Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Die Musik der Sieger

Ruhm, der nicht vergeht. Achtzehn Jahre ist Sergiu Celibidache nun schon tot, und immer mehr Aufnahmen drängen auf den Markt, so, als würde er noch leben. Würde er, gäbe es jedoch nichts, denn der Maestro verabscheute bekanntlich Konserven. Musik musste im Moment entstehen mit allen Unwägbarkeiten. Und da er diese nach Möglichkeit ausschließen wollte, probte er intensiv und zeitaufwändig. Seine Aufführungen hatten den Status des Endgültigen. Nach den wenigen Konzerten, die ich mit ihm erlebte, war ich felsenfest überzeugt: So und nicht anders! Ich werde diese Abende nie vergessen, sie sind mir maßstabsetzend ins Gedächtnis eingebrannt. In seiner Magie war er beschwörend wie ein alttestamentarischer Prophet. Obwohl ich nach wie vor der Meinung bin, dass man ihn auch sehen musste beim Dirigieren, das auch ein Zelebrieren war, bleibt bei den reinen Tondokumenten nicht die Wahl. Sie sind auch ohne bewegtes Bild bezwingend genug.
Das Label audite nimmt sich des Andenkens von Celibidache nun bereits mit der zweiten Edition an: The Berliner Recordings 1945-1957 auf zwölf CDs und einer Bonus-DVD (21.423).

Celibidache (Berliner Neubeginn)Zusammengenommen mit der vor drei Jahren erfolgten Veröffentlichung aller RIAS-Einspielungen aus dem gleichen Zeitraum ist das ein gewaltiger Brocken. Allein deshalb ein Brocken, weil Celibidache nicht nur Brahms, Haydn und Mozart dirigiert, sondern Komponisten auf seine Programme setzt, die während des Nationalsozialismus verpönt oder gleich verboten waren. Einer von ihnen ist Günter Raphael, der einst die Nachfolge des Thomaskantors Karl Straube antreten sollte, als Halbjude jedoch mit totalem Berufsverbot belegt wurde. Nach Kriegsende konnte er dieses Amt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antreten. Er starb 1960 in Köln, ist aber in Meiningen begraben, wo seiner gedacht wird. Raphaels expressive 4. Sinfonie ist erst 1947 entstanden. Darin überwindet er seinen an Brahms orientierten spätromantischen Stil. Der langsame Satz erinnert stark an den Beginn von Bartóks Blaubart, im Finale gibt es gar folkloristische Anklänge.

Seinen Lehrer Heinz Thiessen, der mit den Nationalsozialisten auf Kriegsfuß stand und ebenfalls nicht aufgeführt wurde, ehrt Celibidache mit der Einspielung dessen bedrückend-wuchtigem Vorspiel zu einem Revolutionsdrama, in dem die Tell-Ouvertüre von Rossini wie eine Kampfansage zitiert wird.

Schließlich galt es in den Trümmern des zerstörten Berlin auch Felix Mendelssohn Bartholdy neu zu entdecken. Seine 4. Sinfonie, die „Italienische“, eröffnet, gefolgt von der Melusinen-Ouvertüre, zu Recht die gesamte Edition.

Im Berliner Titaniapalast entstanden viele Aufnahmen. Foto: H. Winter

Im Berliner Titaniapalast entstanden viele Aufnahmen. Foto: H. Winter

Beim Studium der Titelliste fällt eine Art Vier-Mächte-Status auf. Es scheint, als hätten die Sieger über Hitlerdeutschland, nämlich Sowjetunion, USA, England und Frankreich, im Hintergrund an der Programmgestaltung mitgewirkt. Nahe liegt es. Schließlich hatten sie bei der Wiederbelebung des kulturellen Lebens die Fäden in der Hand und das letzte Wort. Celibidache dürfte damit kein Problem gehabt haben. Er war politisch unbelastet und wurde nicht von ungefähr gleich 1945 Nachfolger des in den Nationalsozialismus verstrickten Wilhelm Furtwängler am Pult der Berliner Philharmoniker. Dmitri Shostakovich ist mit seiner 9. Sinfonie vertreten, Sergei Prokofiev mit der Ersten und der Orchestersuite Nummer 2 aus dem Ballett Romeo und Julia. Unbekannte für das Berliner Publikum waren César Gui, der gebürtige Franzose, den es nach Russland verschlagen hatte, mit seiner 3. Suite „In mondo populari“, und der Russe Rheinhold Glière mit seinem Konzert für Koloratursopran, in dem sich die tüchtige Erna Berger der halsbrecherischen Vokalisen annahm.

Die USA repräsentieren Aaron Copland mit der Konzertversion seines Ballet for Martha Graham, Edward MacDowell mit der Romanze für Violincello und Orchester, Walter Piston mit seiner 2. Sinfonie sowie Samuel Barber mit Capricorn Concerto for flute, oboe, trumpet and string orchestra. Aus England stammen die Sinfonia da Requiem von Benjamin Britten nebst einer Suite aus Henry Purcells Oper King Arthur, die für unsere heutigen barockmusikerprobten Ohren viel zu dick aufgetragen wirkt.

Frankreich, der einstige Erzfeind, ist auffallend oft vertreten, als sei für Celibidache die Aussöhnung mit diesem Land eine Voraussetzung für das Fortbestehen Deutschlands nach dem verlorenen Krieg gewesen. Das war weitsichtig und weise.

Es ist auch kein Zufall, dass er, der umtriebige Weltbürger, in Frankreich schließlich seine letzte Heimat und Ruhe fand. Zu hören ist Berlioz mit der Fantasy-Ouvertüre Romeo et Juliette und dem Römischen Carneval, Bizet mit seiner 1. Sinfonie, Debussy mit La mer und Milhaud mit seiner Suite francaise. Sogar die Arie „Sieh, mein Herz erschließet sich“ aus Saint-Saens` Samson und Dalilah mit Margarete Klose wurde eingespielt – sehr pastos, wie von dieser Altistin gewöhnt, und in deutscher Sprache.

Margarete Klose singt Orchesterlieder von Hugo Wolf.

Margarete Klose singt Orchesterlieder von Hugo Wolf.

Das ist nicht der einzige Auftritt der Klose. Sie ist auch in der „deutschen Abteilung“ mit Liedern von Hugo Wolf tätig, die der Komponist selbst orchestriert hatte. Wolf konterkariert sich damit selbst. Seine in der Anlage feinziselierten Lieder drohen mitunter in der Fülle des Orchesters unterzugehen und sich damit selbst zu zerstören. Die Klose ist zu üppig für Wolf, vermag den Liedern  – darunter „Anakreons Grab“, „Über Nacht“, „Denk‘ es, o Seele“ und“ Gesang Weylas“ – aber dennoch sehr viel Ausdruck abzugewinnen. Sie weiß auf ihre Art zu fesseln. Ich habe ihr gern und mit großer Anteilnahme zugehört und halte diese Lieder für den spektakulärsten Fund dieser Ausgrabungen durch audite. Es fehlen auch guten alten Bekannten nicht in dieser Edition, in diesem Falle Brahms (4. Sinfonie), Strauss (Till Eulenspiegel), Beethoven (7. Sinfonie und Leonoren-Ouvertüre 3) Haydn (94. und 104. Sinfonie) und Mozart (5. Violinkonzert).

Celibidache RIAS-Aufnahmen

Bereits 2011 erschienen, doch noch zu haben: die kompletten RIAS-Aufnahmen von Celibidache.

Celibidache blieb in Berlin nicht viel Zeit. Die Philharmoniker entschieden sich 1952 für Herbert von Karajan und damit gegen Celibidache. Bezeichnenderweise ist das letzte Berliner Konzert der Edition ein Fragment. Vom Konzert mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester 1957 im Titania-Palast haben sich nur Teile der 7. Sinfonie von Beethoven erhalten. Erst 1992 kehrte er für ein Benefizkonzert zurück. Da war Karajan längst gestorben. Was, wenn er damals doch hätte bleiben können? Die Geschichte des berühmten Orchesters wäre fortan gewiss anders verlaufen. Die ersten Jahre nach der Stunde Null in Deutschland waren kulturell wirklich ein Neuanfang. So radikal wie furios. Davon kommt einem vieles aus der Edition entgegen.

