Wer eine Opernaufführung besuchen will, für deren Regie, Szene und Lichtregie Robert Wilson verantwortlich ist, sollte sich darauf gefasst machen, Bilder von atemberaubender Schönheit zu sehen, umso mehr, wenn die Kostüme von Jacques Reynaud stammen, aber er sollte auch eine Optik ertragen können, die absolut nichts mit der Musik, mit der Handlung und mit den Bedürfnissen von Sängern zu tun hat. So geschehen im Dezember 2018 in Madrid in einer Produktion, die auch für Kanada und Litauen, außerdem für Paris bestimmt war oder ist.
Eigentlich ist Puccinis Turandot noch am ehesten für eine Wilson-Regie geeignet wegen der Starrheit der Gesellschaft, die in dem ursprünglich von Gozzi stammenden Stück portraitiert wird. Der die Hinrichtung des persischen Prinzen verkündende Mandarin, die drei Maschere Ping, Pang und Pong, der alte Kaiser Altoum und seine Tochter Turandot, ihnen allen steht die in abgezirkelten Bewegungen, in einem weiß geschminkten Gesicht mit kleinem Mund und emporgezogenen Augenbrauen ewigen Erstauntseins bestehende Optik nicht schlecht an, aber anders ist es, wenn auch der heiß in Liebe entbrannte Kalaf, die sich für ihn opfernde Liù und der um sie trauernde Timur nicht über Verkehrspolizistenbewegungen hinauskommen, Liù stirbt, indem sie den Kopf zur Seite neigt, keine der Personen eine andere auch nur ansatzweise berührt- und Turandot am Schluss allein mit dem Chor auf der Bühne steht, Kalaf wohl verschütt ging und nur ein weißer Strich, vom Bühnenhimmel kommend, sich auf sie herniedersenkt. Das ist einfach nur geschmäcklerisch und sängerfeindlich dazu, denn man sieht immer wieder, wie es die Solisten zu Bewegungen treibt, die nur mühsam unterdrückt werden. Bei einem derart einseitig auf den ästhetischen Eindruck setzenden Konzept wirken dann nach Alter und Gewicht nicht dem Idealbild entsprechende Sänger besonders peinlich. Was den menschlichen Mitwirkenden versagt bleibt, bietet der Hintergrund mit im ersten Akt ständig in Bewegung seienden Säulen im Übermaß. Wie zum Hohn gegenüber der sonstigen Starrheit zieht während des Mondchors ein Storch seine Himmelsbahn.
Dirigent Nicola Luisotti setzt mit dem Orchester des Teatro Real Madrid alles daran, akustisch auszugleichen, was durch die starre Optik verloren ging. Auch der Chor des Opernhauses und der Jorcam Children Chorus singen klangschön und voller Hingabe. Viel zu tun haben die drei Minister mit Dauerhopsen, -augenklimpern, -kopfwackeln und –grimassenschneiden, das die Kamera auch dann gern zeigt, wenn die anderen Solisten singen. Joan Martin-Royo, Vicenç Esteve und Juan Antonio Sanabria verausgaben sich schauspielernd und lassen es sängerisch an Prägnanz fehlen. Dumpf klingt der Mandarin von Gerardo Bullón, keinen Altmänner-, sondern einen gestandenen Charaktertenor lässt Raúl Gimenez, einst hervorragender Rossinisänger, hören. Nicht die extreme Pianissimoraffinesse wie manche ihrer Kolleginnen, aber eine solide lyrische Sopranstimme, die vor allem in ihrer zweiten Arie ruhige Innigkeit ausstrahlt, setzt Yolanda Auyanet für die Liù ein. Mit konstant guten Leistungen wartet unerschütterlich Gregory Kunde mit höhensicherem, wenn auch nicht unbedingt italienisch klingendem Tenor als Kalaf auf. Etwas wattig klingt der Bass von Andrea Mastroni, der den Timur singt. Eine unerschütterliche Turandot ist Auch-Wagnersängerin Irene Theorin, die im ersten Akt auf schwindelerregendem Fünfmeterbrett auf die Bühne geschoben wird und deren Gesicht zu einem Porzellankopf geschminkt wurde, aus dem nie scharfe, glasklare und dem Lyrischen zugeneigte Töne dringen. Auch die Mittellage trotzt den Schwierigkeiten der Partie, und die Stimme kann sich mühelos über die Chormassen schwingen (BelAir BAC 570/ weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja