Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Nicht wesensverwandt

 

Eher mit Radames und Lohengrin, aber auch noch Edgardo  als mit den leidenschaftlichen Helden des Verismo unterwegs ist momentan Piotr Beczala, wenn wieder Opernaufführungen stattfinden können. So folgt er dem Beispiel vieler Kollegen, die sich  schon einmal auf CD in Partien ausprobieren wollen, ehe sie diese auf der Bühne verkörpern, ehe sie deren Lieben und Leiden zur Gänze und nicht nur in ausgesuchten Highlights durchlitten haben.

Ob es an dieser zwangsläufig mangelnden Vertrautheit mit Loris und Turridu, mit Maurizio di Sassonia und Kalaf liegt, dass man an des polnischen Tenors neuer CD zwar wie stets die perfekte Technik, das angenehme Timbre, die sichere, wenn auch nicht durchweg aufblühende Höhe, die geschmackvolle Präsentation bewundert, aber mit ihr nicht warm, geschweige denn von ihr mitgerissen wird? Man wird das Gefühl nicht los, dass man es mit der Arbeit eines Musterschülers in Sachen tadellosen Gesangs , aber nicht mit blutvollen, leidenschaftlichen, zerrissenen, kurzum unverwechselbaren Opernhelden, ja Menschen zu tun hat.

Es beginnt mit den beiden Arien des Cavaradossi, die getreu den Anweisungen Puccinis gesungen werden, denen aber doch für „Tosca, sei tu“ der Enthusiasmus, für „le belle forme“ die Decrescendo-Erotik fehlt. Schön ist, dass mit dem Vorspiel zu „E lucean le stelle“ die Arie eingeleitet wird, „tanto la vita“ hat man aus anderer Kehle schon inbrünstiger gehört, aber die präsente Mittellage ist natürlich ein nicht zu vernachlässigendes Plus.

Es geht weiter mit den drei Arien des Maurizio, zunächst aus dem ersten Akt, in der Korrektheit vor emotionalem Überschwang triumphiert, danach „L‘anima ho stanca“, wo eine extremere Agogik dem extremen Gemütszustand des Singenden angemessener wäre, schließlich die Schlachterzählung mit recht offener Höhe.

Turridu kommt mit dem „Brindisi“ und dem „Addio alla mamma“ zu Wort, aber  der strahlende Übermut des ersteren, das südliche Feuer, das Mitreißende werden vernachlässigt zugunsten einer  kultiviert-korrekten Darbietung. Beim Addio berührt immerhin das dunkle „all’aperto“.

Des Grieux reiht sich in die Schar der Verismohelden ein mit dem „Donna non vidi mai“, das von einem schönen Spitzenton gekrönt wird, aber auch das Sichverströmen der Stimme vermissen lässt, weit besser gelingt das Tändelnde des „Fra voi belle“. Dass der Tenor doch ein Gefühl dafür hat, wo seine Grenzen im Moment liegen, zeigt der Verzicht auf „Guardate“ aus dem 3. Akt.

Es geht weiter mit Andrea Chénier, dessen Arien aus dem ersten und letzten Akt in umgekehrter Reihenfolge aufgenommen worden sind. Der „Bel di di maggio“ ist  schön gesungen, lässt aber den unbefangenen Hörer nicht die Ausnahmesituation des Dichters erahnen, beim „Improvviso“ gelingen die epischen Teile besser als die dramatischen Ausbrüche, bei denen die Stimme an Qualität verliert.

Amor ti vieta“ müsste mehr Leidenschaft verströmen, „Vesti la giubba“ wird sehr kultiviert gesungen, was nicht unbedingt ein Lob sein muss. Natürlich ist absolute Stimmkontrolle Pflicht, nur  das Bemühen darum sollte nicht zu hören sein.

Mit Puccinis „Fanciulla“ geht es weiter, und im „Lascia che creda“ kann man rundum zufrieden sein, mit dem männlich dunklen Timbre und dazu der lacrima nella voce. Die Szene des Edgar beweist, dass der Sänger eine lange Szene gut aufbauen, eine Spannung sich entwickeln lassen kann, für den Rinuccio aus „Gianni Schicchi“ ist die unbekümmerte Leichtigkeit der Stimmführung nicht mehr gegeben. Sehr anständig wird auch Pinkertons „Fiorito asil“ gesungen, „Nessun dorma“ sollte wohl der krönende Abschluss sein, ist es aber nicht, da Beczala nicht der trompetende vokale Kraftprotz ist, den sich der gemeine Hörer unter dem Kalaf vorstellt, sondern ein kultivierter, technisch unangreifbarer, aber den leidenschaftlichen und leidgeprüften  Herren des Verismo doch recht fern stehender Opernsänger.  Marco Boemi begleitet mit dem Orquestra de la Communitat Valenciana kompetent (Pentatone PTC 5186733). Ingrid Wanja

 

José van Dam …

 

Zu  meinen absoluten Lieblingssängern gehört der belgische Bass-Bariton José van Dam, der am 25. August 2020 seinen 80. Geburtstag beging. Als Westberliner hatte ich das ganz große Privileg ihn als jungen Mann (nur 5 Jahre älter als ich, wie ich gerade feststelle) in seinen Prachtrollen zu hören: Leporello, Masetto, Don Alfonso, vor allem auch Figaro beider Komponisten, Ferrando im Troubadour, Paolo im Boccanegra neben dem ebenfalls sattstimmigen  Ingvar Wixell, als Attila neben alternierend Gundula Janowitz (und den Problemen in der ersten Arie) oder der flamboyanten Lou-Ann Wyckhoff (dto. zweite Arie) und natürlich wieder Wixel sowie Fortune. Als Escamillo alternierter er mit George Fortune, als Doktor Mirakel/Hoffmanns Erzählungen prunkte er mit seiner balsamischen Stimme ebenso wie als Mönch im Don Carlo oder als  Elias im Konzert. Mir ist diese unvergesslich individuelle Stimme so gut im Ohr, dass ich manche Partien wie den Leporello (noch neben Siepi) oder Don Alfonso oder Mozarts Figaro  lange Zeit nicht von anderen hören konnte. Sein Orest war ebenso eine interessante Facette dieser Zeit.

Und zu den SFB-Rundfunkschätzen jener Jahre gehören seine Dokumente aus dem Hans Heiling (neben der DOB-Kollegin Agnes Baltsa als Mutter), Webers Lysiart (neben Els Bolkestein/Eglantine  von der Komischen nebenan), Fürst Igor, Bertram/Robert der Teufel, Tomski/ Pique Dame und den Königskindern -. sein Spielmannslied macht mich heute noch schlucken. Ach ja. Wir haben für ihn geschwärmt.

Natürlich blieb er nicht in Berlin und machte große Karriere mit den Partien seines Fachs, wenngleich vielleicht der Holländer (ein ganz wunderbares Dokument aus Paris unter Varviso), Filippo/Philippe von Verdi oder auch der Boris Godunov ihn an seine  Grenzen führten, aber vor allem als Verdis leidvoller König ist er mir aus Brüssel und London neben Roberto Alagna und in Covent Garden und der interessanten Martine Dupuy unvergesslich. Stets war es seine extraordinäre Diktion, die die Musik trug, in allen Sprachen, die ich von ihm gehört habe. Die mustergültige Verschmelzung von Sprache und Musik, von Singen eben auf der Sprache gab seinen Auftritten und Dokumenten etwas Einzigartiges, Unnachahmliches. Sonores vermählt mit Schönklang, Biss und unglaublicher, topsicherer Technik. Wann hat man das? José van Dam setzte für mich Maßstäbe der Qualität, der gesanglichen Schönheit und der engagiertren Interpretation. Bon anniversaire, Mâitre. G. H.

 

Seine außerordentliche Karriere, die ebenso so glanzvoll wie vielseitig war, dokumentiert der unersetzliche Kutsch-Riemens (Großes Sängerlexikon) mit nachstehendem Artikel. Dam, José van, Baß-Bariton, * 27.8.1940 Brüssel; eigentlich Joseph Van Damme. Ausbildung durch Frédéric Anspach am Konservatorium von Brüssel, wo er sein Diplom für Operngesang und als Gesangslehrer erhielt. Nachdem er mehrere Gesangwettbewerbe gewonnen hatte, debütierte er 1960 am Opernhaus (Opéra de Wallonie) von Lüttich als Basilio im »Barbier von Sevilla«. 1961 kam er an die Grand Opéra Paris (Antrittsrolle: Wagner im »Faust« von Gounod), an der er bis 1965 blieb, und u.a. in »Les Troyens« von Berlioz auftrat und den Escamillo in »Carmen«, aber auch kleinere Partien sang. 1965-67 sang er am Grand Théâtre Genf; hier wirkte er 1966 in der Uraufführung von »La Mère coupable« von Darius Milhaud mit. 1967 wurde er an das Deutsche Opernhaus Berlin berufen und begann nun eine große internationale Karriere. In Berlin sang er den Paolo in Verdis »Simon Boccanegra«, den Leporello im »Don Giovanni« und den Alfonso in »Così fan tutte«. Er gab Gastspiele in Brüssel, Stockholm, an der Covent Garden Oper London (Debüt 1973), in Lissabon und München, bei den Festspielen von Aix-en-Provence und an der Oper von Santa Fé (1967 als Escamillo, zugleich sein USA-Debüt). 1970 debütierte er an der Wiener Staatsoper als Leporello im »Don Giovanni« und leitete damit auch dort eine große Karriere ein.

1972 sang er an der Mailänder Scala den Escamillo in »Carmen«. 1973 gastierte er am Teatro Fenice Venedig als Kaspar im »Freischütz« von Weber, 1973-74 glanzvolle Gastspiele an der Grand Opéra Paris und am Opernhaus von Straßburg. Er gastierte an den Opernhäusern von Lüttich und Zürich, von San Francisco (1970) und Dallas, in Amsterdam und Monte Carlo. 1975 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er im November diesen Jahres als Escamillo debütierte und in einer langen Karriere u.a. den Golo in »Pelléas et Mélisande«, den Colline in »La Bohème«, den Figaro in »Nozze di Figaro«, den Jochanaan in »Salome« von R. Strauss und den Wozzeck von A. Berg sang. Bei den Festspielen von Salzburg trat er 1974-76 und 1979-80 als Titelheld in »Nozze di Figaro« auf, 1974 und 1980-81 als Sprecher in der »Zauberflöte«, 1977-78 als Jochanaan, 1975-77 als Mönch im »Don Carlos« von Verdi, 1980-82 in den vier dämonischen Partien in »Hoffmanns Erzählungen«, 1982 als Alfonso in »Così fan tutte«, 1985-86 als Escamillo, 1993 als Falstaff von Verdi. Seit 1970 wirkte er länger als zwanzig Jahre in den Konzertveranstaltungen der Salzbuger Festspiele mit, u.a. in Beethovens 9. Sinfonie (1976), der »Schöpfung« von J. Haydn (1977, 1982), der Hohen Messe von J.S. Bach (1985), dem »Elias« von Mendelssohn (1984), dem Deutschen Requiem von J. Brahms (1983) und der 8. Sinfonie von Gustav Mahler (1975). Er trat dort in Mozart-Konzerten auf und gab viel beachtete Liederabende. Bereits 1968-72 sang er in den Salzburger Aufführungen von Cavallis »Rappresentazione di Anima e di Corpo«. Bei den Osterfestspielen von Salzburg hörte man ihn als Amfortas im »Parsifal«, als Rocco wie als Minister im »Fidelio«, als Ferrando im »Troubadour« und 1992 als Fliegenden Holländer. Am 28.11.1983 sang er an der Grand Opéra Paris die Titelpartie in der Uraufführung des Opernwerks »Saint François d’Assise« von Olivier Messiaen und wiederholte diese bei Aufführungen im Rahmen der Salzburger Festspiele (1992) und an der Opéra Bastille Paris (1992). 1987 sang er an der Mailänder Scala den Don Giovanni zur 200-Jahrfeier der Uraufführung dieser Oper, 1986 in Brüssel den Boris Godunow von Mussorgsky, 1989 an der Grand Opéra Paris den Wilhelm Tell in der Rossini-Oper gleichen Namens, den er 1991 auch am Grand Théâtre Genf vortrug. Er trat auch als Gast am Opernhaus von Köln und am Nationaltheater Mannheim auf. Beim Festival von Orange sang er 1990 den Mephisto im »Faust« von Gounod, an der Opéra Bastille 1992 wieder die Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen«, am Teatro Colón Buenos Aires 1995 den Titelhelden in Verdis »Simon Boccanegra«, 1996 am Théâtre Châtelet Paris und an der Covent Garden Oper London den König Philipp in Verdis »Don Carlos«. Zu seinen Hauptrollen gehörten neben den Mozart-Partien seines Stimmfachs der Mephisto in »Faust« von Gounod, der Escamillo in »Carmen«, der Golo in »Pelléas et Mélisande« und der Alfonso in »Lucrezia Borgia« von Donizetti. Große Erfolge als Konzertsänger in Chicago, Boston, Los Angeles, Tokio und in den europäischen Musikmetropolen.

