-Lieder ein – „Der Musensohn“ und „Wandrers Nachtlied“. Den munteren Duktus des ersten trifft die Sängerin perfekt, die getragene, geheimnisvolle Stimmung des zweiten ebenso. Die Stimme ruht in sich, strömt und verbreitet Tröstliches. Weitere sieben Lieder dieses Komponisten stammen aus einem BBC Studio in Edinburgh in Aufnahmesitzungen von 1951 und 1952. Genau getroffen sind die Stimmungsumschwünge in „Lachen und Weinen“, und auch die gegensätzliche Gefühle in „Suleika II“ erfahren eine plastische Umsetzung.

Wie Schubert ist auch Johannes Brahms mit neun Titeln vertreten, eingespielt zwischen 1949 und 1952 mit Stone bzw. Bruno Walther als Begleiter. Diese Lieder in ihrer leisen Melancholie, ihrer Schwermut, darunter „Sonntag“, „Botschaft“ und „Nachtigall“ (alle von 1949), liegen der Sängerin ganz besonders. „Wir wandelten“ von 1951 ist als inniges Liebesgeständnis sehr anrührend, „Auf dem See“, „Es schauen die Blumen“ und „Der Jäger“ von 1952 umspannen das Ausdrucksspektrum vom erhabenen Naturgemälde bis zur koketten Schwärmerei. Mit „Ruhe, Süßliebchen“ aus der Schönen Magelone, wo sich die Stimme in erhabener Schönheit verströmt, gibt es auch einen Titel aus Brahms’ Liedzyklus, ebenso mit „Wasserfluss“ einen aus Schuberts Winterreise, was die Frage stellt, ob Ferrier möglicherweise die beiden Zyklen komplett aufnehmen wollte, was ihr früher Tod verhinderte.

In einem einzigen Track, Parrys „Love is a bable“ von 1948 live aus Edinburgh, wirkt der große Liedbegleiter Gerald Moore am Flügel. Dieser Song steht für Ferriers Affinität zum britischen Folksong und markiert den Ausklang der Anthologie, die auch je eine Komposition von Wolf („Auf einer Wanderung“) und Mahler („Urlicht) verzeichnet, die zu deren Höhepunkten zu zählen sind. Vor allem letztere (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) ist in ihrer der Welt abgewandten Stimmung von ergreifender Wirkung. Wie aus mystischem Urgrund erhebt sich die Stimme bei „O Röschen rot!“, fast ängstlich geflüstert sind die folgenden Textzeilen. Einen ähnlich magischen Effekt haben auch „Der Vollmond strahlt“ aus Schuberts Rosamunde und dessen „Junge Nonne“ als unvergängliche Zeugnisse  der Kunst einer Jahrhundertsängerin. Bernd Hoppe