Die Aufführung ist längst vergessen, der akustischen Erinnerung helfen die zwei CDs (Capriccio C54405) auf die Sprünge. Stephan Kimmig hatte in seiner Stuttgarter Inszenierung von Henzes Oper Der Prinz von Homburg die Militärmaschinerie durch einen Turnsaal ersetzt, darin Körperertüchtigung und Selbstoptimierung an den Ballettstangen an die Stelle von militärischen Training und Gefecht traten und der Prinz von Homburg als Außenseiter auf einer Leiter der allseitigen Körperertüchtigung an der sich in kurzen Hosen, auch der alte Kurfürst beteiligt, zusah. Der Mitschnitt der Stuttgarter Aufführungen aus dem März 2019 profitiert einerseits vom natürlichen Parlando und eleganten Zusammenspiel in den Konversationen der Generäle, andererseits rücken gleich in der Eingangsszene Textdeutlichkeit und Prägnanz akustisch etwas in den Hintergrund als habe der Fehrbelliner Staub die Szene eingenebelt. Cornelius Meister lässt das Staatsorchester Stuttgart dabei kammermusikalisch durchdringenden und umsichtig agieren und versucht die belkantistischen Inseln auszuloten, etwa wenn der Prinz Natalie ihren Handschuh überreicht, und in den Ensembleszenen zuchtvolle Eindringlichkeit zu erzeugen. Robin Adams ist ein zurückhaltender, oftmals gewöhnlicher Prinz, dem man das „vor sich hinträumend“ nicht leicht abnimmt, der sich aber auch bei „Nun denn auf deiner Kugel! Ungeheures“ in einen geradezu wütenden Furor und berstenden Ausdruck („Heut’ Kind der Götter, such ich, Flüchtiges“) steigert und mit bulligem Bariton und draufgängerischer Wucht den Prinzen als vokalen Kraftakt begreift. Der Prinz aus den Pinien- und Zypressenparks im Latium lässt seine Muskeln spielen, singt selten mit den beschwörenden Zwischentönen, die der Text nahelegt, ist eher wuchtig als empfindsam („Ich seh das Grab beim Schein der Fackeln öffnen“). Zwischentöne stehen Moritz Kallenberg hinreichend zu Gebote, der als Homburgs Freund Graf Hohenzollern zarte Tenor-Leuchtsignale sendet und im Gespräch mit Homburg im Gefängnis von präziser Diktion und hoher Intensität ist. Vera-Lotte Böcker singt die Natalie leidenschaftlich und mit akzentuiertem Koloratursopran, der im leidenschaftlichen Einsatz für Homburg etwas hart, doch nie unangenehm wird. Seit Jahrzehnten verwöhnt Helene Schneidermann (Kurfürstin) ihr Stuttgarter Publikum durch soignierte Wortdeutlichkeit und gestalterische Prägnanz, während Stefan Margita den zweifelnden Kurfürsten mit gebrochenem Heldentenor und hintergründiger Schlaffheit charakterisierte. So plastisch und akustisch wirkungsvoll in den heftigen Bläserattacken Meister die Schlacht auch einfängt, wirkt sie bei aller handwerklichen Virtuosität des jungen Henze auch ein wenig altbacken, wie ein akustischer Schwarz-weiß-Film, eine Klangkulisse, die den Idealismus des Stückes mit seinem Konflikt zwischen Individuum und Staat und den weltvergessenen Träumer als Helden, auf den Henze von Luchino Visconti hingewiesen wurde, den Faltenwurf eines Mantel- und Degenfilms der 1950er Jahre überwirft. in der berühmten Schlacht bei Fehrbellin führt der legendäre Befehlsverweigerer Friedrich von Homburg den Sieg der Brandenburgischen gegen die Schweden herbei, ohne den ausdrücklichen Befehlt abzuwarten. Für diese Insubordination wird er zum Tode verurteilt. Eine Begnadigung lehnt er ab. „Doch die Spannung zwischen dem Sein eines Einzelnen und der Staatsräson, Fragen der Missachtung von Gesetz und Ordnung, das Zittern eines Menschen vor der Gewalt der herrschenden Macht, der Mut, sich ihr zu widersetzen – all das könnte auch heute oder hätte vor tausend oder zweitausend Jahren sein können, in Sparta oder in Athen. Solche Konflikte sind nicht an die Lokalität Brandenburg und nicht an das „Preußentum“ gebunden. Mir gefällt es, das Ganze in eine Beziehung zu Griechenland zu setzen.“ (Henze). In seiner Strawinsky gewidmeten Partitur legte Henze, in dezidierter Ablehnung der Darmstädter Schule und der seriellen Musik, ein Bekenntnis zu seiner italienischen Wahlheimat und der Belcanto-Oper Donizettis, Bellinis und Rossinis ab – „Die engelhafte Melancholie Bellinis, das funkelnde Brio Rossinis, die schwere Leidenschaftlichkeit Donizettis, das alles vereint,, zusammengerafft in Verdis robusten Rhythmen.., das waren Dinge, die mich seit Jahren schon gefangen genommen hatten.“ (Henze) – eine federleichte südländische Replik auf den Mief und die Kälte der Nachkriegszeit, vor denen einige Jahre später auch seine Kleist-Librettistin Ingeborg Bachmann nach Italien floh. So meisterhaft, wie vom Meister vorgeführt, winkt das 1960 in Hamburg uraufgeführte kunstvolle Klöppelspiel doch auch sehr zeitgebunden. Kaum vorstellbar, dass die revidierte und jetzt auch in Stuttgart genutzte Fassung 1992 erstmals im kleinen Cuvilliéstheater erklang. Cornelius Meister ließ das Staatsorchester oftmals so martialisch und kraftmeierisch auftrumpfen, zwar brillant in der trennscharfen Attacke, aber auch so vordringlich, dass die Sänger, darunter die den Chor ersetzenden je drei Offiziere und Hofdamen, oftmals nur Folie bleiben. Rolf Fath