Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Opern-Irrführer

 

So hat es der Gestalter des Covers von Von Aida bis Zauberflöte sicherlich nicht gemeint: Ein befrackter Opernsänger schleudert den Namen der Autorin Dorle Knapp-Klatsch in das Auditorium, aus dem die letzten drei Hörer in Panik die Flucht ergreifen – und genau so ergeht es dem Leser, der das Buch studiert, das doch angeblich „locker und humorvoll“ und „akkurat und kenntnisreich“ über 55 „der populärsten Opern“ berichten soll.

Fangen wir an bei „populär“, was sicherlich weder Schönbergs „Die glückliche Hand“, noch Thomas „Draußen vor der Tür“, noch Vollmers „Gegen die Wand“ noch Czernowins „Pnima“, noch Denisovs „Schaum der Tage“, noch Andrés „Wunderzeichen“ sind.

Fahren wir fort mit „akkurat und kenntnisreich“, was zu sein bei einer so populären Oper wie „Aida“ keine große Herausforderung sein dürfte. Diesem Werk werden sogar zwei unterschiedliche Artikel, eine Kurzfassung und eine „ausführliche“, gewidmet. Doch beide wimmeln von Ungenauigkeiten und Fehlern.  Da tummelt sich neben Radames (richtig) auch mal ein Radamis (falsch), sogar ein Ramades (falsch). Falsch ist ebenfalls, dass man bei den Ägyptern weiß, dass der Vater Aidas der König der Äthiopier ist, dass Amonasro im Nilakt „auf den ersten Blick erkennt“, dass Radames Aida liebt ( dieser kommt erst nach dem Duett Vater-Tochter auf die Bühne), dass Pharao und Amneris im Nilakt gemeinsam beten (das ist Ramfis), und nicht  der Pharao, sondern der Priester leitet die Gerichtsverhandlung gegen Radames. So wimmelt es von Ungenauigkeiten, was nicht dadurch wettgemacht wird, dass die Aufzählung des Personals der Oper gleich dreifach erfolgt.

Nach diesem Einstieg in das Buch hat man bereits jede Lust verloren, sich weiter mit ihm zu beschäftigen, unternimmt aber aus Pflichtgefühl noch ein paar weitere Versuche. Wie steht es um Tannhäuser? Hier staunt man nicht schlecht, wenn der Einzug des thüringischen Adels mit Ascot verglichen wird – gibt es da einen Einmarsch? Angeblich soll Tannhäuser nach seinem Lob der Venus gebannt von den Adligen werden, das hätte nur der Papst vollziehen können, nicht einmal die Acht bedroht ihn, sondern die empörten Sängerkollegen trachten ihm nach dem Leben. Ganz schlimm wird es mit der Nacherzählung des Schlusses, wenn nicht die aus Rom kommenden Nachzügler mit dem grünenden Stab des Papstes in die Heimat zurückkommen, sondern denselben von der Wartburg nach Rom bringen wollen.

Das Schicksal einer völlig missverstandenen Oper teilt der Tannhäuser mit dem Holländer, der nach Ansicht der Autorin nur durch eine Frau erlöst werden kann, die für ihn in den Tod geht. Stimmt nicht, sie muss nur treu bis in den Tod sein. Da hätte die Inanspruchnahme eines Reclam-Opernführers geholfen, viele Missverständnisse zu vermeiden.

Es gelingt der Verfasserin also nicht einmal, den Inhalt der von ihr gewählten Opern korrekt nachzuerzählen. Das wäre wohl notwendig, um „Anfänger“ auf die richtige Bahn der Opernbegeisterung zu leiten. Schlimm sieht es aber auch mit dem Umgang mit den ebenso angepeilten „Liebhabern“ aus. Denen sträuben sich die Haare, wenn sie lesen, dass Puccini nach dem Misserfolg der ersten Fassung von Butterfly diese „geringfügig“ umschrieb. Welch ein Irrtum, wo er doch das Werk aus einer zweiaktigen, in eine dreiaktige Fassung umkomponierte und ein großes Manko der ersten Fassung, das Fehlen einer Tenorarie, mit „Addio, mio fiorito asil“ korrigierte.

Kommen wir zum angepriesenen „locker und humorvoll“. Das könnte man auch flapsig sich anbiedernd nennen, wenn man Wendungen wie Amneris ist „ausgebootet“, Puccini erlitt einen „Bauchklatscher“, „Ortrud päppelt Telramund wieder auf“, „ Butterfly klammert sich an den Strohhalm und verbeißt sich darin“ zu Rate zieht.

Es wimmelt von Stilblüten, aber auch der Historiker oder Soziologe gewinnt wertvolle Einblicke, so in das Leben der Pariser Gesellschaft in Verdis „La Traviata“. Da steht: „Sie ( Damen wie Violetta) werden geduldet, denn die Gesellschaft kann sichergehen, dass sie sich nicht vermischen. Aus diesem Grunde werden sie auch „Halbweltdamen“ genannt- sie gehören nur zur Hälfte dazu“. Das ist wohl wahr, denn schließlich vermischt sich Violetta nicht mit Flora.  Und was mit einer „ewige(n) Sisyphusarbeit, die ein Künstler ständig vor und hinter sich hat“, gemeint ist, bleibt wohl für immer ein Rätsel.

Wo man das Buch auch, bis zum letzten Moment hoffnungsvoll, aufschlägt,  es springen dem verdutzten und zunehmend verärgerten Leser Fehler, Ungenauigkeiten, Stilblüten entgegen und verleiden ihm das Lesen. „Auf den Punkt gebracht“ werden sollten die geliebten Werke, doch in Knapp-Klatsch-Manier werden sie zu Karikaturen ihrer selbst (Books on Demand; ISBN 978 3 750424241). Ingrid Wanja

Einheitsbrei

 

Hört man Anna Prohaskas neueste Alpha-CD (ALPHA581) mit dem verheißungsvollen Titel Paradise Lost hintereinander weg,  ohne auf die Liste der Tracks zu schauen, dann glaubt man bisher unentdecktes Material einer bisher nie zur Kenntnis genommenen Epoche in einer bisher noch nie gehörten, recht ausdruckslosen Sprache zu vernehmen, und ist umso erstaunter, dass es um Lieder und Songs von Purcell bis Reimann und allem zwischendurch sowie die drei doch eigentlich bekannten und dem Hörer zugänglichen Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch geht.

In mehreren Abteilungen, so um einen Morgen im Paradies, das auch mal Arkadien sein kann, um ländliche Idylle, aber auch um die Vertreibung aus dem Garten Eden und das irdische Leben geht es, es werden Texte bemüht, die in irgendeiner Form, und sei es nur der eines Apfels, mit dem Thema zu tun haben. Oft handelt es sich nur um ein Lied aus einem umfangreichen Liederkreis wie Schumanns „Warte, warte wilder Schiffmann“ oder Mahlers „Das irdische Leben“.

Das allerdings ist nicht der Haupteinwand gegen diese CD einer Sängerin, die dem Ensemble der Berliner Staatsoper, einst der Hort textverständlichen Singens, angehört. Beim ersten Track, Ravels „Trois Oiseaux“, kann der schwebende Flötenton, mit dem der Sopran aufzuwarten weiß, noch entzücken, er kann an sich reizvoll dort sein, wo er hingehört, ist aber nicht generell anwendbar, wie es die Sängerin offenbar für möglich hält. Schnell wirkt  der Sopran, dem das Fundament zu fehlen scheint, nur noch geschmäcklerisch, und bereits beim zweiten Track, Bernsteins „Silhouette“, kann zwar von der Leichtigkeit der Emission profitiert, die schwache Mittellage aber nicht kompensiert werden. Der Virtuosität der vorzüglichen und viel eher jeweils charakteristischen Begleitung von Julius Drake weiß die Sängerin bei Messiaen nichts entgegenzusetzen, für Faures „Chanson d’Eve“  ist das Farbspektrum zu begrenzt, nur bei Debussys „Apparition“ kommt es  zu einem schönen Einklang zwischen Stimme und Piano.

Immer wieder verstört den Hörer, wie der Sopran über Töne hinweg huscht, statt sie zu modulieren, und bei den beiden Wolf-Liedern nach Goethe-Texten versteht man kein Wort, selbst wenn man den Text kennt. So entsteht zunehmend der Eindruck, dem Hörer werde statt eines Streifzugs durch die Musikgeschichte zu einem Thema, dem des verlorenen Paradieses, ein verwaschener, silbenverschluckender Mischmasch undefinierbarer Stilrichtung  vorgesetzt.

Es gibt nur wenige Lichtblicke, wenn das Hingetupfte zu Reimanns „Gib mir den Apfel“ passen mag, wenn Ives‘ „Evening“ mild und schön verklingt, die Stimme für Purcells „Sleep, Adam“ instrumental geführt wird. Eine verhuschte „Auflösung“ von Schubert oder dessen „Abendstern“, dem eine vokale Dimension zu fehlen scheint, dazu angeschliffene Töne stören immer wieder und zunehmend. Wenn dann noch Schumann-Lieder bei Intervallsprüngen nach unten im Nichts zu enden scheinen, auf Prägnanz zugunsten eines Aufheulens verzichtet wird wie bei Eisler, dann bedarf es wirklich wie bei George Crumbs „Early Songs“ der Flucht zu YouTube, um sich bei Christine Schäfer die Gewissheit zu holen, dass es auch anders geht (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/). Ingrid Wanja

Barockes aus Berlin

 

Liebhaber der Barockmusik sehen der alljährlichen Alte-Musik-Produktion der Berliner Staatsoper stets mit Spannung entgegen. Die Staatskapelle unter Daniel Barenboim ist dann unterwegs auf Tournee – im Graben steht zumeist  René Jacobs am Pult eines Spezialensembles. Im Januar 2017 war es die Akademie für Alte Musik Berlin, mit welcher der Dirigent Purcells Dramatick opera King Arthur im Schiller Theater zum Leben erweckte und dabei wahre Wunder an Klangpracht, rhythmischer Verve und majestätischem Bläserglanz zauberte. NAXOS hat die Aufführungen vom 19. und 21. 1. 2017 aufgezeichnet und auf DVD herausgebracht, bietet damit Gelegenheit, die musikalisch hochrangige Produktion nachzuhören (2.110658).

Denn auch die Sängerbesetzung lässt kaum Wünsche offen. Dominiert wird sie von den beiden Sopranen: Anett Fritsch überzeugt bei ihrem Staatsopern-Debüt mit klarem und jubilierendem Sopran. Höhepunkt ihres Vortrages ist das mit leuchtender Stimme gebotene Air „Fairest Isle“. In mehreren Rollen – als Philidel, Shepherdess, Siren, Nymph, Venus und geflügelter Cupido – überzeugt sie zudem mit ihrer darstellerischen Vielseitigkeit. Auch Robin Johannsen interpretiert mehrere Partien (She, Shepherdess, Siren, Nymph, Honour, Priest) und gefällt mit lieblichem Ton und Koloraturbrillanz. Ihr fällt das wunderbare Duett „You say, ’tis love“ im 3. Akt zu, bei dem sich ihr Sopran und der Altus von Benno Schachtner in harmonischem Zusammenklang vereinen. Der Tenor Mark Milhofer lässt einen besonders schönen Ton hören, während Stephan Rügamer seine stilistische Vielseitigkeit beweist. Noch mehr klanglich-charakteristische Prägnanz, einen noch frostigeren, klirrenderen Ton (so wie ihn das Orchester vorgibt) hätte man sich von Johannes Weisser als The Cold Genius bei seiner Frost Scene gewünscht. Stupende Wirkung hinterlässt der Staatsopernchor (Einstudierung:) im sich anschließenden Chorus of the frozen ones  („See, see, we assemble“), dessen klangmalerische Interpretation wahrlich frösteln macht.

Dem Stück mit seinen mehreren Handlungssträngen – dem Kampf der christlichen Briten gegen die heidnischen Sachsen, dem feindlichen Konflikt der beiden Könige Arthur und Oswald um die Gunst der schönen Emmeline sowie  dem Machtanspruch der auf unterschiedlichen Seiten stehenden Zauberer Merlin und Osmond – fügen die Regisseure Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch noch eine Rahmenstory hinzu, die im 2. Weltkrieg spielt und einen achtjährigen Jungen mit Namen Arthur, dessen Vater gefallen ist, ins Zentrum rückt. Crouch erdachte dafür ein phantasievolles Bühnenbild, das zwischen einem englischen Salon mit gestreifter Tapete, Hintergrundprojektionen (Joshua Higgason) mit zerstörten Städten und vorüber ziehenden Landschaften, einem Zauberwald aus Soffitten und in barocker Theatermanier erzeugten Meereswellen wechselt. Die Szene ist bevölkert mit von Kevin Pollard liebevoll und einfallsreich kostümierten Puppen, Sirenen, Nymphen, Krankenschwestern, betrunkenen Landleuten, Invaliden in Rollstühlen sowie Erd- und Luftgeistern. Am Ende sieht man wie in der ersten Szene noch einmal das Flugzeug, in das der junge Arthur steigt, um gleich seinem Vater in den Krieg zu ziehen, von mit Fähnchen winkenden Landsleuten verabschiedet und von seiner Mutter als  Filmstar in weißer Seidenrobe glorifiziert.

