Ambitioniert in die Sackgasse

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Die einheimische Presse feierte die Neuproduktion von Les contes d´Hoffmann bei den Salzburger Festspielen 2024 als großes künstlerisches Ereignis, und auch das Premierenpublikum zeigte sich angetan von der Regiearbeit von Mariame Clément und dem Dirigat von Marc Minkowski. Nun gibt es die Produktion als Bluray und DVD und fordert dem Betrachter bzw. Hörer ein Höchstmaß an Geduld ab. Das von Offenbach nicht vollendete und vielen Verschlimmbesserungen und Vervollständigungen unterworfene Werk wurde  zuletzt 2003 bei den Salzburger Festspielen gegeben, davor waren über zwanzig Jahre vergangen, bis man es hier hatte erleben dürfen, und die Erwartungen waren entsprechend hoch gespannt, besonders weil man wie inzwischen allüberall „die weibliche Perspektive“ erwartete. Gewählt worden war die Rezitativfassung von Michael Kaye und Jean-Christoph Keck.

Nun ist die Handlung des Werks zwar keine verworrene, aber eine doch recht komplizierte mit einer Rahmenhandlung, innerhalb derer sich drei Episoden, des Dichters Suche nach der wahren Liebe darstellend, abspielen, während im Epilog deutlich wird, dass Hoffmann sich selbst um die wahre Liebe, die Stellas, durch seine Trunksucht gebracht, sie an den ewigen Gegenspieler verloren hat.

Die drei Episoden führen Hoffmann in das Berlin seiner Zeit, in dem ihn Doktor Miracle mit der Puppe Olympia verzaubert,  nach Venedig zur Kurtisane Giulietta, wo er auf den Romantiker Schlemil trifft, und in das Haus der Sängerin Antonia, die von einer tödlichen Krankheit bedroht ist. Mehr Abwechslung, mehr interessante Milieus  können nicht sein, doch die Regie macht alles zunichte, indem sie aus dem Dichter Hofmann einen Regisseur macht, der allerdings oft mit einer Kamera, vor allem aber mit einem Einkaufswagen voller Filmrollen, aber auch Schnapsflaschen über die Einheitsbühne von Julia Hansen schlurft, das nützliche Gerät sogar zur Schlafstätte umzufunktionieren weiß, der Bösewicht sein Filmproduzent ist.  Da der Tenor aber nicht nur der Regisseur Hoffmann, sondern auch dieser selbst in seinen Episodenfilmen, die er umgeben von einer Überfülle umher wieselnden Personals dreht, ist,  singt der Regisseur, während der stumme Hoffmann in den Episoden zwar hübsch anzusehen, aber halt stumm ist. Trostlos ist die Optik, denn vor einer grauen Betonwand gibt es nur kleine Szenen-Ausschnitte, so aus dem Musikzimmer der Antonia, ganz und gar trostlos ist die Kulisse für den Venedig-Akt, der durch kümmerliche Leuchtstäbe dargestellt wird. Nicht nur für  die übervölkerte potthässliche Bühne, sondern auch für die ebensolchen Kostüme  ist Julia Hansen verantwortlich, die offensichtlich ein Faible für untragbare BHs hat, die auch mal explodieren können, oft gerade  von einer Walküre abgelegt zu sein scheinen und wie fast alle Kostüme höchst unkleidsam bis der Lächerlichkeit anheimgebend gegenüber dem Sopran sind. Ausgemerzt ist alles, was dem Stück seine lokale und zeitliche Gebundenheit und Farbigkeit verlieh, angefangen vom Weinkeller Lutters, Lächerliches hinzugefügt wie das Komponieren der Barcarole auf einer öden Parkbank bis hin zum geschmacklosen Auftischen von  Spaghetti mit Tomatensoße plus Parmesan und Schlagrahm.  Das Schicksal des unglücklichen Poeten geht unter in einem Wust von Darstelllern, Nebenhandlungen, witzig sein sollenden Einfällen. Der Verzicht auf viele dieser Einfälle wäre der vom Grundgedanken her gar nicht so abwegigen Regieidee dienlich gewesen.

Marc Minkowski steht Jacques Offenbach, so sollte man meinen, durchaus nahe, hat für diesen Hofmann aber nicht die notwendige leichte Hand, lastet mit den Wienern eher schwer auf der Partitur als sie aufblühen, ihre Eleganz entfalten, ihre Straffheit Triumphe feiern zu lassen. In den Achtzigern war Placido Domingo, gleichzeitig und danach Neil Shikoff nicht nur in Salzburg der Hoffmann vom Dienst. Benjamin Bernheim ist natürlich schon einmal als Muttersprachler prädestiniert für die Partie, geht aber im Inszenierungswust häufig visuell unter und wirkt insgesamt wie von recht leichter vokaler Statur, nur wenn er nicht gleichzeitig szenisch heftig beansprucht wird, wird man gewahr, was vokal in ihm steckt. Wunderbar in jeder Hinsicht und sich in jeder noch so umtriebigen Szene visuell wie vokal behauptend ist Kate Lindsley als Muse. Kathryn Lewek singt alle vier Frauenrollen, ist in keiner ein Ausfall und doch nicht die Idealbesetzung, da nicht einmal im heimischen Koloratursopranfach Außerordentliches leistend. Recht eintönig, wenn auch machtvoll gebietend gibt Christian Van Horn die Bösewichter, auf deren aufsehenerregende Optik man viel Aufmerksamkeit verschwendet hatte. Marc Mauillon kann dem Couplet des Frantz nicht viel Hörenswertes entlocken, eindrucksvoll ist die Stimme der Mutter mit der von Géraldine Chauvet.

Die Aufnahme ist ein trauriges Beispiel dafür, dass auch noch so viel szenische Masse nicht für musikalische Klasse garantieren kann, im Gegenteil (Unitel 811904). Ingrid Wanja