Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Jean-Claude Malgoire

 

Der französische Dirigent, Oboist und Musikwissenschaftler Jean-Claude Malgoire (* 25. November 1940 in Avignon) starb am 14. April 2018. Jean-Claude Malgoire begann seine musikalische Ausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt, um später zum Pariser Konservatorium zu wechseln. Dort erhielt er den 1. Preis für Oboe und für Kammermusik.

Malgoire war durch seinen Mitstudenten Heinz Holliger beeinflusst und bis in die 1980er Jahre aktiv der zeitgenössischen französischen Musik verbunden. Charles Münch berief ihn 1962 als Solooboist und Englischhornisten ins Orchestre de Paris. 1968 gewann er den 1. Preis des Internationalen Musikwettbewerbs in Genf. 1970 spielte er in der französischen Uraufführung von Luciano BeriosWerk Sequentia VII und 1972 wurde er Solist des „Ensembles 2e2m“.

Beeinflusst von seinem Lehrer Antoine Geoffroy-Dechaume (1905–2000), einem führenden Mitglied der „Société de musique d’autrefois“, gründete Malgoire 1966 mit Kollegen das Ensemble „La Grande Écurie et la Chambre du Roi“, eines der ersten Barockensembles mit historischer Aufführungspraxis in Frankreich. Die Gruppe hat bislang über 100 Aufnahmen eingespielt und mehr als 3000 Konzerte auf allen Kontinenten gegeben. Parallel zu seiner Tätigkeit als Dirigent des Ensembles spielte Malgoire in verschiedenen Symphonieorchestern u. a. unter Leitung von Seiji Ozawa und Herbert von Karajan.

Seit 1975 hatte Malgoire mehrere Opern auf historischen Instrumenten eingespielt, darunter die Welturaufführungen von Händels Rinaldo und Lullys Alceste. Seit dessen Gründung im Jahr 1981 war er künstlerischer Leiter des „Atelier lyrique“ in Tourcoing, das er zu einem Opernhaus mit vielfältigem Repertoire formte. 1992 erhielt er für seine Aufnahme von Vivaldis Motezuma einen Preis beim französischen Wettbewerb „Victoires de la musique“. Zahllose CD-Einspielungen vor allem bei CBS, Erato, Ricercar u. a. belegen seine hohe Kunst, barocke Musik lebendig zu machen. Sein Tod ist ein akuter Verlust für die Szene der Alten Musik. Quelle Wiki/ G.H.

 

Dazu noch ein Beitrag von von den Kollegen von Bach-Kantatas: The French conductor, Jean-Claude Malgoire, exhibited talent as a child and after studying music locally he enrolled at the Paris Conservatory, where he studied oboe and received first prizes there for his solo playing and in chamber music.  Jean-Claude Malgoire embarked on a brilliant career as an instrumentalist at the age of 20, crowned by the first prize in 1968 in the Geneva International Competition. His interest in contemporary music brought a recording of music by Holliger, Castiglioni and Shinohara and in 1972 Bruno Maderna chose him as a principal in the Ensemble Européen de Musique contemporaine. He was subsquently appointed by Charles Munch as cor anglais soloist in the Orchestre de Paris. He played as an oboist for symphony orchestras such as the Orchestre de la RATP, Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire, and Orchestre de Paris. He often played jazz in night clubs in his early career with Michel Portal, Bernard Lubat, and other notable instrumentalists.

At the same time Jean-Claude Malgoire developed his interests as a conductor and musicologist, with his first opera recordings in 1975 paving the way for engagements in Copenhagen, Stockholm, Covent Garden in London, the Paris Opéra Garnier, Karlsruhe, Palermo, and the Teatro Real in Madrid. In 1966, while continuing his career as an oboist, he founded La Grande Écurie et la Chambre du Roy, a period-instrument ensemble devoted largely to Baroque music. He eventually abandoned playing oboe in orchestras (his last post was with the Orchestre de Paris), explaining he was not ultimately suited to the role. In 1981, he founded a second ensemble, this one the aforementioned Atelier de Tourcoing, largely devoted to the performance of Baroque and other early operas. Tours abroad in the 1970’s quickly established the high artistic values of Malgoire and his ensemble, notably in two Rameau productions, the 1974 Les Indes galantes at the English Bach Festival and the 1978 Hippolyte et Aricie at Covent Garden. Later triumphs included the 1986 Aix-en-Provence festival production of Campra’s Tancrède.

Jean-Claude Malgoire has been one of the more important French conductors of the latter 20th and early 21st centuries. He has focused heavily on Baroque music, though his repertory also includes operas by Mozart and Salieri. As music director of La Grande Écurie et la Chambre du Roy and l’Atelier Lyrique de Tourcoing, he has given many highly acclaimed concerts and opera productions, and made numerous recordings with major labels.

Jean-Claude Malgoire has more than 140 recordings to his credit, many of them of works recorded for the first time. Much of this has been brought about with the orchestra of La Grande Écurie et la Chambre du Roy, with which he has given more than two thousand concerts throughout the world. As the head of the Atelier Lyrique de Tourcoing, he has conducted operas that have twice won the prize for best opera production of the year, in 1983 with L’incoronazione di Poppea and in 1995 for the Mozart/Da Ponte trilogy Le nozze di Figaro, Don Giovanni and Così fan tutte. In addition to his interest in the music of the 17th and 18th centuries, he is one of the few conductors to have explored repertoire ranging from the 11thto the 20th centuries. In Europe he has appeared with orchestras including the Orchestre National de France, Orchestre National de Lille, Orchestre de Paris, Orchestre National d’Île de France, Dresdner Philharmonie and Kraków Philharmonic Orchestra.

Jean-Claude Malgoire has often been credited with unearthing previously lost manuscripts from the Baroque era. When he discovered two arias from Act I of Antonio Vivaldi’s Catone in Utica, he helped create a new version of the work for the acclaimed November 2001 live performance in Tourcoing.

Jean-Claude Malgoire continued his activities in the new century with numerous presentations of rare and familiar operas: in April 2002, he conducted l’Atelier Lyrique de Tourcoing in performances of Salieri’s Falstaff at the Municipal Theater in Tourcoing and also led a production there by the same forces of Georg Frideric Handel’s Rinaldo in October 2005 (Foto Bach-Cantatas/Malgoire/ CBS/ Sony).

 

Hartmut Bauer

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

 

Seine Wiege stand in Hessen. Sein längstes Engagement hatte er in Wuppertal. Sein Leben endete in Eutin: Hartmut Bauer ist tot. Der Opernsänger erlag im März 2018 einer schweren Krankheit. Er wurde 79 Jahre alt. Geboren wurde Hartmut Bauer in Kassel, an der Staatlichen Hochschule für Musik in Frankfurt/Main absolvierte er ein Gesangsstudium. Die ersten beiden Stationen waren in Bayern: 1965 ein Engagement am Stadttheater Augsburg, von 1968 bis 1970 war er 1. Bassist am Bayerischen Landestheater Coburg. 1970 wechselte er in gleicher Position als Nachfolger von Kurt Moll an das Wuppertaler Opernhaus. Mehr als 25 Jahre wirkte er an diesem Theater, sang dort unter anderem 1972 den Kreon in der deutschen Erstaufführung der Oper „Médée“ des französischen Komponisten Darius Milhaud. Drei Jahre lang, von 1973 bis 1976, war Hartmut Bauer Solist auf dem Grünen Hügel in Bayreuth: 1973 sang er bei den Wagner-Festspielen den Fafner im Nibelungenring, 1973 bis 75 den Hans Schwarz in den „Meistersingern“.

Für seine herausragende Leistung als Baron Ochs im „Rosenkavalier“ erhielt er den Gaukler-Preis der Volksbühne Wuppertal, außerdem wurde er wegen seiner Verdienste um die Wuppertaler Bühnen zu deren Ehrenmitglied ernannt. Bauer verfügte über ein umfassendes Bühnenrepertoire, das von der Barockoper über Klassik (Mozart-Opern) und Romantik (darunter Kuno und Eremit im „Freischütz“) bis zur Zwölftonmusik (Schigolch in Alban Bergs „Lulu“) reichte. Die Liste der Häuser im Ausland, an denen Bauer in Gastrollen zu sehen war, reicht von Antwerpen über Barcelona bis Neapel, in Deutschland von Bremen über Düsseldorf und Dortmund bis Weimar.

1990 wirkte er erstmals bei den Eutiner Festspielen mit: Er sang den Rocco im „Fideleo“, eine Rolle, in der er neun Jahre später erneut auf dem Grünen Hügel im Eutiner Schlossgarten stand. Über 20 Jahre hinweg war Bauer bei den Festspielen in verschiedenen Rollen zu sehen, 2001 war er der Sprecher bei der Zauberflöte und 2010 der Eremit im „Freischütz“.

Hartmut Bauer und seine Frau, Eltern von zwei Söhnen, machten Eutin zum Altersruhesitz. Sie zogen in ein Haus mit Blick auf den Kellersee. Achim Krauskopf / Quelle: https://www.shz.de/19296691 ©2018

 

Den Artikel entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung dem Ostholsteiner Anzeiger und danken dem Verfasser Achim Krauskopf/das Foto zeigt Hartmut Bauer als Eremit im Freischütz 2010 in Eutin und stammt von Hartmut Buhmann/Ostholsteiner Anzeiger, ebenfalls mit Dank.

 

Oper und Macht im „Dritten Reich“

 

Heroische Weltsicht – Hitler und die Musik: Dieses Buch von Sebastian Werr legt den Diktator nicht ausschließlich auf Richard Wagner und dessen Antisemitismus fest. Es holt weiter aus. Darin liegt sein Wert – auch wenn der eigentliche Gegenstand gelegentlich unterzugehen droht in der Flut des Materials. Doch alles, was der Autor mitzuteilen hat, ist der Mitteilung wert. Werr gelingt der Versuch einer umfassenden Darstellung des Musikbetriebes im Dritten Reich am Beispiel der Oper. Das Buch setzt bei den ersten Begegnungen Hitlers mit der Oper in Linz an und endet mit dem Untergang des Dritten Reiches. Bei aller Hinwendung und Konzentration auf Wagner, dessen Familie und Bayreuth, wird an Hand der Fakten und Dokumente deutlich, dass sich das Thema entgegen weit verbreiteter Irrtümer mit diesem Komponisten nicht erschöpft. Es ist raumgreifender. Es gibt viele begründete Hinweise darauf, dass Hitler seine Vorliebe für Wagner vornehmlich nach außen lebte, im Innern aber einen durchschnittlichen Musikgeschmack pflegte, der auch die Operetten von Franz Lehár und die Fledermaus einschloss.

Buch - Herorische Weltsicht (Werr)-001Zitiert wird Propagandaminister Goebbels, der einem „Oberschlauberger“, der herausgefunden haben wollte, dass Johann Strauß „Achteljude“ sei, in die Parade fuhr: „Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig.“ Diese Einsicht weist den scharfen Antisemit Goebbels nicht plötzlich als Freund der Juden aus, sie offenbart ein Dilemma, dass es „kein nationalsozialistisches Repertoire von ausreichender Publikumswirksamkeit gab“. An Versuchen, das zu ändern, mangelte es nicht. Komponisten dienten ihre Opern mit dem Hinweis auf die eigene stramme Gesinnung an. „Gut gemeint, aber keine Melodie“ befand der oft bemühte Goebbels beispielsweise über die Oper Der Freikorporal des heute völlig vergessenen Komponisten Georg Vollerthun. Musik müsse klingen. Selbst der berühmte Hans Pfitzner, bekennender Nationalsozialist ohne NSDAP-Parteibuch, konnte bei Hitler persönlich mit seinen peinlichen Anbiederungsversuchen nicht landen. Er passte nicht ins kulturpolitische Konzept, welches der tote Wagner mit seinen Helden und Geschichten besser bediente .