All das ist von hohem Schauwert, aber der Abend ist lang, was vor allem den Schauspielszenen, die im Gegensatz zu den englisch vorgetragenen Gesangsnummern in deutscher Sprache geboten werden, anzulasten ist. Zu ausgedehnt sind diese Dialoge, angefüllt von modischen Schlagwörtern und Banalitäten. Jacobs untermalt mit dem Orchester die gesprochenen Passagen oft mit Instrumentalsätzen aus der Feder Purcells oder Akkorden von John Dowland, was zuweilen eine einlullende Wirkung erzeugt und die Textverständlichkeit der Schauspieler mindert. Musik und Sprache stehen bei dieser Produktion im Missverhältnis (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Bernd Hoppe

 

We shall see

 

„Schauen wir mal.“ Man kennt solche ausweichenden Antworten. „We shall see“, äußert sich auch die Frau des Fischers sibyllisch, die sich in ihrer amerikanischen Ausgabe nicht Ilsebill, sondern Kitty nennt. Und wir wissen, wo das hinführt. Immer mehr will sie haben, ein schönes, Haus, ein Schloss, Papst will sie sein, schließlich Gott. Und am Ende findet sie sich in ihrer einfachen Hütte wieder.

Anlässlich ihres 60-jährigen Bestehens gab The Junior League of Boston bei Sarah Caldwell und der Opera Company of Boston eine Oper in Auftrag, mit der die wohltätige Frauenorganisation den Kindern der Stadt ein Geschenk machen wollte. Die Wahl fiel auf Gunther Schuller. Und der suchte sich wiederum Der Fischer und seine Frau heraus. Das Libretto richtete kein Geringerer als John Updike derart geschickt ein, dass auch Erwachsene an den scheinbar schlichten Zeilen des Fischers (Tenor) und seiner Frau (Mezzosopran) und den Gesprächen mit dem Fisch (Bass) und der Katze (Koloratursopran) ihre Freude haben können. Die Uraufführung fand im Mai 1970 unter der Leitung des damals 45-jährigen Komponisten und in einer Inszenierung Caldwells im Savoy Theatre statt; der bekannteste Sänger war Donald Gramm als Fisch. Schuller war wohl der rechte Mann für diesen Einakter: ein in allen Stilen von der Klassik bis zum Jazz versierter Komponist, der in den 1940er und 50er Jahren ebenso selbstverständlich im Met-Orchester spielte wie er sich in der New Yorker Jazz-Szene tummelte und dem kurz zuvor die Ehre einer Uraufführung an einem der großen europäischen Opernhäuser zuteil geworden war: The Visitation nach Kafkas Der Prozess von 1966 gehörte zu den Auftragswerken, die während Liebermanns uraufführungswilder Ära an der Hamburgischen Staatsoper herauskamen. 45 Jahre später holten der Dirigent Gil Rose, das Boston Modern Orchesra Project und Odyssey Opera das an der Bostoner University als Teil der Caldwell Collection aufbewahrte Material nochmals aus der Schublade (1 CD BMOP/sound 1070, mit hübschen Illustrationen von Schullers deutscher Mutter Elsie Bernartz Schuller ), um es im November 2015 aufzuführend, wenn Schuller seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte; der Komponist starb im Mai 2015.

Über die schlagzeugintensive, teils elektronisch aufgeblasene, aber doch recht zahme Musik, die in ihrer simplen Machart an Kinder- und Familienopern wie Menottis Amahl oder Foss‘ Griffelkin anknüpft, ist die Zeit hinweggegangen. Updikes Text ist wesentlich raffinierter als Schullers betuliche, gut gemeint langweilige Musik. Schon bei ihrer Uraufführung dürften die Kinder von Boston reihenweise in den Schlaf gefallen sein. Immerhin versucht Schuller die sich intensivierende Handlung des Märchens durch atmosphärisches Wetterleuchten einzufangen und bietet zudem dem nicht sonderlich geforderten Vokalquartett kleine Singinseln, darunter das reizvollen Duett Katze/Fisch „Nothing in this natural life/Is stranger than a man and wife” (Katrina Galka und David Kravitz) und die leidenschaftlichen Papst-Arie der Fischersfrau (Sondra Kelly), dazu den ironische Jazz-Zierrat für das Königschloss und die genügsamen Sentenzen für den Fischer (Steven Goldstein). Rolf Fath

Polnisches kompakt

 

Aus Romantik und später: Wenn man an polnische Musik der Romantik und aus der Zeit danach denkt, fallen einem natürlich auf dem Gebiet der Klaviermusik Frédéric Chopin und für die Oper Stanislaw Moniuszko ein. Dass es in dieser Zeit außer den beiden exemplarisch Genannten eine ganze Reihe bedeutender polnischer Komponisten gab, verdrängt man leicht, zumal sich die meisten von ihnen nicht über ihr Heimatland hinaus durchzusetzen vermochten. Nun gibt es mehrere CDs aus Polen, mit denen die Werke solcher Komponisten näher gebracht werden.

Folge 1 (Oper): So hat das polnische Label DUX  ältere Aufnahmen hauptsächlich aus Opern von Stanislaw Moniuszko (1819-1872) herausgebracht. Fast ausschließlich polnische Künstler sind am Werk, wenn man von der französischen Pianistin Véronique Briel, die  einen hübschen Walzer präsentiert, und der russischen Sängerin Tatiana Borodina absieht, die Halkas Arie Wenn die Sonne aufgeht mit schön abgerundetem Sopran singt. Sie wird vom Breslauer Opernorchester unter Ewa Michnik begleitet, das bei weiteren Ausschnitten aus Halka auch den prägnanten Bariton Mariusz Godlewski, den etwas dröhnenden Bassisten Radoslaw Zukowski  und den klaren Tenor Oleh Lykhach unterstützt. Zwei Orchesterstücke aus der Breslauer Halka-Aufnahme von 2005, die Bergbauerntänze und die flotte Mazurka, runden die Eindrücke aus dieser Oper ab. Die Doppel-CD enthält auch aus dem Gespensterschloss, der weiteren berühmten Oper Moniuszkos, drei Arien, gesungen von Urszula Kryger, dem Bassisten Kazimierz Kowalski und dem international bekannten Wieslaw Ochman. Bei letzterem wird verschwiegen, von wann die Aufnahme mit der Polnischen Nationalphilharmonie unter Tadeusz Strugata stammt. Ebenfalls vertreten mit der Ouvertüre und drei Arien ist die Oper  Verbum mobile (Das Ehrenwort). Schließlich kann man Ausschnitte aus den Opern Flis (Der Flößer), Paria und Hrabina (Die Gräfin) sowie die Konzert-Ouvertüre Bajka (Das Märchen), drei Lieder, zwei Ausschnitte aus Messen und das lautmalerische Stück für Flöte und Klavier Das spinnende Mädchen hören, alles schöne Beispiele für die Vielseitigkeit des polnischen Nationalkomponisten (DUX 0908/0909, 2 CD).

 

Ignacy Feliks Dobrzyńskis „Monbar“ in der Aufnahme des polnischen Rundfunks Warschau unter Lukas Borowicz

Kleinere Stücke sind unter dem Titel Polish Symphonic Music of  the 19th Century zusammengefasst, die von der ausgezeichneten Sinfonia Varsovia unter Grzegorz Nowak interpretiert werden. Die Ouvertüre zur 1811 entstandenen Oper Dwie Chatkie (Zwei Hütten) komponierte Karol Kurpinski (1785-1857), künstlerischer Direktor der Oper in Warschau von 1825 bis 1842, der 1833 die Eröffnungsvorstellung im neuen Theatergebäude, dem Teatr Wielki, dirigierte und der dort zwei Jahre später eine Gesangsschule gründete. Die Ouvertüre noch ganz im klassischen Stil findet eine mehr als nur angemessene Ausdeutung.

Ignaz Felix Dobrzynski (1807-1867, in operralounge.de gibts es eine Besperechung seines Monbar), der gemeinsam mit Frédéric Chopin bei Jozef Elsner studierte, ist mit der spritzigen Ouvertüre zu seiner einzigen Oper Monbar oder die Freibeuter vertreten, Wladyslaw Zelenski (1837-1921) mit der temperamentvollen Konzertouvertüre In der Tatra. Schließlich erklingen Step (Die Steppe) des Dirigenten der Warschauer Musikgesellschaft und Konservatoriumslehrers Zygmunt Noskowski (1846-1909) und natürlich Moniuszko mit der Konzertouvertüre Bajka (Das Märchen). (ACCORD ACD 019). Gerhard Eckels

 

Wenn Moniuszko der Vater der polnischen Oper ist, dann gehört Kurpiński neben Joseph bzw. Józef Elsner wohl der Großvätergeneration an. Eine Generation älter als Moniuszko (1785-1857), leitete er 1824-42 die Warschauer Oper und dirigierte 1833 mit dem Barbiere di Siviglia die Eröffnungsvorstellung des Teatr Wielki. Dazu gründete er eine Gesangsschule und setzte mit seinen rund 26 Opern die von Elsner begründete Tradition von Opern in polnischer Sprache fort, darunter Jadwiga, Königin von Polen, Das Schloss von Czorsztyn und Bojomir und Wanda. Kurpiński wurde von seinem Vater, einem Organisten, ausgebildet, übernahm bereits mit 12 Jahren die Organistenstelle in Rawicz und spielte 1800 bis 1808 Geige im Orchester des Grafen Polanowski in Moszków in der Nähe von Lemberg, wo er nach der Auflösung des Orchesters zwei Jahre lebte. In Lemberg lernte er auch die Oper kennen. Ab 1810 wirkte er neben Józef Elsner dreißig Jahre als Dirigent am Nationaltheater in Warschau, dessen Direktor und musikalischer Leiter er nach Elsners Weggang 1824 wurde.

Er führte Mozart, Weber, Auber, Rossini, Donizetti, Bellini und Meyerbeer auf, und 1811 die erste seiner Opern. Der 1815 im alten Gebäude des Nationaltheaters am Krasiński-Platz uraufgeführte Einakter Alexander und Apelles behandelt eine Episode aus der griechischen Antike um Alexander den Großen, den Hofmaler Apelles und Alexanders erste Geliebte, die schöne Pankasta aus Larissa. Alexander gibt bei Apelles ein Porträt der Pankasta in Auftrag. Maler und Model verlieben sich. Großmütig entsagt Alexander seiner Liebe zu Pankasta. Den Text ließ sich Kurpiński von Adam Dmuszewski nach der gleichnamigen, gerade herausgekommenen Komödie von Alexandre-Jean-Joseph de la Ville de Mirmont schreiben. In 22 Nummern inklusive einer Ouvertüre und einem Finale, reinen Textpassagen, Melodramen, kleinen Arien, einem Terzett und Duett handelt Kurpiński das Drei-Personen Stück im Stile Rossinis und der Wiener Klassik und – nicht nur in Apelles‘ Alla polacca-Arie – mit schwungvollen polnischen Reminiszenz ab, was in dieser Mischung aus Sprache, glanzvollen Instrumentalpassagen und elegantem Gesang reizvolle Effekte ermöglicht, aber nicht Schule machte  Nach fast 200 Jahren gelangte die aparte Nettigkeit Aleksander i Apelles, deren Text und Musik unabhängig voneinander von dem Musikwissenschaftler Wojtek Czempli aufgespürt wurden, im Herbst 2017 im historischen Boguslawski-Theater in Kalisz wieder zur Aufführung. Das Sinfonieorchester der Kalisz Philharmonie hat mit dem reich ausgeschmückten Orchesterpart fast mehr zu tun als die Solisten Tatiana Hempel als Pankasta, der Tenor Tomasz Krzysica in der anspruchsvollen Partie des Apelles und der Bass Robert Gierlach als Alexander (Polskie Radio PRCD 2178); der wackere Männerchor aus Sarnów hat sich seine ganze Kraft für das Finale aufgehoben.   Rolf Fath

