Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Nicht nur „Die lustige Witwe“

 

Zwei neue Lehár-Bücher in kurzer Zeit? Ach ja, wir haben ja ein Jubiläum! Und tatsächlich, am 30.4. 2020 feierte der Komponist der Lustigen Witwe seinen 150.Geburtstag.

Zwei große Biographien, die von Stefan Frey über Franz Lehár (Der letzte Operettenkönigund die von Herbert Haffner über Wilhelm Furtwängler sind in den letzten Wochen enorm erweitert wieder aufgelegt worden und bieten sich nicht zuletzt  für einen Vergleich darüber an, wie mit im Dritten Reich maßgeblich das kulturelle Leben Bestimmenden nach dem Zusammenbruch umgegangen wurde. Da ist einmal das strenge Urteil vom in amerikanischer Uniform angereisten Klaus Mann, der  Künstler wie Richard Strauss oder eben Lehár befragte, wenn nicht gar verhörte,  interessant. So meinte er in Bezug auf Furtwängler: „Eine Kultur, die von solchen wiederaufgebaut würde, bliebe besser verschüttet“, nahm es aber Lehár ab, er könne schließlich nichts dafür, dass Hitler seine Lustige Witwe zu seiner Lieblingsoper erklärt hatte. In blindem Entnazifizierungseifer völlig übersehen wurde dabei, dass Furtwängler unzähligen jüdischen Musikern half, sich, wo es nur immer möglich war, vor dem Mitwirken an Parteiveranstaltungen, ja sogar vor dem Hitlergruß „drückte“, während Lehár, wenn auch vergeblich, Mussolini seine letzte Operette Giuditta widmen wollte, nicht mit Ergebenheitsbekundungen gegenüber Hitler und Goebbels sparte und wohl nicht eindringlich genug für im KZ leidende ehemalige Mitarbeiter einsetzte. Dass er bereits in jüngeren Jahren Wilhelm II. eine Tondichtung namens „Fieber“ widmete, wird nur am Rand erwähnt.

1999 erschien Freys Biographie zum ersten Mal, nun ist sie nicht nur wesentlich erweitert und überarbeitet worden, sondern legt den Akzent auch verstärkt  auf die Person Franz Lehár. Diese wird gleich zu Anfang regelrecht glorifiziert, indem sie quasi zum neuen König nach dem Hinscheiden von Kaiser Franz Josef, beide gern in Ischl lebend, literarisch gekrönt wird. Das umfangreiche Buch ist leserfreundlich gegliedert, indem umfangreichen Kapiteln, jeweils mit einem Zitat bedacht, nur wenige Seiten umfassende Unterkapitel zugeordnet werden. Die Quellenlage wird als recht desolat dargestellt, da wohl große Teile der umfangreichen, detailgenauen Tagebücher 1945 in Wien geplündert wurden. Dennoch ist das Buch ungeheuer faktenreich, scheut sich auch nicht vor richtungsweisenden Einschätzungen wie der, dass Lehár zwar einerseits eine „ästhetische Konstante“ in Umbruchzeiten darstellte, aber „seismographisch reagiert“ auf Zeitströmungen. Als ein Beispiel wird dabei der Verzicht auf das operettenübliche happy end angeführt.

Das erste Groß-Kapitel widmet sich dem Werdegang „Vom Wunderkind zum Militärkapellmeister“. Da geht es um die umstrittene Schreibweise des Namens, ob mit oder ohne Akzent und falls mit, ob dann auf der ersten oder zweiten Silbe. Das von jedem Bürger des Habsburgereichs geforderte Bekenntnis zu einer der ihm bis 1918 zugehörigen Nationen ist dann mit der Entscheidung für die ungarische Staatsbürgerschaft auch die für den Akzent auf der zweiten Silbe.

Interessant sind die Schilderung der von Kindesbeinen an musikalisch ausgerichteten Erziehung, der Ermutigungen durch Brahms und Dvorak, des Versuchs eines Operneinakters Rodrigo, des Wirkens als Militär- (auch Marine-) Kapellmeister, der ersten Kontakte zu seinem späteren Librettisten Victor Léon.

„Blindlings in die Wiener Operette hineingeraten“ ist nach Meinung des Verfassers ein Lehár, der bis zu seinem Ende nur allzu gern ein Opernkomponist gewesen wäre, immerhin den Triumph erlebte, dass er auch mit seinen Operetten an die Wiener Staatsoper gelangte. In seiner ersten Operette, dem Rastelbinder, steht ein Jude namens Pfefferkorn im Mittelpunkt, was später noch von Bedeutung sein wird, wenn deswegen das Stück umgearbeitet werden muss. Wobei nicht nur ein Jude oder wie in Giuditta ein Fahnenflüchtiger auf der Bühne zum Ärgernis werden können, sondern auch Lehárs fast durchweg jüdische Librettisten und die vielen Sänger, allen voran Richard Tauber, der nicht nur Anspruch auf sein Tauber-Lied im zweiten Akt, sondern auch auf Mitsprache beim Komponieren desselben hat.

Ehe es zum Riesenerfolg der „Jahrhundert-Operette“ Die lustige Witwe kommt,  entstehen noch Wiener Frauen, Der Göttergatte (Amphitryon-Stoff), Die Juxheirat. Libretti scheinen zu Lehárs Zeiten von einer Hand in die andere gegangen zu sein, Komiker und Sänger die Theater gewechselt zu haben, Linke und Rechte sich gegen die neue Freizügigkeit, die selbstbestimmte Frau gewendet zu haben. Die Dramaturgie, die Geschichte des Stoffs, seine Abwandlungen werden so detailgenau wie spannend geschildert, auch die Entwicklung des berühmten Walzers „Lippen schweigen“ gehört dazu. Eine wichtige Erkenntnis ist diese: „Die Konflikte kommen nicht mehr von außen, sondern von innen“.

Im folgenden Kapitel geht es um „die erste Globalisierungswelle“ durch die Operette, um weitere Operetten wie Das Fürstenkind oder Zigeunerliebe, um die Grenzziehung zwischen Oper und Operette, ein Lehár Zeit seines Lebens und Wirkens beschäftigendes Thema. Der Graf von Luxemburg und die „Arbeiter“-Operette Eva und damit auch ausführlich die Art des Komponierens, die Lehár pflegt, sind Themen dieses Kapitels, ebenso die Freundschaft mit Puccini, dessen Sohn Lehár sogar dazu bewegen will, nach dem Tod seines Vaters Turandot zu vollenden. Davor ist bereits von Puccinis Bemühen um eine Operette, La Rondine war das Ergebnis, die Rede.

Viele Aussagen von Zeitgenossen, viele Ausschnitte aus Zeitungen, Aufsätzen, viele Primärquellen lassen das Buch als überaus authentisch, überaus nah an seinem Sujet stehend erscheinen.

Plagiatsprozesse sollen ebenfalls zum Leben Lehárs  gehören, bei einem derselben sind Puccini, Kienzl und Schreker seine Zeugen.

1916 beginnt die Rivalität zwischen Kálmán und Lehár, wobei die Csardasfürstin den größeren Erfolg zuungunsten des Sternguckers hat. Mit dem Kriegsende 1918 und der Auflösung des Habsburgerreichs beginnt die Hinwendung zur „Verzichts-Operette“. Die gelbe Jacke, später zu Das Land des Lächelns umgearbeitet, lässt es noch zu einer Versöhnung der Kulturen kommen. Inflation und 30% Luxussteuer scheinen das Ende der Operettentheater zu besiegeln.

Dank eines geschickten Aufbaus, der unterschiedliche Gesichtspunkte einander abwechseln lässt, ebenso unterschiedliche Arten der Darstellung anbietet, ermüdet das Lesen des umfangreichen Buchs nicht, sondern es bleibt anregend, ja ausgesprochen spannend. Hinter der Schilderung des Lebens und Wirkens des Komponisten wird der Horizont des gesamten Zeitgeschehens sichtbar, so ist ein Kapitel auch zu Recht „Das wahre Zeitalter“ überschrieben.

Paganini und Friederike, ebenso der „Zarewitsch“, dessen Libretto eigentlich Mascagni zugedacht war, werden dem Leser nahe gebracht, es wird untersucht, wie viel Goethe in der Operette um die Pfarrerstochter aus Sesenheim steckt, und immer wieder dürfen Carl Kraus und Adorno sich kritisch äußern.

Interessant ist die nicht von der Hand zu weisende Meinung, die moderne Oper habe Teile des Publikums zur auf angenehmere Art zu konsumierende Operette getrieben. Das kann Adorno nur deswegen trösten, weil dadurch das Geld für die Aufführung von Wozzeck und Mahagonny zuungunsten von Mignon und Margarethe eingespielt würde.

Ein Treuebekenntnis Taubers gegenüber den Nazis, der Skandal um den Bruder Anton im Wiener Griechenbeisl, Rosenbergs Hetzkampagnen, Lehárs Widmung zu Hitlers Geburtstag, 1945 gefunden von einem französischen Major, das alles führt zu  traurig stimmenden Einsichten in die Zwänge der Zeit zwischen 33 und 45, die für Lehár wegen seiner jüdischen Frau besonders für sein Verhalten bestimmend waren.

So wird das Buch für den Leser zu einer zwar bedrückenden, aber doch ungemein um Wissen und Einsichten (so der, dass „Lehárs Musik mehr weiß als ihr Schöpfer“) bereichernden Lektüre, wozu ein umfangreicher kritischer Apparat, ein Literaturverzeichnis, ein Werkverzeichnis, Bildnachweise und ein Personenregister zusätzlich beitragen. (435 Seiten, 2020 Böhlau Verlag Wien Köln Weimar ; ISBN 978 3 205  21005 4). Ingrid Wanja

 

In den Vandenhoeck & Ruprecht Verlagen ist aus dem Jubiläums-Anlass Ein Franz-Lehár-Lesebuch mit dem Titel Dein ist mein ganzes Herz erschienen, dass weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf eine streng chronologische oder systematische Gliederung erhebt, sondern in lockerer Folge in Umfang, Anspruch und Grundhaltung sehr unterschiedliche Artikel anbietet. Die Herausgeber sind Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels, die zwei bzw. drei Artikel zum Unternehmen beisteuern.

Das Geleitwort stammt von Christoph Wagner-Trenkwitz, der in der von ihm gewohnten launigen Art auch einige Seitenhiebe austeilt, so auf die Mussbach-Inszenierung der Staatsoper Berlin, die unter dem Buhgeschrei des Publikums die Lustige Witwe in der Antarktis und nach der Notlandung eines Flugzeugs ansiedelte, und auf Richard Strauss, der angeblich neidisch auf den Operettenkomponisten war. In einem anderen Kapitel findet das immerhin eine Begründung, wenn Goebbels zitiert wird, der den bayerischen Komponisten darauf aufmerksam gemacht haben soll, wie viel populärer der angebliche Rivale aus Ungarn sei.

Die beiden Herausgeber weisen in ihrem Vorwort darauf hin, dass Lehárs letzte Operette, Giuditta, es an die Wiener Staatsoper schaffte und dass Die lustige Witwe den Wendepunkt in der Karriere Lehárs darstellt.

Garrel steuert die Kapitel Die Juxheirat, Brüder ohne den Luxus der Blutsverwandtschaft und eine biographische Übersicht bei. Im ersten der Beiträge geht es um die frühen Jahre des Komponisten, der als Militärkapellmeister begann, wird die Grenze zwischen den Jahren der Goldenen und der Silbernen Operette im Jahr 1900 gezogen und die Berufung als Kapellmeister an das Theater an der Wien beschrieben. Die enge Freundschaft zwischen Lehár und dem Tenor Richard Tauber ist Thema des zweiten Kapitels. Es beschreibt, wie eng die Zusammenarbeit zwischen den Freunden war, dass Tauber maßgeblich an der Entstehung der erfolgreichsten Werke, an Paganini, Zarewitsch, Friederike und Land des Lächelns beteiligt war, man quasi gemeinsam die berühmten Tauber-Lieder in auch nächtlichen Sitzungen komponierte, sogar gemeinsam beim Berliner Sechstage-Rennen auftrat, so dass Tauber feststellte: “….ein einziger Feiertag war damals das Leben“. Auch nach der Flucht Taubers aus Deutschland ging die Zusammenarbeit weiter mit Giuditta 1934 in Wien oder dem letzten Treffen, 1946 in Zürich. Übrigens kommen die Brüder Rotter hier weitaus schlechter weg als in dem ihnen allein gewidmeten Buch.

Heide Stockinger widmet sich der Entstehung der Goethe-Operette Friederike und hat ein Potpourri über das Lehár-Schlössl in Wien verfasst. Interessant ist hier der Kampf um das Libretto angesichts der Tatsache, dass in Deutschland sogar Gounods Oper als eine Art Sakrileg angesehen wurde. Zudem erörtert die Verfasserin die Tatsache, dass die Operette nun auch ohne happy end auskommt, so auch im Zarewitsch oder Land des Lächelns. Interessant ist der Vergleich der Quellen, so Goethes Dichtung und Wahrheit mit dem heiß umkämpften Libretto, die Darstellung von Hohn und Spott, den Tucholsky, Kraus und Bloch über dem Werk ausgossen. Man spürt stets die Anteilnahme der Verfasserin am Geschehen, nimmt wahr, wie sie mit innerlichem Jubel von dem Erfolg berichtet, den das Werk sogar in den USA hatte. So verwundert es den Leser auch nicht, dass sie für Aufführungen in unserer Zeit plädiert und sogar Vorschläge  für deren Gestaltung unterbreitet. Der Beitrag über das Lehár-Schlössl, das eigentlich auch  Schikaneder-Schlössl heißen könnte, bedient sich einer Fülle unterschiedlicher Stilmittel, sei es das des Romans oder der Berichte der Haushälterin, die nach Lehárs Tod von dessen Bruder eingestellt wurde. Besonders diesem Beitrag merkt man an, mit wie viel Liebe dieses Buch gestaltet wurde.

