Ein anspruchsvolles Programm hat JoyceDiDonato für ihren Liederabend am 21. Dezember 2017 des vergangenen Jahres in der Londoner Wigmore Hall gewählt, den die Stammfirma der Sängerin, Erato, jetzt auf CD herausgebracht hat (0190295642198). „Into the Fire“ ist ihr Titel, der einem Liederzyklus von Jake Heggie entnommen ist, welchen die Solistin am Ende des Programms vorstellt. Für sie und das Alexander String Quartet hat der amerikanische Komponist das Werk geschrieben und sie haben es 2012 in San Francisco auch uraufgeführt. Die genaue Bezeichnung des Zyklus mit seinen acht Teilen ist „Camille Claudel: Into the Fire“. Im Mittelpunkt stehen die französische Bildhauerin und ihre Beziehung zu Auguste Rodin.
Am Beginn steht ein zunächst introvertiertes, sich dann steigerndes Vorspiel nur für das Streichquartett. Die folgenden, zumeist meditativen Lieder spiegeln Claudels bewegtes Leben wider – die Liebe zu Rodin, dem gleich der erste Titel gewidmet ist, die Trennung von ihm und die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, in der sie bis zu ihrem Tode 1943 blieb. Im Charakter fallen „La Valse“ durch den erregten Duktus und „Shakuntala“, was Bezug nimmt auf Claudels Marmorskulptur im Pariser Musée Rodin, durch den virtuosen Anspruch an die Sängerin und das Ensemble heraus. Ergreifend gestaltet DiDonato das nächste Lied, „La Petite Chatelaine“, das von einem verlorenen Kind erzählt und Claudels Gefühle nach einer Abtreibung aufgreift. An die Minimal Music von Reich und Glass erinnert die nervöse Begleitung der Stimme bei „The Gossips“, das Claudels zunehmend verwirrten Geisteszustand beschreibt. Der Epilog („Jessie Lipscomb visits Camille Caudel, Montdevergues Asylum, 1929“) bezieht sich auf den Besuch jener Künstlerfreundin in der Anstalt, mit der sie sich früher ein Atelier geteilt hatte. Heggie schildert sie ganz bei sich, klar, aufgeräumt, heiter, was ihr tragisches Schicksal umso deutlicher macht. Joyce DiDonato kann hier noch einmal ihre große, ergreifende Gestaltungskunst einbringen.
Begonnen hatte der Abend mit einer Auswahl von Strauss-Liedern, für die Begleitung des Brentano String Quartet arrangiert von Misha Amory und Mark Steinberg. Die amerikanische Mezzosopranistin hatte schon im letzten Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker Lieder dieses Komponisten gesungen, allerdings komplett andere Titel als in London. Wieder wird deutlich, dass sie zu seiner Musik eine starke Affinität besitzt, sich in deren Stimmung, Melos und Struktur perfekt einfühlen kann. Eine exemplarische Diktion verleiht ihrer Interpretation noch ein zusätzliches Gütesiegel.
Aus op. 21 erklingen drei Stücke – als Auftakt das träumerisch-innig vorgetragene „Du meines Herzens Krönelein“, gefolgt vom munteren„All mein’ Gedanken“ und später dem schmerzlichen „Ach Lieb, ich muß nun scheiden“. Ergänzt wird die Auswahl durch „Die Nacht“, op. 10/3 und „Traum durch die Dämmerung“, op. 29/1 – beide von entrücktem Ausdruck und mit fein gesponnenen Linien.
Danach sorgt das begleitende Quartett für einen instrumentalen Beitrag – das „Molto adagio“ aus einem Streichquartett des belgischen Tonsetzers Guillaume Lekeu, der von 1870 bis 1894 lebte. Das Werk des 17jährigen ist ein schwermütiges Stück voller Todessehnsucht, was sich auch dem vorangestellten Zitat aus dem „Matthäus-Evangelium“ („Meine Seele ist betrübt“) schließen lässt. Es ist eine stimmige Überleitung zu den folgenden „Trois chansons de Bilitis“ von Claude Debussy, bei denen die Interpretin auch ihre Liebe zum französischen Repertoire beweisen kann. Träumerische Gespinste und delikateste Tongebung machen „La Flute de Pan“, „La Chevelure“ und „Le Tombeau des Naïdes“ zu Preziosen. Und zu solchen darf man auch die beiden Zugaben rechnen – zuerst noch einmal Strauss mit „Morgen!“, op.27/4 in seiner träumerischen Stimmung und danach, dem Konzerttermin kurz vor Weihnachten geschuldet, Grubers „Silent Night“, ganz zurückgenommen und in inniger Verhaltenheit. Das sonst so zurückhaltende Londoner Publikum überschüttete die Künstler mit lautstarken Ovationen. Bernd Hoppe