 

Mieczysław Karłowicz/ Wikipedia

Folge 2 (Sinfonisches): Mieczyslaw Karlowicz (1876-1909) studierte zunächst an der Warschauer Musikakademie Violine und Komposition, seit 1895 dann in Berlin, wo seine ersten Werke entstanden. In den Jahren 1895/96 komponierte er 22 sinfonische Lieder und auch eine Serenade für Streichorchester, die von den Berliner Philharmonikern unter seinem Lehrer Heinrich Urban uraufgeführt wurde. 1901 kehrte er nach Warschau zurück, beendete sein Studium und gründete zwei Jahre später ein Streichorchester. Wie so viele Künstler damals zog Karłowicz 1906 nach Zakopane in der hohen Tatra, wo er neben der Musik seine zweite Leidenschaft entdeckte, das Bergsteigen und Skifahren. Hier ließen sich die Literaten des Jungen Polen nieder; auch fand sich dort die gleichnamige Gruppe junger polnischer Komponisten ein, die sich 1905 in Berlin gegründet hatte und deren namhaftester Vertreter Karol Szymanowski war. 1909 kam Mieczysław Karłowicz bei einem Lawinenunglück ums Leben. Seine einzige  Sinfonie mit dem Titel Rebirth (Wiedergeburt) entstand 1902 und wurde unter Leitung des Komponisten im März 1903 in Berlin uraufgeführt. Bei DUX  ist eine Aufnahme des Werks in der Interpretation des Stettiner Philharmonischen Orchesters erschienen. Wie Gustav Mahler in seiner Auferstehungssinfonie, die im folgenden Jahr Premiere hatte, schildert auch Karlowicz mit farbenreicher Orchestrierung den inneren Kampf gegen das Schicksal. Dem norwegischen Dirigenten Rune Bergmann gelingt es, den grüblerischen, manchmal geradezu unheilschwangeren Charakter der Sinfonie zu erfassen und mit dem souveränen Orchester umzusetzen. Die Sinfonie endet mit einer strahlenden Choralmelodie, ohne jedoch in falsches Pathos zu geraten (DUX 1477).

 

Über Polen hinaus ist Mieczyslaw Karlowicz besonders durch seine sinfonischen Dichtungen bekannt geworden, von denen Returning Waves op. 9, das Triptychon Eternal Songs op.10 , das um Liebe und Tod, Sehnsucht und Ewigkeit kreist, sowie die Bühnenmusik (Sinfonischer Prolog und Intermezzo) zu Bianca da Molena op.6 (Weißes Täubchen) auf einer in der PWM-Edition erschienenen CD enthalten sind. Auch hier erweist sich die Stettiner Philharmonie als in allen Gruppen versiertes Sinfonieorchester, das unter dem inspirierenden Rune Bergmann die typischen, geheimnisvoll abgedunkelten Bläser- und Streicher-Mischungen, befreiende Aufschwünge und im Gegensatz dazu helle Klänge ebenso überzeugend erklingen lässt wie melancholische Gedanken des Verzichts und der inneren Einkehr. Dabei wird durchweg deutlich, wie sehr Karlowicz sich an die Harmonik von Richard Wagner zu Zeiten des Tristan angelehnt hat und wie er das Orchester im Stile von Richard Strauss und teilweise auch von Peter Tschaikowsky behandelt hat (PWM mit Filharmonia Sczecin).

 

Paderewkis „Manru“: Theaterzettel für die Uraufführung an der Met 1901/Org.

Der vor allem im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts weltweit berühmte Pianist und polnische Freiheitskämpfer Ignacy Jan Paderewski (1860-1941) hat neben seiner Oper Manru und vielen Klavierwerken auch eine Sinfonie komponiert, die den Untertitel Polonia trägt. Im letzten Satz ist die polnische Nationalhymne Noch ist Polen nicht verloren verarbeitet, möglicherweise als versteckte Ankündigung der politischen Aktivitäten Paderewskis nach der Bostoner Uraufführung 1909. Dem ausgedehnten dreisätzigen Werk liegen keine strengen sinfonischen Strukturen zugrunde, sondern es ist eher eine spätromantische sinfonische Dichtung, ohne ausdrücklich programmatisch zu sein. Sehr ungewöhnlich ist die Instrumentierung: Zu der üblichen sinfonischen Orchesterbesetzung kommen drei äußerst selten eingesetzte Sarrusophone (saxophonähnliche Blasinstrumente), ein Tambourin de Basque, ein Donnerblech und eine Orgel. Die Sinfonie beginnt mit einem besinnlichen Adagio, das in ein rastloses Allegro vivace übergeht; melancholisch tiefe Blechbläserakkorde leiten die Reprise ein, die zu einer Coda führt, in der die Orgel einen kurzen Solo-Auftritt hat. Das kürzere, lyrisch dahin strömende Andante con moto leitet ins Finale über, das indirekten Bezug auf polnische Volkstraditionen nimmt. Bruchstücke des verschleierten Hauptthemas, der polnischen Nationalhymne, sind erkennbar, obwohl es anders als im Original nicht im Dreiertakt des Mazurka-Stils, sondern im Zweiertakt erklingt. Die Wirkung des Themas sollte letztlich für das polnische Publikum trostreich sein; es musste aber angesichts der andauernden nationalen Unterdrückung verschleiert sein. Die vorliegende Einspielung durch die Sinfonia Varsovia unter Jerzy Maksymiuk überzeugt durch eine differenzierte, die unterschiedlichen Stimmungen der Sinfonie ausdrucksvoll nachzeichnende Interpretation (POLSKIE RADIO SA).

 

Der polnische Komponist Roman Palester (1907-1989) erhielt ab dem siebenten Lebensjahr Klavierunterricht, ab 1919 in Krakau und Lemberg. Ab 1925 studierte er Philosophie an der Warschauer Universität und parallel am Konservatorium Komposition. 1930 debütierte er mit der Uraufführung seiner Muzyka symfoniczna in Warschau; nach einigen Wettbewerbspreisen komponierte er zahlreiche Film-, Schauspiel- und Rundfunkmusiken. Seit 1936 war er im Vorstand des polnischen Komponistenverbandes tätig. Nach dem 2.Weltkrieg hatte er eine Professur an der Musikhochschule Krakau inne. Als der Verband 1947 den sozialistischen Realismus in der Musik proklamierte, verließ Palester Polen und lebte zunächst in Paris und von 1952 bis 1972 in München, dann wieder in Paris. Während in Polen sein Name in den Medien nicht genannt werden durfte und der Komponistenverband seine Mitgliedschaft löschte, hatte Palester mit seinen Kompositionen internationale Erfolge. Seit Ende der 1970er Jahre wurde er rehabilitiert, indem der Komponistenverband seinen Ausschluss annullierte. Dennoch besuchte Palester Polen nur noch einmal 1983 zur Erstaufführung seines Hymnus pro gratiarum actione. Palester komponierte vor allem für das Konzertpodium, oft für kleinere Besetzungen bis hin zur Kammermusik. Bei ANAKLASIS sind unter dem zusammenfassenden Titel Concertinos erschienen, die zwischen 1938 und 1955 entstanden sind. Dabei handelt es sich um die Concertinos für Saxophon und Streicher (1938/47), Klavier und Orchester (1942) sowie für Cembalo und ein Kammerensemble (1955); schließlich enthält die CD die von Palester selbst als „Concertino“ bezeichnete Serenade für zwei Flöten und Streicher (1946), Alle diese leicht aufzunehmenden, neoklassischen Werke geben den Solisten gute Gelegenheit, ihre Virtuosität zu beweisen. So imponiert Alina Mleczko, erste Frau mit Diplom in der Saxophon-Klasse an der Warschauer Universität, mit gekonnter Beherrschung „ihres“ Instruments, was ebenso für die britische Pianistin Clare Hammond gilt. Das großartige Flötisten-Ehepaar Agata Kielar-Dlugocz und Lukasz Dlugosz gefällt in der Serenade, wie auch der polnische Cembalist Maciej Skrzeczkowski in „seinem“ Concerto.  Sicher beherrscht das polnische Jugendorchester Sinfonia Juventus unter Lukasz Borowicz den Orchesterpart und unterstützt damit zuverlässig die Solisten (ANAKLASIS ANA 003).

 

Mieczyslaw Weinberg/ Wikipedia

Der sowjetische Komponist polnisch-jüdischer Herkunft Mieczyslaw Weinberg (1919-1986) ist in den letzten Jahren vor allem durch seine KZ-Oper Die Passagierin erneut bekannt geworden. Sein umfangreiches Oeuvre umfasst sechs Opern, 20 Sinfonien, 17 Streichquartette, reichlich Kammermusik und vieles mehr. Eine bei WARNER CLASSICS erschienene CD enthält Kompositionen, die in den späten 1950er-Jahren entstanden sind, das Violinkonzert op. 67 und die 4. Sinfonie op. 61. Die Interpreten sind Ilya Gringolts und die Warschauer Philharmonie unter Jacek Kaspszyk.  In den aufgenommenen Werken wird der eigene, persönliche Kompositionsstil Weinbergs deutlich, mit dem er sich von seinem Mentor und Freund Schostakowitsch emanzipiert hat. Es gibt Anklänge an Spätromantisches, und gegenüber der von Schostakowitsch vielfach verwendeten Motorik kommt bei Weinberg die Melodik mehr zu ihrem Recht, wobei die Tonalität durchgehend erhalten bleibt. Der russische Geiger beherrscht die kontrastreichen Rhythmen und bleibt dabei feinfühlig für die vielen geradezu träumerischen Momente des viersätzigen Konzerts. Hier beim Violinkonzert und besonders mit der 4. Sinfonie zeigt die Warschauer Philharmonie ihr hohes Können in allen Instrumenten-Gruppen; ihr Chefdirigent sorgt  mit zupackendem Dirigat für eine rundum überzeugende Interpretation der kontrastreichen Musik (FILHARMONIA NARODOWA WARNER CLASSICS 08256 4 62248 3 8).  Gerhard Eckels

 

Folge 3 (Kammermusik für Violine und Klavier). Slawomir Tomasik und Edward Wolanin haben auf einer bei FFV Records erschienenen CD sämtliche Werke für Violine und Klavier von Józef Elsner (1769-1854) eingespielt.  Der polnische Dirigent und Komponist deutscher Herkunft erhielt zunächst in der Klosterschule der Dominikaner, danach im jesuitischen St.-Matthias-Gymnasium Breslau musikalischen Unterricht, was auch zu ersten Kompositionen führte. Ab 1788 studierte Elsner an der Breslauer Universität zunächst Theologie, später Medizin. Ein Jahr später begab er sich nach Wien mit der Absicht, sein Medizinstudium fortzusetzen, das er jedoch bald aufgab. Begeistert vom regen kulturellen Leben Wiens entschied er sich schließlich, zur Musik zurückzukehren. So nahm er im Herbst 1791 eine Stelle als Geiger im Theaterorchester von Brünn an, wo er sich auch als Dirigent versuchte. Im Frühling 1792 ging er als 2. Kapellmeister nach Lemberg, wo  zwei seiner auf deutsche Texte komponierte Opern uraufgeführt wurden. Nach sieben Jahren in Lemberg wurde Elsner musikalischer Direktor und Dirigent am Warschauer Nationaltheater, ein Amt, das er 25 Jahre lang ausübte. Während dieser Zeit brachte er zahlreiche eigene Opern auf die Bühne, oft mit Stoffen aus der polnischen Geschichte. Intensiv wirkte Elsner im Bereich der Musikausbildung, indem er in den Jahren 1821–31 von ihm selbst gegründete Musikschulen verschiedener Stufen leitete; dort bildete er viele polnische Komponisten aus, darunter auch Frédéric Chopin und Stanislaw Moniuszko.

Elsners umfangreiches Oeuvre umfasst 45 Opern, an die 190 geistliche Werke und Kantaten, eine Reihe von Solo- und Chorliedern sowie neben sinfonischer Musik auch Kammermusik.

Die vorliegende CD enthält mit den drei Violinsonaten op.10 und zwei Polonaisen alle Werke Elsners für Violine und Klavier, die sich erhalten haben; mindestens eine weitere Polonaise und ein Chaconne in G-Dur sind verschollen. Die freundlichen Stücke im nachklassischen Stil, in denen Elsner bereits vor seiner Warschauer Zeit mit den Sonaten-Formen seiner Zeit experimentierte, werden von den beiden ausgezeichneten Künstlern so klar und ausgesprochen transparent musiziert, dass das Zuhören und damit Kennenlernen dieser so selten zu erlebenden Werke einfach Spaß macht (FFV Records FFV 06).

 

Ignacy Jan Paderewski (1860-1941) hat nicht viel für Violine und Klavier geschrieben; das Wenige ist bei FFV Records erschienen. Es sind die a-Moll-Violinsonate op.13 und einzelne kleinere Stücke, die sämtlich in den Anfangsjahren während des Studiums oder kurz danach entstanden sind, im informativen Beiheft auf Polnisch und Englisch mit Ausnahme der Violinsonate als Salon-Miniaturen bezeichnet. Teilweise sind es Transkriptionen von reinen Klavierkompositionen, so die von Paderewski selbst bearbeitete, virtuose Cracovienne aus den Polnischen Tänzen op. 9 sowie – von anderen bearbeitet – Mélody op.16 und aus einer Liedsammlung das lautmalerische The Birch Rustles in the Grove op.7 (Das Birkenrauschen im Hain). In der Interpretation von Slawomir Tomasik und dem Pianisten Robert Morawski kommt in den Miniaturen ebenso wie in der dreisätzigen Sonate der spätromantische Stil Paderewskis, versetzt mit gefälligen Lyrismen, wirkungsvoll zur Geltung. Schließlich enthält die CD aus dem unvollendet gebliebenen Violinkonzert G-Dur noch das Allegro, das erst 1991 rekonstruiert und in diesem Jahr erstmals im Warschauer Nationalmuseum aufgeführt wurde. Auch damals war es Slawomir Tomasik, begleitet von Edward Wolanin,  der jetzt auf der CD den mit komplizierter Melodieführung und geigerischen Finessen versehenen Violinpart bravourös beherrscht (FFV Records FFV 07).

 

Im Bereich der Kammermusik hat Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) Vieles komponiert, dabei fast 30 Sonaten für Violine und Klavier. Daneben gibt es für dieselbe Besetzung kleinere Werke, von denen das polnische Label RECART drei in den Jahren 1948 bis 1952 entstandene Stücke herausgebracht hat, das Concerto op.42, die Sonatina op. 46 und die Rhapsodie über moldawische Themen op.47 Nr.3. Die jungen Solisten sind die Geigerin Ewelina Nowicka und die Pianistin Milena Antoniewicz, die die lohnenden, sehr unterschiedlichen Werke mit spürbar engagierter Energie ausdeuten. Das dreisätzige Concerto, dessen Manuskript erst nach Weinbergs Tod entdeckt wurde, besticht durch gut aufnehmbare Melodien und Harmonien und versetzt die Zuhörer nach den klugen Ausführungen der Geigerin Ewelina Nowicka im Beiheft „in einen jüdischen Ort voller mystischer Atmosphäre…“ Die ebenfalls dreisätzige Sonata wurde 1955 von Leonid Kogan und Andrei Mitnik in Moskau uraufgeführt. Die Künstlerinnen der Aufnahme treffen die unterschiedlichen Stimmungen im lyrischen Andante, im geheimnisvollen Lento und dem überaus virtuosen Allegro moderato aufs Beste. Von der Rhapsodie gibt es drei Fassungen, zwei für Violine und Orchester, von denen die erste 1949 uraufgeführt wurde und die zweite verloren gegangen ist. Die dritte, hier gespielte Version, nun für Violine und Klavier, hat David Oistrach 1953 im Moskauer Konservatorium erstmals aufgeführt. Über seine in Moldawien (früher Bessarabien) geborene Mutter hat Weinberg moldawische Volksmusik kennen gelernt, aus der er einige Themen übernommen und in der Rhapsodie verarbeitet hat. Den durchweg mitreißenden Schwung des vielschichtigen Stücks geben die beiden Instrumentalistinnen eindrucksvoll wieder (RECART 0006).  Gerhard Eckels

 

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„Ich bin eine absolute Textfanatikerin!“

 

Tanja C. Kuhn aus Heidelberg – durch seltene Operntitel wie Ennas Cleopatra oder Klenaus Michael Kohlhaas jüngst in die Aufmerksamkeit von Opernfans katapultiert – ist eine der wenigen Sopranistinnen in Europa, die Sentas Ballade in Wagner Oper Der fliegenden Holländer in Originaltonart, nämlich einen Ton höher als normalerweise, gesungen haben. Das machte den Kollegen Sven-David Müller auf die Sängerin aufmerksam, mit der er dann in Braunschweig ein Gespräch führte

 

Ein paar Worte zu ihrem Werdegang? Ich habe als kleines Kind schon immer gerne und viel zu viel gesungen. Meine armen Eltern. Mit 8 Jahren war ich Mitglied einer Musiktheatergruppe für Kinder. (…)  Den Blockflötenunterricht in der Grundschule erwähne ich jetzt einmal nur am Rande.  Mit 12 stand ich zum ersten Mal singenderweise in einer kleinen Solorolle auf der Bühne. Nach einem fatalen ersten Operneindruck (Tosca mit Glatze) war ich mir sicher, dass ich einen ganz guten Plan damit gefasst hatte, Medizin zu studieren und die Opernbühne kam erst einmal nicht in Frage. Als ich dann aber mein Abitur beendet hatte, bestand allerdings meine Gesangslehrerin Regine Böhm, darauf, dass ich es mit dem Gesang probieren sollte. Ohne sie wäre ich nie auf die Idee gekommen.

Mein aktueller Lehrer ist Malcolm Walker in Paris. Ihm verdanke ich viel und er unterstützt und berät mich großartig auf meinem Weg. Natürlich ist es Wahnsinn wichtig dass wir Sänger uns immer wieder kontrollieren lassen. Wir haben nie die Möglichkeit unsere Stimme so zu hören, wie sie von außen klingt. Daher brauchen wir ein paar Ohren denen wir vertrauen können. Es lässt sich natürlich mit einem vollen Kalender nicht immer einrichten einen Stopp in Paris einzulegen, aber ich versuche es so oft ich kann. Der Meisterkurs bei Raina Kabaivanska war besonders wichtig, da sie mich zum Wechsel ins Jugendlich Dramatische Fach inspiriert hat, und auch von Brian Jauhainian und von Klaus Saalmann, dem Studienleiter der Berliner Staatsoper habe ich viel gelernt.

 Meine erste Partie im professionellen Theater war Emilia in Marco Attilio Regolo von Scarlatti beim, vom Theater Heidelberg ausgerichteten, Festival Winter in Schwetzingen. (…) Ich hatte damals das große Glück, den Barockspezialisten Ruben Dubrovsky am Pult zu wissen. Er nahm mich an die Hand und brachte mir bei wie man Rezitative sang und was in der Barockmusik stilistisch zu beachten war. Ich hatte in meinem ganzen, bisherigen Studium nicht so viel gelernt wie von ihm während dieser Produktion. Cornelius Meister, der zu diesem Zeitpunkt noch GMD in Heidelberg war, engagierte mich dann noch für ein paar weitere Partien. Kurz darauf, durfte ich dann auch am Theater Hof ein paar „Wurzen“ singen.  Die erste Partie, die mich auf einmal ein bisschen wachrüttelte, war die Infantin in der Oper Der Zwerg von Alexander von Zemlinsky 2013 mit Nicolas Kok am Pult. Das war in Wilhelmatheater Stuttgart. Ich beendete kurz später mein Studium, traf auf  Rajna Kabaivanska, und sie zeigte mir endlich, wo meine Stimme einzuordnen war. Bald darauf sang ich meine erste große Verismo-Partie im jugendlich dramatischen Fach, am Staatstheater Braunschweig und meine erste Senta am Theater Hof. Der dortige Intendant Reinhardt Friese gab mir die Möglichkeit mich zum ersten Mal in einer Wagnerpartie auszuprobieren. Und dann wurde ich kurz darauf an die Danish National Opera fest engagiert. Seit dem habe ich bereits in vier Holländer-Produktionen als Senta mitgewirkt und liebe sie.

 

Tanja C. Kuhn: Heloise in „Michael Kohlhaas“ von Paul von Klenau an der Danish national Opera/ Foto Anders Bach

Sie haben mit Heloise in Michael Kohlhaas von Paul von Kleenau 2019, Cleopatra von August Enna an der Danish National Opera 2019 und Giulietta in Giulietta e Romeo von Zandonai am Staatstheater Braunschweig 2017 schon häufiger in wiederentdeckten Opern auf der Bühne gestanden. Immer wieder stellt sich die Frage, ob solche Partien der Stimme schaden – wie ist Ihre Erfahrung und bedeutet es eine besondere Vorbereitung? Diese Opern sind oft eine große Herausforderung für die Castingabteilungen der Theater, da niemand wirklich genau weiß, welcher Stimmtypus verlangt wird. Nicht selten ist der Grund, dass ein Stück schon so lange nicht mehr gespielt wird, dass es sehr schwer zu besetzen ist. Cleopatra von August Emma braucht beispielsweise quasi zweimal Salome für die weiblichen Kontrahentinnen plus einen Siegfried. Damit kann nicht jedes Theater aufwarten. Bei Michael Kohlhaas und Giulietta ist es ähnlich. Wenn dann noch großzügig orchestriert ist, was ebenfalls bei vergessenen Werken immer wieder vorkommt, braucht man schon ziemlich viel Durchschlagskraft. Eine zu dicke Orchestrierung kann für jeden Sänger gefährlich sein, da sie einen dazu verleiten kann zu forcieren und das ist besonders bei langen Partien gefährlich. Immerhin erzeugen letztendlich zwei sehr zarte Bindegewebsstränge den eigentlichen Ton und wenn sie einmal kaputt sind, dann war’s das. Man muss also besonders umsichtig an so stark orchestrierte Werke herangehen. Was allerdings toll ist, ist so ein Stück zu erarbeiten, weil es keine Vorbilder und keine Tradition gibt. Die erschafft man in diesem Moment selbst. Deshalb muss man sich auch genau darauf vorbereiten. Man kann sich nirgends etwas abschauen. Aber diese Wiederentdeckungen haben etwas ganz besonderes an sich. Michael Kohlhaas beispielsweise – die Oper wurde im dänischen Radiosender P2 übertragen und man kann sie auf der Website anhören – war eine wirklich besondere Erfahrung. Keiner wusste wie es klingen wird, da es keine Aufnahme davon gibt. Es war ein fast magischer Moment als wir zum ersten Mal alle das Orchester haben spielen hören und die Musik ist verdammt gut! Wenn man so eine Oper dann wieder ausgegraben hat, fragt man sich auch immer welches Theater sie wohl das nächste Mal spielen wird. Immerhin ist man dann der oder die Einzige, die die Partie sonst noch auf der Welt gesungen hat.

 

Tanja C. Kuhn: Charmion in „Kleopatra“ von August Enna an der Danish National Opera (mit Tenor Christian Juslin), Foto Kaare Viemose

Wie ist Ihre Einstellung zum Wort? Ich bin eine absolute Textfanatikerin. Mir ist es extrem wichtig, dass mein Publikum die Chance hat, jedes Wort zu verstehen. Gerade im deutschen Fach ist das für mich ein Muss. Ich möchte, dass mein Publikum mit Augen und Ohren bei mir ist und nicht irgendwo mitlesen muss. Für mich ist entscheidend, dass das Publikum sozusagen an meinen Lippen hängen kann und nicht am Textbuch oder Einblendungen. Damit wird für mich auch ein viel feineres Spielen möglich. „Der Gesang ist die in höchster Leidenschaft erregte Rede: die Musik ist die Sprache der Leidenschaft.“, schrieb Richard Wagner. Für mich muss das Vermitteln des Textes daher an erster Stelle stehen.

 

Ist eine sportliche Sängerin eine bessere Sängerin? Eine technisch gute Sängerin ist eine bessere Sängerin. Wirklich trainiert sein, müssen nur die Muskelgruppen die wir fürs Singen brauchen. Definierte Beine sind für den Klang nebensächlich. Für die Performance auf der Bühne ist das allerdings etwas anderes. Da wird immer mehr von uns verlangt. Für Giulietta am Staatstheater Braunschweig musste ich einen Schützengraben hoch und runter klettern, auf ein riesiges Spielzeug Pferd springen und dann auf einem Flugzeugflügel balancieren und das Ganze auf High Heels. Mit einer extra Portion Fitness fällt einem das leichter und das Verletzungsrisiko ist auch deutlich geringer.  Auf der Bühne mag immer alles einfach aussehen aber es ist kein ungefährlicher Ort.

 

Tanja C. Kuhn: Hinter der Bühne von Klenaus „Michael Kohlhaas“/Danish national opera/Foto Jes Vang 2

Wie kann man sich einen Fachwechsel konkret vorstellen und wie fühlt sich das für eine Sängerin eigentlich an? Eine Zeit lang war es harte Arbeit und üben bis zur Erschöpfung. Ich nahm keine Verträge mehr an, um Zeit für den Gesangsunterricht zu haben und dann war es plötzlich eine Offenbarung. Es fühlte sich ein bisschen so an, als würden die Puzzlestücke von selbst an den richtigen Platz fallen. Dinge, die mir vorher schwer vielen, funktionierten auf einmal viel einfacher und wurden selbstverständlich. Und das obwohl ich ja eigentlich davon ausgehen musste, dass mit dem schwereren Fach alles komplizierter würde. Das Gegenteil war der Fall. Nach einem Fachwechsel benutzt man die Stimme natürlich technisch anders, aber es fühlt sich für mich eher so an, als würde ich meine Stimme plötzlich technisch einfach richtig benutzen und mit dem ganzen Körper singen. Selbst das sanfteste Pianissimo stellte plötzlich kein Problem mehr dar. Ich kam mir vor, als wäre ich als Sängerin angekommen. Nie habe ich meinen Beruf mehr geliebt, als nach dem Fachwechsel zum jugendlich dramatischen Sopran. Jetzt kann ich mir nicht mehr vorstellen, jemals anders gesungen zu haben. Der Fachwechsel war die bisher beste Entscheidung meines künstlerischen Lebens.

 

Wie würden Sie selbst Ihre Stimme beschreiben und warum gibt es nicht nur in Deutschland so wenig Nachwuchs im jugendlich dramatischen Fach? Meine Stimme ist zuverlässig. Für mich gibt es nichts Beruhigenderes auf der Bühne, als zu wissen, dass mich meine Stimme nicht im Stich lassen wird. Das ist sicher einer der Gründe, warum ich kein Lampenfieber habe. Nicht zu vergessen, dass exzellente Vorbereitung wirklich entspannt. Ich weiß dann einfach, dass mir nichts passieren kann, auch wenn um mich herum mal etwas schief geht. Zuverlässig zu sein ist mir wahnsinnig wichtig. Ich möchte, dass die Kollegen wissen, dass sie auf der Bühne immer auf mich zählen können.

Warum es so wenig Nachwuchs in diesem Fach gibt? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Eines der Probleme ist sicher, dass man als junger Sänger oft schlecht beraten wird. Eine jugendlich dramatische Stimme ist laut dem Handbuch der Oper von Rudolf Kloiber, Wulf Konold und Robert Maschka “eine lyrische Sopranstimme mit größerem Volumen, die auch dramatische Höhepunkte gestalten kann.” Das heißt man braucht zusätzlich zur Fähigkeit zum schönen Legato natürlich Tragfähigkeit und Stamina (Ausdauer), denn die jugendlich dramatischen Partien sind selten kurz. Notwendig ist aber auch eine expansionsfähige Höhe. Alle dramatischen Stimmen müssen gerade die hohen Töne locker singen können, ohne dass der Zuhörer das Gefühl hat, dass die Sängerin oder der Sänger pushen (pressen) muss, um über ein großes Orchester zu kommen. Sonst hält man so einen Abend auch nicht durch.

Tanja C. Kuhn: Senta in „Der fliegende Holländer“ am Staatstheater Cottbus/ Foto Marlis Kross

Die Veranlagung dazu, die entsprechende Ausbildung und die körperliche Konstitution gibt es schlicht und ergreifend nicht so häufig. Es hat leider viel damit zu tun, wie der Stimmapparat aufgebaut ist. Wenn aber die physischen Voraussetzungen gegeben sind, braucht man natürlich einen Lehrer, der weiß, wie man mit dieser Stimme umgehen muss und der einen im besten Fall sehr gut berät. Welche Partien darf ich bis zum Fachwechsel singen, damit eine Stimme nicht schon davor ruiniert wird? Das ist eine wichtige Frage. Es darf nie vergessen werden, dass auch ein zu leichtes Fach einer Stimme schaden kann, aber, dass man auch irgendwie anfangen muss. Und schließlich muss durch gute Berater und Lehrer der Zeitpunkt festgesetzt werden, wann der Fachwechsel mit welcher Rolle vollzogen wird und es muss dann auch noch die Gelegenheit dazu gegeben sein. Es muss also extrem viel zusammen kommen. Außerdem gehört natürlich auch Mut dazu, sich dann in ein dramatisches Stimmfach zu wagen. Es ist keinem geholfen, wenn sich Sänger überschätzen. Aber ich kann nur sagen, dass man unbedingt auf sich selbst hören sollte.

Tanja C. Kuhn: Elle in „La voix Humaine“ am Stadttheater Gießen; Regie Wolfgang Hofmann/ Foto Rolf Wegst

Jede Stimme ist absolut einzigartigen wie ein Fingerabdruck. Keine zwei Stimmen klingen gleich. Das heißt, meine Stimme ist ein Instrument, das nur ich spielen kann und niemand sonst. So viel ist heutzutage einfach reproduzierbar – aber eine Stimme ist es nicht. Deshalb findet man auch keinen neuen Franco Corelli oder eine neue Leyla Gencer. Wenn eine Stimme verstummt, kommt sie nie wieder so vor. Wenn mich jemand fragt, warum ich gerne genau die gleichen Partien singen will, die doch schon viele gesungen haben, dann kann ich, immer noch sagen, dass sie noch nie jemand mit meiner Stimme gesungen hat.

 

Welche Rolle steht momentan besonders häufig auf Ihrer Agenda und was ist für Sie eine Traumrolle für die Zukunft? Senta ist die Partie die ich im Moment am häufigsten singe.  Ich entdecke immer noch ständig etwas Neues in der Partie. Eine weitere Traumpartie war für mich Salome. Dafür hat mich jetzt allerdings das Staatstheater Cottbus schon für nächstes Jahr verpflichtet. Also muss eine neue Traumpartie her und das ist auf jeden Fall die Marschallin im Rosenkavalier. Agathe würde mir auch sehr gut gefallen und im italienischen Repertoire eine Mimi oder Butterfly.  Sven-David Müller

 

Über Ennas Oper Kleopatra in Jütland berichteten wir in operalounge.de; Foto oben: Tan ja C. Kuhn/ Foto: Scholzshootspeople; Tanja C. Kuhns website: https://www.tanja-kuhn.com/).

Kerstin Meyer

 

Der Vorteil der frühen Geburt macht zwar nicht  jünger, aber der Vorrat an Erinnerungen macht einen Rückblick auf Begegnungen mit Personen, die einen beeindruckt haben, reicher. Kerstin Meyer erinnere ich gut. Sie war meine Fidalma  in Ciimarosas Heimlicher Ehe im entzückenden  Drottningholmer Schloss-Theater in Michael Hampes Kölner Inszenierung: lustig, immer noch sehr attraktiv, und immer noch mit viel Stimme. Beim Premierenempfang sprühte sie vor guter Laune, als wir beim Schwatz auf dem Königlichen Rasen in lauer Sommerabend-Luft standen. Und sie war eine der vielen Carmen-Vertreterinnen an der Deutschen Oper Berlin, als ich dort meine Lehrjahre im Repertoire durchlief. Alternierend mit Patricia Johnson (sehr britisch!) und Vera Little (sehr füllig) und – auch, glaube ich – Sieglinde Wagner (hmmm) war die Meyer eine Offenbarung in ihrer eleganten Erscheinung, selbst wenn konventionelle Stirnlocke und Riesenohringe zum Stufenrock eher das Zwerchfell reizten. Sie hatte eine tolle Stimme, wie man auf dem Berliner Rosenkavalier neben der statuösen Grümmer hören kann, den mein Kollege Rüdiger Winter in seinem Resümee ihres Wirkens nachstehend erwähnt. Und sie war eine nachdrückliche Persönlichkeit, die mir eben so lebendig im Gedächtnis haften geblieben  ist. G. H.

 

Ihr Name tauchte auf den Besetzungslisten vieler großer Opernhäuser und Festivals auf. Nicht immer hinter Hauptrollen. In Salzburg ist sie in den 1950er Jahren als Marzelline im Figaro, als Magd in Elektra, als Kartenaufschlägerin in Arabella sowie als Agaue in den Bassariden in Erscheinung getreten. Bei den von Herbert von Karajan  begründeten Osterfestspielen übernahm sie die Magdalene  in den Meistersingern. In Bayreuth tauchte sie 1962 erstmals als Brangäne im Tristan auf und sang in den Folgejahren auch Floßhilde und eine beklemmende Waltraute in der Götterdämmerung. Zwischen 1960 und 1964 war sie ein gern gesehener Gast an der Metropolitan Opera in New York. Große Erfolge bescherten ihr dort die Carmen,  die sie bereits kurz nach Abschluss ihrer Ausbildung am Konservatorium ihrer Heimatstadt Stockholm, wo sie am 3. April 1928 geboren worden war,  gegeben  hatte (Foto oben/ Discogs). Stationen waren auch Kopenhagen, Wien. Mailand, Glyndebourne. Ihr Beitrag zur vorbildlichen Berlioz-Pflege in London war die Didon in den Troyens. In Edinburgh, und in Aix kreierte sie mit der Küsterin in Jenufa eine ihrer späten dramatischen Partien. Sie wirkte in etlichen Uraufführungen mit, so in der Oper Die Heimsuchung von Gunther Schuller 1966 in Hamburg, und fühlte sich auch zur Barockmusik hingezogen. Vielseitigkeit scheint der passende Begriff, um ihre Wirkung zu beschreiben. Kerstin Meyer verstand es auch, Nebenrollen kurzzeitig ins Zentrum zu rücken. Wenn sie in der berühmten Rosenkavalier-Aufnahme der EMI von 1956 unter Karajan am Ende des zweiten Aufzugs als Annina am Lager des Ochs erscheint, um ein Briefchen des vermeintlichen Mariandl zu überbringen, breitet sie stimmlich und darstellerisch ein intrigantes  Spinnennetz aus, in dem sich nicht nur der verdutzte Landbaron, sondern die ganze Wiener Gesellschaft würde verfangen. Drei Jahre stieg sie dann von der Intrigantin zu Octavian, dem jungen Herr aus großem Haus, auf – und zwar im berühmten Mitschnitt aus der Deutschen Oper Berlin an der Seite der Marschallin von Elisabeth Grümmer und der Sophie von Lisa Otto (ehemals Gala). Der Octavian blieb eines der Markenzeichen von Kerstin Meyer, die während ihrer gesamten Karriere Mitglied des Opernhauses ihrer Geburtsstadt blieb. Am 14. April 2020 ist sie im Alter von 92 Jahren gestorben. Rüdiger Winter

Entdeckung

 

Eine interessante junge Sopranstimme stellt Naxos mit der  der aserbaidschanischen Sängerin Seljan Nasibli vor, die zwar in Baku geboren wurde, aber in England studiert hat und 2014  beim Schönberg Festival mit Nonos Donde estas hermano debütierte. In Rio de Janeiro sang sie die auch auf der CD vorliegende Shéhérazade, zu ihren Opernrollen gehören Violetta und Pamina, die sie in New York in der Carnegie Hall verkörperte.

Ihre CD nennt sich Femmes Fatales, wozu die unschuldige weiße Kirschblüte auf dem Cover wenig passen will, auch gehören Puccinis Liù und die Märchenerzählerin aus Tausend und eine Nacht kaum zu so übel beleumundeten Damen, eher schon Thais oder, wenn auch ohne eigene Schuld, die Leila aus Bizets Pêcheurs.

Gleich in fünf Sprachen, in Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch und Englisch stellt die junge Sängerin sich dem Publikum vor. Es beginnt mit der bereits erwähnten Shéhérazade von Ravel in deren „Asie“  sie den Hörer sofort mit einem interessanten Timbre in schillernden Farben überrascht, einem fremdländischen Flair und dem nicht gerade zarten Orchesterklang durchaus gewachsen. Auch für „La Flȗte enchantée“ hat sie zart flirrende Klänge. Ravels „L’Indifférent“ folgt Barbers „Andromache’s Farewell“, das zunächst einen fragileren Charakter erwarten lässt mit viel Präsenz auch im Piano, dann aber mehr Kraft erfordert, sichere Intervallsprünge und eine leichte Emission, was alles die Sängerin zu bieten hat.

Für die Leila Bizets stehen dem Sopran anmutig schwebende Töne zur Verfügung, die Stimme bleibt auch in der Höhe weich.