Nicht so sehr gefallen, weil eher von Eigenliebe geprägt, kann der Beitrag von Michael Lakner, der weniger über Lehár als über seine Inszenierungen von Zigeunerliebe, Die blaue Mazur und Zarewitsch in Ischl und Baden berichtet und sich für seine wegweisenden Ideen selbst auf die Schulter klopft. Auch lange Zitate aus lobenden Kritiken feiern eher den Verfasser als sein Sujet, der sich rühmt, dass seine Regie „geprägt“ sei „von einer modernen Sicht auf alte Stoffe, nicht altbackene, spießige Repetition biederer Operettenklamotten“. Diese „moderne Sicht“ wird dann auch ausführlich erläutert.

Ganz anders, originell, sehr persönlich und interessant geschrieben ist Eduard Barths Bericht über einen Besuch des Teatro Verdi in Triest, wo er die einzige „italienische“ Operette Lehárs, La Danza delle Libellule erlebte. Spannend ist die Werkgeschichte, die Darstellung des Inhalts der Operette geschrieben, und die Stellung Triests, in dem jedes Jahr ein Operettenfestival stattfindet, als Stadt zwischen den Kulturen, als ehemalige österreichische Hafenstadt wird überzeugend herausgearbeitet.

Natürlich darf das Verhältnis Lehárs zu den Nazis nicht unberücksichtigt gelassen werden. Diesem widmet sich Wolfgang Dosch im Kapitel „Franz Lehár und sein Rastelbinder“ und entspricht mit seinen Ausführungen exemplarisch wissenschaftlichen Ansprüchen. Interessant ist der Vergleich zwischen Original und Überarbeitung, die nötig wurde, weil die Titelfigur jüdischer Abstammung war. Dass die jüdische Frau des Textbearbeiters ihr Leben rettete, weil ihr Gatte quasi unabkömmlich war und in seiner Arbeit nicht beeinträchtigt werden durfte, dass Lehár immer wieder darauf bestand, aber auch viele andere Hilfsmaßnahmen zugunsten jüdischer Freunde zeigen, wie unüberlegt das Verbot war, das Aufführungen in Israel für lange Zeit untersagte.

Helga Maria Leitner Ist ein ausführliches Kapitel über die Lehár-Villa in Bad Ischl zu verdanken, in dem sie die Geschichte des Hauses, das seit 1948 ein Museum ist, schildert und den Leser quasi an einem Rundgang durch das Haus, aber auch einem Streifzug durch seine Geschichte teilnehmen lässt.

Ein Personenregister, ein Bildnachweis, eine Bibliographie und Biographien der Autoren vervollständigen das Buch , das eine höchst angenehme Lektüre ist (ISBN 978 3 205 20963 8). Ingrid Wanja

Paers „Agnese“

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„Ferdinando Paer hatte keine Chance“. Das verkündete Urteil war hart. Als Stendhal Ausschau nach mittelmäßigen Komponisten hielt, deren mäßige Leistungen jenes seines Helden Rossini in umso hellerem Lichte hätten erstrahlen lassen sollen, waren Giovanni Simone Mayr („Mayer“, wie er ihn nennt) und Fernando Paer seine Zielscheiben. In der 1823 verfassten Vie de Rossini – einem „Text-Oper, geschrieben von einem Menschen, der geträumt hätte, ein Komponist zu sein“ (P. Brunel) – schildert er, wie sie nach dem Erscheinen Rossinis dazu verdammt waren, zu Nebenfiguren der Operngeschichte zu verkommen. Mayr und Paer wie andere auch seien Gestalten eines kurzen „Interregnums“ (so Stendhal) zwischen Paisiello und Cimarosa einerseits und Rossini andererseits. Stendhal billigt zwar Paer ein „unzweifelhaftes und sehr bemerkenswertes Talent“ zu und beschreibt ihn als einen homme très fin, „sehr geistreich und bemerkenswert gewandt in der Gesellschaft“, ja er gönnt ihm seine Erfolge in ganz Europa, doch das Beil seines Urteils fällt gerade über die Agnese, die ihren Erfolg nur dem „schauderhaften Spektakel eines verrückt gewordenen Vaters“ verdanke.

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„Agnese“: der Komponist Ferdinando Paer/ Wikipedia

Das Publikum sah das anders, und die Pariser Aufführungen der schon 1809 geschriebenen Agnese  im Jahr 1824, unter anderem mit Giuditta Pasta, waren der letzte Triumph einer Karriere, die – darin hatte Stendhal Recht – ganz Europa umfasst hatte. Der 1771 geborene Paer stammt wahrscheinlich aus einer deutschsprachigen Familie („Baer“) und im Gegensatz zu vielen seiner um 1800 erfolgreichen Kollegen wurde er nicht in Neapel, sondern in seiner Geburtsstadt Parma als Komponist und Sänger ausgebildet. Seine ersten Erfolge in den 1790er Jahren brachten ihm zuerst einen Posten daheim ein, aber 1797 wechselte er zum Theater am Kärntnertor in Wien und dann nach Dresden, wo er bis 1806 blieb. Unter seinen Verehrern fand sich auch Napoleon, der ihn in jenem Jahr nach Polen mitnahm. Seit 1807 lebte Paer in Paris, wo er die Opéra-comique und seit 1812 das Théâtre Italien leitete und auch unterrichtete, darunter Franz Liszt (einige glauben, dass Paer dem Schüler beim Verfassen seiner Opéra-comique Don Sanche 1825 die Feder führte.) Reibereien mit Rossini, die durch die Presse gingen, verdüsterten seine letzten Jahre, in denen er wenig komponierte, aber mit Ehrentiteln ausgezeichnet wurde. Mit Ausnahme der Opéra-comique Le mâitre de chapelle von 1821 und der Wiederaufnahme der Agnese 1824 verbuchte Paer indes keine großen Erfolge mehr. Er starb 1839 und wurde bald vergessen.

Stendhal hatte nämlich das richtig gesehen: Der Erfolg von Rossinis Opern ließ viele an sich verdienstvolle Komponisten wie Mayr, Paer, Generali oder Morlacchi in Vergessenheit geraten. Die Renaissance dieser Musiker, die man vielfach mit dem ungerechten Wort der „Kleinmeister“ belegt, kam auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie in Fahrt. Giovanni Simone Mayr ist inzwischen auch dank CD-Aufnahmen (und der Ingolstädter Aktivitäten unter Franz Hauk/ G. H.) besser bekannt, aber wenige haben sich an Paers Werke herangewagt. Vor allem seine Leonora (Dresden 1804) ist wegen der Beziehungen zu Beethovens Fidelio gelegentlich ausgegraben worden (so von Peter Maag 1979 bei der RAI/ MRF, die nächste, für die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik im August 2020 geplante Inszenierung der kritischen Ausgabe steht wegen der Corona-Krise auf der Kippe). Es gab Aufführungsserien von Achille in Bologna 1989 und von Camilla in Parma 2000 (Sammler nicken da/ G. H.)  sowie eine CD-Produktion von Sofonisba bei Opera Rara, die alle folgenlos blieben.

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„Agnese“: Giuditta Pasta sang die Agnese in Paris/ Stich von Leon Viardot 1831/ Wikipedia

Mit wenigen anderen Stücken versuchten Konservatorien und Sommer-Akademien ihr Glück, aber unter den Protagonisten des musikalischen Europas in den beiden ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ist Paer zweifelsohne derjenige, dessen seine längst fällige Wiederentdeckung am dringendsten ansteht. Die lange Einführung, mit der der Rezensent möglicherweise die Geduld seiner Leser strapaziert hat, war notwendig, um die Initiative des Teatro Regio in Turin richtig einzuordnen und zu würdigen. Letztes Jahr setzte man dort Paers Agnese auf das Programm, und die rührige Genueser Firma DYNAMIC legt jetzt zwei DVD bzw. zwei Blue-Ray-Discs vor, welche die Aufführungsserie im März 2019 festhalten (im Gegensatz zu den Gewohnheiten des Labels scheint bedauerlicherweise eine CD-Veröffentlichung nicht geplant zu sein). Obwohl Stendhal es nicht wahrhaben wollte, ist ausgerechnet das Sujet der Agnese das, was ein modernes Publikum unmittelbar anspricht.

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In der Oper geht es um Uberto, der von der Tochter Agnese verlassen wurde, die mit Ernesto durchbrannte. Uberto wird in einem Irrenhaus gepflegt. Agnese trennt sich nach einer Weile von Ernesto, der sich in einer eindrucksvollen Sturm-Szene am Anfang des Stückes auf die Suche nach ihr macht, und kommt in die Heimat zurück, wo sie unter anderem von dem Spitaldirektor Don Pasquale unfreundlich empfangen wird. Man habe nicht vergessen, dass ihr Verhalten Ursache für Ubertos Krankheit sei. Der Vater erkennt zuerst die Tochter nicht, aber ein von ihr vorgetragenes Lied aus der Kindheit (effektvoll durch die Harfe begleitet, in dieser Inszenierung auf der Bühne) bringt letztendlich Ubertos Verstand zurück. Ernsto und Agnese hatten sich vorher in einem großen, dramatischen Duett versöhnt. Allgemeiner Jubel.

Paers „Agnese“: Szene aus der Turiner Aufführung/ Foto Piva

Das Libretto stammt von einem gewissen Luigi Buonavoglia, und geht über ein Mittelglied auf Father and Daughter zurück, den 1801 veröffentlichten Erstlingsroman der in England erfolgreichen Schriftstellerin Amelia Opie (1769-1853). Die Oper wurde von Paer und Buonavoglia gemeinsam für Aufführungen im Privattheater des Parmenser Grafen Scotti vorbereitet, bei denen Paer den Uberto hätte singen sollen (er reiste aber vor der Premiere ab). Ab 1811 wurde die Agnese  in Neapel und anderen Theatern – darunter mit großem Erfolg an der Scala 1814 – wieder aufgenommen. Das Libretto ist zweifelsohne auf das Pathetische und Sentimentale ausgerichtet, was Paer mit Mitteln wie einschmeichelnden Bläser-Soli sehr schön umsetzt, aber Stendhal zum Trotz steckt weit mehr darin, als der Effekt des Affektes. Man staunt über die Art und Weise, wie Librettist und Komponist mit der geistigen Umnachtung des Vaters umgehen, dem auch eine kurze Phrase leitmotivisch zugeordnet wird, in der Uberto sich daran erinnert, wie er Agnese auf dem Arm hielt. Und nicht nur das. Agnese ist als Dramma semiserio deklariert. Doch im Gegensatz zu den Gewohnheiten der Zeit, in der oft das Komische auch sozial verortet wird, indem lustige Diener bei ernsten, meist adeligen und auf jeden Fall heldenhaften Herren auftreten (bei Paer ist dies z. B. in der Camilla  von 1799 der Fall), werden hier die komödiantischen Momente auf ein Minimum reduziert und durchaus sinnvoll in direkte Beziehung zum Hauptthema gesetzt. Don Pasquale, welcher in der Oper der Hauptträger des Komischen ist, besingt im ersten Akt die Vorteile seiner paternità (des Vaterseins), und bildet somit das Gegenbild zum zerrütteten Verhältnis zwischen Uberto und Agnese, die ihrerseits die aus dem Verhältnis mit Ernesto hervorgegangene Tochter mit dabei hat: mehr mise en abîme der Beziehungen zwischen Vater/Mutter und Kindern geht für eine Oper dieser Zeit wohl kaum.

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„Agnese“: Amalia Opis Roman von 1801 war die Quelle für Paers Libretto/ Wikipedia

Ein guter Regisseur hätte hier ansetzen können, ja müssen, um das Stück angemessen zu inszenieren. Es war leider keine gute Idee des Teatro Regio, den vielfach ausgezeichneten Spielleiter Leo Muscato damit zu beauftragen. Wie er im (übrigens sehr schön gestalteten, aber inhaltlich dürftigen) Booklet dieser Veröffentlichung darstellt, ließ er sich von der „von Anfang bis zum Ende der Oper vorhandenen Ironie“ faszinieren, ja sogar die ernsteren Momente seien mit „ironischem Potential unterlegt“. Solche Aussagen haben nur einen Vorteil: Sie offenbaren, dass man sich mit den besten Absichten eines Stückes annehmen kann, ohne es zu verstehen. Carica ironica? Wenn Muscato sich die Mühe gemacht hätte, Stendhal zu lesen, hätte er erfahren, was es auch sich mit der Ironie in dieser Oper hat. Der französische Schriftsteller lehnt das Sujet gerade aus dem Grund ab, weil es in seinem betrüblichen Realismus auf ihn abstoßend wirkt: „L’Agnese fait pour moi souvenir désagréable et d’autant plus désagréable que le sujet est plus vrai“ („Agnese ruft in mir eine unangenehme Erinnerung auf, umso unangenehmer, als das Thema mehr Wahrheit bietet“). Si parva licent: aus dem Libretto könnte leicht ein Drehbuch zu einem Film gebastelt werden, der mit guten Mimen den Zuschauern einen spannenden TV-Abend bescherte. Veralbernde Distanzierungen sind oft die leichte, aber fast nie die richtige Lösung, und hier am wenigsten.

