Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Entdeckung

 

Eine interessante junge Sopranstimme stellt Naxos mit der  der aserbaidschanischen Sängerin Seljan Nasibli vor, die zwar in Baku geboren wurde, aber in England studiert hat und 2014  beim Schönberg Festival mit Nonos Donde estas hermano debütierte. In Rio de Janeiro sang sie die auch auf der CD vorliegende Shéhérazade, zu ihren Opernrollen gehören Violetta und Pamina, die sie in New York in der Carnegie Hall verkörperte.

Ihre CD nennt sich Femmes Fatales, wozu die unschuldige weiße Kirschblüte auf dem Cover wenig passen will, auch gehören Puccinis Liù und die Märchenerzählerin aus Tausend und eine Nacht kaum zu so übel beleumundeten Damen, eher schon Thais oder, wenn auch ohne eigene Schuld, die Leila aus Bizets Pêcheurs.

Gleich in fünf Sprachen, in Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch und Englisch stellt die junge Sängerin sich dem Publikum vor. Es beginnt mit der bereits erwähnten Shéhérazade von Ravel in deren „Asie“  sie den Hörer sofort mit einem interessanten Timbre in schillernden Farben überrascht, einem fremdländischen Flair und dem nicht gerade zarten Orchesterklang durchaus gewachsen. Auch für „La Flȗte enchantée“ hat sie zart flirrende Klänge. Ravels „L’Indifférent“ folgt Barbers „Andromache’s Farewell“, das zunächst einen fragileren Charakter erwarten lässt mit viel Präsenz auch im Piano, dann aber mehr Kraft erfordert, sichere Intervallsprünge und eine leichte Emission, was alles die Sängerin zu bieten hat.

Für die Leila Bizets stehen dem Sopran anmutig schwebende Töne zur Verfügung, die Stimme bleibt auch in der Höhe weich.

Drei Lieder aus den Songs einer Märchenprinzessin von Szymanowski folgen, von denen der einsame Mond sich mit silbrigem Klang manifestiert und die Nachtigall mit beachtlicher Virtuosität aufwartet.

Von strahlender Klarheit in den Spitzentönen profitiert die Hymne an die Sonne aus Rimski-Korsakows Oper Der goldene Hahn, weniger gefallen kann die Darbietung von Liùs beiden Arien, denen die Sängerin zu viel an Dramatik, zu wenig an feinen Piani zuteil werden lässt.

Weit mehr Hörgenuss vermittelt schließlich die Arie der Thais mit gleisnerischen  Klängen, wie sie einer femme fatale gut anstehen.

Das National Symphony Orchestra of Ukraine unter Yalchin Adigezalov passt sich den unterschiedlichen musikalischen Stilen gut an und begleitet zuverlässig (Naxos 8.579066). Ingrid Wanja

 

Die CD ist im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de erhältlich.

Überleben im Bunker

 

Auf Rollenblades kurven die Wachleute durch den Luftschutzraum. In einer Ecke flimmern die Bilder der Überwachungskameras, die andere Gebäudeteile und Gegenden zeigen oder den Machthabern als Sprachrohr dienen. Auf die Distanz wirken der futuristische Gefängnisbunker und mehr noch die teils apokalyptischen Bilder harmlos und verspielt wie aus einer Puppenstube. Die Verlegung aus dem glänzenden Raum des Teatro Regio auf den Bildschirm des Heimkinos verträgt dieser Nabucco, der live noch einen gewissen Impakt und Biss hatte, ganz und gar nicht. Im Teatro Regio waren die aufmarschierenden Garden mit ihren Maschinengewehren, die jetzt puppig verspielt wirken, und die Gestrandeten mit den Rettungswesten bedrohlicher, wirkte das Aussortieren der Menschen, denen eine Chance zum Überleben gegeben wird, verzweifelter. So nah die Kamera dem durchgehend auf hohem Niveau singenden Chor des Teatro Regio auf die Pelle und Kehle rückt und darstellerische Details in den Fokus rückt, so konzeptverliebt und konstruiert, letztlich sogar albern, zeigt sich die Nabucco-Inszenierung des Duos Stefano Ricci/Gianni Forte, die bei der Premiere noch Stürme der Entrüstung entfacht hatte. Davon, also von dem Geschrei und Toben, den Zwischenrufen und Kommentaren, dem kommunikativen Durcheinander, ist, Wunder der Technik, auf dem von 29. September 2019  stammenden Mitschnitt nichts zu merken (Bluray Dynamic.57867)Derart rangezoomt bleibt das in eine nahe Zukunft versetzte Geschehen um Terror und Überwachung, neue Götter und kulturelle Aneignung, die endzeitlichen Atomkriegs- und Angstszenarien um kaputte Städte und zerstörte Natur und den Raub von Denkmälern doch recht willkürlich zusammengebastelt. Fluch des kleinen Formats.

Blendet man die von Nicolay Bovey gebaute Bühne, das notdürftige Weihnachtsfest und den Versammlungsraum, die Menschen in Schutzanzügen und das stumme Spiel der Statisten aus, kann man sich auf die Sänger konzentrieren, auf Saioa Hernandez, die trotz einiger verzeihlicher Scharten, die der Premierenabend mit sich bringt, als Abigaille durch eine echte dramatische Stimme gefällt. Ihr Sopran klingt auf der Aufnahme in der Höhe etwas enger und spitzer, gleichwohl in der Mittellage üppig und schön, und die Cabaletta singt sie mit dramatischem Feuer und ausgeglichen gesammeltem Ton. In solchen Passagen erweist sich Francesco Ivan Ciampa vielfach als befeuernder Partner der Sänger. Die Bluray lohnt wegen Amartuvshin Enkhbat in seiner ersten Gesamtaufnahme. Ein herrlich schöner, mühelos produzierter, endlos strömender Bariton mit fester Linie, der Dramatik eher durch die Fülle des Materials als erzenen Kern vermittelt und als Nabucco wie ein Wüstensturm durch Babylon fegt. Die Leistung des jungen, 1986 geborenen und 2015, nachdem er bereits seit Jahren am Staatlichen Opernhaus seiner Heimat aufgetreten war, in Cardiff aisgezeichneten Mongolen ist auf stupende Weise ausgereift. Man kann nur staunen über diese Gesangskultur, in der sich Pianokunst, gewaltigen Bögen und wuchtige Steigerungen elegant verbinden. Michele Pertusi singt den Zaccaria, dessen Höhen ihm keine Mühe bereiten, mit Autorität und hinterlässt einen besseren Eindruck als im Theater. Annalisa Stroppa versucht sich mit Fenenas Arie Aufmerksamkeit zu verschaffen, dass Verdi dem Ismael keine gönnte, mag Ivan Magri mehr bedauern als der Zuschauer. Rolf Fath

Maßstäbliches aus der Wiener Staatsoper

 

„Das Unmögliche hat auch das Operntheater nicht möglich machen können“, berichtete Julius Korngold in der Neuen Freien Presse über einen Abend, der eine neue Ära der Wiener Oper einläuten sollte, die, nachdem sie im Oktober zeitweise wegen einer Grippeepidemie geschlossen war, sich Kaiser Karl von den Staatsgeschäften zurückgezogen und die Nationalversammlung das Land zur Republik erklärt hatte, am 4. Dezember 1918 von der „K. und K. Hofoper“ in einen schlichtes „Operntheater“ unbenannt worden war. Am letzten Abend der „Hofoper“ wurde „Salome“ gespielt, jenes Werk, um dessen Aufführung Mahler lange und vergebens gekämpft hatte. Sein Nachnachfolger Franz Schalk trat vier Tages nach des Kaisers Abdankung sein Amt an und brachte 1919 fünf Premieren heraus, worunter die Wiener Erstaufführung des von Pfitzner inszenierten Palestrina, vor allem aber am 10. Oktober 1919 Die Frau ohne Schatten, die einzige Uraufführung einer Strauss-Oper, am wichtigsten waren; mit der Verpflichtung von Mahlers Mitstreiter Alfred Roller als Ausstatter hatte man an die wehmütig verklärte Mahler-Ära angeknüpft. Die Frau ohne Schatten, bis heute nur rund 100mal im Haus am Ring aufgeführt, blieb ein Glanzstück des Wiener Repertoires und wurde 1955 bei der Wiedereröffnung der Staatsoper unter Karl Böhm (1977 mit Goltz, Rysanek, Höngen, Hopf und Weber bei Orfeo) gespielt, der das Werk im internationalen Repertoire verankerte (in Wien auch mit Nilsson, Rysanek, Hesse, King, Berry bei DG). Karajan führte die Frau ohne Schatten (1964 mit Ludwig, Rysanek, Hoffmann, Thomas, Berry bei DG) in Wien auf, das, zusammen mit München, bis heute das Frosch-Zentrum bildete. Münchner Aufführungen: unter Kempe (1954 bei Walhall), 1963 zur Wiederöffnung des Nationaltheaters unter Keilberth (mit Borkh, Bjoner, Mödl, Thomas, Fischer-Dieskau bei DG) oder Sawallisch (mit Nilsson, Bjoner, Varnay, Kind, Fischer-Dieskau bei Melodram).

Zum 150jährigen Bestehen der Wiener Staatsoper und als Vorfeier zum 100. Geburtstag der Frau ohne Schatten dirigierte Christian Thielemann am 25. Mai 2019 eine Neuinszenierung der Oper, die unter dem Chéreau-Assistenten Vincent Huguet derart glanzlos ausgefallen war, dass man dankbar sein will, nur das akustische Ereignis (3 CD Orfeo C991203) in Händen zu halten. Das freilich ist außerordentlich. Und offenbar vollständig (3. Akt!). Die Wiener Philharmoniker, genauer das Orchester der Wiener Staatsoper, überziehen die „Prüfungsoper für Primadonnen und Tenoristen“ (Julius Korngold) mit einem seidigen Streicherglanz von sinnlich-süßer Intensität, deuten an und aus, lassen kein sehrendes Flattern des Falken unbeachtet, sind verführerisch im Chor der Dienerinnen, erzielen  mit dem Gesang der Wächter am Ende des ersten Aktes „Ihr Gatten in den Häusern dieser Stadt“ eine magische Zartheit, die sich im dritten Akt wiederholt. Thielemann dirigiert das Märchen mit magistraler Souveränität, entfaltet einen großartig konzentrierten Klangrausch, ohne die Sänger zuzudecken, dabei fein und pianogenau koloriert, etwa in der zweiten Falknerhaus-Szene des Mittelaktes, anfangs etwas sehr breit, im zweiten Akt auch mit abgefederter Kraft, doch die Aufführung hat durchgehend erzählerischen Fluss und weitbögige Dichte, dass man dieser jugendstilhaften Schönheitstrunkenheit geradezu verfällt.

Die Besetzung ist gut, ohne bedeutende Vorbilder vergessen zu machen: Evelyn Herlitzius ist mal plärrend ordinär, mal großartig als Amme. Eine Tiefe hat sie nicht, auch nicht die geforderte Beweglichkeit, doch eine sängerische Intensität (“Der Tag ist da, der Menschentag“), wo sie der Amme eine Großartigkeit und ein bissiges Pathos gibt, die sicher noch überzeugender ausfallen, wenn man sie auf der Bühne sieht. Auf der CD klingt die Stimme denn doch zu ruiniert. Ein wenig anonym, doch von gläserner Akkuratesse in der Höhe und in den Koloraturen ist Camilla Nylund eine alles in allem ziemlich gute Kaiserin, die durch den Glanz ihrer Stimme immer wieder zu überraschen versteht. Nina Stemme verfügt bei ihrem Rollendebüt als Färberin über eine Wärme, die man bei der oft als zänkisches Weib angelegten Partie, die sie bereits im ersten Akt mit bewegenden Nuancen singt, nicht oft findet. Stemmes Sopran ist schön und ausdrucksvoll („Barak, ich hab‘ es nicht getan“), etwas kurz vielleicht, die Tiefe könnte voller sein, eine ideale Partie ist das bei aller Schönheit möglicherweise nicht für sie. Stephen Goulds Kaiser ist die Zuverlässigkeit in Person, Wolfgang Koch ist gut als Barak, oft auch ein wenig nölig und ohne die tiefe Menschlichkeit von solchen Zeilen wie „Mir anvertraut“ auszuloten. Gut besetzt die Brüder Baraks (Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green, Thoms Ebenstein).   Rolf Fath

Lob der Sponsoren, Information für Talente

 

„Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“, heißt es bereits in der Bibel (Matthäus 12.32), und ein an Begeisterung für die gute Sache übervolles Herz ist wohl auch verantwortlich für das Cover eines von Heide Schwarzweller, Leiterin des Projekts „Fanny Mendelssohn Förderpreis“ verantwortetes Buch, dessen Titel lautet: „Talent Ideen Leidenschaft Idealismus Kreativität Ehrgeiz Üben Erfolg“ und dazu „wegbereiter wegbegleiter“ und dazu auch noch „Realität, Strategien und Wege musikalischer Nachwuchsförderung“, welch letzterer Begriff missverständlich ist, denn der Nachwuchs wird ja nicht musikalisch gefördert, sondern der musikalische Nachwuchs erlebt Förderung.

Ob die Telekom oder die FDP Pate standen bei der Wahl von Magenta als Gestaltungsmittel und Augenschmaus, ist nicht ersichtlich, wohl aber, dass es in Deutschland zwar wenig Aussichten auf eine Karriere als Musiker gibt, da unter anderem zu viele ausgebildet und zudem noch von asiatischen Konkurrenten bedrängt werden, dass aber auf der Habenseite viele gute Geister stehen, die aus Liebe zur Musik oder zur Prestigesicherung junge Künstler fördern, wie es auch der Fanny Mendelssohn Förderpreis jedes Jahr und das seit 2014 mit 10000 Euro, u.a. eine CD-Einspielung ermöglichend, tut. Bei der Auswahl ist maßgebend, ob alternative Konzepte vorliegen, mit ihr will man neue Interpretationsansätze fördern.

Eine Handvoll von Interviewern, besonders fleißig Martin Hoffmeister, hat Paten und ihre Patenkindern, Intendanten, Stiftungen und Mäzene sowie Vertreter von Unternehmen danach befragt, welche Maßstäbe sie bei der Förderung anlegen, welche Ratschläge sie jungen Musikern geben können, wie sie die Situation der klassischen Musik in Deutschland einschätzen. Oft werden umfang- und inhaltsreiche Statements abgegeben, manchmal liest man Rührendes, so die Aussage eines der Preisträger, die Gebete seiner Oma seien für ihn das beste Mittel gegen Lampenfieber.

Zu den prominenten Paten gehören Julia Fischer, Daniel Hope oder Kerstin Meyer, auch Reiner Wehle mit der drastischen Aussage, er würde seinen Kindern verbieten, Musiker zu werden.

Die Intendanten sind u.a. vertreten mit Markus Fein (Festspiele Mecklenburg-Vorpommern), Michael Herrmann (Rheingau Festival) oder Dieter Rexroth aus Berlin, der nicht nur schöne, sondern auch sehr kritische Worte über das Verhalten einiger Agenten beisteuert. So bietet das Buch nicht nur verdienstvolle Hinweise an junge Musiker darauf, wo sie sich Unterstützung holen können, wie sie Netzwerke bilden können, sondern spricht auch Warnungen aus.

Zum Stichwort „Stiftungen und Mäzene“ gehören Regina Back  (Stiftungsmanagement), Jürgen Ernst (Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung) oder Sven Nykamp (Bankhaus Bär) und Arend Oetker, und es verwundert nicht, dass diese Gruppe junge Musiker auch darauf hinweisen will, wie wichtig es ist, sich richtig zu vermarkten, wobei sie Hilfestellung geben wollen.

Exemplarisch für die Unternehmen als Sponsoren sei Bayer erwähnt, das bereits seit 1907 eine Kulturabteilung hat, aus eigennützigem Grund entstanden, als das Unternehmen in das damals noch kulturell unterbelichtete Leverkusen umsiedelte. Im Interview werden interessante Vergleiche zwischen der Kulturförderung in Deutschland und in den USA angestellt. Kein Sponsor sein will Thomas Girst von BMW, sondern eine Corporate Citizenship anstreben.

Die Interviewten kommen nicht nur ausführlich zu Wort, sondern können sich auch über jeweils zwei Fotos, ein Porträt und ein weiteres Foto aus dem Umfeld, freuen. Sehr wertvoll ist der Anhang mit einer reichhaltigen Link- und Ratgebersammlung. Dazu bietet sich die Herausgeberin zur Beantwortung von Fragen zur Förderung mit einem besonderen Link an.

So erfüllt das Buch gleichermaßen den Zweck, verdienstvolle Förderer zu feien wie Förderungsbedürftige mit wertvollen Informationen zu versehen (Ellert & Richter Verlag 2020; ISBN 978 3 8319 0766 3; Abb. Fanny Hensel, Ölgemälde von Moritz Daniel Oppenheim aus dem Jahr 1842; Wikipedia). Ingrid Wanja       

Regionales

 

Bereits Sorgen um die Auswirkungen der vielen von bedeutendsten Opernhäusern angebotenen Streaming-Möglichkeiten machen sich Opernfreunde, die befürchten, der Geschmack des Publikums könnte sich derart verfeinern, dass Stadttheater nach überstandener Corona-Krise ihr Publikum verloren haben werden. Welche Chancen können sich dann Aufnahmen aus kleineren Bühnen für ihre CDs oder DVDs ausrechnen, müssen sie sich doch erst recht mit erstklassigen Interpretationen messen.

Die Oper Graz stellt sich dem Vergleich mit exzellenten Aufnahmen mit einer Produktion aus den Jahren 2018 und 2019, d.h. Auszüge aus vier Vorstellungen sind auf den zwei CDs mit den ewigen Opernzwillingen Cavalleria Rusticana und Pagliacci miteinander vereint. Damit ist zwar vermieden worden, dass Patzer in die Aufnahmen eingehen, aber auch der Vorteil gegenüber einer Studio-Produktion aufgegeben worden, eine wirkliche Live-Vorstellung zu erleben.

Es beginnt traditionsgemäß mit der Cavalleria, bei der die Grazer Philharmoniker unter ihrer Chefdirigentin Oksana Lyniv sich in der Sinfonia recht unausgeglichen zeigen, schwankend zwischen gehetzt und schwammig, aber zunehmend ausgeglichen musizieren und im Interludio die Stimmung des Werks eindrucksvoll vermitteln können. Vorzüglich ist hier wie auch in den folgenden Pagliacci der Chor der Oper Graz unter Bernhard Schneider.