Drei Lieder aus den Songs einer Märchenprinzessin von Szymanowski folgen, von denen der einsame Mond sich mit silbrigem Klang manifestiert und die Nachtigall mit beachtlicher Virtuosität aufwartet.

Von strahlender Klarheit in den Spitzentönen profitiert die Hymne an die Sonne aus Rimski-Korsakows Oper Der goldene Hahn, weniger gefallen kann die Darbietung von Liùs beiden Arien, denen die Sängerin zu viel an Dramatik, zu wenig an feinen Piani zuteil werden lässt.

Weit mehr Hörgenuss vermittelt schließlich die Arie der Thais mit gleisnerischen  Klängen, wie sie einer femme fatale gut anstehen.

Das National Symphony Orchestra of Ukraine unter Yalchin Adigezalov passt sich den unterschiedlichen musikalischen Stilen gut an und begleitet zuverlässig (Naxos 8.579066). Ingrid Wanja

 

Die CD ist im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de erhältlich.

Überleben im Bunker

 

Auf Rollenblades kurven die Wachleute durch den Luftschutzraum. In einer Ecke flimmern die Bilder der Überwachungskameras, die andere Gebäudeteile und Gegenden zeigen oder den Machthabern als Sprachrohr dienen. Auf die Distanz wirken der futuristische Gefängnisbunker und mehr noch die teils apokalyptischen Bilder harmlos und verspielt wie aus einer Puppenstube. Die Verlegung aus dem glänzenden Raum des Teatro Regio auf den Bildschirm des Heimkinos verträgt dieser Nabucco, der live noch einen gewissen Impakt und Biss hatte, ganz und gar nicht. Im Teatro Regio waren die aufmarschierenden Garden mit ihren Maschinengewehren, die jetzt puppig verspielt wirken, und die Gestrandeten mit den Rettungswesten bedrohlicher, wirkte das Aussortieren der Menschen, denen eine Chance zum Überleben gegeben wird, verzweifelter. So nah die Kamera dem durchgehend auf hohem Niveau singenden Chor des Teatro Regio auf die Pelle und Kehle rückt und darstellerische Details in den Fokus rückt, so konzeptverliebt und konstruiert, letztlich sogar albern, zeigt sich die Nabucco-Inszenierung des Duos Stefano Ricci/Gianni Forte, die bei der Premiere noch Stürme der Entrüstung entfacht hatte. Davon, also von dem Geschrei und Toben, den Zwischenrufen und Kommentaren, dem kommunikativen Durcheinander, ist, Wunder der Technik, auf dem von 29. September 2019  stammenden Mitschnitt nichts zu merken (Bluray Dynamic.57867)Derart rangezoomt bleibt das in eine nahe Zukunft versetzte Geschehen um Terror und Überwachung, neue Götter und kulturelle Aneignung, die endzeitlichen Atomkriegs- und Angstszenarien um kaputte Städte und zerstörte Natur und den Raub von Denkmälern doch recht willkürlich zusammengebastelt. Fluch des kleinen Formats.

Blendet man die von Nicolay Bovey gebaute Bühne, das notdürftige Weihnachtsfest und den Versammlungsraum, die Menschen in Schutzanzügen und das stumme Spiel der Statisten aus, kann man sich auf die Sänger konzentrieren, auf Saioa Hernandez, die trotz einiger verzeihlicher Scharten, die der Premierenabend mit sich bringt, als Abigaille durch eine echte dramatische Stimme gefällt. Ihr Sopran klingt auf der Aufnahme in der Höhe etwas enger und spitzer, gleichwohl in der Mittellage üppig und schön, und die Cabaletta singt sie mit dramatischem Feuer und ausgeglichen gesammeltem Ton. In solchen Passagen erweist sich Francesco Ivan Ciampa vielfach als befeuernder Partner der Sänger. Die Bluray lohnt wegen Amartuvshin Enkhbat in seiner ersten Gesamtaufnahme. Ein herrlich schöner, mühelos produzierter, endlos strömender Bariton mit fester Linie, der Dramatik eher durch die Fülle des Materials als erzenen Kern vermittelt und als Nabucco wie ein Wüstensturm durch Babylon fegt. Die Leistung des jungen, 1986 geborenen und 2015, nachdem er bereits seit Jahren am Staatlichen Opernhaus seiner Heimat aufgetreten war, in Cardiff aisgezeichneten Mongolen ist auf stupende Weise ausgereift. Man kann nur staunen über diese Gesangskultur, in der sich Pianokunst, gewaltigen Bögen und wuchtige Steigerungen elegant verbinden. Michele Pertusi singt den Zaccaria, dessen Höhen ihm keine Mühe bereiten, mit Autorität und hinterlässt einen besseren Eindruck als im Theater. Annalisa Stroppa versucht sich mit Fenenas Arie Aufmerksamkeit zu verschaffen, dass Verdi dem Ismael keine gönnte, mag Ivan Magri mehr bedauern als der Zuschauer. Rolf Fath

Maßstäbliches aus der Wiener Staatsoper

 

„Das Unmögliche hat auch das Operntheater nicht möglich machen können“, berichtete Julius Korngold in der Neuen Freien Presse über einen Abend, der eine neue Ära der Wiener Oper einläuten sollte, die, nachdem sie im Oktober zeitweise wegen einer Grippeepidemie geschlossen war, sich Kaiser Karl von den Staatsgeschäften zurückgezogen und die Nationalversammlung das Land zur Republik erklärt hatte, am 4. Dezember 1918 von der „K. und K. Hofoper“ in einen schlichtes „Operntheater“ unbenannt worden war. Am letzten Abend der „Hofoper“ wurde „Salome“ gespielt, jenes Werk, um dessen Aufführung Mahler lange und vergebens gekämpft hatte. Sein Nachnachfolger Franz Schalk trat vier Tages nach des Kaisers Abdankung sein Amt an und brachte 1919 fünf Premieren heraus, worunter die Wiener Erstaufführung des von Pfitzner inszenierten Palestrina, vor allem aber am 10. Oktober 1919 Die Frau ohne Schatten, die einzige Uraufführung einer Strauss-Oper, am wichtigsten waren; mit der Verpflichtung von Mahlers Mitstreiter Alfred Roller als Ausstatter hatte man an die wehmütig verklärte Mahler-Ära angeknüpft. Die Frau ohne Schatten, bis heute nur rund 100mal im Haus am Ring aufgeführt, blieb ein Glanzstück des Wiener Repertoires und wurde 1955 bei der Wiedereröffnung der Staatsoper unter Karl Böhm (1977 mit Goltz, Rysanek, Höngen, Hopf und Weber bei Orfeo) gespielt, der das Werk im internationalen Repertoire verankerte (in Wien auch mit Nilsson, Rysanek, Hesse, King, Berry bei DG). Karajan führte die Frau ohne Schatten (1964 mit Ludwig, Rysanek, Hoffmann, Thomas, Berry bei DG) in Wien auf, das, zusammen mit München, bis heute das Frosch-Zentrum bildete. Münchner Aufführungen: unter Kempe (1954 bei Walhall), 1963 zur Wiederöffnung des Nationaltheaters unter Keilberth (mit Borkh, Bjoner, Mödl, Thomas, Fischer-Dieskau bei DG) oder Sawallisch (mit Nilsson, Bjoner, Varnay, Kind, Fischer-Dieskau bei Melodram).

Zum 150jährigen Bestehen der Wiener Staatsoper und als Vorfeier zum 100. Geburtstag der Frau ohne Schatten dirigierte Christian Thielemann am 25. Mai 2019 eine Neuinszenierung der Oper, die unter dem Chéreau-Assistenten Vincent Huguet derart glanzlos ausgefallen war, dass man dankbar sein will, nur das akustische Ereignis (3 CD Orfeo C991203) in Händen zu halten. Das freilich ist außerordentlich. Und offenbar vollständig (3. Akt!). Die Wiener Philharmoniker, genauer das Orchester der Wiener Staatsoper, überziehen die „Prüfungsoper für Primadonnen und Tenoristen“ (Julius Korngold) mit einem seidigen Streicherglanz von sinnlich-süßer Intensität, deuten an und aus, lassen kein sehrendes Flattern des Falken unbeachtet, sind verführerisch im Chor der Dienerinnen, erzielen  mit dem Gesang der Wächter am Ende des ersten Aktes „Ihr Gatten in den Häusern dieser Stadt“ eine magische Zartheit, die sich im dritten Akt wiederholt. Thielemann dirigiert das Märchen mit magistraler Souveränität, entfaltet einen großartig konzentrierten Klangrausch, ohne die Sänger zuzudecken, dabei fein und pianogenau koloriert, etwa in der zweiten Falknerhaus-Szene des Mittelaktes, anfangs etwas sehr breit, im zweiten Akt auch mit abgefederter Kraft, doch die Aufführung hat durchgehend erzählerischen Fluss und weitbögige Dichte, dass man dieser jugendstilhaften Schönheitstrunkenheit geradezu verfällt.

Die Besetzung ist gut, ohne bedeutende Vorbilder vergessen zu machen: Evelyn Herlitzius ist mal plärrend ordinär, mal großartig als Amme. Eine Tiefe hat sie nicht, auch nicht die geforderte Beweglichkeit, doch eine sängerische Intensität (“Der Tag ist da, der Menschentag“), wo sie der Amme eine Großartigkeit und ein bissiges Pathos gibt, die sicher noch überzeugender ausfallen, wenn man sie auf der Bühne sieht. Auf der CD klingt die Stimme denn doch zu ruiniert. Ein wenig anonym, doch von gläserner Akkuratesse in der Höhe und in den Koloraturen ist Camilla Nylund eine alles in allem ziemlich gute Kaiserin, die durch den Glanz ihrer Stimme immer wieder zu überraschen versteht. Nina Stemme verfügt bei ihrem Rollendebüt als Färberin über eine Wärme, die man bei der oft als zänkisches Weib angelegten Partie, die sie bereits im ersten Akt mit bewegenden Nuancen singt, nicht oft findet. Stemmes Sopran ist schön und ausdrucksvoll („Barak, ich hab‘ es nicht getan“), etwas kurz vielleicht, die Tiefe könnte voller sein, eine ideale Partie ist das bei aller Schönheit möglicherweise nicht für sie. Stephen Goulds Kaiser ist die Zuverlässigkeit in Person, Wolfgang Koch ist gut als Barak, oft auch ein wenig nölig und ohne die tiefe Menschlichkeit von solchen Zeilen wie „Mir anvertraut“ auszuloten. Gut besetzt die Brüder Baraks (Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green, Thoms Ebenstein).   Rolf Fath

Lob der Sponsoren, Information für Talente

 

„Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“, heißt es bereits in der Bibel (Matthäus 12.32), und ein an Begeisterung für die gute Sache übervolles Herz ist wohl auch verantwortlich für das Cover eines von Heide Schwarzweller, Leiterin des Projekts „Fanny Mendelssohn Förderpreis“ verantwortetes Buch, dessen Titel lautet: „Talent Ideen Leidenschaft Idealismus Kreativität Ehrgeiz Üben Erfolg“ und dazu „wegbereiter wegbegleiter“ und dazu auch noch „Realität, Strategien und Wege musikalischer Nachwuchsförderung“, welch letzterer Begriff missverständlich ist, denn der Nachwuchs wird ja nicht musikalisch gefördert, sondern der musikalische Nachwuchs erlebt Förderung.

Ob die Telekom oder die FDP Pate standen bei der Wahl von Magenta als Gestaltungsmittel und Augenschmaus, ist nicht ersichtlich, wohl aber, dass es in Deutschland zwar wenig Aussichten auf eine Karriere als Musiker gibt, da unter anderem zu viele ausgebildet und zudem noch von asiatischen Konkurrenten bedrängt werden, dass aber auf der Habenseite viele gute Geister stehen, die aus Liebe zur Musik oder zur Prestigesicherung junge Künstler fördern, wie es auch der Fanny Mendelssohn Förderpreis jedes Jahr und das seit 2014 mit 10000 Euro, u.a. eine CD-Einspielung ermöglichend, tut. Bei der Auswahl ist maßgebend, ob alternative Konzepte vorliegen, mit ihr will man neue Interpretationsansätze fördern.

Eine Handvoll von Interviewern, besonders fleißig Martin Hoffmeister, hat Paten und ihre Patenkindern, Intendanten, Stiftungen und Mäzene sowie Vertreter von Unternehmen danach befragt, welche Maßstäbe sie bei der Förderung anlegen, welche Ratschläge sie jungen Musikern geben können, wie sie die Situation der klassischen Musik in Deutschland einschätzen. Oft werden umfang- und inhaltsreiche Statements abgegeben, manchmal liest man Rührendes, so die Aussage eines der Preisträger, die Gebete seiner Oma seien für ihn das beste Mittel gegen Lampenfieber.