Nicht ausschließlich die Philharmoniker kommen in dieser Sammlung zum Zug. Celibidache hat auch mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und dem RIAS-Symphonieorchester, aus dem 1956 das Radio-Symphonie-Orchester Berlin hervorging, gearbeitet. Bei der Tonqualität darf man angesichts des Alters und der Umstände der Aufnahmen keine Wunder erwarten. Es gibt auch hier und da kleine Fehlstellen. Solche Einschränkungen habe ich gern in Kauf genommen, sie können dem künstlerischen rang des Unternehmens nichts anhaben. Hervorzuheben ist auch die hohe Qualität des ausführlichen Textheftes mit dem zentralen Beitrag von Christoph Schlüren. (Das große Foto oben wurde uns freundlicherweise von audite zur Verfügung gestellt.)

Rüdiger Winter

Wälse! Wälse! 28 Sekunden Siegmund

Meine Liebe zum Gesang hat viele Namen, einer ist Peter Anders. Seit ich bewusst Musik köre, höre ich seine Aufnahmen. Auch wenn für diesen oder jenen Sänger im Laufe der Zeit die einst noch so heiße Begeisterung abkühlt, Anders ist immer präsent. Er hat seinen unverrückbaren Platz. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wie es denn wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Nun hat es ihn aber gegeben, und das ist ein Glück für mich und für alle, die ihn ebenso lieben. Das Interesse an diesem Sänger mit der elementaren, unverkennbaren Stimme ist unverwüstlich. Peter Anders am besten zu gedenken heißt, seine Aufnahmen immer wieder neu aufzulegen und in großen Auflagen zu verbreiten. Seine Stimme ist nicht nur etwas für Kenner und kein Geheimtipp. Sie verträgt ein großes Publikum.

 

Peter jr. und Sylvia - zwei der Kinder von Peter Anders bei einer Gedenktafelenthüllung in Berlin Fotos: Winter

Peter jr. und Sylvia – zwei der Kinder von Peter Anders bei einer Gedenktafelenthüllung im Berliner Stadtteil steil Moabit Fotos: Winter

Das Label Membran hat sich dabei von niemandem überbieten lassen. Peter Anders – Die unvergessene Stimme auf zehn randvollen CDs, verpackt in einer handlichen Box (LC 12281). Es handelt sich um die in der Aufmachung etwas abgespeckte Wiederauflage der Ausgabe im stattlichen Buchformat gelegentlich des 100. Geburtstages des Sängers im Jahr 2008. Wozu Sammler Jahre brauchten, findet sich hier auf einen Schlag wohl geordnet beisammen. Dazu noch in sehr ordentlicher Tonqualität. Soll ich nun neidisch sein, dass hier dem Käufer so mir nichts dir nichts in den Schoß fällt, was ich nur mit  Bienenfleiß und Hartnäckigkeit zusammen gebracht habe? Nein und abermals nein! Ich möchte nicht jene Glücksmomente vermissen, wenn einem plötzlich wieder ein lange gesuchtes Lied oder eine akustischer Filmauftritt in die Hände fiel. Die Neuerscheinung ist wichtig, weil zu einem sehr moderaten Preis mit 222 Titeln in etwa die Hälfte aller erhaltenen Aufnahmen dieses Tenors auch für den schmalen Geldbeutel erschwinglich wird. Die Box ist also kein Luxus von der Anschaffung her, sie ist Luxus durch Inhalt.

Anders überrumpelt seine Hörer mit unendlichem Charme genau so wie er sie mit schneidender Schärfe treffen kann. Es tut weh, wenn er etwa in der „Winterreise“ (in der Edition findet sich die spätere Einspielung mit Günther Weissenborn) Zwiesprache mit seinem Unglück hält, das plötzlich zum Unglück aller Menschen wird, die ihm zuhören. Er ist niemals akademisch, er singt den Moment. Manchmal setzt er alles auf eine Karten, übermütig und strotzend vor Wagemut. Er ist stimmlich ein unerschrockener Tausendsassa. Seine Aufnahmen wirken nicht blutleer von zu vielen Proben. Sie sind knackig und voller Saft.

Peter Anders – der Radioliebling, im Traumland der Operette, der Opern- und der Konzertsänger. In diesen Kategorien wird die Fülle dargeboten. Das macht Sinn und erleichtert den Zugriff, da es musikalisch kaum ein Revier gibt, in dem Anders nicht mit Lust und Können wilderte. Von Granada bis zu Othellos Tod, sein ganzes Repertoire ist ausgebreitet. Florestan, Lohengrin, Apollo, Bacchus, Faust, Tamino, Zarewitsch… Ich vermisse nichts. Ganz im Gegenteil, was immer ich von Peter Anders höre, es ist in diesem Moment mein Lieblingsstück. Und wenn es das Lied „Die Frau der Frauen“ ist, bei dem er schnurrt wie Zarah Leander.

 

Die Gedenktafel am Haus von an der Thomasiusstraße 25 in Moabit: Dort wohnte Peter Anders bis 1932

Die Gedenktafel am Haus von an der Thomasiusstraße 25 in Moabit: Dort wohnte Peter Anders bis 1932

Für mich ist er in allen Kategorien gleich gut aufgestellt und aufgelegt, weil er in der Praxis Musik nicht in Klassen oder Wertigkeit einteilt. Er verwendet auf den Filmschlager nicht weniger Mühe und Können als auf die Gralserzählung. Mir ist er dadurch sehr sympathisch. Anders gilt als Sympathieträger schlechthin. Nicht, dass er so einfach gute Laune verbreiten würde und für Stimmung im Saale sorgte. In seinem Falle wären das schon Unterstellungen. Dieser Sänger ist sympathisch, weil er Musik völlig unprätentiös und uneitel herüber bringt. Es geht nicht um ihn, es geht um das jeweilige Stück. Im Ensemble drängelt er sich niemals vor, er füllt seinen Platz aus und nimmt niemanden etwas weg, was er auch gar nicht nötig hätte.

Die Sensation von rund zwölf Stunden Musik, auf die es die Edition bringt, sind 28 (!) Sekunden Siegmund. „Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert? Dein starkes Schwert, das im Sturm ich schwänge?“  Mehr nicht. Die kurze Sequenz mit Klavierbegleitung (Hans Geisendörfer, der mit Anders im Unglücksauto saß, in dem ihn der Tod einholte) ist 1954 für den Schulfunk des Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg als Beispiel für das Sängerfach jugendlicher oder italienischer Heldentenor entstanden und auch gesendet worden, dann im Archiv gelandet. Anders hat die Rolle 1953 in Hamburg gesungen. Für einen Mitschnitt würde ich sonst etwas geben. Ich wäre auch gern ein gehöriges Stück älter, nur, damit ich ihn damals selbst hätte hören können in Wagners Walküre. Nun bin ich auf Ahnungen und diese wenigen Sekunden angewiesen. Auch wer nicht dabei war, die Stimme aber gut kennt, der war sich immer völlig sicher, dass Anders als Siegmund ein Ideal verkörpert haben muss. In den Wälse-Rufen ist etwas von Verzweiflung, etwas Flehendes. Dieser junge Mann ist kein sportlicher Schlagmichtot, er hat eine geschundene Seele. Er ist ein Verfolgter, ein Opfer. Seine Wunden, die er seiner Schwester Sieglinde weisen soll, hat er auch an der Seele. Anders hätte als Siegmund Musikgeschichte schreiben können. 28 Sekunden Musik reichen, dass einem plötzlich der Verlust wieder bewusst wird, den dieser sinnlose Unfalltod bedeutet.