 

Schallplatten: HMV (vollständige Opern »Carmen«, »Fidelio«, Jochanaan in »Salome« von R. Strauss, »Pelléas et Mélisande«, »Zauberflöte«, »Ciboulette« von Reynaldo Hahn, »Così fan tutte«, »Aida« und »Simon Boccanegra« von Verdi, »Louise« von Charpentier, »Mireille« und »Roméo et Juliette« von Gounod, »La jolie fille de Perth« von Bizet, »Hoffmanns Erzählungen«, »Guercoeur« von A. Magnard, »Oedipe« von Enescu, Requiem von Gabriel Fauré), Decca (»Un Ballo in maschera« von Verdi, »Carmen«, »Damnation de Faust« von Berlioz, »Figaros Hochzeit«, »Frau ohne Schatten« von R. Strauss), RCA (Verdi-Requiem), DGG (»Parsifal«, »Zauberflöte«, »L’Heure espagnole« von Ravel, »Pelléas et Mélisande«, 9. Sinfonie und Missa solemnis von Beethoven, »Roméo et Juliette« von Berlioz, 8. Sinfonie von G. Mahler), CBS (»Don Giovanni«), Erato (»Pénélope« von Gabriel Fauré, »Dardanus« von Rameau, h-moll Messe von Bach, »L’Enfance du Christ« von [Nachtrag] Dam, José van; nachdem er während zwanzig Jahren dort nicht mehr aufgetreten war, sang er 1981 am Théâtre de la Monnaie Brüssel den König Philipp im »Don Carlos« von Verdi. 1997 gastierte er an der Oper von Rom als Fliegender Holländer, 1998 am Opernhaus von Toulouse als Boris Godunow. 1998 sang er bei den Salzburger Festspielen wieder die Titelrolle in O. Messiaens »Saint François d’Assise«, 1999 an der Oper von Monte Carlo den Escamillo in »Carmen«. – Lit: A. Clark: José van Dam (in »Opera«, 1993). – Schallplatten: Decca (Hans Sachs in den »Meistersingern«), EMI (Frère Laurent in »Roméo et Juliette« von Gounod, Nilakantha in »Lakmé« von Delibes, Titelrolle in Puccinis »Gianni Schicchi«). [Lexikon: Dam, José van. Großes Sängerlexikon, S. 5; (vgl. Sängerlex. Bd. 6, S. 284) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto © Deutsche Oper Berlin / kranichfoto.)

Askese und Sinnlichkeit

 

Eine Box mit 15 CDs und 9 Booklets für die Freunde barocker Vokalmusik gibt NAXOS heraus (8.501505). Es enthält die komplette Sammlung von Claudio Monteverdis Madrigalen (Libri 1 – 9), die zwischen 1587 und 1638 entstanden, ergänzt um die Scherzi musicali von 1632. Die Interpreten sind das 1992 gegründete italienische Vokal- und Instrumental-Ensemble Delitiae Musicae und sein Leiter Marco Longhini. Die Sammlung, exklusiv für NAXOS aufgenommen, nutzt die authentischsten und ungekürzten Editionen und ist – analog zur gängigen Praxis im 16./17. Jahrhundert – nur mit männlichen Stimmen besetzt. Das sichert den a capella-Gesängen einen klaren, keuschen Klang von puristischer Reinheit, der zu dieser asketischen Musik perfekt korrespondiert. Die phänomenale Intonationssicherheit des Klangkörpers soll besonders herausgestellt werden, ebenso die stilistische Reinheit sowie die sich mirakulös mischenden Stimmen.

Das Primo Libro, veröffentlicht in Venedig 1587, komponierte Monteverdi mit 19 Jahren als das dritte Werk seines Schaffens. Bereits hier sind Liebe und Tod als die zentralen Themen der Monteverdischen Musik in Licht- und Schatten-Stimmungen angelegt. Weltersteinspielungen sind „Fuggi cor“ und „Se d’un angel“. Wunderbar schwebende Klänge und reizvolle Echo-Wirkungen vernimmt man im Secondo Libro, welches sich der Liebe und Natur widmet und das der Komponist im Alter von 22 Jahren veröffentlichte. 1592 erschien das Terzo Libro, gewidmet dem Duca di Mantova und der erste durchschlagende Erfolg des Schöpfers. Mit seinen deklamatorischen und auch dissonanten Passagen hebt es sich deutlich von seinen Vorgängern ab. Besonders in „Vattene pur, crudel“ und „Vivrò fra i miei tormenti“ wird das offenbar. Expressivität und Pathos prägen das Quarto Libro mit seinen erotischen Affekten und schmerzlichen Abschieden. Das Quinto Libro von 1605 führt den expressiven Stil des vorherigen weiter und stellt das unglückliche Paar Dorinda/Silvio in den Mittelpunkt. Erst neun Jahre später erschien der nächste Band, der als definitiver Beitrag des Komponisten zum stile antico galt. Er enthält zwei meisterhafte Werke – die „Sestina“, Monteverdis Würdigung für seine 1607 verstorbene Frau, und das „Lamento d’Arianna“ als polyphone Transkription seiner berühmten Opernszene. Das Settimo Libro von 1619 betitelte der Komponist Concerto, denn hier werden die Stimmen vom Basso continuo, welches bereits in der einleitenden Symphonia zu vernehmen ist, begleitet. Beispiele von Monteverdis größten Schöpfungen finden sich im Libro ottavo mit den Madrigali guerrieri et amorosi, welche in dieser Ausgabe erstmals in ihrem Original und ungekürzt präsentiert werden und gleichfalls mit instrumentaler Begleitung erklingen. Interpoliert sind Sinfonien und Tänze von Monteverdis Zeitgenossen Biagio Marini (1694 – 1663). Dessen Sinfonia prima á 3 leitet das posthum veröffentlichte Libro nono ein, welches eines der Meisterwerke des Komponisten enthält – „Zefiro torno“.

Die Scherzi musicali von 1632, welche noch einmal die Themen von Krieg und Liebe aufnehmen, sind ein würdiger Schlussakkord dieser bedeutenden Anthologie. Bernd Hoppe

 

Geheimnisvolle Kratzspur

 

Es könnten die Spuren eines Kampfkaters sein, der seine Krallen gewetzt und dabei große Fetzen Leinwand aus dem Portrait Richard Wagners gerissen hat, das als Cover für Szenen-Macher dient, denn für die zarteren Pfötchen von Laborratten oder die eines anschließend zum Verwesen verurteilten Hasen sind die Spuren einfach zu prägnant. Es handelt sich um den dritten Band als Ergebnis des seit 2017 stattfindenden Diskurs Bayreuth und er trägt den Titel Szenen-Macher, der die Gedanken in eine ganz andere Richtung drängt, in die auf die Regisseure, die in den vergangenen Jahren sich zwar nicht am Portrait, sondern am Werk des großen Komponisten zu schaffen machten, oft in ähnlicher Weise und mit ähnlichem Ergebnis wie die Verunstalter des Cover-Portraits.  Für das, was  schriftlich während des Symposiums festgehalten wurde, zeichnen Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie Luise Maintz als Herausgeber verantwortlich, haben auch gemeinsam ein Vorwort verfasst.

Stephan Mösch, Professor, Mitarbeiter an der Zeitschrift Opernwelt (und ehemaliger Chefredakteur des Magazins), befasst sich mit dem im doppelten Sinn als Jahrhundert-Ring bekannnten Regiewerk von Chereau/Boulez, berichtet auf höchst interessante Weise davon, wie zunächst ganz andere Regisseure im Gespräch waren, so Peter Stein, der die Erstellung eines Konzepts empört ablehnte, den Ring eher als Spielmaterial denn als zu respektierendes Kunstwerk ansah, über Chereau, der ihn als ästhetisches Gefüge betrachtete. Er stellt die Bedeutung von André Glucksmann für den Jahrhundert-Ring heraus und betont die faire Haltung von Wolfgang Wagner gegenüber dem zunächst auf große Ablehnung stoßenden französischen Regisseur, der nicht im Gold, sondern in der Macht, nicht in Alberich, sondern in Wotan Dreh- und Angelpunkt sah. Berührend ist der Brief, den Chereau an Wagner schrieb, und er hätte vielleicht manchen Buh-Rufer zum Schweigen gebracht.

Matthias Pasdzierny berichtet über die Ära Heinz Tietjen, klammert bewusst alles, was nicht streng an seine künstlerische Arbeit in Bayreuth gebunden ist, aus und vermittelt besonders anhand eines Regie-Klavierauszugs von Tristan über dessen Regiehandschrift, ergänzt durch Fotos von der Probenarbeit Erhellendes. Die Frage „Hat Tietjen je gelebt?“ wird eindrucksvoll, ausgewogen und unterhaltsam beantwortet.

Kai Köpp widmet sich der Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts unter dem Titel Die Partitur führt Regie und untersucht den Anteil an Wagners Regie, den die damals allgemein übliche Praxis hatte, und denjenigen, der auf Wagner selbst zurückgeht. Stummfilme und Gestik-Lehrwerke sowie ein Einblick in die Kompositionslehre dienen dabei als Quellen.

Rebecca Grotjahn untersucht, inwiefern für Wagner Wilhelmine Schröder-Devrient als Idealbild einer Mimin galt, in welchem Verhältnis Sprache und Gesang in ihrer Kunst standen, inwieweit das In-der-Rolle-Aufgehen zum Vorbild werden konnte.

Auch die Dramaturgin Kerstin Schüssler-Bach widmet sich Frauen, nämlich Cosima und Winfried Wagner, die sowohl als Frauen wie als Ausländerinnen verunglimpft wurden. Ihre Verdienste um Bayreuth werden gewürdigt, Winfried kommt trotz Hitler-Verehrung bis zum Ende außergewöhnlich gut weg, eher Wieland wird des Intrigantentums bezichtigt. Cosima wird zugestanden, für eine ästhetische Steigerung, reine Arrangements vermeidend, gesorgt , mit Isidora Duncan im Venusberg Neuerungen gewagt zu haben. Dem Meiningertum, dem Cosima anhing, ist eine Diskussionsrunde gewidmet.

Alexander Meier-Dörzenbach und Markus Kiesel befassten sich mit der Ära Siegfried Wagners, seiner heiklen Mission als „künstlerischem Gottessohn“, den Antipoden Wagnerfestspiele als „Befestigungsspiele unseres Glaubens an den deutschen Geist“ und dem Eintreten für Juden als Zuschauer und Mitwirkende. Als bedenklich wird angesehen, dass Bayreuth anders als andere Bühnen bekannte Maler wie Max Slevogt als Bühnenbildner zurückwies. Als „Spagat zwischen Tradition und Moderne“ wird Siegfrieds Bayreuther Zeit  von Meier-Dörzenbach angesehen, während sich Kiesel den baulichen Veränderungen und Erbfolgeproblemen zuwandte.

In einem Gespräch widmeten sich Tobias Kratzer, Regisseur des Tannhäuser 2019, und die Witwe von Joachim Herz, Kristel Pappel, u.a. der Frage, wie sich die Figuren von Venus und Elisabeth zueinander verhalten, dass nicht eine Utopie, sondern ein Nahtoderlebnis vermittelt werden sollte.

Eine Vorschau auf den aus bekannten Gründen noch nicht verwirklichten neuen Ring gibt es mit dem Regisseur Valentin Schwarz und mit Paul Esterhazy unter dem altbekannten Aufruf Wagners:“Kinder! Macht Neues!“. Worin das nun 2021 (hoffentlich) bestehen wird, bleibt noch weitgehend ein Geheimnis.

Zum „Paradigmenwechsel in der Wagner-Regie“ äußern sich Johannes Erath und Wolfgang Nägele, und bei ihnen ist von „fremdenfeindlichem Gedankengut“ und „Kollektivschuld“, von „mit welcher Last leben wir“ die Rede, dann recht unverhofft vom Geheimnis der Liebe, das größer ist als das Geheimnis des Todes sei.

Francis Hüsers und Michael Schulz fragen sich anschließend, ob es, es ist von  Wagner außerhalb Bayreuths die Rede, eine Rückkehr vom Regie- zum Bildertheater gebe, meinen, aus den Peripherien könnten neue Zentren der Wagnerregie werden. Abschließend macht Christoph  U. Maier den Leser mit Richards Wagners Stilbildungsschule bekannt.

Das anregende, vielseitige Buch verfügt über einen reichhaltigen Anhang von Anmerkungen, Informationen zum Diskurs Bayreuth, den Autorenkreis und ein Personenregister (240 Seiten, Bärenreiter Verlag 2020; ISBN 978 3 7618 2492 4). Ingrid Wanja

Kurt AZESBERGER

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode des Tenors Kurt AZESBERGER, am 10. August 2020, geboren am 8. April 1960 in Arnreit (Oberösterreich); er wurde im österreichischen Stift St. Florian erzogen und gehörte dem bekannten Knabenchor des Stiftes an; er war dessen Alt-Solist. Er studierte dann Musik und Gesang am Bruckner-Konservatorium von Linz/Donau und setzte seine Ausbildung an der Musikhochschule in Wien bei Hilde Rössl-Majdan und bei Kurt Equiluz fort. 1987 erwarb er dort das Diplom für Oratorien- und Liedgesang. Nachdem er den Bach-Gesang bei Peter Schreier studiert hatte, wurde ihm 1991 der Mozart-Interpretationspreis der Republik Österreich für junge Künstler verliehen. Er begann nunmehr eine internationale Konzertkarriere. Er sang bei den Salzburger Festspielen (1986 in Beethovens C-Dur-Messe, 1993 in Kodálys »Budavári Te Deum«, 1996 den Evangelisten in der Matthäus-Passion von J.S. Bach und den Klaus-Narr in A. Schönbergs »Gurrelieder«, 1998 in Mozarts C-Moll-Messe und einem weiteren Mozart-Konzert und 2002 den Mönch in Schönbergs »Jakobsleiter«), beim internationalen Brucknerfest in Linz und beim Carinthischen Sommer. Man hörte ihn als Oratorien- und Liedersänger in Amsterdam, in Den Haag und London, und vor allem natürlich in Wien. Es kam dann auch zu Bühnenauftritten, so 1993 am Landestheater von Linz/Donau als Titelheld in der Händel-Oper »Xerxes« (»Serse«). 1993 sang er in Birmingham und in London gemeinsam mit dem Ensemble des Glyndebourne Festivals den Cascada in konzertanten Aufführungen von Lehárs »Die lustige Witwe«. 1994 sang er am Landestheater von Linz/Donau, in der darauf folgenden Spielzeit an der Staatsoper Berlin, 1999 (konzertant) in Köln den Ägisth in »Elektra« von R. Strauss. 1997 gastierte er in der Titelpartie von Mozarts »La clemenza di Tito« an der Wiener Volksoper. Bei den Salzburger Festspielen sang er 1997 (ebenso wie zuvor schon bei den dortigen Osterfestspielen) den Narren im »Wozzeck« von A. Berg und 2000 den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. In Berlin trat er 2000 als Evangelist in der Johannes-Passion von J.S: Bach auf; im Festspielhaus von Baden-Baden sang er den Gran Sacerdote in Mozarts »Idomeneo«. 2011 gastierte er als Wirt im »Rosenkavalier« an der Mailänder Scala. In seinem sehr umfassenden Konzertrepertoire nahm auch die zeitgenössische Musik eine wichtige Stellung ein. Seit 2014 bekleidete er das Amt des Stiftskapellmeisters im Kloster Wilhering. Er war Universitätsdozent einer Masterklasse an der Linzer Anton Bruckner Privatuniversität. Er starb ganz unerwartet während eines Urlaubs in Südtirol. Schallplatten: Hänssler-Verlag (»Lazarus« von Fr. Schubert als Nathanael).

Julian Bream

 

Viele meiner Generation werden sich an den britischen Gitarristen Julian Bream erinnern. Seine LPs auf RCA und anderen Firmen waren in vielen Studentenhaushalten zu finden. Seine unvergleichliche Spielart, sein breites Repertoire zwischen viel Barock aber auch modernem Jazz und (für damalige Verhältnisse gemäßigstem ) Pop machten ihn zu einer Kultfigur einer Zeit vor Joan Baez und Christopher Parkening. Ich erinnere mich gut an die Freude, seine Platten im Berliner British Center auszuleihen, wo ein schütteres altes Ehepaar mir die wunderbaren Aufnahmen empfahl und ich sie ausleihen konnte. Julian Bream war wirklich ein Meilenstein in meiner musikalischen Erfahrung. Nachstehend zwei Würdigungen dieses bedeutenden Musikers. G. H.

 

Der bedeutende Gitarrist und Lautenist Julian Bream ist am vergangenen am 21. 8. 2020  im Alter von 87 Jahren gestorben. Das Repertoire des Briten war enorm weit gespannt und reichte von lange vergessener Musik der Tudor-Zeit über das spanische Repertoire von Sor, Turina oder Albéniz bis zu zeitgenössischen Meisterwerken so bedeutender Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze und Tōru Takemitsu. Zahlreiche seiner Alben wurden mit Auszeichnungen, darunter dem Grammy, prämiert. „Die Klangschönheit, ruhige Klarheit, trennscharfe Artikulation und Noblesse von Breams Spiel mussten jeden fesseln“, hieß es über ihn in der Süddeutschen Zeitung/ Quelle/ Foto  Sony

 

Und das tapfere Wikipedia schreibt: Julian Bream (* 15. Juli 1933 in London; † 14. August 2020 in Wiltshire) wurde in Battersea/London geboren und wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf. Sein Vater, Henry George Bream, spielte Jazzgitarre, und der junge Julian Bream war beeindruckt, als er Musik von Django Reinhardt hörte. Er wurde angeregt, Klavier, aber auch Gitarre zu lernen. Nachdem er eine von seinem Vater besorgte Aufnahme von Tárregas Recuerdos de la Alhambra, gespielt von Segovia, gehört hatte, beschloss er, nicht Cricket-Spieler, sondern Gitarrist zu werden. An seinem 11. Geburtstag erhielt Bream von seinem Vater eine Konzertgitarre geschenkt, deren Spiel er als Autodidakt erlernte. Er gewann mit 12 Jahren einen Juniorenwettbewerb auf dem Klavier, was ihm ermöglichte, Klavier und Cello an der Königlichen Hochschule für Musik zu studieren. Sein erstes Konzert mit der Gitarre gab er 13-jährig 1947 in Cheltenham. Schon als Teenager spielte er als klassischer Gitarrist Filmmusik.

Sein Debüt gab er 1951 in der Wigmore Hall in London. Nach dem Militärdienst, währenddessen er in einer Bigband E-Gitarre gespielt hatte, nahm er seine berufliche Karriere wieder auf und gab für einige Jahre Konzerte auf der ganzen Welt. Zum Programm gehörte eine jährliche Tournee durch die USA und durch Europa.

Bream gehörte zu den Musikern, die in der Neuzeit die Laute wieder populär machten. Mit dem Tenor Peter Pears gab Bream als Lautenist in den 1950er- und 60er-Jahren zahlreiche Liederabende mit Werken englischer Renaissance-Komponisten (John Dowland, Thomas Morley usw.); durch diese Zusammenarbeit und als Lautensolist hat Bream einem großen Publikum die Musik des 16. Jahrhunderts, der Elisabethanischen Zeit, nahegebracht. 1960 gründete er das Julian Bream Consort, in dem er Laute spielte, als eine der ersten Musikgruppen zur Aufführung alter Musik auf Originalinstrumenten. (Ein weiterer Lautenist des Julian Bream Consorts war ab 1975 James Tyler). 1963 musizierte er, live übertragen von der BBC, mit dem indischen Musiker Ali Akbar Khan und bereiste anschließend Indien. 1964 wurde er Officer of the British Empire.

Seine Themenabende waren sehr weitreichend. Er spielte Stücke aus dem 17. Jahrhundert, Werke von Johann Sebastian Bach, die für Gitarre arrangiert wurden, Werke des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos, aber auch populäre spanische Stücke.

Viele Komponisten arbeiteten eng mit ihm zusammen und schrieben ihm Werke auf den Leib, darunter Malcolm Arnold, Benjamin Britten, Leo Brouwer, Peter Racine Fricker, Hans Werner Henze, Humphrey Searle, Tōru Takemitsu, Michael Tippett und William Walton. Ein Beispiel ist Brittens 1963 komponiertes Nocturnal after John Dowland, das John Dowlands Come Heavy Sleep weiterentwickelt, eines der bedeutendsten Stücke für klassische Gitarre. Der Komponist Benjamin Britten hatte bei seiner Arbeit an Nocturnal immer Bream im Hinterkopf. Ein weiteres herausragendes für Bream komponiertes Werk sind die Sonaten der Royal Winter Music von Hans Werner Henze. Breams auf die Gitarre übertragene Interpretationen der Klavierwerke Suite española von Isaac Albéniz und Danza No. 5 aus den Danzas españolas von Enrique Granados gelten als Meilensteine der Interpretationsgeschichte.

Im Londoner Verlag Faber Music gab er die Faber Guitar Series mit Notenausgaben für die Klassische Gitarre heraus. Durch seine zahlreichen Auftritte, Fernseh- und Radioübertragungen wurde Bream zu einer Leitfigur für klassische Gitarrenmusik im 20. Jahrhundert. 1967 veröffentlichte er sein Album 20th Century Guitar.

Für das Fernsehen produzierte Bream 1985 „Guitarra! – A musical Journey through Spain“. Diese Filmserie in acht Teilen über die gesamte Geschichte des Instrumentes wurde in mehreren Ländern gesendet und ist auch auf DVD erhältlich. In diesen Filmen spielt Bream außer der klassischen Gitarre auch Vihuela, Renaissance- und Barockgitarre.

#Eine ausführliche DVD erschien 2003 mit My Life In Music von Regisseur Paul Bahner, die drei Stunden Interviews und Konzerte enthält. Graham Wade bezeichnete sie als „den schönsten Filmbeitrag zur klassischen Gitarre überhaupt“. Sein letztes Konzert gab Julian Bream 2002 in Norwich.

 

Vor neuen Aufgaben

 

Noch kein halbes Jahrhundert Lebens- und naturgegeben noch viel weniger Schaffenszeit hinter sich gebracht und schon Memoiren geschrieben, dazu noch mit dem an Grabesstille gemahnenden Titel Der Klang der Stille!? Philippe Jordan, neuer Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, zuvor u.a. der Pariser Oper und der Wiener Symphoniker, hat es getan und nicht nur sich selbst damit einen Meilenstein gesetzt, sondern dem Leser auch eine Fülle von Einsichten, Anregungen und eine immense Bereicherung an Wissen, an Möglichkeiten, Musik bewusster zu erleben, geboten.

Dabei ist von der Stille nur kurz am Anfang und danach erst wieder ganz am Schluss in einem recht kurzen , allerdings um so eindringlicher wirkendem Kapitel die Rede, spielt das Biographische eher eine untergeordnete Rolle, ist das ca. 250 Seiten umfassende, von Haide Tenner aufgezeichnete Buch in drei Teile gegliedert: einen chronologischen, relativ kurz die Biographie umfassenden, den umfangreichen zweiten, in Paris und Wien unterteilten, in dem auf die von Jordan aufgeführten Komponisten eingegangen wird, und einen abschließenden dritten, der thematisch gegliedert ist.

Im Vorwort wird bereits von ersten Begegnungen mit klassischer Musik berichtet, dann vom Musikunterricht, vom Eintauchen in eine andere Dimension, der Spannung zwischen der Stille im Publikum und dem Erklingen des ersten Tons der Musik. Schon hier wird deutlich, dass es dem Dirigenten um mehr geht als um seine Biographie und seine Karriereschritte, um die Vermittlung von spirituellen Erfahrungen, die erst durch Musik möglich werden.

Über Zauberflöte, Holländer, Rheingold und Parsifal vollzieht sich das Erleben von Musik, erleichtert dadurch, dass der Vater ein Dirigent ist, aber zugleich auch begrenzend insofern, als der Sohn es vermeiden wird, zu Lebzeiten des Vaters Werke aufzuführen, die er durch diesen  kennen gelernt hat. Andererseits führt der Vater ihn in das Korrepetitorendasein ein mit einem Rosenkavalier am Chatelet. Lernen wird er nicht durch ein Studium, sondern durch Praxiserfahrung, dazu gehören auch Galeerenjahre wie die Verdis, wenn Jordan mit 21 Jahren in Ulm auch als Orchester- und Sängerpsychologe gefragt ist.

Besonders interessant wird es für den Leser, wenn er immer wieder auf Ausführungen stößt, die erkennen lassen, wie unzufrieden der Dirigent, und da wird er nicht der einzige sein, mit Regieleistungen ist, wie er sieht, dass die Arbeit von Orchester und Sängern unter ihnen leiden kann, wie hässliche Kostüme mitentscheidend sein können über den Misserfolg einer Produktion, dass Regisseure überzeugende Exposés einreichen und doch ganz andere Ergebnisse abliefern können. Jordan scheut nicht davor zurück, das in seinem Buch anzuprangern, aber hat offensichtlich, so beweist es die unsägliche Damnation de Faust in Paris, nichts Wirkungsvolles dagegen tun können. Ähnlich ist es um Konflikte, die ungeeignete Sänger auslösen, bestellt.

An dem Buch erfreut nicht nur die sympathisch uneitle, sachliche Darstellung, sondern auch das Eingehen auf technische Fragen, die den Leser interessieren könnten, so die des Auf-den Schlag-Spielen und das Hinter-dem-Schlag-Spielen oder die Charakteristika, die die Besonderheit einzelner Orchester ausmachen, die wesentlich abhängig sein können von den Forderungen der Dirigenten, so Barenboims an die Staatskapelle oder Harnoncourts an die Zürcher. Junge Dirigenten sollten sich des Autors Ratschlag, mit mittleren Häusern und dazu Gastspielen zu beginnen, zu Herzen nehmen.

Den Galeerenjahren folgen die Aufbau- und diesen die Pionierjahre, und es wird deutlich gemacht, welche Bedeutung jeweils jede dieser Epochen für die Entwicklung einer Künstlerpersönlichkeit hat.

Die beiden großen Hauptteile des Buches sind Paris und damit vor allem der Opernmusik und Wien und damit vor allem der konzertanten Musk und ihren hervorragenden Komponisten gewidmet, es werden aber auch Fragen wie Repertoire oder Stagione, Gäste oder Ensemble, Akustikprobleme der jeweiligen Säle oder ihre Baugeschichte erörtert.

Man erfährt viel und freut sich oft, so wenn für Puccini, von manchen verachtet, eine erfolgreiche Lanze gebrochen wird, man wundert sich manchmal, so wenn König Heinrich und die Seinen als kriegslüstern angesehen werden, aber man kann von einem Schweizer nicht verlangen, dass er weiß, aus welchem Grund der deutsche König gegen die Ungarn zog. Man fühlt sich bereichert durch die Ausführungen über das Rubato bei Wagner und Verdi, den französischen und italienischen Carlos, über die Bemerkungen über den Zeitmonolog der Marschallin und vieles andere.

Werdenden Dirigenten ist das Buch ganz besonders zu empfehlen, denn es mangelt ihm nicht an praktischen Ratschlägen, so zu Salome oder Pelléas, und auch die Anmerkungen über den Gebrauch des Taktstocks oder den Verzicht auf denselben sind erhellend.

Über Wagners Antisemitismus lässt sich nicht streiten, wohl aber darüber, ob Kundry, Alberich oder Beckmesser als jüdische Figuren angelegt wurden. Aber auch das zeichnet ein gutes Buch aus, dass es dazu Anlässe bietet, vor allem, wenn es Anspruchvollstes so klar und nachvollziehbar vermittelt, und wer die Meistersinger liebt, wird sich darüber freuen, dass Jordan an Sachsens Ansprache nichts Anstößiges entdecken kann.

Mit den Wiener Symphonikern hat Jordan viel Schubert, Bach, Beethoven, Brahms, Mahler, später auch Bruckner erarbeitet und vermittelt dem Leser, worauf es ihm dabei ankam, so auch darauf, das Orchesterprofil zu schärfen, gemeinsam zu atmen.

Das Buch schießt mit einem Vorausblick auf die neue Wiener Zeit mit der Staatsoper, an der er 7 Monate verbringen, 30 bis 40 Vorstellungen dirigieren wird. Mozart soll ein Schwerpunkt sein, ein Mozartensemble aufgebaut werden, und das Publikum soll jünger werden.

