Herrschergunst aus Mannheim

 

Nur 38 Lebensjahre waren dem 1732 in Neapel geborenen Komponisten Gian Francesco de Majo vergönnt – 1770 erlag er in seiner Geburtsstadt einem Lungenleiden. Neben Gluck, Traetta und Johann Christian Bach zählt er zu den Reformkomponisten, die die opera seria von der Willkür der Sängerstars zugunsten einer Aufwertung der dramatischen Ereignisse befreien wollten. Nach der Uraufführung seiner ersten Oper 1759 in Rom reiste de Majo durch Italien sowie nach Wien und Mannheim. In der deutschen Musikmetropole hatte er 1764 eine Ifigenia in Tauride komponiert und von dort erhielt er zwei Jahre später mit Alessandro nell`Indie erneut einen Opernauftrag. Das Libretto von Metastasio über Alexander den Großen, der dem besiegten indischen König Porus sein Reich zurückgibt und damit seine herrscherliche Großmut beweist, wurde vor de Majo bereits über vierzig Mal vertont (erstmals 1729), darunter von Händel. Hasse, Gluck, Jommelli und Traetta.

Nach der Uraufführung am 4. November 1766 geriet de Majos Version bald in Vergessenheit und ist auch nicht vollständig überliefert. Beispielsweise fehlen die Ouvertüre und sämtliche secco-Rezitative. Bei der im September 2008 und Mai 2009 im Nationaltheater Mannheim entstandenen Einspielung, die im Rahmen des Projektes Mannheimer Hofoper stattfand, gibt es ganze drei accompagnato-Rezitative. Die Lücke der Ouvertüre hat der Dirigent Tito Ceccherini mit der zu de Majos Adriano in Siria gefüllt. Mit dem Nationaltheaterorchester Mannheim fächert er die Musik in ihrer Vielfalt differenziert und spannungsvoll auf. Schon das muntere Spiel in der Ouvertüre gefällt, und auch bei den Instrumentalnummern – einer majestätischen Marcia im 1. und der martialischen Sinfonia d’istromenti militari im 2. Akt – imponiert die beherzte Attacke des Musizierens. Im Vergleich zur Ifigenia besitzt die Komposition  allerdings nicht jenes radikale Reformbestreben, wirkt konventioneller und ist voller hochvirtuoser Arien, was der Besetzung mit den beiden Mannheimer Primadonnen Dorothea und Elisabeth Wendling geschuldet war. (Mozart schrieb später für sie die Rollen der Ilia und Elettra in seinem Idomeneo.)

Die Besetzung der Aufnahme (von 2008), die Coviello auf zwei CDs und mit einem informativen Booklet herausgebracht hat (COV 20911), rekrutiert sich aus Ensemblemitgliedern des Nationaltheaters Mannheim und ist auf solidem Niveau. Die Titelrolle nimmt Lars Møller wahr, dessen weicher Bariton die Milde des Regenten trefflich wiedergibt. Von schmeichelnder Wirkung ist seine Auftrittsarie „Vil trofeo“ in ihrem wiegenden Melos. Deren ausgedehnte Koloraturläufe absolviert der Sänger mit schöner Leichtigkeit. Auch Alessandros Arie im 2. Akt, „Se è ver“, kommt in ihrer Sanftmut dem stimmlichen Charakter des Interpreten sehr entgegen. Einzig „Serbati a grand’imprese“ im 3. Akt ist von heroischem Anstrich und empfängt vom Bariton auch den gebührenden Aplomb.

Poro ist en travestie mit der französischen Mezzosopranistin Marie-Belle Sandis besetzt. Ihre Stimme tönt streng, vermag aber die Koloraturgirlanden im energischen Auftritt, „Vedrai con tuo periglio“, mühelos zu formen. Mit „Senza procelle ancora“, einer Gleichnisarie vom Steuermann im Sturm, eröffnet Poro den 2. Akt. Von Naturgewalten ist in der eher kontemplativen Musik freilich nichts zu vernehmen. Hörnerklang leitet die Arie „Destrier“ ein, welche Sandis forsch angeht, aber auch hier herb, zuweilen gar heulend klingt. Äußersten Erregungszustand des Königs spiegelt die furiose Arie „Trafiggerò“ im 3. Akt wider, was die Interpretin plastisch einfängt,  allerdings einige schrille Töne nicht vermeiden kann.

Mit Poros Geliebter, Königin Cleofide, – auch sie eine populäre Figur im Opernkosmos – hat die Sopranistin Cornelia Ptassek eine der Primadonnenpartien zu bewältigen. Ihre Arien sind in der Mehrheit von lyrischer Empfindung, Mozarts Konstanze verwandt, und man wünschte sich dafür eine Stimme mit größerer Noblesse. Schon in der ersten Arie, „Se mai turbo“, klingt sie larmoyant. Den gleichen Wortlaut hat ihr nachfolgendes Duett mit Poro, welches nach getragenem Beginn in einen stürmischen Schluss mündet und den 1. Akt beendet. Auch die Arie im 2. Akt, „Digli  ch’io son fedele“, grenzt an die Wehleidigkeit. Am überzeugendsten ist das von erregten Figuren der Streicher eingeleitete  „Se il ciel“, das bis in  die Extremhöhe geführt wird.

Die andere Virtuosa ist Poros Schwester Erissena, mit der die Sopranistin Iris Kupke gute Figur macht. Die helle, leichte Stimme ist gebührend flexibel für das Zierwerk, treffsicher und brillant in den staccati und beherzt im Ausdruck. Ihr furchtloser Gesang nimmt sehr für sich ein, trotz der mitunter angespannten und grellen exponierten Höhe. Und im 3. Akt kann sie bei „Son confusa“ auch mit Tönen von inniger Lyrik aufwarten.

Zwei weitere, en travestie besetzte Partien sind Gandarte, General von Poros Armee, und Timagene, Alessandros Vertrauter und insgeheim sein Feind, womit das Ensemble komplett ist. Gandarte tritt erst gegen Ende des 2. Aktes auf. Seine beiden Soli sind von wehmütiger Stimmung, was Katharina Göres/Sopran überzeugend einfängt. Von lieblich-pastoraler Anmutung ist dagegen Timagenes „O sugl’estivi ardori“, wofür Gundula Schneiders Mezzosopran im Klang zu anonym bleibt. Zu nennen ist noch der Herrenchor des Nationaltheaters Mannheim (Einstudierung: Tilman Michael), der in den Auftritten der Bacchus-Priester für Wirkung sorgt. Bernd Hoppe