Zu den prominenten Paten gehören Julia Fischer, Daniel Hope oder Kerstin Meyer, auch Reiner Wehle mit der drastischen Aussage, er würde seinen Kindern verbieten, Musiker zu werden.

Die Intendanten sind u.a. vertreten mit Markus Fein (Festspiele Mecklenburg-Vorpommern), Michael Herrmann (Rheingau Festival) oder Dieter Rexroth aus Berlin, der nicht nur schöne, sondern auch sehr kritische Worte über das Verhalten einiger Agenten beisteuert. So bietet das Buch nicht nur verdienstvolle Hinweise an junge Musiker darauf, wo sie sich Unterstützung holen können, wie sie Netzwerke bilden können, sondern spricht auch Warnungen aus.

Zum Stichwort „Stiftungen und Mäzene“ gehören Regina Back  (Stiftungsmanagement), Jürgen Ernst (Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung) oder Sven Nykamp (Bankhaus Bär) und Arend Oetker, und es verwundert nicht, dass diese Gruppe junge Musiker auch darauf hinweisen will, wie wichtig es ist, sich richtig zu vermarkten, wobei sie Hilfestellung geben wollen.

Exemplarisch für die Unternehmen als Sponsoren sei Bayer erwähnt, das bereits seit 1907 eine Kulturabteilung hat, aus eigennützigem Grund entstanden, als das Unternehmen in das damals noch kulturell unterbelichtete Leverkusen umsiedelte. Im Interview werden interessante Vergleiche zwischen der Kulturförderung in Deutschland und in den USA angestellt. Kein Sponsor sein will Thomas Girst von BMW, sondern eine Corporate Citizenship anstreben.

Die Interviewten kommen nicht nur ausführlich zu Wort, sondern können sich auch über jeweils zwei Fotos, ein Porträt und ein weiteres Foto aus dem Umfeld, freuen. Sehr wertvoll ist der Anhang mit einer reichhaltigen Link- und Ratgebersammlung. Dazu bietet sich die Herausgeberin zur Beantwortung von Fragen zur Förderung mit einem besonderen Link an.

So erfüllt das Buch gleichermaßen den Zweck, verdienstvolle Förderer zu feien wie Förderungsbedürftige mit wertvollen Informationen zu versehen (Ellert & Richter Verlag 2020; ISBN 978 3 8319 0766 3; Abb. Fanny Hensel, Ölgemälde von Moritz Daniel Oppenheim aus dem Jahr 1842; Wikipedia). Ingrid Wanja       

Regionales

 

Bereits Sorgen um die Auswirkungen der vielen von bedeutendsten Opernhäusern angebotenen Streaming-Möglichkeiten machen sich Opernfreunde, die befürchten, der Geschmack des Publikums könnte sich derart verfeinern, dass Stadttheater nach überstandener Corona-Krise ihr Publikum verloren haben werden. Welche Chancen können sich dann Aufnahmen aus kleineren Bühnen für ihre CDs oder DVDs ausrechnen, müssen sie sich doch erst recht mit erstklassigen Interpretationen messen.

Die Oper Graz stellt sich dem Vergleich mit exzellenten Aufnahmen mit einer Produktion aus den Jahren 2018 und 2019, d.h. Auszüge aus vier Vorstellungen sind auf den zwei CDs mit den ewigen Opernzwillingen Cavalleria Rusticana und Pagliacci miteinander vereint. Damit ist zwar vermieden worden, dass Patzer in die Aufnahmen eingehen, aber auch der Vorteil gegenüber einer Studio-Produktion aufgegeben worden, eine wirkliche Live-Vorstellung zu erleben.

Es beginnt traditionsgemäß mit der Cavalleria, bei der die Grazer Philharmoniker unter ihrer Chefdirigentin Oksana Lyniv sich in der Sinfonia recht unausgeglichen zeigen, schwankend zwischen gehetzt und schwammig, aber zunehmend ausgeglichen musizieren und im Interludio die Stimmung des Werks eindrucksvoll vermitteln können. Vorzüglich ist hier wie auch in den folgenden Pagliacci der Chor der Oper Graz unter Bernhard Schneider.

Die beiden männlichen Hauptrollen werden jeweils von ein und demselben Sänger interpretiert, was in Bezug auf den Alfio/Tonio kein Problem darstellt, da der norwegische Bariton Audun Iversen das notwendige vokale Durchsetzungsvermögen besitzt und seine Stimme angemessenes Metall aufbringen kann. Sehr veristisch fasst er den Prolog in Pagliacci auf, wo man eine einheitlichere musikalische Linie vermisst, wo die Fermaten, so auf „Ricominciate“,  geradezu ausufern.  Kritischer wird es mit Aldo Di Toro als Turiddu, dessen Tenor für diese Partie zu hart klingt, zwar die begehrte lacrima nella voce, aber leider abgleitend ins Lamoryante hat, der im „Addio alla mamma“ mehr Kraft als vokalen Schmelz einsetzt. Viel besser steht es danach mit dem Canio, dem das baritonale Fundament der Stimme gut ansteht. Hier wünscht man dem Sänger allerdings eine bessere Einteilung, was Emotionen und Kraft betrifft, wenn er bereits in der ersten Arie alles gibt, so dass eine Steigerung für „Vesti la giubba“ trotz singhiozzi und colpi di glottide kaum mehr möglich ist. Für den Silvio ist der Bariton von Neven Crnić  zu dumpf, auch wenn er sich musiklisch gibt, als Beppo kann sich Martin Fournier nicht entscheiden,  ob er mehr zum lyrischen oder Charaktertenor neigt.

Mit schönem, ebenmäßigem Mezzosopran singt Ezgi Kutlu die Santuzza, einem feinen Piano für „Signor“, ohne Schärfen und mit einer schönen Trauer im Bekenntnis gegenüber Alfio.  Weich und erotisch klingt di Stimme von Mareike Jankowski, die die Lola mit kokettem „Io me ne vado“ singt. Und als Mamma Lucia begegnet man noch einmal Cheryl Studer.  Eine schöne, aber für die Nedda nicht die richtige Stimme hat Aurelia Florian, die dem Vogellied entwachsen ist, aber im Duett mit Silvio punkten kann (Oehms Classics 987/ 2CDs). Ingrid Wanja

Mit und ohne Orchester

 

Das Label Tactus hat zwei Zeitgenossen zusammengebracht, die nicht gerade durch Liedkompositionen bekannt geworden sind, Vincenzo Bellini (1801-1835) und Frédéric Chopin (1810-1849). Es erklingen insgesamt sieben Lieder von Bellini sowie je vier Lieder und Klavierkompositionen von Chopin, die Sillvia Martinelli und der Pianist Andrea Trovato interpretieren. Klarstimmig versieht die Sopranistin die Lieder von Bellini mit angemessener Schlichtheit, dabei die kleine Ariette Mi rendi pur contento und die leidenschaftliche, im Pianissimo ausklingende Klage Per pietà, bell‘ idol mio. Ganz konsequent ist man dann auch nicht, indem die Arie der Nelly Dopo l’oscuro nembo aus Adelson e Salvini und die stimmakrobatische Polonaise aus I Puritani dabei sind, die die italienische Sängerin mit schönem Legato versieht. Die Lieder von Chopin sind erst posthum als Opus 74 erschienen; sie haben meist volksliedhaft-kantablen Charakter, der von den Künstlern gut getroffen wird. Dezent unterstützt der Pianist die Sängerin bei den Liedern und zeigt bei den auf der CD breiten Raum einnehmenden Klavierstücken von Chopin die nötige Virtuosität, dabei das liedhafte Nocturne F-Dur op.15 Nr.1, das Scherzo b-Moll op.31 und in Verbindung zu Bellini das Largo aus den 6 Grandes Variations de Bravure sur la Marche des Puritans de Bellini (TACTUS  TC 800004).

 

Die 1959 uraufgeführte Tragédie lyrique La voix humaine  von Francis Poulenc vermag auf der Bühne zu fesseln, wenn die Interpretin der verlassenen, tief enttäuschten Frau über genügende Ausdruckskraft verfügt. Problematisch ist das ergreifende Stück, wenn es „nur“ auf CD zu hören ist und vor allem auch die Orchesterfarben fehlen. Dennoch kann man die bei BRILLIANT CLASSICS erschienene CD durchaus empfehlen. Denn die Sopranistin Daniela Mazzucato erzielt mit bester Diktion und ungemein differenzierter Stimmführung durch alle Lagen von den ruhigen Phasen über die dramatischen Ausbrüche bis zum tragischen Ende eine starke Wirkung. Am Klavier ist Marco Scolostro ein sicherer Partner, der auch eigene Akzente setzt. Der Einakter ist verbunden mit dem Melodrama L’Histoire de Babar, das nach Poulencs Erinnerungen im Sommer 1940 während eines Familienurlaubs entstand, als die von seinem Klavierspiel gelangweilten Kinder ihm die Geschichte von Babar, dem kleinen Elefanten, vorlegten, die er „spielen“ sollte. So improvisierte er zu den einzelnen Szenen eine Folge pianistischer Bilder, wie u.a. die von Babars Mutter gesungene Berceuse, einen Valse, den mit pompösen Akkorden versehenen Hochzeitsmarsch, die am Hochzeitsabend getanzte Polka und ein träumerisches Nocturne. Um die von Max René Cosotti prägnant gesprochenen Texte herum bringt Marco Scolostro die unterschiedlichen, eingängigen Improvisationen souverän zum Erklingen (BRILLIANT CLASSICS 960302).

 

Das Berliner Noga Quartet hat beim Label AvI zwei Streichquartette von Reynaldo Hahn und Claude Debussy sowie gemeinsam mit Siobhan Stagg Debussys Ariettes Oubliées in einem Arrangement für Sopran und Streichquartett des Cellisten des Quartetts Joan Bachs eingespielt. Die Lieder sind Vertonungen von Gedichten Paul Verlaines, der Naturstimmungen beschrieben hat, von denen die meisten von wehmütigem Charakter ohne leidenschaftliche Ausbrüche sind. Die australische Sopranistin, derzeit im Ensemble der Berliner Deutschen Oper, trifft mit durchweg sauberer Stimmführung und angenehmer Klarheit die jeweiligen Stimmungen mit typisch impressionistischem Flair, zu dem auch der flirrende Streicherklang auf Feinste beiträgt. Das in Melancholie ausklingende, anfangs groteske Jahrmarktslied Chevaux de bois erfährt ebenfalls gemeinsam mit den dezent mitgestaltenden Streichern eine überzeugende Interpretation. Das einzige Streichquartett Debussys, mit dem der Komponist 1893 seinen eigenen Stil gefunden hat, wird vom Noga Quartet mit perfektem Zusammenspiel und vielschichtiger Ausdruckskraft ausgedeutet, so dass ein luxuriöser, kunstvoll gemusterter Teppich von wundersamer Farbigkeit (Paul Dukas) entsteht. Dass die drei französischen und der israelische Musiker einen spürbar guten Zugang zu diesem Quartett haben, mag auch daran liegen, dass es das erste Stück ist, dass sie sich nach ihrer Gründung 2009 erarbeitet haben, wie sich aus dem klugen, selbst verfassten Beiheft ergibt. Über vierzig Jahre nach Debussys Quartett entstanden die beiden Streichquartette von Reynaldo Hahn, die äußerst selten zu hören sind. In seinem spätromantischen Duktus mit durchaus modernem Zugriff ist das Kennenlernen des 2. Quartetts in F-Dur sehr lohnend, wie überhaupt die CD mit ihrer gelungenen Werk-Zusammenführung Kammermusikfreunden sehr zu empfehlen ist (AvI LC 15080).