Es folgen noch kurze, aber inhaltsreiche Kapitel zum Handwerk des Dirigierens, zur Frage, ob es um Realisation oder Interpretation von Werken geht, zur Frage, was eigentlich Erfolg ist. Natürlich fehlt auch nicht der Appell, die klassische Musik angesichts von Dauerberieselung und zugleich Verdrängung aus den Schulen stärker zu fördern, und zum Titel zurück geht es mit einem „Ich wünsche uns allen mehr Stille in dieser lauten Zeit!“  (250 Seiten, Residenz Verlag 2020; ISBN 978 3 70173463 4). Ingrid Wanja       

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“

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Zu den sprichwörtlich unvergesslichen Momenten meines Lebens gehört eine konzertante Aufführung von Aeneas in Carthage, Joseph Martin Kraus´ epische Oper in englisch in der New Yorker Town Hall 1980 mit Elisabeth Söderström als Dido unter der Leitung des Pioniers Newell Jenkins. Allein schon der Beginn mit der unglaublichen, gewaltigen Sturmmusik und dem Aufbegehren der Winde riss mich als junger Mann „vom Hocker“. Und seitdem klingt mir diese Oper im Kopf. Ein rabenschwarzer Versand aus den USA bescherte mir auf Spulenbändern die Mitschnitte aus Stockholm (dto. Jenkins 1979, vorher der 3. Akt. dto. Söderström unter Charles Farncombe) im originalen Schwedisch und gekürzt wie auch die New Yorker Aufführung.

2006 dann kam Stuttgart, szenisch und in passablem neuen Deutsch (Radio) wie ebenso 2011 in Berlin darauf halb-szenisch unter Lothar Zagrosek. Natürlich wiederholte sich der Initialeffekt nicht so ganz und für meine heutigen Ohren, denn die Oper hat auch Längen (und braucht natürlich die Bühne mit allen ihren damals möglichen Zauber-Effekten), aber allein diese irren Ballettmusiken und der erwähnte Prolog rissen immer noch mit. Zagrosek und seine Crews vermittelten in eigens eingerichteten Fassungen doch einen guten Eindruck von der Majestät des Werkes und der unglaublichen musikalischen Erfindung bzw. europäischen Verwandschaft dieses einzigartigen Werkes. Gluck, Piccinni, Sacchini, Salieri  und die napoleonische Truppe grüßen, Spontini, Beethoven und Berlioz sind zu ahnen, Johann Christian Bach ist mit seinen französischen Opern nicht weit, Mozart und sein Idomeneo auch – eine weit nach vorne schauende Oper des Übergangs, in der das Gegenwärtige der damaligen musikalischen Errungenschaften Europas  vereint ist..

Ehrenhalber mit erwähnt: der Dirigent und Musikwissenschaftler Newell Jenkins – einer der Pioniere für Joseph Martin Kraus und Steffani/Foto OBA

Einen Opernführer über Aeneas i Cartago und damit über den beinahe unbekannten Joseph Martin Kraus zu schreiben, ist dringend nötig. Joseph Martin Kraus war ein internationaler Komponist. Aus dem fränkischen Miltenberg am Main stammend (1756 dort geboren), wurde er bei dem als Initiator vieler stilistischer Entwicklungen wichtigen Abbé Vogler in Mannheim ausgebildet (der als Schüler so prominente Komponisten wie Weber oder Meyerbeer hatte und der mit seinem wichtigen schwedischen Werk Gustaf Adolf och Ebba Brahe in einem Opernführer bereits in operalounge.de vorgestellt wurde).

Als ausgebildeter Komponist sieht sich Kraus einer kaum vielversprechenden wirtschaftlichen Situation gegenüber, als er in Göttingen mit dem Schweden Carl Strindsberg zusammentrifft, der ihn überredet, nach Stockholm zu kommen. Aber auch dort hat es Kraus nicht leicht, denn die verstaubte Opernszene ist in fester Hand von anderen Komponisten wie Johann Gottlieb Naumann aus Dresden  von Johan David Zander, Francesco Uttini (dem bezeichnenderweise italienischen Hofkapellmeister), Johann Christian Haeffner u. a.

Drottningholm war der glanzvolle Mittelpunkt der Opernaufführungen für den kunstliebenden Monarchen Gustaf III., durch Verdis und Mercadantes Opern in die Musikgeschichte eingegangen. Gustaf als Herrscher auf einem von Parteien selbstbewussten Adels und reichen Bürgertums nicht unumstrittenen Thron, widmete sich wie Friedrich der Große mit Vorliebe den Künsten, schuf in Schweden ein Gegenstück zum Berliner oder Wiener oder Stuttgarter Hof mit ihrem Kulturzentren. Und so entsprach das neue Drottningholm auch Sanssouci, Schönbrunn oder Ludwigsburg (wollte es zumindest sein). Gustaf war an einer nationalen Kulturszene Schwedens interessiert. Dass er sie mit Zugereisten verwirklichen wollte, entspricht der Tradition des Landes, das ja noch später, zu Zeiten Napoleons, sogar einen französischstämmigen (und bürgerlichen) König erhielt und das stets ein Vielvölkerstaat aufgrund seiner Annektionsgeschichte war. Von einer eigenständigen Musikkultur in Schweden zu sprechen, ist deshalb problematisch.

Joseph Martin Kraus: Ballettmusiken aus der Oper „Aeneas i Cartago“ unter Patrick Gallois  bei Naxos mit einem Cover, das eine Illustration zur Szene widergibt

Kraus jedenfalls tat sich schwer, die Konkurrenz war groß, die Aufträge blieben aus, und er schlug sich mit Auftragskompositionen durch, schrieb heimwehkranke und seine finanzielle und geistige Misere beschreibende Briefe nach Hause, die im Kraus-Museum in Miltenberg liegen. Dann plötzlich, 1779, ändert sich seine Lage, als er Mitglied der Stockholmer Königlichen Musikakademie wird. Mit Hilfe von einflussreichen Freunden, etwa dem Direktor des Königlichen Theaters, Karl von Fersen, gelingt Kraus mit seiner Proserpine auf das Libretto von Kellgren, einem erfahrenen Textdichter, 1781 der Durchbruch, als das Werk in Anwesenheit des Königs aufgeführt wird.

Es gefällt, und von nun an protegiert ihn Gustaf, überreicht ihm die stolze Summe von 500 Reichstalern. Kraus kommt zu Ehrenämtern, wird vom König sogar auf eine musikalische Erkundigungsreise durch Europa geschickt, trifft auf Haydn, Albrechtsberger und den von ihm über die Maßen verehrten Gluck (dessen Orfeo in Stockholm mehr Aufführungen erzielte als in Wien oder Paris). Von seinen Reisen bringt Kraus Informationen über Musikleben und Kultur im Ausland mit, was in seinen musikalischen Stil einfließt. Er wird 1787 Königlicher Musikdirektor. Gustaf und er planen eine große Oper, Aeneas i Carthago, die aber nicht mehr zur Aufführung kommt, denn am 29. März 1792 wird der König von einem Rebell auf einem Maskenball im Schloss erschossen. Kraus komponiert unter dem Eindruck dieses, auch persönlichen Verlustes seine bewegende Trauerkantate auf Gustaf III. und stirbt im Laufe desselben Jahres im gleichen Alter wie Mozart. Erst vier Jahre später kommt Aeneas i Carthago – eine Oper epischen Ausmaßes und ohne Zweifel Kraus‘ Hauptwerk – auf die Stockholmer Bühne.

Der folgende Artikel über die Gustavianische Oper und im besonderen Aeneas i Cartago des eminenten Kraus-Forschers Bertil H. van Boer macht uns mit dem einzigartigen Kultur-Erziehungs-Projekt des schwedischen Königs Gustav III und dieser ebenfalls einzigartigen Monumental-Oper von Joseph Martin Kraus bekannt, die nach ihrem run an der schwedischen Königlichen Hof-Oper 1799 pp. erst wieder im 20 Jahrhundert vorgestellt worden ist – eigentlich auch eine Blamage für die schwedische Kulturszene. Die Musik und die dramaturgisch-musikalische Anlage ist nicht  nur für die Zeit um die französische Revolution herum einzigartig und bemerkenswert. G. H.

Joseph Martin Kraus:  van Boers Studie zu Joseph Martin Kraus bei Indiana University Press (5. September 2014)

Bertil H. van Boer: Ein Gustavianisches Gesamkunstwerk. Die gustavianische Oper wurde in Folge der Bemühungen des aufgeklärten Monarchen eines nördlichen Landes an der Peripherie Kontinentaleuropas, Gustav III. von Schweden, mit dem Ziel geschaffen, ein kulturelles Zentrum zu errichten, das teilweise die neuesten Trends der zentraler  gelegenen europäischen Hauptstädte nachahmte und teils diese unterschiedlichen Strömungen zusammenmischte, um ein bestimmtes kulturelles Umfeld zu synthetisieren, das mit  eben diesen Zentren konkurrieren konnte. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stand Gustavs persönliche Philosophie, eine etwas egozentrische Ideologie, die Schwedens Position als europäische Macht wiederbeleben wollte, welche es während der Stormaktstiden (Großmachtzeit) des vorigen Jahrhunderts innehatte, sowie seine eigene Stellung als absoluter Monarch à la Ludwig XIV. zu festigen, wodurch er der bestimmende Faktor in allen politischen oder kulturellen Belangen wurde. In letzterem versuchte er ein Milieu zu fördern, das die Einheit der Künste betonte und zur Schaffung einer schwedischen Nationaloper führte; trotz der kontinentalen Modelle, auf denen es aufgebaut war, sollte es gleichwohl zu einem tragfähigen nationalen Forum mit einem eigenen Stil und Zweck werden. Um dies zu erreichen, versammelte der König eine Riege namhafter Künstler um sich, von denen jeder ermutigt wurde, das Bestmögliche beizutragen, um neue und revolutionäre kreative Werke hervorzubringen: Der Theoretiker Abbé Michelessi aus dem engen Kreise des Grafen Algarotti sollte Gustavs Berater in allen Bereichen des dramatischen und musikalischen Theaters werden; daneben ausländische Künstler wie der Bühnenbildner Jean Desprez, der Ballettinnovator Anton Bournonville und die Komponisten Joseph Martin Kraus, Johann Gottlieb Naumann, Abbé Georg Joseph Vogler und Johann Christian Friedrich Haeffner aus Deutschland sowie Francesco Antonio Baldassare Uttini, Glucks Nachfolger als Direktor der Mingotti-Theatergruppe, aus Italien. Sie alle wurden ermutigt, nach Norden auszuwandern. Die Librettisten, Schriftsteller, Dichter, Maler und Bildhauer waren jedoch hauptsächlich Schweden, von denen viele unter der direkten Aufsicht des Königs selbst arbeiteten. In der Tat kann gezeigt werden, dass Gustav III. die eigentliche Quelle für viele der Opern und Dramen dieser Zeit war, ein Amateurautor, der zahlreiche Umrisse und Skizzen von Geschichten anfertigte und sich auf etablierte Dichter wie Kellgren stützte, um sie in bearbeitbare Kunstwerke zu verwandeln. Das vielleicht erfolgreichste dieser literarischen Angebote war die Gattung der Opernlibretti, welche die Grundlage für die nationale gustavianische Oper bildeten.

Joseph Martin Kraus: Gustav III. von Schweden Lorenz Pasch (1733 – 1805)/ Wikipedia

Das Phänomen der gustavianischen Oper ist schwer genau zu definieren. Die ersten dieser Opern, an denen Gustav selbst nur am Rande beteiligt war, waren hauptsächlich einfache, populäre Werke; Adaptionen verschiedener Operás-Comiques und Singspiele à la Hiller such as Tillfalle gjor tjufven (Zufall macht den Dieb) und Nu ar hin Ids (das berühmte Der Teufel ist los), die in in zweitrangigen Theatern wie dem Bollhus von Männern wie Carl Stenborg und Carl Envallsson auf die Bühne gebracht wurden. Die zweiten dieser Opern umfassten nationale Dramen wie Gustav Vasa von Naumann, Gustaf Adolf och Ebba Brahe von Vogler sowie kürzere, „nordischere“ Werke wie Olof Ahlstroms Frigga. Die dritten dieser Opern, mit den tiefsten Wurzeln in den großen französischen Dramen von Racine, Marmontel und Quinault kann man in Thetis och Pelee von Uttini, Electra von Haeffner und in den beiden gustavianischen Opern von Kraus, Proserpin und Aeneas i Cartago (auch bekannt als Dido och Aeneas), erblicken. Dieses letzte Werk ist gleichsam die Verkörperung des Gesamtgeistes der gustavianischen Oper; ein komplexes Stück von außergewöhnlicher Länge, das die koordinierten Bemühungen von Librettist, Komponist, Bühnenbildner und Ballettmeister in einem einzigen monumentalen Meisterwerk vereint.

