Es lacht der Mai

 

„Es lacht der Mai! Der Wald ist frei!“ singt der Druide, und der Chor der Druiden und des Volks bricht ein mit „Die Flamme lodre durch den Rauch! Begeht den alten heilgen Brauch!“ Die Zeilen über frühmittelalterliche Riten stammen von Johann Wolfgang von Goethe, der 1799 in einer Ballade heidnisches und christliches Gedankengut symbolhaft verknüpfte, auf „dass ein Altes, Gegründetes und, Geprüftes, Beruhigendes durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt und wo nicht vertilgt, doch in den engsten Raum eingepfercht werde“. Die Vertonung der zwölf Strophen sollte Carl Friedrich Zelter übernehmen, der sich der Aufgabe elegant entledigte, indem er sie seinem Schüler Felix Mendelssohn Bartholdy weiterreichte. Immerhin hatte Goethe das Wunderkind, das Zelter ihm 1821 in Weimar vorgestellt hatte, als zweiten Mozart begrüßt. Mendelssohn nahm die Aufgabe artig an und brachte die Kantate für Soli, Chor und Orchester 1833 in Berlin und 1843 in einer endgültigen Form in Leipzig zur Uraufführung. Die erste Walpurgisnacht wurde eines von Mendelssohns beliebtesten Chorwerken und Ausgangspunkt zahlreicher musikalischer Hexensabbats. In seiner im April 2019 in der Stuttgarter Liederhalle entstandenen Aufnahme mit der Klassischen Philharmonie und dem Kammerchor Stuttgart unterstreicht Frieder Bernius (Carus 83.503) die volkstümlichen Züge dieser Musik und schafft in der 30minitigen Abfolge eine dichte, zwar nicht leidenschaftliche, doch recht liebliche theatralische Szene, beginnend mit den romantisch lichten Naturbeschreibungen in der zweiteiligen Ouvertüre (Das schlechte Wetter, Der Übergang zum Frühling) bis zum akzentuierten Schlusschor. Das Orchesterspiel ist durchsichtig, oftmals fast schwebend; der pulsierende Grundton verbindet die Nummern zu einem geschlossenen Tableau. Einer der schönste Moment gehört dem Tenor: Der jungen David Fischer ist sich der Aufgabe bewusst und singt „Es lacht der Mai“ mit lichtem Strahl, exquisitem Stilgefühl und vornehmem Ton. Renée Morloc drosselt die Glut ihres dramatischen Mezzosoprans für das alte Weib, der erfahrende Lied- und Konzertsänger Stephan Genz ist ganz auf die noble Haltung des Priesters eingestellt; dazu David Jerusalem (Bass). Angehängt sind drei Chorszenen aus der bereits 2004 entstandene Aufnahme der Schauspielspielmusik zu Oedipus auf Kolonos, in der die Textdeutlichkeit und Sorgfalt des Kammerchors Stuttgart und die vielfach – auch bei Carus – unter Beweis gestellte Mendelssohn-Affinität von Frieder Bernius deutlich werden. Rolf Fath