 

In den einschlägigen Nachschlagewerken wird Jean Cras (1879-1932) als französischer Komponist und Konteradmiral bezeichnet. Er hatte es geschafft, seine Leidenschaft für das Meer und die Musik ein Leben lang miteinander zu vereinen. Die steile Karriere als Marineoffizier hinderte ihn nicht daran, die Oper Polyphème, Bühnenmusiken, Konzerte sowie eine beträchtliche Zahl von Kammermusikwerken und Stücken für Singstimme zu komponieren. Dabei war er darauf bedacht, freie Melodien mit einer gewissen Strenge zu verbinden und Klänge aus der bretonischen Heimat, aber auch aus fernen Ländern einfließen zu lassen. Das Stück La Flute de Pan ist für die ungewöhnliche Besetzung mit siebentöniger Panflöte, Singstimme und drei Streicher komponiert. Die belgische Sopranistin Sophie Karthäuser, der Panflötist Matthijs Koene und Mitglieder des belgischen Kammermusikensembles Oxalys interpretieren das interessante Werk mit allerlei orientalischen Anklängen. Außerdem enthält die CD ein Klavierquintett und ein Quintett mit der aparten Besetzung für Harfe, Flöte, Violine, Viola und Cello. Beide Werke erfahren in dem ausgezeichneten Ensemble Oxalys gemeinsam mit dem Pianisten Jean-Claude Vanden Eynden eine jeweils ansprechende Wiedergabe – noch eine CD, die es ermöglicht, weithin sehr selten zu hörende Werke eines zumindest hierzulande kaum bekannten Komponisten kennenzulernen (passacaille PAS 1067). Gerhard Eckels

 

Und noch einmal Jacques Offenbach – und wie! Der deutsche Komponist versuchte bekanntlich, Anfang der 1840er-Jahre in Paris Fuß zu fassen und befasste sich sogleich mit den berühmten Fabeln von Jean de la Fontaine. Diese in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandenen allegorischen Texte mit sprechenden Tieren spielten auf den Hof und die Sitten der Zeit an. Offenbachs Vertonung von sechs Fabeln für Mezzosopran und Klavier machten 1842 in den Pariser Salons schnell die Runde; auch die Konzertpodien erreichten sie. Stilistisch weisen die Vertonungen auf die Arien aus Offenbachs späteren Operetten hin. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass der belgische Dirigent und Komponist Jean-Pierre Haeck die Fabeln mit orchestralen Farben versehen hat und damit Offenbachs Stil aufs Beste trifft. Die Fabeln hat ALPHA als Welt-Ersteinspielung mit Karine Deshayes und dem Orchestre de l’Opéra de Rouen Normandie unter Haecks Leitung herausgebracht. Das unterhaltsame Programm der CD  wird durch die Ouvertüren und je einem  Couplet aus Boule de Neige und Les Bavards sowie weiteren Ouvertüren (Les deux Aveugles, Madame Favart, Monsieur Choufleur) und der Schüler Polka angereichert. Die französische Mezzosopranistin mit dem wunderbar vollen Timbre beweist ihre Vielseitigkeit mit den textgenauen Interpretationen der Fabeln, wobei erneut die jeweils sichere, ausgeglichene Stimmführung durch alle Lagen bis hinauf in Sopran-Höhen imponiert. Jean-Pierre Haeck sorgt mit dem souverän geführten Orchester dafür, dass Drive und Witz der Musik spritzig serviert werden (ALPHA 563).

 

Jetzt ein abrupter Stilwechsel: Das Label NoMadMusic hat Orchester-Lieder von Gustav Mahler herausgebracht, die Markus Werba und das Orchestre nationale d‘Île-de-France unter Enrique Mazzola interpretieren. Der italienische Dirigent, eigentlich Spezialist für Belkanto-Opern und das französische Repertoire, war von  2012 bis 2019 Chefdirigent des Pariser Orchesters, das einen süffigen Streicherklang entwickelt und in den vielen Instrumentalsoli guten Eindruck macht. Die Lieder eines fahrenden Gesellen erleben eine kontrastreiche Wiedergabe, indem der österreichische Bariton mit seiner in allen Lagen abgerundeten Stimme die starken Emotionen mit zarten Piani auskostet und im Gegensatz dazu die zum Teil hochdramatischen Passagen mit Leidenschaft erfüllt. Das gilt im gleichen Maße für die sechs Lieder aus Des Knaben Wunderhorn; die sehr unterschiedlichen Stimmungen vom volkstümlichen Rheinlegendchen über die witzigen Des Antonius von Padua Fischpredigt und Lob des hohen Verstands sowie das tiefgründige Urlicht (mit dem erforderlichen langen Atem), bis zu den todtraurigen und schaurigen Kriegsliedern Revelge und Tambourg’sell gibt er jeweils stark differenzierend und treffend wieder. Die CD enthält außerdem Vier Orchesterstücke von Anton Bruckner, früh entstandene kurze Werke, bei denen der Einfluss von Mendelssohn, Schubert oder Schumann überdeutlich ist. Bruckner hat diese Stücke verworfen, wohl weil sie eher untypisch für seine spätere tiefgehende Orchester-Behandlung sind; deshalb wollen sie auch nicht so recht zu den Mahler-Liedern passen (NoMadMusic NMM061). Gerhard Eckels

Prometheus-Mythos en español

 

Das Label ALPHA-CLASSICS wartet immer wieder mit überraschenden  Raritäten auf – jetzt bringt es auf zwei CDs die Oper El Prometeo des 1635 in Rimini geborenen und 1700 in Wien gestorbenen Komponisten Antonio Draghi heraus (ALPHA 582). Als Hofkomponist der Habsburger schrieb er über 160 Werke verschiedener Gattungen. Für seine Vertonung des Prometheus-Mythos nutzte er die 1669 in Madrid uraufgeführte Komödie La estatua de Prometeo von Calderón – verfasste die Oper zunächst in italienischer Sprache; erst danach wurde sie ins Spanische übersetzt. In dieser Fassung wurde das Stück am 22. 12. 1669 anlässlich des Geburtstages der spanischen Königin uraufgeführt.

Dem schweizerisch-argentinischen Dirigenten Leonardo García Alarcón verdankt die Musikwelt die Wiederentdeckung schon vieler vergessener Werke des Barock, die er dann bei diversen Festivals (Aix-en-Provence, Paris, Nancy, Berlin) zur Aufführung brachte. So auch Draghis Oper, die er 2018 an der Opéra de Dijon einstudierte und danach im Auditorium des Opernhauses aufnahm. Dafür musste er den fehlenden 3. Akt ergänzen. In seiner Komposition bezog er sich auf die musikalische Sprache Draghis in den ersten beiden Akten, aber auch auf Meister der Geschichte der Wiener Oper (Cesti und Caldara bis hin zu Mozart) sowie Monteverdi. Dessen Stil des recitar cantando übersetzte er in eine iberische Variante. Schon die Ouverture, in welcher Kastagnetten ertönen, bringt spanisches Kolorit ein und stimmt ein auf eine lebhafte, temperamentvolle Musik. Die Hoffnung auf eine solche trügt allerdings, denn den Hörer erwarten viele Dialoge in rezitativischem Sprechgesang und diverse Klagegesänge. Dazwischen sind Ritornelle gesetzt, Chöre oder Ballette beschließen die drei Akte.

2005 gründete Alarcón die Cappella Mediterranea, die sich anfangs auf die Musik des Mittelmeerraumes konzentrierte, das Repertoire später auf Madrigale und Opern erweiterte. Bekannt wurde das Ensemble vor allem durch die Wiederbelebung vergessener oder wiederentdeckter Werke und deren Aufführung in Opernhäusern und bei Festivals. Auch der mitwirkende Choeur de Chambre de Namur, 1987 gegründet, ist spezialisiert auf dieses Genre und arbeitet regelmäßig mit renommierten Dirigenten der Alten Musik zusammen. 2010 übernahm Leonardo García Alarcón die künstlerische Leitung des Chores.

Nach der kurzen, aber stürmischen Ouverture, welche das aufgewühlte Meer suggeriert, beginnt das Geschehen mit der Lobpreisung der Göttin Tetis (Mariana Flores mit hellem, schlankem Sopran), die auf einer riesigen Muschel erscheint, durch Prometeo und seinen Rivalen Pelèo. Fabio Trümpy singt den Titelhelden mit kultiviertem lyrischem Tenor, kann aber auch die später folgenden Lamenti mit stärkster Expressivität formulieren. Scott Conner kontrastiert mit resonantem, voluminösem Bass. Prometeo wird von der Nymphe Nisèa begehrt (Giuseppina Bridelli mit einem Mezzo von bohrender Intensität), hat sich jedoch in Tetis verliebt, die ihrerseits Pelèo favorisiert. Auch Jupiter (Alejandro Meerapfel mit nachdrücklichem Bariton) verliebt sich in Tetis – die Nachricht überbringt ihr Nerèo (Victor Torrès mit dunklem, klangvollem Bariton). Bei einer Weigerung würde sie tausend Tode sterben. Verzweifelt schenkt Prometeo seine Liebe nun einer von ihm selbst geschaffenen Statue. Von Pandòra (Anna Reinhold mir farbigem Mezzo) erführt Jupiter vom Zorn seiner Gattin Juno, so dass er seine Heiratspläne aufgeben muss.

Im 2. Akt begibt sich Prometeo in Begleitung seines treuen Satyro (mit buffonesker Klangrede, aber zuweilen auch lärmend der Bariton Borja Quiza) auf die Suche nach dem Feuer. Es gelingt ihm, der Sonne eine Flamme zu rauben und damit seine Statue zum Leben zu erwecken. Der erzürnte Jupiter fordert Pandòra auf, Rache zu nehmen. Von Mercurio (der Tenor Zachary Wilder mit buffoneskem Tonfall) verlangt er, Prometeo an einen Felsen des Kaukasus anzuketten. Dessen Statue ist zerstört, was ihn einen jammernden Klagegesang anstimmen lässt. Ein Chor trauernder Sterblicher beschließt den Akt.

Im letzten wird Aragne/Ariadne (Lucía Martín-Cartón mit munterem Sopran), die Minerva (Ana Quintans mit larmoyantem Sopran) im Wettstreit um die schönste Webarbeit besiegt hat, wegen Götterbeleidigung in eine monströse Spinne verwandelt. Noch spektakulärer ist die folgende Szene, in welcher sich ein Geier auf Prometeo stürzt und an dessen Leber hackt. Doch die Oper endet versöhnlich, dem Anlass des Geburtstages einer Königin angemessen. In seiner Großmut vergibt Jupiter Prometeo und lässt ihn durch seinen Sohn Hercules (Kamil Ben Hsaïn Lachiri mit kraftvollem Bariton) befreien. Zudem verzichtet er zugunsten von Pelèo auf seinen Anspruch auf Tetis, während Nisèa die Liebe von Prometeo gewinnt. Beide stimmen nach dem feierlichen Chor „O Suma Deidad“ mit „Que gloria“ einen innigen Gesang an, der das Werk überraschend verhalten beendet. Bernd Hoppe

 

Silvano Carroli

 

Wenige Tage nach der traurigen Nachricht vom Tode des Basses Lugi Roni erreicht die Opernwelt eine weitere Hiobsbotschaft, ebenfalls aus der Puccini-Stadt Lucca in der Toscana: Am 4. April  2020 verstarb der Bariton Silvano Carroli im Alter von 81 Jahren, wohl nicht wie sein Kollege an den Folgen einer Infektion mit dem Corona-Virus, sondern in seinem Haus an Herzversagen.

Mit seinem dunkel getönten, machtvollen und homogenen Bariton, der sich durchaus auch ab und zu Basspartien stellen konnte, verkörperte er besonders eindrucksvoll die Bösewichte wie Scarpia oder Jack Rance, den er noch 2008 in Rom und in London unter dem Dirigat von Antonio Pappano sang. Einer seiner bedeutendsten Scarpias war der von 2008 beim Maggio Fiorentino in der Regie der Tosca von Jonathan Miller.

Am 22.2. 1939 wurde Silvano Carroli in Venedig geboren, wo er bereits als Junge im Chor der Basilika von San Marco sang. Gesang studierte er bei Marcello Del Monaco, später bei Mario Del Monaco und debütierte am Teatro La Fenice mit dem Marcello in La Bohéme, einer Zeffirelli-Produktion, an seiner Seite Mirella Freni als Mimì und Giacomo Aragall als Rodolfo.

Neben vielen Puccini-Rollen verkörperte er ab seinem Debüt im Jahre 1963 auch viele Partien Verdis, so Ezio, Jago, Monfort, Simon Boccanegra, Nabucco oder Macbeth.

Eine so kraftvolle Stimme wie die seine war natürlich auch häufig in der Arena di Verona und auf anderen Freilichtbühnen zu hören, und die Teilnahme an Scala-Eröffnungsvorstellungen eine Selbstverständlichkeit.

In den letzten zwanzig Jahren wirkte er in Lucca an der Scuola per tenori della Fondazione Del Monaco als Lehrer. Sein Name ist im Albo d’Oro in London verewigt. Silvano Carroli hinterlässt seine Ehefrau Luisa und zwei erwachsene Söhne (Foto israel-opera.co.il) . I.W