Die Geschichte des Aeneas begann im Sommer 1781. Nach drei Jahren verzweifelter Armut und vergeblichem Kampfes, sich in den schwedischen Musikkreisen zu etablieren, gelang es dem deutschen Auswanderer Joseph Martin Kraus, durch eine private Aufführung seiner Oper Proserpin vor Gustav III. den Posten des stellvertretenden Direktors zu gewinnen. Gleichzeitig stand das neue Opernhaus, das als das beste in Europa konzipiert wurde, kurz vor der Fertigstellung und Kraus erhielt den Auftrag, Aeneas als diejenige Oper zu komponieren, mit der das neue Theater eröffnet werden sollte. Die beabsichtigte Premiere musste jedoch abgesagt werden. Die neue Oper wurde planmäßig mit einem hastig angesetzten Werk von Naumann, Cora och Alonzo, eröffnet, das anstelle von Kraus‘ Werk gespielt wurde.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“/ Bühnenentwurf von Louis Jean Deprez/Wikipedia

Erst 1799, etwa sieben Jahre nach dem Tode des Komponisten, fand schließlich die Uraufführung des Aeneas tatsächlich statt. Aufgrund der enormen Länge der Oper – ungekürzt fast sechseinhalb Stunden – wurde der Dirigent Johann Christian Friedrich Haeffner beauftragt, das Werk auf überschaubare dreieinhalb Stunden zu kürzen. Die originalen Bühnenbilder von Desprez wurden verwendet, und all jene der ursprünglich beabsichtigten Sänger, so sie noch lebten und aktiv waren, sangen ihre ihnen zugedachten Rollen: Frau Müller sang Dido, Carl Stenborg den Aeneas, Herr Karsten den Jarbas, Mlle. Stading die Venus und Frau Haeffner die Juno. Berichte über diese erste Aufführung zeigten jedoch, dass Aeneas kein Erfolg war; das Werk war zu komplex, die Striche zu schädlich und die Musik zu schwierig für den populären Geschmack. Obwohl die Oper in den nächsten zwei Jahren insgesamt sieben Mal aufgeführt wurde und jede aufeinanderfolgende Aufführung mehr öffentliche Anerkennung fand, rechtfertigten die Produktionskosten es nicht, die Oper im Repertoire zu belassen. Fredrik Silverstolpe übersetzte das Libretto später ins Französische; in dieser Form wurde es 1805 in St. Petersburg unter Sigismund Neukomm in Konzertfassung aufgeführt. In jüngerer Zeit (1979) wurde in Stockholm und New York unter der Leitung von Newell Jenkins eine gekürzte Version wiederbelebt (1971 nur der dritte Akt und 1997 ebenfalls konzertant in Stockholm mit Elisabeth Söderström und Johnny Blanc, 1980 in englischer Sprache mit Elisabeth Söderström konzertant in New York; zwei deutschsprachige Aufführungen fanden in Stuttgart 2007 szenisch sowie in Berlin 2011 halbszenisch unter Lothar Zagrosek statt/ G. H.).

Nach Kraus‘ Tod im Jahre 1792 kehrte der Librettist Kellgren als Vorwegnahme der Veröffentlichung seiner eigenen vollständigen literarischen Werke erneut zum Aeneas zurück. Diese überarbeitete Fassung bildete die Grundlage für Haeffners Kürzungen und beinhaltete unter anderem eine vollständige Änderung des ursprünglichen Finales.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas in Karthago“ Staatsoper Stuttgart 2006/ Martina Serafin als Dido/ Foto Schaefer

Um die monumentalen Proportionen des Werkes zu verstehen, muss die Oper zunächst perspektivisch betrachtet werden. Vorweg ist anzumerken, dass Aeneas über einen Zeitraum von fast einem Jahrzehnt konzipiert wurde. Kraus, ein begeisterter Bewunderer von Gluck und eine Nebenfigur des literarischen Sturm und Drang, bezog nicht nur Stilmerkmale dieser beiden Bewegungen ein, sondern auch die vielen Musikstile, denen er während seiner großen Europatournee 1782-1786 begegnet war. Aeneas muss also als zusammengesetzte Oper gesehen werden; eine Synthese, die mit keiner einzelnen Opernform jener Zeit zu vergleichen ist. Zweitens wurde die Arbeit als Mittel konzipiert, um die Stockholmer Öffentlichkeit mit den Bühnenmaschinen und Bühnenmöglichkeiten des neuen Opernhauses vertraut zu machen. Daher wurde absichtlich jede Art von Szenenwechsel und Spezialeffekt eingebaut; von heftigen Stürmen auf See bis hin zu Erdbeben, von magischen Grotten bis hin zu idyllischen Tempelszenen, von opulenten Palästen bis hin zu massigen Schlachten vor den Stadtmauern. Selbst nachdem die ursprüngliche Absicht der Oper keine Rolle mehr spielte, wurde keiner dieser Effekte aus dem Libretto herausgeschnitten, was die Schwierigkeiten bei der Inszenierung des Werkes noch verschärfte.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – der Tenor Johnny Blanc sang den ersten Aeneas im 20. Jahrhundert, er war die Standardbesetzung jener Jahre in Stockholm, hier als Nerone/ Wiki

Die Musik spiegelt diese zahlreichen Szenen- und Stimmungsänderungen in der Vielzahl der in der Partitur enthaltenen Stile wider. Als Komponist ist Kraus sowohl einfallsreich als auch innovativ in der Kombination von Techniken und Stilen aus dem übrigen Europa mit seinem eigenen höchst originellen musikalischen Genie: Man begegnet den heftigen Tonverschiebungen und der Tonmalerei des Sturm und Drang, dem majestätischen französischen Chor, dem italienisch-wienerischen Stil von Haydn oder Mozart und der dramatischen Intensität von Gluck. Tatsächlich scheint der einzige fehlende Stil der des beliebten Singspiels zu sein. In gewisser Weise verleiht diese Verschmelzung der Arbeit ein zukunftsweisendes Gefühl und führt zu vielen fortschrittlichen Stilmerkmalen. Ein Beispiel dafür ist der Prolog, in dem die trojanischen Schiffe von Aeolus‘ Stürmen getroffen werden. Der Doppelchor wechselt kontinuierlich von den angeschlagenen Seeleuten zu den wilden Winden, während das Orchester (mit Piccoli, Holzbläsern, Blechbläsern und Streichern, einschließlich geteilter Bratschen, Violoncelli und Bässe) Tonfarben und Motive verwendet, die zuerst in der Ouvertüre zu hören waren. Es wird ein Hintergrund gemalt für diese gigantische Schlacht.

Zu Joseph Martin Kraus: Elisabeth Söderström war dreimal die Dido in den ersten Aufführungen der Oper „Aeneas in Carthago“ in moderner Zeit/ Foto Alchetron, das nützliche Portal für Information

Der größte Teil der Musik in der Partitur ist jedoch intimer konzipiert. Kraus vermeidet die langen konventionellen italienischen Opernarien mit ihrer umfangreichen Koloratur und Stimmdarstellung und ersetzt sie in den meisten Fällen durch einfache, emotionsgeladene, durchkomponierte Arien und Ensembles. Im Gegensatz zu den meisten Opern dieser Zeit verwendet Kraus ausschließlich begleitende Rezitative. Die Qualität variiert jedoch erheblich, von einfachen Saitenakkord-Interpunktionen à la Hasse bis hin zu komplizierten Accompagnati, bei denen die Unterscheidung zwischen Rezitativ, Arioso und Arie den Anforderungen der dramatischen Handlung untergeordnet ist. Nirgendwo wird dies deutlicher gezeigt als im vierten Akt, wo Aeneas versucht, den emotional labilen Pido von seiner eigenen inneren Qual zwischen Liebe und Pflicht zu überzeugen.

eine Kritik folgt, weil der Verla

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – das Buch von Jens Dufner ist eines der wenigen deutschsprachigen Standardwerke zu dieser Oper/ Peter Lang AG 2015/ ISBN-13: 978-3631647196/ 2015;, eine Kritik folgt – der Verlag sah sich lange Zeit ausserstande, ein Presseexemplar bereitzustellen …

In vielen Szenen wird das Rezitativ im Aeneas zu einem integralen Rahmen für die gesamte Szene, einer Grundlage, auf der ein kunstvolles Gebäude aufgebaut ist. Die formale Struktur und Unterscheidung zwischen Dialog und Lied ist für die Schaffung eines musikalischen Abbildes der laufenden Ereignisse von untergeordneter Bedeutung. Diese Auflösung formaler Parameter ist am auffälligsten im Finale des fünften Aktes, wo Dido, als sie Zeugin der trojanischen Flotte unter Segeln wird, sich vor einem schockierten Publikum von Karthagern das Leben nimmt. Dieses Rezitativ erweitert die Definition von Rezitativ mit seiner integralen Begleitung von Streichern und Bläsern bis an die Grenzen. In der Tat ist der Übergang in die Arie so reibungslos, dass er praktisch unbemerkt bleibt, wenn sich die Musik dem unvermeidlichen Höhepunkt von Didos Selbstmord nähert, wobei letzterer musikalisch durch eine „unheimlichen Dissonanz“ dargestellt wird, die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Akkord zu Beginn des Finales von Beethovens neunter Sinfonie aufweist. Dieses überraschend fortschrittliche und emotionale Finale mit seinem romantischen Tonfall und Gefühl ist weit entfernt vom konventionelleren Finalchor oder dem lieto fine. Es ist ein adäquater Zenit in einer Oper mit vielen musikalischen Höhepunkten.

Es gibt jedoch ein Problem. Eine der größten musikwissenschaftlichen Fragen zum Aeneas ist, ob Kraus seine Oper tatsächlich fertiggestellt hat. Obwohl die Seiten, die ursprünglich Kraus‘ Finale enthielten, aus der Partitur herausgetrennt wurden, zeigen andere Revisionen von Haeffner im fünften Akt, dass Kraus‘ Nachfolger, weit davon entfernt, der unbeholfene Mann fürs Grobe zu sein, nur wenige tatsächliche Änderungen vorgenommen und die Musik mit großer Sensibilität behandelt hat.

Der Autor: Bertil H. van Boer/ Discogs/ Wikipedia hat weitere biographische Informationen über den renommierten Forscher und Musikwissenschatler.

Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Oper ein Werk von monumentalen Ausmaßen ist; ein Bühnenstück, das sowohl die bestmögliche Zusammenarbeit von Komponist, Librettist, Bühnenbildner usw. verkörpert als auch die Philosophie hinter der gustavianischen Oper symbolisiert. Es ist ein Gesamtkunstwerk, wenn auch nicht im wagnerischen Sinne, wo ein Einzelner für jeden Aspekt verantwortlich ist. Der Begriff definiert vielmehr eine Arbeit, die als enge Zusammenarbeit vieler Künstler konzipiert wurde, welche für alle Teile der Produktion verantwortlich sind: Text, Musik, Tanz, Bühnenbild und Rollenbesetzung. Wenn Aeneas unter diesen Aspekten zu betrachten ist, erscheint es notwendig, eine ungeschnittene Fassung in voller Länge zu produzieren. Mit dieser Rekonstruktion ist die Möglichkeit einer Wiederbelebung dieser Essenz der gustavianischen Oper realisierbar geworden. Bertil H. van Boer/ Übersetzung Daniel Hauser

Den Artikel des eminenten Musikwissenschaftlers Bertil H. van Boer übernahmen wir in unserer eigenen Übersetzung aus dem Englischen und mit großem Dank an den Autor aus den „Publikationen der Kgl. Schwedischen Musikakademie N. 45, 1984“ aus Anlass des Symposiums zu „Kraus und das Gustavianische Stockholm“, das im selben Jahr in eben Stockholm in Zusammenarbeit mit der Dresdner Semperoper stattfand. Proserpin von Kraus wurde im Schlosstheater von Drottningholm aufgeführt; im alten Opernhaus gab es Gustaf Wasa von Naumann konmzertant, wonach bei Virgin/EMI auch eine CD-Aufnahme erschien. Zu einer avisierten Aufführung von Kraus´Aeneas i Cartago kam bis es bedauerlicherweise bis heute nicht, wenngleich Naxos daran sehr interessiert war und die meisten musikalischen Dokumente von Kraus im Katalog hat, darunter auch die Ballettmusiken aus der Oper. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den Naxos-Aufnahmen zu Kraus. G. H.

Wir danke im Besonderen Bertil van Boer (dem langjährigen Forscher und Champion für die Gustavianische Oper) für seine spontane Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit, aber auch dem deutschen Fachmann für Kraus, Jens Dufner. Weiter halfen bei der Vorbereitung Klaus Pietschmann, Frederik Wetterquist (Präsident der Kgl. Musikakademie), Kar-Erik Norrman und viele mehr. Danke an alle. Abbildung oben: „Aeneas bei Dido“ von Guerrin/ Louvre/ Wikipedia. G. H.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Erstmals auf CD und toll dirigiert

 

Mehrere Jahrzehnte Rossini-Renaissance haben den Bewunderern des Komponisten aus Pesaro derart viele Neuentdeckungen und CD-Premieren beschert, dass man kaum glauben kann, dass ein Label noch ein gewichtiges Werk aufstöbern kann, das nie aufgenommen wurde. Das ist aber der kleinen, aber feinen Firma Concerto Classics aus Italien tatsächlich gelungen. Die hier eingespielte, über 45 Minuten lange Kantate La riconoscenza („Die Dankbarkeit“) ist zwar ab 1973 mehrmals aufgeführt worden (zuletzt in Pesaro 2019), aber eine Plattenproduktion folgte dem Live-Erlebnis nie. Sie erscheint jetzt in einer Studio-Aufnahme aus Lugano, wo sie schon 2002 zur Aufführung gekommen war.

Rossini schuf die Kantate unter besonderen Umständen. Er bekam um 1820 den Auftrag für eine Kantate, um die Hochzeit des Sohnes von Maria Luisa, der kurzfristigen Königin von Etrurien (1801-1803) von Napoleons Gnaden und nunmehrigen Herzogin von Lucca, musikalisch auszuschmücken. Zwar kam der vielbeschäftigte Rossini nicht dazu, aber er schrieb eine Kantate anlässlich des Besuchs der Herzogin in Neapel im Jahr 1821. Ironie des Schicksals: bei der Uraufführung im privaten Rahmen war Maria Luisa nicht zugegen (sie hörte sie erst 1822). Der Öffentlichkeit wurde die Kantate am 27. Dezember 1821 vorgestellt, kurz bevor Rossini Neapel in Richtung Wien verließ. Das nicht ganz taufrische Abschiedsgeschenk kam gut an, und Rossini verwendete Teile der Komposition für andere Anlässe (aus dem darauf gründenden Vero omaggio von 1822 findet sich eine Cavatina für Sopran auf der CD). Der Komponist war bekanntlich nicht zimperlich, was die Libretti angeht, weil er sich das wie alle Kollegen im damaligen Wahnsinnsbetrieb, der Opernwelt, gar nicht leisten konnte. Für die Riconoscenza hatte er besonderes Pech. Der Verfasser des Textes war Don Giulio Genoino (1773-1856), ein Geistlicher (bis 1848) und Vielschreiber, der die damalige literarische Welt mit Gedichten, Theaterstücken, Libretti (neben der Kantate für Rossini kennt die Fachwelt noch die Farsa La lettera anonima für Donizetti im Jahr 1822) und Schriften bunten Inhalts überschwemmte. Ein neapolitanisches Schlitzohr war er auch: er bekleidete die gut dotierte Stelle eines Bibliothekars im Innenministerium des Königreichs Neapel, aber man munkelte, dass die Bibliothek gar nicht existierte. Im Vorwort seiner Opere liriche („Gedichte“, Bd. 2, Neapel 1825) spricht Genoino davon, dass seine poetische Ader zeitweise „so fruchtlos und stumpf war, dass kein Mittel war, eine Idee zusammen zu basteln“.

Das muss die Gemütslage gewesen sein, in der er sich befand, als er den Text der Cantata pastorale für Rossini schrieb. Man reibt sich die Augen: Genoino lässt Hirten mit gräzisierenden Namen im bukolischen Ambiente auftreten, um wortreich die Lobeshymne der Widmungsträgerin Maria Luisa anzustimmen. Der peinliche, auch sprachlich banale Text könnte von einem Metastasio-Nachahmer um 1780 stammen. Vierzig Jahre später ist der leere Wortschwall aus der Zeit gefallen. Das hinderte Rossini nicht daran, eine brillante, vergnügliche Partitur zu schreiben, die höchste vokale Ansprüche an die Interpreten stellt.

Dementsprechend braucht man dafür nicht nur stilsichere, sondern auch sehr virtuose Stimmen. Das Ensemble, das hier im Rahmen des von Markus Poschner auf mehrere CD angelegten Rossini Project zu hören ist, bemüht sich redlich, den Schwierigkeiten gerecht zu werden. Das gilt vor allem für die Tenor-Partie. Es ist die einzige Rolle, die Rossini für den berühmten Giovanni Battista Rubini (1795-1854) schrieb, den tenoralen Helden der romantischen Generation, der mit der Uraufführung der Puritani 1835 Operngeschichte schrieb. Rubini hatte mehrere Stücke Rossinis im Repertoire, aber es kam nie zu einer engen Zusammenarbeit, auch wenn die beiden noch bis in die 1850er Jahre Briefe austauschten (vgl. Reto Müllers Besprechung der Edition von Rubinis Korrespondenz in: La Gazzetta 29, 2019, S. 113-121). Um Rubinis Technik glänzen zu lassen, schrieb Rossini einige fiese, stratosphärisch hohe Passagen in die Kantate (Arie „Gratitudine, cara ai celesti“). Edgardo Rocha kommt hier rasch an seine Grenzen, zieht sich allerdings insgesamt ehrenvoll aus der Affäre. Der wendige, aber teilweise schneidige Sopran von Michela Antonucci ringt mehr oder weniger erfolgreich mit der Partie der Argene, während Laura Polverellis tremulierende Mezzo-Stimme das Ende einer würdigen Karriere ankündigt. Mirco Palazzi hat kaum etwas zu singen. Das wirkliche Ereignis ist indes Poschners Leietung. Man kann heutzutage wenige Dirigenten nennen, die das deutsche und das italienische Repertoire des 19. Jahrhunderts mit derartiger Souveränität und unfehlbarem Geschmack interpretieren können. Poschner hat Preise für seinen Brahms und seinen Strauss erhalten und sich auch schon als Beethoven-Dirigent hervorgetan (u.a. mit einer denkwürdigen Serie der Symphonien und Klavierkonzerte mit Francesco Piemontesi in Lugano). Man wird von einem solchen Künstler nicht unbedingt erwarten, dass er sich mit vergleichbarer Begeisterung dem gerade nördlich der Alpen immer noch unterschätzten Rossini widmet. Poschner tut das. Nicht nur die schmissig dirigierte, im Detail schön herausgearbeitete Kantate, sondern vor allem das Eröffnungsstück auf der CD lässt aufhorchen. Die Sinfonia (Ouvertüre mit Chor) von Ermione hat man selten mit solcher Wucht dargeboten gehört, und man darf hoffen, dass der Dirigent in Zukunft den Rossini serio erkunden wird. In der Zwischenzeit kann sich jeder Rossini-Liebhaber diese in ihrer Gesamtheit gelungenen und schön aufgemachten CD con riconoscenza zu Gemüte führen. Michele C. Ferrari

 

The Rossini Project, vol. 2: From Naples to Europe. La riconoscenza, Cantata pastorale; Ermione, Elisabetta, ‚Sinfonie; Ausschnitte aus Il vero omaggio und der Cantata a quattro voci con cori (1823): Michela Antonucci (Sopran), Laura Polverelli (Mezzosopran), Edgardo Rocha (Tenor), Mirco Palazzi (Bass), Coro della Radiotelevisione svizzera, Orchestra della Svizzera italiana, Markus Poschner, CD Concerto Classics 2118 (www.concertoclassics.it)

Absoluter Gewinn

 

Kurz bevor das Berufsbild des Postkutschers dem technischen Fortschritt weichen musste, erwies ihm Adolphe Adam 1836 seine Referenz mit einer komischen Oper, die sechzig Jahre lang bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, als schon längst die ersten Luxuszüge Europa durchquerte, über die Bretter der Opéra Comique ging. Knapp 600-mal. Dann stellte Le Postillon de Lonjumeau seinen Pariser Betrieb ein. In Deutschland erfreute sich der Postillon von Lonjumeau, seit er ein Jahr nach der Uraufführung an der Berliner Hofoper gegeben wurde, besonderer und langer Beliebtheit, die, wie im Fall von Aubers Fra Diavolo und im gewissem Sinn auch Boieldieus La dame blanche, zwei Weltkriege überdauerte. Kaum zu glauben, dass sich die Opéra Comique in Zusammenarbeit mit der Opéra de Rouen erst 2019 auf eines der Schlüsselwerke ihres Repertoires besann. 120 Jahre nach seiner letzten Aufführung bekam der Postillon eine zweite Chance. Dafür hatten der Schauspieler und Regisseur Michel Fau, sein Ausstatter Emmanuel Charles und der seit Aufgabe seines Modeimperiums immer häufiger als Kostümbildner tätige Christian Lacroix an nichts gespart, und sich Fau zusätzlich die Sprechrolle der Kammerzofe Rose gekrallt. Der König selbst, Louis XV., enttäuscht über die Absage von „Castor und Pollux“, gibt sich in einem kurzen Prolog die Ehre und beauftragt seinen Intendanten „Cherchez les voix“, was doppelt Sinn macht, da die die Autoren die Handlung in die Zeit seiner Regentschaft verlegten und Louis XV. der Opéra Comique den Status einer royalen Truppe verlieh und zu dem Stück Land verhalf, auf dem sich die heutige Salle Favart befindet. Man wird das Gefühl nicht los, dass die opulente Aufführung (DVD Naxos 2.110662) mögliche Zweifel an der Tauglichkeit des Werkes durch überbordende Dekors und Kostüme, ziselierte Korsagen und Bordüren, aufgetürmte Rokokoperücken und zeichenstarke Maquillage zu zerschlagen versucht. Dabei hat der Postillon übereifrige Nachsicht nicht nötig. Es handelt sich um perfektes Stück musikalischen Unterhaltungstheater, in dem die Rädchen einer Geschichte um den zum Tenorstar der Opéra aufgestiegenen Postillon Chapelou originell ineinandergreifen und die auf drei Akte verteilten 13 Nummern neben charmierenden Arien und Ensembles, wie die an Rossini erinnernde Bassarie von Chapelous ebenfalls Opernsänger gewordenen Freunds Biju alias Alcindor und das Angst-Terzett „Pendu! pendu!“, vor allem mit dem Tenorschlager „Mes amis, écoutez l’ histoire“ auftrumpft, eine Art Remake von Fra Diavolos berühmter Romanze; beide Werke wurde von Monsieur Chollet kreiert.

Während eines Halts in Lonjumeau entdeckt der königliche Intendant Marquis de Corcy den Postillon mit dem sicheren hohen D und verspricht ihm eine Karriere in Paris. Chapelou verlässt seine ihm soeben angetraute Gattin Madeleine. Zehn Jahre später: Chapelou ist zum Tenorstar Saint-Phar avanciert, Madeleine wurde dank des Erbes ihrer Tante zur reichen Madame Latour. Chapelou erkennt Madeleine nicht, verliebt sich neuerlich in sie und lässt sich sogar zu einer Heirat mit ihr breitschlagen – statt einer Scheinehe wird die Trauung tatsächlich vollzogen. Chapelou, der sich der Bigamie schuldig fühlt, steht größte Ängste aus, bis Madeleine die zweimalige Heirat aufklärt und der Chor nochmals die Weise vom schönen Postillon anstimmt.

Fau hat die schmale Bühne der Opéra Comique in die Auslage einer Patisserie mit rosa und blau beleuchteten Gateaux verwandelt, in der sich der Postillon Chapelou und die Wirtin Madeleine anlässlich ihrer Hochzeit zu Beginn auf einer gigantischen Torte feiern lassen. Das ist allerliebst, pittoresk, und wenn sich Michael Spyres im adretten Postillions-Kostüme adrett dreht und wendet und kokett dessen selbstverliebtes „Il etait beau“ ausstellt, wirkt er, nicht mehr jung, was die aufdringliche Schminke unterstreicht, nicht ganz schlank, ganz so wie Chollet beschrieben wurde, der zwanzig Jahre nach der Uraufführung bei seiner Rückkehr nach Paris neuerlich den Chapelou verkörperte: Formidable Diktion, gezierte Gestik, Eleganz und Stilgefühl im geschmeidig kolorierten (fast schon zu heroischen) Gesang, ein süßes Timbre und eine geschmeidige, nie auftrumpfende Höhe. Ein Gesamtkunstwerk. Die niedliche Kutsche, die himmelwärts stürmenden Pferde, die feinst dekorierten Chöre, ein Bilderbuch ist nichts dagegen. Klar, das ist ein vordergründiges Ausstattungstheater, dessen Feinschliff in den gedrechselten Bewegungen liegt, die aus älteren Molière-Aufführungen der Comédie Française zu stammen scheinen, viele Rampen-Aktionen und ausgedehnte Sprechszenen. Doch was soll‘s. Mit seiner musikalischen Delikatesse und dem reichen Kulissenzauber ist dieser Mitschnitt ein absoluter Gewinn.

Übertroffen werden diese Bilder durch das Fortuny-Rokoko, das sich Emmanuel Charles ausgedacht hat, wo die mit einem Perückenturm belastete Madeleine, jetzt Madame de Latour, in ihrem Salon der Liebe zu Chapelou hinterher trauert. Die etwas spitz herbe Florie Valiquette gewinnt in ihrer Arie dem leichten Sopran einige dramatische Akzente ab, während Michel Fau als Rose, wie die Herrin ein Traum in Pink, prätenziöse Sentenzen beisteuert. Franck Leguérnel ist als Marquis de Corcy, wie stets, von darstellerischer Präsenz, während sein Bariton kaum noch nennenswerte Substanz besitzt. Eine weitere Steigerung und oftmals groteske Überzeichnung erfährt das Dekorationstheater durch das „Theater auf dem Theater“ im zweiten Teil des zweiten Aktes, auf dessen übertriebene barocke Pracht jede historisierend Händel-Aufführung neidig sein könnte, und in der Saint-Phar, ausstaffiert wie einst die teuersten Kastraten, mit seiner kleinen Romance „Assis au pied d’un hétre“ und dem goldenen Kostümgefieder glänzt. Der Belgier Laurent Kubla erweist sich mit robustem Bassbariton in Alcindors witziger Zéphire-Arie über die Chorsänger der Oper („Qui, des choristes du théatre“) als fescher Nebenrollensänger. Im dritten Akt, wo man des Ausstattungsplunders langsam überdrüssig wird und – leider – auch der von Spyres grell ausgestoßenen Höhen in Saint-Phars Grand Air „A la noblese, je m’aille“ kommt als Stütze für das erwähnte Trio noch der unauffällige Bass Julien Clément als Bourdon dazu. Sébastien Rouland und das Orchestre der Opéra de Rouen und der dortige accentus Chor musizieren mit wohltuender Selbstverständlichkeit und lyrischer Feinheit. Das ist französische Oper in Idealbesetzung. Rolf Fath

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

Leon Fleisher

 

Im Alter von 92 Jahren ist der große US-amerikanische Pianist Leon Fleisher gestorben (Juli 23, 1928 – August 2, 2020) . Seit seinem Schallplattendebüt 1956 glänzte der ehemalige Schüler von Artur Schnabel mit warmen, konturierten Ton bei so unterschiedlichen Komponisten wie Schubert, Liszt, Debussy, Ravel, Rachmaninow oder Copland. Seine Konzerteinspielungen von Beethoven und Brahms – kongenial begleitet vom Cleveland Orchestra unter George Szell – zählen bis heute zu legendären und besten Aufnahmen der Tonträgergeschichte, den „lebendigsten und bewegendsten“ (New York Times) überhaupt. Aufgrund einer Nervenerkrankung konnte Fleisher ab Mitte der Sechziger Jahre seinen rechten Arm nicht mehr benutzen und konzentrierte sich, neben dem Unterrichten, auf Musik für die linke Hand. In den späten Neunziger Jahren gab er wieder Konzerte – dank medizinischer Botoxbehandlung auch mit Werken für beide Hände. (Foto und Quelle: Sony Classical)

 

Dazu auch ein Auszug aus dem vielzitierten Wikipedia: Leon Fleisher begann mit dem Klavierspiel im Alter von vier Jahren. Mit acht hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt. Bereits als Jugendlicher trat er mit den New Yorker Philharmonikern auf. Artur Schnabel nahm ihn in seinen kleinen Schülerkreis auf und beeinflusste seine Spielweise stark.

Bekannt ist Fleisher für seine Aufnahmen in Zusammenarbeit mit George Szell und dem Cleveland Orchestra aus den 1950er und frühen sechziger Jahren. Sie waren das Resultat einer Vertragsvereinbarung mit der Firma „Columbia Masterworks“. Darunter sind die Aufnahmen der Klavierkonzerte von Beethoven und Brahms, daneben des Klavierkonzertes Nr. 25 von Mozart sowie der Klavierkonzerte von Grieg und Schumann, der Symphonischen Variationen von César Franck und von Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini.

In den 1960er Jahren verlor Fleisher aufgrund einer Erkrankung, die schließlich als fokale Dystonie diagnostiziert wurde, den Gebrauch der rechten Hand weitgehend. Daher verlagerte er den Schwerpunkt seiner musikalischen Tätigkeit auf die Lehre, insbesondere am Peabody Institute der Johns Hopkins University.[2] Außerdem nahm er noch verschiedene Werke aus dem Repertoire für die linke Hand auf. Er trat wegen seiner Einschränkung über dreißig Jahre ausschließlich als linkshändiger Konzertpianist auf. Ab 1998 ermöglichte es ihm die regelmäßige Injektion von Botulinumtoxin (Botox), mit der rechten Hand wieder nahezu ohne Einschränkungen zu spielen.

1992 wurde Fleisher in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 2007 wurde er mit dem Kennedy-Preis ausgezeichnet.

Zuletzt war Fleisher, trotz seines hohen Alters, als Dirigent und Lehrer an mehreren musikalischen Hochschulen tätig. Unter anderem wirkte er am Tanglewood Music Center. Zu seinen Schülern gehörten Jonathan Biss, Yefim Bronfman, Naida Cole, Enrico Elisi, Elena Fischer-Dieskau, Enrique Graf, Hélène Grimaud, Margarita Höhenrieder, Hao Huang, Kevin Kenner, Louis Lortie, Jura Margulis, Stephen Prutsman, Wonny Song, André Watts, Jack Winerock, Moritz Winkelmann, Daniel Wnukowski, Orit Wolf und Einav Yarden.

Im November 2010 erschien Fleishers Autobiografie unter dem Titel My Nine Lives, verfasst gemeinsam mit Anne Midgette, einer Musikkritikerin der Washington Post. (Wikipedia)

Eldar Aliev

 

Nicht einmal 50Jahre alt geworden ist der aserbaidschanische Bass Eldar Aliev (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Tänzer und Choreographen), der von den Nachbarn, die sich regelmäßig um ihn gekümmert hatten, am 4. August 2020 in Mailand tot in seinem Wohnwagen aufgefunden wurde. Nur kurze Zeit hatte er sich des relativen Komforts erfreuen dürfen, hatte zuvor jahrelang auf Parkbänken geschlafen, mal als Clochard in er Via Carnovali, später der Via Mariani gelebt, war wohlgelitten von den Anwohnern, nicht zuletzt wegen seiner Bescheidenheit, die ihn Almosen von mehr als zwei Euro ablehnen ließ, auf einen Geldschein gab er stets das den Münzwert überschreitende Geld heraus.

Ein Geheimnis blieb bis zuletzt, warum die glanzvolle Karriere, die ihn die anspruchvollsten Rollen des italienischen und russischen Repertoires singen ließ, so abrupt beendet wurde, der Umschwung von der Scala auf die Straße sich urplötzlich und ohne nachvollziehbaren Grund vollzog.

In seinem Geburtsort Baku hatte Aliev seine Ausbildung zunächst als Pianist, dann als Sänger erhalten. Sein Lehrer war Anatoli Gussev.  1992 kam er im Alter von 21 Jahren nach Italien, gewann ein Stipendium für das Studium an der renommierten Musikakademie von Osimo in den Marken. Auch den Amici del Loggione del Teatro alla Scala war sein Talent aufgefallen, und sie verhalfen ihm zu einem Preis, der Gesangsunterricht bei keinem Geringeren als Carlo Bergonzi bedeutete. Mit der ersten bedeutenden Rolle verbunden war der Gewinn des „Concorso Toti dal Monte“ 1994 in Treviso, für viele Sänger, da stets mit einem vielbeachteten Auftritt verbunden, das Sprungbrett in eine Karriere. Elda Aliev sang den Don Giovanni unter Peter Maag, ein Jahr später in Rom nach seinem Debut bedeutende Partien wie Banquo, Sparafucile, Timur oder Colline. Auch Triest wurde zu einer seiner bevorzugten Bühnen, hier sang er unter anderem Oroveso und  Filippo. Nach Pesaro wurde er für den Leuthold in Guglielmo Tell gerufen, unter Vladimir Jurowski sang er hier auch den Pharao in Moise et Pharaon. Davon gibt es eine CD, außerdem von Donizettis Parisiana d’Este.

Auch außerhalb Italiens war er gefragt, sang beim Festival von Wexford in Siberia von Giordano. Unter den Linden in Berlin konnte man ihn als Don Giovanni erleben. Die Bühnen der ganzen Welt standen ihm offen, ehe er vor 15 Jahren, so titelte eine italienische Zeitschrift, „dal Teatro alla Scala alla miseria“ wechselte.

Seine Mailänder Freunde haben die aserbaidschanische Botschaft kontaktiert, die dafür sorgen will, dass der Sänger in seiner Heimat würdig bestattet wird (Foto youtube). Ingrid Wanja   

Saint-Saëns: „Le Timbre d’argent“

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Das sei keine Oper, das sei Alptraum, meinte selbst ihr Autor. An keinem seiner Werke hatte Camille Saint-Saens so lange herumgedoktert wie an seiner ersten Oper Le Timbre d‘argent, mit der er sich, längst als Organist und Pianist ein anerkannter Virtuose, den Durchbruch erhoffte. Und dieser war nur auf der Bühne zu erreichen. Das silberne Glöckchen, ein Gegenstand, wie man ihn einst in großbürgerlichen Haushalten oder an Hotelreceptionen zum Herbeirufen des Personals benutzte, ist eine Totenglocke, die, wäre ihm nicht der Erfolg der im gleichen Jahr uraufgeführten Oper Samson et Dalila hilfreich zur Seite gesprungen, durchaus auch das Ende des Opernkomponisten Saint-Saëns hätte einläuten können. Nachdem Le timbre d’argent eine einigermaßen erfolgreiche Uraufführung und immerhin 18 Aufführungen erlebt hatte, der sich Produktionen in Brüssel, Elberfeld, Köln, Berlin, Monte-Carlo und 1914 abermals in Brüssel anschlossen, folgte das endgültige Aus für das Silberglöckchen. Mehr als hundert Jahre später versuchte jetzt die nach 18monatiger Sanierungen wiedereröffnete Opéra-Comique im Verbund mit dem koproduzierenden Palazzetto Bru Zane, der die Opern-Ausgrabung in sein fünftes „Festival Palazzetto Bru Zane à Paris“ 2017 einbettete, dem Stück Leben einzuhauchen. Die gut gemeinte Reaktion der Premierenbesucher kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Saint-Saëns’ „Alptraum“ vermutlich für immer verstummen würde, wenn Palazzetto Bruno Zane, wie auch von den anderen Opern des Festivals, nicht eine CD (BZ 1041, 2 CD mit vielen zweisprachigen Aufsätzen und dto. Libretto, alles nur englisch-französisch, wogegen sich der deutschsprachige Fan wieder einmal wehrt, sind denn die drei deutschsprachigen Länder Europa der größte Kaüferblock…) folgen ließe. Und hört sich das nun prickelnder an?

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Saint-Saëns‘ „Le Timbre d’argent“ an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Es ist ein großer Stoff. Halb Faust, halb Pygmalion. Ein Ringen des Teufels mit dem Künstler. Gold und Verführung, Tod und Leid, Sinnenlust und kleines Glück. Alles in einem, ein Kunstgewebe aus deutscher Romantik, dunklem Teufelspiel, Theaterglanz, Phantasmagorien und Künstlertragödie, und der Begeisterung der Franzosen für dunkle, alptraumhafte Szenarien, wie sie auch durch Edgar Allen Poe nach Frankreich gelangten und nicht nur bei Maupassant auf literarische Resonanz stießen. Der Maler Conrad liegt am Weihnachtsabend elend danieder. Er wird vom Freund Bénédict, seiner Geliebten Hélène und dem Arzt Spiridion umsorgt, den er beschuldigt, ihn nicht zu heilen. Haltlos verliebt er sich in die Tänzerin Fiammetta, die lebendig geworden Circé seines Gemäldes, die ihn in vielerlei Gestalt umwirbt und der er immer wieder erliegt. Ebenso wie den teuflischen Verführungen Spiridions, der ihn lockt, das Silberglöckchen zu läuten, um Wohlstand, Gold und Glück im Spiel und in der Liebe zu finden. Bei jedem Läuten stirbt ein Mensch. Was soll’s, meint Spiridion. Als der Vater von Hélène und ihrer Schwester Rosa stirbt, dann auch der gute Bénédict, sträubt sich Conrad, will den teuflischen Gegenstand beseitigen. Spiridion greift zu immer stärkeren Mitteln der Verführung, bis Conrad endlich nach Hélène ruft, wie Tannhäuser nach Elisabeth, „Chère Hélène, c’est toi, toi seule que j’ adore“. Er wirft die verdammte Glocke von sich. Zurück an den Anfang: Alles nur ein Alptraum. Conrad ist geheilt. Der Chor macht alles gut, „Dieu clément jette un regard paternel! Alléluia!“. Der accentusChor serviert diese Bitte um Vergebung wirkungsvoll aus dem Auditorium, wie mehrfach an diesem Abend. Die Chöre, harmonisch raffiniert gebaut, gehören zu den zentralen Momenten der Oper. Ein reiner Opernchor hätte ihnen vielleicht mehr theatralischen Zunder gegeben, gleichwohl singen die accentus-Sänger gerade und klangreich. La damnation de Faust, Les contes d’ Hoffmann, Faust sie alle umgeistern diese Oper, die keinen eigenen Ton findet.

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Es scheint, als ob man Saint-Saëns bewusst ins Messer laufen ließ. Zweimal hatte man ihm den Prix de Rom verwehrt. Einmal war er zu jung, einmal zu alt. Auber soll sich für Saint-Saens eingesetzt haben, so dass ihm Léon Carvalho, Direktor des Théatre-Lyrique, 1864 einen Stoff von Jules Barbier und Michel Carré anbot, den wohlweislich bereits drei andere abgelehnt hatten, darunter Gounod. Saint-Saëns griff natürlich zu. Die Umgestaltung der ursprünglichen Opéra comique in eine Opéra und abermalige Rückführung in eine Opéra comique usw. hing mit den in Aussicht gestellten Uraufführungsorten zusammen. Das Unternehmen platzte. Dann kam der Krieg von 1870. Als die Oper schließlich am 23. Februar 1877 herauskam, waren dreizehn Jahre seit den Anfängen verstrichen. Saint-Saëns war kein Anfänger mehr, sondern ein gestandener Mann von 42 Jahren. Selbstkritisch genug, nahm er bis zu letzten Brüsseler Produktion von 1914, deren Version jetzt an der Opéra-Comique gespielt wurde, über ein halbes Jahrhundert Modifizierungen vor. Das dürfte einzigartig sein. Saint-Saëns wollte alles richtigmachen, packte alles in das Stück hinein. Das ist souverän, meisterhaftes Handwerk, orchestral von ausladender Kunstfertigkeit, etwa die ausgedehnte Ouvertüre, die mit ihren ländlerisch derben und walzend eleganten Anklängen – das Stück spielt in und um Wien – nachvollziehen lässt, weshalb die Zeitgenossen sich auch an Weber erinnert fühlten.

Francois-Xavier Roth und das Orchester Les Siècles spielen den langen Vorspann, dessen Reiz sich auch erschöpft, mit einer magistralen Hingabe, die sie auch während des zwei-einhalb-stündigen Abends im Juni 2017 (aufgenommen wurde am 26 und 27. ) nicht verlässt. Doch nun muss man schon wie Aschenputtels Tauben anfangen, das Gute herauszupicken, die auffallenden Nummern hervorheben. Das sind einige, das keusche Lied des Bénédict „Demande à l’oiseau“, das ebenso schlichte sinnfällige Hochzeitsduett mit Rosa, das rührende, fast einfältige Lied der Hélène „Le bonheur est chose légère“, die elegisch leidenschaftlichen Gesänge des Conrad, deren Anlage und Tessitur genau zwischen Faust und Hoffmann ausgependelt ist, vor allem aber zwei Szenen des Spiridion, die vergessen machen, dass er Bösewicht auch viel Ödes zu singen hat, das coupletgewitzte springlebendige „De Naples à Florence, et de Parme à Vérone“ (klingt das nicht schon nach „We open in Venice“ in Porters Kiss me Kate!) und seine Ballade „Sur le sable brille“. Wenn man anfängt aufzuzählen, zeigt dies auch, wie dürftig die Oper musikdramatisch zusammengeleimt ist, wie es ihr an vokaler Dringlichkeit, an Feuer und Leidenschaft fehlt. Man sehnt sich nach Faust und Hoffmann. Dabei ist eigentlich alles drin, schillernde Orte, eine kräftige Handlung, Figuren, die nach Musik rufen – Fiammetta freilich ist wie in Aubers La muette de Portice eine Tänzerin. Und doch springt der Funke nicht über. Man ist durchgehend interessiert, aber auch gelangweilt.

Saint-Saëns‘ „Le Timbre d’argent“ an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Und die vokale Seite?  Anfangs will der graue, schlierige und erschöpfte Gesang von Edgaras Montvidas gar nicht gefallen. Nicht der Einheitston, nicht die gespreizten und angestrengten Höhen und dramatischen Bemühungen; und das Französisch finde ich auch nicht impeccable. Doch die Stimme des litauischen Tenors hat ein Gesicht, als Conrad überzeugt er durch Persönlichkeit. Alles was man sich von einem leichten französischen Tenor an flüssiger Tongebung und Süße der Phrasierung erwartet, kann Yu Shao als Bénédict aufbieten, der zusammen mit der koloratursauberen Edelsoubrette Jodie Davos als Rosa ein bezauberndes Paar abgibt; als Hélène hat die stimmlich etwas steif gewordene Hélène Guilmette fast das Nachsehen. Tassis Christoyannis, wie Montvidas eine Säule der Bru Zane-Produktionen, hat als Spiridion, ein bisschen Mephistophélès, ein bisschen Les contes d‘Hoffmann-Bösewicht, eigentlich eine Paraderolle, die er mit Nonchalance ausfüllt, doch fast auch wie nebenbei. Aber für den Opernfan, namentlich den am französischen Repertoire interessierten, ist es doch gut, diese Aufnahme gehört zu haben – wiederum einmal mehr chapeau für den tüchtigen Palazetto Bru Zane. Rolf Fath

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Hommage an einen Vergessenen

 

Friedhöfe sind – namentlich an heißen Sommertagen – nicht nur für die Erholung unter alten Bäumen in würdiger Ruhe ein Gerwinn (selbst wenn mir da nicht alle zustimmen  werden…). Auch für die Bildung vermitteln sie überraschende Aha-Effekte. Wie unser Daniel Hauser nachstehend schreibt: Wer kennt den Komponisten Woldemar Bargiel, dessen Grab auf dem Friedhof an der Berliner Bergmannstrasse (nähe Südstern, dem Haupteingang)  zu finden ist? Wie manche seiner Kollegen nicht nur auf diesem Friedhof liegt Bargiel versteckt und vergessen.

Woldemar Bargiels Grabstein auf dem Berliner Friedhof an der Bergmannstrasse/ Wiki

Da ragen in Berlin nur Mendelssohns am Mehringdamm und wenige andere heraus (so Leon Jessel auf dem Friedhof an der Berliner Strasse in Berlin-Wilmersdorf), die kennt man wenigstens. Von Leo Blechs Grab bewahrte die Witwe des Literaturwissenschaftlers Wapnewski wenigsten den Stein, der nun diskret neben dem von Peter Wapnewski auf dem Friedhof am Olympiastadion seine Heimstatt behalten hat, nachdem er aus der Reihe der Berliner „Ehrengräber“ getilgt (!!!) wurde. Woldemar Bargiel war uns einen Artikel wert. Und seine Musik stößt bei Daniel Hauser auf Begeisterung. Die Firmen Toccata und Sterling (auch cpo und einige andere Labels) haben seiner, wie manchem anderen Vergessenen, gedacht. Wir auch. G. H.

 

 

Wer kennt heute noch Woldemar Bargiel? Selbst klassik-affinen Zeitgenossen dürfte dieser exotisch klingende Name wenig sagen. Dass Bargiel, immerhin der Halbbruder von Clara und somit der Schwager von Robert Schumann, im 19. Jahrhundert als einer der bedeutendsten akademischen Komponisten aus Deutschland betrachtet wurde, ist genauso Expertenwissen wie die Tatsache, dass zu seinen Schülern u. a. auch der Komponist und Dirigent Leo Blech sowie der spätere langjährige Präsident der Reichsmusikkammer Peter Raabe gehörten. 1828 in Berlin als Sohn eines Gesangs- und Klavierlehrers sowie einer Pianistin und Sängerin geboren, war im das musikalische Gen gleichsam in die Wiege gelegt worden. Er arbeitete als Musiklehrer in seiner Heimatstadt, unterrichtete ab 1859 am Konservatorium in Köln und übernahm 1864 die Musikschule der Tonkunst in Rotterdam, wo er auch seine spätere Frau Hermine Tours kennenlernte. Erst 1874 kehrte er schließlich abermals nach Berlin zurück und folgte einem Ruf zum Professor für Komposition. Diese Tätigkeit übte er in den 23 Jahren bis zu seinem Tode 1897 aus und galt als einer der wichtigsten Kompositionslehrer seiner Zeit.

 

Woldemar Bargiel 1885/ Wiki

Lange hatte die Musikwelt Werke Bargiels vergessen. Erst im letzten Jahrzehnt kam etwas Bewegung in die Sache. cpo legte zwischenzeitlich seine vier Streichquartette sowie das Streichoktett vor, und beinahe zeitgleich brachten Toccata (TOCC 0277) und Sterling (CDS 1105-2) die wichtigsten seiner Orchesterwerke auf den Markt. Dies sind die viersätzige Sinfonie in C-Dur op. 30 (1864), die Ouvertüren zu Prometheus op. 16 (1852; rev. 1854 u. 1859), zu einem von Shakespeares Romeo und Julia inspirierten Trauerspiel op. 18 (1856) sowie zu Medea op. 22 (um 1861) und ferner das Intermezzo für Orchester op. 46 (1880), womit ein knapp 30-jähriger Rahmen abgedeckt ist. Zeitlich lässt sich das Gros der Stücke tatsächlich in die Lücke zwischen Schumanns überarbeiteter vierter Sinfonie (1851) und Brahms‘ erster Sinfonie (1876) einordnen, eine Zeit, in welcher weniger die klassische Sinfonik als vielmehr die sinfonische Dichtung á la Liszt tonangebend war. Bargiel war gewiss kein Neuerer und bewegte sich innerhalb der bis dahin üblichen Formen, insgesamt klassizistischer ausgerichtet als sein Schwager Schumann und mit deutlicheren Anklängen an Mendelssohn und insbesondere Beethoven. Gleichwohl gelang ihm zwischen all diesen Titanen eine eigene Tonsprache, eingewoben in eine handwerklich tadellose Orchestrierung. Die Melodie steht bei Bargiel, hierin nicht unähnlich Beethoven, weniger im Mittelpunkt als ihre thematische Verarbeitung. Während die Sinfonie womöglich den spannendsten Beitrag zur deutschen Sinfonik in den 1860er Jahren darstellt, sind die genannten Ouvertüren (von denen vor allem Medea herausragt) im Grunde genommen und trotz anders lautender Bezeichnung Tondichtungen im Liszt’schen Geiste.

Dass Bargiels Musik durchaus hörenswert und auch aufführungswürdig ist, belegen die genannten Produktionen durchaus. Es ist freilich ein Wermutstropfen, dass sowohl die CD von Toccata (die 2014 als Vol. 1 einer kompletten Einspielung sämtlicher Orchesterwerke Bargiels angekündigt wurde, der bis dato allerdings nichts nachfolgte) als auch jene von Sterling interpretatorisch und klanglich ihre Schwächen haben. Weder das Sibirische Sinfonieorchester unter Dmitry Vasilyev (Toccata) noch das mexikanische Orquesta Sinfónica de San Luis Potosí unter José Miramontes Zapata (Sterling) können auf ganzer Linie überzeugen; in letzterem Falle werden die orchestralen Defizite noch deutlicher. Findet sich denn kein deutsches Symphonieorchester? Genauso problematisch ist allerdings die in beiden Fällen nicht ideale Tontechnik. Während die Toccata-Ausgabe klanglich zwar bassstark, aber teils zu verschwommen und wenig detailreich daherkommt (Aufnahme: Philharmonie, Omsk, Juni/Juli 2014), klingt die Sterling-Einspielung (Aufnahme: Teatro de la Paz, San Luis Potosí, Juni 2014) dünn und schrill und weist im stereophonen Klangbild mittig eine seltsame Leere auf, die fast an die Stereo-Frühzeit erinnert. Hier wurde an der falschen Stelle gespart. Trotz dieser ärgerlichen Einschränkungen liefern die Interpretationen ein Plädoyer für eine ausgedehntere Pflege des Œuvre dieses Komponisten, wobei der Toccata-Einspielung trotz der genannten Makel der Vorzug gegeben werden muss. Mit einem Spitzenorchester in klangtechnisch ausgereifterer Präsentation wäre hier gewiss noch deutlicher Spielraum nach oben. Die Textbeilagen sind durchaus brauchbar. Daniel Hauser

Lieder aus Argentinien, Russland und Frankreich

 

Welch wunderliche Beinamen es gibt. Den „Schubert der Pampas“ nannte man den argentinischen Komponisten Carlos Guastavino (1912-2000). Vor allem wohl wegen seiner mehr als 150 Lieder, die einen Großteil seiner 500 Kompositionen bilden. Anders als sein 16 Jahre jüngerer Landsmann Ginastera zeigte sich der in seiner Geburtsstadt Santa Fe de la Vera Cruz und Buenos Aires ausgebildete Guastavino unbeeindruckt von der Moderne, pflegte auch in den Kammermusikwerken und den sinfonischen Stücken einen luziden, lokal gefärbten, folkloristisch romantischen Stil, so dass seine Lieder, die Einfluss auf die Popularmusik hatten, wie eine andere Seite der populären Tangos wirken. Es war deshalb recht geschickt von der italienischen Sopranistin Letizia Calandra und ihrem kubanischen Pianisten Marcos Madrigal ihre im März 2018 in Lugano entstandenen Auswahl von Liedern Guastavinos in einen Sepiaklang wie bei den Gardel-Aufnahmen der 1940er Jahre zu hüllen (Brillant Classics 95798), was dem Unternehmen eine gefällige nostalgische Klangkulisse gibt. Guastavino vertonte bedeutende lateinamerikanische Poeten, darunter Neruda, Borges, Alberti und Benaros, dazu gehören die das Programm eröffnenden 12 Lieder nach Leon Benaros Flores Argentinas (1969), die einen unmittelbaren morbiden Reiz besitzen, sehr melodiös und sanft verführerisch sind, wobei Calandra mit Farben und Vokalen spielt und mit einem modernen Recitarcandando-Stil sehr eindringlich gestaltet und Madrigal seinen klingend klöpfelnden, perkussiven Part mit Verve und  Eleganz versieht. Ein früherer Zyklus, die sieben Lieder “Sobre poesias de Rafal Alberti“, stammt aus dem Jahr 1946, ein Jahr bevor Guastavino mit einem Stipendium für zwei Jahre nach London ging. Ansonsten scheint er sein Leben in Argentinien verbracht zu haben, wo er mit seinen argentinischen Themen in Ballett- und Orchestermusik, zu einer Größe wurde und sich seine Musik eine Unberührtheit bewahrte. Es fehlen auch nicht das von Calandra mit Leidenschaf gesungene „La rosa y el sauce“, die bekannte „Elegia para un gorrion“ und sein, so sagt man, berühmtestes Lied „Se equivocó la paloma“, die unbedingt als Volkslieder durchgehen können (Brilliant 95798). Eine Entdeckung.

 

Kein Unbekannter ist Nikolai Medtner (1880-1951), der deutsche und skandinavische Verfahren hatte, nach der Oktoberrevolution nach Deutschland emigrierte, in Berlin und Paris lebte und sich nach ausgedehnten Konzertreisen, die er als Pianist unternahm, 1935 in England niederließ, wo er als Pianist und Komponist seine treueste Anhängerschaft fand. Anfangs als Avantgardist betrachtet, kultivierte Medtner über die Jahrzehnte einen gleichbleibend klassisch-romantischen Stil, der sich auch in den mehr als hundert Liedern zeigt, viele darunter, entsprechend der im Elternhaus gepflegten deutschen Kultur, auf deutsche Gedichte, vor allem die drei Goethe-Sammlungen op. 6., 15. und 18. In der aus den Jahren 1903 bis 1914 stammenden Auswahl der Mezzosopranistin Ekaterina Levental und des Pianisten Frank Peters (Brillant Classics 96056), also aus Medtners russischen Jahren, findet sich nur das Goethe Gedicht „Auf dem See“, wobei Medtner hier ausnahmsweise eine Übersetzung von Afanasy Fet benutzte, von dem er auch einige Gedichte vertonte. Alle anderen Lieder, darunter die acht Gedichte op. 24 und die sieben Gedichte op. 28, benutzen russische Vorlagen, größtenteils Gedichte Fets und Tyutchevs, und als bekannteste die sieben Puschkin-Gedichte op. 29. Medtner wurde als Pianist in einem Atemzug mit seinen Landsmännern Rachmaninoff, Hofmann, Lhevinne und Scriabin genannt. Entsprechend gewichtig ist der virtuose Klavierpart in den schönen gefühlvollen, melodiösen Liedern, dem eigentlich die dominierende Rolle zufällt. Die Stimme hat sich in den im Stile von Rachmaninoffs Romanzen gehaltenen Liedern quasi unterzuordnen, wodurch in den silbisch vertonten Versen eine verinnerlichte, subtile Gestaltungskunst gefragt ist. Ekateria Levental muss mehr malen und andeuten, Ausdruck und Bilder unterschwellig entwerfen, um einer gewissen Monotonie zu entgehen.

 

Die Pianistin Anna Cardona und der Bariton Victor Sicard haben im Herbst 2019 in Paris Mélodies von Maurice Ravel aufgenommen, die einmal mehr Ravels immense Fähigkeit der Anverwandlung und seinen spielerischen Umgang mit Stilen, Sprachen und Regionen zeigen ( Harmonia Mundi LMU 020). Ausgewählt wurden die bekannten Zyklen von den Don Quichotte-Liedern über die Deux mélodies hébraïques, Chansons madécasses (mit Aurélien Pascal und Mathilde Calderini als Instrumentalsolisten), Cinq chants populaires und Cing Mélodies populaires grecques bis zu den fünf Histoires naturelles. Sicard reizt dieses Panorama vollkommen aus, lädt im Versuch, jedem Lied einen eigenen Charakter zu geben, seinen dunklen Spielbariton vielfach über Gebühr auf, ist oft mehr ausdruckvoll knarzend als subtil und verführerisch oder spielerisch locker und will den Hörer nicht aus seinen Fängen lassen, was auf die Dauer etwas strapaziös gerät. Dass das erste der Lieder aus Madagaskar, Nahandove, ein Liebeslied ist, vermittelt sich beispielswiese nicht unbedingt. Das umfangreiche Kaddisch gerät dagegen zu einer wuchtig eindrucksvollen Szene. Rolf Fath