Rüdiger Winter

Der Klarheit verpflichtet, nicht dem Geheimnis

„Der Frankfurter Ring“! Das ist einprägsam. Wer durch die einschlägigen Angebote blättert, dem sticht dieser Titel sofort ins Auge, zumal er sich in sehr großer gelber Schrift auf blauem Hintergrund gegen den eigentlichen Namen des Werkes abhebt, um das es hier geht: Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner. Die Oper Frankfurt vermarktet die Mitschnitte von Aufführungen. Wie schon Hans Pfitzners hervorragend einstudierter Palestrina ist auch dieser Ring beim Label Oehms herausgekommen (OC 939). Die Ausstattung ist solide und übersichtlich, im Booklet gibt es sogar Szenenfotos aus der Inszenierung von Vera Nemirova , die allerdings nicht viel ausdrücken. Zumindest lassen sie erahnen, um welches Werk ist es sich handelt, was nicht immer so ist. Ein paar Informationen über die Sänger wären sehr hilfreich gewesen. Wer diesen oder jenen Namen nicht kennt, muss sich nach Informationen im Internet auf die Suche machen. Angesichts der Ring-Schwemme im Wagner-Jahr haben es die meisten Produktionen nicht eben leicht, zur Kenntnis genommen zu werden.

Ein Mitschnitt wie dieser verlängert die Wirkung ganz erheblich. Aus dem zeitlich begrenzten Ereignis wird etwas Bleibendes.

Lübeck und Weimar – um in Deutschland zu verweilen – sind ähnlich verfahren. Dort wurden die Ringe wie parallel auch in Frankfurt auf DVD festgehalten. Ob das nun nötig gewesen ist oder nicht. Hier gilt`s der Kunst, und die Opernhäuser haben ihren Ruf über ihre Stadtgrenzen hinein ins Land und darüber hinaus getragen. Sie geben auf solche Weise auch etwas zurück von den Subventionen, die sie empfangen. Steuerzahler mit Operninteressen hören und sehen etwas für ihr Geld über den Tag hinaus.

Frankfurter Ring (DCD)

Der Frankfurter Ring ist auch auf DVD erhältlich

Es zahlt sich aus, dass fast alle Rollen, die sich über mehrere Teil erstrecken, auch durchgehend besetzt sind. Das garantiert Wiedererkennungswert und steigert die Aussagekraft des Werkes. So ist Jochen Schmeckenbecher, der bei Kurt Moll studiert hat, dreimal als Alberich zu hören. Dem Timbre nach ein idealer Alberich, gerät die Höhe gelegentlich angestrengt. Peter Marsh tritt nur im Siegfried als Mime auf und ist der Beweis, dass ein Charaktertenor auch lyrisch klingen kann. Mit Ausnahme von Susan Bullock, deren drei Bünnhilden unter Überforderung leiden, sind auch die Damen voll auf der Höhe ihrer Aufgaben. Eva-Maria Westbroek glänzt als leidenschaftliche Sieglinde. Besser geht es heutzutage nicht. Die Erda Meredith Arwady, die mit dieser Rolle auch an der Met auftritt, ist ein echter Kontraalt und nicht von ungefähr so erfolgreich.

Das Frankfurter Opern-und Museumsorchester mit dem starken, nicht selten gewollt ruppigen Blech macht seine Sache ausgezeichnet. Es ist Wagner-geübt, Sebastian Weigle ein souveräner und  vorzüglicher Dirigent. In keinem Moment habe ich etwas vermisst. Die Musiker sind um Klarheit und Transparenz bemüht, weniger um Geheimnis und Mythos. Darin sehe ich kein Defizit, sondern das Konzept im Wagner-Jahr 2013. Vielleicht kann der  Mitschnitt als Frankfurter Ring einen herausgehoben Platz in der sehr umfangreichen Diskographie dieses Ausnahmewerkes behaupten. Voraussetzungen sind gegeben.

Rüdiger Winter

Die Spuren sind verweht

 

Wieland Wagner – Wegbereiter und Weltwirkung:  Das Buch der österreichischen Musikwissenschaftlerin Ingrid Kapsamer aus dem Styria-Verlag ist nicht so rasch mal eben durchgelesen. Es beruht auf einer Dissertation, ist also ein akademischer Text. Wer sich auf die Lektüre einlässt, sollte das bedenken. Die Autorin hat sehr gründlich gearbeitet, die Fülle der Fakten und Erkenntnisse ist enorm. Und da Wieland-Tochter Nike Wagner bereits auf dem Buchdeckel als Verfasserin des Vorwortes in Erscheinung tritt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Bewahrung des Erbens von Wieland Wagner in Bayreuth  sozusagen vorgegeben.

So genau Leben und Werk des Enkels von Richard Wagner auch recherchiert und dargestellt sind, das Buch muss den sinnlichen und überwältigenden Eindruck des Theaterschaffens dieses Mannes schuldig bleiben. An den einstigen Wirkungsstätten Wielands – allem voran die Bayreuther Festspiele – ist nichts geblieben von ihm. Die Traditionslinie ist scharf durchtrennt. Was immer auf dem Grünen Hügel oder in Stuttgart, wo er ebenfalls oft arbeitete, über die Bühne geht, lässt nicht im Geringsten ahnen, dass es Wieland Wagner überhaupt gegeben hat. Seine Spuren sind verweht.  Die schönen Fotos aus seinen Inszenierungen, die sich in dem Buch finden, sind historisch wie kaum etwas anderes obwohl sie bei näherer Betrachtung überhaupt nicht historisch wirken. So könnte ich mir Oper auch heute noch vorstellen.

Die wenigen filmischen Dokumente von Wieland-Wagner-Inszenierungen (Tristan, Walküre, Lulu) werden seiner Bedeutung nicht gerecht, zumal sie mit Ausnahme der Lulu extrem grau und fad sind. Im Buch wird das deutlich herausgearbeitet. Daraus folgt einmal mehr, dass Theater nur bedingt zu konservieren ist. Insofern ist das Buch wie ein erzähltes Mittagessen. Der Hunger nach einem zeitlosen Theater mit Archetypen, wie sie nur Wieland Wagner geschaffen hat, bleibt ungestillt (411 Seiten, zahlreiche Fotos, teilweise in Farbe, ISBN 978-3-222-13300-8). Das Buch, das bereits einige Zeit am Markt ist, hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt. Es ist von bleibendem Wert.

R.W.

 

 

Alfredo Kraus

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„Wenn ein Sänger hohe Noten, die nicht in der Partitur stehen, der Tradition gemäß aber schon immer gesungen wurden, singen KANN, dann soll er sie auch singen……“

Er galt als der Grandseigneur unter den Tenören seiner Zeit, als überragender Stilist, als unerreichter Ritter vom hohen C (und darüber) – als Aristokrat des tenoralen Belcanto……Die Liste solcher und ähnlicher Attribute und Superlative ließe sich noch lange fortsetzen. Doch muss man nicht unbedingt auf die blumige Sprache begeisterter Fans und Kritiker (auch solche gab es in diesem Fall!) zurückgreifen, die reinen Fakten allein bestätigen den Ausnahmerang, den Alfredo Kraus rund vier Jahrzehnte lang im oft so schnelllebigen Musikbetrieb eingenommen hat. Vier Jahrzehnte ohne Krisen, ohne Skandale, ohne Absagen. Der Name Alfredo Kraus am Theaterzettel war stets eine mehr als hundertprozentige Garantie für ein unvergessliches künstlerisches Erlebnis.

Ein halber Österreicher

Geboren am 24. November 1927 in Las Palmas, Gran Canaria (die Mutter war Spanierin, der Vater Österreicher), erhielt er bereits als vierjähriger Klavierunterricht, sang mit acht Jahren im Schulchor, und begann schließlich ein Ingenieurstudium, als ihn ein singender Ingenieur so beindruckte, dass er beschloss, ebenfalls Sänger zu werden. Dieser singende Ingenieur war kein geringerer als der dänische Tenorstar Helge Rosvaenge, im bürgerlichen Beruf Chemie-Ingenieur, der nach dem Krieg nach Südamerika auswandern wollte und auf dem Weg dorthin ausgerechnet in Las Palmas hängen geblieben war, wo er sein 25. Bühnenjubiläum feierte und damit offenbar auch den jungen Alfredo Kraus begeisterte, der daraufhin ein ernsthaftes Gesangsstudium in Angriff nahm.

In Kürze zur Weltspitze

1956 hat Kraus dann in Kairo als „Rigoletto“-Herzog sein Bühnendebüt gefeiert und sich in kürzester Zeit schon einen hervorragenden Ruf erarbeitet, auch durch die Tatsache, dass er schnell gelernt hat „nein“ zu sagen (was ihm durch materielle Unabhängigkeit seitens seines Elternhauses auch leichter gefallen ist als anderen). So hat er etwa bereits seine zweite Bühnenrolle –den Cavaradossi in Puccinis „Tosca“- nur ganze zwei Mal gesungen, war er doch überzeugt davon, dass veristische Partien für seine Stimme absolut ungeeignet waren. Trotzdem hat er sich schnell die wichtigsten Opernhäuser der Welt erobert, angefangen vom Londoner Covent Garden bis zur Mailänder Scala, der Metropolitan und der Wiener Staatsoper, an die er allerdings erst auf einem Umweg über die Volksoper gelangt ist.

Späte Liebe

Richtig erkannt, welches Phänomen in Alfredo Kraus steckt, haben Wiener Operndirektoren und Publikum relativ spät, quasi erst im Herbst seiner Karriere, wenn diese auch nie einen stimmlichen Herbst erlebt hat, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mit einem ewigen Frühling gesegnet gewesen ist. In diesen Jahren aber haben die Wiener Kraus dann so enthusiastisch gefeiert, als wollten sie alles Versäumte plötzlich nachholen. Und das nicht nur an der Staatsoper, auch bei Konzerten und bei zwei Sensationsgastspielen an der Volksoper, wo er sich hier endlich in zwei seiner wichtigsten Rollen präsentieren konnte, als Tonio in der „Regimentstochter“ und als „Hoffmann“.

Bruch mit der Staatsoper

Den „Hoffmann“ sollte er später auch an der Staatsoper singen, doch an diesem Projekt zerbrach sein zuletzt so hervorragendes Verhältnis zum Haus am Ring – zum Schaden des Publikums. Ausgerechnet sein früherer Agent war nun Chef des Hauses und verlangte plötzlich von ihm, mit einem seiner eisernen Prinzipien zu brechen, nämlich den „Hoffmann“ in zwei Einzelvorstellungen zu singen, noch dazu getrennt durch die Sommerferien und ohne Orchesterprobe, was gerade bei diesem Werk, von dem so viele Fassungen existieren, eine Zumutung darstellte. Kraus hat dankend abgelehnt und die Staatsoper nie mehr betreten.

Respekt vor Musik und Text

Auch in Bezug auf Regie und Ausstattung hatte Kraus feste Prinzipien, unterschrieb nie einen Vertrag, ohne genau zu wissen, was ihn bei dieser Produktion erwarten würde. Undenkbar, dass er den Faust in Jeans gesungen, oder sich bei einem Liebesduett am Boden gewälzt hätte. „Ich bin offen für neue Ideen“ meinte er in diesem Zusammenhang bei einem Publikumsgespräch der Opernfreunde: „Aber wir müssen immer Respekt haben für die Musik und für das Libretto. Auch für uns selbst und für das Publikum, von dem ich manchmal das Gefühl habe, dass es auf die Schaufel genommen wird. Und natürlich ist es viel schwieriger, in der Tradition zu bleiben und schöne Aufführungen zu machen, als irgendetwas Absurdes zu erfinden……“

Pult-Diktatoren

Im letzten Abschnitt seiner Karriere hat Alfredo Kraus sich verstärkt auch um den Nachwuchs bemüht, Meisterkurse abgehalten und sein reiches Wissen in puncto Gesangstechnik bereitwillig weitergegeben. Von einer Sänger- oder Opernkrise wollte er allerdings nichts wissen, eher konstatierte er eine Lehrer- bzw. Dirigentenkrise. In erster Linie hat er das Aussterben der großen, wissenden alten Maestri bedauert, die viel von Stimmen verstanden und ihre Sänger auch geliebt haben. „Und anders als viele junge arrogante Dirigenten von heute“ meinte Kraus in einem Interview mit der griechischen Musikjournalistin Helena Matheopoulos „spielten sich diese Männer nicht als Diktatoren auf. Sie sagten nie: So muss es sein!, sondern es hieß immer: Kraus, kommen sie, jetzt machen wir das einmal zusammen, ich zeige ihnen, wie es sein soll. Diese Art, einem Sänger etwas beizubringen, Wissen zu vermitteln und die Tradition der Operngesangskunst weiterzugeben, das ist so etwas wie eine Mission. Wenn das nicht weitergegeben wird, dann ist ein Glied der Kette zerstört, dann ist die Kette erst an einer Stelle, dann an einer zweiten, schließlich an vielen Stellen unterbrochen, bis irgendwann einmal nichts mehr vorhanden ist.“

Singen bis zum Tod

Mit dem Tod seiner Ehefrau im Jahr 1997 begann sich der Himmel über Alfredo Kraus zu verfinstern: „Ich habe nicht mehr den Willen zu singen“ meinte er in einem Interview, „aber ich muss es tun, weil es in gewisser Weise die einzige Möglichkeit ist, die Tragödie zu überwinden. Singen ist das, was mich am Leben erhält.“ Leider hat diese Selbsttherapie nicht allzu lange angehalten. Gerade ein Jahr lang ist er noch aufgetreten, hat Platten aufgenommen, ist dann aber selbst schwer erkrankt und schließlich am 10. September 1999 in Madrid gestorben.

(Gottfried Cervenka ist Wiener Professor und Musikwissenschaftler; seinen Beitrag für Ö1 überließ er uns zum Nachdruck, wofür wir ihm sehr danken/die Red.)

Sacchnis „Renaud“

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Das verdiensvolle Label Palzetto Bru Zane wieder zugeschlagen und mit Antonio Sacchinis Renaud von 1783 erneut eines der wichtigen Werke der französischen Oper vorgestellt – nach der Pioniertat der BBC 1981 ist dies nun die erste offizielle Aufnahme, 2012 im französischen Metz unter dem eminenten Christoph Rousset mit guten und vor allem phonetisch nationalen Sängern mitgeschnitten. Später ging die Truppe damit nach Versailles und Paris. Es tut sich was im vorromantischen Frankreich, keine Frage, und Rousset ist daran mehr als beteiligt.

Sacchini ist einer der Komponisten aus dem Gluck-Umkreis und befand sich mit seinem Riesenerfolg an der Accadémie Royal zwischen den Fronten der Gluckisten und Piccinisten, der wie ein politischer Wahlkampf in Paris tobte, ähnlich wie der zwischen Händel und Porpora. Es war eine prä-revolutionäre, politisch-gesellschaftlich motivierte Ästetikdebatte für oder wieder die Reformoper, wie Gluck sie angeschoben hatte. Und es ist wieder einmal jene Zeit, in der die Pariser Musikszene von Ausländern beherrscht wird, wie vorher von Lully, später von Meyerbeer und Verdi – immer wenn´s musikalisch ein bisschen stagnierte kamen Italiener oder Deutsche, um die Pariser Szene aufzumischen, nicht ohne starke Ressentiments auszulösen (wie Wagners Tannhäuser). Die vorliegende Aufnahme bei Ediciones Singulares (Note 1) bietet dazu in der eleganten Buch-CD-Ausgabe einen spannenden Artikel von Benoit Dratwicki über den Anteil der Ausländer an der Académie Royal de la Musique (der Pariser Oper) von 1774 – 1789.

Auch Sacchni (1730 – 1786) stieß auf Widerstände, das Comité de l´Opera hintertrieb die
Uraufführung und setzte endlose Änderungen durch, und hätte nicht Marie Antoinette ihre schützende Hand über Sacchini gehalten, wäre wohl nichts aus dem Renaud geworden. Dann aber war´s ein Riesenerfolg, nicht zuletzt auch wegen des nicht unbekannten Sujets – man liebte Wiederholungen bekannter Vorlagen zu neuer Musik. Der Armida-Stoff ist ein Topos aus dem Barock und wurde kurz vor Sacchini von Gluck und vor diesem natürlich von Lully auf das Buch von Jean-Joseph Lebeuf (nach Tassos Jerusalemme liberata) selbst mit großem Erfolg vertont („Ah si la libertée“ singt Frida leider unübertroffen in den Vierzigern, und erst die Crespin und die Baker setzen in unserer Zeit erneut Akzente damit). Die Geschichte von der wehrhaften Sarazenen-Zauberin, die zum Schluss Oper ihrer eigenen Liebe wird und dadurch die magische Kraft verliert, ist eine faszinierende, die auch später Rossini interessiert hat.

