Die Spuren sind verweht

 

Wieland Wagner – Wegbereiter und Weltwirkung:  Das Buch der österreichischen Musikwissenschaftlerin Ingrid Kapsamer aus dem Styria-Verlag ist nicht so rasch mal eben durchgelesen. Es beruht auf einer Dissertation, ist also ein akademischer Text. Wer sich auf die Lektüre einlässt, sollte das bedenken. Die Autorin hat sehr gründlich gearbeitet, die Fülle der Fakten und Erkenntnisse ist enorm. Und da Wieland-Tochter Nike Wagner bereits auf dem Buchdeckel als Verfasserin des Vorwortes in Erscheinung tritt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Bewahrung des Erbens von Wieland Wagner in Bayreuth  sozusagen vorgegeben.

So genau Leben und Werk des Enkels von Richard Wagner auch recherchiert und dargestellt sind, das Buch muss den sinnlichen und überwältigenden Eindruck des Theaterschaffens dieses Mannes schuldig bleiben. An den einstigen Wirkungsstätten Wielands – allem voran die Bayreuther Festspiele – ist nichts geblieben von ihm. Die Traditionslinie ist scharf durchtrennt. Was immer auf dem Grünen Hügel oder in Stuttgart, wo er ebenfalls oft arbeitete, über die Bühne geht, lässt nicht im Geringsten ahnen, dass es Wieland Wagner überhaupt gegeben hat. Seine Spuren sind verweht.  Die schönen Fotos aus seinen Inszenierungen, die sich in dem Buch finden, sind historisch wie kaum etwas anderes obwohl sie bei näherer Betrachtung überhaupt nicht historisch wirken. So könnte ich mir Oper auch heute noch vorstellen.

Die wenigen filmischen Dokumente von Wieland-Wagner-Inszenierungen (Tristan, Walküre, Lulu) werden seiner Bedeutung nicht gerecht, zumal sie mit Ausnahme der Lulu extrem grau und fad sind. Im Buch wird das deutlich herausgearbeitet. Daraus folgt einmal mehr, dass Theater nur bedingt zu konservieren ist. Insofern ist das Buch wie ein erzähltes Mittagessen. Der Hunger nach einem zeitlosen Theater mit Archetypen, wie sie nur Wieland Wagner geschaffen hat, bleibt ungestillt (411 Seiten, zahlreiche Fotos, teilweise in Farbe, ISBN 978-3-222-13300-8). Das Buch, das bereits einige Zeit am Markt ist, hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt. Es ist von bleibendem Wert.

R.W.