Es ist ein Glück, dass die von Muscato intendierte Ironisierung in der Aufführung wenig zum Tragen kommt, sei es, dass die Probezeit zu kurz war, sei es, dass das schauspielerische Unvermögen etwa des Tenors, dem der Regisseur groteske Gesten verordnet hat, die Ursache dafür sind. Ansonsten wird die Geschichte mit schlichten Mitteln dargestellt. Dafür hat Bühnenbildnerin Federica Parolini große Boxen aufgebaut, die sich öffnen und eine Landschaft oder Interieurs erkennen lassen – eine einfache Sparlösung, die auch dank der gewieften Lichtregie von Alessandro Verazzi und der kreativen TV-Regie von Tiziano Mancini auf dem Bildschirm vor allem deswegen funktioniert, weil sie nicht stört. Die Handlung scheint – warum auch immer – in die 1920er Jahre versetzt worden zu sein (Kostüme: Silvia Aymonino).

Paers „Agnese“: Szene aus der Turiner Aufführung/ Foto Piva

Den Star des Abends findet man im Graben: Diego Fasolis. Fasolis glaubt offensichtlich fest an die Qualität der Partitur, die er schon 2008 in einer konzertanten Aufführung in Lugano vorstellte (auch hier nicken Sammler/ G. H.). (In Turin wird zwar die kritische Edition von Giuliano Castellani gespielt, aber gemäß der von diesem Musikwissenschaftler 2008 in einem Sammelband veröffentlichten Tabelle kommt eine Mischfassung aus der ersten und dritten Fassung zum Zuge, was der Käufer der DVD nicht erfährt.) Fasolis leitet eine souveräne, trotz der über dreistündigen Spieldauer nie langweilige Aufführung, bei der die vielen instrumentalen Details und die kurzen Phrasen liebevoll herausgearbeitet werden, ohne dass die große Linie verloren geht. Ein Manko von Paers Partituren ist nämlich insgesamt das Fehlen von einprägsamen Melodien, aber dank Fasolis‘ phantasiereichem Dirigat fällt das hier nicht sonderlich auf (und eine Art Ohrwurm gibt es immerhin in der zweiten Tenor-Arie). Eine große Leistung, die vom exzellenten Chor (Chorleitung: Andrea Secchi), dem Orchester und dem Fortepiano-Spieler Carlo Caputo (der auch in den Tutti-Passagen hörbar lustvoll in die Tasten greift) mit Begeisterung unterstützt wird. Man kann Fasolis höchstens eine gewisse Neigung vorwerfen, allzu sängerfreundlich zu dirigieren. Ich denke hier z. B. an die Stretta der zweiten Ernesto-Arie, der das Draufgängerische fehlt. In Turin standen bessere Sänger als in Lugano elf Jahre zuvor zur Verfügung, allerdings man wird nicht mit allen glücklich.

Paers „Agnese“: Mitschnitt der Luganer Rundfunk-Aufführung 2008 unter Diego Fasolis

Unter den drei Protagonisten ragt Markus Werba als Uberto hervor. Sein fester, angenehmer Bariton passt zwar nicht ganz zur Rolle, welche die dunklere Stimme eines Bass-Baritons verlangt, aber man ist dankbar, dass sie keinem ausgeleierten Buffo anvertraut wurde (den Uberto sang im 19. Jahrhundert unter anderen immerhin auch der König der bassi cantanti, Filippo Galli). Auch als Darsteller kann Werba überzeugen, und die Diktion ist vorbildlich. Die Oper heißt zwar Agnese, Uberto ist jedoch der wahre Protagonist. Stilistisch bestens vorbereitet und höhensicher interpretiert Edgardo Rocha den Liebhaber Ernesto. Sein wenig einschmeichelndes Timbre ist allerdings Geschmackssache. Schwachpunkt im Trio der Hauptgestalten ist die Agnese der Sopranistin Maria Rey-Joly aus Madrid. Das dunkel gefärbte, zu dramatischer Attacke fähige Organ ist für die Rolle geeignet, denn man kann sich dafür keine piepsende Soubrette vorstellen. Aber Rey-Jolys Vortrag wird durch zu viel Vibrato beeinträchtigt, die Diktion und sogar (erstaunlich bei einer Spanierin) die italienische Aussprache („amizi“, „lucci“) lässt zu wünschen übrig, und aus der Rolle kann auch darstellerisch mehr geholt werden. Ausgezeichnet der Pasquale des Filippo Morace, der einen biederen Angsthasen rollengerecht interpretiert. Unter den kleineren Partien (alle mit eigener Arie versehen) setzt sich Giulia Della Peruta als Dienerin Vespina mit hellem Sopran vorteilhaft in Szene, obwohl die Spitzentöne dem grellen Schrei gefährlich nahe kommen; schwach hingegen Lucia Cirillo (Carlotta, Pasquales Tochter) und vor allem Andrea Giovannini, der einen brüchigen, krächzenden Tenor sein eigen nennt (aber als unheimlicher Doktor Don Girolamo eine sehr gute schauspielerische Leistung zeigt).

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Leitet diese Ausgrabung eine Wiederentdeckung Paers ein? Das darf man bezweifeln, doch kann man immerhin hoffen, dass die Produktion die Intendanten auf ein Stück aufmerksam macht, das anstelle der ewigen Barbiere und Elisire  gut bestehen kann. Und mit Griselda (1797) oder Achille  (1801), der „patriotischen Apotheose des Militarismus“, wie Klaus Pietschmann das Stück treffend genannt hat, oder Sagrino (1804) wären noch Entdeckungen möglich. Stendhal hatte Recht und Unrecht in einem: mit dem Melodiereichtum, der nervösen Rhythmik und der Erfindungsgabe Rossinis kann Paer unbestritten es nicht aufnehmen, aber das Team um Diego Fasolis zeigt, dass eine Oper wie AGNESE keinen Überdruss verursacht, sondern den Hörer auch nach 200 Jahren zu fesseln vermag.  Michele C. Ferrari

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 (2 DVDs Dynamic 37850auch als Blue-Ray-discs erhältlich; weitere Information zu den DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de; Foto oben Szene aus der Inszenierung am Teatro Regio di Torino/ Foto Piva)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Italienisches und nationales

 

Das Bergsteigen wurde Mieczyslaw Karłowicz zum Verhängnis. In der Hohen Tatra kam der, wie Moniuszko, in Weißrussland geborene Komponist, ums Leben. Seine Ausbildung als Komponist hatte Karłowicz (1876-1909) u.a. in Dresden, Warschau, ab 1895 in Berlin erhalten. 1901 kehrte er nach Warschau zurück, gründete ein Streichorchester und komponierte sinfonische Dichtungen, ein Violinkonzert, eine Sinfonie und einiges mehr, auch 23 Klavierlieder. Piotr Beczala, der das Bergsteigen nicht auch für sich entdecken möge, hat nun diese Lieder für die Welt neu hervorgeholt. Sie sind Teil von Beczalas Beitrag zum Moniuszko-Jahr, für das er gerade noch rechtzeitig Ende 2019 in Wien den Jontek in der Halka übernahm, denn auf seiner aktuellen Lied-Aufnahme (F.-Chopin-.Institut NIFCCD 114) verbindet er 21 Lieder von Karłowicz, also fast dessen gesamtes Liedschaffen, mit einer Handvoll Lieder des auf diesem Gebiet mit rund dreihundert Beispielen ungleich fleißigeren Moniuszko. Das ist ein schönes Unterfangen, denn dem nach Jan Kiepura größten polnischen Tenor nimmt man derzeit fast alles ab. Er veredelt und hebt auch die an sich nicht besonders auffälligen Lieder von Karłowicz, macht aus ihnen kleine Kostbarkeiten, unterstreicht ihren melodischen Reiz, macht die Stimme mal leicht und locker, verleiht ihr dunklen Nachdruck, mischt Süße und Andeutungen von Schluchzern bei, ist melancholisch und zärtlich und leidenschaftlich. Helmut Deutsch, genau und aufmerksam und auch ein wenig nachdrücklich wie stets, macht alles, um diese Lieder nicht zu beiläufig klingen zu lassen. Und bereits nach der Hälfte der Lieder gibt man sich dem Wohlklang der schönen, geschmeidigen, verführerischen, immer noch frischen Stimme hin, denn  Beczala fühlt sich merklich wohl und spielt alle Möglichkeiten aus, die ihm die vielfach sehr kurzen zwischen Volks- und Kunstlied jonglierenden Lieder eröffnen, vor allem spürt man neben einer stimmlich stets tadellosen Leistung hier endlich Gefühl und Anteilnahme, auch Lust und Fröhlichkeit und eine Fülle des Ausdrucks. Wie eine großzügige Zugabe reihen sich die fünf Moniuszko-Lieder an, die Beczala, beispielsweise die „Wilde Rose“ und „Ein Sohn aus Krakau“, so jauchzend, trällernd und lachend, mit Sitzentönen und Bögen serviert, wie einst Tauber und Kiepura ihren Lehár.  Rolf Fath

Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo  als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn denn  im Sommer und Herbst wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich  schon einmal auf CD (Vincerò bei Pentatone) in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.

Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Calaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs, aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.

Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucevan le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.

Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.

Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber  der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer  kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.

Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Tra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.

Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist  schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.

Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur  das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.

Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Calaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften  Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger.  Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733/ weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja

 

Angelo Lo Forese

 

Seinen 100. Geburtstag konnte Angelo Lo Forese am 27.3. 2020 in der Casa di Riposo per Musicisti in Mailand, wohin er mit 96 Jahren gezogen war, noch feiern: Angelo Lo Forese, oft auch Loforese, der nun am 14.5. 2020 gestorben ist. „Il tenore con la valigia sotto il letto“ („Der Tenor mit dem reisebereiten Koffer unter dem Bett“) heißt ein biographischer Roman, den Domenico Giulio ihm nach vielen Interviews, allerdings in der dritten Person geschrieben, widmete. Zur Feier seines 60jährigen Bühnenjubiläums hatte er noch „Di quella pira“ mit beiden hohen Cs gesungen, auf You tube lässt es sich überprüfen.

Zum Gesang gefunden hatte der Mailänder im Kirchenchor von St. Giuseppe in seiner Heimatstadt, mit 18 Jahren begann er das Musikstudium, seine erste Lehrerin war Anna Degiachelli, eine russische Prinzessin, die nach der Revolution nach Italien geflohen war. Ein weiterer Lehrer, Primo Montanari, hielt ihn für einen Bariton, vorübergehend nahm er auch Unterricht bei Aureliano Pertile, 1943 floh er aus dem Milltärdienst in die Schweiz, aus der er nach Kriegsende nach Italien zurückkehrte.

Lo Forese debütierte 1948 als Silvio in den Pagliacci, aber bereits 1950 entschloss er sich unter dem Einfluss von Emilio Ghirardini, ins Tenorfach zu wechseln, was ihm innerhalb von nur sechs Monaten gelang. Diesem Lehrer verdankte er auch zwei Weisheiten, die seine lange Karrire bestimmten: „Canta davanti ai denti“ und „ Impara a non fare fatica“. „Singe vor den Zähnen“ und „Lerne, dich nie zu überanstrengen.“ In Casablanca sang er mit dem Manrico seine erste Tenorpartie. In dieser Vorstellung fand gleichzeitig der Bühnenabschied von Carla Castellani statt.

Im Verlauf seiner Karriere sang Lo Forese mehr als 80 Partien, oft war er der Einspringer vom Dienst, worauf auch der Titel des ihm gewidmeten Romans hinweist. Einmal rief ihn die Scala um 13 Uhr an, weil er als Calaf für Franco Corelli einspringen sollte- was er natürlich tat.

Nach seiner aktiven Karriere widmete sich Angelo Lo Forese der Lehrtätigkeit. Der wichtigste Ratschlag, den er seinen Schülern gab, war der, stets sie selbst zu bleiben („Essere se stessi“)

Aufnahmen gibt es von seiner Karriere als Tenor in den Pagliacci aus Faenza, Medea von 1971 aus Mantua, als Don Carlo aus Florenz von 1956 und als Zandonais Romeo von 1961 aus San Remo. Sein Repertoire reichte von Nemorino bis Otello, auch in zeitgenössischen Opern war er oft zu hören. Das Buch über ihn ist auch in deutscher Sprache noch zu erwerben. Ingrid Wanja

Händel von vielen Seiten

 

Das Jahrbuch 2020 der Göttinger Händel Gesellschaft konnte noch erscheinen, der 100. Jahrestag der ersten Händelfestspiele in Göttingen im Jahre 1920, als „Rodelinde“ aufgeführt wurde, konnte nicht wie vorgesehen mit Vorstellungen verschiedenster Art aller 42 Opern des Barockkomponisten gefeiert , sondern musste verschoben werden.

Wie es schöne Tradition ist, bietet das das Jahrbuch Artikel unterschiedlichster Thematik, beginnend mit Wolfgang Sandbergers Beitrag, der in das Thema des Symposiums der Händelfestspiele 2019 , einführte, die sich der Bedeutung der Melancholie für das Schaffen Händels widmete. Ausgangspunkt ist ihm ein Gedicht von Friedrich Wilhelm Zachariae, die sich wandelnden Vorstellungen vom Verhältnis der Musik zur im Extremfall in die Depression führenden Gemütsverfassung, mal Verstärkung, mal Heilung bedeutend, werden dargestellt, Alexander und Saul und ihre Beziehung zur Musik  berücksichtigt. Seine Funktion als Vorwort erfüllt der Artikel mit Hinweisen auf die folgenden Beiträge.

Der erste davon stammt von Melanie Wald-Fuhrmann, die sich dem Verhältnis von Musik und Melancholie anhand von Händels „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ widmet und bis auf die Antike zurückgreift, in Zeiten, in denen Melancholie auf ein Übermaß an schwarzer Galle zurückgeführt wurde. Unterschiedliche Epochen bewerteten den Gemütszustand auf unterschiedliche Weise, eine generative Kraft wurde ihr u.a. in der Renaissance und um 1800, also nicht zu Händels Zeiten, zugestanden. Interessant ist die Auseinandersetzung mit der Frage, welche sich wandelnde Bedeutung das von einem Dichter des 18. Jahrhunderts dem Milton-Text zugefügte Moderato hat, dass die zweite Fassung von Händels Werk ohne den Moderato-Teil auskommt, der Komponist Allegro und Penseroso miteinander versöhnt, auf welche Weise ihm dies gelingt, Musik eher als Therapie denn als Inspiration angesehen wird.

Andreas Waczkat stellt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen die Heilung König Sauls durch die Musik, widmet sich der Entstehungsgeschichte, dem Aufbau, der Instrumentierung und der Bedeutung der Harfe als heilendem Instrument. Michael Thimann nähert sich Händel von einer ganz anderen Seite, indem er das Händel-Denkmal von Roubiliac im Vaux Hall Garden, das den Komponisten als Orpheus darstellt, einer kritischen Betrachtung unterwirft. Dazu gehört ein Rückblick auf die sich wandelnde Gestaltung des Orpheus-Mythos, auf die Tatsache, dass Händel sehr leger und in Hauskleidung, damit dem Ideal der Natürlichkeit huldigend, dargestellt wird. Zum Vergleich wird eine ähnliche Darstellung von Johann Joachim Winckelmann herangezogen.

Alexander Košenina wählt zum Ausgangspunkt für seine Betrachtungen Schillers „Kabale und Liebe“, in dem „Saiten und Seelen“ in Harmonie schwingen können, wenn sie nicht durch äußere Widerstände zum Misstönen oder sogar Zerrreißen gebracht werden. So bedeutet das Zerstören der Violine durch Ferdinand auch das Ende der Liebe. Interessant ist, dass auch aus Schillers Dissertation, er wurde ja von seinem Landesherrn zum Medizinstudium gezwungen, zitiert wird. Esma Cerkovnik erörtert das Verhältnis Händels zu seinem Librettisten für das Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, dem römischen Kardinal Pamphilij und stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Thema des Kunstwerks, der Bekehrung, und dem wahrscheinlichen Versuch des Kirchenmanns, Händel dazu zu bringen, zum Katholizismus überzutreten. Es wird die Frage gestellt, ob vielleicht der plötzliche Aufbruch Händels aus dem Kirchenstaat etwas mit einer Missstimmung zwischen Librettist und Komponist wegen der Weigerung zu konvertieren zu tun hat.

Der letzte Artikel , der von Wilhelm Krull, wirft einen Blick zurück auf die Zeit, in der das Interesse an Händel in der Göttinger Bürgerschaft, das schließlich zur Begründung der Händel-Festspiele in der Universitätsstadt führte, geweckt wurde. Der kurze Weg von der allgemeinen Kriegsbegeisterung zum Entsetzen über Stellungskrieg und Materialschlachten, das Nebeneinander von „Ästhetik des Schreckens“ und Antikriegsliteratur wird durchschritten. Der Verfasser weist darauf hin, dass eine endgültige Auseinandersetzung mit der Verstrickung von Kultur und Naziherrschaft in Göttingen noch aussteht, gibt damit zugleich Anregungen für das nächste Symposium, das hoffentlich 2021 ohne Corona-Gefahr samt umfangreichen Festspielen stattfinden kann.

Eine Internationale Bibliographie der Händel-Literatur 2018/2019, Mitteilungen der Göttinger Händel-Gesellschaft e.V. und ein Register vervollständigen das Buch, das dem Leser viele interessante Anregungen gibt und ihn darüber staunen lässt,  unter wie vielen unterschiedlichen Gesichtspunkten man das Thema Händel behandeln kann (135 Seiten, Göttingen 2020; ISBN 978 3 525 27836 9). Ingrid Wanja   

Einer der Grossen

 

Gerade noch hatte ich mich nach langer Zeit wieder in die alte (und wieder von Warner herausgegebene) EMI-Aufnahme des originalsprachigen Guillaume Tell Rossinis gestürzt und wie schon so oft die Authentizität der Stimme von Gabriel Bacquier im angestammten Fach angemerkt – welche idiomatische Diktion, was für eine absolut fabelhafte Gesangstechnik, eine Präsentation der französischen Sprache, die die Konsonanten klingen lässt und die das alte Vorurteil widerlegt, Französisch ließe sich nicht gut singen. Diese fast schon überdimensionale Gestalt des zupackenden Tell, dieser Patriot mit Tatkraft, Entschlossenheit und Humor, mit Liebe zum Vaterland, zur Familie und zur Wahrheit ist eines der großen Opern-Rollenportraits für mich, nicht nur für die Kunst Gabriel Bacquiers (* 17. Mai 1924 in Béziers, Département Hérault; † 13. Mai 2020), der dieser Tage verstarb. Auch mit ihm geht eine Ära des Gesangs zu Ende, nicht  nur die des französischen, denn außer (dem Belgier) José van Dam und wenigen anderen stand Bacquier für die erfolgreichen Francophonen im Ausland, wie man sie heute nicht mehr findet. Wie seine Kollegen Massard, Blanc oder auch Crespin und Gorr (ebenfalls Belgierin) gehörte er zu den Gesuchten seiner Sprache an den internationalen Häusern, namentlich auch an der Met, während man andere Franzosen im internationalen Geschäft eher selten antrifft. Woran nicht zuletzt die Pariser Oper unter Liebermann schuld war, der die altgedienten Künstler des Landers bei Amtsantritt als Intrendant in die Provinz drängte. Régine Crespin ist ein bezeichnendes Beispiel für diesen Karrierebruch.

France Musique hat am 13. Mai 2020 des großen Sohnes des Landes, Gabriel Bacquier, gedacht und eine bemerkenswerte Hommage mit vielen Ausschnitten aus seinen Aufnahmen und auch Auftritten bei den verschiedenen Festivals gesendet. Nachstehend der Text des Beitrags auf der website der Radioanstalt (en francais, bien sur). Ein bedeutender Sänger ist von uns gegangen, und die Welt der französischen Stimmen ist ärmer geworden. RiP. G. H.

 

Mort de Gabriel Bacquier, l’un des plus grands barytons français: L’un des baryton-basses français les plus estimés du XXe siècle vient de nous quitter. Grand interprète de Mozart, il s’est produit sur les plus belles scènes lyriques du monde. Il aurait eu 96 ans ce dimanche. «Gabriel Bacquier ne joue pas. Il ne chante pas. Il est l’Opéra », écrit le journaliste Jean Cotté à propos Gabriel Bacquier, l’une des grandes voix d’opéra de l’hexagone qui nous a quittés ce mercredi 13 mai à son domicile de Lestre dans la Manche. Le Théâtre du Capitole de Toulouse a rendu publique la nouvelle via son compte Twitter en saluant „la disparition d’un immense baryton“.
Il a activement fréquenté la maison d’opéra toulousaine, en s’y produisant quasiment à chaque saison des années 1960 aux années 1990. Il y a fait plusieurs prises de rôles dont Boris Godunov. „C’était un personnage haut en couleur, témoigne Christophe Ghristi, directeur artistique du Théâtre du Capitole. Une personnalité du sud qui avait une présence animale sur scène. Il était l’un des rares chanteurs français de cette époque à avoir eu une telle carrière internationale“.
Christophe Ghristi rappelle également les nombreuses collaborations entre le baryton et Michel Plasson, qui a dirigé l’Orchestre national du Capitole pendant près de 40 ans.

Né à Béziers le 17 mai 1924, Gabrial Bacquier est initié très jeune à l’art du chant lyrique et de l’opéra par la collection d’enregistrements de son père. Initialement attiré par le dessin, il décide de s’inscrire à l’école des Beaux-arts de Montpellier. Durant l’Occupation, Bacquier entre aux chemins de fer afin d’éviter le Service du Travail Obligatoire. Dans ses heures perdues, il poursuit des cours de chant avec Madame Bastard, professeur vocal de Béziers. Il fera ses débuts à Béziers en tant qu’Ourrias dans l’opéra Mireille de Gounod.
En 1945, à la sortie de la Seconde Guerre mondiale et sous les encouragements de son professeur, Bacquier se présente au Conservatoire CNSM de Paris, d’où il ressort cinq ans plus tard diplômé avec un premier prix. Dès 1949, Bacquier intègre la troupe de l’Opéra de Nice, où il affirme avoir réellement découvert et appris le métier de chanteur lyrique. Diplômé en 1950, il chante des concerts d’opérette au cabaret et dans des salles de cinéma avec la troupe de José Beckmans, avant de rejoindre en 1953 la troupe de La Monnaie de Bruxelles.

Il y rencontre la chanteuse Martha Angelici, vedette de l’Opéra-Comique de Paris qui conseille à Bacquier de s’y présenter. Chose faite en 1956 lorsqu’il rejoint la troupe de la Réunion des Théâtres Lyriques Nationaux, qui regroupe l’Opéra-Comique et l’Opéra de Paris. Il y fait ses débuts respectivement en chantant les rôles de Sharpless dans Madame Butterfly de Puccini en 1956 et Germont dans La Traviata de Verdi en 1958.
Gabriel Dussurget, alors directeur artistique de l’Opéra de Paris et fondateur du festival d’Aix-en-Provence, propose à Bacquier le rôle de Scarpia dans Tosca puis le prestigieux rôle de Don Giovanni en 1960. Cette prestation triomphale au festival d’Aix-en-Provence sera captée et diffusée en Eurovision à plusieurs milliers de spectateurs européens qui découvriront les talents lyriques de Gabriel Bacquier ; le premier grand succès du chanteur et le début d’une longue relation fructueuse avec le festival.
Sa carrière lancée, les portes des plus grandes salles d’opéra au monde s’ouvrent à Bacquier, notamment le Lyric Opera de Chicago, le Carnegie Hall et le Metropolitan Opera de New York (où il restera à l’affiche pendant 18 saisons), le Royal Opera House et Covent Garden de Londres, le festival Glyndebourne et l’Opéra d’État de Vienne. Malgré cette renommée internationale, Bacquier reste tout d’abord un chanteur français, et se présente régulièrement sur ses scènes : il mettra d’ailleurs fin à sa carrière en 1994 à l’Opéra-Comique, l’une des premières grandes scènes à l’accueillir.
Interprète polyvalent dont la carrière s’inscrit dans la lignée prestigieuse d’autres voix légendaires telles que Tito Gobbi, Hermann Prey, Fiodor Chaliapine, et Giuseppe Taddei, Gabriel Bacquier s’intéressera non seulement à l’opéra tragique et comique, à l’opérette, et à la mélodie française, mais aussi aux œuvres contemporaines de compositeurs tels que Giancarlo Menotti, Maurice Thiriet, Jean-Michel Damase et Jean-Yves Daniel-Lesur.
Depuis 2001, Bacquier continue à partager sa passion en tant que professeur au Conservatoire de Paris et à l’Académie de Monaco. S’il affirme en 2019 de manière enjouée au micro de France Musique que « je ne suis personne aujourd’hui », le baryton-basse est loin d’être passé inaperçu dans le monde de l’art lyrique français. (France Musique/ Publié le mercredi 13 mai 2020/ Foto Melancon/ Met Opera Archive/ Künstlerfoto)

Münchner Hunne

 

Verdis Duette zwischen Bariton und Bass, seien es Macbeth und Banco, Filippo und Carlo oder Fiesco und Simone, gehören zu den schönsten Musikstücken überhaupt, doch Voraussetzung dafür, dass sie ihre Wirkung voll entfalten können, ist ein gut hörbarer Unterschied zwischen beiden Stimmen, darf der Bariton nicht zu dunkel, muss der Bass gewichtig und schwarz sein. Für die konzertante Aufführung von Verdis Attila 2019 im Münchner Prinzregententheater hatte man für die Titelpartie und den römischen Feldherrn Ezio zwar zwei vorzügliche Sänger engagiert, die aber leider als Gespann obige Anforderungen nicht erfüllten.

Ildebrando D’Arcangelo ist ein vorzüglicher Sänger mit einer Stimme von schöner Farbe und wie aus einem Guss, und er singt auch schon gewichtige Partien wie Filippo und Alvise, aber auch noch den Conte aus „Le Nozze di Figaro“ oder Rossini-Partien. Für den Attila spreizt er manchmal das Timbre ganz leicht, ist in der Höhe kraftvoll und gewinnt auch im Verlauf der Aufführung an Profondität, so für „Mentre gonfiarsi l’anima“, und für die anschließende Cabaletta hat er sich die Geschmeidigkeit der Stimme bewahrt. Berührend ist die Betroffenheit in „Non è sogno“ und voller Brio „O miei prodi“, aber im letzten Track hat man doch wieder den Eindruck, er dunkle die Stimme künstlich ein.  Insgesamt ist der seine ein sehr menschlicher, gefühlsbetonter Hunnenkönig, welche Eindruck durch die Geschmeidigkeit und Eleganz der Stimme betont wird.

Ihm gegenüber steht ein eher bärbeißiger, auf Dauerforte programmierter Ezio in Gestalt und mit Stimme von George Petean, ebenfalls ein schätzenswerter Sänger mit besonders guter Diktion und großzügiger Phrasierung, aber im Vergleich zu diesem Attila doch sehr dunkler Stimme, die manchmal etwas nach hinten rutscht, mit einer sehr guten Höhe und viel Drive für die Cabaletta „È gettata la mia sorte“. Sein Spitzenton ist eine Wucht und hätte selbst einen Cappuccilli beeindruckt, aber im Verhältnis zu diesem Attila ist die Stimme recht dunkel, außerdem wünscht man sich ein nobleres Timbre, ein eindrucksvolleres „universo“ in der berühmten, von Verdis Zeitgenossen als politisches Fanal gedeuteten Forderung nach der Selbstbestimmung für Rom.

Mit dem Aplomb einer wilden Hunnin stürzt sich Ludmilla Monastyrska in die Partie der edlen Römerin Odabella, muss keine Angst vor deren stimmgewaltigen Ausbrüchen haben, bei denen sie ab und zu auch Schärfen in den Höhen nicht scheut, ist aber gerade in den lyrischen Teilen ausgesprochen angenehm und weiß so in der sanften Cavatine aus dem Prolog zu begeistern, meistert die Intervallsprünge souverän und kann die Gefühle ihrer Partie  vermitteln.

Recht gequält beginnt der Foresto von Stefano La Colla und wird nie so richtig frei in der Stimmproduktion, als wenn er gegen einen Widerstand ansingen müsste, so in den angestrengt erscheinenden Höhen der Cabaletta im Prolog. Die Stimme klingt hart und neigt dazu die Töne anzuschleifen, seine zweite Arie hört sich  zu Beginn belegt  und dann zunehmend scharf an. Immerhin kann er mit einem schönen Brio für „Ella in poter del barbaro“ punkten.

Vorzüglich ist der Chor des Bayerischen Rundfunks, der im Prolog eine zauberische Stimmung erzeugt und erschauern lässt in „Ah, ho spirto de‘ monti“. Nicht minder souverän meistert das Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Ivan Repušić seine Aufgabe, zeigt viel Sinn für einen fiebrigen Spannungsaufbau und echtes Verdi-Brio, das in diesem Frühwerk in berauschendem Ausmaß zu finden ist (BR media 900330). Ingrid Wanja       

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Kaprizöse Initiative

 

Wie die Macarons bei Sprüngli, wo sie eigentlich Luxemburgerli heißen, liegen die zartfarbenen CDs in den Klappboxen, lindgrün in bordeauxfarbener Pappe für Verdi, orangefarben in rot für Wagner, gelb in blau für Frank Martin und blaugrün innen wie außen für Berlioz. Ausgesprochen geschmackvoll. Für Aufnahmen des Orchesters der Zürcher Oper, das seit wenigen Jahren etwas kapriziös als Philharmonia Zürich firmiert, scheinen die Auslagen der feiner Confiseriekunst Pate gestanden zu haben. Die Verpackung stimmt. Das zwischen 2013 und 2017 entstandene Programm vermeidet Experimente. Auf zwei CDs finden sich Ouvertüren und Vorspiele Verdis (PHR 0109), keine Repertoirelücken, aber vertrautes Terrain für Fabio Luisi und das Orchester, die immerhin die fast zwölfminütige sinfonisch-potpurrihafte Fassung der Aida-Ouvertüre aufgenommen haben. Auch das Peregrina -Ballett aus dem Don Carlos. An der in Arienkonzerten als Füller überstrapazierten Forza del destino-Ouvertüre hat man sich sattgehört. Aber Luisi breitet sie mit einem ungemeinen Gespür für theatralische Effizienz aus, klanglich zunächst etwas irritierend, ohne Italianità, auch sind mir manche Gegensätze zu manieriert, doch insgesamt entwickelt Luisi das Stück logisch und packend, überzeugt durch Drive, Attacke und Intensität. Vor allem in den umfangreichen Vespri-, Nabucco-, Battaglia di Legnano-Ouvertüren mischen sich Dramatik und sinfonischer Gestus, im kurzen Ballo-Vorspiel erzeugt Luisi viel Atmosphäre, in Beispielen aus der Frühzeit die genialischen Momente.

Ebenfalls zwei CDs für Wagner (PHR 0102), darunter auch, um „die große Evolution der Orchestersprache“ zu verfolgen, die Feen-, Liebesverbot- und Rienzi-Ouvertüren, die mir mit dem Erbe der deutschen Romantik à la Weber, des französischen Klassizismus und der Grand opéra am interessantesten scheinen und die in ihrer sowohl lärmenden wie instrumentalen Finesse mit theatralischer Treffsicherheit erklingen. Berlioz darf da nicht fehlen. Konsequenterweise haben sich die Interpreten für die Symphonie fantastique entschieden (PHR 0101), die natürlich nach Vergleichen schreit. Die Sterne holt Luisi in den „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“ nicht vom Himmel. In den „Träumereien – Leidenschaften“ des ersten Satzes legt Luisi mehr Gewicht auf die Träumereien und unterstreicht die romantische Zerrissenheit und Stimmungswechsel und zeigt in den romantischen Passagen, wie sehr Berlioz Weber bewundert hat. Das ist alles breit, fasslich und ordentlich ausgebreitet, dennoch erreicht die Aufnahme bei gelegentlich brisken Tempi weder die Düsternis im „Gang zum Richtplatz“ noch die Erschütterung und Dämonie des teuflischen Treibens im „Traum einer Sabbatnacht“.

Am wichtigsten die Veröffentlichung von Martins Cornet, mit der allen Beteiligten eine Referenzeinspielung der während des zweiten Weltkriegs entstandenen Vertonung von Rilkes Sensationserfolg von 1899 gelang (PHR 0108). Umso erfreulicher als der zwischen Atonalität und Tonalität schwankende Martin im Konzertleben ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Lange hatte Frank Martin gezögert, „eine Sprache in Musik umzusetzen, die mir nicht geläufig und ganz vertraut ist“ und Rainer Maria Rilkes Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke zu vertonen, auf die ihn seine Frau gestoßen hatte. Den Ausschlag zur Komposition gab Paul Sacher, der sein Kammerorchester beisteuerte und 1945 die Uraufführung dirigierte. „Nichts eignet sich besser für diesen Text, dieses epische Gedicht, dessen zarte Linie sogar in der Schilderung der brutalen Rohheiten des Krieges eine unglaubliche Sensibilität bewahrt. Das kleine Orchester kann so die ganze Farbskala des literarischen Werkes entwickeln, ohne durch die Masse der Ausführenden zu dick zu werden. Was die Form betrifft, die Aufteilung und Schnitte der Bilder…. So fand ich sie hier klar und charakteristisch aus des Dichters Hand, von Rilke selbst, vor.“ Tatsächlich fügt sich in Martins Cornet alles wie von selbst: der in 23 Abschnitte gegliederte Text, eher Erzählung als Gedichtzyklus, ist wie selbstverständlich in die Musik eingebettet, die sich nie in den Vordergrund drängt, kommentiert oder verstärkt. Auch wenn Okka von der Damerau über den von Luisi hauchzart gesteuerten Klängen der Philharmonia Zürich ausgesprochen textklar singdeklamiert und -agiert, ist es ein Versäumnis in einer so wohlausgestatten Edition auf den Abdruck der Texte zu verzichten. Orchester und Mezzosopranistin ergänzen sich in der einstündigen Einspielung so ingeniös wie Musik und Text. Zunächst mag man sich eine in vokaler Hinsicht reichere Ausdeutung wünschen, etwa wie sie Jan van Nes gelang, doch von der Damerau überzeugt durchgehend durch die Sanftheit, mit der sie ihre Opernstimme zügelt, die zunehmende Intensität in den letzten Abschnitten und die sängerische Intelligenz ihrer Interpretation.    Rolf Fath

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

O Glück!

 

Ein sehr gutes Gefühl für richtiges Timing hat offensichtlich (oder vielmehr gut hörbar) Diana Damrau, deren letzte CD wie alle ihre früheren dem Entwicklungszustand ihrer Stimme optimal entspricht mit Richard-Strauss-Liedern, für die sie nun das notwendige Volumen, bei aller Zartheit viel Farbe, die nach wie vor sichere, leichte Höhe und eine bewundernswerte Flexibilität besitzt. Für die Vier letzten Lieder verfügte sie dazu noch mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons und als Klavierbegleiter mit Helmut Deutsch die optimalen Begleiter.

Bei den Vier letzten Liedern fällt angenehm auf, dass nicht nur die jeweilige Gesamtatmosphäre der drei Hessetexte und des Eichendorffgedichts getroffen werden, sondern auch feine Akzente innerhalb eines jeden Liedes gesetzt werden, in „Frühling“  der Kontrast zwischen dem Träumen in der Vergangenheit und der „selige(n) Gegenwart“ hörbar wird im Verhangenen wie danach sehr Präsenten der Sopranstimme. „September“ lässt das Orchester wie ein Echo der Stimme erscheinen, die letzte Zeile gibt in bewundernswürdiger Weise das Ermatten des Sommers mit so feinem wie präsentem Piano wieder. Ebenso überzeugend wie das rauschhafte Eingehen der Seele in die Welt des Unbewussten mit der sieghaften Präsenz der Stimme über den Orchesterwogen mit schönen Schwelltönen gelingt, kann sich der Sopran in „Beim Schlafengehen“ für das „in Schlummer senken“ zurücknehmen und trotzdem nie als matt erscheinen. Für das Eichendorffgedicht breitet das Orchester einen wunderbaren Klangteppich aus, lässt die Stimme das „Abendrot“ leuchten, hebt sie die letzte Zeile nicht melodramatisch vom Vorhergehenden ab, sondern lässt beides sanft ineinander übergehen.

Es folgt das letzte Lied, das Strauss komponiert hat, „Malven“, die mit ganz weichem Stimmansatz dargeboten werden, wo, dem Sinn des Textes gehorchend, nicht „Purpurs Glut“ dominiert, sondern das „verwehen“ „leise im Wind“.

Auch einige der Lieder nach den Blumengedichten von Felix Dahn, einst in allen deutschen Bücherschränken mit seinem monumentalen Roman „Der Kampf um Rom“ vertreten und im Booklet wegen seiner Vergleiche Frauen= Blumen als bedenklich angesehen, hat die Sängerin eingespielt, den „Kornblumen“  viel Beherztheit, den „Mohnblumen“ puren vokalen Übermut und dem „Efeu“ zärtliche Empfindsamkeit,  den „Wasserrosen“ inniges Verklingen eingehaucht und einmal mehr unter Beweis gestellt, wie wandlungsfähig die Stimme ist, die zugleich immer eine typische silbrige Straussstimme voller Leuchtkraft bleibt. Im letzten dieser Blumen-Lieder zaubern Stimme und Klavier gleichermaßen eine zauberhafte Atmosphäre herbei.

Die von Strauss vertonten Gedichte sind von unterschiedlichem literarischem Wert, die besseren stammen von Richard Dehmel oder auch dem Expressionisten Karl Henkell. Letzterer hat „Ruhe, meine Seele“ geschrieben, in dem Diana Damrau den „Sonnenschein“ glänzen wie, stets die vokale Façon wahrend, die „Zeiten“ die „gewaltig“ sind, machtvoll aufbrausen lässt. Dehmels „Leises Lied“ verzaubert gerade durch die scheinbare Eintönigkeit, die nicht Spannungslosigkeit bedeutet, fordert eine Mittellage, die die Sängerin längst ihr Eigen nennt. In des Dichters „Mein Auge“ gelingt es ihr, Hymnisches, das in Text und Musik ist, zum Leben zu erwecken. Im so tottraurigen wie tröstlichen „Befreit“ berührt besonders das variationsreiche „O Glück“.

Die drei „Lieder der Ophelia“ deuten das Ver-Rückte der Figur ,  den Wahn mal atemlos oder mit leichter Bitternis wie in „Guten Morgen“, den Wechsel der Stimmung fein wiedergebend wie in „Sie trugen ihn“ an.