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Christoph Rousset (Foto oben/CVS) nun legt eine absolut brilliante Aufnahme des Sacchinischen Werkes vor. Solisten und Chor zeigen das von Rousset bekannte Niveau, namentlich Juilien Dran und Jean-Sébastien Brou als Widersacher Renaud und Hidraot singen hervorragend und poetisch, und es ist eine Freude, endlich Franzosen ihre eigenen Sprache singen zu hören. Die Titelvetreterin Marie Kaline könnte ein Quentchen mehr an Persönlichkeit und vor allem Aplomb vertragen, die übrigen kommen aus dem Cadre der Talens Lyriques, denen Rousset so richtig feuer macht – was für ein Drive und welche Eleganz!

Die Ausgabe bei bei Ediciones Singulares favorisiert wieder die wirklich nicht praktische Buchform wie sie bereits die Thérèse Massenets, Bachs Amadis und andere zeigen – wie will man die ins Regal neben Bücher stellen? Die Auflistung der Tracks und die Besetzung finden sich nach langem Suchen und sicherlich auch informativen Artikeln auf den letzten Seiten ganz am Ende, die CDs selbst sind in Papiertaschen eingeklebt, was bei häufigerem Nebutzen reissen wird. Und der doch recht zweifelhafte Druck auf grobem Papier der spanischen Hersteller, auch die schlechten Fotos, sind kein Gewinn über einer konventionellen CD-Schuber-Ausgabe. Dennoch – genug gemäkelt – das Verdienst des Palazetto Bru Zane unter Benoit und Alexandre Dratwickis Leitung kann nicht genug gelobt werden. Freunde der franzöischen Oper haben hier ein Fest, und la Grande Nation sollte auf diese Edition stolz sein und den Machern einen Orden verleihen, vraiment! Geerd Heinsen

Antonio Sacchini: Renaud mit Marie Kalinine/Armide, Julien Dran/Renaud, Jean-Sébastien Bou/Hidraot u. a.; Christophe Rousset; Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles (Olivier Schneebeli), Les Talens Lyriques; 2 CDs ISBN 978-84-939-6865-6

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Übrigens: Von Sacchini gibt es natürlich noch mehr und weiteres auf CD, so seinen Oedipe a Colonne bei Dynamic und Naxos sowie die beiden hier genannten Opern auch vom Radio der RAI/BBC auf diversen dunkelgrauen Labels…). Und der sensationelle Schluss mit der Arie „Le perfide Renaud“ mit/von Janet Baker soll nicht unerwähnt bleiben (Philips). G. H. 

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Polnische Nationaloper

 

Halka (von 1859/Warschau) ist die polnische Nationaloper schlechthin, ist Klassenkampf und Leidensdokument, ist Sozialdrama und Opferbereitschaft – das ewig leidende polnische Volk gegen die fiesen ausländischen Grußgrundbesitzer, die die armen Mädels schwängern und sie sitzen lassen. Halka hat auch (wie die Muette de Portici) diesen fabelhaften Schluss des Freitods statt der Rache, der unerwiderten Liebe und der allumfassenden Menschlichkeit. Das Ganze schlug schon bei der Premiere ein wie ein Bombe und machte den Komponisten Moniuszko zu einem Monoment polnischer Musik in einer Zeit, als Pole-Sein nicht eben unproblematisch war in einem  Gebiet, das sich Weißrussen, Litauer und Preußen teilten.

Halka wurde in Polen immer wieder aufgeführt, auch im Kummunismus, bis etwa nach der Wende, dann nur sporadisch, der Einfluss der westlichen Repertoireopern verdrängt auch hier das Traditionelle – es gab ein paar Vorstellungen in Posen, nicht in Warschau m. W., und deshalb ist die Initiative der mutigen Breslauer Intendantin Ewa Michnik umso erfreulicher, sich des nationalen Erbes anzunehmen. Die neue Aufnahme bei DUX zeigt einen Mitschnitt von 2009 zum 60. Jubiläum der (Nachkriegs-)Oper Breslau/Wroclaw und ist im Ganzen gut gesungen, wenngleich die älteren Aufnahmen wie vor allem die unter Wicherek aus Warschau von 1996 (auch als DVD, Opera), oder die ganz alte auf den bizarren Muza-LPs/Chant du Monde unter Berdiajev mich in ihrer nachdrücklicheren Vokal-Besetzung vielleicht mehr erreichen. Es gibt bei cpo die ältere polnische Einspielung von 1973 mit einem viril-strahlenden Wieslaw Ochman und der etwas wackeligen Barbara Zagorzanka ganz rasant unter Robert Satanowsky (mit Libretto!). Unglücklicherweise ist die ältere mit einem jungen Ochman und der mütterlichen Stefania Woytowicz bei Chant du Monde unter Jerzy Semkow nicht mehr auf dem Markt. Die neue nun ist wohl der Soundtrack des gleichnamigen Videos/DVD und klingt im

ganzen etwas harmlos, etwas zahm und vielleicht weniger persönlichkeitsstark. Tatjana Borodina, die Titelheldin, stammt aus dem russischen Perm, macht eine schnelle Karriere weltweit und war sicher ein Fang für Breslau, aber ihre Identifikation mit dieser polnisch-leidenden jungen Frau ist nicht so überzeugend wie bei ihren Vorgängerinnen, aber sie ist eine attraktive junge Erscheinung, das war sicher auch wichtig. Die übrigen kommen vom Haus. Tenor Oleh Lykhach ist als Jontek kein Ochman, aber doch ein angenehmer treuer Freund, der verführerische Janusz ist mit Mariusz Buczek rollendeckend besetzt, die übrigen spiegeln das erfreuliche Niveau des Breslauer Opernhauses wider, wo der fabelhafte Chor und das guteingestimmte Orchester der Prinzipalin willig folgt. Die Beilage zu den CDs spiegelt aber auch die finanzielle Lage der Firma wieder, wo man sich doch ein Libretto mit Übersetzung in westlicher Sprache gewünscht hätte. Immerhin hatte der Paria Moniuzskos aus Stettin (unter Warcislaw Kunc) bei DUX zumindest eine italienische (!) Übersetzung.

Also, dies ist die greifbare neue Einspielung eines wunderbaren Werkes aus der polnischen Romantik und eine mehr als empfehlenswerte dazu – habenwollen! Geerd Heinsen

 

Stanislaw Moniuszko: Halka mit Tatjana Borodina/Halka, Oleh Lykhach/Jantek, Mariusz Buczek/Janusz, Ewa Michnik; Chor, Ballett  und Orchester des Opernhauses Breslau; 2CD DUX/Musikwelt 0538/0539

Auf dem Weg nach oben

Der Kreis schließt sich. Im Verlag Conventus Musicus ist der siebte Band der umfangreichen Reihe „Karl Richter – Zeitdokumente“ erschienen, die das Wirken des bedeutenden Dirigenten, Organisten und Chorleiters zum Gegenstand hat. Diesmal ist der Zeitraum 1926 bis 1950 erfasst – also die Kindheit – Richter wurde 1926 in Plauen geboren – die Jugend und der künstlerische Aufstieg. Der Beginn steht hier sozusagen am Schluss, denn die vorangegangenen sechs Bände haben mit einer schier unglaublichen Materialfülle die segensreichen Jahre in Richters künstlerischer Heimatstadt München und seine weltumspannende Konzerttätigkeit zum Inhalt.

Richter, Klar - Orgelunterricht bei Straube

Orgelunterricht bei Thomaskantor Karl Straube – ein Foto aus dem siebten Band

Ohne Zweifel sind die gründliche musikalische Ausbildung im Kreuzchor Dresden, den damals Rudolf Mauersberger leitete sowie die Studien in Leipzig bei den legendären Thomaskantoren Karl Straube und Günther Ramin das Fundament, auf dem sich die spätere Weltberühmtheit gründete. Schon 1949 wurde er Thomasorganist, der Weg zum Amt des Thomaskantors war vorgezeichnet, sollte aber – bedingst durch die Teilung Deutschlands – eine andere Richtung nehmen. Richter ging nach München.

Der aufmerksame Leser wird zum Zeitzeugen. Es ist, als ob es aus den Seiten herausklingt. Zumindest aber machen die Bücher groß Lust, die Aufnahmen unter Richter oder mit Richter an der Orgel wieder aus dem Regal zu holen und neu zu hören. Zum Glück ist ja kein Mangel daran.

Herausgeber Johannes Martin, ein am Bayerischen Staatskonservatorium Würzburg und an der Musikhochschule München ausgebildeter Schulmusiker und mehr als fünf Jahre Mitglied des Münchener Bach-Chores, hat den Conventus-Musicus-Verlag selbst aufgebaut. Im letzten Band der Richter-Dokumentation (ISBN 978-3-00-042094-8) bekommt er Verstärkung durch Cornelia Klink, eine Geisteswissenschaftlerin, die ihr Abitur an der Dresdener Kreuzschule gemacht hat.

Rüdiger Winter

 

Ungekürztes aus den USA

 

Médée bei Newport Classic

Médée bei Newport Classic

Cherubinis Médée ist in den vergangenen Jahren ab und zu und nur hier und da aufgeführt worden, die Deutsche Oper Berlin hatte eine kurze Serie vor ein paar Jahren (Denia Mazzola und Iano Tamar arbeiteten sich wenig erfolgreich durch die Titelpartie auf Koffern sitzend), in Brüssel versuchte sich kürzlich Nadja Michael mit mehr physischem Einsatz als stimmlicher Überzeugung daran, in Martina Franca (davon eine CD 2004 bei Nuova Era) und Montpellier nahmen sich mit einer der beiden erstgenannten Damen des Werke an – und immer wurde im Dialog geschnitten und bearbeitet, was sich rächt, denn wie stets bei diesen Werken geht das zu lasten der Balance und des Impakts. Es ist ja vor allem bei diesen empfindlichen französischen Stücken die Sprache das Entscheidende – Racine grüsst und die Comédie francaise, in deren Gefolge Francois-Benoît Hoffmann seine Alexandriner, achtfüßige Verse, schrieb. Diese werden fast immer gestrichen, bearbeitet („modernisiert“ wie in Brüssel), verkürzt und leiden natürlich an der mangelnden Diktion von Nichtfranzosen – einzig die unter den DVDs besprochene Videoaufnahme mit Michele Command/Francine Berger bietet ideale sprachliche Bedingungen, sind doch die Dialoge mit führenden Mitgliedern der Academie francaise besetzt, die ihre Alexandriner rollen und spucken und deklamieren wie ein Theaterstück des 17me siècle.

Luigi Cherubini

Luigi Cherubini

Und auch gesanglich hat die Oper ihre Tücken. Nicht nur dass der Wechsel von Sprache zu Gesang für die Sänger live schwierig ist, sondern mindesten die Titelpartie und der Tenor Jason haben unangenehme Tessituren in ihrer Partien, werden sehr extrem geführt und sind eben dem noch nicht so lange zurückliegenden Barock verpflichtet. Médée selbst geht im Laufe des Stücks ganz wörtlich die Sprache aus.Hat sie im ersten Akt fast nur Sprechpassagen, so verschieben sich diese zu Gunsten des Gesangs im letzten Akt gegen Null – Singen ist ihr Gefühl, Sprache ihre Verstellung – was für eine faszinierende Dramaturgie, und Cherubini hat mit dieser Oper von 1797 sein absolutes opus summum geschaffen, außerordentlich modern und packend, allein schon die Ouvertüre, die wie ein Sturmwind das Geschehen ankündigt.

Zu der bereits erwähnten Video-Ausgabe aus Compiegne bei DOM findet man keine wirklich überzeugende Alternative, zumal auch dort extrem gut gesungen wird, totalment francais. Aber bei der wagemutigen amerikanischen Firma Newport Classic gibt´s doch eine sehr empfehlenswerte CD-Aufnahme unter Bart Folse, der temperamentvoll originale Instrumente einsetzt, vielleicht weniger Impakt als in Compiegne entwickelt (dort aber waren´s ja auch moderne Instrumente) und der eine ganz fabelhafte und für Amerikaner sprachlich hervorragend geschulte Sängerequipe vorweisen kann, die sich mit Elan in eine absolut ungekürzte Médée stürzen (ungekürzt heisst hier auch alle Wiederholungen, notierten Appoggiaturen, Kadenzen und napoleonischen Märsche). Allen voran die interessante Phyllis Treigle mit charaktervollem, mutigem und weitreichendem Sopran, die junge Thais St. Julien als süsse Dircé und die wackere D´Anne Fortunato als besorgte Néris. Die Herren haben nicht ganz das Kaliber ihrer Partnerinnen, aber Newport-Patron John Ostendorf (stets einer meiner Lieblingssänger) gibt einen sonoren Coryphée, Vater Créon ist mit David Arnold gut und

Szene mit Médée, Néris und den Kindern auf der Flucht vom Frontespiece der Erstaugabe 1797/HeiB

Szene mit Médée, Néris und den Kindern auf der Flucht vom Frontespiece der Erstausgabe 1797/HeiB

Jason mit Carl Halvorson ebenfalls mehr als ausreichend besetzt. Das schmalere Klanbild (durch die Originalbesetzung) lässt Cherubinis Oper transparenter, weniger grand-opéra-mäßig und mehr im musikhistorischen Kontext erscheinen, was ein Verdienst ist, sind wir doch sonst die rumsigen  Orchester einer Callas-, Borkh- oder (brrrrrr) Jones-Aufnahme gewöhnt, die wegen ihrer Lachner-Verhunzungen als Werk indiskutabel, und nur als Vehikel für die Diven ihre Wirkung haben.

Ich selber würde als erste Empfehlung immer bei dem Video aus Compiegne blieben, aber als rein studio-akustisches und vor allem als ehrenrettendes musikhistorisches Dokument ist die Newport-CD doch von enormer Wichtigkeit. (Und Finger weg von der Aufnahme aus Brüssel mit Nadja Michael und Kollegen auf dem nicht nur optisch abscheulichen Video von BelAir, da stimmt einfach gar nichts! Aber auch der alte EMI-Querschnitt mit der grotesken Rita Gorr in der Titelpartie ist zu meiden – weil schlicht monströs und das Werk vernichtend, nur Andrée Esposito als bezaubernde Dircé bleibt in Erinnerung.)

Geerd Heinsen

Vive l’opéra francais

 

13 Aufführungen mehr oder weniger vergessene Opern des seltenen französischen Repertoires aus dem Archiv des mutigen Théâtre Imperial in Compiegne sind nun (zum Teil in Wiederauflagen von Cascavelle) bei der französischen Firma DOM herausgekommen, quelles richesses. In Deutschland finden sich diese Titel im Vertrieb von Gebhardt.

Für mich ist die Cherubinische Médée das elektrisierendste Stück in der Sammlung, denn hier singt zum einen eine absolut kompetente französische équipe mit Frankreichs großer Sängerdarstellerin der 80er und 90er: Michele Command in der Titelrolle (auf dem Foto oben zu sehen, mit ihrer Sprech-Alternative Francine Bergé), dazu die junge Inva Mula als Dirce neben einem Großaufgebot erster französischer Sing- und Sprechstimmen.

Zum anderen hat man die ungekürzten Alexandriner François Benoît Hoffmanns von Schauspielern sprechen lassen, die im respektgebietenden Stil der Académie Française aber auch alles aus dem Text herausholen. Die Produktion vom Hausherrn Pierre Jourdan bleibt angenehm würdig – also, absolut ein Muss!