Hitler habe das „Dritte Reich“ in eine Art von Wagner-Oper verwandelt, werden Zeitzeugen zitiert. Mit „Opernhafte Politik“, ist denn auch ein besonders spannendes Kapitel des Buches überschrieben. Besonders bei den Aufmärschen und Propagandaveranstaltungen, die gigantischen Inszenierungen glichen, wurde dies deutlich. In den Reden Hitlers macht der Autor Ähnlichkeiten mit der Dramaturgie traditioneller Nummernopern aus. Kosten spielten dabei kleine Rolle. Die Zuwendungen und Protektionen waren zugleich sehr breit gestreut im nationalsozialistischen Deutschland. Zahlreiche Theater und Künstler wurden von höchster Stelle bedacht. Anhand des Aktenbestandes der Neuen Reichkanzlei wird dieser Geldsegen, der sich in einzelnen Fällen auf bis zu 150 000 Mark pro Haus belief, rekonstruiert. Die Theater von Köln, München, Klagenfurt, Coburg, Gera oder Salzburg sind unter den Begünstigten. Allein 50 000 Mark ließ Hitler für Operettenausstattungen am Deutschen Opernhaus Berlin springen.

deutsches opernhaus

Das Deutsche Opernhaus in Berlin – hier auf einer historischen Ansichtskarte – wurde mit 50 000 Mark für Operettenaustattungen bedacht

Mir liegt Weitschweifigkeit in Büchern, ich empfinde sie nicht als Zumutung, sondern als Gewinn. Ich habe mich auf keiner der 248 Textseiten gelangweilt. Wenngleich ein wissenschaftliches Werk mit einem vorzüglichen Apparat, einschließlich Literaturverzeichnis, liest es sich flott. Stil und Sprache sind klar und wohl gesetzt, was heutzutage in Büchern nicht mehr selbstverständlich ist. Ich gebe zu, diesen und jenen Fakt durch eigene Recherche nachverfolgt zu haben. So schien es mir unwahrscheinlich, dass der widerborstige Hans Knappertsbusch 1938 in Wien eine einzige Aufführung der Oper Tiefland auf Wunsch Hitlers dirigiert haben soll. Hat er! In den offiziellen Aufführungsstatistiken der Wiener Staatsoper ist die Aufführung vermerkt. Werr hat Recht!

Anna Bahr-Mildenburg als Wagners Brünnhilde/ Wikipedia; Hitler hat sie erlebt und war von ihr sehr beeindruckt – auch durch sie erschloss sich ihm Wagner.

Es tut mir im Nachhinein nicht leid, Werr in diesem winzigen Detail in Frage gestellt zu haben. Er liefert, wenn man so will, dafür selbst die animierende Steilvorlage. Mit anderen Worten, er macht Lust darauf, das eigene Wissen zu überprüfen und ins Gedächtnis zu rufen, Sachverhalte, Fakten und Zusammenhänge mit anderen Publikationen zu vergleichen, Querverbindungen herzustellen, einem Randthema vertieft nachzuspüren. Ich fühlte mich sehr angeregt. Gleichzeitig erfüllt das Buch alle Voraussetzungen für ein Nachschlagewerk. Gliederung und Personenregister sind dabei ungemein hilfreich.

Es lebt von seinem Faktenreichtum, der mitunter – es wurde bereits angemerkt – auf den ersten Blick nicht zwingend mit dem Thema zu tun hat. Und doch möchte ich auf nichts verzichten – auch auf das folgende Beispiel nicht. Es betrifft Kürzungen und Veränderungen in Werken Wagners, die gemeinhin als sakrosankt gelten. Und höchst umstritten sind. Als Hitler 1908 endgültig nach Wien übergesiedelt war, hatte dort der Dirigent und Komponisten Felix von Weingartner die Nachfolge von Gustav Mahler als Chef der Staatsoper angetreten.

Der Autor Sebastian Werr, nicht nur von operalounge.de hochgeschätzter Musikwissen schaftler. Zurzeit ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Staatsbibliothek München tätig.

Die noch von Mahler geleiteten Wager-Aufführungen hatten auf den jungen Hitler starken Endruck gemacht, der noch 1940 widerhallte, wie Goebbels nach seinem Tagebuch wiedergegeben wird. Werr scheut nicht vor solchen Ambivalenzen zurück. Weingartner nun hatte von seinem Lehrer Hermann Levi, dem Dirigenten der Uraufführung des Parsifal erfahren, dass Wagner selbst Änderungen und Strichen in seinen Werken nicht abgeneigt gewesen ist. „Ach was – nur keine Sentimentalität“, zititiert Werr nach diesen Quellen Wagner.

Als wohltuend empfand ich es, dass sich der Autor seinem Thema mit großer Sachlichkeit, Offenheit und Selbstbewusstsein nähert. Er kann sich eines Publikums sicher sein, dem nicht erst klar gemacht werden muss, wie widerlich und verbrecherisch der deutsche Nationalsozialismus gewesen ist. Ein bisschen musikgeschichtliche Vorbildung kann allerdings nicht schaden, will man das Buch bis in die letzten Einzelheiten verstehen (Foto oben: Adolf Hitler winkend im Fenster des Bayreuther Festspielhauses 1934 / ZDF History/ History Archive/ / youtube). Rüdiger Winter

Sebastian Werr, Herorische Weltsicht – Hitler und die Musik, 300 Seiten, zahlreiche Abbildungen, erschienen 2014 im Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien, ISBN 978-3-412-22247-5

Historisches Dokument

 

Die Schamröte ins Gesicht steigen müsste allen an der Renovierung der Berliner Staatsoper Beteiligten, würde ihnen zur Kenntnis gelangen, dass es die Mailänder in nur einem Jahr, zwischen 1945 und 1946, schafften, die durch einen Bombenangriff der Alliierten 1943 zerstörte Scala wieder aufzubauen. „Pane e Scala“ hatte der Mailänder Bürgermeister Antonio Greppi seinen Mitbürgern versprochen, mit 5 Millionen Lire in der Stadtkasse und einer zu einem Viertel zerstörten Stadt. Um eine weitere Million erhöhte sich das Budget, nachdem man Arturo Toscanini darum gebeten hatte, den Wiederaufbau zu unterstützen, ihn nach Mailand eingeladen hatte. Das Mailänder Großbürgertum ließ sich nicht lumpen und spendete ebenfalls.

Am 11. Mai 1946 wurde die Mailänder Scala mit einem Konzert feierlich wiedereröffnet, am Pult Toscanini, abgesehen vom letzten Teil, der dritte Akt aus Puccinis Manon Lescaut, der von Antonino Votto dirigiert wurde. Bei den Proben zum Te Deum von Giuseppe Verdi fielen die berühmten Worte von der voce d‘ angelo, mit denen Toscanini den Sopran Renata Tebaldis bedachte. Neben der ganz jungen Sängerin standen gestandene, dem Dirigenten noch aus seiner voramerikanichen Zeit bekannte Stimmen wie die von Tancredi Pasero, Mafalda Favero, Mariano Stabile oder dem Comprimario Giuseppe Nessi.

Das Programm umfasst Kompositionen der vier großen Italiener Rossini, Verdi, Boito und Puccini und beginnt recht martialisch mit der Sinfonia zu La Gazza Ladra, mit viel Trommelwirbel und Geschmetter, was bei der auch in Italien vorhandenen Kriegsmüdigkeit etwas befremdet. Aber immerhin fühlte man sich ja als siegreich aus der Katastrophe herausgekommen. Noch weniger nachvollziehbar ist die Wahl der immerhin fast eine halbe Stunde dauernden Ballettmusik aus Rossinis Guglielmo Tell, die wohl eher dem Charakter der Musik als der Tatsache geschuldet war, dass sie aus einer Freiheitsoper stammt. Ebenfalls um den Freiheitskampf eines Volkes geht es in des Komponisten Mosé, aus dem das Gebet erklang mit einem vokal schwergewichtigen Tancredi Pasero in der Titelpartie, mit dem Tenor Giovanni Malipiero, der hier besser passt denn als Des Grieux, mit Renata Tebaldi und Jolanda Gardino. Natürlich durfte Nabucco nicht fehlen, der ebenso natürlich mit Va pensiero und der Sinfonia vertreten ist, und wo es, was Überschwänglichkeit und Begeisterung angeht, kein Halten mehr gibt. Noch mehr fetzt es bei der Sinfonia von I Vespri Siciliani, und man hat den Eindruck, dass es mehr noch als um technische Brillanz um die Vermittlung einer großen Begeisterung darüber geht, Freiheit und Scala wiedergewonnen zu haben.

Hochdramatisch geht es auch im Te Deum zu, und die Stimme der Tebaldi, im Chor postiert, klingt tatsächlich wie vom Himmel kommend. In Il Viaggio a Le Havre/ Manon Lescaut hört man das Orchester weniger in Farben schwelgen, als straff fordernd zu Werke gehen. Der bereits erwähnte Tenor ist hell, herb und durchdringend, in der Nähe zum Charaktertenor und eindrucksvoll im „Guardate“. Der Sopran klingt noch sehr nach Nanetta, als die sie Toscanini gekannt hatte, der Bariton Mariano Stabile höchst expressiv als Lescaut.

Der Prolog aus Boitos Mefistofele beschließt das Konzert und bringt damit das von der Ausführung her interessanteste Stück zu Gehör mit einem Tancredi Pasero, der einfach eine Wucht ist.

Insgesamt jedoch ist die Aufnahme wegen auch technischer Schwächen eher von historischem als künstlerischem Interesse, besonders was die Sänger angeht. Sie ist die Beilage zu einem sehr lesens- und besitzenswertem Buch mit vielen Abbildungen in der Reihe La Scala Memories, dessen Text von Giovanni Gavazzeni verfasst wurde und in drei Sprachen (Italienisch, Englisch, Deutsch) verfügbar ist. Das Cover zeigt das Ankündigungsplakat des Konzerts, die Rückseite die zerstörte Scala (Skira ISBN 978 88 6544 0407). Ingrid Wanja  

Im Krieg, in der Liebe und im Konzert

 

Mit dem Programm ihrer CD „In War and Peace“, eine der erfolgreichsten Veröffentlichungen seit ihrer Premiere 2016, geht die amerikanische Mezzosopranistin  Joyce DiDonato seit einiger Zeit auf Tournee. Im Mai wird sie damit auch bei den Dresdner Musikfestspielen und bei den Händelfestspielen Halle gastieren. Nach der CD-Ausgabe hat Erato, die Stammfirma der Sängerin, nun eine Bluray-DVD mit dem Mitschnitt des Konzertes aus dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona vom 4. Juni 2017 herausgebracht (02-557754 ). Wie auf der Platte begleitet wiederum das Ensemble Il Pomo d’Oro unter Leitung von Maxim Emelyanychev. Und natürlich trägt die Sängerin auch an diesem Abend die für sie entworfenen Roben von Vivian Westwood, deren eine bereits das CD-Cover schmückte, sowie das wüste Make-up, das auf Zerstörung des Menschen verweist.

Die Programmfolge ist etwas abgewandelt, auch ergänzt um instrumentale Titel. Da sind zuerst die getragene Sinfonia aus De Cavalieris Rappresentatione di Anima et die Corpo und Purcells Chacony in g-Minor, in denen das Ensemble seine hohe Musizierkultur zeigen kann. Später hört man „Tristis est anima mea“  von Gesualdo und „Da pacem Domine“ von Pärt – zwei zutiefst schmerzlich-ernste Kompositionen, während deren einer die Sängerin klagend auf dem Boden liegt und in der anderen der Tänzer Blütenblätter durch die Luft wirbelt. Sechs Gesangsnummern der CD fehlen in der Live-Präsentation, werden wiederum durch fünf andere Beiträge ersetzt, was für den Sammler den Reiz erhöht, auch das neue Produkt zu erwerben.

Die szenische Gestaltung des Konzertes oblag dem Filmemacher Ralf Pleger, der mit der Mezzosopranistin bereits ein Florence-Foster-Projekt gedreht hatte. Darin liegt das Problem dieser Aufführung, hat er doch den Tänzer Manuel Palazzo (in dessen eigener Choreografie) der Solistin als Garnitur zur Seite gestellt, der sich mit nacktem Oberkörper und im langen Rock (Kostüm: Lasha Rostobaia) vor allem auf dem Boden windet, gelegentlich auch Kontakt mit der Sängerin aufnimmt, letztlich aber die Notwendigkeit für seinen szenischen Einsatz nicht erbringen kann. In Hintergrund laufen zuweilen Videos von Yousef Iskander ohne sonderliche Aussage, sie illustrieren die Musik mit Wellen, Lavaergüssen, Lichtflecken und am Schluss Feuerwerksraketen. Einzig die Idee, das Konzert nicht als Arien-Potpourri mit Applaus des Publikums nach jedem Titel zu gestalten, sondern als durchgängige Folge mit dramaturgischem Konzept, ist überzeugend.

Die Abteilung War im ersten Teil beginnt mit „Scenes of horror“ aus Händels Jephtha (das die CD nicht bietet), gefolgt von Andromacas „Prendi quel ferro“ aus der gleichnamigen Oper von Leonardo Leo, womit die Interpretin zwei Stücke von expressiver Deklamation gegenüberstellt. Wie auf der Platte ist Didos Lament aus Purcells Dido and Aeneas in seinem ernsten Pathos und der  ergreifenden Darstellung von schlichter Größe auch im Konzert ein Höhepunkt. Zwei Händel-Arien beschließen dessen ersten Teil – Agrippinas anfangs introvertiertes, dann aufbrausendes „Pensieri“ sowie Almirenas tröstliches „Lascia ch’io pianga“ aus Rinaldo, in welchem sich die Schönheit der Stimme besonders entfaltet.

In der Abteilung Peace nach der Pause stellt DiDonato zu Anfang aus Purcells The Indian Queen ein anderes Stück vor als auf der CD („They tell us“), auch „Crystal streams“ aus Händels Susanna findet sich auf der Platte nicht.

Dagegen sind die letzten drei Arien wieder identisch mit dem CD-Programm. Und wenn im Konzert insgesamt die Bravour etwas in den Hintergrund rückt und dem Espressivo den Vortritt lässt, so kommt sie hier wieder zu ihrem Recht.  In „Augelletti“ aus Rinaldo kann die Mezzosopranistin im Dialog mit der Blockflöte mit gekonnt imitierten Vogelstimmen aufwarten, in Cleopatras „Da tempeste“ aus Giulio Cesare ihre hohe Lage und die Koloraturbrillanz demonstrieren. Und mit dem jubilierenden „Par che di giubilo“ aus Jommellis Attilio Regolo, in dem der Tänzer mit kraftvollen Sprüngen erstmals einen stärkeren Eindruck hinterlässt, beendet sie die offizielle Programmfolge spektakulär.

Danach wendet sich die Sängerin, sichtlich bewegt ob der aktuellen politischen  Situation, mit einer Ansprache an das Publikum (in Englisch) und lässt als Zugabe das Strauss-Lied „Morgen!“ folgen, das sie Silvester auch im Konzert der Berliner Philharmoniker sang und auch hier wieder mit träumerischer Stimmung malt.

 

Bereits zwei Monate nach dem Ereignis lag der Mitschnitt des Silvesterkonzerts 2017 aus der Berliner Philharmonie bei EuroArts auf DVD Bluray vor (2098073638). Simon Rattle hatte ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt, das sehr tänzerisch orientiert war mit dem Pas de deux aus Stravinskys Apollon musagète im ersten Teil sowie nach der Pause „Three dance episodes“ aus Bernsteins On the town und der Suite aus Schostakowitschs The Golden Age. Stravinskys Komposition beginnt mit zauberischen, wie von fern flirrenden Klängen, die sich dann zu einer walzerseligen nostalgischen Melodie sammeln. Bernsteins Tanzepisoden verbreiten jazziges Feeling und ausgelassene Lebensfreude, Schostakowitschs Suite bietet rhythmische Turbulenzen und verzerrte Walzerklänge von oft grotesker Wirkung. Die Musik beider Komponisten ist für das Orchester ein Fest, das mit virtuoser Spielfreude aufwartet.

Stargast des Abends war Joyce DiDonato, deren erster Beitrag mit fünf Liedern von Richard Strauss eine eher überraschende Wahl darstellte. Die amerikanische Mezzosopranistin verfügt zwar über Erfahrungen mit Partien dieses Komponisten (Octavian, Komponist/Ariadne) auf der Bühne, kaum aber über solche mit dessen Liedgut im Konzertsaal. Doch sie sang die fünf Titel mit so tiefem Verständnis und Einfühlungsvermögen, dazu mit fast makelloser Diktion, dass sie damit für eine Riesenüberraschung sorgte und entsprechend gefeiert wurde. Emphatisch und mit großem Aufschwung die „Zueignung“, ruhig fließend und mit schwebender Höhe das „Wiegenlied“, mit koketter Mimik die „Muttertändelei“, entrückt und vom Orchester wunderbar träumerisch eingeleitet, der „Morgen“ und zum Schluss groß aufrauschend „Die heiligen drei Könige aus Morgenland“. Ganz in ihrem ureigenen Revier bewegte sie sich mit dem Beitrag im zweiten Teil, dem melancholischen Song voller Lebensweisheit „Take Care of this House“ aus Bernsteins 1600 Pennsylvania Avenue. In einer spektakulären, schwarz glitzernden Robe von Vivienne Westwood war sie auch optisch ein Ereignis.

Schwungvoll hatte das Konzert mit der Carnival Overture, op. 92 von Antonín Dvorák begonnen. Slawisches Melos und schäumendes Temperament vereinten sich hier zu einem mitreißenden Auftakt. Und in eben dieser Stimmung endete der Abend mit den beiden Zugaben: Dvoráks Slawischem Tanz op. 72, Nr. 2 und Brahms’ Ungarischem Tanz Nr. 1 in g-Moll. Sie waren die perfekte Einstimmung für das begeisterte Publikum zur Jahreswende wenige Stunden später. Bernd Hoppe

Für Kenner und Liebhaber

 

Simon Mayr mal drei nennt sich der stattliche Band, der die Ergebnisse von drei Symposien, 2013 zum 250. Geburtstag von Simon Mayr in kurzen Zeitabständen in München, Ingolstadt und Bergamo veranstaltet, beinhaltet. Es handelt sich dabei bereits um den 9. Beitrag der Mayr-Studien und ist zugleich Band 9 der Musikwissenschaftlichen Studien der Hochschule für Musik und Theater München/ Allitera Verlag. Die Herausgeber sind Claus Bockmaier, Dorothea Hofmann und die operalounge.de-Lesern durch ihre Beiträge auch bei uns bekannte Musikwissenschaftlerin Iris Winkler.

In München stand im Mittelpunkt der Untersuchungen Mayrs Oper Adelasia ed Aleramo, in Ingolstadt beschäftigte man sich mit Vorbildern, Zeitgenossen und Nachfolgern des deutsch-italienischen Komponisten und Musikpädagogen, und in Bergamo ging es um Mayr und die Musikdidaktik.

2007 war in München die Idee entstanden, die Mayr-Oper um ein Familiendrama im Hause der Ottonen mit Studenten aufzuführen, welcher Plan sich aber wegen der hohen Anforderungen, die damit gestellt wurden, nicht verwirklichen ließ. Mit Hilfe der Theaterakademie August Everdings und dem Regisseur Tilman Knabe sowie dem Dirigenten Andreas Spering wurde das Unternehmen 2013 durchgeführt, und es fanden sieben Vorstellungen, teils im Prinzregententheater, teils in Ingolstadt, statt. Wie heutzutage üblich, spielte das eigentlich im 10. Jahrhundert beheimatete Werk im Hier und Heute.

Die einzelnen Beiträge des Symposions berichten über die Armut, in die Mayr hineingeboren wurde, über seinen Gönner, mit dem er nach Venedig und später nach Bergamo ging, über seine Lehrtätigkeit für Schüler aus armen Familien, die sich keinen Musikunterricht leisten konnten und zu denen auch sein berühmtester Schüler, Gaetano Donizetti, gehörte. Mayr selbst komponierte fast sechzig Opern, die Studiengegenstand der 1992 in Ingolstadt begonnenen Mayr-Forschung sind. 1995 wurde zudem die Mayr-Gesellschaft gegründet.

Die Beiträge aus München berichten über das Verhältnis Mayrs zur Musikpresse seiner Zeit, über den üblichen Weg, den jeweils neue Opern von Italien über Wien nach Norddeutschland vollzogen, über die im Unterschied zur jeweiligen Musikkritik sehr einheitliche Aufnahme seiner Werke durch das italienische wie deutsche Publikum.

In Adelasia e Aleramo geht es, da gibt es keine endgültige Entscheidung, um Otto I. oder Otto II., da aber ein Vater-Sohn-Konflikt im Mittelpunkt steht, spricht vieles für Otto I., denn Otto II. starb sehr jung (sein Sohn, der spätere Otto III. war bei seinem Tod erst drei Jahre alt), andererseits war Theophanu, die in der Oper die Mutter des verlorenen Sohnes sein soll, die Frau Ottos II. Die umfangreichen dynastischen Betrachtungen tragen eigentlich nicht viel zur Erhellung des Sachverhalts bei, auch ist der Bezug der Opernfiguren zu Napoleon I. und Josephine Beauharnais ein recht zweifelhafter.

Besondere Untersuchungen befassen sich mit dem Stellenwert der caccia in der Oper (dazu gibt es einen Exkurs über die Parforcejagd).

In Ingolstadt befasste man sich zunächst mit Mayrs Oper Demetrio, das Libretto beruht auf einem Drama Metastasios, der unzählige Komponisten bediente, und auch sein Demetrio erlebte mindestens 38 Vertonungen, u.a. auch durch Gluck. Dem musikalischen Aufbau des Werks, das 1823  in Turin uraufgeführt wurde, wird eine ausführliche Betrachtung gewidmet. Nicht ganz so, aber auch sehr oft wurde das Kreuzritterdrama Raul di Crequì vertont, dessen zwei Fassungen von Federici und Romanelli (Mayrs Librettist) Maria Chiara Bertieri untersucht hat.

Marcus Oppenheimer berichtete über die Inka-Oper von Cora und Idalide, die Mayr gleich zweimal vertonte (Cora Neapel 1815) und (Alonso e Cora Mailand 1803),  und deren beide Libretti miteinander verglichen werden.

Mit einer Sängerin aus der Zeit, Angelica Catalani, befasst sich Alexander Weatherson mit dem einzigen englischen Beitrag, die italienischen aus Bergamo werden im Buch zusammengefasst in deutscher Sprache abgedruckt.

In weiteren Artikeln geht es um Übersetzungsprobleme, um Instrumentationslehre und um die venezianischen Sinfonien (=Ouvertüren) von Mayr, abschließend zu diesem Symposion um 12 Bagatellen mit vielen Notenbeispielen, gefolgt von Ausführungen über den Gesangsunterricht in Bergamo und die Entstehung von „Giovanni Simone Mayr geht auf Reisen“ von Dorothea Hofmann, wozu Iris Winkler die Anregung gab.

In Bergamo befasste man sich mit Fragen der Didaktik, wobei man nicht eng am Thema Mayr blieb, sich mit Rousseau, Philanthropen und Illuminaten und ihrer Haltung zur Musik beschäftigte, u.a. auch mit Johann Adam Hiller, dem späteren Thomaskantor. Mayrs Verbindung zu Pestalozzi wird ebenso berücksichtigt wie seine Bibliothek, die er seinen Schülern zur Verfügung stellte, darunter natürlich auch Donizetti.

Das Buch eignet sich sicherlich nicht zur Massenlektüre, sondern sein Studium dürfte denjenigen vorbehalten sein, die bereits mit einer Affinität für den Gegenstand und einem speziellen Interesse ausgestattet sind (Band 9 der Musikwissenschaftlichen Studien der Hochschule für Musik und Theater München/ Allitera Verlag; ISBN 978 3 86906 864 0). Ingrid Wanja

Unnötig, aber bewegend

 

Welch ein Zufall, an ein und demselben Tag im Fernsehen aus Salzburg die aktuelle Tosca-Inszenierung aus Salzburg und die neue Blu-ray von major mit einem Feature über die altbekannte Aufnahme des zweiten Akts von 1964 mit Maria Callas und Tito Gobbi aus London zu sehen und zu hören. Und warum lässt die Salzburger Produktion trotz des betörenden Gesangs von Anja Harteros kalt, während die Aufnahme mit Callas und Gobbi auch beim gefühlten hundertsten Betrachten und trotz nicht überragender Schwarz-Weiß-Optik tief bewegt? Regie in London führte Franco Zeffirelli, in Salzburg Michael Sturminger, der mit albernen Mätzchen wie einem Schluss à la High Noon und einem Kinderschießkommando jegliche aufkommende Stimmung im Keim erstickt. Zudem ist eine Verlegung in die Jetztzeit bei einem Werk, in dem Ort und Zeit statdtplangenau und  auf die Minute festgelegt sind, besonders töricht.

Man sollte sich zunächst den zweiten Teil der Blu-ray zu Gemüte führen, der den zweiten Akt ohne Unterbrechung zeigt, erst danach den ersten Teil mit Sequenzen daraus, die immer wieder durch die Meinungen der zu der künstlerischen Leistung Befragten unterbrochen werden, was weniger aggressiv macht, wenn man zunächst die Aufnahme ohne Unterbrechung genossen hat.

Das Feature stammt von Holger Preusse, der vor allem englisch- und deutschsprachige Interviewpartner vor die Kamera geführt hat, die sich mehr (Jürgen Kesting) oder weniger (Kristine Opolais, Wolfgang Joop) kompetent äußern, auch ein Zeitzeuge, der vom Hin und Her der Absagegerüchte berichtet, wird befragt. Weitere Beiträge gibt es mit dem unverzichtbaren Rolando Villazon, mit Thomas Hampson oder Anna Prohaska, mit den Dirigenten Rufus Wainwright und Antonio Pappano, und Brian McMaster bekennt:“I’ll always remember the performance, of course. I will, I’m just  really lucky to have been there, blessed in an way.“

Es geht in dem Film nicht nur um die Aufführung in London (Tonaufnahmen von Tosca mit der Callas gibt es noch von 1953 unter Victor De Sabata, ebenfalls mit Gobbi, aber nicht mit Cioni, sondern Di Stefano und von 1964, auch mit Gobbi, dem faszinierendsten, süffisantesten Scarpia aller Zeiten, aber mit Bergonzi und unter Georges Pretre), sondern auch um die Qualität der Stimme, die als im Vergleich zu der Aufnahme von 53 nach der Meinung vieler Kritiker nicht mehr zufriedenstellend war. Durchgehend wird im Film die Meinung vertreten, dass trotz gewisser Abstriche das Zusammen von expressiver Stimme und ebensolchem darstellerischem Einsatz jede Kritik verstummen lassen müsse.

Das Figurproblem der jungen Callas, die Einbußen an Stimmgewalt durch forcierte Abmagerung, das üble Spiel, das Onassis mit der Sängerin trieb. Damit kommt man auf fernsehtaugliche 90 Minuten Sendezeit, denn das Dokument wurde für Arte geschaffen (Blu-ray major 745104). Ingrid Wanja              

Antonio Smareglias „Nozze istriane“

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Sehr wenige Theater außerhalb Triests und einiger Städte an der istrischen Küste der Adria haben in der Vergangenheit Antonio Smareglias Opern aufgeführt, die jedoch für Aufmerksamkeit in Prag oder Wien gesorgt hatten. Im heute kroatischen Pola am 5. Mai 1854 und im selben Jahr wie Catalani geboren, begann Antonio  Smareglia sehr früh  mit seiner musikalischen Ausbildung, zuerst in Wien als kulturellem Zentrum  Mitteleuropas jener Jahre (und er war als Sohn einer kroatischen Mutter und eines österreichischen Vaters deutschsprachig aufgewachsen), später in Mailand, wo er die Freundschaften von wichtigen Persönlichkeiten des Musiklebens wie Arrigo Boito und Luigi lllica gewann. Ausgebildet wurde er bei dem Komponisten und Lehrer Antonio Faccio (dessen wiederaufgefundener Amleto vor kurzem in der Musikwelt für Ausehen sorgte und der nun auch als Video von den Aufführungen in Mörbisch zu haben ist). In jenen Jahren florierte besonders in Mailand die nonkonformistische  Kulturbewegung der scapigliatura,  deren antiromantische, antirhetorische Ideale auch auf Smaraglia abfärbten.

Der Komponist und seine Librettisten: Luigi Illica, Antonio Smareglia & Francesco Pozza/ OBA

Diese „Junge Schule“ der Tempelstürmer wurde im musikalischen Bereich von der ebenfalls jungen Musikfirma Sanzogno gefördert, die es wagte, sich neben dem übermächtigen Musikverlag Ricordi zu etablieren, die auch den Verlag der Witwe Lucca (wo Catalani verlegt wurde) „schluckte“ – durchaus einer der Gründe, warum Smareglia in der späteren Folge kaum aufgeführt wurde. In jenen Jahren war der Austro-Kroatische Konflikt mit Italien evident, und Smareglia spürte in Mailand die Fremdheit einer Welt, mit der er sich weniger identifizieren konnte als in Wien. Vielleicht auch um diesem Konflikt zu entgehen, verließ er das dortige Konservatorium 1877 und vervollständigte sein Studium selbst – später äußerte er sich enttäuscht und desillusioniert über seine mangelnde Zugehörigkeit zu keiner der beiden Kulturen. Dennoch war Mailand der Aufführungsort seiner ersten Werke: Preziosa 1879 und Bianca da Cervia bereits an der Scala 1882, letztere deutlich in Anlehnung an das Modell der Grand Opéra, aber auch bereits Trägerin seiner Vorstellungen von Harmonik und Instrumentation.

Bei seinem zweiten Wien-Aufenthalt von 1888 bis 1894 experimentierte Smareglia mit neuen Ausdrucksformen und betonte damit einmal mehr seine Distanz zu den gängigen Opern der Jahrhundertwende in der Folge Verdis. Dabei zog er überzeugend die Aufmerksamkeit eines so eminenten Kritikers wie Eduard Hanslick und Komponisten wie Johannes Brahms auf sich. In diese Phase gehören seine Opern II vassallo die Szigeth in Wien 1889 und Cornill Schutt 1893 in Dresden, dann in Prag (ab 1928 als Pittori fiamminghi vielfach in Italien aufgeführt). Beide Opern wurden in deutscher Übersetzung der Libretti von lllica gegeben (Bote & Bock).

Smareglia: Klavier-Potpourri aus Melodien der „Nozze istriane“/ Wiki

Zurück in lstrien, begann Smareglia die Arbeit an einem Genrestück aus seiner engsten Heimat, die Nozze istriane (Die Istrische Hochzeit in  deutsch), die am Teatro Comunale der Hafenstadt und Verbindungsachse Triest 1895 aufgeführt wurden. Wie für Wolf-Ferrari übernahm Triest auch bei Smareglia immer wieder die Verbindungsfunktion zwischen lstrien /Venedig und Italien/ West-Europa. Die Handlungs-Szene war das Dorf Dignano an der istrischen Küste, wo sich das brutale Drama zwischen der mit einem Betrug in eine ungeliebte Ehe gestoßenen Marussa und ihrem eigentlichen, mittellosen Geliebten Lorenzo abspielt. Die Musik charakterisiert diese ambivalente Umgebung der armen Bauern zwischen den Kulturen mit Assoziationen an italienische Melodik durchaus im Umfeld der Cavalleria, aber durchsetzt mit istrisch-kroatischen Volksweisen, wie sie Smareglia von seiner kroatischen Mutter vorgesungen worden waren. Es war für ihn als Komponisten bezeichnend, dass er nach Jahren der Auseinandersetzung mit der italienischen und österreichischen Kultur sich seiner eigenen Wurzeln besann und zu einem eigenen Idiom fand.

Smareglia: „Nozze istriane“/ Bongiovanni

Die Nozze istriane wurden in nur ein paar Monaten komponiert, und die Premiere konnte mit denselben Stars glänzen wie die Cavalleria Mascagnis, mit Gemma Bellinconi und Roberta Stagno, dirigiert von Giuseppe Pome, dem Bruder des berühmteren Alessandro. Nach nur zwei Vorstellungen 1895 kehrte die Oper immer wieder nach Triest zurück (1908, 1921, 1954 und 1973) Im ganzen sind die Nozze wohl die am häufigste aufgeführte Oper Smareglias; und auch in Wien erreichte das Werk in deutscher Sprache als lstrianische Hochzeit an der Volksoper 1908 mit über 20 Vorhängen einen enormen Erfolg. Nach dem Tod des Komponisten am 15. April 1929 wurde mit dieser Oper die römische Arena von Pola 1933 eröffnet, und der Kritiker Maria Corsi hielt die Wirkung auf das Publikum fest: Nozze istriane ist ein Drama der armen Leute, musikalisch durchdrungen von unterdrückter Sorge, geschrieben ohne jegliches ästhetisches Vorurteil, jenseits alter oder neuer Formeln, offen gegenüber einer Melodie, die in der Reinheit der klassischen Linie geformt war. Die Oper wurde vom Publikum enthusiastisch gefeiert und viele Male wiederholt.“ Die Musik wird in der Tat – von den ersten sehnsuchtsvollen Anfangstakten des e-Moll-Vorspiels an bis hin zum schnellen, tragischen Finale – von einer starken dramatischen Spannung getragen und besitzt nicht einen Moment des Nachlassens oder der erzählerischen Umschweife. Die Charaktere in dieser kurzen Tragödie lllicas haben präzise Beziehungen zu sich selbst und ihrer Umwelt und sind in die fatale Unentrinnbarkeit der Aktion verstrickt. Wie aber auch in allen anderen der Smareglia-Opern ist das Orchester der Hauptakteur, immer intensiv und unvorherbestimmbar, angereichert mit erstaunlich moderner Tonalität und einem subtilen, komplexen harmonischen Geschmack voller Kummer und düsterer Tonarten. Der beglückende Zug findet sich in der musikalischen Verhaftung zum lokalen Ambiente, zu wilden Landschaftsschilderungen der istrischen Küste. In diesem Sinne folgen die Nozze einem exquisiten naturalistischen Impuls und nicht einem literarischen (wie die Cavalleria) oder einem kriminellen (wie die Pa­gliacci), sie sind tief empfunden und im modernen Sinne „wahr“, wahr auch für den Komponisten selbst, der hiermit seinen eigentlichen Ausdruck fand.

Smareglia: „Nozze istriane“ – hier eine Postkarte zu Tascas Oper „A Santa lucia“ mit den beiden Hauptdarstellern Gemma Bellinconi und Roberto Stagna, die auch die Smareglia-Oper in der Uraufführung sangen/ OBA

Aufführungen: Weitere Opern von ihm wurden selten aufgeführt. Aus der Beziehung zu seinem Schüler Silvio Benco entstand die mythische Falena (Die Motte) von 1897 am Teatro Rossini in Venedig, die thematisch bei einer allerdünnsten Handlung die Mächte der Sexualität und der Keuschheit gegenüberstellt, in deren Spannungsfeld der Mann steht, in diesem Falle innerhalb einer Handlung in einem mythischen Land „an der Küste des Atlantiks“. Wie bei Wagner und anderen Komponisten auch kämpft hier das Dunkel gegen das Licht, und die Musik ist voll dieser sich subtil verschiebenden Schwebezustände unterschiedlicher Helligkeit. 1976 gab es La falena zuletzt am Teatro Verdi von Triest mit Leyla Gencer und unter Gianandrea Gavazzeni; das Staatstheater Braunschweig hatte den Mut, die Oper 2016 aufzuführen. Mit Denia Mazzola gab es zudem 2017 in Mailand die Oper konzertant.   Oceana mit praktisch keiner Handlung folgte an der Scala 1903, und schließlich wurde Smareglias letzte Oper, L’abisso, ebenfalls an der Scala 1911 uraufgeführt; seit 1900 war der Komponist blind, nicht überraschend drehen sich seine letzten Werke um Leiden und Erlösung – die Ideale der scapagliatura hatten sich in einen dekadenten und halluzinatorischen Symbolismus verwandelt.

Dokumente/ Verbreitung: Die Oper Le Nozze istriane ist bei der verdienten Firma Bongiovanni in Bologna als Mitschnitt einer hochbesetzten Aufführung von 1973 mit der jungen Maria Chiara als Marussa im Triestiner Teatro Verdi her­ ausgekommen (GB 113/ 4 – wesentlich der bekannten Aufnahme von der italienischen RAi von 1961 in ziemlich abscheulichem Klang mit Renata Mattioli vorzuziehen). Aufgeführt wurde das Werk ab 1985 rund 13 Mal in Italien und zweimal in Pola open-air. Seeger (Opernlexikon) nennt noch 1896 Prag in Tschechisch und Wien 1908 in der deutschen Übersetzung von Falzari. Als neuer Mitschnitt geriet dann auch die Aufführung von 1999 in Triest bei Bongiovanni auf die CD, die fabelhafte und damals ganz junge Svetla Vassileva ist die Marussa neben Ian Storey und Alberto Matromanrino unter Tiziano Severini – außerordentlich empfehlenswert, zumal nun in stereo (GB2265/66).

Smareglia: „Nozze istriane“ in Triest 1999/ Teatro V erdi Trieste

Die Falena ist ebenfalls, und ganz überraschend, als Mitschnitt aus Triest 1976 mit Leyla Gencer und Gianandrea Gavazzeni bei Bongiovanni erschienen. Und auch das Staatstheater Braunschweig hatte den Mut, das Werk aufzuführen. Zumindest wurde die Aufführung im Radio übertragen, wenngleich leider nicht als CD mitgeschnitten –  wir haben bei operalounge.de darüber ausführlich berichtet. Angekoppelt an die Bongiovanni-Falena finden sich Ausschnitte aus der Oceana Smareglias (nur drei Aufführungen zwischen 1903 und 1949, die letzte dann in Triest, woher die Musikstücke stammen). Youtube bietet zumindest das auch visuelle Dokument der Aufführung in Zagreb 2003 unter Zoran Juranetz  Von L´Abisso gibt es eine unter Sammlern kursierende Aufnahme aus Triest 1979 mit Rita Orlandi Malaspina und Amedeo Zambon.

Ingrid Wanja übersetzt tapfer und unverzagt aus dem Italienischen für uns – Danke Ingrid!

Das Frühwerk Preziosa fand seine letzte Bühnenpräsenz natürlich wieder in Triest, 1886, Bianca da Cervia ebenfalls hier 1885, Re natale nur einmal, in Venedig 1887, II vassallo di Szigeth wurde als Der Vasall von Szigeth 1889 an der Wiener Hofoper uraufgeführt, danach nur noch 1930 in Pola und Triest und 1931 bei der RAi­ Voriäuferin EIAR in Rom gebracht. Cornill Schutt wurde nach der Premiere 1893 am Königlichen Theater von Dresden und anschließend in Prag nur noch einmal in deutscher Sprache 1900 im damals noch deutsch­kundigen Triest und danach italianisiert als Pittori fiamminghi 1928, 1930 und 1991 in Triest und 1931 in Novara gegeben. Auch hiervon kursiert eine Live-Aufnahme unter Sammlern von 1991, die es ebenfalls bei youtube gibt (Cornill Schut: Daniel Munoz, Franz Hals: Carlo Striuli, Craesbecke: Franco Giovine , Elisabetta: Milena Rudiferia , Gertrud: Rita Lantieri , Kettel: Cinzia di Molo Orchestra e coro del Teatro Verdi di Trieste 05 Maggio 1991).  Silvano Frontalini dirigiert bei Bongiovanni eine CD mit Ouvertüren aus den genannten Opern. Geerd Heinsen

(Der Artikel zu Le Nozze istriane fußt auf dem Beitrag von Fernando Battaglia in der Beilage zur ersten Bongiovanni-CD-Ausgabe mit Maria Chiara, die italienischen Aufführungsdaten zu Smareglia-Opern entnahmen wir dem Programmheft des Teatro Verdi Triest zu Pittori fiamminghi, 30. April 1991. Dank an Ingrid Wanja für die Übersetzungshilfe.)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Barock-Diva auf Abwegen

 

Eine neue CD mit einem ganz ungewöhnlichen Programm legt Nuria Rial bei Sony vor (8888375442). Die katalanische Sopranistin ist eine renommierte Interpretin im Barock-Repertoire – hier wandelt sie mit ihrer Platte Vocalise auf ungewohntem Terrain. Begleitet wird sie von den Acht Cellisten des Sinfonieorchesters Basel in Kompositionen von Heitor Villa-Lobos und Bernat Vivancos. Letzterer arrangierte auch das katalanische Volkslied „El Cant dels Ocells“, das der Cellist Pablo Casals bei jedem seiner Konzerte im Exil als letztes Musikstück spielte. Die Sängerin hat diesen „Gesang der Vögel“ in das Programm ihrer CD aufgenommen – als Reverenz an ihre Heimat, war diese Melodie doch viele Jahre die heimliche Hymne der spanischen Flüchtlinge in der Fremde. Es ist eine Musik voller Melancholie, die zunächst a capella erklingt, bis später die Instrumente eine sanfte, einfühlsame Melodie anstimmen. Fast keusch führt die Solistin ihre Stimme und berührt damit sehr.

Vivancos’ eigene Komposition „Vocal Ice“ widmete er Nuria Rial und dem Baeler Cello-Oktett. Sie erklingt hier als Weltpremiere – ein schwermütiger Gesang in Form einer Vokalise, der von Liebe und Trost künden soll und im Gedenken an Michelangelos Pietà entstand. Rial findet hier zu besonders zarten, sensiblen Tönen, die wie aus einer fernen Welt zu kommen scheinen.

Astor Piazzollas Suite Las Cuatro Estaciones Portenas als instrumentaler Beitrag in der Reihenfolge Sommer, Herbst, Winter, Frühling auf die acht Titel der Platte verteilt. Ursprünglich für Streicher, Klavier, E-Gitarre und Bandoneon komponiert, fertigte der britische Cellist James Barralet 2013 eine Bearbeitung für acht Celli an, die hier erklingt. Mit dem „Verano“ als argentinischem Tango beginnt die Platte sehr sinnlich, rasant im Rhythmus, aber auch in melancholischer Stimmung. Der „Otono“ ist von herber, spröder Tongebung, findet später zu melodischen Inseln und verlangt den Musikern insgesamt ein hohes Maß an Virtuosität ab. Sehr elegisch hebt der „Invierno“ an, bietet duftige, träumerische Stimmungen. Die „Primavera“ markiert das Finale der Programmfolge und sichert ihr einen flotten Ausklang mit effektvollen rhythmischen Akzenten.

Ein Klassiker ist der Zyklus „Bachianas Brasileiras“ von Villa-Lobos, den der brasilianische Komponist für Sopran und acht Cellos als Hommage für Johann Sebastian Bach schrieb. Das bekannteste Stück daraus, und bereits von vielen berühmten Sängerinnen eingespielt, ist Nummer 5. Rial singt die Aria (Cantilena) mit tiefer Empfindung, lässt ihren leuchtenden, typisch mediterranen Sopran schweben, getragen von warmen, sonoren Klängen der Cellisten. In der Dança (Martelo) beweist sie Temperament und ein jazziges Feeling. Bernd Hoppe

 

Michel Sénéchal

 

Der große und bedeutende französische Sänger Michel Sénéchal ist tot, er starb am 1. April 2018 in Paris im Alter von 91 Jahren. Er kann als die Personifizierung der französischen Oper gelten. Nach einem Studium am Pariser Konservatorium debütierte Sénéchal 1950 am Monnaie in Brüssel. Während seines Kontrakts für drei Spielzeiten sang er dort das lyrische Tenorrepertoire, wie er es später sowohl an der Pariser Oper als auch an der dortigen Opéra-Comique und in allen Theatern in ganz Frankreichs tat. Seine Rollen umfassten Rossinis Almaviva und Comte Ory, Hylas in Berlioz‘ Les Troyens, Paolino in Cimarosas Il matrimonio segreto, Georges Brown in Boieldieus La Dame blanche und drei von Mozarts wichtigsten Tenorpartien: Tamino, Ferrando und Don Ottavio. In Aix-en-Provence sang Sénéchal 1956 die Travestierolle von Rameaus Platée, eine seltsame Kreatur von atemberaubender Heimlichkeit, die von sich selbst glaubt, schön zu sein. Der Erfolg in dieser Rolle war so enorm, dass er aufgefordert wurde, sie auch in Amsterdam, am Monnaie und an der Opéra-Comique zu singen.

Nachdem er sich allmählich von den Hauptrollen entfernt hatte, installierte sich Michel Sénéchal als Star unter den Comprimario-Sängern. Seine Vignetten, so kurz sie auch sein mögen, waren von einer Größenordnung, die sofort das künstlerische Niveau einer jeden Produktion steigert, bei der er mitwirkt. Sein raffiniertes Gespür für Make-up, Bewegung auf der Bühne, komisches Timing und die Ergreifung jedes Elements der Ironie, das er unvergesslich macht, basiert auf dem Fundament einer schönen leichten Tenorstimme, die gut ausgebildet und immer angenehm zu hören ist. So bedeutend wurde dieser Nebenrollenkünstler, dass der Katalog mannigfaltige Aufnahmen seines Kernrepertoires offeriert. Sein einziger Vorgänger in dieser Nische, der eine ähnliche Prominenz erlangte, war der schweizerische Tenor Hughes Cuenod, selbst ein unauslöschlicher Künstler, jedoch einer mit einer gar noch leichteren Stimme.

Michel Sénechal als Rameaus Platée in Aix-en-Provence/ Wikipedia

Allmählich etablierte Sénéchal seine Vormachtstellung hinsichtlich Charakterrollen. Darunter waren Monsieur Triquet in Tschaikowskis Eugen Onegin (eingespielt mit Solti); Schmidt in Werther; Trabuco in Verdis La forza del destino; Scaramuccio in Ariadne auf Naxos; Erice in Cavallis L’Ormindo; Valzacchi im Rosenkavalier; die Teekanne in Ravels L’Enfant et les Sortilèges und Gonzalve in dessen L’Heure Espagnole (triumphal gesungen beim Glyndebourne Festival 1966); Rodriguez in Don Quichotte; Brahmin in Roussels exotischem Padmâvatî; wie auch La Dancaire und Don Basilio, die er jährlich bei den Salzburger Festspielen, beginnend 1972, sang. Sénéchal wurde für die Rollen des Don Jerome aus Prokofjews selten aufgeführter Verlobung im Kloster ausgewählt, welche 1973 in Straßburg inszeniert wurde.

Für sein Debüt an der Metropolitan Opera am 8. März 1982 wurde er für Les Contes d’Hoffmann engagiert, wo er die vier komischen Tenorrollen übernahm, was bis dahin fast zu einer charakteristischen Verteilung geworden war. Weitere Rollen an der Met waren Guillot in Massenets Manon und Mozarts Don Basilio. Daneben setzte sich Sénéchal auch für zeitgenössische Opern ein. In Toulouse sang er 1985 den Fabien in der Premiere von Marcel Landowskis Montségur. Im selben Jahr trat er als Papst Leo X. in Boehmers Docktor Faustus an der Oper von Paris auf.

Sénéchals Meisterschaft im Charaktertenorfach führte ihn immer wieder ins Aufnahmestudio. Seine vier komischen Charaktere im Hoffmann sind dreimal eingespielt worden, während er in James Levines Aufnahme des Andrea Chénier neben seinem hoch angesehenen italienischen Kollegen Piero di Palma sowie Scotto, Domingo und Milnes in weiteren Rollen dokumentiert ist. Neben Offenbachs Hoffmann und einer geradezu mustergültigen Einspielung von Orphée aux enfers unter Plasson 1978 tritt Sénéchal neben Felicity Lott in einer im Jahre 2000 erschienenen Aufnahme von La belle Hélène in Erscheinung.

Viele, viele Aufnahmen dokumentieren seinen Ruhm und seine unendliche Begabung für seine Partien, in denen er sans-pareille brillierte. Namentlich bei der französischen EMI nahm er über drei Jahrzehnte immer wieder auf, aber auch bei den älteren Firmen wie Vega oder Chant du Monde findet man seinen Namen. Er bleibt als Synonym für die lyrischen Charakterrollen der französischen Oper unerreicht.  Herbert Strong (Übersetzung Daniel Hauser)

PORTIONIERTER GENUSS

 

Die Opern von Nicola Porpora sind heutzutage immer noch Raritäten und kommen nur langsam wieder stärker ins Bewußtsein des Barockmusikpublikums. Bei Glossa hat man sich für die Doppel-CD L’amato nome aus dem kaum bekannten Schaffen des Neapolitaners Nebenwerke vorgenommen, die einst ausgesprochen populär waren. Die Kantaten für den Prince of Wales mit der Opuszahl 1 erschienen 1735 in London, also in dem Jahr, als Porpora Polifemo und Ifigenia in Aulide und dessen Konkurrent Händel Alcina und Ariodante auf die Bühnen Londons brachte. Der Prince of Wales war Friedrich Ludwig, der älteste Sohn und Thronerbe des englischen Königs Georg II. aus dem Haus Hannover. Beide verstanden sich bekanntlich denkbar schlecht, der Prinz protegierte die Opera of the Nobility mit Porpora und war auch selber musisch begabt – er spielte Cembalo und Cello. Es gibt Hinweise, dass Porpora diese Werke zumindest teilweise nach London mitgebracht hatte und der aufwändige und teure Druck mit Widmung an den Prinzen auch ein Verkaufsargument für wohlhabende Kenner sein sollten. Tatsächlich waren diese zwölf Kammerkantaten für Continuo, Sopran und Alt auf Texte von Pietro Metastasio.ein Erfolg für Porpora und ein geschickter Schachzug, um sein Schaffen und Können in musikalisch reduzierter Umgebung unter Beweis zu stellen. Noch Jahrzehnte später finden sich schriftliche Quellen, die diese Werke als außerordentlich und modellhaft rühmen, bis ins 19. Jahrhundert wurden sie gedruckt. Porpora gelang hier eine musikalische  Inszenierung  von Metastasios Texten, die den damaligen Geschmack und die Ideale des Arkadischen darstellen – es geht bspw. um Apollo, Nymphen, Cupido, Schäfer und Landschaften sowie um Herzschmerz und Sehnsucht. Die Kantaten können als Beispiel für Porporas galanten Stil herangezogen werden, ihre eingänglichen Melodien galten als bezaubernd, die Rezitative beschrieb man damals als natürlich, die Modulationen als angenehm, im Aufbau bestehen sie aus 2 Arien mit verbindendem Rezitativ oder aus dem doppelten Paar aus Rezitativ und Arie. Im Beiheft erfahren die Kantaten eine andere Einschätzung, sie setzen beim „Zuhörer eine profunde Wertschätzung von Porporas Können voraus„. Dirigent Stefano Aresi leitet zwei Musiker aus dem Barock-Ensemble Stile Galante, das Continuo ist bei dieser Aufnahme nur mit Cembalo und Cello besetzt – eine Entscheidung, die für Kammerkantaten historisch verbürgt ist und doch eine gewisse klangliche Monotonie auslöst. Das könnte auch der Grund dafür sein, daß Aresi im Beiheft empfiehlt, nicht alles in einem Rutsch durchzuhören, sondern sich die einzelnen Kantaten portionsweise, in zeitlichem Abstand und langsam zu Gemüte zu führen. Die Cellistin Agnieszka Oszanca meistert zwar die melodiösen Passagen mit klanglicher Schönheit, die Cembalistin Andrea Friggi spielt mit Eleganz und mit Anmut, dennoch leidet das heute verwöhnte Ohr an dieser Kargheit, musiziert wird in so vollendeter Ausgewogenheit, dass es schon mal ermüden kann. Die jeweils sechs Arien sind auf vier Sängerinnen verteilt, jede singt drei. Die Sängerinnen halten sich an die stilistische Konstante, nicht nur in den Dacapo-Passagen improvisierte Verzierungen zu verwenden, also die Technik des cercar/anticipatione della nota zu pflegen. Verzierungen und stilistische Fragen wurden mit dem Dirigenten erarbeitet. Die Sängerinnen sind sehr gut besetzt, die Stimmfarben sind unterschiedlich gewählt, die ausgedehnten und stark verzierten Gesangslinien der Arien stellen die Interpreten vor die Herausforderung, langen Atem und sichere Technik zu beweisen. Die Mezzosopranistin Marina De Liso überzeugt mit warmen Farben, Ausdruck und Koloratur klingen attraktiv, sie singt die Kantaten Nr. 8 „Or che una nube ingrata„, 9 „Destatevi, oh pastori“ und 11 „Oh dio, che non è vero„. Auch die zweite Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli ist hörbar eine versierte Sängerin für Rollen der Barock/Rokoko-Epoche, ihre Stimme ist verführerisch und etwas tiefer,  sie singt Nr. 7 „Veggo la selva e il monte„, Nr. 10 „O se fosse il mio core“ und 12 „Dal povero mio cor„. Emanuela Galli leiht ihren schönen und einschmeichelnden Sopran den Kantaten Nr. 2 „Nel mio sonno almen talora„, 5 „Scrivo in te l’amato nome“ und 6 „Già la notte s’avvicina.Der Sopran von Francesca Cassinari ist jünger, mädchenhafter, sie übernimmt die Kantaten Nr. 1 „D’amore il primo dardo„, 3 „Tirsi chiamare a nome“ und 4 „Queste che miri, oh Nice„. Die Kantaten haben nicht den Effekt, Pomp und Glanz, den man heute in den diversen Sammlungen mit Opernarien hören kann (Max E. Cencic sei als aktuelles Beispiel genannt), die Selbsteinschätzung Aresis, dass es sich um Porpora für Kenner handelt, ist nachvollziehbar. (2 CDs, Glossa, GCD 923513 ) Marcus Budwitius

Jugendwerke zum Geburtstag

 

Manche Preise führen einen recht verwirrenden Titel – so wurde der renommierte Rom-Preis, einer der wichtigsten musikalischen Auszeichnungen des 19. Jahrhunderts, nicht etwa an italienische Komponisten vergeben, sondern an französische. In der Edition des Palazetto Bru Zane bei ediciones eingulares werden die interessantesten Preisträger vorgestellt. Dem jungen Charles Gounod ist zu seinem Jubiläum 2018 die 6. Folge gewidmet.

Der Prix de Rome: Das ist ein Musik-Preis des Pariser Konservatoriums, der seit 1803 vergeben wurde. Die Gewinner erhielten Italien-Stipendium und konnten dann in Rom Musik vor Ort studieren. Erhalten haben ihn zum Beispiel Berlioz, Dukas, Camille Saint-Saëns sowie Bizet. Und eben auch Charles Gounod, dessen opernhafte Kantate „Fernand“ 1839 den ersten Preis gewann. Beworben hat er sich dreimal – auch die beiden Kantaten die keinen ersten Preis gewannen, wurden hier eingespielt: „Maria Stuart et Rizzo“ (1837) und „La Vendetta“ (1838).

Die Idee, mit der raren Musik der Preisträger (diese Werke dienten nur akademischen Zwecken und wurden oft nur gelesen, nicht aufgeführt, so dass sie bis heute kaum jemand gehört hat) eine eigene CD-Edition zu bestücken, klingt erst einmal wieder nach einem Schreibtischeinfall. Musik von Studenten aus dem 19. Jahrhundert – so berühmt die Namen auch sein mögen – das muss nicht unbedingt spannend sein.

Aber weit gefehlt: Um den Rompreis zu gewinnen, brauchte es ein extrem hohes Niveau. Und das meiste, was hier auf mittlerweile sechs Alben zu hören ist, besticht durch enorme Qualität. Und oft, wie im Fall Gounod, ist es natürlich auch faszinierend herauszufinden, wie viel vom späteren berühmten Komponisten man schon erahnt.

Gounod wirkt schon in den drei Kantaten ganz als der feinsinnige, visionäre Opernkomponist der er später einmal sein wird. Manches ist vielleicht melodisch noch nicht so exquisit wie im Faust und der Mireille, aber die Szenen haben schon einen erstaunlichen dramatischen Drive. Und vor allem bestechen fast alle Nummern durch rhythmische Finessen.

Frühe Meisterwerke: Außergewöhnlich an Gounod war, dass er sich nie so recht entscheiden konnte, ob er nun Opern- oder Kirchenmusiker sein wollte. Er war leidenschaftlicher, schwärmerischer Katholik, und von Anfang an hat er sich in beiden Richtungen ausprobiert.

Die zweite CD des Albums dokumentiert die geistliche Musik, die Gounod während seines Rom-Aufenthalts komponiert hat bzw. die hier inspiriert wurde. Gounod war zutiefst bewegt von Orten wie der Sixtinischen Kapelle, aber auch von Palestrinas Musik, die er hier kennenlernte. Die Kirchenmusik auf dieser CD (zwei Messen und zwei kleinere Werke) ist der eigentliche Schatz, der hier gehoben wird, die wirkliche Entdeckung. Die Kantaten sind Übungsstücke, die Messen frühe Meisterwerke.

Prachtvoll und Luxuriös: Die Prix-de-Rome-Reihe des Labels ediciones singulares gehört zu den aufwändigsten und liebevollsten Klassik-Editionen der letzten Jahre. Schon allein die Aufmachung ist atemberaubend, sie ist gestaltet wie ein Buch mit vielen informativen Texten. Leider sind diese – einziger Wermutstropfen – nur in französischer und englischer Sprache.

Beeindruckend auch, was hier an Sängern aufgeboten wird, schon allein quantitativ. Man hätte an Solisten für die drei Kantaten und vier Kirchenwerke eigentlich nur vier bis fünf Interpreten gebraucht. Aufgeboten wurden neun, jede Kantate ist anders besetzt, in heutigen Zeiten der Sparzwänge wirklich verschwenderischer Luxus.

Vielleicht ist nicht jeder Sänger eine absolute Idealbesetzung, aber kleine Schwächen verteilen sich eben gut auf den beiden CDs. Zusammengehalten wird alles sehr souverän vom Dirigenten Hervé Niquet, der die Werke wirklich jugendlich und mit Verve zelebriert und in jedem Takt den großen Respekt spüren lässt, den er vor diesen frühen Arbeiten des Komponisten hat. Ein mehr als nur würdiges Geburtstagsgeschenk an den 200 Jahre jungen Gounod (Preisträger Prix de Rome, Vol. 6: Charles Gounod; mit Gabrielle Philipponet, Sopran, Chantal Santon-Jeffery, Sopran, Sebastien Droy, Tenor, Alexandre Duhamel, Bass; Flämischer Radiochor; Brüsseler Philharmoniker; Hervé Niquet; Ediciones singulares 1030/ Foto oben „Marie Stuart“ – Illustration zu Niedermeyers gleichnamiger Oper bei Chocolat Guerrier). Matthias Käther

Die Leuchtende

 

Anlässlich ihres achtzigsten Geburtstags (am 11.02.2018) würdigt Deutsche Grammophon das Werk der schweizerischen Ausnahmesopranistin Edith Mathis mit dieser Ausgabe auf sieben CDs. Die Aufnahmen sind zwischen 1960 und 1984 entstanden und bieten einen Überblick über Mathis‘ Schaffen in den Bereichen Oper, Oratorium und Lied. Erstmals auf CD erscheint hier, neben Einspielungen zusammen mit Größen wie Christoph Eschenbach, Wolfgang Sawallisch, Karl Richter, Carlos Kleiber oder Seiji Ozawa, eine Auswahl aus Mathis‘ Interpretationen aus Wolfs Italienischem Liederbuch mit Karl Engel. Darüber hinaus sind Aufnahmen mit Karl Böhm enthalten, der für Mathis wohl künstlerisch prägendste Dirigent, der sie auch mit Deutsche Grammophon in Kontakt brachte. Ergänzt wird das Set durch ein 40-seitiges Booklet, in dem Peter Hagmann, aufbauend auf einem Interview mit Edith Mathis, speziell geführt für die Box, durch das Repertoire leitet. DG

 

Zum achtzigsten Geburtstag von Edith Mathis hat die Deutsche Grammophon eine Kassette mit sieben CDs mit Aufnahmen der Schweizer Sängerin auf den Markt gebracht, die den verzückten Hörer aus dem Staunen nicht herauskommen lässt. Dieses gilt gleichermaßen der schönen Sopranstimme wie dem auf drei der CDs festgehaltenen Liedrepertoire, das einmal mehr den Kopf darüber schütteln lässt, dass dieses kostbare Erbe im Musikleben von heute eine so geringe Rolle spielt, ist man doch geradezu berauscht von dem Melodienreichtum der Brahmsschen Volkslieder, Duette, Liebeslieder-Walzer, die dazu noch in einer nicht zu überbietenden Besetzung mit neben der Jubilarin Brigitte Fassbaender, Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau vorgestellt werden. Diese und die auf den CDs 5 und 6  festgehaltenen Lieder von Schumann, Mozart und Wolf zu hören, ist das reinste, kompletteste Vergnügen, dass man sich denken kann, und der Mathis gelingt es sogar, die Texte von Frauenliebe und -leben goutierbar zu gestalten. Die Frische, das hörbare Engagement, mit der, vor allem von Karl Engel oder Christoph Eschenbach am Klavier begleitet, u.a. das Italienische Liederbuch und die Gesänge aus Wilhelm Meister interpretiert werden, sind zutiefst berührend und eine reine Freunde.

Die ersten beiden CDs sind Geistlichem gewidmet, beginnend mit Bachs „Jauchzet Gott in allen Landen“, in denen die Reinheit und Klarheit des Soprans, die Präzision auch in den Prestoteilen besonders zur Geltung kommen. Die sanfte, runde Höhe, das Wissen um die Bedeutung von Rezitativen, die bruchlos durch alle Register geführte Stimme, die angemessen instrumental geführt wird, lassen keinen Wunsch offen. Für „Wie freudig ist mein Herz“ hat die Stimme einen schönen Jubelton, lieblich ist ihr Klang für „Lebens Sonnen“, und eine schöne Melancholie ohne Larmoyanz bringt „Seufzer, Tränen“ zur Geltung.

Edith Mathis: Mozarts Susanna vom Dienst, nicht nur in Berlin, Wien und München/ Foto Buhs/DG

Noch leuchtender und energischer scheint der Sopran in den Stücken aus Händels Messias zu sein, und frischer als in den Arien aus Haydns Jahreszeiten ( gemeinsam mit Siegfried Jerusalem) kann ein Sopran nicht klingen. So altmodische Vokabeln wie lieblich oder anmutig drängen sich beim Hören von den Ausschnitten aus der Schöpfung auf, große Bögen sind dem Adler gewidmet und feine Schwelltöne wetteifern mit denen von Fischer-Dieskau.

Klar führt der Sopran in Mozarts Requiem, aufblühen kann er bei Dvorák, und eine tröstende Engelsstimme scheint der Hörer in Brahms‘ Deutschem Requiem zu vernehmen.

Die dritte CD ist ganz Mozarts Opernpartien gewidmet, allerdings fehlen leider Pamina (Welch schöne Erinnerungen knüpfen sich daran!) und Contessa, stattdessen sind es die „leichteren“ Damen, die sie hier verkörpert. So ist die Mathis eine Zaide voller vokaler Anmut, eine innige, verletzliche Ilia von sanfter Melancholie und eine Susanna kapriziöser Zärtlichkeit. Auch ihre Zerlina ist keine Soubrette, hat eine ausgesprochen gute Mittellage. Das gilt auch für Marzelline aus Fidelio, die sehnsüchtig und doch auch energisch klingt und einen wunderbar poetischen Beginn des „Mir ist so wunderbar“ hören lässt. Unter Carlos Kleiber war die Mathis das Ännchen mit komischer Dramatik für den Kettenhund und mädchenhafter Frische für den Schelm und den schlanken Burschen. Dass Edith Mathis auch Mezzopartien sang (Sie war ein begehrter Cherubino.) kann man an der Marguerite aus Berlioz‘ Faust-Vertonung nachvollziehen. Wunderschön leuchtet „D’amour l’ardente flamme“, während die Stimme ihrer Sophie mit dem silbernen Glanz der Rose wetteifert.

Also: ein würdiges Geburtstagsgeschenk und für den Hörer Quell des Entzückens für eine wunderschöne Stimme und ein größerer Beachtung würdiges Repertoire (Lieder!) (DG 7 CD 479 8337). Ingrid Wanja  

Anschluss und Ausschluss

 

„Barbara Denschers Buch ist eine Fundgrube für Informationen zu einem halben Jahrhundert Operetten- und Theatergeschichte, und zugleich ein bewegendes Dokument jüdischen Lebens in Wien.“ Das schreibt der Librettologe und Romanist Albert Gier im nachstehenden Artikel zum neuerschienenen Buch von Barbara Denscher im transcript Verlag über den Librettisten von Johann Strauss und Franz Léhar, Victor Leon. Dieses hervorragend recherchierte Buch lässt eine vergangene Welt neu erstehen und hat über das Sujet der Operette hinaus eine enorme Wichtigkeit für die Wissens- und Erfahrungsvermittlung. Kevin Clarke vom Operetta Research Center Archive, auf deren Seite dieser Artikel, erstmals erschien,  stellte uns Albert Giers Artikel mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors zur Verfügung. G. H.

 

Victor Léon (1858-1940, hier links neben seinem langjährigen Komponistenpartner Franz Léhar/ Dank an ORCA) hat im Lauf seiner mehr als fünfzigjährigen Theater-Karriere über hundert Bühnenstücke geschrieben, knapp die Hälfte davon wird auf dem Titelblatt als „Operette“ bezeichnet (die Grenzen zu eng verwandten Gattungen wie „Singspiel“ oder „Vaudeville“ sind fließend). Er verfasste (oft gemeinsam mit Partnern) die Bücher zu bis heute vielgespielten Werken wie Der Opernball (Richard Heuberger), Der Rastelbinder und Die lustige Witwe (Franz Lehár), Der fidele Bauer und Die geschiedene Frau (Leo Fall). Léon war eine Schlüsselfigur der Wiener Operettenszene von den 1880ern bis in die 1920er Jahre. Dennoch hat ihn die (insgesamt überschaubare) Forschung zur Operette bisher ebenso vernachlässigt wie die meisten seiner Librettisten-Kollegen. Zum einen wirkt hier die Diffamierung der meist jüdischen Textdichter durch die nationalsozialistische Hetzpresse nach, zum anderen bildungsbürgerliche Vorurteile gegenüber angeblich minderwertigen Libretti: Das Libretto sei „derjenige Teil der Oper, auf den einzugehen nicht lohnt“, schrieb sarkastisch Peter Hacks[1], als Verfasser mehrerer Libretti ein Betroffener. Wenn aber schon die Opernbücher durchweg schlecht sind, was soll man dann von den Texten der mit hochnäsiger Ignoranz verachteten Operette erwarten?

Umso erfreulicher ist es, dass  Barbara Denscher Victor León eine mehr als 500 Seiten umfassende, ungemein detaillierte „Werkbiographie“ gewidmet hat (sie ist aus ihrer Wiener Dissertation hervorgegangen, vgl. S. 14). Die Quellenlage zu Léons Karriere ist hervorragend: Sein Nachlass, „48 große Boxen mit 894 Mappen und mehreren tausend Einzeldokumenten“ (S. 13), wurde von seiner langjährigen Geliebten und Freundin Anna Stift durch die Wirren des Krieges gerettet und gelangte nach ihrem Tod (1994) in die Wienbibliothek im Rathaus. Barbara Denscher hat aber nicht nur Léons Nachlass vollständig ausgewertet, sondern z.B. zur Karriere seines Vaters, der Rabbiner in Senica (Slowakei), Pécs (Ungarn), Augsburg und möglicherweise München war, ehe er Anfang der 1870er Jahre nach Wien zog, wo er als Journalist und Chefredakteur verschiedener Zeitschriften tätig war, und zu Victors frühen Jahren auch andere Archive konsultiert; für die Uraufführungen seiner Bühnenwerke und den Erfolg beim Publikum werden häufig Presseberichte herangezogen. Das Buch ist hervorragend dokumentiert und dürfte das, was sich über Victor Léons Karriere noch in Erfahrung bringen lässt, weitgehend vollständig zusammenfassen.

Dabei stellt sich die Verfasserin auch die Frage, inwieweit Léons individuelle Biographie und Karriere repräsentativ sind für seine „historischen Lebenswelten“, die „Sozialgruppe“, der er angehört (S. 13). Als sehr erfolgreicher Vertreter des assimilierten Judentums war Léon immer wieder mehr oder weniger versteckten antisemitischen Anwürfen ausgesetzt. Als vielbeschäftigter Librettist interagierte er mit Koautoren, Komponisten, Theaterdirektoren und Sängern, daher gibt das Buch auch Einblick in den Operettenbetrieb vor und nach dem Ersten Weltkrieg.

„Vilja, oh Vilja“: Victor Léons und Franz Léhars Dauerbrenner im Frontespiece des Klavierauszugs/ ORCA

Nachdem er das Gymnasium abgeschlossen hatte, wurde Léon 1877 in die Schauspielschule des Konservatoriums aufgenommen. Etwa gleichzeitig begann er, für von seinem Vater herausgegebene Zeitschriften Erzählungen, Gedichte und auch „Theater-Causerien“ zu verfassen (Barbara Denscher informiert ausführlich über diese frühen Arbeiten). 1877 schrieb er für einen befreundeten Komponisten sein erstes (verlorenes) Operettenlibretto Nausikaa im Stil der Antike-Travestien Jacques Offenbachs, das das Interesse F. Zells (eig. Camillo Walzel) erregte, der damals mit Richard Genée das produktivste und erfolgreichste Librettisten-Tandem bildete. Einen ersten großen Erfolg erzielte Léon 1881 mit der abendfüllenden Operette D’Artagnan und die drei Musketiere nach dem Roman von Dumas, die u.a. in Lemberg, Hamburg, Budapest, Linz und Prag gegeben wurde; der Komponist Rudolf  Raimann ist heute völlig vergessen, wie die meisten Musiker, mit denen Léon in diesen frühen Jahren zusammenarbeitete.

Nicht alles, was der junge Dichter zur Aufführung brachte , war originell: Der Einakter Tao-Ti-Ti (Musik von Franz Rumpel, 1884, Ronacher-Theater im Prater) ist der Inhaltsangabe (S. 51) zufolge ein Plagiat von Offenbachs Île de Tulipatan, nur wurde der Schauplatz (zweifellos zwecks Verschleierung) nach China verlegt.

Einen Karrieresprung bedeutete 1887 Léons Zusammenarbeit mit Johann Strauss, obwohl Simplicius nach dem Roman von Grimmelshausen bestenfalls ein halber Erfolg war. Der Komponist, der sich (wie Léon sich später erinnerte) für den Stoff spontan begeisterte (S. 70), war mit dem Libretto (vor allem mit dem II. Akt) dann weniger zufrieden: „Dieser Kerl Léon lässt sich nichts sagen“, schrieb er an seinen Theateragenten Lewy (S. 78) – eine gewisse Halsstarrigkeit, gepaart mit Empfindlichkeit und der Neigung zu Temperamentsausbrüchen[2], scheint dem Librettisten in der Tat eigen gewesen zu sein, und er hat damit wohl sich und anderen gelegentlich das Leben schwer gemacht.

Barbara Denscher: Der Operettenlibrettist Victor Léon, transcript Verlag Bielefeld, 516 Seiten, ISBN-13: 9783837639766

Frau Denscher dokumentiert die Auseinandersetzungen um das Simplicius-Buch genauer, als das in der bisherigen Forschung geschehen ist. Sie zitiert auch einen Brief Léons an Strauss, in dem der Librettist sich das Ziel setzt, „wahre Menschen“ zu zeichnen und „eine Handlung […] mit menschlichen Conflicten, menschlichen Situationen“ zu entwerfen (S. 83). 1934 erinnerte er sich, ihm habe für Simplicius „der crasse Verismo“ vorgeschwebt, wie er wenig später die Opernbühne eroberte (S. 84). Die Frage sei gestattet: Hat das in der Operette jemals funktioniert? Rückt nach Wagner die regelmäßige Periodik der Operettenmusik Figuren und Geschehen nicht automatisch in eine Distanz, die ‚Wahrhaftigkeit‘ nicht zuläßt, weshalb auch der Text ein Distanz schaffendes Element – Karikatur oder Satire (Offenbach), Absurdität (Gilbert & Sullivan), Märchenhaftigkeit, Exotismus… – benötigt, wenn nicht ein inkohärentes Konglomerat entstehen soll? Max Kalbeck, der Simplicius als „eigenthümliches Misch- und Zwittergeschöpf“ aus komischer Oper und Operette bezeichnete (S. 89), hat das Dilemma zutreffend benannt.

1886-1900 entstanden nicht weniger als sechzehn Bühnenwerke in Zusammenarbeit mit Heinrich von Waldberg; die Presse sprach oft von ihrer „Firma“, oder auch von einer „Fabrik mit Dampfbetrieb zur Herstellung von Theaterstücken“ (S. 125f.). Spezialität der beiden war die Bearbeitung französischer Stücke (S. 136f.), in diesem Bereich traten sie die Nachfolge von Zell und Genée an. Auch als dramaturgischer Berater von Ignaz Wild, der 1894 die Leitung des Theaters in der Josefstadt übernahm, richtete Léon den Blick vor allem nach Frankreich. Bei der Eröffnungspremière (Operette Tata-Toto, Text Bilhaud/Barré, Musik Antoine Banès, 28.9.1894) führte er auch Regie (S. 140f.); seine Inszenierungen wurden in der Presse immer häufiger (und meist lobend) erwähnt.

Der Opernball (1898) für Richard Heuberger ist das erfolgreichste Libretto von Léon und Waldberg und das erste Werk Léons, das heute noch regelmäßig auf den Spielplänen steht. Frau Denscher geht auf die Umstände der Entstehung und auf die Uraufführung der Operette ein (S. 151-158) und konzentriert sich dann auf die Figur des Stubenmädchens Hortense (S. 159-162), das im Opernball „eine größere und vor allem auch wesentlich selbstbewusstere Rolle“ habe als in der französischen Vorlage (Ernst Marischka machte diese Änderung im Drehbuch zum Opernball-Film von 1939 wieder rückgängig, S. 162-164).

Zu Victor Léon: Das Traumpaar – Mizzi Günther and Louis Treumann, the original Viennese stars of ‚Die lustige Witwe.‘ (Operetta Research Center)

Eine andere Änderung der Librettisten, die die Aussage des Stücks nicht unwesentlich verändert, übergeht Frau Denscher allerdings: In der Komödie Les Dominos roses von Alfred Delacour und Alfred Hennequin sind Georges wie Paul Lebemänner; Georges ist ein eleganter Müßiggänger, seine Frau Marguerite akzeptiert stillschweigend, daß er ihr nicht absolut treu ist. Paul verbirgt seine kleinen Abenteuer geschickt vor seiner Angèle, die überzeugt ist, daß er ganz in seiner Arbeit (als Geschäftsführer einer Spinnerei) aufgeht. In Paris (wo Paul und Angèle bei ihren Freunden zu Gast sind) hat Paul bereits einige Damen ausgemacht, die näher kennenzulernen lohnend wäre. Beim Opernball werden beide Männer von ihren Frauen dupiert (und Angèle verliert die Illusionen, die sie sich über ihren Paul gemacht hat), aber diese Niederlage vermag der männliche Stolz zu verkraften.

In der Operette hat Paul, der in Orléans der Liebling der Damen ist, ein großes Ziel: Er will endlich eine echte Pariserin erobern! Dabei stellt er sich nun freilich entsetzlich ungeschickt an und scheitert auf der ganzen Linie: Wenn er zuletzt erfährt, daß Hortense, die einzige Frau, der er beim Opernball nähergekommen ist, aus seiner Heimatstadt Orléans stammt, kann er nur noch resignieren und seine Frau zur Heimreise auffordern. Das letzte Bild, das im Gedächtnis haftet, ist das eines reuigen Sünders, der an den heimischen Herd zurückkehrt – und das hat nun eine ganz andere Wirkung als der Schluss der Komödie, wo Angèle bereit scheint, ihrem Paul künftig mehr Freiheiten zuzugestehen.

Zu Victor Léon Postkartenszene aus „Der Rastelbinder“ von Franz Léhar/Sammlung Schneider

Auch Léons Opernlibretti (S. 181-202) und Sprechstücke („Zeitbilder“, S. 203-216), die häufig aktuelle Themen aufgreifen, werden detailliert besprochen, obwohl sich nichts davon im Repertoire gehalten hat. – Das Buch zu Wiener Blut, das Léon gemeinsam mit Leo Stein schrieb, hätte ursprünglich Richard Heuberger komponieren sollen, der allerdings mit den „wienerischen Urwüchsigkeiten“ (so Léon, zit. S. 222) nicht zurechtkam. Johann Strauss erklärte sich schließlich bereit, die Musik aus seinen Instumentalkompositionen zusammenzustellen (S. 219); nach dem Tod des Komponisten übernahm Adolf Müller, der, so Léon, von Strauss noch detaillierte Informationen über dessen Konzeption erhalten hatte, diese Aufgabe (S. 219f.). Die Uraufführung (26.10.1899) war nicht wirklich erfolgreich, erst mit einer Neuinszenierung im Theater an der Wien (1905) trat das Werk seinen Siegeszug über die Bühnen der Welt an (S. 230).

Zur „Entdeckung“ des jungen Militärkapellmeisters Franz Lehár durch Léons Tochter Felicitas kann Frau Denscher Irrtümer und Erfindungen früherer Biographen berichtigen (S. 249-254). – Das erste gemeinsame Werk von Léon und Lehár, Der Rastelbinder (1902, Ko-autor des Textbuchs Julius Wilhelm), wird überzeugend als Geschichte von „Migration und Assimilation“ (S. 263[3]) gedeutet.

Die lustige Witwe ist ohne jeden Zweifel die erfolgreichste Operette, zu der Léon das Libretto schrieb, insofern ist es folgerichtig, daß ihr nicht weniger als drei Kapitel gewidmet sind (S. 285-318). Die zitierten Quellen belegen eindeutig, daß Léon Heuberger das Buch entzog, weil dieser für das ‚Slavische‘ der Musik, das offensichtlich auch Louis Treumann, der erste Danilo, einforderte, kein Gespür hatte; der Komponist brachte dafür offensichtlich kein Verständnis auf und wollte das Buch trotzdem komponieren (S. 286-288). Unterschiede zwischen der Vorlage, Meilhacs Komödie L’Attaché d’ambassade, und dem Libretto werden herausgearbeitet (S. 294-304): Daß Meilhacs deutsches „Birkenfeld“ durch „Pontevedro“ (= Montenegro) ersetzt wird, ermöglicht aktuelle politische Anspielungen (S. 294-297), auch auf die österreichischen Verhältnisse (S. 298ff.; Wahlrechtsdiskussion, S. 301f.)[4]. Das dritte Kapitel (S. 305-318) behandelt den einzigartigen Erfolg der Operette: bis 1910 gab es mehr als 18.000 Aufführungen weltweit (S. 317)[5]!

Zu Victor Léon: Alberto Spadolino in der Georg Jacoby Production der “Lustige Witwe,” 1940. (Photo from Matthias Kauffmann’s “Operette im ‘Dritten Reich’./ Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München )/ Dank an ORCA

Mit Leo Fall (S. 319-350) brachte Léon den Fidelen Bauern (im Rahmen der von Léon organisierten Operettenfestspiele zum Mannheimer Stadtjubiläum 1907, S. 326; die Kritik, „dass das Werk ein ‚Rührstück‘, aber keine Operette sei“, S. 328, ist vollauf berechtigt), Die geschiedene Frau sowie (mit deutlich weniger Erfolg) Die Studentengräfin und Der Nachtschnellzug (beide 1913) auf die Bühne; die Zusammenarbeit litt unter Falls Unzuverlässigkeit (S. 343f.).

Einem kurzem Kapitel über Léons Einkünfte (S. 351-356) ist u.a. zu entnehmen, daß die Tantiemen, die er 1911 vom Felix Bloch Verlag enthielt, nach einer Umrechnungstabelle der Deutschen Bundesbank knapp über 672.000 € heutiger Währung entsprächen (S. 351).

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieg schrieb Léon nach einer ungarischen Vorlage das Buch zum „Singspiel“ Gold gab ich für Eisen für Emmerich Kálmán (UA 17.10.1914, S. 389-396), das die zu dieser Zeit obligaten hurrapatriotischen Sprüche enthält (S. 393f.). Sollte der Librettist die nationale Besoffenheit der ersten Kriegswochen geteilt haben, ist jedenfalls schnell Ernüchterung eingetreten: In den Libretti der folgenden Jahre kommt Kriegspropaganda nicht mehr vor.

In den zwanziger Jahren schrieb Léon weiter Operettenlibretti, aber die ganz großen Erfolge blieben aus. Die gelbe Jacke für Lehár (nach einer Idee von Lizzy Léon, S. 409f.) erzielte bei der Uraufführung 1923 einen Achtungserfolg (S. 414f.), aber erst in der Umarbeitung von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda (Das Land des Lächelns, 1929), die Léons glückliches Ende in einen Verzichtsschluss umwandelt, wurde das Stück zu einer der meistgespielten Operetten überhaupt (S. 410-414). Ein Versuch, gemeinsam mit Ernst Decsey Operetten für den Rundfunk einzurichten (Oktober 1931), endete nach kurzer Zeit im Streit (S. 447-452). Auch beim Film vermochte Léon nicht Fuß zu fassen (S. 456-460). Nach dem sog. „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland blieben der Librettist und seine Frau vor allem dank des Engagements von Anna Stift von Verfolgung verschont; Victor Léon starb am 23.2.1940 in seiner Villa in der Wattmanngasse (S. 473-476).

Barbara Denschers Buch ist eine Fundgrube für Informationen zu einem halben Jahrhundert Operetten- und Theatergeschichte, und zugleich ein bewegendes Dokument jüdischen Lebens in Wien. Albert Gier/ ORCA

 

Zu Victor Léon: Der Autor und Musikwissenschaftler Albert Gier/ Foto BR

[1]Versuch über das Libretto, in: P.H., Oper, München 1980, 199-306: 209. [2] Vgl. dazu auch einen ausführlichen Brief von Ernst Decsey an Léon vom 5.11.1931 (zu gemeinsamen Rundfunkarbeiten), S. 450-452. [3] Suza als „nicht-assimilierte Migrantin“ (S. 266) zu bezeichnen, ist problematisch, da sie nicht die Absicht hat, in Wien zu bleiben, sondern hier nur ihren Milosch sucht (den es auch wieder ins heimische Dorf zieht). [4]Frau Denscher weist darauf hin, daß Madeleine und Prax bei Meilhac nie ein Liebespaar waren (S. 300), dagegen übergeht sie die (recht weit hergeholte) Motivation für Praxens Liebeserklärung, die Léon mit Recht nicht übernommen hat: Nachdem der Attaché behauptet hat, Madeleine nicht zu lieben, erfährt sie, daß ein anonymer Wohltäter einem jungen Bankangestellten, der eine ihm anvertraute große Summe in der Spielbank verloren hatte, den Verlust ersetzt und ihn so vor Schande (oder vor dem Suizid) bewahrt hat, und schwört, wenn dieser Unbekannte ein lediger Mann sei, werde sie ihn heiraten. Mit diesem Eid ist sie für Prax (der nicht weiß, wen sie heiraten will) scheinbar unerreichbar geworden; er kann ihr endlich seine Liebe gestehen, ohne fürchten zu müssen, daß sie ihm finanzielle Interessen unterstellt. Wie sich herausstellt, war der Wohltäter niemand anders als Prax selbst. [5] Für die Londoner Erstaufführung war ursprünglich Mizzi Günther, die erste Wiener Hanna, vorgesehen, sie wurde dann aber durch eine gesanglich schlechtere Engländerin ersetzt (S. 311f.); die nächstliegende Erklärung ist sicher, daß Günther nicht in der Lage gewesen wäre, auf englisch zu singen (und zu sprechen!). (Foto oben: Willy Gauses „Hofball in Wien“/ Ausschnitt/Wiki)

Erstling

 

Nun endlich lieferbar nach langer Warteschleife und angesichts seines umjubelten Auftritts als Vasco da Gama in Frankfurt doppelt willkommen: A Fool For Love heißt die erste Platte des amerikanischen Tenors Michael Spyres, die er 2010 in Moskau für DELOS aufgenommen hat und dabei vom Moscow Chamber Orchestra unter Constantine Orbelian zuverlässig begleitet wird (DE 314). Nach seinem Debüt als Rodolfo in La bohème bei einer Tournee-Produktion des Opera Theatre Saint Louis gelang ihm 2006 als Jaquino in Fidelio am Teatro San Carlo Neapel der Einstieg in die internationale Opernkarriere. Schon früh trat er beim Festival Rossini in Wildbad auf und etablierte sich bald als Spezialist für den Gesangsstil dieses Komponisten, was ihn natürlich auch zu den Festspielen nach Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten, führte.

In seinen Anfängerjahren sang Spyres die typischen Rollen des tenore di grazia-Repertoires – Conte Almaviva im Barbiere oder Nemorino im Elisir d’amore. Beide zählen zu jenen Figuren, die närrisch vor Liebe sind, was auch auf die anderen Helden auf dieser CD zutrifft. Musikbeispiele aus diesen populären Werken – Almavivas virtuoses „Cessa di più resistere“ und Nemorinos schwärmerisches „Una furtiva lagrima“ – finden sich natürlich auf der CD, die mit Tonios „Ah! mes amis“ aus Donizettis Fille du régiment beginnt, einem Bravourstück par excellence, das nicht weniger als neun hohe Cs erfordert. Spyres absolviert sie in bewundernswerter Manier, serviert die Arie mit hinreißendem Schwung. Ähnlich souverän gelingt ihm die anspruchsvolle Schluss-Szene des Edgardo aus Donizettis Lucia. Die Stimme klingt in all diesen Ausschnitten noch sehr jugendlich und hell, verströmt den gebührenden Charme und die Zärtlichkeit eines  jungen Liebhabers.

Zeugnisse der Vielseitigkeit von Spyres sind Don Ottavios „Il mio tesoro“ aus Mozarts Don Giovanni, Lenskis wehmütiges  „Kuda“ aus Tschaikowskys Eugen Onegin, Toms „Here I stand“ aus Stravinskys The Rake’s Progress und die wegen ihrer heiklen Tessitura gefürchtete Arie des Italienischen Sängers „Di rigori armato“ aus dem Rosenkavalier von Strauss. In nicht weniger als fünf Sprachen ist der Solist auf der CD zu hören. Mit Rodolfos „Che gelida manina“ aus Puccinis La bohème und dem Lamento des Federico „È la solita storia“ aus Cileas L’Arlesiana finden sich auch gelungene Ausflüge in anspruchsvolles lyrisches Repertoire. Und nicht zuletzt sind die Beiträge aus dem französischen Fach von Bedeutung, hat Spyres doch live Offenbachs Hoffmann sowie mehrere Partien von Rossini und Meyerbeer gesungen. In der Anthologie sind Nadirs „Je crois entendre encore“ aus Bizets Les pecheurs de perles und Werthers „Pourquoi me réveiller“ aus der gleichnamigen Oper von Massenet vertreten. Sie beweisen die spezielle Eignung des Tenors für dieses Fach, denn er weiß seine Stimme betörend zu führen und mit delikaten Kopftönen zu bezaubern.

Als Encore serviert Michael Spyres noch den Schlager „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehárs Das Land des Lächelns und krönt damit seine staunenswerte Vielseitigkeit. Inzwischen hat der Tenor vor allem bei Opera Rara und Naxos in mehreren Gesamtaufnahmen mitgewirkt und auch Porträts aufgenommen. Seine Africaine/ Vasco da Gama von der Oper Frankfurt wurde für Oehms Classics mitgeschnitten. Dieses Debüt bei DELOS war das große Versprechen, das er später glänzend zu bestätigen wusste. Bernd Hoppe