Den Schluss bildet das bekannte „Morgen!“, in dem das Zwiegespräch mit der Geige von Anton Barakhovsky ungemein reizvoll ist (Erato 0190295303464). Ingrid Wanja

Hommage an die erste Königin der Nacht

 

Mit besonderem Interesse registriert man eine Neuveröffentlichung bei SONY Classical mit der jungen deutschen Sopranistin Sarah Traubel (S80496C). Natürlich denkt der Opernfreund bei diesem Namen sofort an die berühmte Helen Traubel – und diese Namensverwandtschaft ist tatsächlich nicht zufällig. Die in Mannheim geborene Sängerin ist die Großnichte der amerikanischen Sopranlegende und des Dirigenten Günter Wand. Für ihr Debütalbum mit dem Titel Arias for Josepha, das im August 2019 in Prag entstand, hat sie eine Auswahl von Arien zusammengestellt, welche Mozart und weitere, heute weniger bekannte Komponisten für eine Koloratur-Diva der Zeit, Josepha Hofer, geschrieben haben. Auch hier stellt sich eine Verbindung zu Sarah Traubel her, denn Hofer wurde 1758 in Zell im Wiesental unter dem Namen Weber geboren und wuchs gleichfalls in Mannheim auf. Von dort ging sie nach München und Wien, war Mozarts Schwägerin und seine erste Königin der Nacht in der Zauberflöte. Sie sang die Partie von der Uraufführung 1791 bis 1801, vier Jahre später zog sie sich von der Bühne zurück.

Die beiden Arien der Königin finden sich natürlich auch im Programm der CD, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Die „Rache“-Arie aus dem 2. erklingt zuerst und demonstriert neben der brillanten exponierten Lage und der perfekten Technik von Sarah Traubel auch ihren dramatischen Aplomb. Die Arie aus dem 1. Akt, „O zittre nicht“, folgt danach, besitzt im Ausdruck des Rezitativs nicht die Verschlagenheit berühmter Vorgängerinnen, aber in der Arie doch den erforderlichen energischen Nachdruck und die Brillanz in den Koloraturläufen. Die Königin der Nacht tritt auch in einer weiteren Oper auf, denn Peter von Winter komponierte als Fortsetzung der Zauberflöte auf ein Libretto von Schikaneder Das Labyrinth oder Der Kampf mit den Elementen, uraufgeführt 1798 mit der Hofer als Königin. In deren pathetischer Auftrittsarie „Ha! Wohl mir! Höre es, Natur“ lässt Traubel sogar hysterisch erregte Klänge und grelle Koloraturen hören, was ganz dem Ausdruck verpflichtet ist.

Munterer Auftakt der Anthologie ist ein gänzlich unbekannter Titel, der zu den Weltersteinspielungen der CD gehört – die Arie „Alles will ich brechen, beugen“ aus dem Singspiel Der Tyroler Wastl von Jacob Haibel. Der 1762 in Graz geborene Komponist kam 1789 in die Truppe von Schikaneder nach Wien, wo er Josepha kennen lernte und die Partie der Frau von Tiefsinn für sie schrieb. Sie sang sie in der Uraufführung 1796 und in den Folgevorstellungen. Die Arie, in welcher sich die Frau entschlossen zur Herrin über das schwache Männergeschlecht erhebt, bietet Sarah Traubel Gelegenheit, ihre substanzreiche Stimme, die  ganz ohne jeden Soubrettenanflug ertönt, vorzustellen und sogleich mit brillanten staccati in der oberen Lage zu glänzen.

Auch Track Nr. 2 ist eine Rarität, wenngleich der Komponist Vincenzo Righini kein Unbekannter ist. So finden sich auf Diana Damraus erstem Soloalbum zwei Arien aus der Kantate La sorpresa amorosa, ossia Il natale d’Apollo. Aus eben diesem Werk interpretiert auch Traubel zwei Nummern – die der Partie der Erifile zugeordnet sind: „Bella fiamma“, gleichfalls eine Weltpremiere, und „Ove son? Qual aure io spiro“, die auch Damrau eingesungen hat. Sie beschreiben die Gefühle der auf der Insel Delos mit ihrem Verlobten Alkaos gestrandeten Jungfrau Erifile. Die Uraufführung 1789 im Wiener Burgtheater dirigierte Antonio Salieri, der für die Hofer noch zusätzliche Koloraturen erfand, welche „Bella fiamma“ zum bravourösen Höhepunkt des Werkes werden lassen. Traubel sorgt bereits beim zweiten Titel der CD für einen solchen mit kristallklaren, wie gestochenen Koloraturen und souveränen Ausflügen in die stratosphärische Region. „Ove son?“ leitet das Orchester geheimnisvoll raunend ein und die Sopranistin schildert plastisch die Situation der erwachenden Erifile auf der Insel, die zunächst in fast somnambuler Verfassung ist und danach in einen Koloraturtaumel fällt.

Neu im Katalog ist die Arie der Juno „Juno wird stets um dich schweben“ aus Franz Xaver Süßmayrs Oper Der Spiegel von Arkadien. Hofer sang die Göttin in der Uraufführung 1794 und konnte mit ihrer obertonreichen Sopran darin glänzen – wie auch Sarah Traubel in dieser Einspielung.

Eine weitere Novität auf dem Musikmarkt ist die Arie der Josefa (!) „Auch im Schlummer seh’ ich dich“ aus dem Singspiel Die beiden Antone, oder Der Name thut nichts zur Sache von Benedikt Schack (dem ersten Tamino) und Franz Xaver Gerl (dem ersten Sarastro). Hofer trat 1791 darin auf, ohne in diesem schlichten, empfindsamen Stück ihre wirklichen Qualitäten zeigen zu können. Zwei Jahre zuvor hatte sie in der Titelrolle von Paul Wranitzkys Oberon, König der Elfen am Kärntnertor in Wien reüssiert. Die Uraufführung des nach Wielands Versepos komponierten Singspiels markierte ihren Durchbruch in der österreichischen Metropole. Die Arie des Titelhelden, „Dies ist des edlen Hüons Sprache“, erklingt hier erstmalig, nachdem das Notenmaterial dafür von Christian Moritz-Bauer editiert wurde. Auch sie ist eine Bravournummer mit heiklen Sprüngen und Ausflügen in die Extremlage.

Verschiedene, zumeist populäre Mozart-Arien komplettieren die Auswahl. Leider findet sich darunter kein Solo der Donna Anna aus Don Giovanni, womit sich zwar keine Verbindung zu Josepha Hofer hergestellt hätte, die diese Rolle wahrscheinlich nicht gesungen hat, wohl aber als Reverenz für Helen Traubel, in deren Repertoire sich diese Partie befand, wovon auch eine Einspielung der Arie „Or sai chi l’onore“ zeugt. Dafür hört man beide Arien der Contessa aus Le Nozze di Figaro. Die Partie war nicht eigens für die Hofer geschrieben, doch sang sie diese 1792 in Wien (in deutscher Sprache). „Porgi amor“ aus dem 2. und „E Susanna non vien… Dove sono“ aus dem 3. Akt zeugen von Sarah Traubels reicher Mittellage, was für eine derart hoch gelagerte Stimme ungewöhnlich ist, und ihrem sensiblen Gespür für Melancholie und Empfindsamkeit.

Nicht fehlen in diesem Programm durfte Konstanzes „Martern“-Arie aus der Entführung aus dem Serail, die Mozart der erfolgreichen Caterina Cavalieri in die „geläufige Gurgel“ komponiert hatte. Im bravourösen Zierwerk, dem geforderten dramatischen Ausdruck und der ausgedehnten Anlage ist sie ein Prüfstein für jeden Koloratursopran. Hier erklingt sie im Vorspiel in recht getragenem Tempo und verhalten in der Stimmung, aber Traubel kann diesen Eindruck sogleich im ersten Einsatz korrigieren und neben der souveränen Bewältigung der virtuosen Anforderungen ein plastisches Psychogramm von Konstanzes seelischer Situation auffächern.  Lediglich der Abstieg in die tiefe Lage wirkt matt und substanzlos.

Eigens „für Madame Hoffer“ schrieb Mozart 1789 die Konzertarie „Schon lacht der holde Frühling“ – sein erstes Werk für die Sängerin und gedacht als Einlagearie für Paisiellos Il barbiere di Siviglia. Zunächst ist das Stück von lieblichem Charakter, wechselt aber bald zur Bravour mit  anspruchsvollen Verzierungen. Mit „Da sitze ich und weine“ setzt ein klagender Mittelteil ein, bis ein Da capo zurückführt zum Beginn und der Virtuosität wieder gebührenden Platz einräumt.

Überraschend erklingt zum Schluss der CD ein Duett – das von Annio und Servilia, „Ah perdona“, aus La Clemenza di Tito. Nach dem Tode von Hofers erstem Mann 1796 hatte sie den Bassisten Friedrich Sebastian Mayer geheiratet, mit dem sie 1798/99 in konzertanten Aufführungen der opera seria als Servilia aufgetreten war. 1801 wechselte sie zum Annio und damit – nach dem Oberon – ihrer zweiten Hosenrolle. Diese singt hier die Mezzosopranistin Deniz Uzun mit sehr delikater Stimme, während Sarah Traubel als Servilia mit feinen Tönen aufwartet und perfekt mit der Partnerin harmoniert.

Jochen Rieder begleitet die Solistin mit dem PKF – Prague Philharmonia sehr einfühlsam, setzt aber auch eigene Akzente und trägt damit wesentlich bei zum Hörgenuss, den diese CD bietet. Sie besitzt natürlich auch einen hohen editorischen Wert und ist zudem opulent ausgestattet. Lediglich ein Bilddokument des historischen Vorbilds vermisst man. Dabei existiert eine Abbildung mit der Hofer und dem Tenor Benedikt Schack aus Schikaneders Singspiel Die beiden Antone. Bernd Hoppe

Claudio Nicolai

 

Am 11. Mai 2020 starb der Bariton Claudio Nicolai mit 91 Jahren, nicht nur an der Oper Köln eine kaum fortzudenken Säule jener Jahre. Am 7. März 2019 feierte Claudio Nicolai, einer der wichtigsten Sänger in der Geschichte der Oper Köln, seinen 90. Geburtstag. Zu diesem Anlass erschien auf der website der Oper Köln eine Hommage, die wir hier noch einmal zitieren wollen, mit Dank an die Kölner Oper.

»Kavaliersbariton« nennt sich im Opern-Fachjargon das Rollenfach, das er an der Oper Köln 25 Jahre lang als festes Ensemblemitglied formvollendet ausfüllte – und wer Claudio Nicolai auf der Bühne erlebt hat, wird sich niemals die Frage stellen müssen, was nun eigentlich genau ein »Kavaliersbariton« ist. Mit ihm, dem ausstrahlungskräftigen, dabei elegant und sensibel agierenden ›Womanizer‹-Typ, erklärte sich dieser Begriff von selbst.
Wie sein Kollege und Freund Carlos Feller verkörperte Claudio Nicolai an der Oper Köln eine ganze Epoche: Die Zahl der Abende, die er in seiner insgesamt 25-jährigen Zugehörigkeit zur Oper Köln gesungen hat, ist nicht nur beeindruckend, sondern aus heutiger Sicht schier unglaublich. Bei Sichtung aller noch verfügbarer Besetzungszettel der Jahre 1964 bis 1989 ergeben sich in seinem Fall mindestens 1066 Kölner Vorstellungen, bei insgesamt 52 verschiedenen Partien.
Doch war es selbstredend nicht die Anzahl seiner Auftritte, die diesen großen Opernsänger ausmachte, sondern seine Klasse – wobei sich die soziale »Klasse«, die er auf der Bühne zumeist vertrat, nämlich jene der Aristokraten, bei der Auflistung seiner Partien schnell ablesen lässt: Zu seinen Rollen in diesem Zusammenhang zählten Graf Almaviva (»Le nozze di Figaro«), Graf Danilo (»Die lustige Witwe«), Graf von Eberbach (»Der Wildschütz«), Fürst Jeletzky (»Pique Dame«), Graf Robinsone (»Il matrimonio segreto«), Marquis Posa (»Don Carlo«), Lord Kookburn (»Fra Diavolo«), Fürst Ottokar (»Der Freischütz«), Graf Homonay (»Der Zigeunerbaron«) und viele weitere adlige Köpfe. Natürlich ist auch sein Don Giovanni, den er nach eigener Aussage als »alten, einsamen Wolf« anlegte, in bleibender Erinnerung. Zu nennen sind außerdem der Tuchhändler Stolzius in der Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns »Die Soldaten« 1965, der Billy Budd unter Istvan Kertész, Henry Higgins in »My Fair Lady«, sicherlich auch sein Wolfram von Eschenbach in »Tannhäuser«, sein Eugen Onegin, Monteverdis Ulisse, der »Fledermaus«-Eisenstein oder – weit hinein ins dramatische Bassbariton-Revier – Mandryka in »Arabella« und Amfortas in »Parsifal«.
Die Noblesse ist seiner Persönlichkeit fest eingeschrieben, und selbst wenn er den Vogelfänger Papageno in der »Zauberflöte« gab – und der war in Köln seine meist gesungene Partie mit etwa 108 Abenden – war dieser kein unbeschwerter Naturbursche aus dem Reich der hemdsärmligen Publikumsranschmeißer, sondern eher ein nobler Melancholiker von hohen Bühnengnaden. Als gewandter Darsteller war Nicolai bei den Regisseuren sehr gefragt – auch bei Jean-Pierre Ponnelle, wenn es diesem auch nicht gelang, Claudio Nicolai im Rahmen der Neuinszenierung von »Le nozze di Figaro« im Mai 1975 (Musikalische Leitung: John Pritchard, mit Margaret Price, Lucia Popp, Stafford Dean, Carlos Feller, Maria Ewing) von seiner Überzeugung abzubringen, dass ein Graf Almaviva seine Gemahlin niemals ohrfeigen würde. Graf Almaviva als Schläger: Das war mit dem Pazifisten Nicolai nicht zu machen (!) – und, augenzwinkernd aus der Sicht der Opernfans formuliert: Wer hätte es – eingedenk der ›Walk of Fame‹-reifen Liste von Claudio Nicolais Kölner ›Gräfinnen‹ – schon mit seinem Gewissen vereinbaren können, hohe Damen wie Margaret Price, Elizabeth Harwood, Kiri Te Kanawa oder Anna Tomowa-Sintow derart ungebührlich anzugehen!
Geboren wurde er – unter seinem bürgerlichen Namen Claus Hennecke – am 7. März 1929 in Kiel. Dort war sein Vater seinerzeit bei der Marine und avancierte später zum Admiral. 1929 scheint ein goldener Jahrgang für das Bariton-Fach gewesen zu sein: Auch Wolfgang Anheisser und Hermann Prey sind in diesem Jahr geboren. Nach einem Theaterwissenschaftsstudium in Göttingen und der Gesangsausbildung in Essen und München, damals noch als Tenor, trat er zunächst, jeweils für zwei Jahre, Festengagements in Ulm und in Linz an der Donau an. Dann kam er ab 1959 für fünf Jahre als – mittlerweile – Bariton an das Staatstheater am Gärtnerplatz in München, von wo aus er mit dem neuen Intendanten der Bühnen Köln Arno Assmann zu Beginn der Spielzeit 1964.65 an das Kölner Opernhaus am Offenbachplatz wechselte.
Gerade mal 35 Jahre war er damals alt, und bis ins Jahr 1989 sollte seine aktive Verbindung mit diesem Haus andauern. Anlässlich seiner ersten Premiere an der Kölner Oper, »Così fan tutte« unter der musikalischen Leitung von Günter Wand, war im Kölner Stadt-Anzeiger am 22.9.1964 kurz und bündig zu lesen: »Über einen fundierten Bariton gebot der spielgewandte Claudio Nicolai als Guglielmo«. Knapp gewählte Worte für einen Beginn von opernhistorischer Tragweite. »Così fan tutte« markierte 1989 auch seinen Abschied, nun als Don Alfonso. Daneben absolvierte er Auftritte an den großen Bühnen der Welt – unter anderem als Graf Almaviva bei den Salzburger Festspielen unter Herbert von Karajan. Bis 1991 war er noch Professor an der Kölner Hochschule, danach erfolgte der endgültige Abschied von Köln und von Deutschland.
Heute residieren der Maestro und seine Ehefrau Carmen standesgemäß auf ihrem schönen Anwesen auf den Kanarischen Inseln, wo sie vor mittlerweile 30 Jahren ein gänzlich neues Lebenskapitel aufgeschlagen haben. Und so geht unser Gruß mit einem kräftigen »Glück auf!« in die Region der ewigen Sonne, nach La Palma. Wir gratulieren herzlich, wünschen alles erdenklich Gute und übermitteln der verehrten, geliebten Sänger-Eminenz zugleich unser ergebenstes Kompliment. Georg Kehren, Chefdramaturg der Oper Köln