Weitere Titel sind Les Caprices de Marianne, Djamileh´(11005), L´Arlesienne, La Jeneunesse de Pierre Le Grand (eine Wiederauflage von Cascavelle), Les Diamants de la Couronne, Pelléas et Mélisande, La Périchole, Le Domino Noir, La Colombe, Manon Lescaut (Auber) und Mehuls Joseph en Egypt

Die DVD-Mitschnitte kommen mit der baren Inhaltsangabe und Besetzung. Dennoch soll hier eine ganz starke Empfehlung ausgesprochen werden. Ich hoffe, dass auch die anderen Titel aus Compiegne bzw. ehemals bei Cascavelle über DOM verfügbar gemacht werden, wie Henry VIII, Le songe de la Nuit d´Eté, Mignon oder Dinorah.
Geerd Heinsen

 

Luigi Cherubini: Medee. (1 DVD). Opera en troie actes (version originale francaise) Mit: Michele Command, Medee. Jacques Noel, Jason. Jean-Philippe Courtis, Creon. Lucile Vignon, Neris. Inva Mula, Dirce. THEATRE IMPERIAL DE COMPIEGNE, Regie: PIERRE JOURDAN. Ensemble Orchestral Harmonia Nova, Dirigent Michel SWIERCZEWSKI. (DOM 3254873110176).
Henri Sauget: Les caprices de Marianne. (1 DVD) Opéra comique en deux Actes. Mit: Isabelle PHILIPPE, Magali DAMONTE, Armando NOGERA, Stéphane MALBEC-GARCIA. Orchestre Français Albéric MAGNARD, Dirigent Michel ORTEGA. (DOM 3254873110084)

und andere mehr.

Wagner aufbrausend

 

Orfeo hat Richard Wagners Oper Der fliegende Holländer von den 1955 im Rahmen der Bayreuther Festspielserie neun herausgebracht. Vor Jahren gab es diesen Mitschnitt schon auf dem grauen Jahr. Diesmal wurde auf die Originalbänder des Bayerischen Rundfunks zurückgegriffen, was sich als akustischer Glücksfall erweist. Mit dem ersten musikalischen Aufbrausen der Ouvertüre wird vom Dirigenten Hans Knappertsbusch ein Standard gesetzt, der so selbst in Bayreuth vielleicht nie wieder erreicht wurde. Knappertsbusch, sonst dem großen Bogen verpflichtet, betont die Brüche dieser Musik, nicht ihre Gefälligkeiten und trumpft auch schon mal regelrecht ungehobelt auf. Es ist ein Lauern, ein Spucken in dieser Aufführung, alle Mitwirkenden scheinen immer wieder vor Abgründen zu stehen, die sich jäh und hinterlistig auftun. Dem aufmerksamen Zuhören laufen die Schauer nur so über den Rücken.

Vom ersten Ton an ist klar, dass diese Geschichte ein unheimliches Ende haben wird. Ohne die richtigen Sängerinnen und Sänger wäre Knappertsbusch natürlich aufgeschmissen gewesen, was er wohl auch ganz genau wusste. Sie folgen ihm ohne Wenn und Aber. Hermann Uhde ist eine ideale Besetzung der Titelfigur. Er singt sein finsteres Los weniger mit Verzweiflung sondern mit einer Würde und einem trotzigen Stolz, die man nicht zuvorderst bei dieser Figur sucht. Astrid Varnay ist eine wissende Senta, nicht das unschuldige Kind. Sie ist der engen Kaufmannswelt ihres Vaters verloren. Ihr Schicksal ist besiegelt, noch bevor sie zu der berühmten Ballade ansetzt, bei der sie der Dirigent zwingt, jedes Wort, jeden Punkt und jedes Komma auf die gestalterische Goldwaage zu legen. Das braucht Zeit. Varnays Atemreserven bei diesem getragenen Tempo, bei dem manchmal der ganzen riesige Apparat zum Stillstand kommt, sind schier unerschöpflich. Da stört es nicht so sehr, dass einige Töne scharf und überzeichnet sind. Wolfgang Windgassen als Erik kann sie nicht halten und singt das auch so. Er steht auf verlorenem Posten. Als nicht sonderlich  sympathischen Daland steuert Ludwig Weber das Seine zum Konzept dieser Inszenierung von Wolfgang Wagner bei. Betörend unschuldig singt Josef Traxel den Steuermann, der als einzige Figur nicht verstrickt ist in die Geschichte, auch wenn er die Landung des Holländer-Schiffes verschläft.  

Im Textheft,  in dem sich neben vielen Fotos auch ein interessanter Bericht über die Inszenierung findet, bekennen sich die neuen  Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner dazu, dass auch künftig auf Tonträgern „besondere Augenblicke der Festspielgeschichte wieder nacherlebbar werden“. Das hört sich gut an. Noch wichtiger wäre es, es würde sich von dem nach allen Seiten hohen Niveau dieser Holländer-Produktion etwas niederschlagen auf die heutige Arbeit. Ich halte diesen Mitschnitt für einen der besten – wenn nicht überhaupt für den besten, die von der Oper überliefert sind.

Rüdiger Winter

 

Richard Wagner: Der fliegende Holländer mit Holländer – Hermann Uhde, Senta – Astrid Varnay, Erik – Wolfgang Windgassen, Daland – Ludwig Weber, Dirigent – Hans Knappersbusch;  (orfeo C 692 0921)

 

Sechs Lieder, mehr nicht

Ein spannendes Kapitel in der Geschichte der Schallplatte ist die so kurze wie bizarre Zusammenarbeit zwischen Elisabeth Schwarzkopf und Glenn Gould. Eigentlich ist es nur eine Episode gewesen, sonst nichts. Dafür aber legendenumrankt. Das Projekt, bei dem Lieder von Richard Strauss eingespielt werden sollten, scheiterte an unüberbrückbaren musikalischen und aufnahmetechnischen Auffassungen, zumal auch der für seine Perfektion bekannte EMI-Produzent und Schwarzkopf-Ehemann Walter Legge im Hintergrund ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatte, wenngleich nicht in offizieller Funktion.

Beide Seiten gingen im New York Studio, damals noch CBS, rasch und ohne Groll auseinander. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick mager: die drei Ophelia-Lieder, zuletzt erschienen bei Sony Classical im Rahmen der großen Glenn-Gould-Edition. Kenner wussten immer, dass es noch mehr gibt, die Schwarzkopf selbst erzählte zu Lebzeiten mehrfach davon, in Diskographien wurden weitere Lieder als unveröffentlicht geführt. Nun hat das Label von den erhaltenen Urbändern die restlichen drei Titel herausgebracht: „Wer lieben will, muss leiden“, „Morgen“ und „Winterweihe“. Die detailversessene Stimme der Schwarzkopf und das unorthodoxe, mal sachliche, mal wie gehauchte Spiel von Gould bilden einen spannenden Kontrast. Die Bedeutung der Aufnahme erschließt sich aber nicht allein über den künstlerischen Gehalt. Das Drumherum ist nicht weniger wichtig.

Dieser Auffassung folgt auch die Konzeption des Sony-Doppelalbums (88725462362), das auf der ersten CD die Lieder sowie zwei Klavierstücke, in die der Pianist auch singend eingreift, auf der zweiten ein im WDR produziertes Radio-Feature präsentiert, in dem die Geschichte der Aufnahme unter Hinzuziehung von Originaltönen nachgestellt wird – nämlich mit Nicole Heesters als die Schwarzkopf und Gerd Warmeling als Gould. Eine sehr gute Idee. Ich hatte selten so viel Freude an einer CD wie an dieser. Musikfreunde sollten sie sich nicht entgehen lassen.

Rüdiger Winter

 

Ein pralles Leben

Der renommierte Autor und Journalist John Lucas – weltweit anerkannt für seine Biographien über große Musiker und Dirigenten wie Reginald Goodall und andere (und zudem Ehemann der britischen Sängerin Anne Evans) – hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel: Thomas Beecham: An Obession with Music.

Die neue Biographie des großen britischen Dirigenten.

Die neue Biographie des großen britischen Dirigenten.

Beecham war einer der wichtigsten und größten, aber auch umstrittensten, hochindividuellsten und charismatischsten Dirigenten Englands; ein Entrepreneur, Opernintendant, Franzosenliebhaber (und nicht nur die Damen aus diesem Land verfielen seinem sprichwörtlichen Eroberungsdrang), Impresario (der ganze Saisons in Covent Garden einrichtete – manche auch mit seinem eigenen Geld aus seiner reichgeerbten Schatztruhe), einer der ersten, der Opern in der Originalsprache aufführte, der die erste Gesamtaufnahme von Les Troyens für die BBC machte (Melodram etc.), der beispiellosen Witz und Charme hatte und der wie kein anderer die besten Seiten des britischen Empire verkörperte.

