Nicht gerade zu den liebenswürdigsten Märchen zählt das vom Goldenen Hahn, immerhin Rimsky-Korsakovs meistgespielte Oper, deren Libretto auf einem Text von Alexander Puschkin fußt. Die Brüsseler Oper hat daraus eine köstliche, auf dem schmalen Grat von Tragik und Komik sicher balancierende Produktion gemacht, in der trotz der Absurdität der Handlung alles schlüssig erscheint, es viele Gags, aber keinen davon als Selbstzweck eingeführt, gibt und wo manches nachdenkenswert erscheint, so das auf Panzerrollen auf die Bühne gleitende weiße Hochzeitbett von Zar und Zarin. Wunderbar getroffen sind die altrussischen Typen, seien es die Bojaren oder der General, und das arme, geknechtete, demütig winselnde Volk wird zum nicht ganz eindeutigen Sympathieträger, provoziert es beim Zuschauer doch gleichermaßen Mitleid wie Verachtung. Köstlich sind die beiden Tierfiguren, der Papagei, aber ganz besonders der wirklich gockelhaft daher stolzierende Hahn, der schließlich dem Zaren den Garaus macht.
Die einzigen realen Figuren sind bekanntlich, und wie es der Magier am Schluss erklärt, er selbst und die Zarin von Shemaka. Viel pralleres Leben aber verkörpert auf der Bühne Pavlo Hunka als Zar Dodon mit sonorem Bass und mit vielen darstellreichen Facetten zwischen gespielter Ehrwürdigkeit und bemitleidenswerter Schwäche. Seine beiden missratenen Söhne Gvidon (Alexey Dolgov) und Afron (Konstantin Suhshakov) sind von der Maske und was die Kostüme betrifft herrliche komisch herausstaffiert und singen ansprechend. Eine mächtige Röhre hat Alexander Vassiliev für den General Polkan, auch er optisch wie aus einem russischen Märchenbuch entsprungen. Einen Tenor, der auch dem Gottesnarren gut anstehen würde, setzt Alexander Kravets für den zwielichtigen Astrologen ein. Mit gleisnerischen Höhen und feinen Konturen weiß Venera Gimadieva nicht nur den Zaren zu betören, auch optisch gestaltet sie trotz einer gewissen Unbeweglichkeit über weite Teile ihrer langen Szene hinweg die Rolle nachvollziehbar. Nicht an den Regeln für Schöngesang zu messen ist die Leistung von Agnes Zwierko als Wirtschafterin, darstellerisch lässt sie keine Wünsche offen. Sheva Tehoval lässt den Hahn durchdringend krähen, Sarah Demarthe ihn umwerfend komisch schreiten.
Für die Regie und die Kostüme ist Laurent Pelly verantwortlich, und beider Aufgaben entledigt er sich mit großer Einfühlsamkeit und mit viel Sinn für theatralische Wirkung. Barbara De Limburg schuf das Bühnenbild, das trotz aller Sparsamkeit bei den eingesetzten Mitteln von großer Aussagekraft ist und Russisches, Überzeitliches und Märchenhaftes miteinander verbindet.
Chorleiter Martino Faggiani sorgte für Boris Godunovs würdige Klagegesänge der unterdrückten, ratlosen Massen, der Chor für die mitreißendsten Augenblicke der Aufführung. Am Dirigentenpult zauberte Alain Altinoglu u.a. eine stimmungsvolle Einleitung zum zweiten Akt. Bei aller Klangseligkeit werden doch Schärfe und Biss der Partitur nicht verleugnet (BelAir C 147). Ingrid Wanja