Andrzej Saciuk

 

Wir hören, dass der polnische Sänger ( Bass ), Schauspieler, Regisseur und Lehrer Andrzej Saciuk (geboren am 10. April 1933 in Żytyn Wielki in Wolhynien)  am  am 12. Mai 2020 gestorben ist.

Andrzej Saciuk bildete seine Stimme in Polen (mit Stan Zawadzka ) und in Italien (mit Gino Bechi). Seit 1951 auf der Bühne. Verbunden mit Opernhäusern in Polen (Łódź, Bytom, Warschau und Posen) und Deutschland ( Düsseldorf ), wo nicht nur seine wundervolle Stimme, sondern auch sein Talent und seine guten schauspielerischen Fähigkeiten geschätzt wurden (er absolvierte das PWSTiF in Łódź).

Er begann seine internationale Karriere 1963 und gewann den 2. Platz beim ARD- Wettbewerb in München . Dank dessen sicherte er sich seine ersten Verträge und nahm dann an Auftritten, Konzerten und Festivals in Europa teil (Frankreich, Niederlande, Spanien, Deutschland, Polen, Ungarn, Finnland, Jugoslawien, Groß Großbritannien, Griechenland) und darüber hinaus (USA, Georgien, Israel, Japan, Taiwan). Neben einem sehr umfangreichen Opernrepertoire (ca. 100 Rollen) hatte er auch symphonische Werke (Mozart, Haydn, Dvořák, Szostakowicz, Verdi, Puccini, Mahler, Penderecki und Nowowiejski).

Die Bassparts in “ Straszny Dwór “ und “ Halka “ St. Moniuszko, die Rolle von Boris Godunov in der Oper von M. Mussorgsky, Mephisto in “ Faust “ von Gounod, König Philip in “ Don Carlos “ und Zachariah in “ Nabucco “ von Verdi und Wagner-Rollen. In Deutschland wurde er von der Deutschen Oper am Rhein als Kammersänger ausgezeichnet .

2009 nahm er an einer Aufführung teil, um den 55. Jahrestag der Oper von Łódź als einzige Besetzung vor 55 Jahren zu feiern. Er wurde vom Minister für Kultur und nationales Erbe mit der Medaille und dem Titel “ Verdienst für die polnische Kultur“ ausgezeichnet . 2011 beschloss er, sich von der Bühne zu verabschieden; mit dem polnischen Publikum am Grand Theatre in Łódź (11.01.2011) und mit dem deutschen Publikum an der Deutschen Oper am Rhein. Quelle Polnische Wikipedia/ Foto encyklopediateatru.pl

Zu ausschweifend?

 

Unterschiedliche Erwartungen weckt der schmale Band, der eine neue Reihe des Wolke-Verlags, der Musik in literarischen Werken gewidmet, eröffnet, wenn er einerseits mit dem Titel Ozeanisches Gefühl auf Fontanes Fragment „Oceane“  hinweist, zugleich mit dem Untertitel Theodor Fontane und Romain Rolland über Richard Wagner und Ludwig van Beethovendem Leser suggeriert, es ginge um das Verhältnis der beiden Schriftsteller zu zwei Komponisten und deren Werk. Zwar hatte Richard Wagner auch Meereserfahrungen und diese im Holländer verarbeitet, aber im Buch ist dann, wenn überhaupt vom Wasser, sowohl bei Fontane wie bei Rolland vom Rhein die Rede, einmal um drei Ecken herum, wenn der Kritiker Fontane über eine Aufführung von Rheingold berichtet, zum anderen über die Bedeutung des Rheins für Beethoven.

Der Anfang ist erst einmal vielversprechend, wenn sich der Autor Wolfgang Molkow an die Uraufführung von Detlev Glanerts „Oceane“, das Libretto fußend auf Fontane, in der Deutschen Oper Berlin erinnert und seine Beobachtungen vom ebenfalls dort anwesend gewesenen Leser geteilt werden können. Man selbst hatte sich ja wie er darüber gewundert, dass der realistische Fontane sich, und das nicht nur in Oceane, den geheimnisvoll romantischen Undine-Wesen zugewandt hatte. Jetzt erwartet man sich natürlich, dem angekündigten „Musik im Roman“ vertrauend, eine Analyse, inwiefern Musik in diesem Fragment und damit auch als Handlungsauslöser in der Oper eine Rolle spielt, wozu genügend Stoff vorhanden wäre, denn schließlich führen Musik und das sie entfesselnde Tanzen von Ocena dazu, dass diese die Gesellschaft brüskiert und aus ihr verstoßen wird. Zwar erwähnt der Verfasser noch drei andere Melusinen-Figuren in Fontanes Werk, stellt auch fest, dass nur die Frauen in ihm sich zur Musik hingezogen fühlen, sich von ihr verführen lassen, während die Männer kühle und kritische Beobachter bleiben. Es taucht auch die Frage auf, ob Fontane nur unter dem Einfluss der Weltliteratur diese Fragen aufgreift oder ob dies aus eigenem Antrieb geschieht. Leider verlässt der Autor allzu schnell (und das bei nur jeweils gut zwanzig Seiten zum jeweiligen Thema) seine selbst gewählte Aufgabe, die er im Untertitel definiert hat.  Stattdessen entschließt er sich zu einer universellen Schau auf das Verhältnis der Dichter zur Musik, verlässt aber leider über weite Strecken sein Thema, um sich auf Zitate von Philosophen zurückzuziehen. Und was soll der Schlenker zu der koketten Behauptung, die Erwähnung der Buddenbrooks bei Fontane, der drei Jahre vor deren Erscheinen des Buches bereits tot war, sei eine Art Leitmotiv. Richtig ist, dass Fontane im Unterschied zu Thomas Mann Wagner nicht verfallen war,  aber den Beweis dafür kann man nicht führen, wenn man den Dichter nur über den Text, nicht über die Musik urteilen lässt.

Wieder folgen kann man dem Autor bei seiner Mutmaßung, Fontane wäre wohl selbst erstaunt gewesen, wenn er von einer „Veroperung“ seiner zu einem „prosaischen Dasein“ verurteilten Heldinnen erfahren hätte, und er hat wohl auch Recht, wenn er das Bemühen um eine Vertonung von „Effi Briest“ für weniger erfolgreich hält als das der von Tragik umflorten, aber auch zur Tat bereiten „Grete Minde“.

Für die Ausführungen zu Rollands Roman Jean-Christophe gilt Ähnliches, hätte man auch hier weniger Zitate von Philosophen und Paraphrasenhaftes zugunten von sich dem engeren Thema widmenden Ausführungen zu schätzen gewusst (46 Seiten, Wolke-Verlag, 2019; ISBN  978-3-95593-307-4). Ingrid Wanja

Akustische Teilhabe

 

Pech für alle, die die Hilsdorf-Inszenierung von Wagners Ring an der Oper am Rhein Duisburg sehen wollten, Glück für die CD-Aufnahme zumindest des ersten Teils,  Das Rheingold, denn da die Sprinkleranlage des Opernhauses das Gebäude unter Wasser gesetzt hatte, mussten die Vorstellungen in die Mercatorhalle verlegt und aus szenischen mussten konzertante Aufführungen werden. Dadurch konnten sich die Sänger ausschließlich auf ihren Gesang konzentrieren, eine ausgewogene Balance zwischen Orchester und Solisten garantiert werden, und die Mercatorhalle scheint generell mit einer besonders guten Akustik gesegnet zu sein. Axel Kober, bayreuth- und speziell ring-erprobt, garantiert einen so durchsichtigen wie wirkungsvolle Spannungsbögen aufbauenden Orchesterklang, deckt die Sänger nie zu und weiß die Qualitäten der Duisburger Philharmoniker besonders in den Verwandlungen, so mit einem majestätisch-ruhigen Walhall-Motiv bestens zu präsentieren. Da zahlt sich nicht zuletzt die langjährige Vertrautheit mit dem Orchester aus.

Auch die Solisten machen fast alle ihre Sache sehr gut. Natürlich trifft das auf den Alberich von Jochen Schmeckenbecher zu, nur Ingvar Wixell als Scarpia dürfte so unverzichtbar in einer Partie gewesen sein wie er als Nibelung. Eine bis in die letzte Silbe hinein ideale Diktion auch bei schnellen Tempi, ein durch Mark und Bein gehender Fluch sind seine besonderen Qualitäten. Er ist genau so unverwechselbar wie seine beiden Bariton-Kollegen, denn auch der Wotan von James Rutherford ist mit noblem, leicht erotisch angehauchtem Timbre, siegreicher Höhe und vokaler Autorität ein vorzüglicher Vertreter seiner Partie. Gegenüber seinen beiden Kollegen fällt David Jerusalem als Donner mit holprig-dumpfem Beitrag erheblich ab.

Die beiden Tenöre Raymond Very (Loge) und Florian Simson (Mime) wissen durch des einen gleißnerisches Timbre, durch lyrische Qualitäten und des anderen jämmerlich quäkendes Charaktertenororgan ihre Rollen unverwechselbar zu machen. Nachdrücklich in der Belehrung Wotans zeigt sich der Fafner von Lukasz Konieczny in weitausgespannten Bögen, Thorsten Grümbel als Fasolt klingt anders, aber nicht weniger eindrucksvoll.

Die Damen sind durchweg angenehm, wobei die Fricka von Katarzyna Kuncio eher mädchen- als damenhaft klingt, sich etwas hoheitsvoller geben könnte. Sylvia Hamvasi setzt einen frischen, jugendlichen Sopran für die Freia ein und Ramona Zaharia hat für die mahnende Erda einen eindringlichen, schönen Fluss der Stimme, die man sich allerdings auch noch „erdiger“ vorstellen könnte. Fein aufeinander abgestimmt sind die Stimmfarben der Rheintöchter (Heidi Elisabeth Meier, Roswitha Christina Müller, Anna Harvey),  verführerisch und jugendlich alle drei. Naserümpfen oder Brauenhochziehen erübrigt sich also, denn ein nicht ganz großes Haus hat den Grundstein für einen großen Ring gelegt (CAvi 2 CD Q 8553504). Ingrid Wanja  

Ein Leben an der Met

 

An die berühmte Mezzosopranistin Rosalind Elias  (* 13. März 1930 in Lowell, Massachusetts; † 3. Mai 2020 in New York City, New York) und das nachstehende  Gespräch zwischen ihr und meinem Freund und Kollegen Thomas Voigt erinnere ich mich ganz genau. Im eleganten Hotel-Foyer nahe der Oper von Monte-Carlo, 2001 zwischen den Aufführungen zu Barbers Vanessa, hatten wir einen Mordsspass bei der Begegnung mit dieser lebensfreudigen, ausserordentlich humorvollen und typisch amerikanischen Sängerin. Weitgereist und dennoch eine nicht fortzudenkende Säule des New Yorker Met-Opernbetriebes plauderte sie – mit raumgreifenden Gesten und durchaus auch die Gold-geschmückte Hand über das Mikrophon haltend bei den weniger öffentlich gedachten Bemerkungern über manche Kollegen – über ihr Leben, die Kunst und über die realistischen Seiten des Sängerberufes.

Rosalind Elias: Künstlerfoto (als Carmen)/ Foto Herbert Barrett Management

Sie war damals immer noch eine flamboyante Person mit schönen rotbraunen Haaren und jener typisch-lässigen  American-Upper-Class-Garderobe, eine ganz beeindruckende elegante Frau, wie man sie im New York jener Jahre häufiger antraf, eben Met-Kaliber.

 

Es ist uns eine Freude, dass Thomas Voigt (operalounge.de-Lesern absolut kein Unbekannter und selber renommierter Opern-Fachjournalist) uns an dieser nunmehr historische Begegnung von 2001 noch einmal teilhaben lässt. Er hatte seine Eindrücke für die renommierte Zeitschrift Fono Forum niedergeschrieben, dessen Inhaber und Chefredakteur Rainer H. Nitschke wir ebenfalls für die sehr liebenswürdige Überlassung danken. Es wärmt mir das Herz, dass wir Kollegen im Dienste der Musik so zusammen halten. Nun also ein historisches Gespräch mit der jüngst verstorbenen Mezzospranistin Rosalind Elias, deren Einspielungen in keiner Opernsammlung fehlen.

 

Gibt es in der Geschichte der Metropolitan Opera einen ähnlichen Fall von Langlebigkeit? 1954 debütierte Rosalind Elias dort als eine der acht Walküren, und noch vor kurzem sang sie die Alte Priorin in Poulencs Dialogues. Thomas Voigt traf die Mezzosopranistin nach einer Vorstellung von Barbers Vanessa in Monte Carlo.

Rosalind Elias und Nicolai Gedda 1958 in der „Vanessa“-Uraufführung an der Met/ Photo: Courtesy of the Metropolitan Opera Archives

Mit Vanessa schließt sich ein Kreis: Bei der Uraufführung des Stücks, 1958 an der Met, sang Rosalind EIias die Partie der jungen Erika. 43 Jahre später, im Februar 200 l, ist sie in demselben Stück als Alte Baronin zu erleben. Viel zu singen hat sie in dieser Partie nicht, aber sie singt es mit erstaunlich voller Stimme. Und sie hat die Art von Bühnenpräsenz, die alle Blicke auf sieht zieht, ohne sich in Szene zu setzen. Sie kann zehn, zwanzig Minuten unbeweglich dastehen, ohne dass die Spannung einen Moment nachlässt. Wie sagte Anja Silja? Es ist ein großer Unterschied, ob man „rumsteht“ oder „dasteht“. Die Elias steht da, und das Standbild ihrer geheimnisvollen, still dominierenden Baronin kontrastiert mit zahlreichen Bildern der Erinnerung, Bilder einer fünfzigjährigen Laufbahn, eines Bühnenlebens, das sich hauptsächlich an der Metropolitan Opera New York abspielte.

 Es begann im Frühjahr 1954. Laut The New Grove Dictionary of Opera war Rosalind Elias zu diesem Zeitpunkt 25, hatte eine solide Ausbildung am New England Conservatory, vier Jahre Bühnenpraxis mit der New England Opera Company und zwei Studienjahre in Italien hinter sich. An der Met herrschte seit vier Spielzeiten Rudolf Bing, und bei ihm gaben sich die Stars die Klinke in die Hand: Björling, Milanov, Warren, Tucker, Peerce, de los Angeles, Barbieri, Siepi, London, Hotter, Welitsch, Steber, Varnay, Della Casa, Bastianini … in dieser Umgebung bewegte sich Rosalind Elias, als sie als Grimgerde in der Walküre debütierte und ihre Ochsentour begann. Kaum eine Solistin in der Geschichte der Met war so oft angesetzt wie sie in ihren beiden ersten Spielzeiten. Was sie rückblickend nur positiv sieht: „Es gab mir eine solide Basis, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich sehe mich heute noch, wie ich durchs Haus gehe, schwer bepackt mit Klavierauszügen von den Knien bis zum Kinn. Da kommt Fernando Corena vorbei und fragt entsetzt: ‚Rosalind, was willst du mit all den Noten?‘ – ‚Das sind meine Stücke für die nächste Saison!‘ Ich habe sehr viel gelernt in diesen Jahren. Außerdem hatte ich die Naivität, die Unschuld und die Nerven, die man braucht, um durchzukommen. Wenn man das bloß für immer behalten könnte!“

 

Rosalind Elias: als Meg Page in der Zeffirelli-Produktion des „Falstaff“ an der Met 1964, mit Gabriella Tucci, Regina Resnik und Anselmo Colzani/ Foto Melancon/ Met Opera Archive

Was Mezzosoprane betrifft, so dominierten an der Met in jenen Jahren dramatische Kaliber à la Barbieri. Das lyrische Fach war zu erobern, und so bekam die Elias nach den „Wurzen“ immer häufiger ordentliche Partien: Siebel, Olga, Cherubin, Dorabella, Rosina, Hänsel, Maddalena und Nancy in Martha. Von Rise Stevens übernahm sie Carmen und Octavian, und als Laura, Preziosilla, Azucena und Amneris machte sie schließlich auch den dramartischen Mezzos Konkurrenz. Wobei die Elias immer so vorsichtig war, ihr Potential nie ganz auszureizen. Hört man beispielsweise ihre Azucena in der Trovatore-Aufnahme mit Price und Tucker, so wird klar, dass sie nie versuchte, größer und dramatischer zu klingen, als ihre lyrisch fundierte Stimme es von Natur aus erlaubte. Sie blieb im Rahmen ihrer Mittel und ging auch nach großen Verdi-Partien immer wieder zurück zu Mozart. Vor diesem Hintergrund berichtet sie von einem Schlüsselerlebnis in ihrer Studienzeit: „Ich hatte gehört, dass Toscanini eine Aufführung von Verdis Ballo in maschera plante. Also besorgte ich mir die Noten und brachte sie zur nächsten Gesangsstunde mit. ‚Was soll denn das?‘ fragte meine Lehrerin. Und naiv, wie ich war, erzählte ich ihr, dass ich die Partie der Ulrica studieren wollte, um sie Toscanini vorzusingen. Da nahm sie den Auszug, warf ihn quer durchs Zimmer und meinte: ‚Vergiss es. Wir beginnen mit Mozart.’“

Rosalind Elias: „Werther“-Szenen mit Cesare Valetti unter René Leibowitz bei RCA – eine der schönsten Aufnamen meiner Sammlung/ G. H.

Dem italienischen Maestro ist sie nie begegnet, aber sonst hat sie mit nahezu allen großen Dirigenten ihrer Zeit gearbeitet. Lebhaft erinnert sie sich an ihr erstes Verdi-Requiem mit Bruno Walter. Und an die Aufnahme desselben Stücks mit Fritz Reiner (eine Produktion, die nach wie vor als Referenz-Aufnahme gelten kann). „Ich hatte große Angst vor Reiner, weil alle sagten, dass er ein Tyrann sei. Aber er war ganz lieb, es gab überhaupt keine Probleme. Seine Bewegungen waren auf ein absolutes Minimum reduziert, nur ganz kleine Bewegungen mit den Fingern, selbst bei den Fortissimo-Schlägen im Dies irae. Dann Björling mit „Ingemisco“ und Leontyne Price mit „Libera me“ – das sind Momente, die ich nie vergessen werde.

Rosalind Elias gehört zu den Sängern, die sich rückhaltlos für ihre Kolleginnen begeistern können. Sie schwärmt von der raumgreifenden Stimme der Rysanek und der Schönheit der Schwarzkopf („Wenn ich Fotos von Marlene Dietrich sehe, denke ich immer an die Schwarzkopf und umgekehrt“), von den Aufnahmen der Muzio („Die haben mich zu Tränen gerührt“) und der legendären magischen Piano-Phrase der Milanov als Gioconda („Ah, come t’amo“). Mit Milanov, di Stefano und Warren hat sie Ende der 50er Jahre in Rom La Gioconda und La forza del destino aufgenommen. Als Mozart-Sängerin ist sie neben Lisa Della Casa und George London in Leinsdorfs Figaro-Aufnahme dokumentiert sowie in einem Salzburger Mitschnitt von Così fan tutte mit ihrer Freundin Teresa Stratas (Despina) und ihrer Rosenkavalier-Partnerin Anneliese Rothenberger (Fiordiligi). Mit ihrem warmen, sinnlichen Mezzosopran und einer prägnanten, sinnerfüllten Diktion hat die Elias auch kleinere Partien in Plattenproduktionen deutlich aufgewertet. Dazu zählen die Mary im Holländer neben dem Idealpaar Rysanek/London, die Meg in Soltis erster Falstaff-Aufnahme, die Maddalena im Rigoletto unter Solti und die Suzuki neben der Butterfly von Leontyne Price. Der Met-Mitschnitt ihrer sensibel gestalteten Charlotte (neben dem allzu robusten Werther von Franco Corelli) ist leider seit Jahren vergriffen. Nach wie vor verfügbar ist gücklicherweise ein Klassiker des RCA-Katalogs: Berlioz‘ Roméo et Juliette, dirigiert von Charles Munch.

Rosalind Elias: als Contessa di Coigny in „Andrea Chénier“ an der Met 1966/ Foto Winnie Klotz/ Met Opera Archive

Eine besondere Trouvaille, die bislang nicht veröffentlicht wurde, kursiert seit Jahren auf Bändern in Sammler-Kreisen: Salome aus Cincinnati mit Malisa Galvany in der Titelrolle  und Rosalind Elias als Herodias. Da findet sich eines der extremsten Beispiele in der Geschichte der „Opern-Schreie“ (vgl. Fono Forum 1/01), nämlich bei der zentralen Phrase: „Er soll schwaaaaigen!“ Dieser lang gezogene, mit einem Röcheln endende Schrei klingt bei der Elias so grausig echt, dass man noch nachträglich um ihre Stimme bangt. Sie lacht und winkt ab: „Ich war nie heiser danach. Wer so lange singt wie ich, hat Stimmbänder aus Leder!“ Deshalb hatte sie auch keine Mühe mit dem hysterischen Lachen und den Todesschreien der Klytämnestra.

Zwei weitere Charakterpartien aus späteren Jahren sind glücklicherweise auf Video dokumentiert: die Hexe in Hänsel und Gretel (in einer Met-Aufführung mit Judith Blegen und Frederica von Stade) und die Türken-Baba in der exemplarischen, von David Hockney, ausgestatteten Glyndebourne-Produktion.

Was in der Galerie ihrer Rollen-Portraits (2001!/ G. H.) noch fehlt, ist die Gräfin in Pique Dame. Und Menottis Medium. Wenn sie über ihre Pläne spricht, hat man den Eindruck, dass sie offen für vieles ist, die Dinge eher auf sich zukommen lässt, statt sie zu beeinflussen. Und man spürt auch, dass sie zu der Spezies von Bühnentieren gehört, die ihre Batterien nicht in Ruhephasen aufladen, sondern bei der Arbeit im Theater.

Thomas Voigt, renommierter Gesprächspartner vieler Diven, Musikjournalist, Musikmanager und bekannter Autor /Foto: Facebook

Bei den Proben zur Neuproduktion der Vanessa in Monte Carlo wurden natürlich auch Erinnerungen an die Uraufführung wach. Die Titelpartie (bei Kiri Te Kanawa in Monte Carlo eher ein Vorwand für samtige Töne, gutes Aussehen und schicke Kostüme) war 1958 mit Eleanor Steber besetzt, Gedda sang den Anatol, Mitropoulos dirigierte, Menotti führte Regie. Auch wenn sich Rudolf Bing zu dieser ersten Uraufführung seiner Amtszeit in seinen Memoiren eher ironisch geäußert hat („Cocktailparty-Erfolg“) – für Rosalind Elias sind es Erinnerungen an eine große Zeit. Sie sieht sich die alten Fotos an, blickt dann auf und lacht: „Dabei schaue ich nur selten zurück. Teresa Stratas und ich haben uns immer vorgestellt, dass uns eines Tages ein paar Opernfans zusammen in der Hotelhalle sitzen sehen und sagen: ‚Schaut, die schwelgen jetzt in alten Zeiten!‘ Und in Wirklichkeit reden wir über Kochrezepte!“ Thomas Voigt

 

(Texterfassung Daniel Hauser; Dank nochmals an den Autor und Rainer H- Nitschke vom Foto Forum, wo 2001 der Artikel von Thomas Voigt erschien; Foto oben Rosalind Elias als Amneris an der Met/ Foto Louis Melancon/ Met Opera Archive mit Dank!).