Die Anekdoten über ihn sind Legion, die Gerüchte über seine Affären auch. John Lucas bringt Licht in diese mythischen Gefilde (oben der Maestro mit den Mädels beim Ballett/Lucas/Beecham/Boyden), recherchiert akribisch, entwirrt Beechams politische und weltanschauliche Verstrickungen und würdigt vor allem den Musiker, der seiner Zeit – wie vielleicht nur Karajan oder De Sabata – weit voraus war und Visionen hatte und schuf. Ein faszinierendes Buch, bislang nur in Englisch, aber sicher bald auch in deutscher Sprache – unbedingt empfehlenswert sowohl als historischer Bericht wie auch als musico-soziale Studie, vergleichbar dem Buch von Brigitte Hamann über die Wagners. Und unbedingt etwas für Weihnachten (steht ja bald wieder vor der Tür).
G. H.

 

John Lucas: Thomas Beecham. An Obsession with Music, Boydell Press, 380 Seiten, viele und
hochinteressante Abbildungen, Register, ausführliche Fußnoten etc., ISBN 978 1 84383 402 1

 

Arbeiter-Oper mit Flecken

 

Lortzings Oper Regina ist ein Zwitter zwischen dem üblichen Lortzing-Idiom und einem ambitionierten Sozialdrama – in gesetzten Arien und aufbrausenden Chören (namentlich der Einleitung, die mehr verspricht, als die Oper halten kann) verbreiten sich Solisten und Massen, Lortzing-Style, wenig überzeugend, aber doch spannend zu erleben, wie der Komponist der eher gutmütigen Erfindungen sich der Sache es von der frühen Industrie ausgebeuteten Volkes annimmt.

Lortzing, der hier wie immer sein eigener Textdichter ist, versucht, eine Art Aktualitätsdrama zu schreiben. Da ist die Tochter eines Industriebosses, Regina, sie steht zwischen zwei Männern: Der eine ist, heute würden wir sagen, ein gemäßigter Gewerkschafter, den liebt sie, der andre ist ein verkrachter Adliger, der zum Radikalen wird, weil er Regina nicht bekommt und sich mit einer linken Terrorgruppe zusammentut. Die entführt Regina, aber die ist ziemlich zäh und erschießt den Geiselnehmer bei einem neuen Terror-Anschlagsversuch auf einen strategisch wichtigen Turm. Starker Tobak und nichts weniger als der modernste deutsche Opernstoff des 19. Jahrhunderts.

ABER – die Oper war natürlich kein Erfolg, denn das Establishment, das in die Oper ging, wollte das nicht sehen, die postnapoleonischen Regierungen fürchteten sich vor Märzaufstand und Pariser Commune, und das Werk blieb in der Schublade. Erst 1899 gab´s eine gemeine Neuauflage, kastriert und entzahnt, eine DDR Version nach dem krieg wurde noch im Radio in der Masurenallee gesundet und erschüttert durch ihre Schnitte und Umstellungen, dann gabs immer wieder Anläufe in Karlsruhe, bei der italienischen RAI und in Gelsenkirchen, alle behaupteten, dem Komponisten ganz nahe zu sein und ihn authentisch aufzuführen. Nun also ist es Ulf Schirmer, der außerordentlich verdienstvoll sich an die Noten gemacht hat und sozusagen die Urfassung ins Tageslicht gehoben hat. Auch mit ernüchternden Resultaten. Dass diese konzertante Aufführung im Münchner Prinzregententheater überhaupt mitgeschnitten wurde für die CD, das ist verdienstvoll –  eine unverstümmelte Regina war längst überfällig. Und Ulf Schirmer ist genau der Richtige dafür; er nimmt seinen Lortzing ernst und schafft es, dieses nervöse Werk genau zu temperieren und anzusiedeln zwischen Spieloper und neurotischem Psychodrama.

Der musikalische Lortzing-Baukasten wird nicht erweitert in diesem Spätwerk, es sind die üblichen Mittel der Spieloper – aber was mich doch beeindruckt hat, ist, wie Lortzing hier fast am Ende seines Lebens alles, was er kann, sehr souverän zusammenfasst. Fast ausschließlich Ensemble, drei gewaltige Finali von je 20 Minuten – Lortzing drängt immer mehr zur durchkomponierten Oper, will in seinem wilden Revolutionsepos die Hände frei haben für jede mögliche musikdramatische Nuance. Andrerseits kann er eben diese großen szenischen Entwürfe oft nur mit kleiner Musik füllen. Das heißt, sie ist immer etwas hausbacken, wenn er tragische Töne anschlägt. Lyrische oder burleske Szenen gelingen ihm mit gewohnter Delikatesse – ja das zweite Finale nimmt schon Offenbach vorweg. Da versuchen die Gefangenen aus dem nächtlichen Lager der Terroristen zu fliehen – und nach einem innigen Ensemble glüht in der Flöte Reginas Liebesthema auf, während die dösenden Bösewichter halblaut ein Lied murmeln. Solche Einfälle sind unbezahlbar und gehören schon in Offenbachs Welt.

 

Leider ist die Vokalbesetzung nicht wirklich überzeugend, denn allein die Titelfigur bedarf einer grösseren, lyrischen Stimme, eine Art Elsa für Arme.  Johanna Stojkovics Sopran ist so säuerlich und  schlicht überfordert, dass Regina hier zu sehr die höhere Tochter  mit gequälten Höhen in den Salons der Gründerzeit erscheint. Auch Daniel Kirchs Tenor ist für die Rolle zu klein – er scheitert an den heroischen Stellen, die wirklich eine expressive glanzvolle Tenorleistung verlangen. Und mit diesen zu kleinen Hauptprotagonisten ist uns der Hauptspaß am Werk fast zerstört, trotz des noblen und würdigen Baritons Detlef Roth, der den Bösewicht so edel gibt und damit die Balance der Sympathie eindeutig zu seinen Gunsten verlagert, was Lortzing sicher nicht so beabsichtigt hatte. Die übrigen, einschließlich Papa Simon (Albert Pesendorfer) sind mehr als anständig, aber man hätte sich doch eine grössere Besetzung namentlich in den beiden leads gewünscht. Ulf Schirmer musiziert wie gewohnt klangschön und flott.

G.H./M.K.

 

Albert Lortzing: Regina mit Johanna Stojkovic/Regina, Detlef Roth/Stephan, , Albert Pesendorfer/Simon, , Daniel Kirch/Richard u. a.; Prager Philharmonischer Chor, Münchner Rundfunkorchester, Dirigent – Ulf Schirmer; 2CD cpo 777 710-2

 

 

 

Junonisch und wunderbar

So majestätisch wie ihre Norma optisch wirkt, erklingt auch die machtvolle Stimme auf der „neuen“ Wiederauflagen-CD (Preiser PR93479) von ANITA CERQUETTI, die den Opernliebhaber ebenso erfreut wie verärgert. Preiser spielte wieder mal die „diebische Elster“ und klemmte die ja noch im Handel erhältliche Decca-CD der Cerquetti (von 1957) sowie Ausschnitte der (dto) Gioconda (1957) auf ihre CD und füllte diese mit den eben seltenen RAI-Aufnahmen auf. Diese hätte man in Gänze herausbringen sollen und dazu noch das bezaubernde Interview, das sie 1974 der RAI gab. So jedenfalls haben wir wenigstens Ausschnitte aus dem Oberon, den Vespri und dem Tell (alles RAI-Gesamtaufnahmen) sowie die Wally und den Andrea Chénier – aber wo sind Ballo oder Trovatore? Ach, diese Retrofirmen, nix Ahnung. Zumindest aber sind hier die entscheidenden Goodies der unvergleichlichen, junonischen Cerquetti versammelt, die ich im Impakt der schöneren Stimme weit über die Callas stellen würde. Und wenn sie „O Re die cieli“ aus der Agnese di Hohenstaufen singt, geht nun wirklich der Himmel auf.

G. H.