Dem legendären Kastraten Farinelli widmet Philippe Jaroussky seine neue CD bei Erato (413022), auf der er Arien von Nicola Porpora singt, die der Komponist dem berühmten Gesangsstar, seinem Schüler, auf die Stimmbänder geschrieben hat. Unter den elf Titeln finden sich nicht weniger als sieben Weltersteinspielungen, darunter Alcestes „Mira in cielo“ aus Arianna e Teseo, welches das Programm eröffnet. Ein bewegtes, aufgewühltes Stück, für das Jarousskys zarte, keusche Stimme nicht ideal ist. Viel besser klingt sie im nächsten Beitrag, „Si pietoso il tuo labbro“ aus Semiramide riconosciuta, das in seinem zärtlich wiegenden Rhythmus, den schmeichelnden, sanften Linien wie für den Interpreten komponiert scheint. Im folgenden „Come nave in ria tempesta“ aus Semiramide regina dell’Assiria kann der Sänger mit federnd getippten Koloraturen seine hohe Virtuosität zur Schau stellen.
Jaroussky hat lange gezögert, die Musik Porporas in sein Repertoire aufzunehmen, aber schließlich in dessen Kompositionen viele berührende Arien entdeckt, die seiner Stimme perfekt entsprechen. Diese sind es dann auch, die den stärksten Eindruck hinterlassen. Zweifellos ist Acis „Alto Giove“ aus Polifemo der Höhepunkt dieser Sammlung – in seiner Wirkung wahrhaft mirakulös durch die körperlos schwebende Stimme, den entrückten Ausdruck, die scheinbar unendlichen Atemreserven. Das Venice Baroqe Orchestra unter Andrea Marcon, das den Sänger insgesamt sehr einfühlsam begleitet, erschafft gerade in dieser Nummer wunderbare orchestrale Stimmungen. Aus dieser Oper erklingt noch eine weitere Arie des Aci („Nel già bramoso petto“), deren heroische Koloraturläufe der Interpret stupend meistert.
Darüber hinaus ist es Jaroussky gelungen, Cecilia Bartoli (bei den Aufnahmen auf dem großen Foto oben) für die Mitwirkung an seiner CD zu gewinnen, was sich in zwei Duetten niederschlägt. Das erste stammt ebenfalls aus Polifemo („Placidetti zefiretti“) und lässt die Stimmen in harmonischem Zusammenklang ertönen. Das zweite („La gioia ch’ io sento“) ist der Oper Mitridate entnommen und reizvoll in ihrem tänzerisch-heiteren Duktus – hier scheinen die Stimmen geradezu zu verschmelzen. Sehr schön zwei Arien des Achille aus Ifigenia in Aulide – das träumerisch-entrückte „Le limpid’onde“ in wiegendem siciliano-Rhythmus und „Nel già bramoso petto“, gleichfalls von getragenem, sehnsuchtsvollem Charakter bei höchstem virtuosem Anspruch. Zwei Arien des Orfeo aus der gleichnamigen, 1736 in London uraufgeführten Oper runden das Programm ab, die erstere („Dall’amor più sventurato“) beschwingt und kokett, aber auch mit rasanten Koloraturgirlanden, die zweite („Sente dal mio martir“) schmerzlich und klagend mit visionärer, berückender Tongebung.
Seine Deutschland-Tournee startete Phlippe Jaroussky im großen Saal der Berliner Philharmonie
Live – in der Berliner Philharmonie am 8. Oktober, wo Philippe Jaroussky seine Deutschland-Tournee startete – war der Eindruck in Teilen ein anderer. Wieder einmal bewahrheitete sich, dass deren großer Saal für diese Art von Konzerten nicht geeignet ist. So klang die Stimme im ersten Beitrag. „Mira in cielo“ aus Arianna e Teseo in der unteren Lage matt und in den Koloraturen dünn, nur die aufsteigenden Skalen ließen den keuschen, zärtlichen Ton des Counters vernehmen. Träumerisch-entrückte piani, feine Triller und lange Bögen gefielen in der Arie des Mirteo aus Semiramide riconosciuta, sehnsuchtsvolle, beinahe körperlose Klagelaute waren in der Arie des Achille aus Ifigenia in Aulide zu vernehmen. Ein beliebtes Sinnbild im Barock für aufgewühlte Seelenzustände war das der stürmischen See ausgesetzte Boot – so auch in Semiramide, regina dell’Assiria, wo der Sänger mit den getupften staccati besonderen Effekt machte.
Als erster vokaler Beitrag des zweiten Teiles war die Arie des Orfeo „Dall’ amor più sventurato“ sehr gelungen in ihren wechselnden Stimmungen und der abgestuften Dynamik; Achilles zärtlicher Gesang „Le limpid’onde“ aus Ifigenia in Aulide geriet bis an den Rand des Flüsterns. Jarousskys Glanzstück war natürlich auch hier Acis „Alto Giove“ mit seinem mirakulösen Beginn, den stupenden messa di voce-Effekten und dem reizvoll variierten Da capo. Eine ähnlich magische Wirkung konnte der Solist auch mit seiner ersten Zugabe erzielen – der Arie „Sposa non mi conosci“ aus Giacomellis Merope als expressives Lamento mit flehentlichen Klagelauten. Dagegen fiel die zweite – „In braccio a mille furie“ aus Porporas Semiramide riconosciuta – deutlich ab. Diese Arie sollte er im Konzert überhaupt nicht singen, da ihm für dieses furiose Stück live die heroische Attacke und das stimmliche Gewicht fehlen. Das Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon bereicherte das Programm mit wirkungsvollen Instrumentalbeiträgen, der stürmischen Sinfonia zu Porporas Germanico in Germania (mit einigen Misstönen der Hörner), der mit keckem Schwung servierten Sinfonia zu Leos L’Olimpiade und dem affektbetonten Concerto grosso Nr. 12 d-Moll „La Follia“ von Geminiani in mitreißender Steigerung.
Im Vorfeld seines Auftritts in der Philharmonie war der Countertenor auf Einladung des Geschäftes L&P-Classic zu Gast in der Berliner Maison de France, wo der Schauspieler Thomas Wittmann den Sänger zu seinem Farinelli/Porpora-Projekt befragte. Überaus sympathisch und klug, äußerte sich dieser nicht nur zu der Beziehung zwischen dem Kastraten und seinem Lehrer, sondern auch zu allgemeinen Problemen der Gesangstechnik, seiner eigenen Zusammenarbeit mit Cecilia Bartoli, die er sehr bewundert, und der achtmonatigen Auszeit im letzten Jahr. Filmausschnitte von den CD-Aufnahmen und einem Konzert in Frankreich rundeten den gut besuchten Abend ab, der in eine ausgedehnte Signierstunde mündete, bei der sich Jaroussky jedem einzelnen Musikfreund ganz persönlich und individuell widmete.
Bernd Hoppe