Die beiden männlichen Hauptrollen werden jeweils von ein und demselben Sänger interpretiert, was in Bezug auf den Alfio/Tonio kein Problem darstellt, da der norwegische Bariton Audun Iversen das notwendige vokale Durchsetzungsvermögen besitzt und seine Stimme angemessenes Metall aufbringen kann. Sehr veristisch fasst er den Prolog in Pagliacci auf, wo man eine einheitlichere musikalische Linie vermisst, wo die Fermaten, so auf „Ricominciate“,  geradezu ausufern.  Kritischer wird es mit Aldo Di Toro als Turiddu, dessen Tenor für diese Partie zu hart klingt, zwar die begehrte lacrima nella voce, aber leider abgleitend ins Lamoryante hat, der im „Addio alla mamma“ mehr Kraft als vokalen Schmelz einsetzt. Viel besser steht es danach mit dem Canio, dem das baritonale Fundament der Stimme gut ansteht. Hier wünscht man dem Sänger allerdings eine bessere Einteilung, was Emotionen und Kraft betrifft, wenn er bereits in der ersten Arie alles gibt, so dass eine Steigerung für „Vesti la giubba“ trotz singhiozzi und colpi di glottide kaum mehr möglich ist. Für den Silvio ist der Bariton von Neven Crnić  zu dumpf, auch wenn er sich musiklisch gibt, als Beppo kann sich Martin Fournier nicht entscheiden,  ob er mehr zum lyrischen oder Charaktertenor neigt.

Mit schönem, ebenmäßigem Mezzosopran singt Ezgi Kutlu die Santuzza, einem feinen Piano für „Signor“, ohne Schärfen und mit einer schönen Trauer im Bekenntnis gegenüber Alfio.  Weich und erotisch klingt di Stimme von Mareike Jankowski, die die Lola mit kokettem „Io me ne vado“ singt. Und als Mamma Lucia begegnet man noch einmal Cheryl Studer.  Eine schöne, aber für die Nedda nicht die richtige Stimme hat Aurelia Florian, die dem Vogellied entwachsen ist, aber im Duett mit Silvio punkten kann (Oehms Classics 987/ 2CDs). Ingrid Wanja

Mit und ohne Orchester

 

Das Label Tactus hat zwei Zeitgenossen zusammengebracht, die nicht gerade durch Liedkompositionen bekannt geworden sind, Vincenzo Bellini (1801-1835) und Frédéric Chopin (1810-1849). Es erklingen insgesamt sieben Lieder von Bellini sowie je vier Lieder und Klavierkompositionen von Chopin, die Sillvia Martinelli und der Pianist Andrea Trovato interpretieren. Klarstimmig versieht die Sopranistin die Lieder von Bellini mit angemessener Schlichtheit, dabei die kleine Ariette Mi rendi pur contento und die leidenschaftliche, im Pianissimo ausklingende Klage Per pietà, bell‘ idol mio. Ganz konsequent ist man dann auch nicht, indem die Arie der Nelly Dopo l’oscuro nembo aus Adelson e Salvini und die stimmakrobatische Polonaise aus I Puritani dabei sind, die die italienische Sängerin mit schönem Legato versieht. Die Lieder von Chopin sind erst posthum als Opus 74 erschienen; sie haben meist volksliedhaft-kantablen Charakter, der von den Künstlern gut getroffen wird. Dezent unterstützt der Pianist die Sängerin bei den Liedern und zeigt bei den auf der CD breiten Raum einnehmenden Klavierstücken von Chopin die nötige Virtuosität, dabei das liedhafte Nocturne F-Dur op.15 Nr.1, das Scherzo b-Moll op.31 und in Verbindung zu Bellini das Largo aus den 6 Grandes Variations de Bravure sur la Marche des Puritans de Bellini (TACTUS  TC 800004).

 

Die 1959 uraufgeführte Tragédie lyrique La voix humaine  von Francis Poulenc vermag auf der Bühne zu fesseln, wenn die Interpretin der verlassenen, tief enttäuschten Frau über genügende Ausdruckskraft verfügt. Problematisch ist das ergreifende Stück, wenn es „nur“ auf CD zu hören ist und vor allem auch die Orchesterfarben fehlen. Dennoch kann man die bei BRILLIANT CLASSICS erschienene CD durchaus empfehlen. Denn die Sopranistin Daniela Mazzucato erzielt mit bester Diktion und ungemein differenzierter Stimmführung durch alle Lagen von den ruhigen Phasen über die dramatischen Ausbrüche bis zum tragischen Ende eine starke Wirkung. Am Klavier ist Marco Scolostro ein sicherer Partner, der auch eigene Akzente setzt. Der Einakter ist verbunden mit dem Melodrama L’Histoire de Babar, das nach Poulencs Erinnerungen im Sommer 1940 während eines Familienurlaubs entstand, als die von seinem Klavierspiel gelangweilten Kinder ihm die Geschichte von Babar, dem kleinen Elefanten, vorlegten, die er „spielen“ sollte. So improvisierte er zu den einzelnen Szenen eine Folge pianistischer Bilder, wie u.a. die von Babars Mutter gesungene Berceuse, einen Valse, den mit pompösen Akkorden versehenen Hochzeitsmarsch, die am Hochzeitsabend getanzte Polka und ein träumerisches Nocturne. Um die von Max René Cosotti prägnant gesprochenen Texte herum bringt Marco Scolostro die unterschiedlichen, eingängigen Improvisationen souverän zum Erklingen (BRILLIANT CLASSICS 960302).

 

Das Berliner Noga Quartet hat beim Label AvI zwei Streichquartette von Reynaldo Hahn und Claude Debussy sowie gemeinsam mit Siobhan Stagg Debussys Ariettes Oubliées in einem Arrangement für Sopran und Streichquartett des Cellisten des Quartetts Joan Bachs eingespielt. Die Lieder sind Vertonungen von Gedichten Paul Verlaines, der Naturstimmungen beschrieben hat, von denen die meisten von wehmütigem Charakter ohne leidenschaftliche Ausbrüche sind. Die australische Sopranistin, derzeit im Ensemble der Berliner Deutschen Oper, trifft mit durchweg sauberer Stimmführung und angenehmer Klarheit die jeweiligen Stimmungen mit typisch impressionistischem Flair, zu dem auch der flirrende Streicherklang auf Feinste beiträgt. Das in Melancholie ausklingende, anfangs groteske Jahrmarktslied Chevaux de bois erfährt ebenfalls gemeinsam mit den dezent mitgestaltenden Streichern eine überzeugende Interpretation. Das einzige Streichquartett Debussys, mit dem der Komponist 1893 seinen eigenen Stil gefunden hat, wird vom Noga Quartet mit perfektem Zusammenspiel und vielschichtiger Ausdruckskraft ausgedeutet, so dass ein luxuriöser, kunstvoll gemusterter Teppich von wundersamer Farbigkeit (Paul Dukas) entsteht. Dass die drei französischen und der israelische Musiker einen spürbar guten Zugang zu diesem Quartett haben, mag auch daran liegen, dass es das erste Stück ist, dass sie sich nach ihrer Gründung 2009 erarbeitet haben, wie sich aus dem klugen, selbst verfassten Beiheft ergibt. Über vierzig Jahre nach Debussys Quartett entstanden die beiden Streichquartette von Reynaldo Hahn, die äußerst selten zu hören sind. In seinem spätromantischen Duktus mit durchaus modernem Zugriff ist das Kennenlernen des 2. Quartetts in F-Dur sehr lohnend, wie überhaupt die CD mit ihrer gelungenen Werk-Zusammenführung Kammermusikfreunden sehr zu empfehlen ist (AvI LC 15080).

 

In den einschlägigen Nachschlagewerken wird Jean Cras (1879-1932) als französischer Komponist und Konteradmiral bezeichnet. Er hatte es geschafft, seine Leidenschaft für das Meer und die Musik ein Leben lang miteinander zu vereinen. Die steile Karriere als Marineoffizier hinderte ihn nicht daran, die Oper Polyphème, Bühnenmusiken, Konzerte sowie eine beträchtliche Zahl von Kammermusikwerken und Stücken für Singstimme zu komponieren. Dabei war er darauf bedacht, freie Melodien mit einer gewissen Strenge zu verbinden und Klänge aus der bretonischen Heimat, aber auch aus fernen Ländern einfließen zu lassen. Das Stück La Flute de Pan ist für die ungewöhnliche Besetzung mit siebentöniger Panflöte, Singstimme und drei Streicher komponiert. Die belgische Sopranistin Sophie Karthäuser, der Panflötist Matthijs Koene und Mitglieder des belgischen Kammermusikensembles Oxalys interpretieren das interessante Werk mit allerlei orientalischen Anklängen. Außerdem enthält die CD ein Klavierquintett und ein Quintett mit der aparten Besetzung für Harfe, Flöte, Violine, Viola und Cello. Beide Werke erfahren in dem ausgezeichneten Ensemble Oxalys gemeinsam mit dem Pianisten Jean-Claude Vanden Eynden eine jeweils ansprechende Wiedergabe – noch eine CD, die es ermöglicht, weithin sehr selten zu hörende Werke eines zumindest hierzulande kaum bekannten Komponisten kennenzulernen (passacaille PAS 1067). Gerhard Eckels

 

Und noch einmal Jacques Offenbach – und wie! Der deutsche Komponist versuchte bekanntlich, Anfang der 1840er-Jahre in Paris Fuß zu fassen und befasste sich sogleich mit den berühmten Fabeln von Jean de la Fontaine. Diese in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandenen allegorischen Texte mit sprechenden Tieren spielten auf den Hof und die Sitten der Zeit an. Offenbachs Vertonung von sechs Fabeln für Mezzosopran und Klavier machten 1842 in den Pariser Salons schnell die Runde; auch die Konzertpodien erreichten sie. Stilistisch weisen die Vertonungen auf die Arien aus Offenbachs späteren Operetten hin. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass der belgische Dirigent und Komponist Jean-Pierre Haeck die Fabeln mit orchestralen Farben versehen hat und damit Offenbachs Stil aufs Beste trifft. Die Fabeln hat ALPHA als Welt-Ersteinspielung mit Karine Deshayes und dem Orchestre de l’Opéra de Rouen Normandie unter Haecks Leitung herausgebracht. Das unterhaltsame Programm der CD  wird durch die Ouvertüren und je einem  Couplet aus Boule de Neige und Les Bavards sowie weiteren Ouvertüren (Les deux Aveugles, Madame Favart, Monsieur Choufleur) und der Schüler Polka angereichert. Die französische Mezzosopranistin mit dem wunderbar vollen Timbre beweist ihre Vielseitigkeit mit den textgenauen Interpretationen der Fabeln, wobei erneut die jeweils sichere, ausgeglichene Stimmführung durch alle Lagen bis hinauf in Sopran-Höhen imponiert. Jean-Pierre Haeck sorgt mit dem souverän geführten Orchester dafür, dass Drive und Witz der Musik spritzig serviert werden (ALPHA 563).

 

Jetzt ein abrupter Stilwechsel: Das Label NoMadMusic hat Orchester-Lieder von Gustav Mahler herausgebracht, die Markus Werba und das Orchestre nationale d‘Île-de-France unter Enrique Mazzola interpretieren. Der italienische Dirigent, eigentlich Spezialist für Belkanto-Opern und das französische Repertoire, war von  2012 bis 2019 Chefdirigent des Pariser Orchesters, das einen süffigen Streicherklang entwickelt und in den vielen Instrumentalsoli guten Eindruck macht. Die Lieder eines fahrenden Gesellen erleben eine kontrastreiche Wiedergabe, indem der österreichische Bariton mit seiner in allen Lagen abgerundeten Stimme die starken Emotionen mit zarten Piani auskostet und im Gegensatz dazu die zum Teil hochdramatischen Passagen mit Leidenschaft erfüllt. Das gilt im gleichen Maße für die sechs Lieder aus Des Knaben Wunderhorn; die sehr unterschiedlichen Stimmungen vom volkstümlichen Rheinlegendchen über die witzigen Des Antonius von Padua Fischpredigt und Lob des hohen Verstands sowie das tiefgründige Urlicht (mit dem erforderlichen langen Atem), bis zu den todtraurigen und schaurigen Kriegsliedern Revelge und Tambourg’sell gibt er jeweils stark differenzierend und treffend wieder. Die CD enthält außerdem Vier Orchesterstücke von Anton Bruckner, früh entstandene kurze Werke, bei denen der Einfluss von Mendelssohn, Schubert oder Schumann überdeutlich ist. Bruckner hat diese Stücke verworfen, wohl weil sie eher untypisch für seine spätere tiefgehende Orchester-Behandlung sind; deshalb wollen sie auch nicht so recht zu den Mahler-Liedern passen (NoMadMusic NMM061). Gerhard Eckels

Prometheus-Mythos en español

 

Das Label ALPHA-CLASSICS wartet immer wieder mit überraschenden  Raritäten auf – jetzt bringt es auf zwei CDs die Oper El Prometeo des 1635 in Rimini geborenen und 1700 in Wien gestorbenen Komponisten Antonio Draghi heraus (ALPHA 582). Als Hofkomponist der Habsburger schrieb er über 160 Werke verschiedener Gattungen. Für seine Vertonung des Prometheus-Mythos nutzte er die 1669 in Madrid uraufgeführte Komödie La estatua de Prometeo von Calderón – verfasste die Oper zunächst in italienischer Sprache; erst danach wurde sie ins Spanische übersetzt. In dieser Fassung wurde das Stück am 22. 12. 1669 anlässlich des Geburtstages der spanischen Königin uraufgeführt.

Dem schweizerisch-argentinischen Dirigenten Leonardo García Alarcón verdankt die Musikwelt die Wiederentdeckung schon vieler vergessener Werke des Barock, die er dann bei diversen Festivals (Aix-en-Provence, Paris, Nancy, Berlin) zur Aufführung brachte. So auch Draghis Oper, die er 2018 an der Opéra de Dijon einstudierte und danach im Auditorium des Opernhauses aufnahm. Dafür musste er den fehlenden 3. Akt ergänzen. In seiner Komposition bezog er sich auf die musikalische Sprache Draghis in den ersten beiden Akten, aber auch auf Meister der Geschichte der Wiener Oper (Cesti und Caldara bis hin zu Mozart) sowie Monteverdi. Dessen Stil des recitar cantando übersetzte er in eine iberische Variante. Schon die Ouverture, in welcher Kastagnetten ertönen, bringt spanisches Kolorit ein und stimmt ein auf eine lebhafte, temperamentvolle Musik. Die Hoffnung auf eine solche trügt allerdings, denn den Hörer erwarten viele Dialoge in rezitativischem Sprechgesang und diverse Klagegesänge. Dazwischen sind Ritornelle gesetzt, Chöre oder Ballette beschließen die drei Akte.

2005 gründete Alarcón die Cappella Mediterranea, die sich anfangs auf die Musik des Mittelmeerraumes konzentrierte, das Repertoire später auf Madrigale und Opern erweiterte. Bekannt wurde das Ensemble vor allem durch die Wiederbelebung vergessener oder wiederentdeckter Werke und deren Aufführung in Opernhäusern und bei Festivals. Auch der mitwirkende Choeur de Chambre de Namur, 1987 gegründet, ist spezialisiert auf dieses Genre und arbeitet regelmäßig mit renommierten Dirigenten der Alten Musik zusammen. 2010 übernahm Leonardo García Alarcón die künstlerische Leitung des Chores.

Nach der kurzen, aber stürmischen Ouverture, welche das aufgewühlte Meer suggeriert, beginnt das Geschehen mit der Lobpreisung der Göttin Tetis (Mariana Flores mit hellem, schlankem Sopran), die auf einer riesigen Muschel erscheint, durch Prometeo und seinen Rivalen Pelèo. Fabio Trümpy singt den Titelhelden mit kultiviertem lyrischem Tenor, kann aber auch die später folgenden Lamenti mit stärkster Expressivität formulieren. Scott Conner kontrastiert mit resonantem, voluminösem Bass. Prometeo wird von der Nymphe Nisèa begehrt (Giuseppina Bridelli mit einem Mezzo von bohrender Intensität), hat sich jedoch in Tetis verliebt, die ihrerseits Pelèo favorisiert. Auch Jupiter (Alejandro Meerapfel mit nachdrücklichem Bariton) verliebt sich in Tetis – die Nachricht überbringt ihr Nerèo (Victor Torrès mit dunklem, klangvollem Bariton). Bei einer Weigerung würde sie tausend Tode sterben. Verzweifelt schenkt Prometeo seine Liebe nun einer von ihm selbst geschaffenen Statue. Von Pandòra (Anna Reinhold mir farbigem Mezzo) erführt Jupiter vom Zorn seiner Gattin Juno, so dass er seine Heiratspläne aufgeben muss.

Im 2. Akt begibt sich Prometeo in Begleitung seines treuen Satyro (mit buffonesker Klangrede, aber zuweilen auch lärmend der Bariton Borja Quiza) auf die Suche nach dem Feuer. Es gelingt ihm, der Sonne eine Flamme zu rauben und damit seine Statue zum Leben zu erwecken. Der erzürnte Jupiter fordert Pandòra auf, Rache zu nehmen. Von Mercurio (der Tenor Zachary Wilder mit buffoneskem Tonfall) verlangt er, Prometeo an einen Felsen des Kaukasus anzuketten. Dessen Statue ist zerstört, was ihn einen jammernden Klagegesang anstimmen lässt. Ein Chor trauernder Sterblicher beschließt den Akt.

Im letzten wird Aragne/Ariadne (Lucía Martín-Cartón mit munterem Sopran), die Minerva (Ana Quintans mit larmoyantem Sopran) im Wettstreit um die schönste Webarbeit besiegt hat, wegen Götterbeleidigung in eine monströse Spinne verwandelt. Noch spektakulärer ist die folgende Szene, in welcher sich ein Geier auf Prometeo stürzt und an dessen Leber hackt. Doch die Oper endet versöhnlich, dem Anlass des Geburtstages einer Königin angemessen. In seiner Großmut vergibt Jupiter Prometeo und lässt ihn durch seinen Sohn Hercules (Kamil Ben Hsaïn Lachiri mit kraftvollem Bariton) befreien. Zudem verzichtet er zugunsten von Pelèo auf seinen Anspruch auf Tetis, während Nisèa die Liebe von Prometeo gewinnt. Beide stimmen nach dem feierlichen Chor „O Suma Deidad“ mit „Que gloria“ einen innigen Gesang an, der das Werk überraschend verhalten beendet. Bernd Hoppe

 

Silvano Carroli

 

Wenige Tage nach der traurigen Nachricht vom Tode des Basses Lugi Roni erreicht die Opernwelt eine weitere Hiobsbotschaft, ebenfalls aus der Puccini-Stadt Lucca in der Toscana: Am 4. April  2020 verstarb der Bariton Silvano Carroli im Alter von 81 Jahren, wohl nicht wie sein Kollege an den Folgen einer Infektion mit dem Corona-Virus, sondern in seinem Haus an Herzversagen.

Mit seinem dunkel getönten, machtvollen und homogenen Bariton, der sich durchaus auch ab und zu Basspartien stellen konnte, verkörperte er besonders eindrucksvoll die Bösewichte wie Scarpia oder Jack Rance, den er noch 2008 in Rom und in London unter dem Dirigat von Antonio Pappano sang. Einer seiner bedeutendsten Scarpias war der von 2008 beim Maggio Fiorentino in der Regie der Tosca von Jonathan Miller.

Am 22.2. 1939 wurde Silvano Carroli in Venedig geboren, wo er bereits als Junge im Chor der Basilika von San Marco sang. Gesang studierte er bei Marcello Del Monaco, später bei Mario Del Monaco und debütierte am Teatro La Fenice mit dem Marcello in La Bohéme, einer Zeffirelli-Produktion, an seiner Seite Mirella Freni als Mimì und Giacomo Aragall als Rodolfo.

Neben vielen Puccini-Rollen verkörperte er ab seinem Debüt im Jahre 1963 auch viele Partien Verdis, so Ezio, Jago, Monfort, Simon Boccanegra, Nabucco oder Macbeth.

Eine so kraftvolle Stimme wie die seine war natürlich auch häufig in der Arena di Verona und auf anderen Freilichtbühnen zu hören, und die Teilnahme an Scala-Eröffnungsvorstellungen eine Selbstverständlichkeit.

In den letzten zwanzig Jahren wirkte er in Lucca an der Scuola per tenori della Fondazione Del Monaco als Lehrer. Sein Name ist im Albo d’Oro in London verewigt. Silvano Carroli hinterlässt seine Ehefrau Luisa und zwei erwachsene Söhne (Foto israel-opera.co.il) . I.W

Luigi Roni

 

Auch vor Prominenten macht das besonders in Italien schrecklich wütende Corona-Virus nicht halt. So starb am 28. März 2020 der italienische Bass Luigi Roni im Alter von 78 Jahren im Krankenhaus San Luca in der toskanischen Stadt Lucca. Besonders tragisch ist, dass er sich wahrscheinlich bei der Beerdigung seiner Ehefrau Yulija angesteckt hat und ihr nach einer Woche vergeblicher ärztlicher Behandlung in den Tod folgte.

Luigi Roni wurde 1942 in Calomini di Vergemoli im Valle del Serchio geboren und kehrte nach der Beendigung seiner Karriere in sein toskanisches Heimatdorf zurück, dem er das Musikfestival Serchio delle Muse geschenkt hatte, denn seiner Meinung nach galt auch für die ländliche Bevölkerung:“ Non si può andare avanti solo con pane e salsiccia“.

Nach dem Gewinn des Concorso „Belli“ in Spoleto debütierte der Bass wie so viele seiner Kollegen in der Festival-Stadt und zwar als Mephisto in Gounods „Faust“. 1968 kam es zu seinem Scala-Debüt unter Claudio Abbado als Tiresia in Strawinskis „Oedipus Rex“. Vierzig Jahre lang blieb er dem Mailänder Opernhaus treu, sang zuletzt unter Riccardo Chailly den Talpa in Puccinis „Il Tabarro“. Er war zunächst vor allem Verdi-Sänger, so Banco unter Bartoletti und Muti, später dann sang er häufig im seiner Heimat nahe liegenden Torre del Lago Puccini. Besonders bemerkenswert war sein Mitwirken am „Guglielmo Tell“ von Muti in den Jahren 1972 und 1977. Noch vor knapp einem Jahr sang er in Genua den Simone in Puccinis „Gianni Schicchi“.

Seine Karriere war auch eine internationale, der Met blieb er bis 2016 treu.  Seine Karriere führte ihn  an alle anderen bedeutenden Opernhäuser der Welt, auch In Berlin sang er an der Deutschen Oper. I. W.

Französisch-ungarische Gemeinschaftsarbeit

 

Die beachtliche Serie seiner Einspielungen von französischen Barockopern erweitert das Label GLOSSA um die Tragédie Jephté von Michel Pignolet de Montéclair (1667 – 1737), welche 1732 an der Pariser Académie royale de musique uraufgeführt wurde (GCD 924008).

Bei der im März 2019 in Budapest eingespielten Aufnahme handelt es sich um eine schon mehrfach (so bei manchen Einspielungen des Palazzetto Bru Zane) praktizierte Koproduktion zwischen Müpa Budapest, dem Centre de musique baroque de Versailles und der Orfeo Music Foundation. Das Orfeo Orchestra und der Purcell Choir werden geleitet von György Vashegyi, der sich für die dritte Fassung der Oper (von 1737) entschieden hat, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde.

Dass eine biblische Geschichte auf der Opernbühne aufgeführt wurde, stieß auf die Kritik namhafter Zeitgenossen (so Voltaire), doch fand das Stück großen Anklang beim Publikum und wurde bis 1761 immer wieder (in drei verschiedenen Fassungen) gezeigt. Erst danach musste es in der Gunst der Zuhörer den Meisterwerken Rameaus weichen.

Jephté ist die einzige französische Oper des 17. und 18. Jahrhunderts auf einen Bibel-Text und verfolgt zwei Handlungsstränge – Jephté, der als Vater seine Tochter Iphise opfert, um sein Versprechen an den Herrn einzuhalten, und die Liebesbeziehung seiner Tochter zu seinem Feind Ammon. Nur Almasie, Jephtés Gattin und Iphises Mutter, greift in beide Handlungsebenen ein, die sich erst im 5. Akt verbinden.

Nach dem Prolog mit den mythischen Gottheiten Apollon, Polymnie, Terpsichore, Vénus und La Verité führt der 1. Akt in das Lager der Israeliten diesseits des Jordan. Nach langem Exil kehrt Jephté zurück in das Land seiner Vorfahren, entschlossen, gegen seinen Feind Ammon zu kämpfen. Er bittet Gott um Unterstützung und schwört, den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei seiner Rückkehr begegnet.

Wegen seiner Gefühle für Iphise weigert sich der gefangene Ammon zu fliehen. Sie teilt seine Zuneigung, leidet jedoch unter ihrer verwerflichen Leidenschaft. Als Jephtés Sieg angekündigt wird, läuft sie ihrem Vater als Erste entgegen. Gemeinsam mit seiner Gattin Almasie beklagt er das schreckliche Los, das ihm auferlegt ist, sein eigenes Blut zu vergießen. Almasie offenbart ihrer Tochter das Vorhaben des Vaters. Würdevoll ist sie bereit zu sterben, lehnt auch Ammons Angebot ab, sie mit Waffengewalt zu retten. Dieser ist entschlossen, sich an dem Gott, der seine Geliebte tötet, zu rächen.

Der 5. Akt führt in den Tempel von Maspha, wo am Altar alles für das Opfer bereit ist. Da ertönen Rufe der Aufständischen unter Führung Ammons, denen sich Jephté entgegenstellen will, doch trifft ein Blitz seinen Feind. Wieder grollt Donner, und in einer Vision erkennt der Oberpriester Phinée, dass der Zorn Gottes besänftigt und das Leben Iphises zu schonen ist. Alle preisen die göttliche Gerechtigkeit.

Die Einspielung profitiert von der exzellenten Qualität des Orchesters, welches vom Dirigenten zu lebhaftem Musizieren inspiriert wird. Die Ouverture zum Prologue und die Préludes zu den Akten sind schwungvoll und Affekt betont, die zahlreichen Tänze lebendig und von straffem Rhythmus – von martialischem Pomp die Marche und Airs des Guerriers, fulminant die Marche au son des tambourins, lebhaft und in ihren Dudelsackanklängen von schottischer Anmutung die Première et deuxième Pastourelle. Auch der Chor besticht mit klangreichem und vitalem Gesang, wirkt oft auch mit großem Anteil in Duos oder Trios mit (z. B. „Esprit de feu“ im letzten Akt oder im Finale „Du plus beau de nos jours“).

Die stimmige Besetzung wird angeführt von Tassis Christoyannis in der Titelrolle mit hellem, wohllautendem Bariton. In seiner Auftrittsarie zu Beginn des 1. Aktes, „Rivages du Jourdain“, evoziert er mit expressivem Nachdruck den Konflikt der Figur. Nicht weniger eindrucksvoll ist der Oberpriester Phinée von Thomas Dolié, dessen Bariton etwas dunkler getönt, aber gleichfalls von imponierender Eindringlichkeit ist. Beider Duo „Viens, répands le trouble et l’effroi“ ist von kämpferischem Impetus. Erschauernd tönt Jephtés Rezitativ „Que vois-je?“, welches das Entsetzen widerspiegelt, als er seine Tochter Iphise erblickt. Chantal Santon Jeffery singt sie mit lyrischem Sopran von berührender Empfindsamkeit. Ihr Air vor dem Opfertod, „Je meurs“, ist in seiner Schlichtheit besonders ergreifend. Reifer und gleichfalls gefühlvoll klingt die Stimme von Judith van Wanroij als ihre Mutter Almasie. Das Duo der beiden Frauen im 2. Akt, „Maître des vastes cieux“, spricht von Auflehnung gegen das Unvermeidliche. Ihr Zwiegesang im 4. Akt, „Seigneur, tout mortel“, ist erfüllt vom gemeinsamen Schmerz über das bevorstehende Opfer. Im Finale preisen beide gemeinsam mit Jephté in einem lebhaften Trio mit Chor den glücklichen Ausgang. Bernd Hoppe

Im Treppenhaus

 

Verdutzt lugt Dr. Cajus durch die schmutzigen Scheiben des vollgeramschten Pubs, in dem Sir John Falstaff die „Sun“ liest und vor leergegessenen Tellern die Reste seines Frühstücks verdrückt. Dabei wird er bewacht von seinen beiden furchterregenden Kumpanen, dem Koloss Bardolfo  und dem frettchenhaften Pistola. Falstaff geht immer. Und überall. In seiner 200. Spielzeit 2018/19 hat das Madrider  Teatro Real dessen Geschichte natürlich etwas älter ist als der jetzige Bau –  Komödienspezialist Laurent Pelly, der das Stück erstaunlicherweise noch nie inszeniere, damit beauftragt, im April 2019 Verdis Komödie in Szene zu setzen. Das funktioniert recht gut. Die Typen sind herrlich: beispielsweise der züngelnde Tenor Mikeldi Atxalandabaso als Bardolfo und das kolumbianische Buffoschwergewicht Valeriano Lanchas als bulliger Pistola. Mit ihnen möchte man nicht frühstücken, geschweige denn in diesem klebrig staubigen Etablissement. Nachdem sich rasch die Wände des schlauchschmalen Ladens verschieben, zaubert Barbara de Limburg die abendlich beleuchteten Fenster der umliegenden Wohnblocks herbei, vor denen Falstaff über die Ehre philosophiert, was man von dem Alten mit dem filzigen Bart und der abgewetzten Strickweste nicht erwartet hätte. Flugs gelangen wir daraufhin ins weitläufige Treppenhaus der Fords. Viele gedrechselte Handläufe, braune Karomuster, die auch in Brüssel, Bordeaux und Tokio zu sehen sein werden. Dazu die Damen in der tüchtigen Bürgerlichkeit der 1960er und 1970er Jahre in geschmackvollen Twinsets und mit Perlenketten und passenden Handtaschen. Das läuft wie von selbst, ein bisschen komisch, ein bisschen nostalgisch, vor allem sehr grau eingetrübt, als liege Windsor in den einstigen Hochburgen des Kohleabbaus in Schottland. Und wie Pelly das Ensemble auf den vielen Stufen verteilt, treppauf, treppab wuselnd, hat etwas mechanisch Aufgedrehtes, eher Rossini als Verdi. Es fehlt mir an rechtem Spielwitz und Komik, an Tiefe und Trennschärfe zwischen den Sphären des Falstaff und der Weiber, so sehr Pelly seiner Inszenierung eine sozialkritische Ebene einziehen möchte. Wenig überzeugend der grotesk übersteuerte Schluss mit dem kalkgesichtigen Mob, der auf Falstaff eindrischt und Gericht hält. Zu lachen gibt es in dieser Welt nicht viel.

Roberto De Candia ist ein gutmütiger Falstaff mit einer warmen Stimme, die auf der Bluray (BelAir BAC 477) erstaunlich groß klingt, dabei ausreichend beweglich und witzig, allenfalls ein wenig zu einförmig. Nach Maestri ist De Candia einer der versiertesten Interpreten der Partie, was man an Nuancen und der feinen Diktion merkt, doch manches bleibt auch ein wenig großflächig und, bei wenig profunder Tiefe, angedeutet. Weshalb sich die Damen, die kaum mit einem derart Gestrandeten in Kontakt kommen dürften, abgeben, bleibt schleierhaft. Einstige Größe oder einen gesellschaftlichen Abstieg kann dieser Falstaff nicht vermitteln. Die Damen sind mit der im dritten Akt lyrisch zupackenden Ruth Iniesta als Nannetta, der als Alice wenig verführerischen und unraffiniert singenden Rebecca Evans als Hausfrau auf Abwegen, der hübsch timbrierten Maite Beaumont als blasser Meg Page und der in guter Tradition stehenden, bei manchen Tönen etwas fahl klingenden, aber komischen Daniela Barcellona als einem Gläschen nie abgeneigter Quickly schlüssiger besetzt als die Herren. Diese werden angeführt von dem tölpelhaften Ford des nicht besonders überzeugenden Simone Piazzola. Joel Prieto ist mit schmelzend leichtem Tenor ein rechter Fenton-Darling, Christophe Mortagne dreht mächtig auf und macht viel aus dem Cajus. Daniele Rustioni dirigiert das Orchester des Teatro Real bei diesem verzichtbaren Erlebnis sauber, rhythmisch flexibel und exakt, es fehlen Farben, Atmosphäre und alles, was zwischen den Zeilen verborgen ist. Da greife man dann doch lieber vielleicht zu Giulini oder einer der anderen AufnahmenRolf Fath

Krzysztof Penderecki

 

Er zählte den den wenigen Komponisten der Avantgarde, die einer breiten Öffentlichkeit geläufig waren, und war ohne Frage der bedeutendste lebende Komponist Polens. Krzysztof Penderecki am 23. November 1933 im polnischen Dębica geboren, kam auf Initiative des Vaters bereits früh mit Musik in Verbindung. Von Anfang an war er breit aufgestellt, studierte nicht nur Komposition an der Krakauer Musikakademie, sondern auch Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte an der dortigen Universität. Bereits 1958 übernahm er eine Professur in Krakau und trat ab dem Folgejahr als Komponist in Erscheinung, als ihm beim Zweiten Warschauer Wettbewerb junger polnischer Komponisten der Durchbruch gelang. Von 1972 bis 1987 amtierte er als Rektor der Musikakademie Krakau und dozierte daneben, sicherlich begünstigt durch seine fließenden Deutschkenntnisse, zwischen 1966 und 1968 an der Folkwang-Hochschule in Essen. Den größten Ruhm fuhr er durch die Verwendung seiner Musik in zahllosen Filmen ein, am bekanntesten freilich in Der Exorzist (1973) und in Shining (1980), zuletzt noch in Das Massaker von Katyn (2007) sowie Shutter Island (2010). Daneben schrieb er in seinen früheren Jahren auch spezifische Filmmusik für Die Handschrift von Saragossa (1965) und Ich liebe dich, ich liebe dich (1968). Seine wirkungsmächtigste Oper, Die Teufel von Loudun, datiert in diese künstlerisch besonders kreative Phase (1968/69). Überhaupt waren ihm die (zeit)geschichtlichen Zusammenhänge wichtig, denkt man an das an Hiroshima gemahnende Threnos (1960/61), das Klavierkonzert Auferstehung (2001/02, rev. 2007) mit Bezug auf den 11. September 2001 oder das Polnische Requiem (1980-1984, rev. 1993). Es gab keine klassische Gattung, an der sich Penderecki nicht versucht hätte, darunter nicht weniger als acht Sinfonien, mehrere Konzerte für Soloinstrument und Orchester, ein Te Deum, A-Capella-Stücke, Klavierwerke und Kammermusik. Ebenso zahlreich die Preise, Auszeichnungen und Ehrungen, welche Penderecki im Laufe seines Lebens einfuhr, darunter der Prix Italia (1968), die Mitgliedschaft in der Royal Academy of Music (1995), der Orden des Weißen Adlers – das höchste Ehrenzeichen Polens – (2005), ein Emmy (1996) und ein Grammy (2013), daneben etliche Ehrendoktorate und Ehrenprofessuren sowie die Ehrenmitgliedschaft unter anderem in der Akademie der Künste (Berlin) und der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Zudem trat er als Dirigent auf. Am 29. März 2020 ist Krzysztof Penderecki nun im 87. Lebensjahr stehend in Krakau nach langer, schwerer Krankheit verstorben (Foto Wikipedia). Daniel Hauser

Barocke Team-Arbeit

 

Auf einer Blue-ray Disc veröffentlicht DYNAMIC als Weltpremiere unter dem Titel Intermedi della Pellegrina ein Open-air-Spektakel, das im Juni 2019 im Giardino di Popoli des Palazzo Pitti von Florenz aufgezeichnet wurde (57856). Es vereint die sechs Intermedien, welche 1589 für die Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit von Don Ferdinando I. mit Cristina di Lorena (Christine von Lothringen), Großherzogin der Toscana, aufgeführt wurden. Es war eine frühe Form des Gesamtkunstwerkes – noch lange vor Richard Wagners Idee – mit einer Kombination von allen Künsten: Musik, Theater, Dichtung, Tanz, Malerei, Architektur. Ursprünglich stammen diese Zwischenspiele aus Komödien, in die sie eingefügt wurden (in diesem Fall in Girolamo Bargaglis La Pellegrina), doch hat der Regisseur des Abends, Valentino Villa, sie in dieser Koproduktion des Maggio Musicale Fiorentino mit den Gallerie degli Uffizi zusammengefasst zu einer neuen Geschichte, welche die Hochzeit von Ferdinando und Cristina zum Inhalt hat. Er erdachte eine Wanderaufführung, teilte das Publikum in farblich differenzierte Gruppen auf, die dann einem Führer mit entsprechendem Banner von einem Spielort zum nächsten folgen.

Von Atem beraubender Schönheit ist die historische Kulisse der Aufführung im Garten des Palastes mit seinen alten Mauern, den Grotten, Skulpturen und Terrakotten – alles in unterschiedliche und wechselnde Farben getaucht (Light Designer: Alessandro Tutini). Leider hat Gianluca Sbicca schrill-bunte Kostüme in schlecht verstandener Vivienne-Westwood-Manier beigesteuert. Da werden Farben abenteuerlich gemixt, Stofffetzen wüst kombiniert und den Sängern schräge Perücken, scheußliche Klunkern und Strass besetzte Butterfly-Brillen verordnet. Auch die Inszenierung bedient sich fragwürdiger Mittel, die eher einer Persiflage entsprechen. Statisten agieren nicht nur angemessen als Fahnenträger und Bogenschützen, sondern auch als Butler, Tennis- und Golfspieler sowie Ringer in Schutzhelmen. Oft sind sie von Marco Angelilli choreografisch geführt, allerdings vielfach profan und ridikül. Sie jonglieren mit Disko-Kugeln, üben sich in der Gebärdensprache, spielen im Sandkasten.

Sechs Komponisten haben an den Intermedien mitgewirkt, das erste mit dem Titel „L’Armonia delle Sfere“ – wie alle komponiert im Stil des recitar cantando – stammt von Cristofano Malvezzi (1547 – 97). Hier sorgt Rossana Bertini als Sopran I in einem abenteuerlichen rot-grünen Outfit mit strenger, bohrender Stimme für irritierende Eindrücke. Danach kommt der Chor in weißen Anzügen zum ersten Einsatz; und das Coro Ricercare Ensemble (Einstudierung: Alberto Allegrezza) hat Gelegenheit, in der Lobpreisung auf das hohe Paar seinen wohllautenden Gesang hören zu lassen. Im nächsten Titel, der Sinfonia a 6, leitet der renommierte Dirigent der Alten Musik, Federico Maria Sardelli, sein Ensemble Modo Antiquo und signalisiert auf Anhieb, mit diesem auf historischen Instrumenten musizierenden Klangkörper das herausragende Ereignis der Aufführung zu sein. Der Dirigent verfügte über die Originalinstrumentierungen sowie den Bericht eines Zeitzeugen, des Komponisten Cristofano Malvezzi, aus dem Jahre 1591, der die musikalische Pracht der Aufführung minutiös schildert. Die Blechbläser, spezialisiert auf die Musik der Renaissance und des Barock, sorgen für ein überwältigendes Klangbild, das die pompös-feierlichen Instrumentalstücke in imponierender Manier wiedergibt. Als Sopran II lässt Elena Bertuzzi, gleichfalls im Vogelscheuchen-Outfit, eine angenehmere, weil weichere Stimme hören. Das Gesangs-Sextett komplettieren die Altistin Candida Guida, der Tenor Paolo Fanciullacci, der Bariton Marco Scavazza und der Bass Mauro Borgiono.

Die nächsten beiden Intermedien, „La Contesa fra le Pieridi e le Muse“ und „Il Combattimento di Apollo col serpente Pitone“, komponierte Luca Marenzio (1554 – 99). In der einleitenden Sinfonia a 5 imponiert Modo Antiquo erneut mit funkelndem Bläserglanz.

Schöpfer des Intermedio IV mit dem Titel „Demoni celesti annunciano l’avvento di un’epoca felice“ sind Giulio Caccini (1550 – 1618), wiederum Cristofano Malvezzi und Giovanni de’ Bardi (1534 – 1612). Von letzterem stammt der ungemein wirkungsvolle Teil „Miseri abitator del cieco Averno“ mit düsteren Akkorden, welche eine apokalyptische Stimmung erzeugen.

Das fünfte Intermedio, „Arione e il delfino“, komponierten Malvezzi und Jacopo Peri (1561 – 1633), Schöpfer der ersten (verschollenen) Oper der Musikgeschichte, Dafne. Der letzte Beitrag, „Appare in cielo Giove con il concilio degli dei“, stammt von Malvezzi und Emilio de’Cavalieri (1550 –1602). Eingeleitet von Trommelklängen, marschiert ein Zug mit Bannerträgern und Spielleuten herein und stimmt den finalen Hymnus „O che nuovo miracolo“ an, in den alle Solisten und der Chor einfallen, um das Glück des Paares zu preisen. Bernd Hoppe

Opernhafte Marienfrömmigkeit

 

Unter dem Titel Salve Regina bringt BRILLIANT CLASSICS eine CD heraus, welche das Antiphon der Maria, das vom Dreifaltigkeitssonntag bis zum Advent gesungen wird, in vier verschiedenen Vertonungen vorstellt (96092). Darunter sind zwei Weltersteinspielungen, so Nicola Porporas Version in G-Dur, welche das Programm eröffnet. Die Sopranistin Federica Napoletani interpretiert alle vier Stücke mit einer klaren, obertonreichen Stimme, kann in dieser ersten, eher der Oper nahen Komposition auch eine angemessene Virtuosität zur Schau stellen. Im einleitenden „Salve Regina“, das als Lento notiert ist, und dem Adagio „Ad te suspiramus“ weiß sie dagegen mit leuchtenden Tönen und innigem Ausdru30ck zu überzeugen. Begleitet wird sie vom Ensemble Imaginaire unter Leitung von Cristina Corrieri, die im Booklet in einer Einführung die einzelnen Werke kommentiert und sich durchweg als einfühlsame Partnerin der Solistin erweist.

Auch Giovanni Battitsta Pergolesis Fassung in g-Moll ist eine Neuheit auf dem Musikmarkt. Der 1710 in Jesi geborene und bereits 1736 in Pozzuoli verstorbene Komponist ist vor allem für sein Stabat Mater für Sopran und Alt berühmt. Das Salve Regina (eine von seinen  insgesamt drei Vertonungen) umfasst fünf Teile und ist – im Gegensatz zu Porporas Idiomatik – eher von meditativem Charakter. Der lebhafte vierte Teil, „Eja ergo“, mit einem virtuosen Cello-Solo unterscheidet sich deutlich von den übrigen Abschnitten mit ihrem introvertierten Charakter.

Leonardo Leo war ein Komponist und Lehrer an der Pietà dei  Turchini und am Conservatorio Sant’Onofri in Neapel – zu seinen Schülern zählen Jommelli und Piccinni. Er schrieb mehr als 60 Opern, darüber hinaus eine Vielzahl von geistlichen und Instrumentalwerken. Das Salve Regina in c-Moll besteht bei ihm aus sechs Abschnitten. Eine weitere Vertonung von seiner Hand in F-Dur mit gleichfalls sechs Teilen und der identischen Textfolge unterscheidet sich vor allem im „Et Jesum benedictum“, welches in der ersten Version in polyphoner Manier ertönt, in der zweiten dagegen in opernhaft-rezitativischem Duktus daherkommt. Die Sopranistin stellt auch in diesen beiden Werken ihre Kompetenz in dem Genre nachdrücklich unter Beweis, besticht besonders im virtuosen Allegro „Ad te clamamus“ der F-Dur-Fassung mit brillanten Koloraturläufen. Bernd Hoppe

 

Das mittelalterliche Reimgebet Stabat Mater setzte sich erst im 18. Jahrhundert als Ausdruck der Marienfrömmigkeit durch, 1727 führte Papst Benedikt XIII. am Freitag nach dem Passionssonntag das Fest der sieben Schmerzen Mariä ein, die Anzahl der Kompositionen stieg an. Pergolesis Stabat Mater aus dem Jahr 1736 wurde populär, Vertonungen gab es bereits zuvor, bspw. von Palestrina und Orlando di Lasso. Der in Oberbayern geborene Johann Simon Mayr (1763-1845) besaß in Bergamo eine gut besetzte Musikbibliothek, darunter einige instrumentalbegleitete Werke dieses Typs, an deren Beispielen er sich Anregungen holte. Mayr komponierte sein Stabat Mater in f-Moll in zwei Grundversionen mit unterschiedlichen textlichen Ausmaßen und nachträglichen Ergänzungsstimmen – eine praktikable Handhabung, die keine endgültige Version hervorbrachte. Dirigent Franz Hauk ist als Mayr-Forscher mit umfangreicher Mayr-Diskographie bei Naxos bereits sehr verdienstvoll in Erscheinung getreten und legt mit dieser CD-Veröffentlichung drei Ersteinspielungen vor: das aus Manuskripten von ihm rekonstruierte Stabat Mater, ein Eja Mater in F-Dur und ein eingängiges Ave maris stella in G-Dur. Musikalisch wirkt einiges in Mayrs Stabat Mater für heutige Ohren opernhaft vertraut, man kann sich beim Anhören die Verknüpfung zu einem Bühnengeschehen gut vorstellen. Das O quam tristis et afflicta wirkt nicht trist oder schmerzvoll, sondern virtuos und aus einer Buffa entlehnt, das Quis est homo muss sich ebenfalls nicht des Jammers erwehren, sondern hat etwas von einer nachdenklichen, melancholischen Opernarie. Im alternativen Eja Mater verzichtet Mayr auf die hohen Streicher und setzt Hörner und Holzbläser zur Unterstützung des Sängerquartetts. Die Assoziation zur heiteren Oper und zum virtuosen Konzert liegt öfters näher als die zur sakralen Ernsthaftigkeit des Themas, entsprechend melodiös und reizvoll klingt die Musik. Der musikalische Schönklang in Mayrs geistlichen Werken wird hier durch schlanke, manchmal auch etwas dünn anmutende Stimmen unterstützt. Zu hören sind der Sopran der Koreanerin Jaewon Yun, die Altistin Theresa Holzhauser, der Bariton Jens Hamann sowie die Tenöre Markus Schäfer und Robert Sellier. Der von Franz Hauk gegründete Simon Mayr Chor wird ergänzt durch Mitglieder des Chors der Bayerischen Staatsoper. Das Münchener Concerto de Bassus setzt sich aus Studenten und Graduierten der Münchener Musikhochschule zusammen. Das Ave maris stella ist mit dem italienischen Ensemble I Virtuosi Italiani entstanden, die amerikanische Sopranistin Andrea Lauren Brown, der Bassist Virgil Mischok und wiederum die Altistin Theresa Holzhauser sorgen für den stimmlichen Wohlklang dieser interessanten Entdeckung. (Naxos 8.573781)
Das Stabat Mater von Rossini liegt mehrfach für CD eingespielt vor und es ist müßig, über die schönste Aufnahme zu diskutieren. Dass Dynamic nun eine Live-Aufnahme aus der Opera Vlaanderen aus Antwerpen/Gent aus dem Jahr 2011 veröffentlicht, hat Gründe. Rossini-Experte und Dirigent Alberto Zedda starb im März 2017 im Alter von 89 Jahren in Pesaro – wo auch sonst!?! Zedda dirigierte diese Aufnahme nicht altersbedingt langsam (Antonio Pappanos ebenfalls opernhafte Einspielung mit Anna Netrebko, Joyce DiDonato, Lawrence Brownlee und Ildebrando D’Arcangelo sowie dem Orchestra dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Roma braucht fast durchgehend mehr Zeit), sondern mit Leidenschaft, klangvoll und atmosphärisch dicht – die Aufnahme ist innig und mit Inbrunst musiziert und gesungen. Namhafte opernerfahrene Sänger unterstützen Zedda. Der Sopran von Serena Farnocchio und der Mezzosopran von Anna Bonitatibus kontrastieren eher, als dass sie verschmelzen, das Duett im Quis est homo ist ein teilweise herb klingendes Largo. Der Tenor Ismael Jordi zeigt die Stärken seiner beweglichen Stimme im Cujus animan, Bassbariton Alex Esposito  überzeugt, bspw. im Allegro Maestoso des Pro Peccatis mit profundem Ausdruck. Dynamic überzeugt bei seinen Veröffentlichungen nicht immer mit optimaler Aufnahmebalance, hier allerdings gelingt eine gute Einspielungsakustik. Für Fans des verstorbenen Alberto Zedda ist das eine weitere lohnenswerte Einspielung. (Dynamic, CDS7799 Marcus Budwitius

Gelungene diskographische Erweiterung in Sachen Liszt

 

Das Liszt-Jahr ist zwar vorüber, doch glücklicherweise bedeutet das nicht, dass die Fülle an teils hochkarätigen Neueinspielungen damit verebben würde. Die Staatskapelle Weimar unter ihrem damaligen, aus der Ukraine stammenden Chefdirigenten Kirill Karabits ließ bereits aufhorchen in Sachen Liszt, als Audite das Opern-Fragment Sardanapalo (plus Mazeppa) auf den Markt brachte. Es ist insofern schade, dass Karabits‘ Weimarer Amtszeit 2019 nach gerade drei Spielzeiten auch schon wieder endete. Ob die nun vorgelegte Liszt-Neuaufnahme (Audite 97.760) in dieser Kombination bereits die letzte war, bleibt abzuwarten. Eingespielt wurde wieder neben ziemlich bekannten Werken, der Dante-Sinfonie und der Sinfonischen Dichtung Tasso, wiederum eine absolute Rarität, der sogenannte Künstlerfestzug zur Schillerfeier, der hier sogar seine Weltersteinspielung erfährt. Aufgenommen wurden die drei Werke während Karabits‘ finaler Spielzeit im Congress Centrum Neue Weimarhalle (die Dante-Sinfonie zwischen 17. und 20. August 2018, der Rest am 14. und 15. April 2019).

Von den beiden großen Programmsinfonien, die Liszt vorgelegt hat, steht diejenige, die dem Florentiner Renaissance-Dichter Dante Alighieri und seiner Göttlichen Komödie gewidmet ist, etwas im Schatten der Faust-Sinfonie. Dies gewiss zu Unrecht, zeigt sich die musikalische Umsetzung doch schlechterdings genial. Sie besteht trotz ihrer erheblichen Länge von einer dreiviertel Stunde lediglich aus zwei Sätzen, bezeichnet mit Inferno sowie Purgatorio – Magnificat. Liszt stellte also lediglich das Jüngste Gericht und das Fegefeuer musikalisch dar; den Himmel hielt er letztlich in musikalischer Form für nicht angemessen umsetzbar. Der Schlusschor (mit Harmonium) gibt lediglich eine, allerdings im wahrsten Sinen des Wortes himmlische Vorahnung auf denselben wieder. Ad libitum, auf Anraten der Fürstin Sayn-Wittgenstein, fügte er freilich noch einen „pomphafte[n], plagialische[n] Schluß“ (Wagner) hinzu, der heutzutage fast immer weggelassen wird, so auch hier, so dass die Sinfonie mit einem „sanften, edlen Verschweben“ (ders.) ausklingt. Allzu viele Einspielungen des Werkes gibt es – anders als bei der Faust-Sinfonie – nicht. Daniel Barenboims Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern (Teldec) hat mich seinerzeit jedenfalls mehr beeindruckt als jene von Giuseppe Sinopoli mit der Staatskapelle Dresden (DG). Ausgezeichnet ein kommerziell nicht erhältlicher Rundfunkmitschnitt des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti, der tatsächlich den alternativen Schluss anhängt. Die Neuproduktion aus Weimar kann sich dort sehr gut einreihen und wartet zumal mit einer phantastischen Klangqualität auf. Im Inferno und im Magnificat wählt Karabits mit 21:03 und 7:31 nahezu identische Spielzeiten wie Barenboim, um im Purgatorio allerdings fast drei Minuten flotter zur Sache zu gehen (18:02) – und ganze fünf Minuten schneller ist als Sinopoli. Die Damen des Opernchores des Deutschen Nationaltheaters Weimar sowie der Knabenchor der Jenaer Philharmonie unterstützen das herrlich aufspielende Orchester kongenial.

Tasso. Lamento e Trionfo ist vermutlich eine der drei am häufigsten gespielten Liszt’schen Tondichtungen (neben Les Préludes und Mazeppa). Wiederum steht ein italienischer Dichter, diesmal Torquato Tasso, im Zentrum, der am Ende wahnsinnig wurde und einen Tag vor seiner geplanten Dichterkrönung starb. Mit seiner zu Unrecht völlig im Schatten stehenden dritten Trauerode Le Triomphe funèbre du Tasse schuf der Komponist später gar eine Art Fortsetzung. Berühmtheit erlangte Tasso insbesondere wegen der ohrwurmartigen „venezianischen Melodie“, welche Tassos nagenden Schmerz widerspiegelt. Karabits wählt gemessene Tempi, kommt auf 21:25 Minuten und erreicht damit beinahe die Ausmaße, welche Herbert von Karajan 1975 in seiner Einspielung für die Deutsche Grammophon wählte, die für mich nach wie vor die Referenz darstellt. Und ohne Frage gelingt Karabits auch hier eine Interpretation, die zu den besten gerechnet werden muss, vom zaghaften Beginn bis zum triumphalen Abschluss.

Die Weltpremiere, auf der vorliegenden CD als erster Track gelistet, ist das heimliche Highlight. Sicherlich reicht der Künstlerfestzug künstlerisch schwerlich an die beiden anderen Stücke heran, doch ist die Umsetzung dieser etwa elfminütigen Triumphalmusik trotz fehlender Vergleichsoptionen wiederum tadellos und lässt diese Komposition nicht als hohlen Pomp dastehen.

Eine feine diskographische Erweiterung in Sachen Liszt also, bei der man eine Fortsetzung der Audite-Reihe erhoffen würde. Daniel Hauser