Das Bergsteigen wurde Mieczyslaw Karłowicz zum Verhängnis. In der Hohen Tatra kam der, wie Moniuszko, in Weißrussland geborene Komponist, ums Leben. Seine Ausbildung als Komponist hatte Karłowicz (1876-1909) u.a. in Dresden, Warschau, ab 1895 in Berlin erhalten. 1901 kehrte er nach Warschau zurück, gründete ein Streichorchester und komponierte sinfonische Dichtungen, ein Violinkonzert, eine Sinfonie und einiges mehr, auch 23 Klavierlieder. Piotr Beczala, der das Bergsteigen nicht auch für sich entdecken möge, hat nun diese Lieder für die Welt neu hervorgeholt. Sie sind Teil von Beczalas Beitrag zum Moniuszko-Jahr, für das er gerade noch rechtzeitig Ende 2019 in Wien den Jontek in der Halka übernahm, denn auf seiner aktuellen Lied-Aufnahme (F.-Chopin-.Institut NIFCCD 114) verbindet er 21 Lieder von Karłowicz, also fast dessen gesamtes Liedschaffen, mit einer Handvoll Lieder des auf diesem Gebiet mit rund dreihundert Beispielen ungleich fleißigeren Moniuszko. Das ist ein schönes Unterfangen, denn dem nach Jan Kiepura größten polnischen Tenor nimmt man derzeit fast alles ab. Er veredelt und hebt auch die an sich nicht besonders auffälligen Lieder von Karłowicz, macht aus ihnen kleine Kostbarkeiten, unterstreicht ihren melodischen Reiz, macht die Stimme mal leicht und locker, verleiht ihr dunklen Nachdruck, mischt Süße und Andeutungen von Schluchzern bei, ist melancholisch und zärtlich und leidenschaftlich. Helmut Deutsch, genau und aufmerksam und auch ein wenig nachdrücklich wie stets, macht alles, um diese Lieder nicht zu beiläufig klingen zu lassen. Und bereits nach der Hälfte der Lieder gibt man sich dem Wohlklang der schönen, geschmeidigen, verführerischen, immer noch frischen Stimme hin, denn Beczala fühlt sich merklich wohl und spielt alle Möglichkeiten aus, die ihm die vielfach sehr kurzen zwischen Volks- und Kunstlied jonglierenden Lieder eröffnen, vor allem spürt man neben einer stimmlich stets tadellosen Leistung hier endlich Gefühl und Anteilnahme, auch Lust und Fröhlichkeit und eine Fülle des Ausdrucks. Wie eine großzügige Zugabe reihen sich die fünf Moniuszko-Lieder an, die Beczala, beispielsweise die „Wilde Rose“ und „Ein Sohn aus Krakau“, so jauchzend, trällernd und lachend, mit Sitzentönen und Bögen serviert, wie einst Tauber und Kiepura ihren Lehár. Rolf Fath
Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn denn im Sommer und Herbst wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich schon einmal auf CD (Vincerò bei Pentatone) in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.
Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Calaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs, aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.
Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucevan le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.
Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.
Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.
Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Tra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.
Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.
„Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.
Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Calaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger. Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733/ weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja